Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Ronin – Jeder ist käuflich (John Frankenheimer, 1998) 8/10

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Die einen Männer haben einen Koffer, und andere Männer (und eine Frau) wollen diesen Koffer. Also werden Söldner engagiert – Krieger ohne Herren, Ronin, die für Geld alles tun. Man besorgt sich Waffen, ein Plan wird ausgearbeitet, und irgendwann ist der Tag da, an dem der Überfall auf einen PKW-Konvoi stattfindet. Das Ziel sind 8 bis 10 Mann, gut bewaffnet, erstklassig trainiert, und ein Koffer der keinen Schaden nehmen darf. Klingt nicht einfach, aber unter der Berücksichtigung einer möglichst hohen Menge an Kollateralschäden kann der Feuerüberfall in der Ortsmitte von La Turbie im Hinterland von Cannes stattfinden. Was nicht vorgesehen war: Einer der Söldner spielt falsch …

Im Laufe der 80er-Jahre wurde das Rezept für moderne Actionfilme irgendwann auf eine bestimmte Formel eingedampft: Super-muskulöse Helden, am Besten im Zweierpack, coole Oneliner die zwischen den Buddys hin- und herfliegen, viele Explosionen und Shoot-Outs, die zu jaulenden Gitarren stattfinden und ohne jeglichen menschlichen Schaden meist glimpflich ausgehen (außer wenn der Freund des Helden …). OK, Ende der 80er kam dann noch ein relativ menschlicher Held im Feinripp-Unterhemd dazu, aber die Sache mit den Onelinern und den Explosionen und Schießereien, die hat sich bis heute nicht wesentlich verändert, und ist merkwürdigerweise immer noch langeweileerzeugender Standard, vor allem im beliebten Subgenre der Actionkomödie.

John Frankenheimer, Jahrgang 1930, und damit zur Drehzeit von RONIN fast 70 Jahre alt, hat da andere Vorstellungen. Altmodischere, würde ich mal sagen. Seine Helden sind kühl kalkulierende Profis, die tote Passanten problemlos hinnehmen, wenn es denn der Sache dienlich ist. Die sich über Dinge wie Jobs, Waffenbeschaffung und Bezahlung unterhalten anstatt über Fußmasssage oder Fastfood, die sehr ernsthaft bei der Sache sind, und denen flapsige Sprüche vollkommen fremd sind. RONIN ist Actionkino, wie es die Italiener in den 70ern vorgemacht haben, und das ernst und brachial auf die Neun daherkommt. Ich durfte den Film Ende der 90er im Kino sehen, und nach all den stahlharten Profis die langsam sterben war der Film eine echte Wohltat! Verfolgungsjagden die nur ein Ziel haben: Den Gegner zur Strecke zu bringen, egal was dabei alles kaputt geht. Und Schießereien die ebenfalls nur ein einziges Ziel haben, nämlich den Tod des Gegners. Wer dabei im Weg steht hat Pech gehabt. Gewissensbisse? Pff, das ist was für die Schwarzeneggers und Willis‘ dieser Welt, die Charaktere in RONIN schauen auf das Geld und auf absolut nichts anderes.

Im Gegensatz zur Kinoleinwand leiden im Heimkino die Verfolgungsjagden etwas, und die letzten 20 Minuten sind nicht mehr ganz so treffsicher wie die rund 100 Minuten davor. Doch bombastische Musik und eine gewisse Unübersichtlichkeit trüben das Vergnügen gegen Ende nur minimal, die Hauptsache ist es eigentlich, Robert De Niro und Jean Reno dabei zuzusehen, wie sie todernst und ohne Zögern versuchen, die Côte d’Azur in Schutt und Asche zu legen. Und Paris gleich mit dazu. RONIN ist angenehm altmodische und rasante Action als Hausmannskost für altgewordene Cineasten und mit Hauptdarstellern, die Coolness nicht als Attitüde sehen, sondern als Lebenseinstellung.
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Im Schatten des Zweifels (Alfred Hitchcock, 1943) 8/10

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Onkel Charlie kommt zurück. Onkel Charlie besucht die Familie, und lockert den stupiden Alltag auf. Onkel Charlie bringt teure Geschenke mit und bietet allen Familienmitgliedern einen neuen Flucht- und Ankerpunkt. Hauptsächlich der jungen Charlie, seiner Nichte, die sich in spätpubertären Freiheitsphantasien aus der kleinen Stadt wegdenkt und versucht, im eigenen Kopf die Probleme der Menschheit zu lösen. Charlie und Charlie, das ist mehr als nur Onkel und Nichte, das ist ein bisschen wie Telepathie. Aber nur ein bisschen, denn der Zuschauer weiß etwas, was das Mädchen nicht weiß: Onkel Charlie ist auf der Flucht vor der Polizei.

Hitchcock hat mal sinngemäß gemeint, dass es nicht spannend sei wenn die Helden an einem Tisch sitzen unter dem eine Bombe explodiert, sondern dass Spannung erzeugt wird wenn der Zuschauer weiß, dass unter dem Tisch eine Bombe installiert sei, er aber nicht wisse wann diese hochgehe. IM SCHATTEN DES ZWEIFELS ist das beste Beispiel für diese These. Denn der Zuschauer weiß, dass Charlie etwas auf dem Kerbholz hat (wenngleich er erst relativ spät durchschaut, was denn nun eigentlich der Grund für die Menschenjagd ist), aber er weiß auch dass die Familie dies nicht weiß, und aus dieser Konstellation heraus zieht Hitch eine enorme Spannung.

Schon wenn Onkel Charlie am Bahnhof der kleinen Stadt ankommt legt sich eine große dunkle Wolke über das Bild. Der Teufel hält Einzug in Santa Rosa, so scheint es, und die Wirkung dieser Szene ist erst einmal unglaublich. Wir beobachten genau, wie der schwarze Mann Hof hält, wie er sein Netz auswirft, wie er versucht sich vor der schnell auftauchenden Polizei zurückzuziehen – Wie eine Spinne, die gleichzeitig einen größeren Feind und einen leckeren Happen (nämlich Nichte Charlie) im Netz hat, genauso agiert Onkel Charlie. Seine Blicke werden zunehmend manischer, sein Verhalten macht Angst, und ich meine so richtig ANGST, und als auf das junge Mädchen eine Reihe Mordanschläge verübt werden, und die Kavallerie in Gestalt ihres Verehrers vom FBI nicht erreichbar ist, da stockt dem Zuschauer selbst 80 Jahre nach dem Entstehen des Films noch die Atmung.

