bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Lohn der Angst

Abt. Himmelfahrtskommando

„Die Entfernungen sind zu groß. Daran gehen wir hier alle kaputt.“

Die erste Regiearbeit des Franzosen Henri-Georges Clouzot („Unter falschem Verdacht“) der 1950er-Dekade ist die in französisch-italienischer Koproduktion entstandene Verfilmung des Romans „Lohn der Angst“ aus der Feder Georges Arnauds. Das Drehbuch dieser Melange aus Drama, Thriller und Roadmovie verfasste Clouzot zusammen mit Jérôme Géronimi. Der Film kam 1953 in die Kinos.

„Unter diesen Bedingungen bleibt einem Fahrer nicht mal die Chance 50:50!“

Wer im venezuelischen Örtchen Las Piedras – einer Tristesse, dem sprichwörtlichen Arsch der Welt gleich – gestrandet ist, hat kaum eine Chance, wieder fortzukommen. Ausländische Hilfsarbeiter, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen, treffen kaum auf Einheimische. Kaum jemand hat Geld, man lungert herum und zählt die Stunden. Die US-Ölgesellschaft Southern Oil Company ist dort ansässig, hat aber keine lukrativen Jobs für alle. Als jedoch eine 500 Kilometer entfernte Ölquelle in Flammen steht, schreibt sie eine Prämie für diejenigen aus, denen es gelingt, per Lkw eine große Ladung Nitroglycerin dorthin zu steuern, damit das Feuer durch die Druckwelle der Explosion gelöscht werden kann – ein Himmelfahrtskommando, denn die Stecke führt über bergige Straßen mit zahlreichen Unebenheiten, Schlaglöchern und anderen Herausforderungen. Und bei der geringsten Erschütterung droht die Ladung hochzugehen. Doch die Gesellschaft weiß, dass viele Bewohner Las Piedras‘ nichts zu verlieren haben. Tatsächlich melden sich zahlreiche Männer für diesen Job, aus denen zwei Zweiterteams ausgewählt werden: der Franzose Jo (Charles Vanel, „Die Teuflischen“) und der jüngere Korse Mario (Yves Montand, „Der unsichtbare Aufstand“) im einen, der Deutsche Bimba (Peter van Eyck, „Hallo, Fräulein!“) und der Italiener Luigi (Folco Lulli, „Andere Zeiten“) im anderen Lastwagen. Dies soll die Chance erhöhen, dass wenigstens eines der Fahrzeuge zum Ziel gelangt – doch die Prämie streichen nur diejenigen ein, die dort zuerst eintreffen.

„Hier gibt’s genug Gesindel! Die sind vogelfrei!“

Clouzot zeigt das Dorfleben Las Piedras‘ sehr ausführlich und wendet viel Zeit für die Exposition auf – zu viel. Die vier Fahrerfiguren bleiben dennoch eine diffuse Mischung aus Charakteren und Allgemeinplätzen, denn ihre Vergangenheit, ihre persönliche Geschichte, wird kaum behandelt. Erst nach knapp 40 Minuten kommt es zur Planung des Auftrags, doch was dann folgt, ist sicherlich einer der gehaltvollsten und im positiven Sinne perfidesten Beiträge zum Spannungskino der 1950er. Trotz inhaltlicher Versatzstücke aus dem Abenteuer- und Actionkino verfällt Clouzot nie in Versuchung, die Spannung seines Films in regelmäßigen kurzen Eruptionen zu entladen. Stattdessen wird die Fahrt durch unwegsames Gelände und über morsche Brücken „genüsslich“ (man muss hier in diesem Kontext in Anführungsstriche setzen) ausgekostet und die Spannungsschraube immer weiter, Stück um Stück, angezogen, während das Publikum nägelkauend darauf wartet, das sie überdreht. Entschleunigung statt Tempo, Rasanz oder Bombast. Und wie böse Entschleunigung ohne Entspannung sein kann, beweist „Lohn der Angst“ eindrucksvoll.

„Die Angst überfällt einen wie die Pocken! Und wer sie bekommt, behält sie fürs Leben!“

Die Extremsituation, in der sich die Fahrer befinden, führt naturgemäß zu Gefühlsausbrüchen und Konflikten, die das Salz in der Suppe sind. Kollegialität versus Konkurrenz, menschliche Werte müssen mit egoistischen Motiven verhandelt werden, Todesangst mit Hoffnung, Fatalismus mit Überlebenswillen. All das findet in einer schwülen Atmosphäre statt, in der Angst- und Hitzeschweiß ineinanderfließen. Clouzots Schwarzweißbilder sind mehr als nur funktional, fokussieren technische wie menschliche Details, machen aus idyllischen Landschaften bedrohliche Todesfallen und aus ihrem Voyeurismus gegenüber dem kreuzgefährlichen Abenteuer der vier Antihelden keinen Hehl. Vandel und dem jungen Montand zuzuschauen, ist ein schauspielerischer Genuss. Die Stimmung erinnert mitunter an Antikriegsfilme oder erst später entstandene, grimmige Italo-Western. Der bittere Nihilismus des Films findet seinen finalen Ausdruck in einem in mehrerer Hinsicht erschütternden Ende.

„Seit wir unterwegs sind, bin ich schon mindestens 50-mal krepiert!“

Zweifelsohne ist „Lohn der Angst“ einer jener ernsten französischen Filme der 1950er Jahre, die man gesehen haben sollte – auch oder gerade dann, wenn man ansonsten mit dem französischen Kino vielleicht nicht allzu viel anfangen kann. Anschließend lohnt es sich durchaus, tiefer in Clouzots Œuvre einzutauchen. Regie-Genius William Friedkins in der zweiten Hälfte der 1970er als „Atemlos vor Angst“ entstandene Neuverfilmung des Stoffs ist etwas anders, steht Clouzots Klassiker qualitativ aber in nichts nach.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Der Feinkosthändler

„Das ist mir alles nur so rausgerutscht.“

Ein Jahr nach ihrem „Tatort“-Einstand „Das Mädchen von gegenüber“ meldeten sich die Gies-Brüder Hajo (Regie) und Martin (Drehbuch) mit einem weiteren Fall der Essener Kommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) zurück: „Der Feinkosthändler“ ist der mittlerweile fünfzehnte Einsatz des Duos und wurde am 10. September 1978 erstausgestrahlt. Es sollte der letzte Gies-Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe werden, bevor Hajo Gies Haferkamps WDR-Nachfolger Horst Schimanski ins Rennen schickte.

„Du kannst ihn doch nicht einfach beschuldigen!“ – „Warum denn nicht?“

Die attraktive Frau Böhmer (Kathrin Ackermann, „Unter den Dächern von St. Pauli“) kehrt früher als geplant aus ihrem Urlaub zurück, doch die Lebensmittelgeschäfte haben bereits geschlossen. Daher bittet sie ihren Nachbarn, den verheirateten Familienvater und Inhaber eines Supermarkts Walter Wever (Walter Kohut, „Supermarkt“), ihr seinen Laden noch einmal aufzuschließen. Wever willigt ein, wird jedoch permanent von ihr umgarnt und provoziert. Beide hatten einmal ein Verhältnis miteinander, mit dem Wever abgeschlossen hat. Am nächsten Morgen wird Frau Böhmer erschlagen in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Kommissare Haferkamp und Kreutzer ermitteln, Herr Wever ist dringend tatverdächtig. Er enthält der Polizei einige Informationen vor, man muss ihm den genauen Ablauf des Abends förmlich aus der Nase ziehen. Auch seine Angestellte, die Kassiererin Biggi Lampertz (Mariele Millowitsch, „Minipli“) weiß kaum etwas Gutes über ihren Chef zu berichten. Dieser hat sie tatsächlich auf dem Kieker, da er ihren Lebenswandel missbilligt. Doch ist sie ausgerechnet mit dessen Sohn Andreas (Kai Taschner, „Aus einem deutschen Leben“) liiert – heimlich, denn Herr Wever darf davon nichts wissen…

„Warum verhaften wir sie nicht gleich?“

Die anfänglichen Dialoge zwischen Böhmer und Wever wirken seltsam aufgesagt, als würden sie in Chiffre miteinander reden. Bald stellt sich der Grund heraus: Je mehr sie ihm Avancen macht, desto stärker ist er um Distanz und Förmlichkeit bemüht. Eine bizarre, auch fürs Publikum unangenehme Situation. Wever, der von der Affäre nichts mehr wissen und sie um jeden Preis geheim halten will, hätte also ein hinreichendes Tatmotiv. Ob er wirklich der Täter ist oder nicht, bleibt jedoch zunächst im Dunkeln. Im weiteren Verlauf wird Wever als superspießiger Chef charakterisiert. Dem ist es auch sichtlich unangenehm, dass Haferkamp und Kreutzer in seinem Laden auftauchen und Biggi befragen. Von ihr erfahren sie von der Affäre Wevers und Böhmers. Diese Szenen gehen aus heutiger Sicht mit einem der Situation zum Trotze angenehmen Zeitkolorit in Bezug auf Supermarktausstattung und, vergleichen mit der Gegenwart, unaufgeregterem, stressfreierem Einzelhandel einher. Als die Presse Wind von der Sache bekommt, berichtet sie reißerisch, woraufhin kaum noch jemand bei Wever einkauft. Rufmordkampagne oder der richtige Umgang mit einem mutmaßlichen Mörder?

