Berberian Sound Studio - Peter Strickland (2012)
Moderator: jogiwan
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Re: Berberian Sound Studio (2012) - Peter Strickland
BERBERIAN SOUND STUDIO (Großbritannien 2012, Regie: Peter Strickland)
Im Ernst: Was für ein großartiger Film… am Anfang. Für jeden Italophilen dürfte diese Hommage eine Bombe sein, sind doch der Stil, die Charaktere und einfach alles so absolut genial eingefangen, inszeniert und – natürlich – vertont! Der Film im Film (und das eingangs dazu eigens inszenierte Intro) ist ja als Santini-Film ganz offensichtlich der Wahnsinn (natürlich kein Giallo, sondern richtig fieser Splatter-Horror!)! Und wieder ein armer Brite in den Fängen der italienischen Filmemacher, die hohe Leistung erwarten und am liebsten nichts dafür löhnen. Und dann… ja… nichts „dann“. Das war es dann auch schon. Es gibt keine Geschichte, keine nennenswerte Handlung, keine Spannung, kein nichts. Mehr als eine (extrem tiefe) Verbeugung vor dem Italo-Sounddesign bietet der Film nicht, weshalb die letzte halbe Stunde ebenso uninteressant wie irrelevant ist. Merkwürdig, selten möchte man ein Must-See so sehr mit einer Warnung versehen, wie hier…
Im Ernst: Was für ein großartiger Film… am Anfang. Für jeden Italophilen dürfte diese Hommage eine Bombe sein, sind doch der Stil, die Charaktere und einfach alles so absolut genial eingefangen, inszeniert und – natürlich – vertont! Der Film im Film (und das eingangs dazu eigens inszenierte Intro) ist ja als Santini-Film ganz offensichtlich der Wahnsinn (natürlich kein Giallo, sondern richtig fieser Splatter-Horror!)! Und wieder ein armer Brite in den Fängen der italienischen Filmemacher, die hohe Leistung erwarten und am liebsten nichts dafür löhnen. Und dann… ja… nichts „dann“. Das war es dann auch schon. Es gibt keine Geschichte, keine nennenswerte Handlung, keine Spannung, kein nichts. Mehr als eine (extrem tiefe) Verbeugung vor dem Italo-Sounddesign bietet der Film nicht, weshalb die letzte halbe Stunde ebenso uninteressant wie irrelevant ist. Merkwürdig, selten möchte man ein Must-See so sehr mit einer Warnung versehen, wie hier…
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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- Nello Pazzafini
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Re: Berberian Sound Studio (2012) - Peter Strickland
wieder einer der schlüssige Enden braucht.....purgatorio hat geschrieben:BERBERIAN SOUND STUDIO (Großbritannien 2012, Regie: Peter Strickland)
Im Ernst: Was für ein großartiger Film… am Anfang. Für jeden Italophilen dürfte diese Hommage eine Bombe sein, sind doch der Stil, die Charaktere und einfach alles so absolut genial eingefangen, inszeniert und – natürlich – vertont! Der Film im Film (und das eingangs dazu eigens inszenierte Intro) ist ja als Santini-Film ganz offensichtlich der Wahnsinn (natürlich kein Giallo, sondern richtig fieser Splatter-Horror!)! Und wieder ein armer Brite in den Fängen der italienischen Filmemacher, die hohe Leistung erwarten und am liebsten nichts dafür löhnen. Und dann… ja… nichts „dann“. Das war es dann auch schon. Es gibt keine Geschichte, keine nennenswerte Handlung, keine Spannung, kein nichts. Mehr als eine (extrem tiefe) Verbeugung vor dem Italo-Sounddesign bietet der Film nicht, weshalb die letzte halbe Stunde ebenso uninteressant wie irrelevant ist. Merkwürdig, selten möchte man ein Must-See so sehr mit einer Warnung versehen, wie hier…
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Re: Berberian Sound Studio (2012) - Peter Strickland
