Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Erbarmen (Mikkel Nørgaard, 2013) 6/10

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Literaturverfilmungen haben es nicht leicht. Gelungene Beispiele wie DER HERR DER RINGE oder DOKTOR SCHIWAGO sind gut und schön, aber die Regel ist das nicht. Und im Kriminal- bzw. Thrillergenre macht es das Gesetz der Serie nicht einfacher: Wie, bitte schön, verfilmt man den ersten Teil einer erfolgreichen Thrillerromanserie so, dass die Fans einen hohen Wiedererkennungseffekt haben, sich dabei aber nicht langweilen, und diejenigen, denen der Roman unbekannt ist, sich trotzdem zurechtfinden? Wie es am Beispiel der Serie um den dänischen Kommissar Carl Mørck betrachtet werden kann. Die Romane von Jussi Adler-Olsen sind unglaublich erfolgreiche, spannende und düstere Thriller, die sich erstklassig lesen, und in den Jahren ab 2007 überall die Bestsellerlisten dominierten. Und die durch ihre Art und ihren Erfolg vor allem nach einer Verfilmung geradezu schrien. ERBARMEN ist nun der erste Teil dieser Serie.

Nach einem extrem misslungenen Einsatz mit dem Ergebnis eines toten und eines querschnittsgelähmten Kollegen muss Kommissar Mørck die Mordkommission verlassen. Weil er aber ein guter, durch seine miefige Art wenngleich auch extrem unbeliebter, Polizist ist, bekommt er ein eigenes Dezernat, das Sonderdezernat Q: Im untersten Keller gelegen, darf er alte, unaufgeklärte Fälle, sortieren und ablegen. Nicht lösen, wohlgemerkt! Nur ablegen. Als Hilfskraft bekommt er Assad, einen Syrer aus der Registratur (der im Roman, wenn ich mich richtig erinnere, sogar eine Putzkraft war). Doch gleich die erste Akte zieht Mørck in seinen Bann: Vor fünf Jahren verschwand die junge und aufstrebende Politikerin Merete Lynggaard spurlos von einer Fähre, vermutlich Selbstmord, und dem erfahrenen Kriminalisten Mørck fallen sofort mehrere Ungereimtheiten ins Auge. Wer nimmt denn seinen schwerbehinderten und geliebten Bruder mit auf ein Schiff, wenn er vor hat sich gleich umzubringen? Und während Mørck und Assad mühsam versuchen zu ermitteln, erfährt der Zuschauer parallel nach und nach, dass Merete noch lebt. Aber nicht mehr lange …

Meiner Frau, die die Romane nicht kennt, hat es gefallen, also kann es nicht schlecht sein! Ich für meinen Teil habe die Romane verschlungen, und sitze dann hin- und hergerissen vor der Glotze: Mørck ist zu jung. Assad ist zu groß und vor allem nicht geheimnisvoll genug. Die Komplexität eines 600-Seiten-Romans wird auf anderthalb Stunden komprimiert, was (für den Kenner) zwangsläufig zu Frustrationen führt. Die tief im Alltag verankerte Brutalität des Romans flöten geht zugunsten einer pathetischen Langsamkeit, die sich in erster Linie in rätselhaften Blicken äußert. Das Verhältnis zwischen Mørck und Assad, die Kabbeleien, die tiefe Einsamkeit und die Misanthropie Mørcks, wo sind sie? Die Machart ist stark an amerikanische Thriller angelegt, was nichts anderes bedeutet, als dass die beiden Hauptfiguren fast aus dem Stand heraus als gut funktionierendes Ermittlerteam gezeigt werden, als echte Buddys also, die wie im großen Vorbild gut miteinander funktionieren und sowas ähnliches wie Lebensgefährten sind. Von den Schwierigkeiten Assads, den Panzer Mørcks zu durchdringen, erfahren wir nur in ein oder zwei Sätzen, von den Problemen Mørcks mit Assad noch viel weniger.

Das Kernproblem ist halt wirklich, diesen komplexen und psychologisch gut aufgebauten Roman in dieses kleine Anderthalbstunden-Format zu zwängen. Und da hätte es entweder einen Regisseur mit Vision benötigt (ich werfe jetzt mal jemanden wie David Fincher in den Ring, der die schwedische Konkurrenz mit VERBLENDUNG deutlich auf die Plätze verwies), oder eine erheblich längere Laufzeit. Vielleicht sogar so etwas wie eine Fernsehserie, um die psychologischen Hintergründe und die horizontalen Erzählstränge abzubilden. Denn abgesehen von dieser gewissen Weichgespültheit für den Mainstream, die bei den Hauptfiguren die Ecken und Kanten massenkompatibel abschleift, abgesehen davon ist der Geist des Romans durchaus getroffen. In Dänemark ist es düster oder es regnet. Oder beides. Die Häuser sind schmutzig oder modern. Oder beides. Und die Vorgesetzten sind stichwortgebende Sidekicks, die zu nichts anderem nützen als den Widerborst der Polizisten heraus zu locken.

Trotzdem, meiner Frau hat es gefallen, und sie bedrängt mich eingehend, die anderen Teile auch sehen zu wollen. Also scheint dieses Konzept im Film gut zu funktionieren, und ich muss auch zugeben: Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Teile! Die dann bereits eingeführten Charaktere dürften mehr Raum zur Entfaltung bekommen, und irgendwie bin ich ja doch angefixt. Obwohl ich vorwiegend Negatives zu schreiben habe, trotzdem will ich weitersehen. Will ich in diese düstere und brutale Welt absteigen. Irgendwas hat Regisseur Mikkel Nørgaard also richtig gemacht!

Und noch ein Trotzdem: Wenn man jetzt einmal die Romanvorlage beiseitelässt, und den Film als Standalone hernimmt, dann fällt recht schnell auf, dass der Regisseur Mikkel Nørgaard streng genommen nichts anderes auf die Beine gestellt hat als einen klassischen Noir. Wir haben hier einen Helden, dessen Seele zerbrochen ist. Der sich fluchend und seinen Zynismus tief auslebend durch die Welt schleppt, der kein Familienleben hat (und das bisschen, das er hat, ist dysfunktional), der im Job als Arschloch gilt, und dessen einziger Freund der Whisky ist. Dieser „Held“ bekommt einen gesellschaftlichen Außenseiter an die Seite und darf sich um Dinge kümmern, die zum Zeitpunkt der Handlung keine Sau interessieren: Uralte und nicht abgeschlossene Fälle für das Archiv. Der Held zeigt seinen Vorgesetzten also den erhobenen Mittelfinger und macht alles das, was er eigentlich gar nicht machen darf. Er ermittelt, er weckt schlafende Hunde, er stört die Friedhofsruhe einer gut eingespielten Bürokratie, und er lässt sich nicht einschüchtern. Er und sein gar nicht komischer Sidekick ziehen durch den Regen und stellen sich einer unvorstellbaren Gewalt, die ihre Welt restlos erschüttert.