„Wir haben keine Beweise, nur Vermutungen.“

Je näher Haferkamp die Lampertz kennenlernt, desto verdächtiger erscheint auch sie ihm. Über sie zieht Wever gegenüber seinem Sohn kräftig vom Leder. Die gute alte (ähem…) autoritäre Erziehung selbst gegenüber einem bereits erwachsenen Sohn, Standesdünkel, reaktionäre, intolerante Ansichten gegenüber einer nicht 100%ig konformistischen Jugend – aber selbst gegen jegliche Moral verstoßen und seiner Frau fremdgehen. Ja, Herr Wever täte gut daran, sich endlich einmal den Stock aus dem Allerwertesten zu ziehen.

Dieser „Tatort“ vollzieht ungefähr zur Halbzeit eine Wendung, die durchaus zu erahnen war, wenngleich sie gekonnt verschleiert wurde. Eine Rückblende zeigt die Tat und was ihr vorausging. Spätestens jetzt wird klar: Im Prinzip haben hier alle Dreck am Stecken. Etwas naiv mutet der Plan an, sich nach Paris abzusetzen – in der Hoffnung, dort nicht gefunden zu werden…!? Der inszenatorische Höhepunkt ist das letzte Drittel, in dem kaum noch ein Wort gesprochen wird. Perfiderweise beobachtet man Wever minutenlang dabei, wie er verschiedene Mordszenarien durchspielt. Im nicht minder wortkargen Finale müssen Cornichon-Connaisseure ganz stark sein – und die junge Mariele Millowitsch wird gefordert, unter ihrem hier recht fiesen Minipli todesängstlich dreinzublicken.

Neben einem spannend und wohlstrukturiert erzählten Fall und einer einmal mehr überraschend rabiat und polternd vorgehenden Polizei ist „Der Feinkosthändler“ unter Gies’scher Federführung zu einem soziologisch interessanten Sittenbild doppelmoralischer deutscher Spießer, aber auch deren nachfolgender Generation geworden. Die klare Botschaft: Hört auf, euren Kindern reinzuquatschen und ihnen vorschreiben zu wollen, mit wem sie gehen dürfen und mit wem nicht! Apropos: Hafi und seine Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) gehen erst spazieren, dann aus und hängen schließlich im Parkhaus fest, wo sie scherzhaft ihre gescheiterte Ehe und natürlich diesen Fall diskutieren. 7,5 von 10 Gläschen Sekt im Supermarktgang lasse ich gern springen.
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Tatort: Die Kugel im Leib

„Das könnten wir eigentlich immer so machen, wenn wir nicht weiterkommen: wir machen einfach den erstbesten Zeugen zum Täter!“

Wolfgang Staudtes („Die Mörder sind unter uns“) vierte Regiearbeit für die öffentlich-rechtliche Krimireihe „Tatort“ ist zugleich seine dritte für das Essener Kommissars-Duo Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge). Deren sechzehnter Fall wurde von Georg Feil geschrieben und im Sommer 1978 sowohl in Essen und München als auch international in Jesolo und Venedig gedreht. Die Erstausstrahlung erfolgte am 14. Januar 1979.

„Polizisten fahren doch nicht mit ihrer Frau durch die Gegend und laufen auf Rummelplätzen ‘rum!“

Ein Motorradfahrer (Hans Georg Panczak, „Der Strick um den Hals“) bricht während der Fahrt zusammen. Gleichzeitig liegt ein toter Polizist vor einer Sparkassenfiliale – erschossen von einem Bankräuber. Am Tatort nehmen die Essener Kommissare Haferkamp und Kreutzer Zeugenaussagen auf. Der Bankdirektor meint, einen ehemaligen Lehrling erkannt zu haben. Der Motorradfahrer ist Rainer Mettmann, der sich seinen Lebensunterhalt mit einer spektakulären, artistischen Steilwandfahrschau verdient, mit der er zusammen mit seinen Angestellten von Rummelplatz zu Rummelplatz tingelt. Er wird ins Klinikum Essen eingeliefert. Mettmann ist in finanzielle Not geraten, als er sich eine neue Steilwand bauen ließ, die sich jedoch als nicht TÜV-abnahmefähig herausstellte. Mettmann brach zusammen, weil er angeschossen wurde, verweigert im Krankenhaus aber eine Operation, die die Kugel aus einem Körper entfernt. Ist er der Täter und möchte damit verhindern, dass die Kugel als eine aus der Waffe des toten Polizisten identifiziert – und er somit überführt – wird? Als er mit seinem Fahrgeschäft nach Italien reist, folgt Haferkamp ihm zusammen mit seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum). Er ist der erste, der mutmaßt, Mettmann könnte nicht Opfer, sondern Täter sein. An der Adria wird Haferkamp Zeuge, dass sich Mettmann und sein angestellter Kompagnon Paco (Klaus Löwitsch, „Mädchen: Mit Gewalt“) nicht sonderlich grün sind…

„Sie reden, als wären Sie von der Polizei!“

Neben dem Kriminalfall behandelt dieser „Tatort“ den Alltag und die Sorgen von Rummelplatz-Schaustellern und -Artisten, was er auch zum Anlass nimmt, die halsbrecherische Motorradschau recht ausgiebig zu zeigen. Aber auch Vorurteile in der Bevölkerung gegenüber diesem Menschenschlag bzw. Berufsbild kommen zur Sprache. Zwischen dem überraschend jungen Chef Mettmann und seinem älteren Angestellten Paco gibt es einiges Kompetenzgerangel und gegenseitige Vorwürfe werden erhoben, den Laden heruntergewirtschaftet zu haben. Haferkamp arbeitet vor seiner Abreise nach Italien eng mit Kreutzer zusammen, wie es angenehmerweise auch in den vorausgegangenen Episoden wieder häufiger der Fall war. Das Ende der einst obligatorischen Gastauftritte anderer „Tatort“-Kommissare symbolisiert gewissermaßen der Umstand, dass der Münchner Veigl zwar von Kreutzer konsultiert wird, man ihn hier aber gar nicht mehr zu Gesicht bekommt: Kreutzer berichtet lediglich vom Telefonat mit ihm.

„Ich belichte und du beschattest!“

Urlaubsstimmung kommt angesichts der Bilder aus Italien auf, wenn Ingrid sich im Bikini zeigt und Paco, nur mit Badehose bekleidet, sie anflirtet. Haferkamp stellt inkognito viele Fragen, sodass Mettmann und Paco ihn zunächst für jemanden von der Konkurrenz halten. Nachdem die Täterfrage fürs Publikum bereits relativ früh geklärt wurde, lebt dieser „Tatort“ von der ungesunden Dynamik zwischen Mettmann und Paco einer- und Haferkamps Suche nach Beweisen – oder Geständnissen – andererseits. Er sät Misstrauen zwischen den Männern, von denen Paco eine neue Nummer plant und sich verdächtigerweise einen Alfa kauft, den er bar zahlt. Bilder einer weiteren Schau, diesmal in Italien, gehen mit einem Unfall einher, den einer der Männer provoziert hat. Diese Actionszenen bilden einen Kontrast zur dialoglastigen Erzählweise, in deren Zuge man die Vergangenheit sowie die aktuelle Beziehung Mettmanns und Pacos zueinander immer besser versteht.