neee, ich komme auch ohne schlüssige Enden zurecht. Aber Substanz wäre schon schön. Eine reine Hommage ohne Handlung war mir dann doch zu wenigNello Pazzafini hat geschrieben:wieder einer der schlüssige Enden braucht.....purgatorio hat geschrieben:BERBERIAN SOUND STUDIO (Großbritannien 2012, Regie: Peter Strickland)
Im Ernst: Was für ein großartiger Film… am Anfang. Für jeden Italophilen dürfte diese Hommage eine Bombe sein, sind doch der Stil, die Charaktere und einfach alles so absolut genial eingefangen, inszeniert und – natürlich – vertont! Der Film im Film (und das eingangs dazu eigens inszenierte Intro) ist ja als Santini-Film ganz offensichtlich der Wahnsinn (natürlich kein Giallo, sondern richtig fieser Splatter-Horror!)! Und wieder ein armer Brite in den Fängen der italienischen Filmemacher, die hohe Leistung erwarten und am liebsten nichts dafür löhnen. Und dann… ja… nichts „dann“. Das war es dann auch schon. Es gibt keine Geschichte, keine nennenswerte Handlung, keine Spannung, kein nichts. Mehr als eine (extrem tiefe) Verbeugung vor dem Italo-Sounddesign bietet der Film nicht, weshalb die letzte halbe Stunde ebenso uninteressant wie irrelevant ist. Merkwürdig, selten möchte man ein Must-See so sehr mit einer Warnung versehen, wie hier…
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Re: Berberian Sound Studio (2012) - Peter Strickland
ich hab mich wie Gilderoy am Ende auch hoffnungslos im italienischen Genre-Kino verirrt... Non c'è scampo!
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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- Salvatore Baccaro
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Re: Berberian Sound Studio - Peter Strickland (2012)
Abt.: Braunschweiger Filmfest 2022 Revisited
Einige lose Gedanken zu Peter Stricklands Zweitlingswerk BERBERIAN SOUND STUDIO aus dem Jahre 2012, der für mich nach zwei Heimmediumssichtungen auf der großen Leinwand (in Anwesenheit des Maestros) erst seine volle Magie entfaltete:
1) Es ist kein Zufall oder gar plumpe Vorbilder-Glorifikation, dass es Stricklands verklemmten Toningenieur Gilderoy ausgerechnet in die Post-Production eines italienischen Genrefilms der 70er verschlägt: THE EQUESTRIAN VORTEX heißt das Werk, das der völlig unvorbereitete Brite für den exzentrischen Regisseur Santini (sic!) vertonen soll, und scheint eine Mischung darzustellen aus Mario Bavas LA MASCHERA DEL DEMONIO und Dario Argentos SUSPIRIA, verfeinert mit den exorbitanten (mitunter sado-sexuellen) Gewaltorgien eines Joe D’Amato – und unser arme Held dachte bis zu dem Zeitpunkt, wo die ersten Frames vor seinen entsetzten Augen flimmern, er solle, wie sonst auch, eine Tierdokumentation mit filigranen Soundgewändern versehen! Gerade der Italo-Horror steht wie kaum eine andere Genre-Kino-Variante für visuelle Exzesse: Es ist ein Kino der Performanz, keines, das primär erzählen oder erklären möchte. Gerade diese exzessive Visualität verweigert Stricklands uns aber durch den Kniff, dass wir in BERBERIAN SOUND STUDIO vom EQUESTRIAN VORTEX nichts weiter zu sehen bekommen als eine stylische Vorspannsequenz: Ansonsten sind es allein die Reaktionen in Gilfords mit Abscheu und Faszination ringendem Gesicht sowie die grellen Schreie, wuchtigen Effekte, diabolischen Dämonenchöre auf der Tonspur, die uns einen Eindruck davon vermitteln, was für ein Magenschwinger Santinis Film sein dürfte – ein bisschen so, als hätte Ruggero Deodato in CANNIBAL HOLOCAUST darauf verzichtet, die Grausamkeiten von Yates‘ Team und dessen unrühmliches Ende explizit zu bebildern, und es stattdessen dabei belassen, unsere Vorstellung davon, was da für schlimme Dinge im