Spannung ist, wenn der Zuschauer weiß dass eine Bombe versteckt ist, er aber nicht weiß wann sie explodiert. Onkel Charlie ist diese wandelnde Bombe, die mitten in dieses Heile-Welt-Idyll platziert wurde. Die Welt ist hier so lieblich, dass ich mir sicher bin, dass sich David Lynch für einige Bilder in BLUE VELVET hat inspirieren lassen. Ein fast unerträglicher Kitsch zwischen hübschen Häuschen und adretten Menschen, und dazwischen ER. Der Herr des Bösen, frisch importiert aus der finsteren Großstadt, der seinem Schwager, einem braven Bankkassierer, in der Schalterhalle laut erklärt, dass dieser doch wohl wüsste wie man ein paar Scheine abzwackt. Und später, nach dem Gespräch mit dem Direktor und noch in dessen Hörweite, seinem neuen Buddy lauthals wünscht dass er bald den Posten des Direktors bekäme.

Ein explosives Gemisch dass da zusammenkommt: Der knüppelharte und perfekt schauspielernde Onkel, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, reichen Witwen den Liebenden vorzuspielen, also jede Menge Erfahrung darin hat so zu tun als ob, und die spätpubertäre und naseweise Nichte, die von dem mondänen und reichen Mann einerseits fasziniert ist, andererseits aber auch spürt dass da etwas ist. Etwas, was man besser nicht aufscheuchen sollte. Aber die Neugier, diese verfluchte Neugier …

IM SCHATTEN DES ZWEIFELS ist ein böser und düsterer Thriller, der in vielen Szenen auf der gerade entstehenden Noir-Welle mitschwimmt, und mit dem Gespür Hitchcocks aus diesen Begriffen Noir und Thriller das Optimum herausholt. Der Film ist weitaus besser als alles was Hitch in den 40ern sonst so gedreht hat (ja, sogar besser als ICH KÄMPFE UM DICH) und hält locker das Niveau seiner Klassiker aus den 50ern. Meines Erachtens ist es dringend an der Zeit, dieses Meisterwerk 80 Jahre nach dem Entstehen des Films wiederzuentdecken!
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Maulwurf
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Pesthauch des Dschungels (Luis Buñuel, 1956) 7/10

Im Fernsehen gesehen.jpg
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Die Diamantensucher im Dschungel werden vom Hauptmann des nahegelegenen Ortes mal eben enteignet. Als sie sich wehren, klassifiziert man sie seitens der Obrigkeit als Rebellen und schießt sie nieder. Der Herumtreiber Shark, der mit dieser Rebellion eigentlich nichts am Hut hat, sucht ein Bett und landet bei der Hure Djin, die zwar mit ihm schläft, ihn aber anschließend an die Soldaten verrät und sich mit dem Hauptmann das Geld Sharks teilt. Dieser Hauptmann hat noch einen Sidekick, nämlich den Fährenbetreiber Chenko, der die Huren in den Ort bringt, und dafür reichlich abkassiert. Und dann ist da noch Pater Lizardi, der einen auf guter Pfarrer und lieber Gott macht, aber wenn es ums Geld geht ist er hinter der Sore her wie der Teufel hinter der Seele.
Als Shark aus dem Gefängnis flüchten kann nimmt er die ganze Sippschaft in Geiselhaft, um aus dem Ort lebend herauszukommen. Ein gefährliches Unterfangen, mit Chenko im Schlepptau, der nichts unversucht lassen wird alle an die Soldaten zu verraten. Und mit dem Dschungel außenrum, der die dünne Schicht Zivilisation in Nullkommanichts abschält und die blanke Bestie zum Vorschein kommen lässt.

Was für eine verkommene Gesellschaft hier beschrieben wird! Bunuel malt das Bild einer herabgekommenen und materialistischen Menschheit, deren Mitglieder sich gegenseitig zerfleischen um an die Besitztümer der jeweils anderen zu kommen. Keinem kann vertraut werden, alle sind zutiefst korrumpiert und verdorben, und der einzige aufrechte Charakter, der alte Castin, dessen Traum es ist ein Restaurant in Marseille zu eröffnen, verliert ob dieser Schäbigkeit irgendwann folgerichtig den Verstand. Nur seine Tochter schwebt unberührbar und scheinbar fleckenlos über dem Morast. Sie ist taub und heißt (natürlich) Maria, und sie ist der einzige aufrechte Mensch in dieser miesen Welt. Alle anderen sind durch die Bank opportunistische Schweine.

Wobei es sehr spannend ist zuzusehen, wie Buñuel die Charakterisierungen der Figuren dreht und wendet wie es ihm gerade passt, und am Ende dabei ein realistisches Bild des menschlichen Mikrokosmos entsteht. Shark beginnt als Unsympath, der seine Finger am Maria legt, sich um die Nöte der Diamantensucher einen Dreck schert, mit dem Sympathieträger Castin fast eine Schlägerei beginnt, und bei einer Hure übernachtet. Sein Schicksal vom Hurenbett über das Gefängnis bis hin zur Flucht ist ein bitteres, aber der Zuschauer hat keinerlei Mitleid mit dem überzeugten Egoisten. Erst auf dem Schiff wandelt Shark sich langsam zum „Helden“, und auf der Flucht im Dschungel fliegen ihm die Herzen der Zuschauer nur so zu, ist er doch derjenige, die Gruppe retten kann und deswegen von uns geliebt wird. Nur zu schnell vergessen wir, dass Shark eigentlich ein eiskalter Hund ist, der nur seinen eigenen Vorteil sieht. Was im Dschungel bedeutet nicht alleine zu sein, um die Strapazen und die Arbeit besser verteilen zu können.

Bei Djin ist es noch schwieriger. Sie sieht gut aus, und sie hat die zarte Seele einer Metzgerin. Sie verkauft ihre Bettgenossen um an deren Geld zu kommen, und sie spielt mit dem armen Castin, der sich irgendetwas rund um den Begriff Liebe einbildet, nur um auch an dessen Geld zu kommen. Djin wird im Laufe der Flucht ebenfalls sympathischer, aber gegen Ende zeigt sie ihr wahres Gesicht, wenn sie in schicker Kleidung und mit Schmuck behängt tanzt. Das ist das was sie interessiert, kein verschissenes Fischrestaurant und keine Liebesromanze. Gutes Aussehen, Schmuck und Geld, das ist es was Djin im Herzen(?) ausmacht. Was zur Frage nach dem Menschenbild eines Luis Buñuel führt.

