bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Apollo 18
Seit 1972 hat es keine Raumfahrmission mehr gegeben, die den Erdtrabanten Mond als Ziel ausgegeben hat. Die Geschichte lehrt uns, daß "Apollo 17" die letzte Mondmission bisher war und alles Wissenswerte über den Mond nun bekannt ist. Das hier erstmals zusammengeschnittene Material dokumentiert jedoch, daß dem nicht so ist, denn 1974 kam es zu einer weiteren, geheim gehaltenen Mondfahrt, als das dreiköpfige Team von "Apollo 18" aufbrauch, um auf dem Mond Kameras und Abhöranlagen einzurichten. Kaum gelandet, findet die Crew jedoch überraschend das Wrack einer russischen Mondlandemission und noch ehe sie sich versehen, greift eine unbekannte Macht auch nach ihrer Landefähre und ihrem Leben...
Waren die Amis wirklich auf dem Mond? Na, und ob sie das waren! Kürzlich geleakte und übers Internet verbreitete geheime Videos beweisen gar, dass nach der „Apollo 17“-Mission noch nicht Schluss war, sondern man im Jahre 1974 die „Apollo 18“ auf die dunkle Seite des Monds entsandte. Von der dreiköpfigen Besatzung blieb einer in der Umlaufbahn, die anderen beiden Astronauten landeten auf dem Erdtrabanten und installierten dort elektronische Geräte im Auftrag der Regierung. Neben dem Wrack eines russischen Raumschiffs wurden sie jedoch mit einer für sie unbekannten Gefahr konfrontiert, die sämtliche Erkenntnisse über Leben auf dem Mond über den Haufen werfen!

So will es uns zumindest der Found-Footage-Science-Fiction-Horror-Streifen „Apollo 18“ des Spaniers Gonzalo López-Gallego („King of the Hill“) glauben machen, der 2011 in kanadisch-US-amerikanischer Koproduktion entstand. Und die Idee finde ich fantastisch! Auch x Jahre nach seiner Erforschung wirkt der Mond noch immer faszinierend und geheimnisvoll auf mich und ist damit prädestiniert für fantasievolle Science-Fiction-Geschichten. Warum also nicht auch im Found-Footage-Gewand? Sich um die Mondlandung(en) der US-Amerikaner rankende Mythen und Verschwörungstheorien bieten sich für diese Form geradezu an. Und tatsächlich sieht „Apollo 18“ gut aus – die Bilder der verschiedenen Kameras wurden hübsch auf authentisch-alt getrimmt und nehmen den Zuschauer schnell mit auf seine vermeintliche Zeitreise. Ein gelungener Seitenhieb ist es auch, die Besatzung feststellen zu lassen, dass „der Russe“ schon wieder vor ihnen da war. Die Ausstattungen gehen aus meiner Laiensicht ebenso in Ordnung wie der Schnitt des kurzweiligen 75-Minüters. Synchronisierten Schauspielern indes geht natürlich immer ein wenig Authentizität ab, aber natürlich weiß man ohnehin von vornherein, dass es sich schlicht um einen Spielfilm handelt. So weit, so gut.

Was die Freude dann leider etwas trübt, sind die Geschehnisse, wenn es ans Eingemachte geht. Diese erscheinen wenig inspiriert von „Alien“, „Das Ding aus einer anderen Welt“ und evtl. weiteren Science-Fiction-Horror-Klassikern zusammengeklaubt, gehen dabei aber – sicherlich auch dem gerne mit der Uneindeutigkeit spielenden Found-Footage-Stil geschuldet – nie derart weit. Hier und da etwas Blut und Unappetitlichkeiten, ein wenig Maske und ein klein wenig Kreaturen-Action, das war es dann aber auch schon. Einen interessanten, gern auch pseudo-wissenschaftlichen Hintergrund spinnt man leider gar nicht erst und kostet das Potential der Grundidee kaum aus. Das ist für kurzweiligen nächtlichen Grusel sicherlich gut geeignet, doch hat man „Apollo 18“ einmal gesehen, greift man im Zweifelsfall dann doch lieber wieder zu o. g. Klassikern oder ähnlichen Filmen. Die eingeschränkte Freude an Mehrfachsichtungen ist jedoch auch ein generelles Problem der Found-Footage-Ästhetik. Konsequent und damit ein großer Pluspunkt des Films ist letztlich das zynische Ende, das nicht mit Kritik an der US-amerikanischen Staatsmacht geizt und ein Gefühl des Unwohlseins hinterlässt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Dédales
Die 25-jährige Claude, eine schizophrene Serienkillerin, die für den Tod von 27 Menschen verantwortlich ist, soll laut Richteranweisung auf ihre Schuldfähigkeit untersucht werden. Dr. Karl Freud, der Leiter der Hochsicherheitsanstalt, in welcher Claude einsitzt, beauftragt den Psychiater Brennac damit, die einzelnen Persönlichkeiten herauszuarbeiten und somit den Grund, der Claude letztendlich zu dieser grausamen Mordserie getrieben hat, festzustellen. Brennac dringt in das mythologische "Labyrinth von Knossos" ein, in dem sämtliche Protagonisten der Psyche Claudes umherirren, verliert sich in den Windungen, während er mehr und mehr die schrecklichen Taten seiner Patientin nacherlebt, und stößt auf das grauenvolle Motiv. Doch erst als Dr. Freud sich die Videoaufzeichnungen der Sitzungen anschaut, wird ihm klar, welches fürchterliche Geheimnis wirklich hinter der Mordserie steckt ... [Quelle: Wicked-Vision.de]
„Das Individuum besteht aus der Summe der zahlreichen Möglichkeiten, die es in sich birgt.“

Mit „Dédales“, in Deutschland um den Titelzusatz „Würfel um dein Leben“ ergänzt, gelang dem französischen Regisseur René Manzor („Deadly Games“) ein Psycho-Thriller, der im Jahre seines Erscheinens (2003) den Nerv der Zeit traf, verglichen mit anderen Mindfuck-Thrillern jedoch eher ein Nischendasein fristet – meines Erachtens zu Unrecht.

Die 25-jährige, zierliche Claude (Sylvie Testud, „Jenseits der Stille“) soll eine für den Tod von 27 Menschen verantwortliche Serienmörderin sein. Sie gibt jedoch an, sich an keine ihrer Taten erinnern zu können, weshalb ihr Richter sie in eine Psychoheilanstalt überführen lässt, wo sie auf ihre Schuldfähigkeit hin untersucht werden soll. Dort beauftragt Anstaltsleiter Dr. Freud (Michel Duchaussoy, „Nada“) den Psychiater Brennac (Lambert Wilson, „Catwoman“), herauszufinden, ob Claude tatsächlich an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet oder dieses Krankheitsbild lediglich simuliert, um einer Haftstrafe zu entgehen. Brennac ist sich unsicher und begibt sich selbst in Gefahr, als er Stück für Stück in die Persönlichkeit Claudes vordringt, die sich als das Labyrinth von Knossos aus der griechischen Mythologie darstellt: So spricht er zu Daedalus, zu Ariadne und zu Theseus, lernt den gefährlichen, aggressiven Minotaurus kennen – doch kommt einfach nicht an Claude heran. Nach und nach entblättert sich jedoch Claudes furchtbares Geheimnis, das bis in ihre Kindheit zurückreicht. Wird man einen Weg aus Claudes geistigem Labyrinth finden und sie mitnehmen können?

