1. Es gibt zwei große, unterschiedliche Erscheinungsformen, denen man, grob gesagt, das Gros der italienischen Horrorfilme bzw. Thriller der 60er, 70er und 80er zuordnen kann. Im frühen Oeuvre Dario Argentos findet man sie beide. Es eignet sich daher am besten dazu, zu veranschaulichen, was ich meine.
Argentos frühen Gialli – L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970), IL GATTO A NOVE CODE (1971), 4 MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO (1971) – sind allesamt der ersten meiner beiden Kategorien zugehörig. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Logik eine herausstechende Rolle in ihr spielt. Argentos ersten drei Filme sind in ihrem Kern relativ traditionalistische Kriminalfilme nach dem Strickmuster, dass ein über die gesamte Laufzeit hinweg unbekannter Killer im Finale entlarvt wird und die Geschichte, so rätselhaft und zerfasert sie einem auch erschienen sein mag, vom Ende her ihren klaren, eindeutigen Sinn verliehen bekommt. Auch wenn einige losen Fäden übrigbleiben und die menschliche ratio nicht jedem holprigen Plotpunkt folgen kann, fällt das nicht ins Gewicht so lange die Filme innerhalb ihres eigenen Universums über eine immanente Logik verfügen, die Ordnung ins Chaos und Licht ins Dunkel bringt. Wichtigstes Merkmal für die Filme dieser Kategorie ist, dass sie ein Getriebe ihr eigen nennen, bei dem jedes Rädchen unweigerlich in das andere greift, ihre einzelnen Ereignisse und Handlungen strukturell miteinander verschränkt sind und, vor allem, dass sie das offensiv nach außen tragen. Wenn in den Finalen von Argentos Tier-Trilogie so getan wird, als sei dadurch, dass der Zuschauer nun weiß, wer die ganze Zeit die schwarzen Handschuhe getragen und zum Meucheln benutzt hat, nun noch der nebelverhangenste Winkel grell ausgeleuchtet und alle Karten offen auf den Tisch geschmissen, verrät das wie sehr sich die Filme – und ihre Protagonisten – einem Weltbild verschrieben haben, in dem letztlich jedes fragende Zeichen durch ein ausrufendes ersetzt werden wird.
PROFONDO ROSSO (1975) bildet für mich so etwas wie eine Schnittstelle in Argentos Schaffen, ein Seitenwechsel, ein Grenzübergang. Eine Handlung, die so tut, als sei sie logisch, gibt es noch immer. Auch handelnde Figuren, deren Handeln man mehr oder minder nachvollziehen kann. Dennoch überhöht Argento den recht klassischen Giallo-Plot durch die barocke Inszenierung, deren permanentes Anliegen es ist, die reine Geschichte unter der Überlast an Ästhetik nahezu zusammenbrechen zu lassen. Letztlich sind der leere Platz mit seiner Edward-Hopper-Bar oder das angebliche Geisterhaus mit seinem zugemauerten Zimmer und dem unter Wasser stehenden Keller oder die verlassene Grundschule mit den das Mark gefrieren lassenden Kinderzeichnungen nicht nur Räume, die dazu dienen, die Handlung von Station zu Station voranzutreiben, sondern eigenständige Charaktere. In PROFONDO ROSSO beginnt Argento, sein Publikum in archetypische Situationen zu führen, die problemlos für sich stehen können. Der Mord an der Hellseherin oder David Hemmings endloses Umherstapfen im bereits erwähnten Gespensterhaus, das sind Vignetten, die komplett ohne eine Handlung funktionieren würden, in die sie eingebettet sind. Fast schon wie Fremdkörper wirken für mich die Gender-Kabbeleien zwischen Hemmings und Nicolodi oder der lutschersüchtige Polizeiinspektor. Sie entsprechen einfach zu sehr dem Genre-Traditionsmuster, das PROFONDO ROSSO bereits weitgehend zu überhöhen begonnen hat. Ein bisschen stehen sie, als konkrete Zeichen innerhalb eines konkreten Zeichensystems, zu sehr im Widerspruch zu den abstrakten Bewusstseinszuständen des Restfilms.