Haferkamps ungewöhnliche Ermittlungsmethoden führen pikanterweise einmal mehr nicht wirklich zum erwünschten Erfolg, denn am Schluss gibt einen weiteren Todesfall zu beklagen. Immerhin konnte er seinen Job mit einem Italienurlaub (auf Staatskosten?) verbinden. Ingrid jedoch hat die Faxen dicke, aus ihrem Streit in den letzten Minuten gehen konkret wie nie zuvor die Scheidungsgründe hervor. Jegliche Sommerstimmung ist am Ende dahin, denn überraschend hart endet dieser ansprechend unterhaltende und mit einem mit viel Machismo ausgestatteten, ordentlich auftrumpfenden Klaus Löwitsch aufwartende Fall, der einmal mehr Haferkamp als recht ambivalente Figur zeichnet.
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Tatort: Münchner Kindl

„Wir haben immer Saison!“

Mit der vierzehnten Episode der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe trat eine neue Ermittlerfigur auf den Plan: der urbayrische Melchior Veigl („O.K.“, „Meister Eder und sein Pumuckl“), verkörpert vom nicht minder bayrischen Gustl Bayrhammer. Selbstbewusst stieg damit der Bayrische Rundfunk in die Gemeinschaftsproduktion ein. Mit der Inszenierung wurde der österreichische Schauspieler und Regisseur Michael Kehlmann („Der Tod des Handlungsreisenden“) betraut, der zusammen mit Carl Merz auch das Drehbuch verfasste. Es handelt sich um die erste von fünf „Tatort“-Inszenierungen Kehlmanns. Die Erstausstrahlung von „Münchner Kindl“ erfolgte am 9. Januar 1972.

„Das ist kein armes Hascherl!“

Der Münchner Oberinspektor Veigl muss in einem Fall von Kindesentführung ermitteln, die von der aus einer Nervenheilanstalt entflohenen Martha Hobiehler (Marianne Nentwich, „Liebelei“) begangen wurde. Diese ist seit einer Traumatisierung von der fixen Idee besessen, ein Kind zu haben. Ihr erstes Entführungsopfer vor ein paar Jahren hatte das Kidnapping nicht überlebt. Zwar wurde nie eindeutig geklärt, ob Hobiehler unmittelbar für den Tod des Kindes verantwortlich war, doch es muss davon ausgegangen werden, dass für ihr aktuelles Opfer, die kleine Ulrike Benssen (Ulrike Fitzthum), ebenfalls Lebensgefahr besteht. Veigl hat Hobiehler im Verdacht, bis jedoch eine Lösegelderpressung bei Ulrikes Eltern für Verwirrung sorgt – zum einen ist der Erpresser männlich, zum anderen passt dieses Verhalten nicht zu Hobiehler…

„Es lebe die Fünf-Tage-Woche!“

Direkt der Auftakt fällt aus der Reihe: Noch vorm Vorspann berichtet der reale Nachrichtensprecher Werner Veigel über Hobiehlers Flucht, was manch Zuschauerin und Zuschauer zunächst für bare Münze genommen und nicht mit dem „Tatort“ in Verbindung gebracht haben dürften. Veigl wird daraufhin als korpulenter Kauz eingeführt, der seinem Dackel Oswald ebenso Bier zu trinken gibt wie seinem Assistenten, Kriminalobermeister Ludwig Lenz (Helmut Fischer, „Monaco Franze – Der ewige Stenz“). Das hat eher komödiantischen Charakter. Parallel lernt man Hobiehler kennen, die sich mit der erstaunlich desinteressiert wirkenden Ulrike auf der Flucht befindet und ihre Bekannte Frieda Klumpe (Louise Martini, „Deep End“) aufsucht. Diese verdingt sich als Prostituierte und hat in Franz Ziehsl (Walter Kohut, „Supermarkt“) eine unsympathische Mischung aus Freund und Zuhälter am Hals. Dieser versucht, Hobiehler ebenfalls zur Prostitution zu überreden, bereitet mit ihr einen Einbruch im Frisiersalon ihres ehemaligen Arbeitgebers vor und führt diesen auch durch – und wittert schließlich ein paar schnelle Mark mehr, indem er Ulrikes Eltern um Lösegeld erpresst.

Die eigentliche Kindesentführung wird erst in einer Rückblende gezeigt. Die Handlung wird vom ungesunden Dreiecksverhältnis zwischen Hobiehler, Klumpe und Ziehsl dominiert, einem Mann, der Frauen verächtlich behandelt und für seine Zwecke auszunutzen versteht. Von der Polizeiarbeit sieht man wenig; Veigl scheint sich mehr für seinen Dackel zu interessieren, mit dem er sogar in einem Bett schläft. Immerhin sucht er einmal Hobiehlers behandelnden Arzt (Hanns Otto Ball, „Rivalen“) auf. Der Fall – einer der wenigen ohne Toten – dümpelt vor sich hin und bleibt ungelöst bzw. löst sich in Wohlgefallen auf, die Polizei ist lediglich Staffage. Veigl hat zwar den richtigen Riecher, bekommt aber nichts so recht auf die Reihe.

Das ist alles ein bisschen arg dünn und unentschlossen für einen Krimi, der mitunter den Anschein erweckt, als eine Art Sozialdrama geplant gewesen und schließlich zugunsten der Etablierung eines neuen „Tatort“-Zweigs umgeschrieben worden zu sein. Immerhin ist er hübsch mit einer recht beweglichen, dynamischen Kamera gefilmt worden. Mitunter wird viel Dialekt gesprochen, der nördlich des Weißwurstäquators zu Verständnisproblemen führen könnte. Göttlich hingegen Helmut Fischers gequälter Gesichtsausdruck, den man anschließend noch in vielen weiteren Veigl-Episoden bewundern durfte.
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Tatort: 3:0 für Veigl

„Man kann einem jeden Menschen seine Worte zerpflücken!“

Nach dem famosen dritten Münchner „Tatort: Tote brauchen keine Wohnung“ aus dem Jahre 1973, der sogleich im Giftschrank des Bayrisches Rundfunks landete, war es am Regie/Drehbuch-Team des Veigl-Erstlings, Michael Kehlmann und Carl Merz, den Auftraggeber wieder versöhnlich zu stimmen. Denn obwohl „3:0 für Veigl“ zu großen Teil bereits 1972 gedreht worden war, erfolgte die überarbeitete Erstausstrahlung des nominell vierten Falls Kriminaloberinspektor Melchior Veigls (Gustl Bayrhammer) erst am 26. Mai 1974. Dazu später mehr.

„Neapel sehen und sterben!“

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland 1974 bedeutet einigen Mehraufwand für die Polizei, weshalb Kriminaloberinspektor Veigl zu seinem Unmut von seinem Vorgesetzten, Kriminalrat Schneehans (Achim Benning, „Der Fall Jägerstätter“), aufgefordert wird, Ermittlungen bezüglich gefälschter WM-Eintrittskarten aufzunehmen. Dabei hat er wesentlich Wichtigeres zu tun: Schwerverbrecher Johann Strasser (Klaus Löwitsch, „Mädchen Mädchen“) gelingt die Flucht, weil seine Frau Helga (Gaby Herbst, „Lumpazivagabundus“) ihm während eines fingierten Scheidungsprozesses eine Waffe zuspielt. In einem anderen Fall zweifelt Veigl an der Darstellung eines Witwers den Selbstmord seiner Frau betreffend. Und dann sind da auch noch die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf zwei Kriminelle, angeblich in einer Notwehrsituation abgefeuert. Wird Veigl dieser Überarbeitung standhalten?