„Dédales“ entpuppt sich als bierernster Psycho-Thriller mit dominanten Kriminal- und Mysteryfilm-Elementen, der sich spröde, kalt, abweisend und pessimistisch gibt. Er arbeitet mit mehreren Rückblenden-Ebenen und rekonstruiert sowohl die letzte Woche vor Claudes Verhaftung als auch Teile ihrer Kindheit. Scheinbar nur lose miteinander verbundene Protagonisten erzählen die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, denn neben den Ereignissen in der Heilanstalt spielt der eigenbrötlerische polizeiliche Ermittler Mathias (Frédéric Diefenthal, „Taxi“) eine zunächst etwas unklare Rolle. Spannung im klassischen Sinne erzeugt Manzor, der auch das Drehbuch verfasste, dabei nicht; vielmehr legt er sein Augenmerk darauf, die Handlung intelligent zu konzipieren und zu verschachteln und weckt damit nachhaltig das Interesse des Zuschauers, der nach und nach immer neugieriger wird. Dies gelingt allein schon durch den Kontrast zwischen einem unscheinbaren Mädchen und einem brutalen, skrupellosen Mörder, die ein und dieselbe Person sein sollen. So wird das Publikum entführt in die psychologischen Abgründe einer gespaltenen Persönlichkeit, wird es Zeuge einer originellen und nicht ganz anspruchslosen Verknüpfung mit der griechischen Mythologie und dürfte es ebenso viele Verdachtsmomente hegen wie Überraschungen erleben. Das für mich in seiner Konsequenz unerwartete Ende führt dann alle Fäden zusammen, regt in bester Plot-Twist-Manier zum Nachgrübeln und Abklopfen auf innere Logik und evtl. gar zum gleich noch einmal Gucken ein und stellt das, was der Zuschauer zuvor zu sehen und verstehen glaubte, gehörig auf den Kopf – wenn auch manch erfahrene Zuschauer den Braten möglicherweise bereits gerochen haben könnte. Grundsätzlich gilt hier, dass je stärker man sich auch auf Details der Handlung konzentrierte, man umso näher an den Rätsels Lösung herangeführt wurde. Etwas schwierig erscheint das Handlungskonstrukt jedoch hin und wieder, wenn entscheidende Situationen nicht gezeigt, sondern lediglich die Resultate präsentiert werden bzw. man generell das Gefühl bekommt, dass bewusst Informationen vorenthalten werden, um das dramaturgische Gerüst nicht zum Wackeln zu bringen.

Was der Zuschauer indes nicht wissen kann, ist die Einnahme einer anderen Perspektive als der der Realität, woran sich letztlich sicherlich die Geister scheiden werden: Wer diesem Stil aufgeschlossen gegenübersteht, wird davon fasziniert sein, wer ihn ablehnt, wird sich übertölpelt und irregeleitet fühlen. Auch ist die naturalistisch-nüchterne Ästhetik nicht immer einladend, wird jedoch immer mal wieder von ungewöhnlichen Kameraperspektiven aufgebrochen. Ansonsten ist das Interesse jedoch auf die Schauspieler zu richten, die fantastische Arbeit leisten: Sylvie Testud spielt aufgrund ihrer multiplen Rolle faktisch gleich mehrere Rollen auf einmal und versieht tatsächlich jede derart mit individuellem Charakter, dass das Zusehen die reinste Wonne ist. Frédéric Diefenthal umgibt eine mystische Aura und mimt glaubwürdig einen irgendwie getriebenen, obsessiv künstlerisch veranlagten Einzelgänger. Lambert Wilson gibt den schnell mit seiner Schulmedizin an Grenzen stoßenden Psychiater auf eine Weise, die den Zuschauer bald selbst um dessen geistige Gesundheit bangen lässt. Durch regelmäßige Betonung der Ziffer „7“ wird sogar der Bereich der Zahlenmythologie gestreift. Ich bin mir sicher, dass eine Zweitsichtung noch einige interessante Details offenbaren wird. Davon einmal abgesehen hat mich der Höhepunkt, die Pointe des Films, die theoretisch alles hätte kaputt machen können, derart beeindruckt, dass ich beim Rekapitulieren des Gesehenen noch immer leichte Kälteschauer im Rückenmark spüre. Ich zücke zunächst wohlverdiente 7von 10 Punkten für diese ungemütliche Charakterstudie, die dem Film jedoch möglicherweise noch nicht ganz gerecht werden. Einfach selbst anschauen!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Ach, und kürzlich gab's natürlich auch mal wieder "Halloween IV", für den ich auf ältere Notizen zurückgreifen kann:

"Die erste Halloween-Fortsetzung, an der John Carpenter bis auf die Verwendung seiner mittlerweile weltberühmten Titelmelodie nicht mehr mitwirkte, wurde sehr zwiegespalten aufgenommen: Für die Einen war er der Anfang vom Ende der Filmreihe, für die Anderen ein willkommenes Wiedersehen mit Michael Myers, Dr. Loomis und Co., das durchaus ansprechend umgesetzt wurde.

Ich tendiere stark zu Letzterem, war "Halloween IV" doch einer der ersten Slasher, die ich überhaupt zu Gesicht bekommen habe (RTL-Nachtprogramm anfang der 90er sei Dank), wodurch er für mich den Grundstein für mein Interesse an der Halloween-Reihe und Slashern im Allgemein legte und Sonderstatus genießt. Aber auch eine erneute Sichtung mit einigen Jahren Abstand pünktlich am 31. Oktober bewies mir, dass ich die nervenzerfetzende Spannung, die ich früher empfand, noch immer sehr gut nachvollziehen kann und die Inszenierung des ausdrucks- und emotionslosen Killers mit der weißen Maske nach wie vor mit ihrer suggestiven Kameraführung und der subtilen, aber wirksamen Grusel erzeugenden Atmosphäre eines nur schmemenhaft wahrnehmbaren, aber allgegenwärtigen Unheils als grandios erachte. Dass man den Charakter des Dr. Loomis als viel verbissener, ja fast schon manisch zeichnete, ist für mich kein Stilbruch, sondern eine logische Konsequenz aus den Geschehnissen der ersten beiden Teile, die ihm meines Erachtens bestens zu Gesicht steht.

Starker Slasher, der inhaltlich nicht viel Neues bietet, dadurch glücklicherweise aber auch nicht vom Grundkonzept der Reihe abweicht, und atmosphärisch wie optisch nahezu perfekt inszeniert wurde."