Noch höher wird es bei SUSPIRIA (1977) und INFERNO (1980). Dort verschlingen die grellen, traumhaften Farben nun endgültig das, was von kohärenten Handlungsgerüsten noch übriggeblieben ist. Gerade INFERNO ist mehr eine Aneinanderreihung irrealer Szenen und Szenerien denn eine schlüssige, nacherzählbare Geschichte. Natürlich hat das unter anderem damit zu tun, dass Argento dem Phantastischen freimütig die Arme öffnet. Wo in seinem Frühwerk Menschen aus Fleisch und Blut hinter den Untaten steckten, sind es nun Hexenwesen, ge-stalt- und namenlose Mächte des Finsteren. SUSPIRIA und INFERNO werden damit zu Blaupausen meiner zweiten Kategorie des italienischen Horror- und Kriminalfilms. In ihnen kommt man mit dem Handwerkszeug der Logik nicht besonders weit. Bewusst brechen sie Konventionen, gerade auch in ihren Finalen, die nicht mehr versuchen, sämtliche Fäden zusammenzuführen und Antworten auf die brennendsten Fragen zu erteilen. Argentos Früh-Gialli stellen ihre Ästhetik in den Dienst eines einigermaßen durchdachten Drehbuchs. Argentos ersten beiden Beiträge zu seiner Mütter-Trilogie ordnen ihre Drehbücher so sehr ihrer Ästhetik unter, dass man bei ihnen kaum mehr auf die Idee kommt, ein Film könne – oder solle – in irgendeiner Form irgendeine Geschichte er-zählen.
2. Als 2009 die beiden Belgier Hélène Cattet und Bruno Forzani nach einer Vielzahl von Kurzfilmen mit AMER ihr Spielfilmdebut vorlegen, führen sie das Konzept, das SUSPIRIA und INFERNO bestimmt hat, noch eine Abstraktionsstufe weiter. Obwohl sich in SUSPIRIA und INFERNO die Ereignisse zuweilen überstürzen und der Betrachter – vor allem bei der Erstsichtung – manchmal orientierungslos in den Labyrinthen aus literarischen oder kunsthistorischen Querverweisen, bizarren Storyeinfällen und avantgardistischer Bildsprache herumtappt, kann man doch eigentlich immer relativ genau erkennen, was gerade auf der Leinwand passiert: eine Person mit diesem oder jenem Namen befindet sich an diesem oder jenem Ort und tut dies oder das. Auch wenn einem die Orte reichlich seltsam erscheinen oder einem die Gründe für diese oder jene Handlung nicht ganz klar sind oder die jeweilige Person fremd bleibt und mehr wie eine Figur auf einem Schachbrett wirkt, zu der man keinen emotionalen Bezug aufzubauen vermag, sind Argentos Bildkompositionen doch nie derart abstrakt, dass man das Gefühl für Raum und Zeit verlieren würde. Genau das ist aber, was in AMER geschieht – und was offensichtlich voll und ganz den Intentionen Cattets und Forzanis entspricht.
AMER ist unterteilt in drei Segmenten, von denen jedes im Grunde, beispielweise als eigenständiger Kurzfilm, für sich stehen kann. Es eint sie einzig, dass es drei Episoden aus dem Leben der Protagonistin Anna sind: die erste hat mit dem Tod ihres Großvaters und einer mysteriösen Uhr zu tun, die sie diesem als kleines Mädchen aus den todessteifen Fingern zu entwinden versucht, die zweite handelt von ihrem sexuellen Erwachen als Teenager und den restriktiven Maßnahmen ihrer Mutter diesbezüglich, die dritte betritt dann, nach fast einer Stunde Laufzeit, erstmalig Giallo-Terrain und berichtet von Annas Rückkehr ins herrschaftlich-elterliche Anwesen, wo sie von einem Lüstling verfolgt und mit schwarzen, phallische Waffen haltenden Handschuhen konfrontiert wird. Keine dieser Episoden bedingt die andere. Sie wirken eher wie ein Kaleidoskop, ein zufälliger Bick auf drei Stadien des Lebens Annas, ohne dass irgendetwas erklärt oder explizit benannt werden würde. Folgerichtig treten Sprache und Handlung sehr weit hinter den überladenen Bildern zurück. Für die paar Sätze, die in AMER fallen, braucht man nicht mal Untertitel, und das bisschen Handlung, das es gibt, das habe ich eigentlich in meiner Kurzinhaltszusammenfassung ein paar Zeilen weiter oben schon beinahe vollkommen abgedeckt.