Wie schon bei Veigls Debüt tut sich Regisseur Kehlmann mit dem klassischen Vorspann schwer: Schaltete er damals Nachrichtensprecher Werner Veigel vor, drapiert er hier die ersten Bilder bereits zur noch laufenden Titelmusik Klaus Doldingers. Wir werden Zeuge des Coups der Strassers, von dem der bereits bis zum Hals in Arbeit steckende Veigl noch gar nichts weiß. Beim ersten Gespräch mit Witwer Madlmeier (Karl-Maria Schley, „Der letzte Mann“) deutet ein Dialog darauf hin, dass die Handlung im Jahre 1972 angesiedelt wurde. Kriminaloberwachtmeister Lenz (Helmut Fischer) und Veigl sind sich uneins bei der Beurteilung der Aussagen Madlmeiers, wobei Veigl den richtigen Riecher beweist.

Einen selbstzweckhaften, ausführlich gezeigten lasziven Striptanz in einem Club später taucht Rolf Zacher („Mädchen: mit Gewalt“) wieder einmal in der Rolle eines Halbstarken auf und durch die zunehmende Thematisierung der gefälschten WM-Eintrittskarten wird deutlich, dass der Fall offenbar während der am Ausstrahlungstermin im Mai 1974 noch in der Zukunft liegenden Fußball-WM spielt. Das verwirrt zusätzlich, zumal die Handlung ohnehin erst einmal seltsam unzusammenhängend wirkt. Was war da los?

Der eigentliche Clou dieser Episode dürfte gewesen sein, dass Veigl vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele 1972 kraft seiner Raffinesse und seiner guten Spürnase drei tatsächlich vollkommen unzusammenhängende Fälle löst. Es darf davon ausgegangen werden, dass damit Veigls Debüt, in dem er all dies eher vermissen ließ, kontrastiert und er als ernstzunehmender Ermittler charakterisiert werden sollte. Nach den abscheulichen Mordanschlägen aufs israelische Olympia-Team hielt man die Ausstrahlung jedoch zurück und überarbeitete die Episode grundlegend, um sie nunmehr mit der zwei Jahre später stattfindenden Fußball-WM in Verbindung zu bringen. Dabei rutschte manch Detail (wie o.g. Dialog) durch und da Veigl schließlich auch den Ticketfälschern auf die Schliche kommt, ist sogar der Titel irreführend: Eigentlich steht’s am Ende 4:0 für ihn.

Nun ist ein bayrischer Bulle, der wie im Vorbeigehen innerhalb von rund 80 Minuten gleich vier Fälle löst, nicht sonderlich aufregend, da er wie ein halber Supermann wirkt, dem ohnehin niemand etwas anhaben kann. Die Vielzahl der Fälle mitsamt ihrer Motive und Figuren werden zudem in derart kurzer Zeit abgehandelt, dass das Ergebnis auch ohne nachträgliche Umgestaltung und die damit einhergehenden Verwirrungen eher konfus gewirkt hätte. Höhepunkt der Handlung ist die Überführung eines Killercops durch Veigl. Ausländische Nebenrollen aus kleinkriminellen Milieus wirken hingegen wie Schießbudenfiguren und werden mal mehr, mal weniger der Lächerlichkeit preisgegeben. Kurioserweise wirkt „3:0 für Veigl“ trotz seiner hohen Schlagzahl an Ereignissen betulich erzählt und erinnert zuweilen eher an einen Schwank denn an einen Krimi. Einer der Gründe hierfür ist, dass die einzelnen Fälle kaum Zeit zur Entfaltung haben und das Publikum somit nicht recht packen können.

Dank des Charismas der Hauptbesetzung ist die Episode leidlich unterhaltsam, zudem wird Veigls Dackel Oswald, der bei der Überführung eines Täters tatkräftig unterstützen darf (Kommissar Rex‘ Vorläufer?) niedlich in Szene gesetzt. Die augenzwinkernde Schlusspointe gefällt und unterstreicht den Eindruck, dass „3:0 für Veigl“ durchaus seinen süddeutschen Charme besitzt, aber – ohne eine Komödie zu sein – zu selten ernstzunehmen ist.

Die Produktionsbedingungen sowie der Umstand, dass diese Episode als erster ein reales aktuelles Ereignis thematisierender und sogar in der Zukunft spielender „Tatort“ gilt, machen ihn indes auch historisch interessant.
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Columbo: Mord in der Botschaft

„Er ist tot.“ – „Sehr gut.“

Die zweite Episode der fünften Staffel der US-TV-Krimireihe „Columbo“, deren Alleinstellungsmerkmal der Whodunit?-Verzicht ist, entstand unter der Regie des Kinoregisseurs Ted Posts („Calahan“, „The Baby“), der ein Drehbuch Lou Shaws nach einer Idee James Menzies‘ inszenierte. Es handelt sich um Posts erste von zwei „Columbo“-Regiearbeiten. Erstausgestrahlt wurde „Mord in der Botschaft“ am 12. Oktober 1975.

„Panik ist nur etwas für Verlierer. Sie führt dich in die Niederlage.“

Hassan Salah (Hector Elizondo, „Jede Stimme zählt“), erster Sekretär der US-Botschaft des (fiktionalen) arabischen Königreichs Suari, ermordet mit seinem Komplizen Rachman Habib (Sal Mineo, „...denn sie wissen nicht, was sie tun“) den Sicherheitschef der Botschaft. Er möchte damit unter anderem die Öffnung Suaris für liberalere Ideen durch den jungen König Hamid Kamal (Barry Robins, „Denkt bloß nicht, daß wir heulen“) sabotieren. Den Mord versucht er den Studierenden, die unablässig für König Kamal und dessen Reformationskurs vor der Botschaft demonstrieren, in die Schuhe zu schieben. Inspektor Columbo (Peter Falk) muss nun gewissermaßen auf fremdem Staatsgebiet ermitteln und zudem die Immunität des Täters knacken – kein einfaches Unterfangen; entsprechend selbstsicher tritt Salah auf. Wie wird Columbo ihm beikommen?

„Und Sie vermuten...?“ – „Mord!“

Im Prolog sprechen die Araber deutsch mit leichtem Akzent miteinander, zumindest in der deutschen Synchronisation. Das würde man heutzutage vermutlich eher anders lösen, vornehmlich mit Untertiteln. Um den (falschen) Eindruck eines schlurfigen, etwas einfältigen Ermittlers zu erwecken, der den Tätern nichts anhaben kann, erscheint Columbo zu spät zur Sitzung beim Commissioner, wo er zudem gar nicht erwartet wird. Denn die Täter sind ebenfalls anwesend – und Columbo geht direkt allen auf die Nerven. Der Mord indes wird erst hinterher gemeldet. Columbo schlussfolgert rasch logisch, dass der Sicherheitschef von einem Vertrauten ermordet wurde. Täter Salah gegenüber stapelt er tief, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Salah entledigt sich im weiteren Verlauf auch noch seines Komplizen, den er unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angeheuert hatte. Er lässt es wie einen Verkehrsunfall aussehen und hat gegenüber Columbo auf alles eine Antwort.

„Das ist keine Gerechtigkeit, das ist Barbarei!“

Eine harte Nuss also und somit beste Voraussetzung für einen spannenden „Columbo“-Fall mit ihren bewährten Zutaten. In eine der Studentendemos mischt sich Columbo und gelangt so im lockeren Gespräch an weitere Informationen. Daraus speist sich der vielen Episoden immanente Humor ebenso wie aus der permanenten Gefahr, der Inspektor könnte die in der Botschaft verteilten, teuren antiken Vasen anrempeln und zerstören, sowie aus seinem unwissentlichen kulinarischen Schnecken-„Genuss“. Dafür findet er jeden Fehler im Detail, bis er schließlich in die erwarteten diplomatischen Verstrickungen gerät. Auch nach seiner Überführung wähnt sich Salah aufgrund seiner Immunität auf der sicheren Seite, weshalb es ihm – verglichen mit anderen Tätern – umso leichter fällt, stets die Contenance zu wahren und bis zuletzt beim Kaffeekränzchen dem Inspektor gegenüber keinerlei Nerven zu zeigen.