Ein Film Noir, und aus dieser Warte heraus ein guter! Man darf ihn nur nicht mit dem Buch vergleichen …
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Schändung – Die Fasanentöter (Mikkel Nørgaard, 2014) 7/10

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Zweite Teile haben gegenüber ersten Teilen einen riesigen Vorteil: Die Personen sind eingeführt, und die Geschichte kann sich endlich auf ihr Fortgehen konzentrieren, anstatt sich mit unnützen und albernen Charakterisierungen zu versuchen, wo doch in Wirklichkeit alle nur auf die Action warten. ERBARMEN, der erste Teil der Mørck-Filme nach den Romanen von Jussi Adler-Olsen hatte sich nicht wirklich groß mit so etwas wie einer Einführung aufgehalten, und tut dies allerdings auch im zweiten Teil nicht. Dass Mørck der einzig wahre Misanthrop unter der Sonne Dänemarks ist, das mørckt der Zuschauer recht schnell, und Assad hat erst im Schlussteil dieser zweiten Folge eine Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, dass er vielleicht doch nicht der kleine Polizist aus der Registratur ist, sondern dass möglicherweise noch mehr in ihm steckt. Ein Versäumnis, dass sich in den weiteren Teilen hoffentlich nicht rächen wird, denn in den Romanen ist es gerade die Handlung um Assad, der in der horizontalen Erzählung wesentliche Spannung aufbaut.

Und a propos Spannung: Vor 20 Jahren wurde ein Geschwisterpaar grausam ermordet, der Täter wurde nie gefunden. Heute Abend geht der damals ermittelnde Kommissar auf Mørck zu und will ihm etwas erzählen, Mørck winkt aber ab. Am nächsten Morgen ist dieser Kommissar tot, Selbstmord, und vererbt Mørck etwas, was Assad eine Idiotenkiste nennt: Alle Belege, Ermittlungen und Schlussfolgerungen zu diesem 20 Jahre alten Fall. Und auch wenn die beiden Ermittler bald in einer Sackgasse landen, so merken sie doch schnell, dass der oder die Mörder auch heute noch unerkannt bleiben wollen. Sie merken, dass sie in ihrem Kellerabteil überwacht werden. Und sie begreifen, dass wegen ihrer Fragen da draußen in den Straßen der Stadt die Jagd auf die noch lebende Zeugin des Mordes eröffnet wurde …

Die Erzählung ist immer noch mit einem guten Teil Pathos durchtränkt, so wie im ersten Teil, und die Filmfiguren sind von denen im Roman noch immer weit entfernt. Ein Beispiel? Rose, die neue Assistentin Mørcks und Assads, ist im Roman eine große, dunkle, schrille, wilde und im Geiste sehr freie(?) Frau, die ihren Kopf durchzusetzen weiß und die die Ermittlungen wesentlich beeinflusst und vorantreibt. Im Film ist Rose ein kleines rothaarige Mädchen, still und fast verhuscht, dass vor Mørcks Griesgrämigkeit geradezu zurückschreckt. Entweder habe ich den Roman falsch verstanden, oder der Drehbuchautor hat diesen gar nicht erst gelesen. Vielleicht sollte die in diesem frühen Stadium fast noch wie ein Comic Relief wirkende Roman-Rose die düstere Spannung des Films nicht unterbrechen. Wer weiß? Doch die Diskrepanz zwischen Roman- und Filmfigur ist schon auffällig …

Stichwort düstere Spannung: Spannend ist der Film, verdammt noch mal. Auch wenn Buch und Film öfters mal auseinanderklaffen, auch wenn man lange braucht um die Figuren im Film einzuordnen, und auch wenn man sich höllisch konzentrieren muss um der Geschichte folgen zu können: Die Spannung, die bei dieser mehrfachen Jagd aufgebaut wird, ist immens. Das Sonderdezernat Q jagt die Mörder, die Mörder jagen die Zeugin, und die Zeugin – Jagt die Mörder! Mächtige Männer im Hintergrund versuchen die Polizei dahingehend zu beeinflussen, dass die Ermittlungen im Sande verlaufen, Mørck und Assad sogar ihre Marken abgeben müssen, und Düsternis und Brutalität, die hier in jeder einzelnen Einstellung zu lesen sind, sind überwältigend und brachial. Ein starker und dunkler Thriller, der sich, anders als der Roman, nur auf den Krimianteil konzentriert, und die persönlichen Ebenen der Figuren weitgehend ignoriert. Was vielleicht gar nicht so schlecht sein mag, filmisch gesehen. Durch die Macht und die Abgehobenheit der Antagonisten, durch ihre extreme Stellung innerhalb und gleichzeitig außerhalb der menschlichen Gesellschaft, wird die Handlung oft geradezu abstrakt, während die dargestellte brutale Gewalt gerade dieser Antagonisten den Film wiederum erdet, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Ein spannendes Zusammenspiel mit interessanten Charakteren, und wieder wird aus diesen Zutaten ein guter und dunkler Neo-Noir –Zwei kleine und unwichtige Polizisten in einem fast aussichtlosen Kampf gegen die Granden der Gesellschaft, die mit rücksichtloser Gewalt ihre Interessen durchsetzen.

Ein widersprüchlicher Text zu einem Film, den ich auch nur widersprüchlich bewerten kann. Auf der einen Seite bemängle ich die fehlende Charakterisierung, stelle dies aber im Sinne einer flotten Handlung gleichzeitig zurück. Dann meckere ich über die fehlenden horizontalen Erzählstränge, nur um gleichzeitig festzustellen, dass das Fehlen dieser Teile den Film geradliniger macht und nach vorne treibt. Vielleicht sollte man die Mørck-Verfilmungen nicht so sehr an den Romanen messen sondern als das ansehen was sie sind: Gute und spannende Thriller, die in Punkto Qualität zwar nicht an der Decke kratzen, aber auf jeden Fall ordentlich daherkommen und gut unterhalten. Wenn da nur nicht diese erstklassigen Romanvorlagen wären …
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Maulwurf
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Erlösung – Flaschenpost von P (Hans Petter Moland, 2016) 5/10

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Nach ERBARMEN und SCHÄNDUNG nun also der dritte Film um den misanthropischen Kommissar Mørck und seinen Assistenten Assad. Nach zwei spannenden und ausgesprochen düsteren Filmen gab es einen Wechsel auf dem Regiestuhl, Platz genommen hat nun Hans Petter Moland, den man am ehesten aus EINER NACH DEM ANDEREN kennen könnte (das ist der Film, in dem Stellan Skarsgård mit seinem Schneepflug die Gangsterwelt Norwegens aufmischt, und sein eigenes Remake HARD POWDER mit Liam Neeson hat er auch gleich gedreht). Und was soll ich sagen – Das, was mir persönlich an EINER NACH DEM ANDEREN bereits nicht gefallen hat, diese sehr sprunghafte, fast puzzleartige Montage, die stört mich auch hier. Vor allem zu Beginn werden wir mit Bruchstücken von Informationen überflutet, kurze Einstellungen geben kleine und kleinste Bruchstücke an Wissen an den Zuschauer, ohne dass dieser eine Möglichkeit hat das alles einzuordnen, und erst ganz allmählich verbinden sich die vielen kleinen Details zu einem größeren Ganzen.