Spätestens der zutiefst materialistische Pater Lizardi untermalt den Verdacht, dass Buñuel seine menschliche Umwelt verachtet hat. Das salbadernde Geschwätz dieses Halunken, seine vordergründig soziale und mitfühlende Art, die sich in jedem Augenblick umdrehen kann in einen Menschen, der nichts anderes im Sinn hat als seinen eigenen Reichtum zu mehren und dafür bereit ist über Leichen zu gehen, diese Charakterisierung ist kein Schlag ins Gesicht der katholischen Kirche, sondern vielmehr eine stinkende Ausdünstung der hinteren Körperseite. Was muss Buñuel wohl für Erfahrungen mit Priestern gemacht haben …?

Und so streifen wir als Zuschauer mit einer Gruppe Ausgestoßener durch einen lebensfeindlichen Dschungel, verfolgt von Soldaten die sich durch ihr Schießgewehr definieren. Wir sehen zu wie das kostbare Abendessen, eine tote Riesenschlange, in Sekundenschnelle von Ameisen gefressen wird, und wie das Menschliche in der Kreatur durch solche Erfahrungen immer mehr verschwindet. Ins Hintertreffen gerät zugunsten eines grundlegenden Darwinismus, und sogar der verschwindet im Elend irgendwann. Nur der Selbsterhaltungstrieb ist noch da. Das, was als Strudelwurm ganz tief im Menschen schlummert. Doch wehe man lässt diesen rudimentär-menschlichen Kreaturen Essen, Kleidung und Schmuck zukommen, dann kann man staunen wie sich diese geknechtete und relativ solidarische Schicksalsgemeinschaft im Handumdrehen zu einer Bande sich selbst zerfleischender Halbirrer wird …

Von PESTHAUCH DES DSCHUNGELS ließe sich eine direkte Linie ziehen zu einem Film wie, sagen wir, MENSCHENFEIND. Die misanthropischen und zutiefst pessimistischen Menschenbilder der jeweiligen Regisseure sind gar nicht weit voneinander entfernt, und deprimieren den nicht-cinephilen Zuschauer auf intensive Art und Weise. Trotzdem funktioniert PESTHAUCH DES DSCHUNGELS als fast reiner Abenteuerfilm genauso gut wie als bittere Karikatur des menschlichen Lebens. Der Abenteurer, die Hure mit Herz, der alte Mann mit der tauben Tochter, der genügend Geld gespart hat um nach Hause zu kommen, die gemeinen Soldaten – Die Menagerie eines klassischen Abenteuerfilms ist komplett vorhanden, und die Erzählung mit Rebellion, Gefängnis und Flucht funktioniert auch nach den überkommenen Handlungsmustern. Nur dass immer dieser Hang zu B. Traven durchschimmert, dessen Schilderung rudimentären Lebens im Dschungel sehr sehr ähnlich klingt. Somit ist PESTHAUCH als extremer Glücksfall eines Films anzusehen: Ein spannender Abenteuerfilm mit böse-kritischem Blick, erstklassiger Umsetzung und starken Schauspielern.
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Dark angel (Peter Vanderbilt, 1983) 8/10

In den Tiefen des Internets begraben.jpg
In den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 165 mal betrachtet

Ein Mann fährt durch die Nacht, auf der Suche nach IHR. Bisher war er, Leland Keller, immer vom Erfolg verwöhnt. Unendlich viel Geld steht zu seiner Verfügung, und die Frauen lagen ihm zu Füßen. Bis er eines Nachts im Park SIE sah. Die Schöne, die Geheimnisvolle, und seitdem interessiert ihn nichts mehr. Nur noch SIE will er wiederfinden, aber alles ist zwecklos. Und wenn er SIE doch einmal kurz aus dem Wagenfenster heraus sieht, so ist SIE verschwunden, sobald er an der Stelle, wo SIE eben noch war, ankommt. SIE wird zu seiner Obsession, zur Führung in seinem Leben, und als er SIE irgendwann tatsächlich trifft, da ist sie bereit sich ihm hinzugeben. Wenn er ihr etwas von sich gibt …

Womit wir eigentlich in einem Märchen sind. SIE trägt einen roten Umhang, SIE verliert einen Schuh den er von ihr behält und fortan als ein Pfand mit sich trägt, und SIE verzaubert mit einem bloßen Augenaufschlag. Aber eigentlich sind wir auch in einem Porno. Eine sehr stimmungsvolle Orgie in einem Pool, männliche Stripper die ihr weibliches Publikum so richtig anheizen, eine gespielte Vergewaltigung in einer Lagerhalle, eine SM-Session im Licht eines Stroboskops. Und natürlich SIE, denn Leland ist tatsächlich bereit alles zu geben was sie von ihm verlangt. Auch seine Seele …

Doch letzten Endes sind wir vor allem in einem Drama. Nach seinem anfänglichen Begehren, sein Leben mit ständig wechselnden Gespielinnen auszukosten, wird er auf der Suche nach IHR schnell depressiv. Ein trauriger und einsamer Mensch, der merkt dass ihm in seinem Leben etwas fehlt, fährt durch die dunkle Großstadt, oder auf einsamen Straßen entlang der Pazifikküste, während auf der Tonspur ein melancholisches Klavierstück dieser tiefen Einsamkeit Ausdruck verleiht. Die Stimmung ist nicht gekünstelt und wirkt nicht aufgesetzt, vielmehr umhüllt die Traurigkeit dieser Momente den Zuschauer in seiner Ganzheit. Und umso intensiver, als er direkt vorher oder nachher Zeuge einer vollkommen hemmungslosen Orgie in einer Irrenanstalt wurde, wo fünf ausgehungerte Nymphomaninnen Leland die Kleidung vom Leib reißen und sich noch darum prügeln, welche jetzt für ihn die Beine breit machen darf – Eine Szene wie aus einer psychedelischen Hölle für Rollenspielfanatiker, und sehr durchdringend in ihrer Wirkung.