Und auch diesmal ist mir wieder einmal aufgefallen, wie verdammt stark auch dieser Teil ist.
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Kebab Connection
Schon einmal einen deutschen Kung-Fu-Film gesehen? - Wohl nicht, doch genau einen solchen zu drehen, das ist der sehnlichste Wunsch des Hamburger Türken Ibo (Denis Moschitto). Zumindest mit einem windschnittigen und actionreichen Werbeclip für die Dönerbude seines Onkels klappt es bereits. Und gerade glaubt sich Ibo fest im Karriereaufschwung zu befinden, da setzt seine deutsche Freundin Titzi (Nora Tschirner) ihn ausgerechnet von ihrer Schwangerschaft in Kenntnis. Die denkt gar nicht daran, ihre Schauspielausbildung aufzugeben, doch Ibo seinerseits scheint ebenfalls nicht gewillt, volle Windeln zu wechseln oder den Kinderwagen zu schieben. Titzi weiß sich zu helfen und setzt Ibo einfach vor die Tür. Um ihr Herz zurückzuerobern, kann Ibo nur versuchen, seine Tauglichkeit als Vater unter Beweis zu stellen...
„Du kannst mit einem deutschen Mädchen ausgehen, aber du darfst sie niemals, niemals, niemals schwängern!“

Bei der deutschen Multi-Kulti-Komödie „Kebab Connection“ aus dem Jahre 2005 führte Anno Saul („Die Tür“) Regie, doch das Drehbuch stammt vornehmlich von Fatih Akin, der mit einem Film wie „Gegen die Wand“ bewies, heiße Eisen einer multikulturellen Gesellschaft anzupacken und auch vor Kritik an seinen Landsleuten hier wie dort nicht zurückzuschrecken. „Kebab Connection“ hingegen wählt den Weg einer leicht verdaulichen, familientauglichen Komödie, transportiert dabei dennoch seine Aussage.

Der türkischstämmige Nachwuchs-Filmemacher Ibo (Denis Moschitto, „Verschwende deine Jugend“) träumt davon, den ersten deutschen Kung-Fu-Film zu drehen. Mit einem actionreichen Werbeclip für das Döner-Restaurant seines Onkels (Hasan Ali Mete, „Lola und Bilidikid“) sorgt er für Aufsehen und feiert erste Erfolge. Doch zu seinem Entsetzen eröffnet ihm seine Freundin und Schauspielschülerin Titzi (Nora Tschirner, „Keinohrhasen“), dass sie von ihm schwanger ist. Ibo verspürt wenig Lust auf die nahende Vaterrolle und fühlt sich nicht reif genug, woraufhin Titzi sich kurzerhand von ihm trennt. Zudem wird er von seinem Vater (Güven Kiraç, „Gegen die Wand“) verstoßen, weil er eine Deutsche geschwängert hat. Langsam freundet sich Ibo mit der neuen Situation an und versucht, Titzi davon zu überzeugen, dass er ein guter Vater wäre und sie zurückzugewinnen…

„Kebab Connection“ zeigt in authentischer Selbstverständlichkeit ein Hamburg (Schanze, Kiez, Altona), in dem Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe aufeinandertreffen und mal mehr, mal weniger integriert sind und mal besser, mal schlechter miteinander auskommen. Sein Hauptaugenmerk richtet er dabei auf Ibo und dessen Familie, deren Patriarch zwar vieles toleriert, jedoch aus allen Wolken fällt, als er von Titzis Schwangerschaft erfährt. Ibos Onkel wiederum befindet sich im Dauer-Clinch mit dem griechischen Restaurant von gegenüber. Da wird natürlich mit Klischees gespielt und Overacting betrieben, jedoch stets auf liebenswürdige, die Charaktere nicht vorführende Weise, mit sympathisch selbstironischem Augenzwinkern. Türkischer bzw. religiöser Konservatismus wird aufs Korn genommen, Ibos Vater dabei als durchaus lernfähiger, im Grunde anständiger Kerl dargestellt, der lange Zeit mich selbst hadert. In „Kebab Connection“ sind Familienverstöße und andere Konflikte nie wirklich ernst zu nehmen; nichts wird so heiß gegessen, wie es auf den Tisch kommt, trotz harter Worte besitzt man ein gutes Herz und wendet sich demnach auch alles zum Guten. „Ehrenmorde“ und andere Gewaltverbrechen, Nationalismus und tatsächlichen Rassismus klammert „Kebab Connection“ aus, ohne sie zu verleugnen – sie sind schlichtweg nicht die Themen dieses Films.

Dieser dreht sich nämlich vielmehr um eine herzlich wenig mit Multi-Kulti zu tun habende Herausforderung, nämlich der des unverhofften und zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt Elternwerdens junger Menschen, die sich nicht wirklich dazu bereit fühlen, eine derartige Verantwortung zu übernehmen. Und eben diese Thematik behandeln Saul und Akin meist albern und nicht jeder Witz erweist sich als Treffer, doch beweist man gleichzeitig Sensibilität für die Situation und die Sorgen Adoleszenter und gesteht den Charakteren positive, nachvollziehbare Entwicklungen zu, die durch die Hoffnungen, die sie schüren, die positive Energie dieses Films ausmachen – der sich damit nicht nur für Multi-Kulti-/Kultur-Clash-Interessierte oder -Betroffene, sondern gerade auch für zweifelnde werdende Eltern bestens eignet, um die Stimmung zu heben. Hamburger Lokalkolorit, verschrobene Genrefilmleidenschaft, eine hörenswerte Version des Uralt-Hits „Kung Fu Fighting“ als Titelmelodie sowie gute schauspielerische Leistungen insbesondere Kiraçs und Moschittos tragen ihr Übriges zum Vergnügen bei. Weniger gefallen manch arge Übertreibung, für die mit billigen Spezialeffekten nachgeholfen werden musste – womit ich nun jedoch nicht die tatsächlich in den Film gefundenen Kampfsporteinlagen meine, die das Happy End dieser modernen „Romeo & Julia“-Variation (ein Stück, das die Schauspielschülerinnen im Film als überdeutlichen Zaunpfahlwink ständig proben) auf spaßige Weise seines Kitsches berauben. Aber welchen Namen die kleine Hosenscheißerin denn nun letztlich bekommen hat, hätte ich schon noch gern gewusst.

Fazit: Sehr sympathische Komödie aus deutschen Landen, die in mittlerweile längst Alltag gewordene und demnach wenig exotische Milieus hineinschnüffelt, deren Normalität dokumentiert und dank der Beteiligung tatsächlicher Migrationshintergründler nie Gefahr läuft, zu einer „politisch korrekten“ Gutmenschen-Farce zu verkommen. Empfehlenswert.
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Sex & Drugs & Rock & Roll

Nach seinen Dokumentarfilmen „Road to Guantanamo“ und „Die Schock-Strategie“ sowie Beiträgen zu TV-Serien drehte der britische Regisseur Mat Whitecross mit der Rock’n’Roll-Biographie „Sex & Drugs & Rock & Roll“ über den britischen Musiker Ian Dury im Jahre 2010 seinen ersten echten Spielfilm.

Ian Dury unternahm erste musikalische Gehversuche mit der Pubrock-Band „Kilburn and the High Roads“, bevor er Mitte der 1970er im Zuge der Punk-Explosion die Band „Ian Dury & The Blockheads“ gründete und mit ihr einige millionenfach verkaufte Hits wie das titelgebende „Sex and Drugs and Rock and Roll“ oder „Hit Me With Your Rhythm Stick“ verzeichnen konnte. Der durch die Folgen einer Kinderlähmung gehbehinderte Musiker inszenierte sich gern als augenzwinkernder Harlekin, der selbstironische Rock’n’Roll-Songs voller Wortwitz verfasste und mit seiner bluesig-dunklen Stimme inszenierte, aber auch sowohl wütende als auch sanfte Seiten seines Charakters zeigte und sich als Individualist im Musikgeschäft fernab gesellschaftlicher Normen und Koventionen zu behaupten versuchte. Whitecross‘ Film zeichnet die Zeit vom Ende seiner ersten Band bis zum Ende der „Blockheads“ nach, porträtiert Dury und sein Umfeld und bedient sich eines künstlerischen, entfesselten Stils.