Amazonasdschungel geschehen sein müssen, allein an die Mimik Professor Monroes und die reine Geräuschkulisse zu delegieren. Wie man spätestens seit Hitchcocks PSYCHO weiß, ist es gar nicht notwendig, brutalste Splattereffekte vor den Latz geknallt zu bekommen, um den Eindruck zu erhalten, einem wahren Blutrausch beigewohnt zu haben: Reine Suggestion liefert die berühmte Duschmordsequenz an Janet Leigh; dass Bates‘ Messer ihren nackten Körper zerfetzt, das sehen nicht unsere Augen, sondern das konstruiert allein unser Verstand. So gesehen stopft THE EQUESTRIAN VORTEX unserem Helden Gildford und uns selbst einen wesentlich schwereren Kloß in den Hals, als wenn Strickland immer wieder zwischen Monotonie im Tonstudio und Hexenhorror auf der Leinwand hin und her geswitcht hätte. CINEMATOGRAFO CEREBRALE heißt eine Erzählung des italienischen Schriftstellers Edmondo de Amicis aus dem Jahre 1907: Zerebrales Kino – ein Kino, das sich unseren Blicken entzieht, und dadurch seine niederschmetternde Wirkung entfaltet. Wäre SUSPIRIA als bloße mentale Schau möglicherweise eine noch größere Offenbarung als in der sichtbaren Version?
2) Nichtsdestotrotz erinnert BERBERIAN SOUND STUDIO rein inszenatorisch natürlich an die großen Klassiker des Italo-Horrors - und das, wie gesagt, ohne dass jenseits der innerfilmischen Leinwand irgendwelche Giallo-Killer, irgendwelche Hexenmütter, irgendwelche glockenseilbaumelnde Zombiepriester auftauchen würden. Strickland versteht es kongenial, diverse Ingredienzien aus dem Fundus von Regisseuren wie Bava, Argento, Fulci durch den entkontextualisierenden Fleischwolf zu drehen, sprich, einerseits ironisch mit ihnen umzuspringen, und sie andererseits genauso anzuwenden wie ihre Macher sie intendiert haben: Als Stilmittel, um mir Gänsehäute den Nacken runterzujagen. Schwarzbehandschuhte Hände, die Tonregler bedienen, zu einem phantomhaften Tonmann gehörend, den wir nie zu Gesicht bekommen; Frauen, die sich in der Tonkabine die Seele aus dem Leib schreien, weil es die Frauen, denen sie ihre Stimmen leihen, zeitgleich auf der (unsichtbaren) Leinwand tun; lange öde Flure, durch die Gilford schleichen muss, um von einem Studioraum zum nächsten zu gelangen; immer wieder ein profund rot leuchtendes Schild: Silenzio!; schließlich die Apparaturen, mit denen Gilford operiert, als unheimliches Inventar von Objekten, die, wie es Argento in INFERNO zelebriert, sich jederzeit gegen ihre Schöpfer wenden könnten. Als Italo-Hommage ist BERBARIAN SOUND STUDIO dementsprechend wesentlich origineller als die synästhetischen Imitationen von Leuten wie den argentinischen Onetti-Brüdern oder einem rein narrativ orientierten Streifen wie Andreas Marschalls MASKS. (Meiner Meinung nach kann es mit BERBARIAN SOUND STUDIO letztlich nur Cattets und Forzanis AMER aufnehmen, wenn der auch natürlich einen ganz eigenen Weg findet, sich am Horror- und Thrillerkino des Stiefellands abzuarbeiten.) BERBARIAN SOUND STUDIO ist alles in einem: Huldigung; augenzwinkernde Parodie; dekonstruktivistische Studie; avantgardistische Neuschöpfung; metareflexiver Schocker. Einem Vexierbild gleich kann dieser merkwürdige Film nicht mal formal wirklich gefasst werden: Als Spielfilm funktioniert er kaum mit seiner repetitiven Struktur und seiner kaum vorhandenen Handlung; als Experimentalfilm stehen ihm die erzählerischen Elemente im Wege, die es dann doch mehr oder weniger stark gibt; als reiner Genrefilm hängt er zu sehr auf seiner (überhaupt nicht prätentiösen) Meta-Ebene ab. Am ehesten gilt: BERBERIAN SOUND STUDIO ist, wie das Beste von Bava, von Argento, von Fulci, ein Kino purer Performanz.
