Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Moderator: jogiwan

purgatorio
Beiträge: 15635
Registriert: Mo 25. Apr 2011, 19:35
Wohnort: Dresden

Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von purgatorio »

DIE MÖRDER SIND UNTER UNS

Bild

Deutscher Titel / Originaltitel: Die Mörder sind unter uns
Alternativtitel: Der Mann, den ich töten werde / Murderers Among Us

Regie: Wolfgang Staudte
Produktionsland: Deutschland (1946)

Darsteller: Wilhelm Borchert, Hildegard Knef, Arno Paulsen, Elly Burgmer, Erna Sellmer, Hilde Adolphi, Marlise Ludwig, Ursula Krieg, Robert Forsch, Albert Johannes, Wolfgang Dohnberg, Ernst Stahl-Nachbaur

Story:
Berlin im Jahre 1945: Der Arzt und ehemalige Offizier Mertens kehrt aus dem Krieg zurück. Seelisch gebrochen versucht er, seine Kriegserinnerungen im Alkohol zu ertränken. Als Susanne Wallner, selbst mit den Erlebnissen des KZs konfrontiert, ihm begegnet und ihn umsorgt, fassen beide neuen Lebensmut. Dann wird Mertens mit seinem ehemaligen Hauptmann Brückner konfrontiert, der im Krieg Dutzende unschuldiger Frauen und Kinder erschießen ließ. Die Begegnung läßt Mertens keine Ruhe, und am Weihnachtsabend beschließt er, den inzwischen wohlhabenden Fabrikanten für seine Verbrechen büßen zu lassen ...
(via ofdb)
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
purgatorio
Beiträge: 15635
Registriert: Mo 25. Apr 2011, 19:35
Wohnort: Dresden

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von purgatorio »

DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, Deutschland 1946, Regie: Wolfgang Staudtke)

Großartiger, sehr eindringlicher und bedrückender Film. Zieht surreale, teilweise sogar expressionistische Kraft (im Stile des deutschen Films der 20er Jahre) aus authentischen, sehr gut ausgeleuchteten Sets (Nachkriegsberlin 1946 war Originaldrehort!). Der Film wartet nebst einer bedrückenden und aufwühlenden Geschichte (wenn auch nicht in aller Konsequenz detailliert beleuchtet – warum war die Hauptcharakterin gleich im KZ?) auch mit fantastischen, perfekt komponierten Aufnahmen auf (sehr erinnerungswürdig beispielsweise eine Szene, in der Menschen zum Weihnachtsfeste in einer Kirchenruine zusammen kommen, während es den Schnee über den Altar weht).
Auch als Zeitdokument bietet der Film Potenzial, atmet er doch den Zeitgeist der Stunde Null. Speziell die letzte Einstellung scheint hier auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft spenden zu wollen. Aber auch die Unwissenheit über das gesamte Ausmaß der Katastrophe gibt dem Film authentische, dokumentarische Kraft (erwähnt sei eine Zeitung auf dem Schreibtisch des ehemaligen Nazi-Hauptmanns, deren Schlagzeile „2 Millionen vergast!“ wohl etwas knapp bemessen wurde). Trotz einiger Schwächen zeugt dieser überhaupt allererste deutsche Nachkriegsfilm aber davon, dass die kreativen Köpfe des Landes nach 12 Jahren Einschränkung und Diktat ihr Handwerk noch nicht verlernt hatten: 7/10
Zuletzt geändert von purgatorio am Mo 11. Feb 2013, 16:01, insgesamt 1-mal geändert.
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
Benutzeravatar
Die Kroete
Beiträge: 1254
Registriert: So 2. Okt 2011, 11:08

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von Die Kroete »

Einer der vielen Umerziehungsfilme der Nachkriegszeit, mit denen die Deutschen auf Linie getrimmt wurden.
Damals war jedoch wesendlich mehr Wahres enthalten als bei den politisch-motivierten Streifen der letzten 20 Jahre.

Stimmungstechnisch und Dramaturgisch ein kleines Meisterwerk, erinnert der Film stark an die "Schwarze Serie" aus den USA, was aber nich heißen soll, daß es ihm geschadet hätte. ;)
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40372
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von buxtebrawler »

Die Kroete hat geschrieben:Einer der vielen Umerziehungsfilme der Nachkriegszeit, mit denen die Deutschen auf Linie getrimmt wurden.
Damals war jedoch wesendlich mehr Wahres enthalten als bei den politisch-motivierten Streifen der letzten 20 Jahre.
Welche meinst du?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
purgatorio
Beiträge: 15635
Registriert: Mo 25. Apr 2011, 19:35
Wohnort: Dresden

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von purgatorio »

ich hatte ehrlich gesagt nicht den Eindruck, dass der Film die Plakette "Umerziehungsfilm" verdienen würde. Viel eher ist er der erste, zaghafte Versuch einer Annäherung an die Täter-Opfer-Problematik. Immerhin ist er auch lange vor dem Bekanntwerden der wirklichen Tragweiten entstanden (auch beispielsweise in Bezug zur Goldhagen-Debatte der Spät-90er!).