Whitecross behandelt im Groben drei Themen: Durys Band, sein Verhältnis zu den Frauen (speziell zu seiner Ehefrau Betty (Olivia Williams, „The Sixth Sense“) und seiner Liebhaberin Denise (Naomie Harris, „Skyfall“)) sowie jenes zu seinem leiblichen Sohn. Er zeichnet das Bild eines leidenschaftlichen, umtriebigen Mannes, der den weltlichen Genüssen alles andere als abgeneigt ist, jedoch stets auch einen gewissen Weltschmerz wegzuspülen droht. Eines Mannes, der seine Ehe und Familie deutlich unterhalb der Musik priorisiert, seiner Vaterrolle nicht gerecht wird und letztlich dafür verantwortlich ist, dass seine Ehe zerbricht. Eines Mannes, der aber auch überaus liebesbedürftig ist zwischen Ehefrau und Geliebter hin und her pendelt, der seinen Sohn trotz allem aufrichtig liebt. Und eben eines Mannes, der aufgrund seiner Behinderung im Kindesalter traumatisiert wurde, der lernen musste, sich durchzubeißen – und dessen Sohn ein ähnliches Schicksal droht, bis er zumindest ein Stück weit Unterstützung seitens seines Vaters bzw. der Band erhält, jedoch vom verschüchterten Außenseiter ins andere Extrem umschlägt und zum „Too cool for school“-Schwänzer wird.

Um das unstete Leben dieses kreativen Kopfes zwischen Erfolgen und Misserfolgen zu visualisieren, greift Whitecross tief in die Trickkiste und erzeugt immer wieder surreale, originelle oder schlicht metaphorische Sequenzen, die vermutlich bewusst an Videoclip-Ästhetik erinnern. Dazu wird immer wieder die Musik Durys und seiner Band eingespielt, wird die häufig episodenhafte Handlung unterbrochen von musikalischen Ergüssen oder Monologen Durys. Dury selbst wird weder kritiklos als Opfer seiner Sozialisation, noch als von Gott und der Welt missverstandener Künstler, aber natürlich genauso wenig als verachtenswerter Soziopath dargestellt. Stattdessen entsteht ein differenziertes Bild, das zwar in gewissem Maße um Verständnis wirbt, meist aber lediglich quasi-dokumentarischen Charakter einnimmt, ohne dabei die Emotionalität des raubeinigen, kämpferischen, eigenbrötlerischen Durys aus den Augen zu verlieren – jedoch auch ohne, diese vorrangig beim Zuschauer zu schüren. Andy Serkis („Der Herr der Ringe“-Trilogie) geht überraschenderweise voll in seiner Rolle auf und vermittelt auf gefühlt täuschend authentische Weise einen Ian Dury, der theoretisch so oder ähnlich hätte sein können. Und das ist gleichzeitig auch der Punkt, der dazu führt, dass ich diesen Film zwar interessiert verfolgen konnte, inspiriert wurde und mich gut unterhalten wähnte, mir aber kein wirkliches Urteil erlauben kann: Ich weiß zu wenig über Dury und seine Biographie, als dass ich den tatsächlichen Wahrheitsgehalt dieses Films beurteilen, als dass ich die erfolgte Gewichtung des Films bewerten, als dass ich Serkis' schauspielerische Leistung am echten Ian Dury messen könnte. Möglicherweise ist es gar das Artifizielle, Interpretatorische und individuelle Kreative des Films, das zugunsten eines Drehbuchs an der Realität vorbeischießt und vielleicht dem echten Dury, der leider im Jahre 2000 verstarb, übel aufgestoßen hätte - in etwa so, als hätte man sich nicht primär für seine eigenen künstlerischen Visionen und Arbeiten interessiert, sondern sein Schicksal zum Anlass genommen, sich auf seinen Schultern selbst kreativ auszutoben und dabei biographischen Anspruch zu erheben. Gerade bei in ihren Ausdrucksformen radikalen und/oder eitlen Künstlern muss mit solchen Reaktionen andererseits immer gerechnet werden und Mr. Dury selbst dazu zu befragen ist leider nicht mehr möglich.

So bleibt als Option, sich angeregt durch diesen Film selbst näher mit seiner Person und seinem Schaffen auseinanderzusetzen. Um diesen Schritt zu erleichtern, wäre es indes hilfreich gewesen, hätte man eine Handvoll bedeutender Dury-Songs nicht nur an-, sondern inklusive Durys Bühnenperformance einmal komplett ausgespielt und gezeigt. Widmet man sich jedoch Durys Karriere, fällt schnell auf, dass er auch nach dem Ende der „Blockheads“ noch lange Zeit aktiv war, mit diversen Künstlern zusammenarbeite, weiter Songs aufnahm, Tourneen bestritt, sich gar als Schauspieler verdingte... Es gibt viel zu entdecken und unterm Strich halte ich „Sex & Drugs & Rock & Roll“ für einen weitestgehend respektvollen Umgang mit dem Gegenstand seines Interesses. Ruhe in Frieden, Ian.

Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an Onkel Joe, der mir diesen Film geschenkt hat! :prost:
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Get Thrashed – The Story of Thrash Metal

Thrash Metal entstand in der ersten Hälfte der 1980er in den USA, grob umschrieben aus den Einflüssen der flotteren, ungestümeren Vertreter der New Wave of British Heavy Metal und der Energie des Hardcore-Punks. Als stildefinierend erwiesen sich die ersten Alben der Bands METALLICA und SLAYER. Schnell zogen andere Bands nach und versuchten, sich gegenseitig in Härte und Geschwindigkeit zu überbieten. Im Laufe der Jahre entwickelte sich jedoch eine große stilistische Bandbreite von stark von klassischem Heavy Metal inspirierten Gruppen, die mitunter viel Wert auf Melodie legten und stark dem Speed- und Power Metal verhaftet waren, bis hin zu sehr punkigen Acts, die schließlich auch das Crossover-Genre definierten und sowohl Punks und Hardcore-Kids als auch Metaller anzogen. Ende der 1980er/Anfang der 1990er ebbte das Thrash-Phänomen ab, an die Stelle der Schneller-lauter-härter-Bands trat ein stärker Groove-orientierter Stil, wie ihn beispielsweise PANTERA spielten und populär machten. Viele Bands änderten ihren Stil oder passten ihn neuen Gegebenheiten an. Andere jedoch machten unbeeindruckt weiter und noch heutzutage drängen immer wieder neue Thrash-Bands an die Öffentlichkeit und auf die Bühnen, die, gleich welchen Stils, den Underground und damit den Thrash-Sound lebendig und spannend halten.