Vor allem diese abrupten Stimmungsschwankungen, diese unglaublichen Szenenwechsel zwischen wildem Geficke und abgründigem Trübsinn, geben dem Film viel Tiefe und vor allem viel Gefühl. Gerade in der ersten Hälfte des Films sind die Sexszenen alle von Spaß und Freude am Geschlechtsverkehr durchdrungen, gibt es keine Gewalt und keine Erniedrigung. Alle wollen immer, und alle wollen das gleiche. Die Vergewaltigung in der Lagerhalle, die in der deutschen Fassung komplett herausgenommen wurde, ist auch innerhalb des Films eine gespielte Szene, die Leland eigentlich antörnen soll, aber doch nur seinen Weltschmerz vergrößert. Die einzigen die hier Spaß hatten waren die Akteure und die Schauspieler der Akteure, und selbst die Szene im SM-Club ist von einem tiefen Einverständnis aller Teilnehmenden durchdrungen.

Dies, die wunderschön gefilmten Szenen, und die erwähnten Stimmungswechsel, machen DARK ANGEL zu etwas ganz Besonderen. Zu einem kleinen Juwel, dass mich völlig überrumpelt hat. Der Film schließt mit einem niedergeschlagenen Leland, und entlässt den Zuschauer mit einem Gefühl der Mutlosigkeit und Leere. Und wir reden hier schließlich von einem Sexfilm! DARK ANGEL ist eine dunkle und gleichzeitig heitere sexy Filmerfahrung, die einen nachdenklichen Zuschauer in melancholischer Stimmung zurücklässt. Großartige Filmkunst, die erstklassig in das von mir zunehmend geschätzte Genre des HC-Dramas passt!
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Combat Shock (Buddy Giovinazzo, 1984) 7/10

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DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN wurde 1978 mit großem Erfolg von Michael Cimino gedreht. Viel Geld floss in die Produktion, mit Robert De Niro führte ein Superstar die Besetzungsliste an, Meryl Streep und Christopher Walken begründeten unter anderem mit diesem Film ihren Weltruhm. Und so eindringlich und abgründig DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN auch sein mag, so ist er doch in vielerlei Hinsicht das Hollywood-Ergebnis einer artifiziellen Betrachtung, die zwar auf soziologischen Aspekten beruht, sich aber letzten Endes in der perfekten Darstellung von Hochglanzoptik künstlerisch austobt.

Wie anders wirkt da doch COMBAT SHOCK. Das Thema ist das gleiche: Ein junger Mann, Frankie, kämpft im Vietnamkrieg, wird von den „Feinden“ gefangen genommen und grausam misshandelt, und schafft anschließend die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht. Zwar heiratet er und bekommt ein Kind, aber er ist ungepflegt bis hin zur völligen Verwahrlosung, seine einzigen Bekannten sind Drogenabhängige und Kriminelle, seine Wohnung ist ein Loch, seine Frau Cathy frustriert und sein Kind ein Monster. Der Vater hat schon vor Jahren den Kontakt zu ihm abgebrochen, einen Job hat er nicht, aber dafür Schulden beim örtlichen Syndikat. Seine Umgebung besteht aus Müll, Dreck und Abfall, ein perfektes Ebenbild seiner eigenen seelischen Landschaft und seines gesamten Lebens.

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Wo DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN ein cineastisches Filetstück ist, das mit großem Budget und großartigen Schauspielern vor allem anspruchsvolle Kinogänger begeistern kann, ist COMBAT SHOCK ein Blick auf die ungeschminkte Realität nach einem Krieg. Männer, die entsetzliches durchgemacht haben, und deren Psyche die Geschehnisse niemals komplett verarbeiten konnte, werden in eine Welt zurückgeworfen, in der das Ziel nicht Überleben um jeden Preis heißt, sondern Erfolg haben um jeden Preis. Der Erstlings-Langfilm des New Yorker Regisseurs Buddy Giovinazzo, gedreht mit einem Budget von 25.000 Dollar, umgesetzt mit dem größten Teil der eigenen Familie und gedreht zuhause in der Lower East Side, hat gegenüber dem 15-Millionen-Dollar-Projekt von Michael Cimino einen ganz großen Vorteil: Er ist realistisch. Realistisch nicht im Sinne eines Dokumentarfilms, sondern realistisch im Sinne eines Genrefilms, der die Umgebung einer real existierenden Situation abbilden will, ohne diese Abbildung einem wie auch immer gearteten „Stil“ unterzuordnen. Die vorherrschende Emotionslosigkeit der Charaktere etwa basiert auf einer Umgebung, in der die Menschen die Wahl haben zwischen einem langsamen Krepieren (also Verhungern) oder einem schnellen Tod (Drogen. Ein Zusammenstoß mit dem örtlichen Schuldeneintreiber. Oder mit einem Psycho.). Wer da himmelhochjauchzend durch die Nachbarschaft rennt wird schnell einmal nach dem Zeug gefragt, das er gerade eingeworfen zu haben scheint. Dazu kommt eine fast völlig überzogene Vermüllung der Umgebung. Stellenweise scheinen die Figuren durch kniehohen Abfall zu waten. Nun ja, man darf als deutscher Filmfan halt nicht von der örtlichen Hauptstraße ausgehen, die Großstädte der Welt haben in bezug auf „Sauberkeit“ so manche Überraschung zu bieten. Ich habe selber einmal in London in einem besetzten Haus gelebt, und das war der Wohnung von Frankie stellenweise gar nicht so unähnlich …