3) Für mich ist fundamentales Thema von BERBARIAN SOUND STUDIO Gewalt. Filmemachen als Gewaltakt. Gewalt, die von gesellschaftlichen Hierarchien sanktioniert wird. Gewalt und Geschlecht. Vor allem die Gewalt, die Frauen von Männern erfahren. Santini und sein Assistent sind wandelnde Machismo-Definitionen: Da werden Frauenkörper in der außerfilmischen Realität konsumiert wie Spirituosen; da werden Frauenkörper innerhalb der innerfilmischen Realität – eben dem Film EQUESTRIAN VORTEX – nach allen Regeln der Kunst malträtiert. Geschrien werden soll in den Tonkabinen, bis die Lungen wund sind; im Film selbst wiederum haben die Schauspielerinnen zahllose misogyne Attacken über sich ergehen lassen müssen. Anfangs ist Gilford sprachlos angesichts der Gewalt, wie sie in Santinis Film gefeiert wird; mehrmals steht er kurz davor, die Produktion zu verlassen, zurück nach England zu fliegen, knickt dann aber doch immer wieder ein, weil er als eher zurückhaltender, introvertierter Vertreter des männlichen Geschlechts leichter Spielball für Santinis Manipulationsversuche darstellt. Immerhin aber steht er aufgrund seines Penis noch über der Damenwelt, die bei Santinis Produktion wie am Fließband verschlissen werden. Einmal rächt sich eine von ihnen für die sexuelle Ausbeutung durch den Regisseur, und zerstört einen Haufen Tonbänder. Das ist zwar schade, jedoch kein Weltuntergang, und ersetzbar sind sie sowieso alle, die Weiber. Im Grunde erleben wir während der neunzig Minuten Laufzeit von Stricklands Film mit, wie Gilford sich mit dem patriarchalen System, in das er unversehens gestolpert ist, nach und nach arrangiert – nein, mehr noch: wie er vom Kritiker desselben zum passiven Beobachter und schließlich gar zum Mittäter wird. Die für mich wichtigste Szene in BERBARIAN SOUND STUDIO ist folgende: Santini mault mal wieder darüber, dass eine der Synchronisationsdamen nicht grell genug kreischt. Er bittet Gilford, den Ton des Films, den sie per Kopfhörer direkt in die Gehörgänge gepumpt bekommt, so laut aufzudrehen wie möglich; er möchte sie leiden sehen; er möchte, dass sie ihren Schmerz nicht mehr bloß spielt, sondern ihn tatsächlich am eigenen Leib erlebt. Gilford zögert nur kurz, tut dann, wie ihm geheißen, und die Dame in der Kabine fängt sofort zu brüllen an, als ihr der plötzlich ohrenbetäubende Sound beinahe das Trommelfell zerreißt. Bezeichnend ist: Santini macht sich nicht selbst die Hände an den Reglern schmutzig; das überlässt er schön seinem Lakaien Gilford, der dann anschließend auch das schlechte Gewissen mit in die allnächtlichen Alpträume nehmen darf. Dass Strickland uns im Grunde eine Parabel über die Verführbarkeit zur Unmenschlichkeit vor Augen stellt, lässt seine Italo-Horror-Referenzen noch mal in einem anderen Licht erscheinen. Hält BERBERIAN SOUND STUDIO den Jugendschützern, die Fulci-Filme auf den Index setzen wollen, denn nicht entgegen: Ja, beides bedingt einander, Film-Realität und Welt-Realität sind durchaus miteinander verknüpft, manchmal spiegeln sie einander sogar, doch für die wahre Gewalt, dafür sind nicht die aus ihren Gräbern krauchenden Untoten zuständig, sie passiert stattdessen mitten unter uns, beispielweise in einem Tonstudio, und zudem ohne Bohrmaschine, ohne Spitzhacke, ohne Kettensäge, sondern allein durch eine Hand, die nach anfänglichem Zaudern einen Lautstärkeregler ein bisschen in die Höhe dreht?
