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491 - Vilgot Sjöman (1964)
Verfasst: Do 25. Apr 2013, 07:51
von jogiwan
491
Originaltitel:
491
Herstellungsland: Schweden / 1964
Regie: Vilgot Sjöman
Darsteller: Sven Algotsson, Bo Andersson, Mona Andersson, Jan Blomberg, Torleif Cederstrand
Story:
In der Jugendpension "Sachlichkeit" werden sechs kriminelle Jugendliche zusammengesteckt, um an einem staatlichen Experiment zur Resozialisierung teilzunehmen. Ihnen wird zur Kontrolle ein junger Soziologiestudent zugeteilt, doch dessen Unerfahrenheit und seine persönlichen Moralvorstellungen werden schnell zur Zielscheibe der Sträflinge. Ihrem inneren Hass auf die Gesellschaft lassen sie durch weitere kriminelle Taten freien Lauf. Mit Diebstahl, Zuhälterei und Vandalismus fordern sie ihren Aufpasser heraus und das Auftauchen der Hure Steva lässt das Experiment völlig eskalieren. (quelle: amazon.de)
Re: 491 - Vilgot Sjöman (1964)
Verfasst: Do 25. Apr 2013, 08:07
von jogiwan
Nach der empfehlenswerten Doku "Allein in vier Wänden" in der minderjährige Straftäter in einem russischen Heim portraitiert werden, hatte ich gestern noch Lust auf den "Skandalfilm" aus dem Jahre 1964 über schwedische Jugendkriminelle, die in einer Art Wohngemeinschaft resozialisiert werden sollen. Irgendwie lässt einem der seltsame Film aber ziemlich ratlos zurück und außer (damaligen) Tabubrüchen und Hackfressen mit viel krimineller Energie bietet der Streifen von Regisseur Vilgot Sjöman ja eigentlich nicht viel. Das mit dem Projekt ist ja auch eher loser Aufhänger für einen Streifen, in dem sich die Jugendlichen immer weiter gegenseitig aufstacheln, mit ihrem Aufpasser ein eher lahmes und ungleiches Psychoduell liefern und irgendwann kommt dann eine Hure und ein Hündchen ins Spiel, das dafür sorgte, dass seinerzeite der Zuchtverband deutscher Schäferhunde auf die Barrikaden stieg. Viel Lärm um wenig und Sjömans nachfolgende "Ich bin neugierig"-Zweiteiler fand ich da als Zeitdokument und Portrait der schwedischen Gesellschaft auch wesentlich interessanter. Spannender ist da wohl eher die deutsche Zensurgeschichte des Streifens, aber ansonsten war ich ehrlich gesagt doch etwas enttäuscht.
Re: 491 - Vilgot Sjöman (1964)
Verfasst: Mi 30. Jul 2014, 21:48
von buxtebrawler
„Du bist hier völlig freiwillig!“
Mit „491“ des schwedischen Regisseurs Vilgot Sjöman („Ich bin neugierig – gelb/blau“) nach Drehbuch Lars Görlings, der auch die autobiographische Romanvorlage lieferte, wurde nach „Sie tanzte nur einen Sommer“, „Die Zeit mit Monika“ und „Das Schweigen“ ein weiterer schwedischer Spielfilm zum „Skandalfilm“ hochstilisiert – obwohl auch dieses Jugenddrama aus heutiger Sicht vergleichsweise harmlos wirkt.
Mit einer Gruppe straffälliger Jugendlicher wird ein Experiment durchgeführt: Untergebracht in der „Pension Sachlichkeit“ sollen sie sich einem Resozialisierungsprogramm unter Beaufsichtigung zweier Sozialarbeiter unterziehen. Doch das Experiment gerät außer Kontrolle...
In der christlichen Mythologie heißt es, dass einem Menschen 490 Sünden vergeben würden, die eine weitere aber unverzeihbar wäre. Bewusst in kontrastreichen Schwarzweißbildern gedreht, eröffnet Sjöman seinen Film mit dem Gespräch mit einem Probanden, den man erst am Schluss der Einstellung zu sehen bekommt. Es geht um das Resozialisierungsprojekt, über das Sozialarbeiter Krister (Lars Lind, „Skandalschule“) zu Standbildern aus dem Off zu erzählen beginnt. Sehr nüchtern und langsam nimmt dann der eigentliche, teilweise mit Laien besetzte und in Guerilla-Manier halbdokumentarisch gedrehte Film seinen Lauf: Desillusionierend und pessimistisch wird auf eine positiv konnotierte Identifikationsfigur verzichtet, sämtliche Rollen ambivalent gestaltet, ihnen allen Dreck an den Stecken geheftet und sich niemand mit Ruhm bekleckern gelassen. Während sich die erwachsenen am Projekt Beteiligten wahlweise als ihre Autorität in Form von sexuellen Übergriffen auf die Jugendlichen missbrauchend oder gar nicht erst über welche verfügend entpuppen, üben sich die gelangweilten Jung-Soziopathen in Destruktivität sowie dem Ausleben ihrer niedersten Instinkte und kennen keinerlei Respekt vor irgendetwas. Dies gipfelt nach Diebstahl, Besäufnis und Sex mit der jungen Prostituierten Steva (Lena Nyman, „Ich bin neugierig – gelb/blau“) darin, letztere durch einen Hund vergewaltigen zu lassen.
Das mag wahnsinnig dreckig, schockierend und provokant klingen, doch passiert lange Zeit überhaupt nichts Skandalöses, zumindest nicht visuell. Die episodische, fragmentarische Handlung lässt kaum Spannung aufkommen und verliert sich in vielen offenbar in Echtzeit gedrehten Details. Dadurch wirkt „491“ recht langatmig und zäh, zumal es schwerfällt, das Verhalten der unzureichend charakterisierten Rollen nachzuvollziehen. Der Film selbst nimmt keine eindeutige Position ein, schwingt also auch keine moralistischen Zeigefinger, was mit zur skandalträchtigen Wirkung beigetragen haben dürfte, bietet aber auch keine Lösungsmöglichkeiten oder Alternativen an. Hier ist einfach jeder verkommen oder unfähig. Von der als Quasi-Pointe präsentierten Sodomie-Szene bekommt man selbstredend auch nicht das Geringste zu sehen, stattdessen wird auch gegen Ende wieder mit künstlerischen Standbildfolgen gearbeitet.
Letztlich ist „491“ ein sicherlich nicht uninteressantes Zeitdokument, das einen kritischen, gleichwohl negativen Blick auf (pseudo-)pädagogische Konzepte richtete und das eine oder andere filmische Tabu brach, indem es Sexualverbrechen mehr oder weniger offen ansprach, ferner ein filmhistorisches Beispiel für die Zensurhysterie einflussreicher moralistischer Kreise, aufgrund derer auch die deutsche Kinofassung reichlich Federn lassen musste. Im Jahre 2014 hat der Zahn der Zeit den Film aber seiner Wirkung beraubt, der gerade auch aufgrund seiner eher sperrigen Inszenierung überholt wirkt, relativ kalt lässt und über kein sonderliches Unterhaltungspotential verfügt – wobei letzteres sicherlich auch nie Intention Sjömans war.