Ich vergaß in meiner Kurzbesprechung übrigens auf die fantastischen Kontraste des Films, sowohl in technischer Sicht (Setausleuchtung) als auch mit Bezug auf den Inhalt zu erwähnen - sehr stark eine Szene, in der zwei Herren wie Dandys durch die Trümmer Berlins laufen, vorbei an den sog. Trümmerfrauen, um ein Etablissement aufzusuchen und sich bei Alkohol und Frauenbegattung zu amüsieren.
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40372
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint zusammen mit "Geständis unter vier Augen" voraussichtlich am 25.08.2017 bei Edel Germany noch einmal auf Doppel-DVD:

Bild

Extras:
Trailershow; DEFA-Wochenschau Der Augenzeuge 1946/08: Über die Gründung der DEFA; Der Augenzeuge 1946/26: Über die Premiere von "Die Mörder sind unter uns"

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... &vid=80738
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 9473
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von karlAbundzu »

Die Mörder sind unter uns.
Der erste deutsche Nachkriegsfilm.
Und eine wirkich gute Story, brillant besetzt. In der Hauptrolle des traumatisierten EX-Soldaten EW Borchert, dieses Charaktergesicht, diesen tollen Schauspieler hätte ich gern häufiger gesehen (und gerne mal auf der Bühne erlebt). An seiner Seite die junge Hidegard Knef, als starke Frau und als Love Interest, spannend. Und auch Paulsen und Forch machen ihre Sache sehr gut.
Filmisch auch spannend, immer wieder hat man beinahe expressionistische Einstellungen, und gleichzeitig auch ein Dokument des Zerfalls Berlins, das noch nicht wieder im Aufbau ist, bzw. der Aufbau fängt an, gleichzeitig zerfällt es noch.
Meisterwerk!
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40372
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von buxtebrawler »

Der etwas andere Weihnachtsfilm

„...einer der weiß, dass es sich nicht lohnt, diese Menschheit zu kurieren.“

Wir schreiben das Jahr 1946: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, die ehemalige Reichshauptstadt Berlin liegt zerbombt in Schutt und Asche, Deutschland ist in verschiedene Besatzungszonen aufgeteilt. Die NS-Vergangenheit ist noch längst nicht aufgearbeitet, noch nicht einmal das reale Ausmaß der Nazigräuel bekannt. Wolfgang Staudte, bereits zu Zeiten der NS-Diktatur als Regisseur und als Schauspieler – als Nebendarsteller auch im antisemitischen NS-Propagandafilm „Jud Süß“ – aktiv gewesen, geht in die Geschichtsbücher als Regisseur und Autor des ersten deutschen Nachkriegsfilms ein, dessen Dreharbeiten sogar noch vor Gründung der DEFA begannen, ein, einem düsteren Porträt der damaligen Zeit, wenngleich es sich auf nur wenige Figuren fokussiert. Staudte weiß: „Die Mörder sind unter uns“.

„Krieg ist immer was Entsetzliches!“

Die Handlung spielt im Jahre 1945 nach Kriegsende: Der Arzt und Ex-Offizier Dr. Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borchert, „Der ewige Klang“) kehrt als gebrochener, kriegstraumatisierter Mann nach Berlin zurück, ebenso die junge Fotografin Susanne Wallner (Hildegard Knef, „Unter den Brücken“), die das KZ überlebt hat. Zu ihrer Überraschung muss sie feststellen, dass ihre Wohnung zwar nicht zerbombt wurde, mittlerweile aber von Mertens bewohnt wird, der dort Unterschlupf suchte. Beide arrangieren sich miteinander und unterstützen sich gegenseitig in ihren kargen Leben, nachdem Hans „angekommen“ ist – und mit der Zeit gar zarte Gefühle für Susanne entwickelt, die diese erwidert. Seinen ehemaligen Hauptmann Ferdinand Brückner (Arno Paulsen, „Blaubart“) hält Hans für tot und fällt aus allen Wolken, als er erfährt, dass sich dieser nicht nur bester Gesundheit erfreut, sondern bereits ein eigenes Unternehmen aufgebaut hat, in dem er Stahlhelme zu Kochtöpfen verarbeitet. Mit seiner Frau und seinen Kindern führt er eine bürgerliche Existenz als wohlhabender Fabrikant. Dass er ein Kriegsverbrecher ist, der drei Jahre zuvor ein Massaker an 121 Zivilistinnen und Zivilisten verübte, belastet sein Gewissen kein bisschen. Hans beschließt, Brückner am Weihnachtsabend den Garaus zu machen…