Über exakt diese Musikrichtung hat im Jahre 2006 der US-Amerikaner Rick Ernst in enger Zusammenarbeit mit dem ehemaligen OVERKILL-Drummer Rat Skates den Dokumentarfilm „Get Thrashed – The Story of Thrash Metal“ gedreht. Der Film setzt sich zusammen aus Interviews bzw. Statements zahlreicher Szene-Protagonisten aus Bands sämtlicher Dekaden wie METALLICA, SLAYER, DARK ANGEL, DEATH ANGEL, OVERKILL, ANTHRAX, NUCLEAR ASSAULT, D.R.I., EXODUS, MEGADETH, TESTAMENT, HIRAX, PANTERA, MUNICIPAL WASTE, DESTRUCTION, SODOM, KREATOR, VIO-LENCE, RUMPELSTILTSKIN GRINDER, LAMB OF GOD und noch einigen mehr, darüber hinaus kommen Fans, DJs und andere Involvierte zu Wort. Nachgezeichnet wird auf diese Weise die Entwicklung der Szene von ihren Tapetrading-Anfängen bis hin zur Gegenwart, in der die „Big Four“ des Genres Stadien füllen. Unterlegt und aufgepeppt wird die Dokumentation von zahlreichen Live-Ausschnitten, die einen authentischen Eindruck von der unfassbaren Energie vermitteln, die in sich von den Bands aufs ausrastende und wie wild stagedivende und moshende Publikum und zurück übertrug. Zahlreiche Plattencover, Flyer, Fotos etc. werden gezeigt, darunter einiges an zuvor nicht unbedingt populären und bereits zigfach im Internet verbreiteten Material. In verschiedene Kapitel unterteilt, versucht der Film so viele Bereiche des Thrash Metals wie möglich abzudecken, muss dabei natürlich der begrenzten Spielzeit Tribut zollen. Wie häufiger bei derartigen Dokumentationen ist das Bonusmaterial der Heimkino-Veröffentlichung unbedingt mit einzubeziehen und zusammen mit dem Hauptfilm als Gesamtwerk zu betrachten, denn in weiteren rund 100 Minuten wird der Zuschauer mit auf eine Weltreise durch den Thrash genommen und werden aus jeder mehr oder weniger relevanten Szene auf beinahe jedem Kontinent die bedeutendsten Protagonisten herausgepickt, vorgestellt und kommentiert. Dabei wird ein unglaubliches Namedropping betrieben und eine immens hohe Zahl an Bands fand dadurch in den Film – und trotzdem fehlen immer noch einige, wenn ich mir meine Plattenregale so anschaue. Nichtsdestotrotz: Hochachtung für diesen Kraftakt, der Genre-Einsteigern einen Einkaufszettel in Überlänge bescheren dürfte.

Durch den Verzicht auf einen Kommentar aus dem Off, der dem Film seine individuelle, persönliche Sichtweise aufgedrückt hätte, entsteht ein authentischer, bunt und breit gefächerter Eindruck der Szene, bleibt der Film jedoch auch ein wenig oberflächlich. Zwar wird auf die Durststrecke des Genres in den ‘90ern eingegangen und werden auch Probleme wie das kräftezehrende Tourleben und die Gefahren und Folgen von Alkohol- und Drogenmissbrauch erwähnt, eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit manch fragwürdiger Band bleibt jedoch ebenso auf der Strecke wie eine nähere Betrachtung der textlichen Inhalte der Szene, die ebenfalls ein breites Spektrum aufweisen und gerade in ihren häufig pessimistischen, kritischen Betrachtungen beispielsweise des Kalten Kriegs, atomaren Wahnsinns etc. nicht wegzudenken sind und meist hervorragend mit der aggressiven Musik korrespondieren. Auch nutzt es sich irgendwann ab, zu fast jeder Band Kommentare von Jungspunden wie RUMPELSTILTSKIN GRINDER zu hören bzw. generell kaum kritische Worte zu vernehmen – als hätte man den Kommentatoren eingeimpft, sich bitte keinesfalls negativ zu „Kollegen“ zu äußern. Doch schlussendlich ändert das nichts an der Tatsache, dass es sich um eine augenscheinlich mit viel Herzblut, wenn auch manchmal zu offensichtlich eine reine Fan-Sicht einnehmende Dokumentation handelt, die einen sehr kompetenten Eindruck macht, den Thrash-Kult sehr gut porträtiert und beweist, wie viel es allein über dieses Subgenre, das trotz Death- und Black Metal, Grindcore etc. meines Erachtens noch immer zur Adrenalinausstoß förderndsten Musik überhaupt zählt, zu erzählen gibt. Thrash or be thrashed!
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Hügel der blutigen Augen
Die Familie Carter ist mit ihrem Wohnmobil auf dem Weg in den Sommerurlaub nach Kalifornien, als sich Mitten in der amerikanischen Wüste eine Panne ereignet. Das Gebiet, von der Air Force als Atomversuchsgelände genutzt, scheint verlassen und so machen sich Zwei der Familienmitglieder auf den Weg, um Hilfe zu holen, während die Anderen zurückbleiben. Was die Zurückgebliebenen nicht ahnen: Oben auf dem Hügel, werden sie von einer verseuchten Hinterwaldlerfamilie beobachtet...
„Ich ess die Eingeweide deiner ganzen Familie!“

Das Genre des Backwood-Terror-Films reicht zurück bis zu Herschell Gordon Lewis‘ „2000 Maniacs“ aus dem Jahre 1964, schlug sich auch in Klassikern wie „Beim Sterben ist jeder der Erste“ nieder, der weitestgehend ohne archetypische Horrorelemente auskommt, wurde aber erst so richtig stilprägend definiert durch Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“. 1977, drei Jahre später, stellte US-Regisseur Wes Craven („A Nightmare on Elm Street“) dem (Sub-)Genre mit „Hügel der blutigen Augen“ einen weiteren enorm einflussreichen Vertreter zur Seite, der wie Hoopers Texas-Massaker und auch Cravens kontrovers diskutiertes Rape’n’Revenge-Frühwerk „Last House on the Left“ eine dreckige, kleine Low-Budget-Produktion ist.

Die Carters um Familienoberhaupt und Ex-Polizist „Big Bob“ (Russ Grieve) machen mit Kind und Kegel, genauer: Kindern, deren Lebensgefährten und zwei Hunden einen Ausflug mit dem Wohnmobil in Richtung Kalifornien, wo man den Sommerurlaub verbringen möchte. Entgegen den Ratschlägen eines Tankwarts führt sie der laut Karte kürzeste Weg durch ein militärisches Sperrgebiet mitten in der Wüste, wo sich prompt eine Autopanne ereignet. Während „Big Bob“ per pedes auf dem Weg zurück zur Tankstelle ist, um Hilfe zu holen, wird den übriggebliebenen Familienmitgliedern schmerzlich bewusst, dass sie es in der nur scheinbar unbewohnten Hügellandschaft mit durch Atomtests atomar verstrahlten, kannibalistischen Mutanten zu tun bekommen, die es auf sie abgesehen haben…

Dass jeweils nur ein karges Budgetchen zur Verfügung steht, ist im Nachhinein betrachtet eigentlich das Beste, was den Subgenre-Pionieren aus den 1970ern passieren konnte. Der dreckige, ungeschliffene, reduzierte Look der Filme passt hervorragend zur Thematik zivilisatorisch zurückgebliebener Hinterwäldler im kargen Wüstenambiente und motivierte die Regisseure offensichtlich, aus den vorhandenen Mitteln das Maximum herauszuholen, statt sich auf Hochglanzoptik und Postproduktion zu verlassen. So auch im Falle dieses Craven-Frühwerks, das stilecht direkt mit einem der Sinnbilder des Subgenres beginnt: einem durchs Bild wehenden Strohhaufen. Craven konfrontiert in seinem besonders für die damalige Zeit erschreckenden, kruden Schocker eine Touristenfamilie in schreiend bunten Klamotten, die zunächst nicht sonderlich sympathisch gezeichnet wird, mit einer Gruppe sich die Namen von Planeten gebenden Mutanten, die sich kleiden und gebärden wie barbarische Höhlenmenschen, die sie de facto geworden sind. Von diesen bekommt man anfänglich auch gar nicht viel zu Gesicht, doch entfaltet „Hügel der blutigen Augen“ bereits seine ungemütliche Atmosphäre angesichts der schroffen Umgebung.