Einige lose Gedanken zu Peter Stricklands Zweitlingswerk BERBERIAN SOUND STUDIO aus dem Jahre 2012, der für mich nach zwei Heimmediumssichtungen auf der großen Leinwand (in Anwesenheit des Maestros) erst seine volle Magie entfaltete:
1) Es ist kein Zufall oder gar plumpe Vorbilder-Glorifikation, dass es Stricklands verklemmten Toningenieur Gilderoy ausgerechnet in die Post-Production eines italienischen Genrefilms der 70er verschlägt: THE EQUESTRIAN VORTEX heißt das Werk, das der völlig unvorbereitete Brite für den exzentrischen Regisseur Santini (sic!) vertonen soll, und scheint eine Mischung darzustellen aus Mario Bavas LA MASCHERA DEL DEMONIO und Dario Argentos SUSPIRIA, verfeinert mit den exorbitanten (mitunter sado-sexuellen) Gewaltorgien eines Joe D’Amato – und unser arme Held dachte bis zu dem Zeitpunkt, wo die ersten Frames vor seinen entsetzten Augen flimmern, er solle, wie sonst auch, eine Tierdokumentation mit filigranen Soundgewändern versehen! Gerade der Italo-Horror steht wie kaum eine andere Genre-Kino-Variante für visuelle Exzesse: Es ist ein Kino der Performanz, keines, das primär erzählen oder erklären möchte. Gerade diese exzessive Visualität verweigert Stricklands uns aber durch den Kniff, dass wir in BERBERIAN SOUND STUDIO vom EQUESTRIAN VORTEX nichts weiter zu sehen bekommen als eine stylische Vorspannsequenz: Ansonsten sind es allein die Reaktionen in Gilfords mit Abscheu und Faszination ringendem Gesicht sowie die grellen Schreie, wuchtigen Effekte, diabolischen Dämonenchöre auf der Tonspur, die uns einen Eindruck davon vermitteln, was für ein Magenschwinger Santinis Film sein dürfte – ein bisschen so, als hätte Ruggero Deodato in CANNIBAL HOLOCAUST darauf verzichtet, die Grausamkeiten von Yates‘ Team und dessen unrühmliches Ende explizit zu bebildern, und es stattdessen dabei belassen, unsere Vorstellung davon, was da für schlimme Dinge im Amazonasdschungel geschehen sein müssen, allein an die Mimik Professor Monroes und die reine Geräuschkulisse zu delegieren. Wie man spätestens seit Hitchcocks PSYCHO weiß, ist es gar nicht notwendig, brutalste Splattereffekte vor den Latz geknallt zu bekommen, um den Eindruck zu erhalten, einem wahren Blutrausch beigewohnt zu haben: Reine Suggestion liefert die berühmte Duschmordsequenz an Janet Leigh; dass Bates‘ Messer ihren nackten Körper zerfetzt, das sehen nicht unsere Augen, sondern das konstruiert allein unser Verstand. So gesehen stopft THE EQUESTRIAN VORTEX unserem Helden Gildford und uns selbst einen wesentlich schwereren Kloß in den Hals, als wenn Strickland immer wieder zwischen Monotonie im Tonstudio und Hexenhorror auf der Leinwand hin und her geswitcht hätte. CINEMATOGRAFO CEREBRALE heißt eine Erzählung des italienischen Schriftstellers Edmondo de Amicis aus dem Jahre 1907: Zerebrales Kino – ein Kino, das sich unseren Blicken entzieht, und dadurch seine niederschmetternde Wirkung entfaltet. Wäre SUSPIRIA als bloße mentale Schau möglicherweise eine noch größere Offenbarung als in der sichtbaren Version?
