bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Columbo: Schwanengesang

„Der Herrgott wird auf mich achten.“

Staffel 3, Episode 7 (die insgesamt 24.) der langlebigen US-TV-Krimireihe „Columbo“, die konsequent auf Whodunit? und i.d.R. auch auf Motivsuche verzichtete: „Schwanengesang“ mit Country-Legende Johnny Cash in der Rolle des Antagonisten entstand unter der Regie des Fernsehserienregisseurs Nicholas Colasanto, der zuvor bereits die Episode „Etude in Schwarz“ (1972) inszeniert hatte. Die Erstausstrahlung erfolgte am 3. März 1974.

„Ich erinnere mich an einen Bibelspruch: ,Die Rache ist mein!‘“

Tommy Brown, umjubelter Interpret christlicher Country-Songs und ehemaliger Sträfling, wird von seiner Frau und Managerin Edna (Ida Lupino, „Der Mann mit den zwei Frauen“) erpresst: Sie knöpft ihm fast sämtliche Einnahmen ab, um den Bau eines religiösen Prachttempels zu finanzieren. Im Gegenzug behält sie es für sich, dass er einst eine sexuelle Affäre mit seiner damals noch minderjährigen Background-Sängerin Maryann (Bonnie van Dyke, „Scream of the Wolf“) hatte. Eines Tages reicht es ihm: Der gelernte Militärflieger gibt vor, mit seinem Sportflugzeug und Edna sowie Maryann als Passagiere zum nächsten Auftritt fliegen zu wollen, betäubt die beiden jedoch mit vergiftetem Kaffee, springt mit einem Fallschirm während des Flugs aus der Maschine und schiebt den für die Damen tödlichen Crash auf die schwierigen Wetterverhältnisse. Zwar bricht er sich dabei ein Bein, doch das lässt seine Geschichte, er sei aus dem Flieger geschleudert worden und habe lediglich durch Zufall überlebt, nur noch glaubwürdiger erscheinen. Den Fallschirm versteckt er in einem hohlen Baumstamm. Doch die unauffindbare Thermoskanne (in der der Kaffee-Medikamenten-Mix war), der leere Pilotenkoffer (in dem sich der gefaltete Fallschirm befand) und der Umstand, dass sich Tommys Gitarre nicht mit an Bord befand, lassen Inspektor Columbo (Peter Falk) schnell skeptisch werden…

„Das ist wohl der grauenhafteste Kaffee, den ich je getrunken habe!“

Der „Schwanengesang“ beginnt mit einem Live-Auftritt Tommys, bei dem er Hank Williams‘ „I Saw The Light“ schmettert (das Cash tatsächlich aufgenommen und veröffentlicht hatte). Edna vertreibt anschließend sämtliche Autogrammjägerinnen und Fans, wodurch man einen ersten Eindruck ihres herrischen Charakters erhält. Cash lehnt seine Rolle nah an sein eigenes Auftreten an, ist auch hier der stets schwarzgewandete „Man in black“ – während Edna ganz in weiß einen Kontrast bildet. Ironischerweise bildet die fromme Unschuld in weiß hier nicht nur für Tommy, sondern auch fürs Publikum den unsympathischen Pol der Episode, während der Ex-Knacki und Schürzenjäger Tommy zum Sympathieträger avanciert, dessen Tat sich gut nachempfinden lässt.

„Wenn’s nach mir ginge, wär‘ die Sache vergessen!“

Tommys Schwager (Bill McKinney, „Zeuge einer Verschwörung“) ist jedoch sofort davon überzeugt, dass Tommy ein Mörder ist, und schlägt ihn nieder, als dieser etwas pietätlos eine Gartenparty gibt. In deren Rahmen bekommt man einen weiteren Liveauftritt Cashs geboten und darf sich an Columbos Mienenspiel erfreuen, als dieser erfährt, gerade von Eichhörnchen-Chili gekostet zu haben. Noch schwarzhumoriger ist das Akquisegespräch, das ein Bestatter mit Columbo führt. Seine Befragungen beginnt Columbo fast entschuldigend und konfrontiert Tommy mit verdächtigen Details, auf die dieser jedoch stets gute Repliken parat hat – rhetorische Duelle auf Augenhöhe. Aus seiner Abneigung gegen Edna macht Tommy dabei erst gar keinen Hehl.

„Ja: Neugierig, das sind sie wirklich!“

Columbos Ermittlungsarbeit besteht darüber hinaus aus Recherchen in Tommys Militärfliegerkarriere und im Besuch einer Talarmanufaktur, vor allem aber in einem sehr spannend inszenierten Showdown: Columbo stellt Tommy eine Falle, doch der Plan scheint nicht aufzugehen. Das ist Krimiunterhaltung auf gehobenem Niveau, wie generell die ganze Episode mit gutem Timing und einer angenehmen Mischung aus Johnny-Cash-Inszenierung, etwas Humor (u.a. erneut in Bezug auf Columbos Höhenangst) sowie starken Dialogen überzeugt. Etwas unangenehm wird es indes, wenn sich Tommy an die deutlich jüngere Background-Sängerin Tina (Janit Baldwin, „Phantom im Paradies“) heranschmeißt. Hierbei dürfte es sich um einen Versuch gehandelt haben, die Rolle Tommys ambivalenter zu gestalten, als sie es eigentlich ohnehin schon war. Möglicherweise vertraute man nicht gänzlich auf die Strahlkraft des Doppelmords (was reichlich kurios wäre).

„Sie können nicht immer gewinnen!“

Johnny Cash macht seine Sache ausgesprochen gut, ohne Columbo die Show zu stehlen, ist als Tommy jedoch kein Mann großer Emotionen. Die meiste Zeit strahlt er Souveränität aus und reagiert auch bei seiner obligatorischen Überführung gefasst, während der auch Columbo seine Sympathie nicht verhehlen kann: „Ein Mann, der so singen kann wie Sie, kann nicht ganz und gar schlecht sein…“ Das Interessanteste an Cashs Rolle ist meines Erachtens, dass er ein gutes Stück weit seine eigene Religiosität aufs Korn nimmt – immerhin ist es bei Tommy mit den Zehn Geboten nicht allzu weit her. Und dass christliche Musik hier in erster Linie dem Raffen von Geld zugunsten von Prunkbauten dient, darf sicherlich als Kritik an organisierter Religion wie den Kirchen verstanden werden.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Das Verschwinden

„Ich versteh' dich nicht mehr.“

Das vierteilige TV-Drama „Das Verschwinden“ aus dem Jahre 2017 ist Hans-Christian Schmids („Nach fünf im Urwald“, „23“) bis dato jüngste Regiearbeit. Die deutsch-tschechische Koproduktion feierte ihre Premiere am 26. Juni 2017 auf dem Filmfest München, die TV-Erstausstrahlung folgte ab dem 22. Oktober 2017. Das Drehbuch verfasste Schmid zusammen mit Bernd Lange, zudem trat Schmid als Koproduzent in Erscheinung. Der erzählt Zeitraum umfasst acht Tage, wobei je eine rund 45-minütige Episode einen Tag abbilden sollte. Die Erstausstrahlung erfolgte jedoch in Form von vier Doppelfolgen.

„Glaubst du, ich sitz' hier noch 20 Jahre und schneide Zwiebeln?!“

Forstenau, Bayern: Die 20-jährige Janine Grabowski (Elisa Schlott, „Draußen am See“) ist just nach der Feier mit ihren Freundinnen Manu (Johanna Ingelfinger, „Tatort: Dinge, die noch zu tun sind“) und Laura (Saskia Rosendahl, „Zorn: Vom Lieben und Sterben“) anlässlich ihres 20. Geburtstags spurlos verschwunden. Janines alleinerziehende Mutter Michelle (Julia Jentsch, „Die fetten Jahre sind vorbei“) wendet sich an Janines Freundes- und Bekanntenkreis und an die Polizei, verzweifelt aber an Schweigen, Interesselosigkeit und Untätigkeit. Immerhin konnte ihr Dienststellenleiter Gerd Markwart (Stephan Zinner, „Shoppen“) mit seiner Vermutung, Janine sei nach ihrer Party kurzerhand über die nahegelegene tschechische Grenze, um noch ein paar Tage weiterzufeiern, einen Hinweis geben, den sie weiterverfolgt. Tatsächlich wird die Polizei doch noch aktiv, als Janine in Verdacht gerät, eine Crystal-Meth-Dealerin zu sein. Mehr und mehr dämmert Michelle, wie wenig sie eigentlich über ihre Tochter weiß…

„Ich erkenn' mein eigenes Kind nicht mehr...“

Der Prolog, in dem zwei Hobbyjäger ein Reh schwer verletzen und nach offenbar stundenlanger Suche mehrere finale Rettungsschüsse abgeben, verschafft einen Überblick über die zwar wunderschöne, grüne Landschaft, vermittelt aber auch einen Eindruck von der Provinzialität der Gegend – und der tödlichen Gefahr, die ihre Schönheit kontrastiert. Man erfährt schließlich, dass man sich auf tschechischem Gebiet kurz hinter der Grenze befindet. Richtiggehend beklemmend wird es, wenn die Jäger, von denen sich einer später als Bulle Markwart herausstellen wird, am Grenzübergang beobachten, wie ein junges, einen verwirrten Eindruck machendes Mädchen aus einem Auto gestoßen wird: Janine.