(Achtung, dieser Absatz enthält Spoiler!) So richtig grimmig wird’s, wenn man den Familienvater anbindet und bei lebendigem Leibe anzündet, wenn vergewaltigt und das Neugeborene entführt wird etc. Ohne auf Blutfontänen zu setzen, entfalten Terrorszenen wie diese ihre volle garstige Wirkung. Letztlich läuft alles auf einen puren Überlebenskampf hinaus, der die letzten noch Lebenden der Zivilisationsfamilie um die naiv-frömmelnde Mutter (Virginia Vincent) und den mittlerweile verkohlten Vater auf das triebhafte Niveau der Kannibalen herunterjustiert und zu ebenso brutalen, unerbittlichen Mitteln greifen lässt. Diverse Explosionen unterstreichen den Actioncharakter des Duells, während der jugendlichen Hügelbewohnerin Ruby (Janus Blythe, „Der Planet Saturn läßt schön grüßen“) eine differenzierte Rolle zuteilwird, als sie ihren weiblichen Mutterinstinkt entdeckt. Das Ende ist dann folgerichtig geprägt von Wahnsinn und Hass und liefert eine in ihrer Konsequenz beeindruckende, sich einprägende Schlusseinstellung, die untermauert, wie schmal der Grat zwischen animalischen Urinstinkten und zivilisatorischer Sitte verläuft.

Auf diese bösartige, überzeichnete Weise übt „Hügel der blutigen Augen“ außerdem Kritik an der US-amerikanischen Rüstungspolitik und appelliert an tief verwurzelte Ängste vor dem Ausgeliefertsein in unwirtlichen, unübersichtlichen, zivilisationsfernen Gebieten, in denen (vermeintlich) Primitives auf leichte Beute lauert, vermutlich im Falle der USA zurückzuführen bis zur Zeit der Kontinenteroberung und den damit einhergehenden Konflikten mit den Ureinwohnern – die man schließlich auch weitestgehend ausrottete. Die der ursprünglichen deutschen Synchronisation eigene, der Handlung aufgedrückte Außerirdischen-Thematik hat mit „Hügel der blutigen Augen“ natürlich nicht das Geringste zu tun. Umso glücklicher bin ich darüber, dass es mit der cmv-DVD eine gar nicht schlechte und vor allem nicht mehr sinnentstellende Neusynchronisation gibt. Diese hat dieser inspirierende Klassiker verdient, der noch immer spannende, gruselige, zartere Gemüter entsetzende Unterhaltung bietet und trotz Splatter-Remake recht gut gealtert ist.

Die schauspielerischen Leistungen bewegen sich zwar auf unterschiedlichem Niveau, sind jedoch stets zielführend und mindestens solide. Eine Dee Wallace („E.T. – Der Außerirdische“) trifft hier auf auch heute noch weniger große Namen wie Robert Houston („1941 - Wo, bitte, geht's nach Hollywood?“) Peter Locke, Russ Grieve, Virginia Vincent und Susan Lanier. Als größter Hingucker erweist sich der glatzköpfige Michael Berryman („Einer flog über das Kuckucksnest“) in seiner Rolle als Mutant Pluto, der auch ohne viel Maskenarbeit im entsprechenden Kostüm wahrlich furchterregend wirkt. Noch dominanter in Szene setzte Craven ihn sowie einen herrlich irren Mutanten namens „Der Ripper“ in der Fortsetzung „Im Todestal der Wölfe“, der sich jedoch vorrangig im klassischen Slasher-Milieu abspielt und harsch kritisiert wurde. Aber das ist ein anderes Thema.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Die Killer der Apocalypse
Ein kleiner Gangster gerät zwischen alle Fronten, als er bei einem Überall nicht nur einen Polizisten tötet, sondern auch geheime Mafia-Unterlagen mitgehen läßt, hinter denen fortan sowohl das Verbrechersyndikat als auch ein Zeitungsverleger her sind.
„Es ist höchste Zeit, ein Exempel zu statuieren!“

Italo-Regisseur Stelvio Massi („Kommissar Mariani - Zum Tode verurteilt“) gilt als Actionspezialist und hat u.a. gern und oft mit Maurizio Merli zusammengearbeitet, der regelmäßig den italienischen Selbstjustiz-Bullen verkörperte. Im Jahre 1976 gelang Massi mit „Die Killer der Apocalypse“ jedoch ein gesellschaftskritischer Poliziesco, der eher an die intelligenten Filme eines Damiani erinnert als an die actionbetonten Genrebeiträge eines Lenzi oder Konsorten.

Pate Don Antonio wird vom blinden Mafiaoberen Dante Ragusa (Lee J. Cobb, „Der Exorzist“) liquidiert, der Prozess gegen Ragusas Bruder Nino (Alfredo Zammi, „Blutiger Schatten“) platzt, weil die einzige Zeugin eingeschüchtert wird. Einmal mehr muss die Justiz machtlos mitansehen, wie sie keine rechte Handhabe gegen die Umtriebe der Mafia hat. Kommissar Jacovella (John Saxon, „A Nightmare on Elm Street“) hat längst das Gesetz in die eigene Hand genommen und gilt als Hardliner, der mit fragwürdigen Methoden gegen Verbrecher vorgeht. Kritisch beäugt wird dies von Verleger Maselli (Renzo Palmer, „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“), der Jacovella aufgrund dessen Vorgehensweise auf dem Kieker hat. Als der Kleinkriminelle Antonio Blasi (Lino Capolicchio, „Das Haus der lachenden Fenster“) in erster Linie aus Armut einen Banküberfall begeht, dabei im Affekt einen Polizisten erschießt und anschließend zu allem Überfluss das Auto Nino Ragusas zu Fluchtzwecken stiehlt, in dem belastendes Material in einem Koffer bereitliegt, gerät Blasi zwischen alle Fronten…

Massi holt in „Die Killer der Apocalypse“ zu einem kräftigen Rundumschlag aus, wenn der Kleinkriminelle mit dem klangvollen Namen Antonio Blasi zwischen Jacovella und dessen Prügel- und Folterbullen, dem sich eine Privatfehde mit Jacovella auf dem Rücken moralischer Entrüstung über dessen Methoden liefernden Verleger Maselli sowie dem skrupellosen, brutalen Ragusa-Mafia-Clan förmlich zerrieben wird. Sämtliche Positionen werden hier kritisch hinterfragt und auch die Politik kommt nicht ungeschoren davon, denn im Koffer – jenem Gegenstand des Mafia-Interesses – befindet sich auch Material, das einen Minister alles andere als gut dastehen lässt. Am ehesten schlägt man sich auf die Seite Blasis, der trotz der Tötung eines Polizisten am wenigsten kalkuliert, sondern aus dem Bauch heraus handelt und letztlich die nachvollziehbarsten Motive aufzuweisen hat. Polizei und Presse behindern sich quasi gegenseitig und müssen schließlich doch vor der Ausweglosigkeit bei Konflikten mit der Mafia weitestgehend kapitulieren.