Den Ermittlern des Sonderdezernats Q wird eine Flaschenpost zugespielt, aufgegeben vor 8 Jahren, in der ein Junge um Hilfe ruft. Ein Junge, der offensichtlich irgendwo gefangen gehalten wird. Zwei Tage nach dem Film weiß ich bereits nicht mehr, wie die Ermittler darauf kommen, dass der Junge aus einer sektiererischen Familie stammt (was ja nie ein gutes Zeichen ist, wenn man so schnell Teile der Handlung vergisst), und eine andere Familie, deren Kinder soeben entführt wurden, ist auch schnell gefunden. Das spannende dabei ist, dass wir den Entführer fast von Beginn an kennen, dieser wahrlich böse ist, ein verkommenes Subjekt, ein wahrer Antichrist, und wir eigentlich mehr dem Charakter zuschauen, wie er seine Bosheit über die braven und gläubigen Menschen in dieser abgelegenen Region Dänemarks verstreut. Und woher kommt diese Bosheit? Ein Kindheitstrauma, aha! Mørck und Assad können den Vater der aktuell verschwundenen Kinder überreden, dass die Polizei die Lösegeldübergabe undercover begleitet, aber was für ein Alptraum da auf sie zukommt, dass können sich die beiden überhaupt nicht ausmalen.

ERLÖSUNG ist so etwa ab der Hälfte richtig spannend. Aber so richtig richtig. Die Lösegeldübergabe, das Grauen im Krankenhaus, die Szenen im Versteck des Bösen, das ist stark gefilmt und stark erzählt, und wirklich gutes Hochspannungskino. Was aber, vor allem im Vergleich zu den ersten beiden Teilen, auf der Strecke bleibt, das ist diese dunkle und gewaltgeladene Stimmung. In ERLÖSUNG scheint erstmals die Sonne, die Landschaften sind weit und offen, und es mag sich irgendwie keine rechte Bedrohungsstimmung einstellen, trotz des eindrucksvollen BÖSEN. Stattdessen fahren wir viel Auto, lauschen den Diskussionen zwischen dem gläubigen Assad und dem wortkargen und agnostischen Mørck („Religion ist eine schlechte Angewohnheit. So wie Rauchen. Oder Homosexualität.“), und staunen, mit wie wenig Einsatz die beiden maximalen Ermittlungserfolg vorweisen können. Es werden viele Löcher in die Luft geschaut, vor allem Mørck mit seinen Depressionen kann das ganz hervorragend, und was völlig fallengelassen wird ist dabei die horizontale Entwicklung der Romane: Das geheimnisvolle um Assad, der dieses Mal daherkommt wie ein ganz normaler Polizist, nur halt mit leichtem Akzent und vollem Bart. Die neue Assistentin Rose, die in Erscheinung und Auftritt aus jedem beliebigen TATORT kommen könnte, aber sicher nicht von Jussi Adler-Olsen. Der Beginn der Saga um den misslungenen Einsatz und den toten Polizisten wird mittlerweile völlig ignoriert, genauso wie das Privatleben Mørcks zurzeit auf Eis liegt (Ex-Frau? Stiefsohn? Liebschaft? Querschnittsgelähmter Kollege als ständiger Gast in Mørcks Haus?), wobei dies aber darauf zurückzuführen sein dürfte, dass in einer Buchverfilmung halt einfach das ein oder andere aus der Vorlage gestrichen werden muss, um eine dramatische Einheit bilden zu können. Aber trotzdem, da fehlt was, und zwar etwas, was auch die Romane in ihrem Kern ausgemacht hat. Nicht durch die Reduktion auf den Thriller sind Adler-Olsens Romane so erfolgreich, sondern weil in die spannenden Mörderjagden hinein noch tiefgründige und ebenso spannende menschliche Schicksale eingewoben sind. Die Figuren werden dadurch zu Menschen aus Fleisch und Blut, und die Absenz dieser Menschlichkeit ist in den Film ein echtes Manko.

In ERLÖSUNG fehlt explizit allerdings noch viel mehr, nämlich das noireske und finstere, das die beiden Vorgängerfilme letzten Endes so stark gemacht hat. Was dann halt doch einigermaßen enttäuscht. Damit ist ERLÖSUNG zwar grundsätzlich ein ordentlich gemachter und spannender Thriller, aber der Wechsel des Regisseurs hat der Serie nach meinem Dafürhalten und nach aktuellem Sichtungsstand gar nicht gut getan. Man kann gespannt sein wie es weitergeht.
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Maulwurf
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Der Bockerer (Franz Antel, 1981) 8/10

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Quasi als Vorbereitung auf die kommenden Zeiten in Österreich habe ich Anfang Jänner 2025 DER BOCKERER angeschaut. Die Geschichte von Karl Bockerer, von Beruf Fleischhauer (so nennt man in Österreich die Fleischer), der nach dem Anschluss an das Deutsche Reich im März 1938 versucht, in seiner Heimat Wien durchzukommen, ohne seine Würde und seinen Anstand zu verlieren. Aber in solchen Zeiten verliert jeder, und auch der Bockerer verliert. Das Vertrauen zu seiner Frau, die sich als begeisterte Nationalsozialistin entpuppt. Seinen Freund Rosenblatt, der es in letzter Minute noch schafft, das Land zu verlassen. Den Sohn Hans, der erst zur SA geht, und später dann in Stalingrad den Heldentod für Führer und Vaterland stirbt („Vaterland? Stalingrad liegt in Russland! Haben wir im Ural vielleicht einen Schrebergarten, der verteidigt werden muss?“). Den Freund Hermann, den er durch seine eigene Ignoranz nach Dachau bringt …

Nein, diese 1000 Jahre waren keine guten Jahre, und mit seinem Sturschädel nimmt der Bockerer alles mit, was andere immer versuchen zu vermeiden. Er legt sich mit dem örtlichen Polizisten an, mit den SA-Männern in der Kneipe, ja sogar bei der Gestapo landet er, und wie hoch der Preis ist, dass er dort wieder herauskommt, wird er gottseidank niemals erfahren. Sein Unwillen, sich an die neuen Zeiten anzupassen, bringt ihn ein ums andere Mal in die Bredouille, und es liegt wahrscheinlich nur an der Wiener Schnoddrigkeit, dass ihm nichts Schlimmeres passiert. Bockerer gleitet durch die Zeiten fast wie ein Simplicissimus, ein Schlemihl mit Wiener Charme, der sich einfach nicht vorstellen kann, dass ihm etwas Böses widerfährt. Weswegen er merkwürdigerweise auch völlig unbeschadet bleibt.