2) Nichtsdestotrotz erinnert BERBERIAN SOUND STUDIO rein inszenatorisch natürlich an die großen Klassiker des Italo-Horrors - und das, wie gesagt, ohne dass jenseits der innerfilmischen Leinwand irgendwelche Giallo-Killer, irgendwelche Hexenmütter, irgendwelche glockenseilbaumelnde Zombiepriester auftauchen würden. Strickland versteht es kongenial, diverse Ingredienzien aus dem Fundus von Regisseuren wie Bava, Argento, Fulci durch den entkontextualisierenden Fleischwolf zu drehen, sprich, einerseits ironisch mit ihnen umzuspringen, und sie andererseits genauso anzuwenden wie ihre Macher sie intendiert haben: Als Stilmittel, um mir Gänsehäute den Nacken runterzujagen. Schwarzbehandschuhte Hände, die Tonregler bedienen, zu einem phantomhaften Tonmann gehörend, den wir nie zu Gesicht bekommen; Frauen, die sich in der Tonkabine die Seele aus dem Leib schreien, weil es die Frauen, denen sie ihre Stimmen leihen, zeitgleich auf der (unsichtbaren) Leinwand tun; lange öde Flure, durch die Gilford schleichen muss, um von einem Studioraum zum nächsten zu gelangen; immer wieder ein profund rot leuchtendes Schild: Silenzio!; schließlich die Apparaturen, mit denen Gilford operiert, als unheimliches Inventar von Objekten, die, wie es Argento in INFERNO zelebriert, sich jederzeit gegen ihre Schöpfer wenden könnten. Als Italo-Hommage ist BERBARIAN SOUND STUDIO dementsprechend wesentlich origineller als die synästhetischen Imitationen von Leuten wie den argentinischen Onetti-Brüdern oder einem rein narrativ orientierten Streifen wie Andreas Marschalls MASKS. (Meiner Meinung nach kann es mit BERBARIAN SOUND STUDIO letztlich nur Cattets und Forzanis AMER aufnehmen, wenn der auch natürlich einen ganz eigenen Weg findet, sich am Horror- und Thrillerkino des Stiefellands abzuarbeiten.) BERBARIAN SOUND STUDIO ist alles in einem: Huldigung; augenzwinkernde Parodie; dekonstruktivistische Studie; avantgardistische Neuschöpfung; metareflexiver Schocker. Einem Vexierbild gleich kann dieser merkwürdige Film nicht mal formal wirklich gefasst werden: Als Spielfilm funktioniert er kaum mit seiner repetitiven Struktur und seiner kaum vorhandenen Handlung; als Experimentalfilm stehen ihm die erzählerischen Elemente im Wege, die es dann doch mehr oder weniger stark gibt; als reiner Genrefilm hängt er zu sehr auf seiner (überhaupt nicht prätentiösen) Meta-Ebene ab. Am ehesten gilt: BERBERIAN SOUND STUDIO ist, wie das Beste von Bava, von Argento, von Fulci, ein Kino purer Performanz.