AMER lebt ausschließlich von seiner Ästhetik. Jedes seiner Bilder ist zugleich Hommage an die goldenen Tage des italienischen Genrekinos als auch bereits seine Transzendierung – oder Dekonstruktion. Dabei gehen Cattet und Forzani noch, wie gesagt, über die visuellen Exzesse eines Argentos oder Fulcis hinaus. In vielen Szenen fällt es mir schwer, überhaupt auszumachen, was da gerade wo passiert. Nicht nur die unzähligen Großaufnahmen sind Schuld – AMER würde auf einer Liste der Spielfilme mit den meisten Groß- und Detailaufnahmen mit Sicherheit auf einem der vorderen Plätze landen; vor allem Augenpaare haben es Cattet und Forzani dertart angetan, dass ich behaupten möchte, in Fulcis Gesamtwerk kommen wohl in etwa so viele Augengroßaufnahmen vor wie in AMER in den, sagen wir, ersten dreißig Minuten -, sondern ebenso der unbedingte Wille der beiden Filmemacher, noch die vermeintlich banalste Einstellung durch intensive Lichtführung, Farbgebung oder Nachbearbeitung in einen Miniaturfiebertraum zu verwandeln. Wenn zum Beispiel die kleine Anna die großväterliche Uhr geraubt hat und von irgendwem – ich mutmaße einmal von der Gattin des Großvaters, die die Uhr zurückhaben möchte; es kann freilich auch ihre noch unerwachte, schaurig personifizierte Sexualität sein, oder der Tod, oder was auch immer – in ihrem Zimmer überfallen wird, entschließen Cattet und Forzani sich, das Geschehen in zahllosen Detailaufnahmen regelrecht zu zerstückeln. Der Zuschauer verliert völlig den Überblick, erkennt nur Bruchstücke, schafft es beim besten Willen nicht, so weit von der unglaublich dicht an den Menschen und Objekten klebenden Kameralinse zurückzutreten, um sich solche simplen Dinge zusammenreimen zu können wie zum Beispiel die Distanz des Angreifers zu seinem Opfer, dessen, des Angreifers, eigentliche Gestalt, den Raum, in dem der Angriff stattfindet etc.
Bei AMER ist diese Irritationstaktik Konzept. AMER dekonstruiert, analysiert, stellt sich kritisch zum tradierten Genrefilm, huldigt ihm nicht nur ohnmächtig. Die flüchtig eingespielten Originalsoundtracks aus Klassikern des italienischen Kinos – Bruno Nicolai, Enno Morricone, Stelvio Cipriani – wirken auf mich nicht so sehr wie das bedingungslose Abfeiern geliebter Klänge wie man das von Tarantino kennt, sondern eher wie hintersinnig hingeworfene, irgendwie deplatzierte, irgendwie sich ganz gut in ihren neuen Kontext einfügende Meta-Zitate. AMER kommt mir vor wie ein Experiment, wie eine Studie. Er erzählt nichts, er möchte offenkundig nirgendwo wirklich hin, er lebt von seinen Stimmungen. Er ist im Prinzip das völlige Gegenteil eines kommerziell konsumierbaren Films.
3. Ein halbes Jahr nach AMER, 2010, veröffentlichen zwei weitere Regisseure, diesmal französische Staatsbürger – sie heißen Francois Gaillard und Christophe Robin – einen Film namens BLACKARIA. Ich kann das natürlich nicht beweisen, doch bin ich mir sicher, dass BLACKARIA direkt von AMER beeinflusst worden ist. Zumindest wirken beide Filme an der Oberfläche wie aus einem Guss. Beide berufen sich, erneut zumindest an der Oberfläche, auf ein Genrekino, das längst tot und begraben ist. Beide hüllen sich so sehr in eine bestimmte Ästhetik, dass sie letztlich von ihr bestimmt werden. Beide machen keinen Hehl daraus, ein Feld zu beackern, das aus der Zeit gefallen ist – und deshalb auf Zugeständnisse an die Moderne, wie Internet oder Handys, komplett verzichten.