Dieser Wiener Charme und seine lautstarken, durchaus mit zynischem Humor getränkten, Kommentare zu den neuen Machthabern haben dem Film das Etikett einer Tragikomödie verpasst, und tatsächlich ist die ein oder andere Szene sehr wohl „lustig“, etwa wenn der Bockerer vor den Augen des Polizisten ein Schild vor sein Geschäft stellt: „Gebrauchte Hakenkreuzfahne billig zu verkaufen.“ So wie der Film seine Komik überhaupt in erster Linie aus den Dialogen bezieht, sowie aus grundlegenden Wahrheiten: „‘Mein Kampf‘ hat er gesagt. Aber hinhalten haben wir unseren Schädel müssen.“ Die dazu hinterlegten Dokumentarfilme mit dem Straßenkampf der einmarschierenden alliierten Armeen in Wien schmerzen, schmerzen sehr, und dem Zuschauer ist das Lachen sowieso schon lange vergangen, wenn der Polizist nach dem Untergang des 1000-jährigen Reichs sehr freundlich und zuvorkommend ist, und sich damit in einer 180-Grad-Wendung zu seinem bisherigen Verhalten präsentiert. Und wenn der miese SA-Offizier 1945 leutselig als Kontaktperson bei den Franzosen auftaucht, als ob ihn kein Wässerchen trüben könnte – Solches Pack schwimmt halt immer oben. Anders als die bedauernswerten Juden, die im Frühjahr 1938 im Schlachthaus das Schweineblut vom Boden lecken(!) müssen …

Die Atmosphäre wird schnell immer düsterer und immer drückender, niemand ist mehr seines Lebens sicher, und sogar der Historiker, der nach einem Bombenangriff die zerstörten Häuser dokumentiert, wird von einem Gestapo-Mann, der, nur in einen Trenchcoat gekleidet, zusammen mit einer Hure aus einem Haus flüchtet, verhaftet. Dazu passt dann auch die Gesprächsrunde vom Beginn, wenn sich beim gepflegten Kartenspiel die gebildeten Menschen darüber unterhalten, dass der Herr Hitler ja jetzt die Arbeitslosen von der Straße bringt, und endlich mit den Roten aufräumt. Und dass das ja gar nicht so schlecht sei. Ein Dialog, den man auch heute immer noch und erst recht wieder hören kann. …
Es hat viele solcher kleinen und kleinsten Momente, die ineinander spielen, nebeneinander herlaufen und ein ausgesprochen lebendiges Bild dieser Zeit erzeugen: Die jüdische Familie, die ihre Wohnung mitsamt der Einrichtung günstig verkaufen darf, weil sie ja nach der Auswanderung die Sachen nicht mehr benötigt, oder das ärztliche Attest, das dem Bockerer bestätigt, dass er seinen rechten Arm aus gesundheitlichen Gründen nicht heben kann. Mal wird das aus familiärer Sicht und mal aus gesellschaftlicher Sicht gezeigt, aber grundlegend immer aus dem Blickwinkel eines kleinen Kaufmanns, der seine persönliche Komfortzone immer mehr schrumpfen sieht, und dies partout nicht akzeptieren mag. Entsprechend ist auch die Narration mal gemütlich, und mal ausgesprochen ungemütlich. Wie es im wirklichen Leben halt so ist. Und die letzten Worte des Films haben mir dann tatsächlich einen Kloß in den Hals gezaubert. Ob aus Trauer oder aus Freude möchte ich hier allerdings nicht spoilern …

DER BOCKERER ist nicht immer schön anzuschauen, und die Dialoge sind in geschrienem Wienerisch auch nicht immer leicht zu verstehen, aber als Warnung und als Ausblick auf das, was uns in Europa demnächst erwartet, ist der Film eine unbedingte Empfehlung.
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Das letzte Opfer (Jan Verheyen, 2017) 6/10

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Auf einem Stückchen Ödland vor der Stadt wird eine weibliche Leiche ohne Kopf gefunden. Die Polizeihunde sollen den Kopf suchen und finden – Noch eine kopflose Leiche. Und noch eine. Und noch eine … Die beiden Kommissare Vincke und Freddy Verstuyft ermitteln, und Vincke merkt schnell, dass er die Hilfe seines alten Freundes Mulder benötigt, eines Profilers, der mit seiner Erfahrung und seiner Verbindung zur Europol-Behörde den immer größer werdenden Fall bestens unterstützen kann. Bloß, Freddy findet Profiler ziemlich idiotisch, und lässt keine Gelegenheit aus, Mulder bloßzustellen. Was an sich schon recht unprofessionell ist, aber während Vincke und Mulder Querverbindungen zwischen den Opfern finden und nach und nach Verdächtige ausmachen, verliebt sich Freddy zu allem Übermaß auch noch in ein davongekommenes Opfer, die Psychologin Rina. Und ermittelt, natürlich völlig uneigennützig, vor allem aber auch ohne Befugnis, um Rina vor einem erneuten Zuschlagen des Mörders zu schützen. Was Vinckel als Freddys Vorgesetztem gar nicht schmeckt – Freddy kommt in den Innendienst. Derweil schlägt der Mörder wieder zu. Und er macht eine entsetzliche Entdeckung: Die Kühltruhe, in der er die Köpfe aufbewahrt, hat einen Defekt …

Belgien ist grau, das Wetter häufig schlecht, die Männer sind durch die Bank hässlich, die Frauen über allen Maßen schön, und das zwischenmenschliche Miteinander ist eher von der deftigen Sorte. Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man sich DAS LETZTE OPFER anschaut. Und ganz ehrlich, im ersten Teil der Reihe, TOTGEMACHT - THE ALZHEIMER CASE, ist das Setting nicht anders. (Die Sichtung des zweiten Teils, RECHT AUF RACHE – IM FADENKREUZ DES CLANS, steht leider noch aus.) Es ist grau, es ist Nacht, es regnet, und fast alle sind unfreundlich zueinander. Ein passendes düsteres Umfeld für eine düstere Geschichte, die sich vor allem durch einen eklatanten Mangel an harter Action auszeichnet. Es wird viel gesprochen, viel ermittelt, viel gestritten, und das Puzzle, welches sich hier durch die völlig entgegengesetzt laufenden Nachforschungen Vinckels und Freddys ergibt, muss vom Zuschauer erst einmal zusammengesetzt werden, ergibt dann aber auch ein angenehm erschreckendes Bild.

Das funktioniert alles sehr gut, und auch wenn es die ein oder andere kleine Länge hat, vermisst man die Action eigentlich nicht wirklich. Der fulminante Schluss sorgt trotzdem noch für erhöhtes Adrenalin (vor allem bei Fans von Dario Argento), besonders wirkungsvoll allerdings ist dabei Sofie Hoflack als Rina. Die Psychiaterin mit Hang zu 24-Stunden-Patienten-und-Polizisten-Betreuung sowie einem gesunden Exhibitionismus lässt Männerherzen schneller schlagen und sorgt, so der Zuschauer die entsprechenden sexuellen Vorlieben hat, für eine geschickte und gut gemachte Füllung der Laufzeit. Was nicht böse gemeint ist – DAS LETZTE OPFER ist einfach ein guter und bewusst ruhigerer Gegenentwurf zu den modernen Serienmörderthrillern, die sich durch immer mehr Action und immer mehr Blut gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Dazu passt auch, dass der Bezug auf einen älteren US-amerikanischen Blockbuster des Serienmörder-Genres während der Laufzeit immer klarer wird (Wenn ich jetzt verraten würde welchen Film ich meine, könnte ich auch gleich schreiben wer der Mörder ist), und auch dieser Klassiker kam damals weniger mit Action als vielmehr mit Stimmung daher. Allerdings muss man halt auch feststellen, dass, sobald dieser Bezug klar geworden ist, der Mörder letzten Endes schon feststeht …