3) Für mich ist fundamentales Thema von BERBARIAN SOUND STUDIO Gewalt. Filmemachen als Gewaltakt. Gewalt, die von gesellschaftlichen Hierarchien sanktioniert wird. Gewalt und Geschlecht. Vor allem die Gewalt, die Frauen von Männern erfahren. Santini und sein Assistent sind wandelnde Machismo-Definitionen: Da werden Frauenkörper in der außerfilmischen Realität konsumiert wie Spirituosen; da werden Frauenkörper innerhalb der innerfilmischen Realität – eben dem Film EQUESTRIAN VORTEX – nach allen Regeln der Kunst malträtiert. Geschrien werden soll in den Tonkabinen, bis die Lungen wund sind; im Film selbst wiederum haben die Schauspielerinnen zahllose misogyne Attacken über sich ergehen lassen müssen. Anfangs ist Gilford sprachlos angesichts der Gewalt, wie sie in Santinis Film gefeiert wird; mehrmals steht er kurz davor, die Produktion zu verlassen, zurück nach England zu fliegen, knickt dann aber doch immer wieder ein, weil er als eher zurückhaltender, introvertierter Vertreter des männlichen Geschlechts leichter Spielball für Santinis Manipulationsversuche darstellt. Immerhin aber steht er aufgrund seines Penis noch über der Damenwelt, die bei Santinis Produktion wie am Fließband verschlissen werden. Einmal rächt sich eine von ihnen für die sexuelle Ausbeutung durch den Regisseur, und zerstört einen Haufen Tonbänder. Das ist zwar schade, jedoch kein Weltuntergang, und ersetzbar sind sie sowieso alle, die Weiber. Im Grunde erleben wir während der neunzig Minuten Laufzeit von Stricklands Film mit, wie Gilford sich mit dem patriarchalen System, in das er unversehens gestolpert ist, nach und nach arrangiert – nein, mehr noch: wie er vom Kritiker desselben zum passiven Beobachter und schließlich gar zum Mittäter wird. Die für mich wichtigste Szene in BERBARIAN SOUND STUDIO ist folgende: Santini mault mal wieder darüber, dass eine der Synchronisationsdamen nicht grell genug kreischt. Er bittet Gilford, den Ton des Films, den sie per Kopfhörer direkt in die Gehörgänge gepumpt bekommt, so laut aufzudrehen wie möglich; er möchte sie leiden sehen; er möchte, dass sie ihren Schmerz nicht mehr bloß spielt, sondern ihn tatsächlich am eigenen Leib erlebt. Gilford zögert nur kurz, tut dann, wie ihm geheißen, und die Dame in der Kabine fängt sofort zu brüllen an, als ihr der plötzlich ohrenbetäubende Sound beinahe das Trommelfell zerreißt. Bezeichnend ist: Santini macht sich nicht selbst die Hände an den Reglern schmutzig; das überlässt er schön seinem Lakaien Gilford, der dann anschließend auch das schlechte Gewissen mit in die allnächtlichen Alpträume nehmen darf. Dass Strickland uns im Grunde eine Parabel über die Verführbarkeit zur Unmenschlichkeit vor Augen stellt, lässt seine Italo-Horror-Referenzen noch mal in einem anderen Licht erscheinen. Hält BERBERIAN SOUND STUDIO den Jugendschützern, die Fulci-Filme auf den Index setzen wollen, denn nicht entgegen: Ja, beides bedingt einander, Film-Realität und Welt-Realität sind durchaus miteinander verknüpft, manchmal spiegeln sie einander sogar, doch für die wahre Gewalt, dafür sind nicht die aus ihren Gräbern krauchenden Untoten zuständig, sie passiert stattdessen mitten unter uns, beispielweise in einem Tonstudio, und zudem ohne Bohrmaschine, ohne Spitzhacke, ohne Kettensäge, sondern allein durch eine Hand, die nach anfänglichem Zaudern einen Lautstärkeregler ein bisschen in die Höhe dreht?