„Das Leben macht oft keinen Spaß, so viel kann ich dir versichern.“

Nach dem Vorspann setzt die Handlung ein paar Tage vor diesen Ereignissen ein: Zwischen Michelle und Janine entbrennt ein Generationskonflikt, ausgerechnet an Janines Geburtstag. Damit etabliert die Serie eines ihrer Sujets. Michelle wollte ihrer Tochter einen Kuchen ins Büro bringen und erfährt dort, dass Janine ihre Ausbildung geschmissen hat. In Forstenau greift die Droge Crystal Meth um sich, Janine und ihre Freundinnen wollen ins Geschäft einsteigen – womit das zweite Sujet etabliert wird. Relativ viele Figuren werden eingeführt, u.a. Manus bourgeoise Eltern Steffi (Nina Kunzendorf, Frankfurter „Tatort“ 2011-2013) und Leo Essmann (Sebastian Blomberg, „Was tun, wenn's brennt?“), die ihre Tochter nach deren Therapieaufenthalt endlich drogenfrei wähnen, Lauras Vater Helmut (stark: Michael A. Grimm, „Polizeiruf 110: Er sollte tot“), der mit seiner chronisch kranken Frau Annegret (Caroline Ebner, „Frühling“) zusammenlebt und gegen die Bekanntschaft seiner Tochter mit dem türkischstämmigen Dealer Tarik (Mehmet Atesci, „Tatort: Land in dieser Zeit“) ist, und Tariks Eltern Kerstin (Teresa Harder, „Alki Alki“) und Ayhan (Vedat Erincin, „Almanya – Willkommen in Deutschland“), die wiederum verständlicherweise etwas gegen dessen Drogenhandel haben. Hinzu kommen Michelles Ex-Mann, mit dem sie ums Sorgerecht ihrer jüngsten Tochter Evi streitet, sowie Polizist Jens Köhler (Martin Feifel, „Was tun, wenn's brennt?“), der als einziger noch nicht korrumpiert scheint, allerdings erst in Erscheinung tritt, als es um Janines mutmaßliche Straftaten in Zusammenhang mit dem Crystal-Meth-Verkauf geht.

„Warum wollt ihr, dass alle so werden wie ihr?“

Schmid beschwört die bedrückende Atmosphäre einer Kleinstadt herauf, in der jeder jeden kennt und alles über einen weiß – oder zu wissen glaubt. Denn welch großer Irrtum das ist, wird mittels fein dosierten Enthüllungen und Wendungen verdeutlicht: So finden Manus Eltern heraus, dass sie gar nicht in Bayreuth studiert, verzweifelt Ayhan schier daran, dass sich sein Sohn als Dealer entpuppt, und kommen gegen Ende von Episode 3 gleich zwei bisher gehütete Familiengeheimnisse ans Licht. Zwischen Janines seit langem getrenntlebenden Eltern brechen uralte Konflikte wieder auf, wodurch die Zuschauerinnen und Zuschauer etwas über die Familiengeschichte erfahren, sich so nach und nach einem Gesamtüberblick verschaffen und sich einen Reim auf die Umstände, unter denen die Jugend in Forstenau aufwächst, machen zu können. Eine interessante zeitweilige Koalition bilden Michelle und Manu, die etwas Rasanz entwickelt, als es zum auch körperlichen Konflikt zwischen beiden um eine Tüte Crystal Meth kommt. Der Cliffhanger zwischen den Episoden 2 und 3 spielt mit der Frage nach einer tödlichen Überdosis. Ein wenig Action entwickelt sich, als Michelle zu Hause überfallen wird und die Polizei eine Crystal-Meth-Küche stürmt. Markwart will sich in Polizeibrutalität üben, wird aber von einer Kollegin ausgebremst. Ein Selbstmord sowie ein weiterer Suizidversuch stehen schließlich stellvertretend für den vollends eskalierten Generationskonflikt.

„Wir wissen gar nichts, wenn wir ehrlich sind…“

Unbeeindruckt ermittelt Michelle derweil immer weiter im Milieu jenseits der Grenze, fragwürdigerweise mit der kleinen Evi im Schlepptau, gegenüber der sie sich rechtfertigen muss und ihr alles erklärt. Ein Foto Janines verrät schließlich ein wichtiges Detail und macht aus der Geschichte ein in erster Linie interfamiliäres Drama, das auf hartnäckig verteidigten Lebenslügen basiert und der Kleinstadtgemeinde einen weiteren irreparablen Schaden zufügt. Die Abgründe tun sich längst vor allem in der Erwachsenenwelt auf. Kein Wunder, dass sich die Kinder in Drogen flüchten, scheinen Schmid & Co. uns sagen zu wollen, indem sie vergiftete Familiendynamiken entlarven. Sogar Inzestgefahr durch unausgesprochene und damit unbekannte Verwandtschaftsverhältnisse in dörflicher Enge wird aufgegriffen. Ja, es wird hart mit dysfunktionalen Kleinstädten ins Gericht gegangen.

„Hier wohnen gute Leute, auch wenn sie vielleicht nicht immer Gutes tun.“

Die Dialoge wirken dabei bisweilen etwas gekünstelt. Viele Passagen werden betont langsam erzählt und das Erzähltempo so stark gedrosselt, als habe man Sorge gehabt, die sechs Stunden Laufzeit sonst nicht ausfüllen zu können. Viele Dialoge werden eher geflüstert denn gesprochen; eine ebenso häufig anzutreffende wie nervige Macke deutscher Filmemacher(innen), um Tiefgang zu suggerieren. Gut gelungen ist die Ambivalenz des Figurenensembles, es scheint keine ausschließlich böse Rolle zu geben. Auch das herbstliche Ambiente überzeugt. Dennoch verliert „Das Verschwinden“ stets dann deutlich an Reiz, wann immer lediglich die Erwachsenen agieren und von den Jungmimen nichts zu sehen ist – obwohl es sich bei ihrem Spiel, insbesondere bei Ingelfingers und Rosendahls, um echte Lichtblicke handelt. Sich an Michelles Auftreten in Jacke, aber Minirock zu gewöhnen, fällt bis zum Schluss schwer – sollte dies der Versuch gewesen sein, eine „junggebliebene“ Mutter zu illustrieren, ist er missglückt. Trotz der omnipräsenten Frage als Leitmotiv, was aus Janine geworden ist, gelingt es leider nicht, durchgehend Spannung aufzubauen. Stattdessen wirkt „Das Verschwinden“ wie ein überkonstruiertes Melodram, dessen hehre Anliegen und spannende Ansätze im TV-Produktionssumpf aus missverstandenen Stilmitteln und der künstlerischen Selbstbeschneidung unterzugehen drohen, (Melo-)dramen bitter und dröge zugleich mehr als Selbstgeißelungen denn als Unterhaltung anzubieten.
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Columbo: Des Teufels Corporal

„Logik ist das Schlachtfeld der Erwachsenen!“

Staffel 4, Episode 3 (die insgesamt 28.) der langlebigen US-TV-Krimireihe „Columbo“, die konsequent auf Whodunit? und i.d.R. auch auf Motivsuche verzichtete: „Des Teufels Corporal“ bedeutete den Beginn der Zusammenarbeit mit Patrick McGoohan („Geheimauftrag für John Drake“), der hier erstmals als Antagonist auftritt. Dies sollte er im weiteren Verlauf weitere drei Male tun, ferner bei insgesamt fünf Episoden die Regie übernehmen. Für diese am 27. Oktober 1974 erstausgestrahlte Episode nahm jedoch der Kanadier Harvey Hart auf dem Regiestuhl Platz, um das Drehbuch Howard Berks zu verfilmen. Es war Harts erste von insgesamt vier Regiearbeiten für „Columbo“.