Manches an COMBAT SHOCK ist irritierend, etwa der nervöse Schnitt, der zu der deprimierenden Stimmung sehr viel beiträgt, und dafür sorgt, dass aus der kleinen Geschichte ein auch beim Zuschauen spannender Film wird. Die Spezialeffekte mögen vor allem für heutige Verhältnisse billig wirken, und das Baby, ganz klar angelehnt an Steven Spielbergs kurz zuvor entstandenen E.T., wirkt fast wie eine Parodie seiner selbst. Mehr als nur ein Hauch von David Lynchs ERASERHEAD weht dann durch das Bild, wenn Cathy trübe auf einen kochenden Wassertopf und später auf einen Fernseher ohne Empfang starrt, während das kranke Kind im Hintergrund merkwürdige Geräusche von sich gibt und Rick Giovinazzo scheinbar ziellos durch die Wohnung irrt. Aber in der Summe erzeugen alle diese Vignetten ein nihilistisches und ungeheuer beeindruckendes Gesamtbild einer Gesellschaft, die für die Verlierer rein gar nichts übrig hat, und die sich um diejenigen auf der Schattenseite des Lebens einen feuchten Scheiß kümmert. 12 Jahre später wird Buddy Giovinazzo seinen zweiten Langfilm realisieren, UNTER BRÜDERN, gedreht in seiner Heimat Staten Island, und er wird technisch und narrativ sichtlich fortgeschritten eine ähnliche Geschichte über getriebene Menschen und deren Beziehungen erzählen. UNTER BRÜDERN ist ein starker und wuchtiger, dabei aber auch kleiner und dreckiger Film über ein Brüderpaar, das ohne einander nicht sein kann, sich aber gemeinsam nicht anders zu helfen weiß als in den Abgrund zu rutschen. Die Ähnlichkeiten zu COMBAT SHOCK sind bemerkenswert: Schmutzige, melancholische kleine Geschichte im White Trash-Milieu mit herausragenden Schauspielern. Es gibt hier keine großen Überraschungen oder Twists, und nicht einmal gigantische Schießereien oder Explosionen. Die Gewalt, so sie denn ihren Weg aus dem latenten Vorhandensein findet, ist hart, eruptiv, und sehr realistisch. Das ruhige Erzähltempo hat exakt das richtige Timing – nicht langweilig, aber stetig., so schrieb ich nach der Sichtung zu UNTER BRÜDERN, und zu COMBAT SHOCK passt diese Kurzkritik wie die Faust aufs Auge. Es kommt noch diese entsetzlich deprimierende Stimmung dazu, und dann kann man sich vorstellen, wie das Leben an der Lower East Side Mitte der 80er-Jahre für die Erfolglosen ausgesehen hat. Und da wundert sich noch jemand, dass New York damals die höchste Verbrechensrate der Welt hatte …

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Eigentlich ist COMBAT SHOCK ein filmischer Witz. Wenn man den Film (auf deutsch) das erste Mal sieht, rennen schlechte Schauspieler in schlechten Szenen herum, reden dummes Zeugs, und verhalten sich vollkommen unnatürlich. Doch was für eine Überraschung, wenn man auf den englischen Originalton umschaltet, dann sind die Schauspieler nämlich bereits gar nicht mehr so schlecht – Die pornöse deutsche Synchro macht da schon sehr viel aus!
COMBAT SHOCK ist nicht schön, nicht Hochglanz, nicht edel und nicht wundervoll. COMBAT SHOCK ist düster, nihilistisch und ziemlich realistisch. Was ihn zu einem kleinen Leckerbissen im Haifischteich der glitzernden und prämierten Filmproduktionen macht. Sehenswert!
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The spook who sat by the door (Ivan Dixon, 1973) 7/10

In den Tiefen des Internets begraben.jpg
In den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 140 mal betrachtet

Senator Hennington steht kurz davor, nicht mehr wiedergewählt zu werden. Eine Katastrophe! Um sein Image bei der schwarzen Bevölkerung zu heben und damit die benötigten Stimmen zu bekommen, initiiert er die Ausbildung der ersten afro-amerikanischen CIA-Agenten der Weltgeschichte. Abgang Senator Hennington, Auftritt Agent Freeman. Dan Freeman ist der einzige der Anwärter, der die Ausbildung bis zum Ende durchhält, und wird somit tatsächlich der erste schwarze CIA-Agent der Welt. Als Belohnung bekommt er den Job als Sektionschef. Der Kopierabteilung. Freeman hat immerhin den Ehrgeiz, der beste Kopierabteilungssektionschef jemals zu werden, doch als er eines Tages eine Gruppe Besucher herumführen soll, flüstert einer der Gäste seinem Vorgesetzten zu, wie toll der Mann doch integriert sei. Was für eine Idee! Wir setzen den schwarzen Mann in die Eingangshalle und alle sehen, wie vorbildlich wir integrieren!!

Freeman, allein der Name ist ja bereits Programm, macht diesem Unfug ein Ende indem er kündigt und eine Stelle als Sozialarbeiter in seiner Heimatstadt Chicago annimmt. Zumindest tut er so als ob, aber in Wirklichkeit rekrutiert er schwarze Drogendealer, denen er seine eigene Ausbildung angedeihen lässt. Freemann bildet seine Brüder in Nahkampf, Sprengstoff- und Waffenkunde und allerlei konspirativen Techniken aus, und baut sich so innerhalb kürzester Zeit eine schwarze Untergrundarmee auf. Sein Ziel ist, die Vorherrschaft des weißen Mannes zu beenden, und er ist intelligent und skrupellos genug um zu wissen, dass dies nur mit Waffengewalt geschehen kann. Schlussendlich ist Freeman der Anführer einer Guerillaorganisation in Südwest-Chicago, die den Weißen so richtig einheizt. Taktisch geschult, mit militärischer Bewaffnung und gut strukturiert, sind die Männer Nationalgarde und Militär komplett überlegen.

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Nach den wenigen Besprechungen im Internet zu urteilen war ich auf eine Satire gefasst, die sich darüber lustig macht was der weiße Mann denn wohl unter Integration verstehen mag. Das erste Drittel, die Ausbildung Freemans, ist auch durchaus mit satirischen Spitzen versehen, widmet sich aber eher der langsamen und soliden Vorstellung Freemans: Ein hochintelligenter und gründlicher Mann, der einen Plan hat, für dessen Umsetzung er sich die benötigte Zeit nimmt, und den er nicht irgendwelchen Sticheleien angeblicher Brüder oder tatsächlicher Rassisten opfert. Freeman geht seinen Weg, und wenn man sich als Zuschauer durch das erste, mitunter manchmal etwas zähe, Drittel durchgekaut hat, nimmt die Geschichte mit der Ankunft in Chicago schnell Fahrt auf. Die Ideen und Absichten Freemans werden klar, seine Freundschaften zu einer Washingtoner Hure und einem örtlichen Polizeiinspektor ergeben allmählich Sinn, und spätestens wenn die ersten paramilitärischen Aktionen laufen, beginnt der Bildschirm schnell zu brennen.

Was ab diesem Zeitpunkt kommt ist keine Satire mehr und kein billig produzierter Schwafelfilm, sondern ernstgemeintes Actionkino der Art Brüder bewaffnet euch und kämpft gegen die Unterdrücker!. Tatsächlich gibt SPOOK eine recht genaue Vorstellung davon, wie der bewaffnete Kampf gegen den Rassismus erfolgreich in die Städte getragen werden kann. Aus heutiger Sicht ein cineastisches Unding, propagiert SPOOK allen Ernstes den Einsatz einer Stadtguerilla gegen die weiße Oberschicht. Und Polizist Dawson, immerhin der beste Freund Freemans, der sich für die weißen Herren verdingt und deren Drecksarbeit macht, hat dann auch ein entsprechendes Schicksal, dass man sich eigentlich recht schnell ausmalen kann.