Dennoch gibt es, selbst bei einer oberflächlichen Betrachtung bereits, nennenswerte Unterschiede. AMER ist vieles in einem. Zunächst: Italo-Horror im Stil von SUSPIRIA, gesehen aus der Perspektive eines Kindes. Dann: subtil-erotisches Teenagerdrama. Schließlich: düsterer Giallo mit der einen oder anderen Gewaltspitze. BLACKARIA indes eröffnet als Giallo und endet als Giallo. Seine Story könnte klassischer kaum sein. Eine junge Frau, Angela, ist fasziniert von ihrer neuen Nachbarin, einer Rumänin, die ihr immer mal wieder auf dem Flur begegnet und die in ihrem Appartement rauschende Feste mit Drogen und Sex begeht. Eines Tages wird die gute Dame ermordet. Wer sie findet, ist ausgerechnet Angela. Während sie noch schockiert vor der blutüberströmten Leiche steht, fällt ihr eine Glaskugel auf, die, einst intakt, nun zerbrochen auf dem Zimmerboden herumliegt. Wie aus einem Impuls heraus hebt sie einen der Splitter auf und betrachtet durch ihn hindurch die Wanduhr. Ihre Zeiger haben sich plötzlich vorwärtsbewegt. Was sie zunächst nur dumpf ahnt, bestätigt sich, nachdem sie die Überreste der Kugel eingesammelt und von einem Optiker zu einer Brille hat verarbeiten lassen: durch das Glas kann man die Zukunft sehen. Ihr Psychoanalytiker, der zugleich mit ihr befreundet und, zu allem Überfluss, unglücklich in sie verliebt ist, stellt die Theorie auf, dass der mysteriöse Killer es möglicherweise ursprünglich auf besagte Glaskugel abgesehen habe. Nun, wo Angela sie besitze, könne sie die nächste auf seiner Todesliste sein. Zunächst fallen dem Killer jedoch weitere einigermaßen unschuldige Frauen zum Opfer bis im etwas zu lang geratenen Finale eine rationale Erklärung an jeder der Ecken herumsteht, über die man zuvor womöglich die Stirn gerunzelt hat.
Schon das zeigt deutlich die fulminante Kluft, die zwischen AMER und BLACKARIA klafft. Ersterer verweigert jede eindeutige Sinnzuweisung – er ist ein Gedicht, das erst interpretiert werden muss, und zwar subjektiv, um verstanden zu werden. Letzterer nimmt die Sinnzuweisung selbst in die Hand und lässt uns einen Inspektor, der tatsächlich Fulci heißt und dessen Lippen kaum einmal von seinen Lollipops loskommen, lange und breit auseinandersetzen wie die Vorkommnisse der vorherigen knapp sechzig Minuten denn nun wirklich zusammenhängen. Die Motivation des Killers wird erläutert, seine Kindheitstraumata, mit vielen Rückblenden noch einmal jeder einzelne Mord in Angelas Umfeld erörtert – und dabei bezeichnenderweise das interessanteste Element des Drehbuchs, nämlich die magische Glaskugel, höchststiefmütterlich gestreift. Dabei erweist sich BLACKARIA als Kompilation von vor allem narrativen Versatzstücken des italienischen Giallos, – PROFONDO ROSSO wird nicht nur zitiert, sondern regelrecht geplündert – während AMER ein Konglomerat aus vor allem ästhetischen ist. Der eine zeigt, der andere spricht davon. BLACKARIA ist geschwätzig, langatmig und Sklave seines unbedingten Willens, nirgendwo ein Geheimnis zu lassen. Dass die hellseherische Kugel eins bleibt, scheint mir ein Problem des Skripts zu sein, das die Verantwortlichen einfach nicht besser zu lösen gewusst haben.