„Niemand möchte mehr bei uns Soldat spielen – der Krieg ist vorbei!“ – „Er ist nie vorbei…“

William Haynes (Tom Simcox, „Der Mann vom großen Fluss“) will die unter seiner Leitung stehende Militärakademie in ein gemischtes College umwandeln, was der konservative Colonel Lyle C. Rumford (Patrick McGoohan) um jeden Preis verhindern will. Die Feierlichkeit zum Gründungstag der Akademie nutzt Rumford, um die Kanone, die Haynes zu diesem Anlass zeremoniell abfeuern soll, derart zu sabotieren, dass sie explodiert und Haynes in den Tod reißt. Dabei lässt er es aussehen, als handele es sich um einen bedauerlichen Unfall aufgrund eines vom zum Putzen verdonnerten Kadetten vergessenen Putzlappens im Kanonenrohr. Inspektor Columbo stößt jedoch auf Ungereimtheiten und quartiert sich kurzerhand selbst in der Akademie ein…

„Das bin nicht ich, das ist mein Verstand. Er ist langsam und alles muss an seinen Platz.“

Etwas eigenartig ist die Eröffnungssequenz, in der sich jemand per Point-of-view-Perspektive an den mit Sprengstoff hantierenden Colonel heranzuschleichen scheint, obwohl dort niemand ist und es sich tatsächlich lediglich um die Kamera (bzw. den Kameramann) handelt. Im weiteren Verlauf bleibt „Des Teufels Corporal“ jedoch frei von roten Heringen, wenngleich es sich um einen relativ verzwickten Fall handelt, an dem Columbo reichlich zu knabbern hat. Ein scharfzüngiges Streitgespräch klärt die Fronten zwischen Haynes und Rumford, beim daraus resultierenden Mord verzieht der eiskalte Colonel keine Miene. Den Verdacht lenkt er bewusst auf den jungen, relativ undisziplinierten Kadetten Springer (Mark Wheeler, „Der Dialog“), der die Kanone gereinigt hat – bzw. haben sollte.

„Aufstehen, du Sumpfhuhn!“

Einer im Kofferraum des Toten gefundene Blaupause kann Columbo geplante Umbauarbeiten auf dem Campus entnehmen, was zu einem wichtigen Hinweis in Bezug auf ein mögliches Motiv wird. Zu Columbos Ermittlungen zählen Befragungen Springers, dessen Vertrauen er gewinnen muss, sowie des örtlichen Polizeichefs, den er nachts um 3:00 Uhr aus dem Bett klingelt, weil er nicht schlafen kann; in erster Linie haftet er sich aber natürlich an Rumfords Fersen. Wie wenige Episoden zuvor in „Schwanengesang“ versucht Columbo auch hier zwischenzeitlich den Eindruck zu erwecken, er glaube an einen Mordanschlag auf den Täter, den er als das eigentlich auserkorene Opfer wähnt. Rumford gibt sich in einem persönlichen, „formlosen“ Gespräch mit dem Inspektor kriegsmüde, wirkt beim nächsten Aufeinandertreffen aber wieder fast manisch in Bezug auf die Akademie. Nachdem er Columbo anfänglich eher belächelte, entwickelt sich mit der Zeit ein Respekt, der durchaus auf Gegenseitigkeit beruht, zumal sich Rumford zwar als harter Hund, aber eben nicht als Unmensch präsentiert.

„Ich habe keine Meinung, Sir!“

Der Inspektor im knittrigen Trenchcoat ist ein absoluter Fremdkörper in der Militärakademie mit all ihrem Drill und ihrer Disziplin. Eine Schülerin bezweifelt gar, dass er ein echter Inspektor ist. Daraus schöpft die Episode ihren sympathischen, leisen Humor, der von Rumfords Gefühlskälte und an Tyrannei grenzen Aktionen wie seiner nächtlichen Inspektion sämtlicher Zimmer wegen einer Flasche Cidre kontrastiert wird. Dass ausgerechnet diese ihm in Kombination mit der Disziplinlosigkeit eines Kadetten und der Lärmempfindlichkeit der Nachbarschaft zum Verhängnis wird, ist eine feine Ironie des Schicksals (bzw. der Strafverfolgung), bei näherer Betrachtung aber auch ein bisschen von hinten durch die Brust ins Auge. Faszinierender als die Überführung des bis zuletzt in seiner Rolle als überdiszipliniertem Überzeugungstäter verharrenden Rumford sind die Einblicke in den bizarr anmutenden Mikrokosmos einer Militärakademie, dem Rumford vorsteht. Innerhalb diesem scheint der vorsichtige Fortschritt verzweifelt gegen die sich als konservativ ausgebende, aber über Leichen gehende Reaktion zu kämpfen – personifiziert von einem Colonel, dessen Charakterisierung als zumindest ein Stück weit auch ambivalente Figur trotz nie abgelegtem Pokerface gelingt.
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Der Motivationstrainer

„Ich lebe in Heiterkeit, Freude und Leichtigkeit!“

Die Dokumentarfilmer Julian Amershi und Martin Rieck begleiteten den Schaumschläger und Ex-Häftling Jürgen Höller sowie dessen Kompagnon Mike Dierssen eineinhalb Jahre auf deren Tour als Motivationstrainer durch den deutschsprachigen Raum und schnitten aus ihrem Material den 75-minütigen Film „Der Motivationstrainer“ zusammen, der seine Premiere auf den Internationalen Hofer Filmtagen im Jahre 2017 feierte und anschließend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde.

„Es ging die letzte Stunde nur darum, Seminare abzuschließen...“

Eines muss man Höller lassen: Er hat sich selbst an den Haaren wieder aus der Scheiße gezogen, in die er sich hineingeritten hatte (falsche eidesstattliche Versicherung, Untreue und vorsätzlicher Bankrott). In dieser Doku füllt er scheinbar mühelos große Hallen mit armen Pfannen, die glauben oder zumindest hoffen, an seinem Erfolg ein klitzekleines bisschen partizipieren zu können, wenn sie seine sündhaft teuren Seminare und Motivationstrainings aufsuchen – und dabei verkennen, dass nicht er sie reich macht, sondern sie ihn. Seine Kundschaft scheint sich aus den unterschiedlichsten Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Branchen zusammenzusetzen, denen lediglich gemein zu sein scheint, zu glauben, etwas falsch zu machen, vielleicht auch nur noch nicht ganz richtig, noch mehr aus sich herausholen, ja, sich selbst optimieren zu können.

„Kühles Moos!“

Im Prolog wird man mit einer autosuggestiven Übung konfrontiert, es folgt unfreiwillig komisches Aufwärmen Höllers vor seinem nächsten Auftritt. Auf einen ordnenden oder kommentierenden Sprecher aus dem Off haben die Dokumentarfilmer verzichtet, „Der Motivationstrainer“ spielt sich ausschließlich im O-Ton ab. Auch ohne Kommentar drängt sich schnell die Frage auf, ob man als „Motivationstrainer“ eigentlich grundsätzlich ein Mensch sein muss, dem gar nichts mehr peinlich ist. Höller dirigiert La Olas, Geklatsche und Gehüpfe seines schmerzfreien Publikums und versucht gar nicht erst zu verheimlichen, welch größenwahnsinniger Großkotz er ist. Auftreten und Methode erinnern an die Scharlatanerie vermeintlicher Wunderheiler(innen) und die Gehirnwäsche von Sekten. Das bis hierhin Gesehene entpuppt sich als Auszug aus seinen „Power Days“ – Verkaufsveranstaltungen und Appetithappen für seine eigentlichen, tausende Euro teuren Veranstaltungen.