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Nein, spätestens die zweite Hälfte des Films bietet einige unerquickliche Szenen. Die Aufstände gegen die Cops, die den schwarzen Jugendlichen erschossen haben, und als Antwort auf die wütenden aber friedlichen Proteste mit abgerichteten Hunden in die Menge gehen, und damit die Stimmung erst zum Umkippen bringen, diese Aufstände gehen trotz des offensichtlichen Minimalbudgets beim Dreh tief unter die Haut, und erzeugen im Jahr 2021 die gleiche Wut und Aggression gegen den weißen Herrenmenschen wie 1967 in Detroit oder 1992 in Los Angeles. Oder 2014 in Ferguson, Missouri. Oder oder oder …

Dabei setzt SPOOK nicht auf eine durchgehend realistische Atmosphäre wie zum Beispiel Kathryn Bigelows unter die Haut gehender Film DETROIT, sondern agiert bewusst (und sicher auch budgetbedingt) als Spielfilm, der vor allem zu Beginn ausschließlich im Studio gedreht wurde. Gleichzeitig vermeidet Regisseur Ivan Dixon aber auch jegliches exploitative Element, und will sich ganz offensichtlich bewusst vom erfolgreichen Blaxploitation-Kino dieser Jahre abgrenzen. SPOOK ist ernstgemeintes Black Cinema mit einer himmelstürmenden Aussage und vor allem gegen Ende hin mächtig Wumms in den Knochen. Dass er dabei oft relativ dialoglastig und trocken daherkommt, weil Freeman selber seine Gedanken halt nunmal mit Worten vorbringt anstatt mit den Fäusten, bremst SPOOK zwar an der ein oder anderen Stelle aus, bietet aber gleichzeitig eine angenehme Abwechslung zu den parallel agierenden SHAFT- und FOXY BROWN-Superhelden. Und es lohnt sich auf jeden Fall, innerhalb der Dialoge auf die kleinen Spitzen zu hören; ich bin mir zum Beispiel sicher, dass der Name des Berater des Generals, Carstairs, kein Zufall ist – Der Name kann auch problemlos wie Custer gesprochen werden. Und eben dieser Custer, nein Carstairs, redet auch einmal aus Versehen von Konzentrations-, nein Entschuldigung, natürlich von Sammellagern für die farbige Ghettobevölkerung. Übrigens auch sonst eine bemerkenswerte Erklärung, warum das Ghetto nicht einfach hermetisch abgeriegelt werden kann um die Guerilla auszutrocknen: We sealed off the ghetto for three days last week – It paralyzes the city. Chicago is more dependent on black labour than one will think. 90 % of the garbage collectors are coloured. 60 % of the hospital workers are coloured,. 60 % of the bus drivers and 80 % of the postal workers. Wenn diese Zahlen heute mal einem militanten Minderheitenführer in die Finger fallen würden, könnte sich die Situation der Schwarzen in den USA aber ganz schnell ändern. Und die Sache mit den friedlichen Straßen ebenfalls …

Ich kann jedem zeithistorisch und politisch Interessiertem nur wärmstens empfehlen, auf die Suche nach diesem Streifen zu gehen. Hochgradig lohnend, und sei es nur wegen des Moments, wenn zwei hartgesottene Untergrundkämpfer eine tragische Situation eines klassischen Onkel Tom-Films nachspielen. Ein Lachtränengarant, wenn es nicht so traurig wäre …

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Die Verschwörung – Verrat auf höchster Ebene (David Hare, 2011) 6/10

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Der Direktor des Inlandsgeheimdienstes MI5, Benedict Baron, kommt an Akten welche belegen, dass der Premierminister von geheimen Foltergefängnissen der USA weiß, aber niemanden darüber informiert hat. Bevor aber klar wird, wie mit diesen Informationen umgegangen werden soll, stirbt Baron, und die Scheiße bleibt an seinem Freund und Kollegen John Worricker kleben, der plötzlich aus der Rolle des Ratgebers und Nachrichtenanalytikers in diejenige des Sündenbocks rutscht, der von allen geschasst wird. Die perfide Innenminister-Schlampe, der rücksichtlos-brutale Premierminister, seine eigenen, auf sehr individuellen Pfaden stromernden, Kollegen – Alle wollen nur Worrickers Untergang. Der allerdings macht diesen Job schon sehr lange, und auch wenn er kein Problem damit hätte von heute auf morgen zu kündigen, so will er dies doch zu seinen eigenen Bedingungen machen, nicht zu denen der anderen.

Gut gemachter Agententhriller auf den Spuren eines John le Carré, der seine TV-Herkunft weder verleugnen kann noch will. Die Kulissen sind einfallslos, die Geschichte einfach, und Budget für Spezialeffekte gab es gleich gar nicht. Braucht es auch nicht, denn PAGE EIGHT bezieht Spannung und Witz aus den erstklassig geschliffenen Dialogen und aus einem recht hohen Tempo, das keinerlei Rücksicht nimmt auf Zuschauer die alle Naslang eine Erklärung benötigen. Bei einigen Namen die ständig fielen musste ich häufig überlegen, wer damit eigentlich gemeint war - Wer war jetzt noch mal Anthea? Jemand den man kennen sollte? (Die Antwort lautet übrigens Innenministerin, falls jemand bei der Sichtung vor ähnlichen Problemen steht …)

Die Schauspieler sind erstklassig, vor allem Ralph Fiennes als Pitbull-Premier schürt die Abneigung gegenüber Politikern auf das Gemeinste, aber auch Saskia Reeves als Innenministerin ist niemand, dem man jemals in seinem Leben begegnen möchte. Oder wählen … Es gibt sehr angenehme Wiedersehen mit Marthe Keller und mit Alice Krige, Judy Davis ist nicht so angenehm, dafür aber wie immer erstklassig, und nur Bill Nighy in der Hauptrolle wirkt so verknöchert-britisch wie es selbst Alec Guinness‘ Smiley niemals so hinbekommen hat. Man darf halt bei dem Oberbegriff Thriller einfach keinen Actioner erwarten sondern vielmehr gut abgewogene Spannung, die trotz der schlichten Story eher den Intellekt erfreut und kurzweilig und amüsant ist. Passt!
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Knife of ice (Umberto Lenzi, 1972) 6/10