Dieses gewohnt reizvolle Ping-Pong-Spiel geht für Salah erst ganz am Schluss verloren. Mit List und durch die Kooperation mit dem König gelingt es Columbo, dass Salah seine Maske fallenlässt. Das sind unterhaltsame und sorgfältig durchdachte rund 70 Minuten Krimiunterhaltung. Etwas eigenartig muten jedoch die Demonstrationen an: Fortschrittliche Studierende, die für einen König auf die Straße gehen? Gut, die Proteste richten sich gegen die reaktionären suarischen Staatsdiener. Dennoch ein etwas schräges Bild. „Mord in der Botschaft“ nutzt politische (und mörderische) Gepflogenheiten manch realen arabischen Staats als Inspirationsquelle und streift zumindest kurz die Verwicklungen der USA mit dem nahen (aus US-Perspektive: mittleren) Osten, fällt letztlich aber Monarchie-systemerhaltend aus. Das ist etwas schade, denn da wäre ebenso mehr drin gewesen wie die Möglichkeiten für Kultur-Clash-Situationen gern noch etwas weiter ausgeschöpft hätten werden dürfen.
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Conan – Der Barbar

„Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“ -- Friedrich Nietzsche

Die archaische Figur Conan entspringt der Feder des US-amerikanischen Pulp-Fantasy-Autors Robert E. Howard, der 17 Kurzgeschichten mit Conans von uralten Sagen und Epen inspirierten Sword-&-Sorcery-Abenteuern veröffentlichte und zugleich ein Franchise schuf, das weitere Geschichten anderer Autoren, Comics und im Jahre 1982 einen ersten Kinofilm hervorbrachte.

„Was ist für einen Mann das Schönste im Leben?“ – „Zu kämpfen mit dem Feind, ihn zu verfolgen und zu vernichten und sich zu erfreuen an dem Geschrei der Weiber!“

Dieser kam 1982 in die Lichtspielhäuser, war jedoch schon seit den 1970ern geplant. Drehbuchautor Oliver Stone hatte die Vision eines mehrteiligen Epos, fand aber keine interessierten und entsprechend solventen Produzenten. Als das Projekt erneut aufgegriffen wurde, dampfte John Milius („Tag der Entscheidung“) Stones Drehbuch zu einer Rumpffassung ein und nahm auch auf dem Regiestuhl platz. Das Ergebnis ist ein Kassenknüller und Kultfilm für viele, Edeltrash oder faschistoide Zelluloidverschwendung jedoch für ebenfalls nicht wenige.

„Kennst du das Geheimnis des Stahls?"

Das „hyborische Zeitalter“: Der kleine Conan (Jorge Sanz, „Dos y dos, cinco“) muss mitansehen, wie der böse Kriegsherr Thulsa Doom (James Earl Jones, „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“) das Dorf, in dem er mit seinen Eltern lebt, dem Erdboden gleichmacht und alle erwachsenen Bewohnerinnen und Bewohner kaltblütig ermordet. Zuvor eröffnete der Film mit obigem Nietzsche-Zitat und zeigte Bilder vom Schmieden eines Schwerts, begleitet von einem übertrieben pathetischen Off-Erzähler mit reichlich Hall auf der Stimme. Dieser wird sich im weiteren Verlauf als einer von Conans Untergebenen nach dessen Barbarwerdung herausstellen. Noch im Eröffnungsmonolog wurde ein Plädoyer gegen Vertrauen und für Gewalt gegenüber dem kleinen Conan ausgesprochen, das in der folgenden Schlachtsequenz bestätigt wird. Conans Vater (William Smith, „Boss Nigger“) wird von Hunden gefressen, seine Mutter (Nadiuska, „Guayana – Kult der Verdammten“) (die ich zunächst für seine große Schwester hielt…) hypnotisiert und enthauptet – wie fies! Dooms Krieger nehmen Conan mit und versklaven ihn zu einem monotonen Job, der aber ordentlich Muckis bringt.

„Willst du ewig leben?“

Nun übernimmt der österreichische Bodybuilding-Weltmeister Arnold Schwarzenegger, der damals noch am Anfang seiner Filmkarriere stand, von Sanz und mimt Conan als jungen Mann. Er wird an einen neuen Besitzer (Luis Barboo, „Reise zur Insel des Grauens“) verschachert und muss von nun an regelmäßig als Gladiator um sein Leben kämpfen. Doch was ihn nicht umbringt, härtet ihn ab und so wird er stärker und stärker. Eines Tages lässt sein Besitzer ihn frei – und das Unheil nimmt seinen Lauf…

„Die Macht und die Kraft des Fleisches!“

In seinem Sinnen nach Rache an Thulsa Doom besucht er eine Frau (Cassandra Gava, „Night Shift – Das Leichenhaus flippt völlig aus“), die sich nur kriechend fortbewegt und ihre Infos über irgendein Schild nur gegen Sex herausrückt. Dabei verwandelt sie sich und er wirft sie ins Kaminfeuer – ein echter „What the fuck?!“-Moment im wahrsten Sinne des Wortes. Dann lernt er den Dieb Subotai (Gerry Lopez, „Tag der Entscheidung“) kennen und liefert sich mit ihm eine Art Schwanzvergleich dahingehend, wer an den stärkeren Gott glaubt. Subotai schließt sich Conan auf der Suche nach Doom an, in deren Verlauf Conan ein Kamel umboxt und er zusammen mit seinem Hiwi ein seltenes Exemplar einer Riesenschlange massakriert sowie ein Blutbad in einer fremden Glaubensgemeinschaft anrichtet. Dieser Film verkauft einem also tatsächlich einen brutalen Mörder als Identifikationsfigur.

Conan wird selbst zum Dieb, lacht sich die Blondine Valeria (Sandahl Bergman, „Xanadu“) an, landet mit dem Kopf im Müsli und wird verhaftet. Man führt das Trio einem alten zauseligen König (Max von Sydow, „Der Exorzist“) zu, der es beauftragt, seine Tochter Thulsa Doom zu entreißen und sie zu ihm zu bringen. Doch als Valeria eine feste Beziehung will, lässt Hallodri Conan sie sitzen. Auf dem weiteren Weg zu Herrn Doom lernt Conan den Erzähler, Zauberer Akiro (Mako, „Insel am Ende der Welt“), kennen. Mit seinen langen Haaren und den Blumen sieht Conan plötzlich aus wie auf dem Weg nach Woodstock. Trotzdem ermordet er einen arglosen Priester (Jack Taylor, „Nachts, wenn Dracula erwacht“). Conan wird erwischt, aber am Leben gelassen – ein Fehler, wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird. Zugedröhnt pennend, wird er von seinem Kumpel Akiro angemalt. Seine aufdringliche Blondine ist auch wieder zugegen. Gemeinsam dringen sie in den Wellness-Bereich des Schlangenvolks ein, begehen Vandalismus und meucheln brutal Gäste und Angestellte dahin. Herr Doom verwandelt sich in eine Schlange und Valeria scheidet wortreich dahin. Zu zweit kämpft man nun im Finale gegen eine ganze Armee, bis – Abteilung Megakitsch – Valeria aus dem Totenreich zur Hilfe eilt. Einen brutalen, aber irgendwie auch ergreifenden, nach allen Regeln der Kunst durchästhetisierten Showdown später setzt er zu allem Überfluss auch noch den schönen sakralen Bau in Brand – wie auch immer das mit einer hochgeworfenen Feuerschale gelingt. Der Epilog wird dann nur noch als Texttafel verlesen.

Ja, „Conan – Der Barbar“ setzte Maßstäbe, nicht zuletzt durch den unablässig dudelnden Bombastklassik- und Mittelalterfolklore-Soundtrack Basil Poledouris‘, der zwischenzeitlich tatsächlich einige Höhepunkte offenbart. Am lausigen Drehbuch hingegen kann’s nicht gelegen haben. Ich kenne weder Howards Originalgeschichten noch wären mir – obwohl als Kind wirklich Comic-Allesleser – jemals Conan-Comics vor die Linse gekommen. Ich kann mir aber nur schwer vorstellen, dass diese ähnlich stumpfsinnig sind wie das, was der bekennende Rechtsextremist Milius aus Stones Entwürfen destilliert hat. Die Fantasiewelt wirkt trotz aller fantastischen Elemente zu simplizistisch, da sie klar umrissen in Gut und Böse aufgeteilt wird. „Gut“ soll dabei Conan sein, schließlich haben die anderen angefangen. Handlung und Verlauf sind vorhersehbar, die Romanze ist lachhaft und die spärlichen Dialoge wirken, als habe sie ein echter Barbar an Höhlenwände geklöppelt. Conans Verhalten und Taten werden in keiner Weise reflektiert, was in Kombination mit Milius‘ Weltanschauung tatsächlich zu einigem Unbehagen führt – zumindest bei politisch halbwegs wachen Geistern. Ok, es ist Low Fantasy, bei der es sich verbietet, allzu starke Parallelen zur Realität zu ziehen. Auch sollte nicht krampfhaft nach Subtexten gesucht werden – vermutlich weiß Milius nicht einmal, was ein Subtext ist. Beim Großteil des Publikums hängengeblieben sein dürfte in erster Linie: Ein österreichischer Anabolika-Bomber stapft als Barbar verkleidet homoerotisch in Fellunterhose und mit Schwert durch ein kitschiges Fantasy-Setting – und tritt damit das vielleicht bescheuertste Fantasyfilm-Subgenre los.