Auf Interviews mit Höller folgen Einblicke in sein Geschäftsmodell, eine Art Schneeballsystem mit Telefonakquise, und ein Blick hinter die Kulissen seines Unternehmens: Höller bei Gesprächen mit Mitarbeiter(inne)n, beim Zubereiten von Astronautennahrung, beim Sport, beim Autofahren. Man erfährt, dass er bankrott und hinter Gittern war. Er liefert fragwürdige Tanzeinlagen, spricht von sich auch schon mal in der dritten Person und tritt jeden Beweis an, welch selbstverliebter Narzisst er ist. Sein Kompagnon Mike Dierssen wird ebenfalls interviewt, er verdankt Höller seinen Erfolg – weil er Cheftrainer bei ihm geworden ist. Beide bleiben permanent in ihren Rollen, aber Dierssen wirkt nicht ganz so unseriös wie sein Chef. Diverse weiter Auszüge aus Motivationsseminaren zeigen, wie sie irgendwo in der Walachei die Teilnehmer(innen) über glühende Kohlen laufen lassen, wie ein „Motivationstag“ im Münchner Olympiastadion mit Zirkuseinlagen gestreckt wird und wie man seine Opfer immer wieder Mantras von Selbstliebe und Erfolg aufsagen lässt.

Höllers Dreistigkeit ist eigentlich unfassbar; noch unfassbarer und zugleich irrwitzige Realsatire ist jedoch die Tatsache, dass sein Konzept aufgeht und sich immer wieder Menschen bereitwillig von ihm manipulieren, sich verzweifelte FDP-Wähler(innen) von ihm abzocken lassen. Zugegeben, zwischen allem faulen Zauber, allen Binsenweisheiten und Oberflächlichkeiten findet sich auch die eine oder andere belegte psychologische Methode. Ein bisschen Unternehmensberatung und Coaching, ein bisschen, nein, viel Kaffeefahrt, ein bisschen Psychologie, ein bisschen Ersatzreligion, kombiniert mit Schneeballsystem und einem selbstsicheren, souveränen Auftreten. Die größten Nulpen haben Erfolg, siehe Kultur, Unterhaltung und Politik. Warum also nicht auch Höller? Dieser wollte – Stand 2016/’17 – europaweit expandieren und präsentierte stolz seine Pläne. Die Pandemie dürfte ihn hart getroffen haben – aber das ist an dieser Stelle reine Spekulation.

Der Film fällt kein Urteil, zumindest äußern sich Seminarteilnehmer(innen) vereinzelt kritisch. Das ist nicht ganz ungefährlich: Durchschnittlich vernunftbegabte Menschen durchschauen Höller, andere werden sich möglicherweise denken: Mensch, da muss ich mal hin…
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Tatort: Kneipenbekanntschaft

„Der Neue ist da. Doch, sieht gut aus.“

Am 10. November 1974 stieß auch Niedersachsen als Handlungsort zur öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimireihe „Tatort“ hinzu: Kriminalhauptkommissar Brammer (Knut Hinz, „Der Tod des Handlungsreisenden“) ermittelte in seinem ersten Fall in der Landeshauptstadt Hannover. „Kneipenbekanntschaft“ war der erste von nur vier Fällen dieses neuen Kommissars, nach einem Drehbuch Hans Drawes und Rüdiger Humperts inszeniert von Jörg-Michael Baldenius, der es neben dem TV-Drama „Gran Canaria“ aus dem Jahre 1972 auf keine weitere Regiearbeit mehr brachte.

„Mensch, hab‘ ich ‘n Nachdurst!“ – „Sauf doch nicht so viel!“

Der frischgebackene Hannoveraner Dienststellenleiter Brammer feiert gerade seinen Einstand, als er zu seinem ersten Einsatz gerufen wird: Anna Schmidt, eine ältere Dame, wurde tot im Park aufgefunden – stranguliert mit einem Strumpf. Die Tat kann höchstens drei Stunden zurückliegen. Gegen einen Raubmord spricht, dass die Tote noch ihren teuren Schmuck am Körper trägt. Annas Liebhaber Hermann Kolltasch (Peter Kuiper, „Derrick“) erfährt erst am nächsten Tag von der Tat und reagiert entsetzt. Die Ermittlungen Brammers und seines Teams führen indes zur Erkenntnis, dass Hermann nicht ihre einzige Affäre war: Seit dem Tode ihres Mannes habe sich „Ännchen“ gern in Kneipen herumgetrieben, um meist deutlich jüngere Männer kennenzulernen und sich mit ihnen einzulassen. Die Zahl der potenziell Verdächtigen wird dadurch nicht kleiner…

„Drei Bier, drei Korn!“

Baldenius eröffnet seinen „Tatort“ mit einem Liveauftritt Udo Lindenbergs in einem Club, in dem auch Brammer zugegen ist. Als dieser am nächsten Tag seine neue Stelle antritt, stellt er sich bei Kriminalhauptmeister Henkel (Günther Heising, „Tatort: Kressin und der tote Mann im Fleet“) vor, der fortan damit hadert, in Brammer einen Vorgesetzten bekommen zu haben, der wesentlich jünger als er ist. Brammer wird als ein junger, moderner, lässiger und gutaussehender Kommissartyp etabliert, der sich nicht nur für Livemusik interessiert, sondern auch selbst Gitarre spielt. Er bezieht ein Zimmer bei einer älteren Witwe mit etwas ungesundem Teint.

„Ich hatte an dem Abend auch ganz schön einen sitzen!“

Neben Brammer und seinem Team wird eine ganze Reihe weiterer Figuren eingeführt: Bierfahrer Kohltasch, der aus einer Kneipe heraus sich mit dem späteren Mordopfer vergeblich zu verabreden versucht. Annas Stiefsohn Horst (Til Erwig, „Das Kriminalmuseum“) und dessen Ehefrau (Hanni Vanhaiden, „Noch ‘ne Oper“) missbilligen ihren Lebenswandel. Zunächst in keinem erkennbaren Zusammenhang mit ihnen stehen die wohlhabende Herrenausstatterin Marga Höfer (Rosemarie Fendel, „Traumstadt“) und ihr Ehemann (Karl-Michael Vogler, „Der Mann, der keinen Mord beging“), den sie in flagranti mit der jungen Verkäuferin ihrer Boutique, Fräulein Waller (Marina Genschow, „Die geklaute Miß“), erwischt, als sie überraschend früher als geplant nach Hause kommt. Sie droht mit Scheidung, woraufhin ihr Mann ihrem Vogel den Hals umdreht. Und dann sind da noch Binnenschiffer Ossi Lörring (Dieter Prochnow, „Eros-Center Hamburg“) und seine Freundin Eva Meinert (Edda Pastor, „Smog“), die sich ebenso oft miteinander streiten wie sie sich wieder vertragen oder gemeinsam in die Kneipe gehen (gern in dieser Reihenfolge – so ist’s recht).

Als besonderen stilistischen Kniff bekommt man bei den Befragungen im Bekanntenkreis der Toten lediglich die Antwortenden zu sehen und ihre Antworten zu hören, nicht aber die Fragenden und ihre Fragen. Damit wecken diese Szenen Assoziationen zu Statements in Nachrichtensendungen oder Dokumentationen. Allerdings hält man diese Herangehensweise nicht konsequent durch. Eine gewisse Freude hatte man offenbar auch am Umgang mit subjektiver Kameraführung, die hier Einzug hält. Der Stiefsohn jedenfalls hat ein Alibi, ein Dieb treibt sein Unwesen, der Mörder scheint unbehelligt umherzuschleichen und Ossi hat verdächtige Kratzer auf der Hand. Soweit die Zwischenbilanz dieses mit Figuren und deren Handlungssträngen etwas überfrachteten und in seiner Ermittlungsarbeit sehr dialoglastigen „Tatorts“, der wahrlich kein großer Wurf ist. Er krankt neben seiner Betulich- und Geschwätzigkeit daran, dass man das Mordopfer erst gar nicht kennenlernte und somit keinerlei Bezug zu ihm aufbauen konnte. Grundsätzlich gelungen ist, wie sich das Kneipe/Alkoholkonsum-Topos durch die Episode zieht: Henkel setzt sich frustriert in die Kneipe, um über Brammer zu jammern, die Leiche wird von einem Rentner auf dem Weg in die Kneipe gefunden usw. Die Kneipe als gesellschaftlichen Mikrokosmos zu zeichnen, in dem alle Fäden zusammenlaufen, misslingt jedoch leider. Das Ende ist überzogen fatalistisch und das Motiv derart schnell heruntergerattert, dass es kaum zu vernehmen ist.