Trotzdem, DAS LETZTE OPFER ist ein wirklich gut gemachter Thriller der ruhigen Art, der wie gesagt atmosphärisch daherkommt, und mit Liebe zum Detail überzeugt. Man sollte halt nur wissen was einen erwartet. Oder es vielleicht besser auch nicht wissen …
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Salome (Charles Bryant, 1922) 6/10

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Das Mysterium der Liebe ist unergründlicher als das des Todes. Und wo die Liebe so hinfällt … Doch das, was Salome für den Propheten Jokanaan empfindet ist nicht Liebe sondern Besitzdenken. Denn Salome, die Tochter von Herodia, die ihrerseits die Frau des judäischen Statthalters Herodes ist, ist ein typisches IT-Girl. Sie will Aufmerksamkeit, die Welt muss sich um sie drehen, und wenn sie etwas Neues sieht muss sie es besitzen. Es haben, anfassen, ihr Eigentum nennen können, und dann, wenn sie damit gespielt hat, verliert sie das Interesse daran. So geht es auch mit dem Propheten Jokanaan, der von Herodes in einen tiefen Brunnen gesperrt wurde, um vor dem Zorn der Juden geschützt zu sein. Salome sieht den Propheten, verliebt sich in ihn und befreit ihn, damit sie ihn küssen kann. Doch der Prophet ist ein wahrhaft heiliger Mann, der sein Leben seinem Gott gewidmet hat, und verweigert Salome eine Berührung, von einem Kuss gleich ganz zu schweigen. Salome ist stocksauer, und als ihr Stiefvater sie auffordert zu tanzen, und sie sich für einen Tanz einen Wunsch nach Belieben erfüllen könne, da willigt Salome ein. Herodes denkt da an Juwelen, an kostbare Geschmeide, ja er wäre sogar bereit, Salome die Hälfte seines Reiches zu geben. Doch die will etwas anderes: Den Kopf von Jokanaan auf einem silbernen Tablett …

Diese unglaubliche Dekadenz, die Verschwendungssucht, die Ausbeutung, Herrschsucht und Egoismus, Grausamkeit und auch geschickt angedeutete Wollust – Was da in den einzelnen Szenen alles zum Vorschein kommt wirkt wie ein Sammelsurium des Hedonismus, wie ein Pandämonium orgiastischer Vergnügungen. Und da die literarische Vorlage zu diesem Film von Oscar Wilde stammt, der ja nun alles andere als ein Kind von Traurigkeit war, kann man hier grundsätzlich sicher von einer gelungenen Literaturverfilmung sprechen: Die Darstellung eines in jeder Hinsicht unmoralischen Verhaltens und die Kulissen und Kostüme, die nach der Vorlage der Zeichnungen von Aubrey Beardsley im Roman von Wilde entstanden sind, treffen den Geist der Erzählung mutmaßlich auf das Genaueste. Selbst 100 Jahre nach seiner Entstehung kann dem Zuschauer noch schaudern, wenn er diesem Niedergang einer früheren Hochkultur zuschauen muss. Können wir in dieser 1922er-Verfilmung des klassischen Stoffes einen frühen Exploitationer erblicken?

Der New Republican schrieb 1923: „Die tödliche Verlockung des Sexus, die Wildes Stück wie ein schleichendes Gift durchdringt, wird in dem Augenblick ausgetrieben, in dem man ihrer [Alla Nazimovas] knabenhaften Gestalt gewahr wird.“, und leider muss diese Aussage als wahr angesehen werden. Die Nazimova ist hier ein Kindfrau, eine Lolita, die sich ihrer Grausamkeit nicht bewusst ist, und in ihrer Unschuld gleich noch einmal so abstoßend wirkt. Gleichzeitig ist die ganze Anlage der Figur Salome so durch und durch unsympathisch – Ein verwöhntes und unausstehliches kleines Frauchen, das als Herrschertochter gewohnt ist ihren Kopf durchzusetzen, gegebenenfalls einen Schmollmund aufsetzt damit Papi das macht was sie will, und ansonsten Dienern, Soldaten, Eltern Befehle gibt die gefälligst umzusetzen sind, und zwar nur und ausschließlich zur Zerstreuung der einzigen wichtigen Person im Palast!

Nein, diese Salome ist wahrlich keine Sympathieträgerin. Was ja nicht so schlimm wäre, da sie auf diese Weise der Darstellung des Sittenverfalls letzten Endes die Krone aufsetzt. Doch was, im filmischen Sinne, eine mittlere Katastrophe ist: Salome ist auch nicht sexy, und hat nicht den Hauch einer sinnlichen Ausstrahlung. Alla Nazimova mag eine großartige Tänzerin gewesen sein, und als Schauspielerin kann sie mit den Größen ihrer Zeit durchaus mithalten. Aber in SALOME wird sie um jeden Preis als erotischer Wunschtraum inszeniert, wird sie in jedem Moment als begehrenswerte Kindfrau gemalt, der alle Männer zu Füßen liegen sollten – Und wirkt dabei teilweise so trocken, dass die ganze Zurschaustellung von Verfall und Sünde, der Versuch von verderbter Erotik und schändlichem Verhalten, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil die Figur, die diese Lasterhaftigkeit präsentieren soll, weitgehend in ihrer Lächerlichkeit aufgeht. Wenn man sich dann die wenigen existierenden Ausschnitte von Theda Baras Salomé aus dem Jahr 1918 anschaut, und erahnen kann wie dieser Film ausgesehen haben mag, dann wird die Lächerlichkeit der Nazimova erst recht Programm.

Und so wundere ich mich nicht, dass SALOME vor rund hundert Jahren in der Publikumsgunst durchfiel. Für die hochgestochenen Kunstliebhaber war der Film nicht künstlerisch wertvoll genug, und für das einfache Volk wiederum zu hochgestochen, so würde ich mir das denken. Was eigentlich sehr schade ist, denn wenn man die Nazimova einmal ausblendet stellt man schnell fest, dass SALOME als Film ein wunderbar in Szene gesetztes und mit Liebe zum Detail erzähltes Märchen ist. Gerade in der viragierten Fassung, in der die Szenen im Palastinneren eine andere Färbung haben als diejenigen im Garten, wird eine ganz eigene Magie erzeugt. Wir sehen immer wieder den Mond (und ahnen, was Claude D’Anna in seiner großartigen 1985er-Version des Stoffes inspiriert hat), wir sehen immer wieder den schwachen Herrscher mit seiner widerwärtigen und herrischen Frau, wir sehen die aufmüpfige Tochter, die sich gegen die althergebrachten Riten versucht zu wehren, und dies alles eingebettet in eine zarte und doch erschreckend brutale Geschichte von Blut und eingebildeter Liebe. Eben ein Märchen, mit all seiner Grausamkeit und mit all seiner Zärtlichkeit.