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Martha freut sich wie narrisch, denn nach langer Abwesenheit kommt endlich ihre Schwester Jenny wieder nach Hause. Zu ihr und zu ihrem Onkel, bei dem Martha wohnt. Alle freuen sich dass Jenny da ist: Onkel Ralph, der sich mit Dämonologie beschäftigt. Die Haushälterin Mrs. Britton. Der mürrische Chauffeur Marcos vielleicht nicht so. Aber dafür umso mehr der Arzt Dr. Laurent, der Martha behandelt. Denn Martha hat beim erlebten Unfalltod ihrer Eltern vor vielen Jahren die Sprache verloren.
Und dabei würde sie ihre Ausdrucksfähigkeit gerade jetzt so dringend benötigen. Denn noch in der Nacht ihrer Rückkehr wird Jenny grausam ermordet. Ein entsetzliches Erlebnis für alle, und es wird zuerst vermutet, dass ein aus einer Anstalt ausgebrochener Sex-Maniac dafür verantwortlich ist, die Ermittlungen gehen dann aber schnell in Richtung eines Hippies, der den Teufel anbetet. Inspektor Duran findet keine vernünftige Spur, da findet schon der nächste Mord statt. Und noch einer. Fast scheint es, als ob Martha isoliert werden soll …

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KNIFE OF ICE hat eigentlich alles, was man von einem guten Giallo erwartet. Gute Schauspieler, erstklassige Optik, edle Settings, schöne und groovige Musik (na gut, der Score von Marcello Giombini kann den Klassikern des Genres nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen, aber für das Adjektiv nett reicht es allemal), eine kreuz und quer mäandernde Handlung mit vielen roten Heringen, und jede Menge Stimmung. Woran liegt es, dass mich der Film erst nach über einer Stunde Laufzeit abholen konnte?

Irgendwie konnte ich den Draht zu der Geschichte nicht finden. Blieb mir die stumme Martha trotz einer erstklassigen Darstellung Carroll Bakers fremd, und konnten Gänsehautszenen wie die Augen, die im Nebel in das Auto starren, nur bedingt Atmosphäre zaubern. Zu aufgesetzt wirkten gerade solche Momente, um wirklichen Thrill zu erzeugen. Erst ziemlich zum Schluss, wenn Martha allein zu Hause ist und sich des Butzemanns erwehren muss, erst dann war ich gebannt vor dem Bildschirm und habe aufgeregt mit den Füßen am Boden gescharrt.

Aber warum so spät? Ich vermute schwer, dass es die persönlichen Problemchen des Rezipienten waren, die den eigentlich (schon wieder dieses Wort) sehr ansprechenden Film ein wenig herunterzogen. Oder waren es vielleicht doch die grausamen Bilder des Stierkampfes, mit denen der Film eingeleitet wird? Seit den verschiedenen Tiersnuff-Einlagen in DIE RACHE DER KANNIBALEN traue ich Umberto Lenzi viel Schlechtes zu, auch dass die tote Miezekatze auf dem Rasen eine echte tote Miezekatze ist. War es möglicherweise die Weigerung der ansonsten sehr ordentlichen US-Synchro, den Film nach Spanien zu verlagern? In der Synchro wurde sehr standhaft von dem Ort Martigny in der Nähe des Genfer Sees gesprochen, möglicherweise weil die Autos mit einem GE wie Genf herumfahren. Dass GE auch das alte Kennzeichen für Gerona in Katalonien ist, dieses Detailwissen kann man einem amerikanischen Kulturschaffenden nun wirklich nicht zumuten.

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Aber ehrlich gesagt sind das doch alles nur Kleinigkeiten. Persönliche Nickligkeiten. Wahrscheinlich ist es doch so, dass KNIFE OF ICE einfach ein wenig blutarm ist. Dass die Wünsche des spanischen Produzenten nach wenig Gewalt und gar keinem Sex buchstäblich befolgt wurden, was viele mögliche optische und narrative Höhepunkte aus der Story herausnimmt. Dass die Personenzeichnung innerhalb des Kriminalfalles teilweise so überzogen ist, dass dem Zuschauer sehr schnell klar ist, wer der Mörder auf gar keinen Fall sein KANN. Dass Carroll Baker mit ihren 40 Jahren einfach ein wenig zu alt wirkt für diese Rolle, und ihr Sidekick Alan Steel (wer?) unglaublich farblos bleibt. Eduardo Fajardo als Chauffeur, der hier wirkt wie Boris Karloff in seinen besten Rollen, degradiert Steel in jeder Sekunde seiner Anwesenheit zum Statisten, was für eine Nebenrolle eigentlich undenkbar sein sollte. Und dass die Geschichte standardisiert abrollt, ohne bis zur Auflösung wirkliche Überraschungen zu bieten, spricht dann auch nicht wirklich für den Film. KNIFE OF ICE ist von den Lenzi/Baker-Gialli einfach der schlechteste. Punktum. Lenzi hatte wohl von Gialli spürbar langsam die Nase voll, bis auf den artifiziellen SPASMO wandte er sich nun verstärkt dem Poliziotto zu, wo es weniger um verschwurbelte Handlungen, als um knallharte Auseinandersetzungen geht. Deswegen ist KNIFE OF ICE nicht wirklich schlecht, Gott bewahre, aber der Mann hat vorher und nachher deutlich besseres gedreht. Doch zumindest ist es schön, George Rigaud endlich einmal in einer größeren Rolle zu bewundern, was ja auch nichts Alltägliches ist …

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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

9 lives of a wet pussy (Abel Ferrara, 1976) 6/10

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Einen Film wie 9 LIVES OF A WET PUSSY darf man nicht mit modernen(?) Maßstäben beurteilen. Weder gängige Porno-Klischees ziehen hier, noch die Leitlinien eines Mitt-70er-Genrefilms. 9 LIVES ist der erste ernsthafte Gehversuch eines jungen und ambitionierten Regisseurs, mal zu schauen, wie weit man mit einer Kamera und einer Ansammlung begeisterungsfähiger Schauspieler denn kommt.