Der für damalige „Tatorte“ fast schon obligatorische reiheninterne Gastauftritt fällt diesmal Klaus Schwarzkopf als Kieler Kommissar Finke zu und Edda Pastor sorgt für zusätzliche Schauwerte, indem sie sich oben ohne zeigt. Generell muss man attestieren, dass es an den Schauspielerinnen und Schauspielern nicht gelegen hat, das Ensemble ist spielfreudig und charakteristisch. Schön auch in diesem Zusammenhang, Marina Genschow, die 1987 mit nur 37 Jahren viel zu früh verstarb, in einer kessen Nebenrolle zu sehen. Ein wenig enttäuschend hingegen, dass Udo Lindenberg nach dem Prolog keinerlei Rolle mehr spielte.
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Tatort: Neugeboren

„Verbrechen ist dreckig, Aufklären noch mehr!“

Am Pfingstmontag, 24. Mai 2021, feierte ein neues Bremer „Tatort“-Team seinen Einstand: Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, „Bornholmer Straße“) und Mads Andersen (Dar Salim, „Game of Thrones“) lösten die Ermittler(innen) Lürsen und Stedefreund ab. BKA-Beamtin Linda Selb (Luise Wolfram, „Charité“), die unter den letztgenannten eine Nebenrolle eingenommen hatte, ist nun offenbar präsenteres Mitglied des neuen Teams, das somit eher ein Trio denn ein Duo bildet. Das Drehbuch Christian Jeltschs inszenierte Barbara Kulcsar, die somit nach „Rebland“ aus dem Jahre 2020 zum zweiten Mal die Regie innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe übernahm. Wer wollte, konnte sich bereits im Vorfeld im Zuge der mehrteiligen Mockumentary „How to Tatort“ humoristisch aufs neue Team einstimmen.

„Nervensäge – das bist du…“

Die junge, ambitionierte Liv Moormann erscheint in weißer Kleidung schick gewandet zum Vorstellungsgespräch bei der Bremer Kriminalpolizei, doch dort hat niemand Zeit für sie: Die Entführung eines Neugeborenen wurde just gemeldet, parallel dazu die Leiche eines Erwachsenen im Industriegebiet gefunden. Kurzentschlossen begleitet Moormann Ermittler Mads Andersen zum Fundort, wo BKA-Ermittlerin Selb hinzustößt, während die anderen Polizisten sich auf die Suche nach dem Baby begeben. Austauschbulle Andersen wollte eigentlich zurück in seine dänische Heimat nach Kopenhagen reisen, muss seine Abfahrt jedoch notgedrungen verschieben – immer und immer wieder… Es stellt sich heraus, dass beide Fälle miteinander zusammenhängen; die Ermittlungen führen in Bremer Hochhausschluchten, deren soziale Brennpunkte – und zu einem saufenden ehemaligen Werder-Kicker (André Szymanski, „Vor der Morgenröte“) sowie alleinerziehenden jungen Müttern und deren Umfeld.

Der Bremer Neubeginn führt die von mir geschätzte Jasna Fritzi Bauer als übermotiviert erscheinende Nachwuchskommissarin ein, die mit ihrer nassforschen Art und ihrem aufdringlichen Wesen Erfolg hat. Ihr Partner Mads Andersen, gespielt vom auch international erfahrenen Dar Salim, schleppt ein Geheimnis mit sich herum, das mit seinem Deutschlandaufenthalt bzw. seiner geplanten Rückkehr nach Kopenhagen zu tun hat, spricht mit Akzent und sorgt mit seiner Muffeligkeit neben der quirligen Moormann für etwas Erdung. Wunderbar ergänzt werden beide von der etwas autistisch, in jedem Falle recht gefühlskalt anmutenden, schwanenhalsigen Füchsin Linda Selb, einer interessanten Figur im „Tatort“-Kosmos also, die sich eine etwas größere Bühne innerhalb der Reihe redlich verdient hat. Sie sorgt für eine gewisse Kontinuität innerhalb des Bremen-Ablegers der Serie.

„Neugeboren“ beginnt – und endet – mit einer aus dem Off philosophierenden Moormann, um bald ein sozial unterprivilegiertes Milieu zu erkunden. Damit einher geht, dass sich der Fall weniger um klassische kriminelle Energie dreht als vielmehr um zwischenmenschliche Verwerfungen innerhalb wenig aussichtsreicher Sozialstrukturen. Was sich dort an unter der Oberfläche brodelnder Verrohung und Gewalt offenbart, ist erschreckend, wenn auch – leider – nichts wirklich Neues, doch genau das kritisiert die grundsätzlich gelungene Mischung aus Krimi und Sozialdrama ja. Erzählerisch wählte man leider einen etwas umständlichen Weg, der nicht wirklich bei der Stange hält, sondern eher verwirrt und sein Publikum zwischenzeitlich zu verlieren droht. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass, dem Einführungscharakter dieser Episode geschuldet, die neuen Ermittler(innen) stärker im Fokus stehen als die Menschen, die mit den Fällen in Verbindung stehen. So muten diese trotz erkennbarem Bemühen um Tiefgang etwas stereotyp an.

Stark hingegen ist die melancholische Stimmung zwischen urbaner Tristesse, Düsternis und leichten Hoffnungsschimmern, die den im November 2020 gedrehten und auch danach aussehenden „Tatort“ durchzieht. Dass er unmittelbar nach dem Wochenende des besiegelten Abstiegs Werder Bremens aus der Herrenfußball-Bundesliga ausgestrahlt wurde, ist eine bittere Ironie des Schicksals. Der positive Eindruck überwiegt – und sollte es gelingen, beim nächsten Mal die erzählerischen Schwächen in den Griff zu bekommen, reift hier womöglich ein spannendes Team mit hoffentlich auf- oder anregenden Fällen heran.
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Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande

„Hast wieder Scheiße gebaut, hä?“

Anlässlich des 50. Jubiläums der Fernsehkrimireihe „Polizeiruf 110“ spendierte man Halle an der Saale ein neues Ermittlerteam und dem Publikum mit deren Einstand „An der Saale hellem Strande“ eine ganz besondere Episode. Diese wurde vom Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer zusammen mit dem Leipziger Regisseur Thomas Stuber („Kruso“) geschrieben, im November und Dezember 2020 gedreht, und präsentierte am Tag der Erstausstrahlung, dem 30.05.2021, mit Henry Koitzsch (Peter Kurth, „Good Bye, Lenin!“) und Michael Lehmann (Peter Schneider, „Als wir träumten“) ein Duo, das viel zu sehen bekommt, nur keinen „hellen Strand“, wie er im titelgebenden Volkslied aus dem 19. Jahrhundert erwähnt wird.

„Die Hoffnungslosigkeit ist schon die vorweggenommene Niederlage.“ – „Markus Lanz?“ – „Karl Jaspers!“

Vor drei Monaten wurde der Kellner Uwe Baude (Sven Reese) tot im Hauseingang aufgefunden – erstochen durch offenbar gezielte Stiche unter anderem in die Lunge. Die Kripokommissare Henry Koitzsch und Michael Lehmann tappen seither im Dunkeln, kennen weder Täter noch mutmaßliches Motiv. Daher ermitteln sie per Funkzellenauswertung all diejenigen, die sich zum Tatzeitpunkt in Tatortnähe befunden haben müssen, und befragen sie in ihrem Büro. Unter ihnen befinden sich der vorbestrafte Maik Gerster (Till Wonka, „Tschick“), der pensionierte Reichsbahner Günter Born (Hermann Beyer, „Novemberkind“) und die promiskuite Katrin Sommer (Cordelia Wege, „Julietta“). Und dann sind da ja noch Olaf (Sebastian Weber, „Shoppen“) und Silke Berger (Tilla Kratochwil, „Mitten in Deutschland: NSU – Die Täter“), denen der Strom abgestellt wurde. Wer hat eventuell etwas beobachtet oder aufgeschnappt, wer kann hilfreiche Angaben machen…?