Was wäre wenn. Wenn nicht Alla Nazimova die Hauptrolle gespielt hätte sondern vielleicht Asta Nielsen oder Theda Bara? Wenn die Figur nicht als Lolita angelegt worden wäre sondern als sinnliche und reife Frau, die sich nach Liebe sehnt statt nach Besitz? Wäre die Ausgangssituation der Erzählung dann vielleicht konterkariert worden? Ich kann es nicht sagen, da mir die Kenntnis der Vorlage fehlt. Aber so oder so sind diese Gedanken müßig, der Film ist halt nun einmal von und mit der Nazimova gedreht worden*, und leider leider tut dies dem Film nicht wirklich gut. Vielleicht sollte man sich einmal ernsthaft mit Wildes Erzählung beschäftigen. Wobei ich gelesen habe, dass gerade diese SALOME-Verfilmung extrem vorlagentreu sein soll …

* Die damals ausgesprochen erfolgreiche Alla Nazimova war bisexuell, ihr Ehemann Charles Bryant homosexuell. Vorlieben, die im Amerika dieser Jahre tödlich gewesen wären für jede Karriere. Aus diesem Grund heirateten Nazimova und Bryant (mutmaßlich, andere Quellen behaupten, dass das dieser Umstand nur vorgeschoben war), und ergaben damit ein perfektes Künstlerehepaar, ohne dass dies Ehe allerdings jemals vollzogen worden ist. Und da Frauen zudem als Regisseurin nicht akzeptiert wurden, konnte Bryant den Ruhm einheimsen als offizieller Regisseur für Filme, die in Wirklichkeit von seiner Frau gestaltet und gedreht wurden. SALOME allerdings war ein so eklatanter Misserfolg, dass diese Konstellation das Ende des Arrangements bedeutete – Für Charles Bryant war dies der letzte Film, für die Nazimova war die große Filmkarriere erstmal zu Ende, und sie widmete sich, von drei kleineren Filmen 1925 abgesehen, wieder dem Theater. Erst zu Beginn der 1940er-Jahre war sie wieder im Kino zu sehen, und zwar in einer Reihe antideutscher Propagandafilme.
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Die heiße Spur (Arthur Penn, 1975) 7/10

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Harry ist in der großen Stadt Los Angeles ein kleiner Privatdetektiv. Einer von denen, die Scheidungsgründe beweisen und Ausreißer einfangen. Er hat ein kluges Köpfchen, ist als Ex-Footballer mit zwei kräftigen Fäusten gesegnet, fährt einen 68er Mustang, und versucht irgendwie über Wasser zu bleiben. Heute bekommt er den Auftrag, die 16-jährige Delly zu suchen, die von Zuhause abgehauen ist. Ein Routineauftrag, und Harry tut sich auch nicht schwer eine Spur zu finden, die ihn letzten Endes nach Florida und auf die Keys führt. Dort, wo die Sonne scheint, der Ozean an die Rückseite des Hauses klopft, und das Leben einfach und leicht scheint. Harry findet Delly, und er schafft es auch, Delly aus diesem Paradies loszueisen und sie zurückzubringen zu ihrer versoffenen und mannstollen Mutter. Aber Harry hat eben wirklich ein kluges Köpfchen, und er macht sich so seine Gedanken, was hinter der kleinen und glücklichen Gemeinschaft auf den Keys wirklich steckt. Er denkt nach, er fragt, und er findet ein Wespennest. Und Mord …

Harry ist in der großen Stadt Los Angeles ein kleiner Privatdetektiv. Einer von denen, die in den 70ern die Leinwände und Fernsehbildschirme bevölkerten. Einer wie Detektiv Rockford, bei dem ein Anruf genügt, und genauso wie dieser ist er für die kleinen und einfach gestrickten Fälle da. Hier ein paar Beweisfotos für eine Scheidung, dort ein verschwundenes Mädchen. Doch sieht er die Zeichen in seiner eigenen Ehe nicht, und muss sich mitten in einem Auftrag der brutalen Wahrheit stellen, dass seine Frau ihn betrügt. Ein Alltagsleben in einer Alltagsgeschichte, so scheint es. Alles wird sehr ruhig und ohne nennenswerte Höhepunkte erzählt. Dass Harry den Automechaniker Quentin mal ein klein wenig schubst, oder dass er sich eines Angreifers mit einem einzigen Tritt entledigen kann sind keine „Action-Höhepunkte“ im Sinne modernen Kinos. Die Geschichte fließt dahin, die Sonne scheint, die Menschen reden, ab und zu schlafen sie auch miteinander, und die Abgründe, an deren Rand Harry entlangbalanciert, tun sich nur sehr langsam und dadurch unmerklich auf. Harry genauso wie der Zuschauer spüren den Sturz ins Bodenlose erst als es zu spät ist, doch der Zuschauer hat dabei den Vorteil, dass er am Ende abschalten kann. Irre ich mich, oder wird das Boot am Schluss auf ewig im Kreis fahren?

DIE HEISSE SPUR ist ein Film, wie er heute kaum noch gedreht wird. Ein desillusionierter Mann in einer ausgesprochen ruhig und entspannt erzählten Geschichte, garniert mit einer ins Drama gehenden Nebenhandlung, vielen Personen deren Zusammenspiel nicht immer ganz klar ist, und mit einem ausgesprochen melancholischen Erzählton. Nur wenn man aufpasst bemerkt man die kleinen und fein gelegten Spuren, die auf das Verbrechen hinter der biederen Geschichte hinweisen, und nur wenn man aufpasst erkennt man das gut ausgearbeitete Psychogramm eines Mannes, der in seinem Leben irgendwann einmal gescheitert ist, ohne dass dies jemals geäußert wird. Ein Drama, ein Psychogramm, eine in den Kriminalfilm hineinbalancierende Handlung – Und trotzdem fesselt der Film, behält er seine Stoßrichtung konsequent bei und schiebt den braven Harry unerbittlich nach vorne und in den Kampf. Die erstklassigen Schauspieler, die gut ausgesuchten und schön gestalteten Settings, die einfach erscheinende und doch so verzwickte Handlung, die sich nur ganz allmählich entblättert (ganz im Gegensatz zu der 18-jährigen Melanie Griffith, die sich in ihrem dritten Film gleich die gesamte Blöße gibt), und ehe man es sich versieht steckt man als Zuschauer bis über beide Ohren in einem Neo-Noir, von dem ein Abwenden gar nicht mehr möglich ist. Die verkrachten Charaktere, von denen jeder irgendwie Dreck am Stecken hat, die einen mehr und die anderen weniger, die Schattenseiten des American Way of Life in Form einer durch und durch korrupten Gesellschaft, die Erkenntnis, dass der Kampf gegen das Schicksal manchmal schon sehr ausweglos ist, und natürlich die starken Frauen, die eigentlich alle zu beschreitenden Wege bestimmen, auch wenn es an der Oberfläche oft ganz anders aussieht. Neo Noir in Reinkultur schreibt Matthias Merkelbach in seinem Blog Der Film Noir, und dem möchte ich mich gerne anschließen. Absolut sehenswert und den Zuschauer mit einem starken Gefühl der Hilflosigkeit hinterlassend ist der Film tatsächlich ein Klassiker der 70er-Jahre-Thriller, auch wenn er zu Beginn über lange Strecken so nicht wirkt.
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Jack Grimaldi
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Die Vollstreckerin (Michel Caputo, 1986) 6/10

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Brigitte spielt Martine, eine Polizistin, die versucht die mächtige Unterweltchefin Mme. Wenders dranzukriegen. Entführung, Zwangsprostitution, Rauschgift – Mme. Wenders hat überall ihre Finger drin, und weil sie eine Menge ebenso mächtiger Freunde in den besten Kreisen der Gesellschaft hat, ist ihr nicht beizukommen. Martine und ihr Zwei-stahlharte-Profis-Kollege Valmont können die Wenders mitsamt ihrem missratenen Sohn zwar gefangen nehmen, der Sohn aber muss entlassen werden. Und der fädelt es ein, dass Martines kleine Schwester gekidnappt wird. Ein Austausch Chefin gegen Schwester wird geplant ...