Milius versuchte offenbar, eine epische Atmosphäre zu erzwingen, was dem Film jedoch ein derart dröges Erzähltempo angedeihen ließ, dass einem schon mal die Augen zufallen können. Das wirkt alles derart pseudobedeutungsschwanger getragen, dass ich bei der Erstsichtung tatsächlich weggeschlummert bin. Für Abwechslung sorgen ein paar nackige Mädels, die durchs Bild springen, und ein Rotfilter, der bei einigen Szenen zum Einsatz kommt. Einen gewissen Respekt muss man sicherlich den Szenenbildnerinnen und -bildnern zollen, die in Verbindung mit der gelungenen Kameraarbeit einige für sich genommen starke Bilder erzeugten. Geärgert haben sich indes manche Conan-Leserinnen und -Leser darüber, dass die Figur Thulsa Doom nicht nur aus Howards Kull-Universum mir nichts, dir nichts für die Conan-Welt adaptiert wurde, sondern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde, während man Thoth-Amon, eigentlicher Schlangenkult-Führer, links liegen ließ. Das Gros jedoch dürfte Conan erst durch diesen Film kennengelernt haben. Er wurde zur Blaupause für zugebenermaßen mithin sehr spaßig-debile Epigonen sowie zur Inspirationsquelle für manch Epic-Metal-Band, was manch weitere schwere Geschmacksverirrung hervorbrachte, mitunter aber auch zu erstaunlichen musikalisch-emotionalem Tiefgang beflügelte. Die Faszination für diesen Film und seine Darstellung eines hyper„männlichen“ Kriegers blieb mir jedoch zeitlebens fremd. Offenbar hat sich mir „das Geheimnis des Stahls“ nie wirklich erschlossen…

Regisseur Milius ließ sich weiter von seiner Gesinnung leiten, indem zwei Jahre später noch den plump antisozialistischen Propaganda-Streifen „Die rote Flut“ schrieb und inszenierte, bevor er weitestgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Bereits mit der Fortsetzung „Conan – Der Zerstörer“ hatte er nichts mehr zu tun. Die Fortsetzung „Conan – Dem alles ganz schrecklich leidtut und der sich um Wiedergutmachung bemüht“ wurde leider nie realisiert.
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Nur eine Frau

„Willkommen in Deutschland!“

Im Jahre 2005 wurde die junge deutsch-kurdische Berlinerin Hatun Aynur Sürücü kaltblütig von ihrem jüngsten Bruder erschossen, weil sie ein eigenständiges Leben führte, das sich nicht mit dem rückständig patriarchalen, religiös verquasten Weltbild und dem Lebenswandel ihrer Familie und deren Unkultur vereinbaren ließ. Bei dieser Tat handelte es sich um das, was gemeinhin unangebracht euphemistisch als „Ehrenmord“ bezeichnet wird.

„Er schlägt sie, weil er sie liebt!“

Das Drama „Nur eine Frau“ aus dem Jahre 2019 erzählt Hatuns Leben aus ihrer Perspektive nach. Florian Oellers Drehbuch basiert sowohl auf Matthias Deiß‘ und Jo Golls Sachbuch „Ehrenmord: Ein deutsches Schicksal“ als auch auf Aussagen von Zeuginnen und Zeugen und den Gerichtsakten. Mit der Inszenierung wurde Sherry Hormann („Vermisst in Berlin“) betraut, die Rolle Aynurs bekleidet Almila Bağrıaçık („Unschuldig“). Eher lose fußt auch der mit Sibel Kekilli gedrehte Spielfilm „Die Fremde“ aus dem Jahre 2010 auf diesem Verbrechen.

„Nimm dich in Acht vor Frauen. Du kannst ihnen einfach nicht trauen!“

Die ersten Bilder zeigen eine auf einem Berliner Gehweg liegende, mit einem Tuch bedeckte Leiche. Aus dem Off sprechend gibt sich die Tote zu erkennen: „Das bin ich. Mein Bruder hat mich erschossen.“ Beim eigentlichen Film, der die Ereignisse bis zu diesem Ausgangspunkt zeigt, handelt es sich also im Prinzip um eine ausgedehnte Analepse. Aynur wird in eine streng religiöse, patriarchale und frauenfeindliche kurdischstämmige Familie in West-Berlin hineingeboren, die in den 1970ern aus Ostanatolien übergesiedelt war. Mit gerade einmal 16 Jahren wird sie mit ihrem Cousin Ismail in Istanbul zwangsverheiratet, von dem sie bald schwanger wird. Dort hält sie es jedoch u.a. aufgrund dessen Gewalttätigkeit nicht mehr aus und geht nach Berlin zurück, wo sie ihren Sohn Can zur Welt bringt. Mit ihren Schwestern müssen sie und ihr schreiendes Baby sich ein enges Zimmer teilen. Sinan (Mehmet Atesci, „Das Verschwinden“), einer ihrer Brüder, missbraucht sie sexuell. Die innerfamiliäre Zwangsheirat und der sexuelle Missbrauch nähren den Verdacht, dass es sich möglicherweise um eine durch Inzucht in Teilen genetisch degenerierte Familie handelt.

„Meine Haare und ich – wir sind Terror!“

Schließlich zieht Aynur in ein Wohnheim für junge Mütter, woraufhin ihre Mutter (Meral Perin, „Die Informantin“) ausrastet. Sie drückt die Schulbank, geht nebenbei arbeiten und bringt ihrer Familie „neue Schande“, weil sie ausgeht und tanzt – und ihr Kopftuch endlich ablegt. Islamistische Prediger kolportieren derweil unbehelligt ihre Hassbotschaften in der Moschee. Aynurs Familie macht sich ins Hemd, weil „alle anderen“ über sie reden würden… Im Jahre 2001 starten ihre Brüder Telefonterror, ihre Eltern haben sich ebenfalls von ihr abgewandt. Aynur lässt sich davon nicht unterkriegen und wird Elektroinstallateurin. In Tim (Jacob Matschenz, „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“) lernt sie einen netten jungen Mann kennen und lieben, mit dem sie eine Beziehung eingeht. Ab dieser Stelle wird unvermittelt authentisches dokumentarisches Material in Form von Privatvideos und Fotos in den Film eingewoben, was den gefühlten Realismus des großartig geschauspielerten Gezeigten weiter erhöht.

„Alles Ungläubige. Wir dürfen sie alle töten!“

Leider erträgt Tim den Terror Aynurs Familie gegen ihr Liebesglück nicht mehr und beendet die Beziehung. Daraufhin bricht Aynur ihrerseits mit ihrer Familie, woraufhin diese sich ihr wieder annähert. Ihre Brüder hassen sie aber weiterhin und sprechen mittlerweile sogar Morddrohungen aus. Einzige Stütze ist ihr ältester, abtrünniger Bruder, der das Glück hat, keine Frau zu sein und deshalb nicht zur Projektionsfläche des Hasses seiner Familie wird. Aynurs späterer Mörder Nuri (Rauand Taleb, „Asphaltgorillas“) erscheint auf Cans Geburtstag, geht aber gleich wieder, weil er den Anblick einer fröhlichen Feier nicht erträgt. Aynur fasst noch den Entschluss, nun tatsächlich von Berlin nach Freiburg zu ziehen, doch dazu kommt es nicht mehr.