„Ich bin nutzlos!“

Das eingangs erwähnte Volkslied erklingt zu Beginn, wird zwischendurch von Katrin Sommer und Koitzsch angestimmt und entlässt schließlich auch aus diesem „Polizeiruf 110“. Dieser überrascht zunächst einmal positiv mit seinem nonlinearen Aufbau aus ineinander verschachtelten Rückblenden und Zeitsprüngen, denn diese erweisen sich nicht als hyperkomplex und störend, sondern als elegantes Stilelement und bei der Stange haltende Erzählweise. Die erste Rückblende führt zum eher mitleidserregend nervösen Maik, dem man das Verbrechen kaum zutraut. Dem offenbar verrückten Versicherungsangestellten, der als nächster vor Koitzsch Platz nimmt, allerdings auch nicht, wenngleich er mit einem Messer herumzufuchteln beginnt – und natürlich innerhalb dieses Sujets nicht sofort erschossen wird, obwohl dies wohl in jeder normalen Polizeiwache in der Realität der Fall gewesen wäre.

„Scheiß Polizeistaat!“

Doch der Realismus äußert sich in „An der Saale hellem Strande“ anders: darin, was er über seine Figuren und ihr Leben preisgibt. Über den ehemaligen Reichsbahner, der mit seiner freien Zeit kaum etwas Besseres anzufangen weiß, als immer wieder heimlich seinen alten Arbeitsplatz aufzusuchen und der vereinsamt mit einer beginnenden Altersdemenz zu kämpfen hat. Über den Vorbestraften, der es trotz guten Willens nicht hinbekommt, seiner Tochter das Geburtstagsgeschenk zu machen, das sie sich wünscht. Über Menschen, die keine festen Bindungen mehr haben, sie entweder gar nicht eingehen wollen oder nicht eingehen können. Zu denen auch Koitzsch gehört, der sich mit einem alten Knacki im Knast trifft und sich mit ihm betrinkt, anschließend betrunken am Steuer von seinen eigenen Kollegen erwischt wird. Und der außerhalb seiner Wache generell einen sehr unbeholfenen Eindruck macht, wie sein Rendezvous mit einer in etwa gleichaltrigen Lehrerin veranschaulicht. Koitzsch ist keinen Deut besser als seine Klientel, er ist selbst einer der ihren: der irgendwie auf der Strecke Gebliebenen, der Unsteten, der Desillusionierten und der Abgebrochenen. Und wenn sein jüngerer Kompagnon Lehmann längst mit den Ohren schlackert, wahrt Koitzsch seine stoische innere Ruhe. Klar wird: Er hat definitiv schon mehr erlebt und gesehen als sein Kollege.

„Mein Vater war Elektriker!“

Viel erlebt und gesehen hat auch Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller), „Polizeiruf 110“-Veteran des wendungsreichen Zeitraums 1986 bis ‘95, der für diese Episode reaktiviert wurde: Der ehemalige Ermittler ist zugleich Lehmanns Schwiegervater und weiß, dass es solche Verrücktheiten, wie sie heutzutage – oder vielmehr seit der Wende – an der Tagesordnung sind, nicht gegeben hat. Als reizvolles Motiv ziehen sich unzuverlässige Erzähler(innen) durch diese Episode, die Zeugenaussagen widersprechen häufig den parallel montierten Rückblenden. Die unterschiedlichen Abschnitte der Handlung werden neben Zeitangaben mit Kapitelnamen versehen, die die Titel älterer „Polizeiruf 110“-Episoden zitieren und ihnen somit die Ehre erweisen.

Vieles ist hier melancholisch und traurig, aber auch tragikomisch. Der Tote war offenbar ein Fußfetischist, wie sich herausstellen wird, und innerhalb des reizendes Porträts des Eisenbahners wird man Ohrenzeuge, wie er eine LP mit alten DDR-Zugbetriebsgeräuschen abspielt und sichtlich genießt. Als die heißesten Spuren jedoch ins Plattenbauprekariat zu denjenigen führen, die sich ohne Strom miteinander betrinken und ein gemeinsames Schäferstündchen vorbereiten, übertreibt man es etwas mit dem Humor, indem man diese Figuren fast als reine Karikaturen zeichnet – zumal am Ende dieses Kapitels ein weiterer Toter steht. Dennoch ist es aller Ehren wert, wie sich „An der Saale hellem Strande“ seinen Figuren annähert und ihre Geschichten zu einem Kabinett dessen zusammenführt, was (nicht nur) ostdeutsche Urbanität in den schummrigen Seitenstraßen eben auch bedeutet. Und das ist, ähnlich wie das rustikale Kripobüro, oft nicht mehr taufrisch, eher spröde, mürbe und abweisend.

Diese Stimmung bestimmt die Atmosphäre dieser Jubiläumsepisode, die von entsprechenden Bildern, Ausleuchtungen und Farbgebungen optisch untermauert wird. „An der Saale hellem Strande“ ist derart vollgepackt mit Erzählsträngen – auch ums Privatleben der Ermittler -, dass es zwischenzeitlich etwas überfordernd wirkt. Das Dranbleiben wird mit einem Finale belohnt, in dem wunderbar alle Fäden zusammenlaufen, wenngleich – Achtung, Spoiler! – der Fall unaufgeklärt, der Mörder und sein Motiv unentdeckt bleiben. Da war er wieder, der Realismus dieses „Polizeirufs“, der nicht jedem schmecken dürfte, aber dazu beiträgt, diese Jubiläumsausgabe tatsächlich zu etwas Besonderem zu machen. Ich gratuliere.
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Nightmares in Red, White and Blue – Die Evolution des amerikanischen Horror-Films

„Heutzutage ist es schwer, die Leute noch zu schocken!“

Der im Jahre 2009 veröffentlichte Dokumentarfilm „Nightmares in Red, White and Blue – Die Evolution des amerikanischen Horror-Films“ des Regisseurs Andrew Monument basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch des Autors Joseph Maddrey. 96 Minuten lang wird die Geschichte des US-Horrorfilms als Repräsentant der dunklen Seite der USA, des amerikanischen Alptraums, von seinen Anfängen bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Zahlreiche Filmausschnitte bieten eine Menge fürs Auge und eine illustre Schar Genre-Regisseure wie Larry Cohen, Joe Dante, John Carpenter, Mick Garris, George A. Romero, Brian Yuzna und Roger Corman sowie ein der eine oder andere Filmhistoriker versuchen, das Phänomen Horrorfilm im Kontext seiner jeweiligen Zeit zu erklären. Als Off-Sprecher führt Schauspieler Lance Henriksen durch den Film.

Die Zeitreise nimmt ihren Anfang bei der ersten Stummverfilmung des klassischen Frankenstein-Stoffs aus dem Jahre 1910, skizziert kurz grob die klassischen Universal-Monster und zitiert nach der Titeleinblendung die Unabhängigkeitserklärung, um anschließend Parallelen zu Kriegsversehrten zu ziehen. Damit festigt „Nightmares in Red, White and Blue” seinen Anspruch, die Filme bzw. die Genrestile und -strömungen der jeweiligen Epochen in Bezug zur Realität, zu politischen Verhältnissen, gesellschaftlichen Ängsten, zum vorherrschen Zeitgeist zu setzen und für deren Einflüsse auf die Filmproduktionen zu sensibilisieren.

Lon Chaney wird als erster Horrorfilmstar ausgemacht, der deutsche Expressionismus findet Berücksichtigung und die mit Lugosis Dracula- und Karloffs Frankensteins-Monster-Verkörperung beginnende Dekade der 1930er-Jahre wird abgehandelt: „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“, „Der Unsichtbare“, „Freaks“, „King Kong“, „Frankensteins Braut“, „The Black Cat“ … Sogar Walt Disney’s „Pinocchio“-Verfilmung habe Horrorelemente aufgewiesen. Diese Filme stellten Außenseiter in den Mittelpunkt und spielten mit der Furcht vor Andersartigkeit. In den 1940ern sei man etwas softer zu Werke gegangen und der Kriegseinfluss habe sich bemerkbar gemacht. Neben „Katzenmenschen“ und anderen minimalistischen Produktionen wird Hitchcocks „Im Schatten des Zweifels“ exemplarisch herangezogen. Der Nachkriegshorror brachte Angst vor Atomschlägen und Endzeitvisionen sowie den Kalten Krieg, was sich in Filmen wie „Die letzten Sieben“, „Godzilla“ und „Das Ding aus einer anderen Welt“ sowie zahlreichen neuen Monsterfilmen widerspiegelte. Der Science-Fiction-Einfluss stieg, „Invasion of the Body Snatchers“ und seine Epigonen fesselten ihr Publikum und lassen sich auch heute noch unterschiedlich auslegen, „Der Blob“ rollte im wahrsten Sinne des Wortes durchs Kino.