Wer die Poliziotti der zweiten und dritten Reihe mag, sowas wie PROVINZ OHNE GESETZ, der wird auch hier glücklich sein, versprochen. Im Gegensatz zu diesen ist DIE VOLLSTRECKERIN allerdings mit einem sehr hohen Tempo gesegnet, was das Ganze dann wiederum ausgesprochen sehenswert macht. Prinzipiell ist das halt alles wie bei Stelvio Massi, nur ohne Schnäuzer und stattdessen mit einer relativ zeigefreudigen Brigitte Lahaie, und am Ende klingt die Musik dann tatsächlich wie bei Micalizzi und Morricone. Nur die Autostunts sind etwas altbacken und müde geraten. Aber insgesamt passt das schon alles, wenngleich beim Zuschauer ein gewisser Hang zum Trash durchaus vorhanden sein sollte. Die Schauspieler reißen viel raus, vor allem Brigitte Lahaie, die der harten Story und den harten Flics eine fast mädchenhafte Natürlichkeit entgegensetzt, was dann dazu führt, dass die Geschichte um die kleine Schwester tatsächlich Gefühl und daraus folgend auch echte Tragik hat. Neben den ganzen Hard-Boiled-Cops und den auf hart getrimmten Gangstern setzt Lahaie einfach ihre Ausstrahlung ein und kann damit den Film größtenteils retten. Und apropos auf hart getrimmte Gangster: Ein etwas älter und fülliger gewordener Richard Allen ist allen Ernstes das zweite Highlight des Films! Der Mann hat die Fiesheit noch richtig mit Löffeln gefressen, und ist neben Lahaie allen Ernstes der zweite Grund, sich DIE VOLLSTRECKERIN zu geben. Komiker-Urgestein Michel Modo (DER GENDARM VON ST. TROPEZ) gibt als müder und desillusionierter Kommissar ebenfalls eine erstklassige Vorstellung, und nur Dominique Erlanger als die fiese Oberchefin Mme. Wenders wird leider etwas verschenkt. Zu prätentiös ihre Ausstrahlung, zu unblutig ihr Vorgehen, vor allem im Vergleich mit ihren Angestellten.

Unblutig ist das nächste Stichwort: Die Action ist klassisch B- oder sogar C-Liga – Die Schusswechsel sind kurz, ruppig und unblutig, die Verfolgungsjagden unaufregend, und einzig die Schlägereien zeigen das Können der Stuntmen. Und auch wenn das Tempo des Films wie erwähnt sehr hoch ist, liegt der Schwerpunkt halt einfach mehr auf der grauen Stimmung des verregneten Paris: Die Straßen sind grau, das Wetter ist grau, und die Farben der DVD sind ebenfalls grau. Was dann in Summe zu einem gewissen Schmuddellook führt, der dem Film eigentlich recht gut steht.

Letzten Endes macht sich DIE VOLLSTRECKERIN im Regal gut neben Filmen wie DIE LINKE HAND DES GESETZES oder DECKNAME SCORPION - Einfache und solide Unterhaltung für Freunde europäischer Exploitationer mit einer attraktiven Hauptdarstellerin, einigem an nackter Haut und melancholischer Stimmung. Passt schon …
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Beitrag von Maulwurf »

The shadow on the window (William Asher, 1957) 5/10

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Irgendwo da draußen, vor der großen Stadt. Der kleine Petey spielt vor dem Haus, in dem seine Mutter für einen alten Mann als Stenographin arbeitet. Da hört er einen Schrei – Er rennt zum Fenster und sieht, wie seine Mutter geschlagen und der alte Mann ermordet wird. Der kleine Petey rennt fort, einfach nur weg von diesem Grauen. Auf dem Highway gabeln ihn dann zwei Fernfahrer auf, doch sie bekommen nichts aus ihm heraus. So schwer ist der Schatten auf der Seelen Peteys, dass er wie katatonisch ist. Sie liefern ihn bei ihrer Spedition ab, denn der Arbeitstag geht weiter, und auch bei der Spedition hat keiner Zeit für Petey.
Szenenwechsel: Auf dem Polizeirevier findet Sergeant Denke den kleinen Petey und wundert sich, denn Peteys Vater ist Detective Sergeant Tony Atlas, sein Freund, und Denke kennt den kleinen Jungen gut. Er bringt ihn zu Atlas, doch der ist genauso hilflos – Petey bleibt stumm und voller Rätsel. Ein Arzt kann aus dem Kleinen herausbekommen, dass dieser etwas gesehen hat, aber was, das bleibt im Dunklen. Und die Mutter ist partout nicht zu erreichen. Langsam dämmert den Polizisten, dass etwas geschehen sein muss. Irgendwas. Irgendwo. Und dass die Mutter, Atlas‘ Frau, möglicherweise in Lebensgefahr schwebt. Die gesamte Polizei der Stadt beginnt eine Suche nach etwas, von dem sie nicht einmal ansatzweise wissen was das überhaupt sein könnte.
Szenenwechsel: In dem Haus vor der großen Stadt sitzt Linda Atlas drei jungen Männern gegenüber. Gil ist ruhig und beherrscht, und er weiß, dass sein Freund Joey Recht hat, wenn er sagt, dass sie in dem Augenblick, in dem sie das Haus verlassen, von der Polizei gejagt werden, denn Linda ist eine Zeugin. Und der einzige Weg auf Nummer Sicher zu gehen ist, Linda zu töten. So wie den alten Mann. Aber der dritte Mann, Jess, mag Linda, und er stellt sich gegen seine Freunde. Gegen den eiskalten Gil, und gegen den aufbrausenden und gewaltbereiten Joey.