„Ich rede, ich lache, ich ficke mit wem und wann ich will!“

Datums- und Namenseinblendungen helfen bei der Orientierung und unterstreichen den dokumentarischen Charakter des Films, der durch die integrierten authentischen Aufnahmen gewonnen wird. Das Bundeskriminalamt arbeitet mit einer Art Checkliste für „Ehrenmorde“, die einzelnen Punkte werden mittels Texttafeln aufgeführt. Die Durchnummerierung macht das Ganze zu einer Art perverser Nummernrevue. Ausländische Dialoge wurden zumindest in meiner Fassung leider nicht untertitelt, was schade ist. Details aus dem Gerichtsprozess werden genannt und die Folgen dieser Untat genau aufgedröselt. Nuris islamisierte Freundin Evin (Lara Aylin Winkler, „Rate Your Date“) wird unter Druck gesetzt und zu Falschaussagen gedrängt; mittels Lügengebilden ist die Familie also um Schadensbegrenzung bemüht – ein weiteres Indiz für ihr komplett rückgratloses Verhalten. Niemand aus der Familie trauert, Evin und ihre Mutter müssen schließlich ins Zeugenschutzprogramm. Der im Nachhinein größte Erfolg: Aynurs Sohn Can kommt in eine Pflegefamilie, ihre Familie erhält keinen Zugriff auf ihn.

In entscheidenden Punkten hat die Rechtsprechung aber versagt: Der Film zeigt eindeutig, dass Nuri keinesfalls im Alleingang gehandelt hat, sondern von seinen Brüdern und Eltern zur Tat gedrängt wurde. Und auch, als Aynur noch am Leben war, waren ihr die deutschen Behörden trotz ihrer Hilferufe kaum eine Hilfe. „Nur eine Frau“ setzt sich glücklicherweise nie dem Verdacht ausländerfeindlicher Ressentiments aus, da er zwischen den verschiedenen Muslimen differenziert. Dieser Film zeigt Aynur als die starke, lebenslustige, selbstbewusste und mutige Frau, die sie war, und gibt ihr ihre Stimme zurück, die ihr ihre Familie mit dem Mord nahm. Er rekapituliert Aynurs steinigen Weg der Emanzipation und porträtiert ihre Nemesis, das religiös verbrämte, gewalttätige Patriarchat ihrer Familie und deren Kulturkreises, in dem unterdrückerische Tradition als wichtiger erachtet wird als Familienbande.

Zweifelsohne finden Morde innerhalb von Familien und Beziehungen, Femizide und ähnliche Abartigkeiten auch im hiesigen Kulturkreis statt, häufig ist dann die Rede von einer „Familientragödie“. Vergleiche hinken, sind aber dennoch angebracht – und sei es, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede differenziert herauszuarbeiten, um bessere Prävention und Opferschutz betreiben zu können. Dies ist bitter nötig, denn, darf man den Zahlen Glauben schenken, wird in Deutschland alle zwei bis drei Tage eine Frau von einem Mann ermordet. „Nur eine Frau“ macht unheimlich wütend – hoffentlich nicht nur auf Islamisten, sondern aufs ganze Patriarchat.

Meine einzige Befürchtung in Bezug auf die Filmrezeption ist, dass eben diese Klientel die Darstellung des Verhaltens Aynurs Brüder auch noch feiern und sich zum Vorbild nehmen könnte. Dabei gibt es keine Ehre im Mord, die Täter sind komplett ehrlose Kreaturen – Aynur hingegen eine im Kampf gestorbene Heldin. Zudem sind solche Taten Wasser auf die Mühlen Rechtsradikaler, wofür es gleich noch ein paar Ewigkeiten mehr in der Hölle für Nuri und seine Sippschaft gibt.
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Tatort: rot.. rot.. tot

„Bis dass der Tod euch scheidet…“

Der am Neujahrstag des Jahres 1978 erstausgestrahlte „Tatort: rot.. rot.. tot“, der achte Fall des schwäbischen Kriminalhauptkommissars Lutz (Werner Schumacher), entstand nach einem Drehbuch Karl Heinz Willschreis unter der Regie Theo Mezgers, der beinahe alle Lutz-Episoden inszenierte.

„Musst du dir beweisen, dass du eine Frau bist?“

Konrad Pfandler (Curd Jürgens, „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“), ein wohlsituierter Versicherungsmathematiker, lebt mit seinem Sohn Uwe (Christian Berkel, „Der Mädchenkrieg“) und seiner zweiten Ehefrau Julia (Renate Schroeter, „Tatort: Taxi nach Leipzig“) auf dem vornehmen Stuttgarter Killesberg. Und er leidet: Seine Frau, eine deutlich jüngere Füchsin, stürzt sich mit Vorliebe ins Nachtleben und betrügt Konrad mit zahlreichen anderen Männern, woraus sie nicht einmal einen Hehl macht. Sein Sohn hingegen scheint des Lebens eher überdrüssig und ertränkt seine Gefühlswelt in Alkohol. Eines Tages reicht es Konrad und er beschließt, Julia umzubringen. Um es wie die Tat eines Serienmörders aussehen zu lassen, der es ausschließlich auf Rothaarige abgesehen hat, wird er zum Serienmörder, der in kurzen Zeitabständen zunächst zwei vollkommen unschuldige Rothaarige ermordet. Dann geht es Julia an den Kragen. Kommissar Lutz fehlt derweil lange der richtige Zugang zu dieser Mordserie…

„Wir müssen jeder Spur nachgehen!“

Der erste Mord wird gar nicht erst gezeigt, der zweite auch nicht, das daraus resultierende Whodunit? ist jedoch höchstens halbgar: Alles spricht für Konrad als Täter, der es dann frei jeglichen Plottwists auch einfach mal ist. Immerhin darf man eine Weile hinsichtlich seines Motivs im Dunkeln tappen. Dies ist jedoch auch dem idiotischen Plan des ach so manierlichen und intelligenten Konrads geschuldet, auf den man erst einmal kommen muss. In Sachen Idiotie steht ihm die Polizei indes in nicht allzu viel nach, denn obwohl beide Mordopfer aus seinem Umfeld stammen – die Friseurin der Frau seines bestens Freundes, die am selben Tag in dessen Wohnung war wie er, und die Freundin seines Sohns (!) –, tappt Kommissar Lutz so lange im Dunkeln, dass er auch den Mord an Julia letztlich nicht zu verhindern imstande ist.

„Du warst immer so klug…“

Immerhin findet dieser Mord einmal onscreen statt. Zuvor und im Anschluss jedoch ist die Handlung derart dröge und tempoarm inszeniert, dass sie manch Vorurteil gegenüber alten deutschen TV-Krimis bedient. Und statt sich näher mit der Täterpsychologie auseinanderzusetzen, wird Konrad ausgiebig beim Klavierspielen gezeigt. Immerhin beherrscht er dies virtuos. Die Polizei rennt nur hinterher und kommt überall zu spät, bezeichnenderweise sogar ganz am Schluss, als der Täter endlich überführt ist. Punkten kann diese Episode mit Curd Jürgens‘ Schauspiel, der immerhin viel in Konrads Mimik legt, und dem Nihilismus des Sohns Uwe, aus dem man jedoch weit mehr hätte machen können. Was offenbar als Abgesang auf ein alterndes, langweilendes Bildungsbürgertum konzipiert war, wurde ein mindestens ebenso hüftsteif wie sein Antagonist anmutendes Fernsehspiel, das zudem leider dessen Virtuosität auf jeglicher Klaviatur vermissen lässt.

Am Ende dürfte im Publikum Verständnis für Julias Verhalten entstanden sein: Wäre ich mit jemanden verheiratet, der oder die, nur um sich an mir zu rächen, auch über ganz andere Leichen gehen und sogar eiskalt die Freundin seines oder ihres Sohns ermorden würde, würde ich auch lieber jemand anderes vögeln. De facto wird natürlich eine gewisse Mitschuld Julias suggeriert, immerhin vollzieht sie keine klare Trennung und lässt sich weiter von Konrad aushalten – obwohl sie offenkundig nichts mehr für ihn empfindet, bzw. wenn überhaupt, dann Verachtung.