An William Castle und seinen rührigen Gimmicks kommt man ebenso wenig vorbei wie an „Psycho“, den man als den Beginn des modernen Horrorfilms einordnet und der schon früh Nachahmer fand. Es folgen Tierhorror mit „Die Vögel“ und H.G. Lewis, der mit „Blood Feast“ den Gore ins Genre einbrachte. Sogar das italienische sensationsheischende Mondo-Kino findet mit „Mondo Cane“ Erwähnung und Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen erweist man die Ehre, bevor der Vietnamkrieg als verantwortlich für die Entwicklung einer breiten Gegenkultur genannt wird. „Rosemary’s Baby“ jedoch wird entschieden zu kurz abgehandelt, stellte er doch den eigentlichen Paradigmenwechsel im Horrorgenre, die Geburt des modernen psychologischen Horrorfilms, dar, bei dem Produzent William Castle gewissermaßen den Staffelstab einer neuen Generation übergab. Romeros „Night of the Living Dead“ wird auch als antirassistisches Statement verstanden, „Dead of Night” nimmt überdeutlich Bezug auf den Vietnamkrieg.

Ferner greift der Film die zunehmende Härte im Genre auf, die in den 1970ern verstärkt Einzug hielt: Filme wie „The Last House on the Left“, „The Texas Chainsaw Massace“ „The Hills Have Eyes“, „Der Exorzist“ und „Die Wiege des Bösen“ setzten verstärkt auf deftige Schockeffekte, während parallel „Der weiße Hai“ den Mainstream eroberte. Titel wie „Die Frauen von Stepford“, „Parasitenmörder“, „Carrie“, „Halloween“, „Alien“, „Eraserhead“, „Das Böse“, „Dawn of the Dead“ oder „The Amityville Horror“ fächerten das Genre ebenfalls weiter auf. Das Kapitel der 1980er schlägt man mit „Creepshow“ und mehreren Stephen-King-Verfilmungen auf, erwähnt darüber hinaus zunächst „Sie leben!“, „Shocker“ und die „Freitag, der 13.“-Reihe, deren Erstling man als Beginn der Slasher-Welle bezeichnet, obwohl diese Ehre eigentlich „Halloween“ gebührt. Dafür überrascht man mit einem wahnwitzigen Zusammenschnitt aus Teenager-Verfilmungen und anschließenden Ermordungen durch Jason, der es so richtig krachen lässt. Man attestiert jener Dekade des Weiteren die Regeneration klassischer Monster durch Filme wie „The Howling – Das Tier“, „Near Dark“, „The Lost Boys“, „Fright Night“ oder „Sie greifen nach den Lebenden“, während „The Fog“ und „Poltergeist“ als Ausdruck verdrängter Schuld und Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ sowie Romeros „Day of the Dead“ als Allegorien auf gesellschaftliches Misstrauens betrachtet werden.

Als mitunter gesellschaftskritische Horrorkomödien zieht man „The Return of the Living Dead“, „The Stuff“, „Gremlins“ und „Ghostbusters“ heran. „Videodrome“ sei Ausdruck des Heimvideo-Booms gewesen und stehe zusammen mit „Tanz der Teufel“ für den Exzessfilm, „Re-Animator“ bleibt ebenso wenig unerwähnt wie die „Nightmare on Elm Street“-Reihe, die Parallelen zum damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan aufweise. Für den Serienkillerfilm zieht man bizarrerweise ausgerechnet „Psycho IV“ heran – eben weil er aus den 1990ern stammt, für die dieser Topos charakteristisch gewesen sei: „Das Schweigen der Lämmer“, „Henry“, „Candyman’s Fluch“, „Sieben“, „Misery“, „Scream“, „American Psycho“… Spätestens hier wird nun eine Menge durcheinandergeworfen und auf einen arg konstruierten gemeinsamen Nenner zu bringen versucht, was nicht wirklich zusammenpasst.

Mit „Blade“, „The Sixth Sense“ und „Blair Witch Project“ langt man am Ende des Jahrzehnts an. Es folgen die terroristischen Anschläge des 11. September 2001 und ihre Folgen sowie Romeros „Land of the Dead“, man bringt Statements zur um sich greifenden Angst, greift Terrorismus sowie den Irakkrieg auf und zieht Parallelen zur damals aktuellen Genre-Entwicklung. Die Remake-Welle nimmt man ebenso mit wie die „Saw“-Reihe und „Hostel“, vermeidet jedoch den Ausdruck Torture Porn – konstatiert aber unterdessen, dass sich zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer als Reaktion auf den US-Gewalthorror ausländischen Produktionen zugewandt hätten, für die exemplarisch Guillermo del Toro herangezogen wird. Man schließt mit Bildern aus Frank Darabonts „Der Nebel“-Verfilmung.

Wie das alles in rund eineinhalb Stunden passen soll? Leidlich! Es ist gelungen, zahlreiche bedeutende, genreprägende Filme zumindest namentlich zu erwähnen oder in kurzen Ausschnitten anzuschneiden und ihre jeweiligen Subtexte auf den Punkt gebracht auszuformulieren, wenn auch recht thetisch und absolutistisch, obwohl sicherlich das eine oder andere zu diskutieren wäre. Wenn es gerade passt, wagt man vorsichtige Blicke über den Tellerrand – gen Europa oder in Hinblick auf genrefremde Klassiker wie z.B. „Easy Rider“, dies bleibt jedoch die Ausnahme. „Nightmares in Red, White and Blue” könnte ein unbedarfteres Publikum durchaus dazu anregen, ihm bisher verborgen gebliebene Facetten des Unterhaltungskinos zu entdecken und für die metaphorische Rolle des Horrorfilms in Bezug auf gesellschaftliche oder politische Phänomene empfänglich zu machen. Für jeglichen Tiefgang handelt es sich um einen viel zu hastigen Schnelldurchlauf, als grober Überblick übers Genre gerade für Einsteiger(innen) kann sich dieser Dokumentarfilm aber sehen lassen – und als unterhaltsame Revue für Genrekenner(innen) ebenso.
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Tatort: Der Mann aus Zimmer 22

„Mit der Frau eines Kollegen – du musst verrückt geworden sein!“

Der dritte Fall des „Tatort“-Kripoduos Heinz Haferkamp (Hans-Jörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge), die von 1974 bis 1980 im Ruhrgebiet, genauer: in Essen ermittelten, ist zugleich ihr dritter aus dem Jahre 1974: „Der Mann aus Zimmer 22“ wurde von „Tatort“-Routinier Heinz Schirk nach einem Drehbuch Oliver Storz‘ inszeniert und am 8. Dezember 1974 ausgestrahlt. Es war die nach „Der Boss“ (1971) zweite von insgesamt zwölf Regiearbeiten, de Schirk für die öffentlich-rechtliche Krimireihe absolvierte.

Der Oberstudienrat Walter Maurer (Alexander Kerst, „Meine Frau erfährt kein Wort“) unterhält eine außereheliche Beziehung zu Ursula Danz (Monika Bleibtreu, „Der Joker“), der Ehefrau eines Lehrers an seiner Schule. Doch während ihres jüngsten konspirativen Treffens in einem Essener Hotel wird er Zeuge eines Mordes im Nachbarzimmer: die junge Kosmetikvertreterin Ruth Wollnitz wurde getötet, Mörder und Motiv sind unbekannt. Zu Walter Maurers Überraschung weiß seine Ehefrau (Eva Maria Meineke, „Die Braut des Satans“) längst über seine Affäre Bescheid, doch als sie mitbekommen, dass die Polizei nach dem unschuldigen Zimmerkellner Elmar Holz (Ulli Lommel, „Fontane Effi Briest“) fahndet und ihn schließlich festnimmt, schweigen sie beharrlich, da sie um ihr Renommee fürchten. Ein weiterer Mord aber, der kurz darauf verübt wird, entlastet Holz. Ein Erinnerungsfetzen an ein wichtiges Detail bringt Kommissar Haferkamp schließlich auf die Spur Maurers Geliebter Ursula Danz, von der er weitere Informationen zu erhalten versucht. Er muss unbedingt das Schweigen der Ehebrecher brechen, denn der Mörder läuft noch immer frei herum – und ist eine tickende Zeitbombe…

Kommissar Haferkamp tritt als arroganter und unfreundlicher Ermittler in Erscheinung, während sein Kompagnon Kreutzer psychologische Hypothesen aufstellt. Auf diese nicht sonderlich subtile Weise charakterisiert dieser „Tatort“ die gegensätzlichen Kommissare, zu denen sich noch der Bremer Kommissar Böck (Hans Häckermann) gesellt, der, wie damals nicht unüblich, einen Gastauftritt hinlegt. Vom zweiten Mord erfährt man aus dem Radio, gezeigt wird er weder in seiner Vorbereitung noch Durchführung. Bald jedoch sieht man einen nervösen Typen (Fred Albert, „Engel, die ihre Flügel verbrennen“) verdächtig herumschleichen, der sich dann auch (Achtung, Spoiler!) wenig überraschend als der Mörder entpuppt. Als Motiv muss schlicht Geisteskrankheit herhalten. Er bleibt vollkommen facettenlos, doch Albert gelingt es, ihn durch sein Schauspiel aufzuwerten und memorabel zu interpretieren. Haften bleiben dürfte auch die schauspielerische Leistung Marie-Luise Marjans („Lindenstraße“) als Kneipenwirtin Helga, jedoch eher im negativen Sinne: Ihre Theatralik, als sie sich vor dem Mörder erschrickt, wirkt unfreiwillig komisch.