Und man kommt eigentlich sehr weit damit. Paulines Liebesleben ist das, was man gerne promiskuitiv nennt – Sie treibt es mit jedem und überall, gerade dass die Katze ihrer Freundin noch unberührt bleibt. Ein Tankwart beim Stopp mit ihrem derzeitigen Lover, der Stallbursche, alle müssen für ihre schier unersättliche Lust herhalten. Ihrer Liebhaberin Gipsy passt das gar nicht, und weil Gipsy sich mit Magie ein wenig auskennt, spinnt sie einen Plan, Pauline wieder für sich zu bekommen. Und nur für sich allein.

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Gefilmt ist das ganze mitnichten in Schmuddelvision, wie man anhand des Entstehungsdatums und des vorhandenen Budgets vielleicht meinen könnte, sondern narrativ und bildlich sehr überzeugend. In ansprechenden Bildern liebt Pauline einen Mann, und im Off hören wir, wie sie Gipsy einen Brief schreibt, in dem sie diesen Akt beschreibt. Harter Cut, wir sehen Gipsy, wie sie diesen Brief liest, sich zur Kamera wendet – Und dem Zuschauer über ihre Beziehung zu Pauline berichtet.

Zum Ende hin löst sich dann selbst diese grobe Narration immer mehr auf, Gipsy läuft halbnackt durch den Wald auf der Suche nach einem mystischen Ritual, und die dazu eingeblendeten Bilder erinnern zunehmend an Jess Franco: Die Großaufnahmen werden immer großaufnahmiger und die Objekte des Interesses immer behaarter. Wobei trotz der Haare und der Vergewaltigung der Prinzessin größtenteils ein ständiges erotisches Flirren über den Handlungen schwebt. Pauline LaMonde ist sehr sexy und hat sichtlich Spaß an ihrem Treiben, und diese Ausstrahlung kommt dem Film sehr zu Gute. Stellenweise denkt man ein wenig an Francos Spätwerke – Wenn PAULA-PAULA 35 Jahre früher gedreht worden wäre, dann hätte durchaus 9 LIVES dabei herauskommen können. Die Musik ist mal jazzig und mal rockig, erinnernd an die Rolling Stones in ihrer Goats head soup-Zeit, und erst gegen Ende wird der Score experimentell, passt sich damit aber den Bildern auf merkwürdige Weise an. Der Cunnilingus der Prinzessin jedenfalls löst sich irgendwann in seine bildlichen Bestandteile auf, ohne dabei aber interessanter Weise an Spannung zu verlieren. Was für ein himmelschreiender Unterschied zu den heutigen stupiden Welten von Kink.com oder Ultimate Surrender

9 LIVES ist kein Film für einen gemütlichen Fernsehabend mit der Freundin. Er ist tief in den 70ern verhaftet, sein Bilder des schmutzigen und dunklen New Yorks und seine Seitenhiebe gegen die Religion sind typisch Ferrara, und es hat hier weder Logik noch irgendeinen Sinn, dafür viel Erotik und etwas Sex, und mit der Figur der Gipsy porträtiert Ferrara in wenigen geschickten Strichen eine Greenwich Village-Boheme, die damals sicher nicht unüblich war: Orientalische Kleidung und Einrichtung, Opium rauchend, Isaac Asimov lesend und eine homosexuelle Ausrichtung pflegend. 9 LIVES ist das Langfilm-Debüt eines jungen und ambitionierten Regisseurs, und als solches ist der Film gut und macht auch richtig Spaß. Andere Maßstäbe, ich erwähnte es, kann und darf es da nicht geben. Außer vielleicht den, der heutigen businessorientierten Sexwelt zu zeigen, dass man früher Sexfilm und Gefühl, Hardcore und Anspruch, sehr wohl unter einen Hut bekommen konnte …

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Beitrag von Maulwurf »

The Tijuana story (László Kardos, 1957) 5/10

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Im Jahr 1956 ist die Grenzstadt Tijuana fest in der Hand des Syndikats. Nachtclubs, B-Mädchen, Prostituierte (den Unterschied dürft ihr mich nicht fragen, das ist der Originalton!), und natürlich Marihuana. Doch ein Mann lehnt sich dagegen auf, dass seine Stadt im Sog der Kriminalität untergeht: Der Journalist Manuel Acosta Mesa schreibt unentwegt gegen die Gangster an, und versucht die ehrbaren Bürger und die Industriellen der Stadt auf seine Seite zu ziehen. Das Syndikat sieht das natürlich nicht so gerne, und wenn Mesa nicht hören will, so muss er eben fühlen. Er, oder sein Sohn …

Meine Frau hat an dem Abend irgendeinen Film gesehen, wo ein Mädchen spezielle Fähigkeiten hat - So drückte sie es aus. Nun, spezielle Fähigkeiten hatten die Charaktere in THE TIJUANA STORY auch, nämlich die Fähigkeit, sehenden Auges in die größten Schwierigkeiten zu rennen. Mesa zum Beispiel, der unerschütterliche Zeitungsmann, versteht partout nicht, dass der Mob über kurz oder lang gezwungen sein wird, ihn und seine Bestrebungen einer sauberen Stadt mit Waffengewalt zu bekämpfen. Oder Eddie March, der seinen Nachtclub im Auftrag des Gangsters Diaz führt, aber selber natürlich „überhaupt nichts“ mit dem Syndikat zu tun hat, der denkt dass er sauber ist und sauber bleibt.

Soll heißen, dass die Charaktere ein wenig, nun ja, flach gestaltet wurden, auch wenn der Umstand, dass es sich hier um eine wahre Geschichte handeln soll, dies nicht wirklich glaubwürdiger macht. Aber die Figuren sind sympathisch und man kann mit ihnen mitfiebern, ja sogar der juvenile Mitch, der als kurzzeitiges Love Interest des jungen Mädchens fungiert, ist unter seiner rauen und aufmüpfigen Art nicht unangenehm. Somit sind die Figuren, mit Ausnahme von Eddie, eigentlich Abziehbilder ihrer selbst, und Eddie scheint zwar über weite Strecken nicht der hellste, wohl aber ein netter Kerl, zu sein. Die Geschichte wird straight forward erzählt, hat keinerlei Hänger, und ist trotz ihrer ausgesprochenen Vorhersehbarkeit spannend und interessant. Somit ist THE TIJUANA STORY gut anzuschauende Dutzendware aus der zweiten Hälfte der 50er-Jahre, die mit ihrer knackigen Laufzeit einen nicht uninteressanten Fernsehabend bieten kann.
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