Nach einer gesungenen Titelmelodie reicht der Soundtrack von funkigen Jazzklängen bis hin zu melancholischen Klavierarrangements. Massis Bildsprache ist deutlich, ungeschönt und wenig künstlerisch, einige Stunts, Schießereien und andere Action-Zutaten lassen den Stoff nie verkopft oder langatmig erscheinen, der dramaturgisch stringent aufbereitet wurde und ein beträchtliches Maß an Spannung entwickelt. Genrefilm-Tausendsassa John Saxon als raubeiniger, längst mit seinem Zynismus kämpfender Kommissar Jacovella, Renzo Palmer als Verleger zwischen Moralismus und knallharten wirtschaftlichen Interessen, Lee J. Cobb als alternder, doch alles andere als altersmilder Mafioso mit minimalistischer und dadurch unheimlicher Ausstrahlung sowie Lino Capolicchio als erbarmungswürdiger, zum Scheitern verurteilter Blasi führen durch diese pessimistische Momentaufnahme der italienischen Gesellschaft, an deren beeindruckendem, konsequentem Ende es keinen Gewinner gibt. Damit gelingt es Massi, den Zuschauer zu berühren und zum Nachdenken insbesondere über plakativ kolportierte Positionen anzuregen – weder künstlerisch sonderlich herausragend, noch erzählerisch von epischer Auswalzung, sondern in Form eines nur oberflächlich betrachtet schlichten, ungeschliffenen Genrefilms, der mir gerade in seiner scheinbaren Unkalkuliertheit und ungemütlichen Rauheit ausgesprochen gut gefällt und positiv überrascht hat. Von reaktionärer Selbstjustiz-/Superbullen-Propaganda oder populistischem Stammtischkino keine Spur. Eine schöne Symbiose aus den Zuschauer abholenden Themen, bewährten, unterhaltsamen Genrezutaten und inspirierender, Fragen aufwerfender Aussage, zudem überaus stimmig besetzt und gut geschauspielert.
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Parapsycho – Spektrum der Angst

„Warum halten wir alles für tot, was nicht so lebt, wie wir das Leben leben?“

In der von (vermeintlichen?) übersinnlichen Phänomenen begeistern bzw. zumindest für sie offenen Mitte der 1970er, genauer: im Jahre 1975 drehte der gebürtige Österreicher Peter Patzak („Kottan ermittelt“) als eines seiner Frühwerke den Episoden-Horrorfilm „Parapsycho – Spektrum der Angst“, der sich den Themen Reinkarnation, Metempsychose und Telepathie widmet und sich einen pseudo-authentischen Anstrich gibt.

Nach diesen drei Themen wurden dann auch die einzelnen Episoden benannt: „Reinkarnation“ handelt vom Handlungsreisenden Harry (Peter Neusser, „Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin“), der auf einem Kalender durch Zufall das Bild eines Schlosses entdeckt und wie magisch von ihm angezogen wird. Er unternimmt einen Abstecher dorthin und wird vor Ort bereits erwartet – sowohl vom Hausmeister (Leon Askin, „Der Schinderhannes“), als auch von einer später hinzustoßenden schönen Frau (Marisa Mell, „Nackt über Leichen“)… In „Metempsychose“ unterhält ein Professor (William Berger, „Keoma – Melodie des Sterbens“) eine Affäre mit seiner Studentin Denise (Mascha Gonska, „Mein Vater, der Affe und ich“). Ein Autounfall kostet seine Frau das Leben, was Tochter Debbie (Debra Berger, „Black Emanuelle - 2. Teil“) nicht verkraftet. Diese wird stationär psychiatrisch behandelt. Der Professor möchte sich von Denise trennen, ohne zu ahnen, damit weitere ihm nahestehende Frauen ins Unglück zu stürzen… „Telepathie“ nutzt der sinistere Maler Mario (Mathieu Carrière, „Zugzwang“), um die frisch vermählte Barbara (Alexandra Drewes) gefügig zu machen, während ihr Ehemann Michael (Helmut Förnbacher, „Bratkartoffeln inbegriffen“) sie verzweifelt sucht. Gibt es noch eine Rettung für Barbara?

Peter Patzak versieht seinen Film mit einem sehr stilsicheren Schreibmaschinen-Intro (das auch zwischen den Episoden als Intermezzo Verwendung findet): Man sieht das Gerät diverse den Wahrheitsgehalt übersinnlicher bzw. „parapsychologischer“ Phänomene untermauernde sowie erläuternde Informationen zu Papier bringen, was „Parapsycho – Spektrum der Angst“ einen gewissen Reportage-/Dokumentarfilm-Anstrich verleiht. Zur dominant eingesetzten Klaviermelodie „Für Elise“ entblättert sich dann in sehr gemächlichem Tempo die erste Episode, die in zunächst biederer TV-Film-Ästhetik überraschend die nackten Tatsachen Marisa Mells präsentiert und mit einer netten, wenn auch eher unspektakulären Pointe aufwartet – wenn man bis dahin nicht eingeschlafen ist.

Schon mehr in sich hat es da die zweite Episode, die neben noch viel mehr nackter Haut mit nicht uninteressanten Dialogen und Überlegungen zu Liebe und Partnerschaft auftrumpft und eine unheilige Drei- oder gar Vierecksbeziehung letztlich quasi komplett auslöscht. Diese Episode rettet den seltsamen Charme aus der vorherigen herüber und füllt sie mit mehr Leben und stellenweise prickelnder Erotik, welche sie jedoch jäh durch echte Bilder aus der Pathologie unterbricht, die ich nun wirklich nicht in einem fiktiven Unterhaltungsfilm sehen möchte. Unappetitlich und schockierender als die eigentliche Pointe, die dadurch an Wirkung einbüßt. Ganz schlechter Stil.

Die letzte Episode setzt einmal mehr stark auf den Erotikfaktor, resultierend aus einer sich überwiegend nackt zeigenden Alexandra Drewes als Telepathie-Opfer eines verrückten Malers, lebt zudem von Mathieu Carrière Darstellung des exzentrischen, unheimlichen, sadistischen Schönlings, verliert darüber aber die Geschichte etwas aus den Augen. Maler Mario versucht seine Impotenz mit Erniedrigungen seiner Telepathie-Opfer zu kompensieren, die ihm als willenlose Marionetten ausgeliefert sind. Wie sich das Opfer letztlich vom telepathischen Einfluss Marios befreit, erschloss sich mir nicht ganz, auch hätte etwas tiefergehende Charakterzeichnung der Episode sicherlich gut getan. Dafür klingt der sphärische Synthesizer-Soundtrack aber ganz wunderbar und wirkt Marios eiskalter Sadismus tatsächlich beunruhigend.