Ein wenig Einblick ins Privatleben Haferkamps erhält man durch sein Treffen mit seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum), währenddessen er seinen Geistesblitz erhält, indem er sich an widersprüchliche Aussagen Ursula Danz‘ erinnert. Das eigentlich Interessante an dieser Episode ist das Dilemma, in dem sich die Maurers und Frau Danz wähnen, die aus Selbstschutz nicht aussagen wollen – und wie sie dann doch zu knacken sind. Der Fall „Der Mann aus Zimmer 22“ ist in sich rund, vernachlässigt seine Täterfigur jedoch leider sträflich, indem lediglich ein wenig über sie geredet wird, statt auch sie zu charakterisieren und zu fokussieren. Sonderlich aufregend oder spektakulär ist hier also nichts. Fazit: Solider Durchschnitt mit ein paar Abzügen bei den Schauwerten und beim Ensemble.
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Falco – Die ultimative Doku

„Wenn ich morgen meinem Gott gegenüberstehe, kann ich ihm sagen: ‚Ich bin unschuldig. Ich habe niemanden betrogen, ich habe niemandem wehgetan – außer mir selbst.‘“

Dokumentationen über den österreichischen Ausnahme-Musiker, -Entertainer, -Künstler und die ‘80er-Popkultur-Ikone Falco (bürgerlich: Johann „Hans“ Hölzel) gibt es mittlerweile ja so einige, und die meisten sind tatsächlich recht gelungen. Sie entstanden meist unter Mitwirkung bzw. Federführung des Musikvideo- und -Doku-Regisseurs Rudi Dolezal, einem engen Vertrauten Falcos, der zahlreiche seiner Musikvideos inszeniert hatte. Auch der 2017 anlässlich Falcos 60. Geburtstags erstausgestrahlte, abendfüllende Dokumentarfilm „Falco – Die ultimative Doku“ wurde von Dolezal konzipiert und gedreht. Dafür rechtfertigt er, der auch als Off-Erzähler durch den Film führt, sich dann auch gleich zu Beginn und erläutert, weshalb es ihm wichtig war, einen weiteren Falco-Film zu drehen: 100%ig zufrieden sei er bisher nie gewesen; er habe den Drang verspürt, die ultimative Dokumentation nachlegen zu müssen. Da er tatsächlich eine Menge neues Material – und neue Erkenntnisse – mitbringt, bin ich der Letzte, der sich darüber beschweren würde, zumal ich mich über jedes Wiedersehen mit Falco freue.

„Falco war ein Getriebener.“

„Falco – Die ultimative Doku“ beginnt mit dem großartigen Tributsong „Falco Super Star“ von The Bolland Project feat. Alida. Nach der oben beschriebenen Einleitung widersteht Dolezal jeder Versuchung einer streng chronologischen oder bereits in anderen Dokus erschöpfend behandelte Gossipthemen aus Falcos Privatleben aufgreifenden Abhandlung. Stattdessen arbeitet er – neben den zu erwartenden zahlreich eingestreuten Archivaufnahmen und Videoclips – mit raren Aufnahmen aus der Dominikanischen Republik, in der Falco die letzten Jahres seines Lebens verbrachte und leider auch den viel zu frühen Tod fand. Dolezal besucht ein Zimmer in Falcos Wohnung, die aussieht, als käme er jeden Moment zur Tür rein. Sicherlich nicht nur für mich war neu, dass Falco nach seinem Durchbruch in den USA mit „Rock Me Amadeus“ die Promotion für seine nächste Single „Vienna Calling“ torpedierte. O-Ton Falco: „Es ist mir völlig wurscht, was die Amis wollen! Ein Interview muss reichen, sonst flipp‘ ich aus!“ Für die weiteren Radio-Interviews musste sein Promoter ihn dann imitieren…

Dolezal trifft Brigitte Nielsen wieder, dänische Hollywood-Schauspielerin, Sängerin und ‘80er-Sexsymbol, und man tauscht Anekdoten zum „Body Next To Body“-Duett-Videodreh aus. Ursprünglich sei ein Duett mit Madonna angedacht gewesen, doch dies habe Falco abgelehnt, woraufhin Nielsen ins Spiel gekommen sei. Weitere Interviewpartner(innen) sind u.a. Niki Lauda, Ferdi und Rob Bolland, Frank Farian und Falcos Mutter Maria Hölzel. Am bedeutendsten jedoch: Exklusiv für diesen Film bricht Hans Reinisch sein Schweigen, ein langjähriger Freund Falcos in der Dominikanischen Republik. Dort habe Falco unerkannt leben können, er sei clean und gesund gewesen und habe die Liebe zur Musik sowie eine neue Freundin kennengelernt – die einheimische Selina, die keinen Schimmer gehabt habe, wer er ist. Zur Feier seines 40. Geburtstags habe sich jedoch Besuch aus Wien angekündigt, der mutmaßlich Kokain mitgebracht habe. Falco sei mit Alkohol und Drogen rückfällig geworden, Selina habe erschrocken die Beziehung beendet.

Das habe Falco nicht gut verkraftet und ihn tiefer ins überwunden geglaubte psychische Elend getrieben. Bereits sechs Wochen vor seinem Tod habe er einen schweren Autounfall gehabt, den nächsten hat er nicht überlegt. Etwas befremdlich erscheint es mir, dass Dolezal die dem tödlichen Unfall vorausgegangenen Momente spielfilmartig mit Schauspieler Axel Herring („Jump!“) als Falco-Double nachstellt – an Originalschauplätzen. Doch Dolezal hat auch erstmals Einblicke in Falcos Tagebücher erhalten, aus denen er von der Falco ähnelnden Stimme Gerald Sagmeisters aus dem Off das eine oder andere Zitat einstreuen lässt. Das Drama um Falcos dann doch nicht leibliche Tochter wird hingegen lediglich kurz angerissen. Schließlich überrascht Dolezal dann doch noch mit einem Rückblick zu Falcos musikalischen Anfängen inklusive toller alter Aufnahmen. Auch seine späteren Technoprojekte T»MA und T»MB finden Erwähnung.

Der Film springt also fleißig in Falcos Biografie hin und her, während er sich auf der Suche nach Hans Hölzels wahrer Identität hinter der Kunstfigur Falco befindet: Wie war er wirklich und was bleibt von ihm? Offenbar war er eben auch jemand, der zu seinen aktiven Musikerzeiten fast immer eine gewisse „Grunddröhnung“ brauchte, dies aber nicht immer ausbalancieren konnte und dann oft unausstehlich wurde. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt lagen wohl auch bei Falco bzw. Hans Hölzel oft dicht beieinander. Die mit Falco verbundene Tragik bringt Dolezal gut auf den Punkt.

Das ist alles sehr traurig, aber auch tatsächlich eine sinnvolle Ergänzung zu den zuvor veröffentlichten Dokumentationen. Insgesamt eine schöne Ehrerbietung, die die Schattenseiten Falcos verständlich zu machen versucht, aber trotz intimerer Einblicke als gewohnt bestimmte Grenzen respektiert – und eine solch starke persönliche Prägung Rudi Dolezals aufweist wie keine Doku zuvor.
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