THE SHADOW ON THE WINDOW wandelt auf den Pfaden von Filmen wie AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE oder DIE NACHT IST VOLLER SCHRECKEN, ohne allerdings deren Klasse zu erreichen: Der Schrecken der Gewalt dringt in die unbescholtene Welt der Gutbürgerlichkeit ein und verbreitet Terror. Doch wo die beiden genannten Filme dicht und klaustrophobisch sind, wo der Druck, unter dem die Beteiligten stehen, fast mit den Händen gegriffen werden kann, und wo die Aktionen und Reaktionen immer verzweifelter und hysterischer werden, da windet sich THE SHADOW ON THE WINDOW in einer kühlen und nüchtern erzählten Atmosphäre. Vor allem im Haus, drei junge Männer, ein Schrank voller Alkoholika, eine Frau und ein Toter – Was könnten da für Geschichten angedeutet werden, was für Gedanken ausformuliert werden, um den Zuschauer in den Sessel zu drücken. Stattdessen schlägt die erwähnte Nüchternheit zu, keinerlei Fantasien werden angeheizt, keine Aggressionen hochgeputscht. Dass Joey und Jess sich nicht leiden können hat man schnell heraus, und Linda gibt sich auch Mühe die beiden gegeneinander aufzuhetzen. Aber so richtig funktionieren tut das einfach nicht, die Männer sind, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt der Geschichte, einfach viel zu vernünftig. Erst spät kann die Regie hier Druck aufbauen, zu spät, um diesen Teil der Story in wirklich trockene Tücher zu bringen.

Der andere Teil, die Suche der Polizisten, ist da schon besser gestaltet. Die völlig ergebnislose Suche nach einem unbekannten Ereignis wird mit der nötigen Hilflosigkeit rübergebracht, die Ratlosigkeit, wie denn die Suche gestaltet werden soll, ist deutlich spürbar. Nur leider krankt es hier daran, dass die Polizisten sehr typische Spät-50er-Jahre-Cops sind: Sauber, beflissen, aufrecht, immer gut rasiert, und selbst nach einer 24-Stunden-Schicht sitzt die Krawatte noch gerade. Nur einmal, bei einer Verfolgungsjagd über Dächer, eine Hausfassade hinab und in einen Tunnel hinein, da wird die Stimmung plötzlich intensiv. Es wird dunkel, es wird spannend, und die Kamera hat ein paar Ideen die den Zuschauer direkt in die Jagd hineinziehen. Plötzlich ist sie da, die Klaustrophobie, die bisher so sehr gefehlt hatte. Aber so toll diese Szenen sind, so schnell sind sie auch wieder vorbei, und der Polizeialltag hat den Zuschauer wieder eingefangen.

THE SHADOW ON THE WINDOW ist einfaches und billiges Kintopp. Einfach und billig erzählt, und mit einfachen und billigen Schauspielern garniert. Einen gewissen Unterhaltungswert mag ich dem Film nicht absprechen, ganz im Gegenteil kommt er mit seinen 73 Minuten Laufzeit schnell auf den Punkt und erlaubt sich keine überflüssigen Schlenker (und sogar der Grund für die Trennung Atlas‘ von seiner Frau hat eine hübsche Schlusspointe). Aber so schnell der Film vorbeigeht, so schnell ist er auch wieder vergessen. Wie ein Schatten auf einem Fenster …
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Four candles for Garringo (Ignacio F. Iquino, 1971) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 152 mal betrachtet

Frank Garringo ist Sheriff von Arschmannshausen, wo ein windiger Geschäftsmann namens Oswald das Sagen hat. Oswald lässt einen Goldtransport überfallen, und keiner kann ihm was, so mächtig ist er. Jawoll! Doch einer von Oswalds Männern, Farley, setzt sich mit der Sore aus dem Überfall ab, wird aber auf dem Weg zu seiner Frau erschossen. Das Geld? Futsch. Weg. Verschwunden. Dringend der Tat verdächtig ist ein alter Freund Garringos, Rogers, der a) zu Oswalds Männern gehört und b) mit Farleys Witwe Beltha schon länger was am Laufen hat. Der Mann hat also ein ziemlich gewichtiges Motiv, und im Wilden Westen langte sowas ja bereits, um demjenigen, auf dem ein Zweifel lag, den Garaus zu machen. Sheriff Garringo besteht auf Recht und Ordnung, Oswald besteht darauf seine eigene Macht durchzusetzen, ein Exempel zu statuieren und das Geld zurückzubekommen, Rogers besteht darauf am Leben zu bleiben, am besten noch zusammen mit Beltha, und Rogers‘ Tochter Gemini besteht darauf, eine Flasche Whisky zu bekommen (im Gegensatz zu der früheren Hure Beltha ist Gemini eine Alkoholikerin) und anschließend mit einem Gewehr alles platt zu machen was bei drei nicht auf den Bäumen ist …

Eine schöne Gesellschaft hat es in diesem traurigen Dreckskaff. Oswalds Männer, der übliche Ausbund von Unfähigkeit, dreckigem Gelächter und nervösem Zeigefinger, scheinen da noch die moralisch einwandfreiesten zu sein. Zumindest weiß man bei denen wo man dran ist, im Gegensatz zu den Protagonisten. Garringo zum Beispiel, die Hauptfigur, steht ständig unter Dampf, ist aufbrausend wie ein kleines Teufelchen, und haut praktisch permanent anderen Leuten eine in die Fresse. Oswald kann er gar nicht ab, da langt er auch gerne mal etwas kräftiger zu, die attraktiv-verlebte Beltha behandelt er wiederum mit ausgesuchter Höflichkeit. Vielleicht, damit er bei der ebenfalls sehr schlagkräftigen Gemini besser punkten kann. Die nämlich läuft im geschlitzten Lederrock rum, säuft wie ein Loch, kann sich auch mal töfte mit ihrer Stiefmutter prügeln, und ist ansonsten einem kernigen Mannsbild gar nicht mal so sehr abgeneigt.
Rogers wiederum mag sie nicht. Der vögelt mit Beltha, und ist auch sonst ein ziemlich windiger Typ. Hat er jetzt Farley umgelegt oder hat er nicht? Er sagt er war es nicht, aber wer war es dann? Die Kohle ist jedenfalls mal fort, sehr zum Ärger aller Beteiligten, denn jeder tät sich gerne die 300.000 Dollar unter den Nagel reißen.

Kurz gesagt geht es in FOUR CANDLES FOR GARRINGO um eine Gruppe elendiglich verkommener Subjekte, die sich gegenseitig die Hölle heiß machen, übers Ohr hauen, und wo einer dem anderen die Hucke voll haut. Jeder prügelt jeden, ab und an wird auch geschossen, und wenn das Ganze nicht so dialoglastig wäre, dann würde die Bewertung auch glatt etwas höher ausfallen. Macht aber nichts, genauso wenig wie der öfters einmal ausgesprochen unpassende Slapstick-Soundtrack, denn mit den guten Schauspielern und der so richtig verkommenen Mischpoke auf dem Bildschirm kommt sehr wohl Freude auf beim (Sleaze-orientierten) Zuschauer. Hauptsache man kann sein Gegenüber ordentlich zu Schanden hauen, dann haben alle irgendwie ihren Spaß daran. Dabei ist es aber wichtig zu wissen, dass FOUR CANDLES FOR GARRINGO nicht im Bud Spencer-Modus läuft, auch wenn einzelne Szenen so etwas vermuten lassen. Der „komische“ Sidekick Jim erinnert zwar eher an Sam Hawkins und ähnliche Gruselgestalten, aber der Grundton des Films ist durchaus ernst und eher unter der Rubrik „derb“ einzuordnen. Letzten Endes handelt es sich hier um einen astreinen Vertreter der dritten bis vierten Reihe, und als Westernfan kann man da ja wohl sowieso wenig falsch machen, oder?
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