Alles in allem ist es schon ein eigenartiges Werk, das Patzak hier kredenzt. Es hat durchaus seinen Charme und seine Qualitäten. Die Exploitation gewinnt jedoch die Oberhand über immer mal wieder durchblitzende Mystik- und Gruselatmosphäre und steht vor allem im (wie ich finde sehr interessanten) Kontrast zum gräulich-matten teutonischen Fernseh-Look. Daraus zieht er trotz dramaturgisch fragwürdigem Beginn ein Überraschungspotential (zu dem auch die Besetzung von teils internationalem Format zu zählen ist), das er durchaus zu nutzen versteht. Nichtsdestotrotz ist „Parapsycho – Spektrum der Angst“ in erster Linie ein obskures Genreflickwerk aus deutschen Landen, das von wirklich guter Horror-Unterhaltung ein ganzes Stück entfernt ist, jedoch krude genug die gewissen Freiheiten der 1970er ausnutzt, um auch heute noch nicht nur von rein filmhistorischem Interesse zu sein.
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Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung
Sanitäter Frank (Nicolas Cage) versucht jede Nacht Menschen in einer amerikanischen Grossstadt zu retten. Jede Nacht Penner und Junkies, die in ein Krankenhaus müssen, das völlig überfüllt ist. Doch in letzter Zeit sterben ihm die meisten Patienten zwischen den Händen weg. Als Frank mit dem Tod einer Patientin nicht klarkommt, lernt er schliesslich eine Frau kennen, deren Vater er das Leben gerettet hat. Mit den Nerven am Ende verliert er sich in Träumen, Drogen und Depression...
„Warum sollte man verleugnen, dass man diesen einen Augenblick lang selbst Gott gewesen ist?“

Das US-Drama „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ aus dem Jahre 1999 markiert eine weitere Zusammenarbeit des Regisseurs Martin Scorsese („Kundun“) mit Drehbuchautor Paul Schrader („Taxi Driver“). Rettungssanitäter Frank (Nicolas Cage, „8 mm“) ist Nacht für Nacht mit wechselnden Kollegen in New York unterwegs, um die Erstversorgung verletzter und kranker Menschen zu gewährleisten und sie ins Krankenhaus zu fahren. Doch seit er einem jungen Mädchen nicht mehr helfen konnte, scheinen ihm sämtliche Patienten unter den Händen wegzusterben. Zudem scheint ihn das tote Mädchen zu verfolgen, immer wieder sieht er ihr Gesicht in anderen Menschen und scheint er ihre Botschaften zu empfangen. Zunehmend beginnt er an seinem Beruf zu zweifeln, bis er schließlich in Depressionen verfällt.

„Warum ist immer alles gleich ein Herzstillstand?“

Wie schon die Scorsese/Schrader-Kollaboration „Taxi Driver“ ist auch „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ ein „New-York-Film“, ein urbaner Alptraum, in dem ein Einzelner an den Schattenseiten der Großstadt verzweifelt und zu zerbrechen droht, bis er schließlich fragwürdige, radikale Entscheidungen trifft. Er beginnt mit Erzählungen des Protagonisten aus dem Off im Stile eines Film noir, der er im Prinzip auch ist. Der Auftakt bietet bald Einblicke in eine überfüllte Notaufnahme, in der Chaos und Zynismus seitens des überforderten Personals vorherrschen. Nach Schichtende sieht Frank regelmäßig aus wie nach einer Schlacht – übermüdet und in blutgetränkter Kleidung. Zwangsläufig muss er sich neben mehr oder minder „normalen“ Patienten mit durchs soziale Raster gefallenen Verlierern des US-amerikanischen Traums herumplagen, beispielsweise mit dem durchgeknallten und lebensmüden Junkie Noel (Marc Anthony, „Mann unter Feuer“), der beinahe jede Nacht eingeliefert wird und allen auf die Nerven fällt. Dieser wiederum ist ein alter Bekannter von Mary (Patricia Arquette, „True Romance“), deren Vater Frank jüngst das Leben gerettet hat und der seither im Krankenhaus im Koma liegt. Frank entwickelt ein Interesse an Mary, lernt sie näher kennen und erfährt, dass sie in der Vergangenheit selbst drogenabhängig war. Diese Konstellation verhindert allen zynischen Dialogen zum Trotz ein einseitiges, vorurteilsbehaftetes Bild Drogenabhängiger und ist gleichzeitig ein Indiz für den schmalen Grat zum Wahnsinn, den in dieser Stadt vor ihrem Exitus immer mehr zu übertreten scheinen.

Jedoch ist „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ kein auf die Tränendrüsen drückendes Betroffenheitsdrama, sondern gespickt mit großartigem (schwarzem) Humor, der mit Einführung des Sanitäterkollegen Marcus (Ving Rhames, „Jacob’s Ladder“) dominanter wird, ohne den Film zu veralbern. Dieser wird zunehmend zu einer in Bezug auf Rettungssanitäter wenig vertrauenserweckenden Groteske, stellt dabei jedoch unaufhörlich existentielle Fragen, äußert trotz alledem viel Respekt für dieses Berufsbild und zeigt eindringlich die Gefahren seelischen Ausbrennens, die mit ihm einhergehen, gespickt mit den typischen urbanen Symptomen wie emotionaler Verwahrlosung, Einsamkeit trotz Millionenmetropole und gefühlte Ohnmacht gegenüber den äußeren Umständen. Fast jede Szene wurde mit Musik untermalt, ohne dass sie dabei aufdringlich wirken würde. Im Gegenteil, der Soundtrack ist überaus hörenswert mit seinen stets geschickt eingesetzten Stücken von The Clash, Van Morrison, R.E.M., Johnny Thunders, The Who und anderen. Der auch dadurch konsequent erzielte Geräuschpegel passt zur „City that never sleeps“, zur Rastlosigkeit und Unruhe, die Scorsese verdeutlicht. Ohne in modernistische Hektik zu verfallen, gelingt Scorsese einmal mehr ein düsteres Bild New Yorks und in ihm gefangener Einzelschicksale, während der zum Einsatz kommende Humor das Treiben spöttisch kommentiert und dadurch erträglich macht.

Nicolas Cage, der manchmal vorschnell zum Mainstream-Schauspieler verschrien wird, habe ich selten derart aufspielen sehen wie hier. Er verkörpert exzellent seine tragische Rolle und wird dabei in einer Weise von Scorsese inszeniert, dass man als Zuschauer viel Empathie entwickelt und förmlich mit ihm mitfühlt und -leidet. Müßig zu erwähnen, dass ein Scorsese-Film wie dieser zwar sicherlich über ein beachtliches Budget verfügt, jedoch alles andere als ein Hollywood-Blockbuster-Konfektionsware ist. Cage steht die Fragilität seiner Rolle besser zu Gesicht als erwartet und er scheint bestens mit ihr umzugehen. Auch der Rest der Besetzung ist hochkarätig: Patricia Arquette, John Goodman („The Big Lebowski“), Ving Rhames, Marc Anthony – alle versehen ihre nicht immer einfachen Rollen mit Charisma und machen sie lebendig. Das Ende ist vielseitig auslegbar: Ein Plädoyer für Sterbehilfe, was die naheliegendste Interpretation wäre, nachdem der Zuschauer mehr und mehr die Perspektive Franks eingenommen hat? Oder ein Mord, durchgeführt von einem psychisch kranken Mann, der aus dem Verkehr gezogen gehört? „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ entpuppt sich als lange nachklingendes, grandioses Filmerlebnis, das Scorseses anerkannten Klassikern in rein gar nichts nachsteht und als modernes Noir-Mystery-Drama, das atmosphärisch in der obersten Liga spielt, ganz wunderbar dazu geeignet ist, in warme Decken eingemümmelt im mauscheligen Heimkino genossen zu werden und sich darüber bewusst zu werden, wie gut es einem (hoffentlich) gerade geht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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