Dass ausgerechnet dieser „Tatort“ mit seinem eigenwilligen Titel den Zuschauerrekord bei der Erstausstrahlung hält, ist vielleicht das größte Kuriosum dieses Falls, das auch Lutz nicht lösen konnte…
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Suicide Squad

„Ich bekämpfe Feuer mit Feuer!“

Als dritter Spielfilm des auf Comicfiguren aus dem DC-Verlag basierenden, US-amerikanischen DC Extended Universe kam im Jahre 2016 „Suicide Squad“ in die Kinos. Mit Drehbuch und Regie wurde zwar David Ayer („End of Watch“) betraut, doch man munkelt, dass das Produktionsstudio Ayers Arbeit erschwert habe, indem es während der Dreharbeiten konzeptionelle Änderungen durchgesetzt habe, um die Ausrichtung und Stimmung des Films zu korrigieren. Tatsächlich kam es zu Nachdrehs. Was genau sich hinter den Kulissen abspielte, weiß ich jedoch nicht und kann daher auch nicht beurteilen, inwieweit es dem fertigen Film schadete oder vielleicht auch guttat. Die etablierte Filmkritik jedenfalls war vom Ergebnis wenig begeistert, das Publikum ist sich uneins.

„Psychotische asoziale Freaks!“

Die für die US-Regierung arbeitende Agentin Amanda Waller (Viola Davis, „Blackhat“) sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert, zerstörungswütige übernatürliche Wesen zu bekämpfen, weshalb sie eine ganz besondere Einsatztruppe, bestehend aus inhaftierten Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrechern, zusammenstellt. Diese versucht sie mit einem Implantat in Schach zu halten, das ihnen im Zweifelsfall den Kopf wegsprengt. Dieses De-facto-Selbstmordkommando, „Suicide Squad“, wird vom Soldaten Rick Flag (Joel Kinnaman, „Verblendung“) angeführt und besteht aus der soziopathischen Gespielin des Jokers, Harley Quinn (Margot Robbie, „The Wolf of Wall Street“), dem Auftragsmörder Deadshot (Will Smith, „Men in Black“), dem Feuermacher Diabolo (Jay Hernandez, „Hostel“), dem reptiloiden Killer Croc (Adewale Akinnuoye-Agbaje, „Annie“), dem australischen Dieb Bumerangwerfer Boomerang (Jai Courtney, „Man Down“) und dem Söldner Slipknot (Adam Beach, „Diablo“). Die japanische Schwertkämpferin Katana (Karen Fukuhara, „The Boys“) ist zu Flags Schutz abbestellt. Der konkrete Auftrag lautet, Incubus aufzuhalten, den Bruder der Enchantress, einer uralten Hexe, deren Geist sich im Körper der mit Flag liierten Archäologin Dr. June Moone (Cara Delevingne, „Margos Spuren“) befindet und über deren Herz eigentlich Wallers mittel einer Bombe wacht. Dennoch gelang es der Enchantress mit ihren Gehilfen, Incubus heraufzubeschwören. Dass ihr eigenes Überleben nicht unbedingt Teil des Plans ist, wird den Mitgliedern dieser Spezialeinheit bald klar, weshalb ihr Interesse, die Mission regierungstreu zu absolvieren, eher überschaubar ist. Seine Renitenz bezahlt Slipknot mit seinem Leben, Harley jedoch gelingt mithilfe des Jokers (Jared Leto, „Durchgeknallt“) die Flucht. Als Enchantress‘ Gehilfen Waller in ihre Gewalt bringen, bleibt Flag nichts anderes übrig, als das Squad von ihrem Auftrag zu entbinden…

„Wir sind die Bösen, wir tun so was nun mal!“

Die Detective Comics aus dem Superman- und Batman-Multiversum hatten schon immer en Herz für Außenseiter und Antihelden. Dies kulminierte 1987 im Start der „Suicide Squad“-Comicreihe, die ich wiederum nie gelesen habe. Im Gegensatz zu manch Comic-Nerd konnte ich also weitestgehend unvoreingenommen an diesen Film herangehen. Um einen Teil des Fazits vorwegzunehmen: „Suicide Squad“ ist weder der erhoffte Kult-Überflieger, noch die bodenlose Enttäuschung, zu der der Film häufig schlechtgeredet wurde.

„Normal ist 'ne Einstellung am Wäschetrockner!“

Die Einzelvorstellungen der Figuren inklusive Informationstexttafeln und Rückblenden sind kleine Porträts dieser illustren Truppe, die Lust auf das Geschehen machen. Dass auch in Brutalität mündender Machtmissbrauch von Gefängnisschließern thematisiert wird, ist ein Indiz für das soziale Gewissen des Films (bzw. seiner Macherinnen und Macher) und zeigt zudem, dass diese Verbrecher hier nicht nur Täter sind, sondern auch zu Opfern werden. Star des Films ist zweifelsohne der von Margot Robbie zum Niederknien verkörperte, fast schon fetischierte Fan-Liebling Harley Quinn, weshalb sich weitere Rückblenden stark auf ihre Entwicklung zu dem, was sie jetzt ist, konzentrieren. Der Joker kommt nur am Rande vor, doch seine gemeinsamen Szenen mit Harley sind auf eine wunderbar bizarre Weise romantisch. All diese Rückblenden bleiben elementarer Bestandteil des Films: Eine späte, leider etwas unspektakuläre Rückblende erklärt, wie die Enchantress überhaupt entkommen konnte, eine weitere erzählt Mr. Diablos Lebenslauf. Das stört so lange den Erzählfluss der eigentlichen Handlung, bis einem bewusst wird, dass diese eher Stichwortgeberin für die persönlichen Geschichten der Figuren und am Ende nicht einmal sonderlich erinnerungswürdig ist.

„Dieser Scheiß wird wie ein Kapitel in der Bibel sein!“

Wünschenswert wäre gewesen, dass all die Rückblenden sich jeweils in irgendetwas gegenseitig übertrumpfen, die Königsdisziplin gar, darüber hinaus auch noch eine wirklich überlebensgroße Haupthandlung zu erzählen, die sich im Langzeitgedächtnis als wirklich krasser Scheiß festsetzt. Immerhin verschwimmen jedoch die Grenzen zwischen Gut und Böse so, wie es sich für einen Film mit dieser Exposition gehört, und bekommt man sehr viel heftige Action geboten, die wiederum leider auch mit viel CGI einhergeht. Dennoch: An Kawumm mangelt es hier nicht. Letos Joker-Interpretation ist toll, Wünsche der Squad-Mitglieder werden visualisiert (was indes zu weiteren von der Haupthandlung losgelösten Szenen führt); ihre Interaktionen und Dialoge miteinander sind so lange unterhaltsam skurril und lakonisch, bis sich etwas dick aufgetragene Sentimentalitäten Bahn brechen.

Dies führt mich zum zweiten größeren Kritikpunkt: Bei allem Potential wirkt „Suicide Squad“ letztlich etwas zu zahm, allen voran der von Smith verkörperte Deadshot zu lieb und nett. Möglicherweise ist dies der PG-13-Freigabe geschuldet, eventuell mussten hier Zugeständnisse gemacht werden. Das ist Spekulation, aber eben auch symptomatisch für diesen Film, eine Art in der düsteren Metropole Gotham City angesiedelte Film-noir-Actionkomödie, an der ich mehr Spaß habe als mit dem üblichen Superhelden- und Action-Schmonzes, die etwaige hohe Erwartungshaltungen aber eben auch unterläuft. Der mit zahlreichen Hardrock- und Hip-Hop-Stücken angereicherte Soundtrack macht ebenfalls Laune, lässt aber größere Überraschungen, die man fortan sofort mit diesem Film assoziiert hätte, vermissen.

Ein schönes Detail ist der Kurzauftritt Bruce Waynes, der mit Waller über die Gründung der Justice League diskutiert – eine Art Ausblick darauf, dass ein Justice-League-Film nur ein Jahr später das DC Extended Universe erweiterte. Aus der ursprünglich geplanten „Suicide Squad“-Fortsetzung wurde schließlich unter der Regie James Gunns eine recht radikale Neuinterpretation, die diesem Film tatsächlich überlegen ist. Schlecht ist „Suicide Squad“ deshalb aber nicht, im Gegenteil: Allein schon wegen Margot Robbie, die große Teile des Films fabulös schultert, ist er einen Blick wert.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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