Interessant ist indes, dass BLACKARIA, ebenso wie AMER, relativ leicht in drei Akte unterteilt werden kann. Der erste lässt den Zuschauer noch an eine flott und schnörkellos voranschreitende Handlung glauben. Angela wird vorgestellt, ihre Obsession bezüglich ihrer Nachbarin geschildert, dann deren gewaltsames Ableben und Angelas Nachforschungen. Im zweiten Teil jedoch schiebt man plötzlich den Killer in den Vordergrund, blendet zurück in dessen Kindheit und lässt ihn unwichtigen, namenlosen Nebenfiguren begegnet, die er dann, von diesen provoziert, auf möglichst blutige Weise vom Leben in den Tod befördern muss, ohne dass das die Handlung irgendwie vorantreiben würde. Im dritten und letzten Akt ist auf einmal alles vorbei und Inspektor Fulci sitzt am Krankenbett von Angelas Verehrer, um diesen etwa zehn Minuten lang mit dem nötigen Hintergrundwissen zu versorgen. Wenn AMER heterogen wirkt, dann, scheint es, mit Absicht. Jede seiner Episoden ist eine einzelne, einzigartige Perle an einer Kette, die von Annas Kindheit bis zu ihrem Erwachsenendasein reicht – mit ihrer Sexualität als verknüpfendem Band. Wenn BLACKARIA heterogen wirkt – und das tut er mit zunehmender Laufzeit immer mehr -, dann, scheint es, aufgrund von äußeren Faktoren. Haben Robin und Gaillard nicht die Möglichkeit gehabt, ihr Drehbuch gründlich zu überarbeiten? Hat ihnen Zeit und Geld gefehlt, ihr Drehbuch so zu verwirklichen wie sie es gerne hätten tun wollen? So wie er jetzt vorliegt erinnert BLACKARIA, nicht nur, was seinen stockenden Erzählfluss betrifft, viel mehr an eine beliebige Amateurproduktion als an einen für die größte Leinwand gedachten visuellen Overkill wie AMER.
Obwohl man Robin und Gaillard freilich zugutehalten muss, dass sie aus ihrem sicherlich limitierten Budget herausgeholt haben, was herauszuholen war. Sie verzichten, erneut anders als AMER, auf sensationelle Außenaufnahmen und konzentrieren sich auf zeitlose Innenräume, die sie offenbar nach ihrem Gusto ausgeleuchtet und farblich ausgestaltet haben. Sie beweisen, dass sie die Klassiker des Genres durchdrungen haben, und umgekehrt. Sie verstehen es, ihre morbide Faszination für von frischem Blut überzogene nackte Frauenkörper in vielleicht nicht gewaltige, aber doch den ästhetischen Regeln des Genres entsprechende Bilder zu übersetzen.
Was ihnen jedoch fehlt, das ist eine eigene Bildsprache, die eigene Akzente setzt, eine eigene künstlerische Position verrät. Viele Szenen erwecken den Eindruck, sie seien einfach irgendwie eingefangen worden, und danach habe man einen Weichzeichnereffekt auf sie draufgepackt, um sie mehr wie einen richtigen Film aussehen zu lassen. Dass ich das leider sehe – oder überhaupt auf den Gedanken komme, dass es so sein könnte – spricht nicht dafür, dass die Beiden erfolgreich damit fahren. Selbst wenn BLACKARIA nicht mit AMER vergleicht, bleiben die Kritikpunkte für mich stehen, wo sie sind. Niemand muss ein großes Budget abbrennen, um mich zu verzücken – viele meiner liebsten Filme sind mit Beträgen realisiert worden, für die ein beliebiger Hollywood-Regisseur nicht mal zu Mittag essen würde -, trotzdem wäre es schon, wenn man Kreativität nutzen würde, um aus dem Wenigen ein Mehr zu machen. Sitzen in BLACKARIA zwei Person nebeneinander oder läuft eine Person einen Bahnsteig entlang, lässt die HD-Optik, die man eben nicht immer verhüllen kann, das alles doch irgendwie billig aussehen. Hinzu kommen Antworten auf Geschmacksfragen, die ich anders formuliert hätte. Der Techno-Soundtrack zum Beispiel, der sich ein bisschen so anhört wie Goblin mit Beats, nur schlechter. Oder aber die befremdliche Moral, dass das Schicksal einen überall einholt, selbst wenn man ihm zu entfliehen versucht. So gesehen ist BLACKARIA Opfer seines Schicksals, vielleicht viel an Material zusammengetragen zu haben – etwas NEW YORK RIPPER hier, etwas DRESSED TO KILL hier, vor allem PROFONDO ROSSO, und zwar zentnerweise -, jedoch versäumt zu haben, sich, ausgehend davon, seine eigenen Gedanken zu machen.
Ebenfalls im Zeitraum zwischen 2009 und 2010 ist übrigens Dario Argentos Genre-Parodie GIALLO erschienen. Dieser Film nimmt eine dritte Position ein. AMER transzendiert, verzaubert, abstrahiert. BLACKARIA käut wieder, imitiert, kopiert. GIALLO steht draußen, mit dem Rücken zum Publikum, und macht sich über all das lustig.