„Ratten... Ratten... überall Ratten... Die Stadt belebt sich wieder!“

In kaum einem Regisseur spiegelte sich die frühe Entwicklung des Kalten Krieges in Deutschland so sehr wider wie in Wolfgang Staudte, der bereits mit seinem ersten Nachkriegsfilm nicht nur persönliche Haltung bewies und Stellung bezog, sondern geradezu visionär die ausbleibende Entnazifizierung, das rasche Übergehen zur Tagesordnung, als sei kaum etwas gewesen, die Besetzung gutbürgerlicher gesellschaftlicher Positionen durch Nazischergen und Kriegsverbrecher, anhand eines Exempels beschrieb – und zwar inmitten der ebenso beeindruckenden wie erschreckenden, authentischen Kulissen des zerstörten Berlins. Während die Trümmer noch mahnen und die überlebenden Kriegsversehrten ihre Wunden lecken, machen Täter wie Brückner schon wieder Reibach.

„Wir haben doch Weihnachten!“

Staudte tat gut daran, Brückner nicht als Monster darzustellen, sondern als jemanden, der oberflächlich betrachtet sogar recht sympathisch wirkt. Brückner hadert nicht, quält sich mit keinen Schuldgefühlen herum oder tut Buße, sondern findet sich unter den neuen Umständen schnell zurecht und versteht es, diese für sich zu nutzen. Für Hans ist das unerträglich mitanzusehen. Er wird von Kriegserinnerungen geplagt, die Staudte akustisch umsetzte. Hans guckt viel aus dem Fenster, aus Skepsis gegenüber der Gesellschaft wahrt er Distanz. An Weihnachten passt Hans Brückner ab, um ihn zu richten – denn es war auch Weihnachten, als Brückner 121 Menschen erschießen ließ und mit seinem Regiment anschließend unbeschwert feierte. Staudte inszeniert eine Rückblende zu den damaligen Ereignissen als Kontrast zu einer Weihnachtsansprache Brückners und zu Weihnachtsgesang. Das ist extrem starker Tobak und schwer erträglich. Eine weitere Rückblende zeigt den Sieg über Brückner und sein Regiment sowie die Pistolenübergabe Hans‘ an Brückner im Angesicht des Todes.

„Ich bin doch unschuldig!“

Mit den genannten Rückblenden verlässt Staudte das Feld der Andeutungen und breitet Brückners ganzen mörderischen Zynismus vor den Zuschauerinnen und Zuschauern aus, um ein Finale einzuleiten, das ursprünglich anders geplant war. Statt Selbstjustiz siegen Vernunft und Hoffnung in den Rechtsstaat. So hatten es die Sowjets verfügt. Und, ja: Dieser Ausgang steht dem Film tatsächlich gut. Staudte orientierte sich stilistisch stark am deutschen Expressionismus mit dessen Schattenspielen und wählte einige ungewöhnlich, gar gewagte, etwas schlüpfrige Kameraperspektiven, die „Die Mörder sind unter uns“ nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell herausstechen lassen. In Kombination mit seinem gebrochenen Protagonisten und der düsteren Grundstimmung entstand so eine Art deutscher Film noir, zugleich einer der besten und ernstzunehmendsten Filme dieses Bereichs, obwohl auf manch gängiges Genre-Topos verzichtet wurde. Auch schauspielerisch ist der Film stimmig besetzt. „Die Mörder sind unter uns“ ist zweifelsohne einer der wichtigsten deutschen Filme, doch war er zu nah an der schmerzhaften Wahrheit, sodass die bundesdeutsche Filmproduktion schnell dazu überging, das Publikum mit restaurativen Heimatfilmen und Geschichtsverdrängung zu unterhalten respektive abzuspeisen, während die Politik sich auf den neuen alten Feind aus dem Osten konzentrierte und in antikommunistischen Ressentiments erging. Die Mörder indes waren noch lange, lange Zeit unter uns.

8,5 von 10 Punkten für dieses nicht nur als Zeitdokument großartige Pionierwerk, das einen Grundstein für Krieg und Faschismus ver- und aufarbeitendes, anspruchsvolles Kino legte, dem es in der Folge mitunter gelang, je nach Gewichtung die emotionale oder politische Ebene noch stärker herauszuarbeiten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
purgatorio
Beiträge: 15635
Registriert: Mo 25. Apr 2011, 19:35
Wohnort: Dresden

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von purgatorio »

Wieder eine sehr feine Kritik, Herr Bux :nick: :thup:
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3216
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Die Mörder sind unter uns - Wolfgang Staudte (1946)

Beitrag von Maulwurf »

Ein sehr schöner Text! Ich habe den Film vor gar nicht langer Zeit auch gesehen, komme mit meinem Text aber gar nicht so recht vom Fleck. Als zu überwältigend, zu niederschmetternd, empfand ich den Film, als dass mir die richtigen Worte eingefallen wären ...
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten