Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

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CamperVan.Helsing
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

buxtebrawler hat geschrieben: Di 28. Mär 2023, 15:04 Travis' Heldenverklärung dürfte sich auch für unbedarftere Zuschauerinnen und Zuschauer seltsam anfühlen, denn Travis ist sicherlich vieles, aber kein Held, im Gegenteil: Er ist ein Antiheld Film-noir’scher Prägung in diesem Neo-noir-Film, eine menschliche Zeitbombe, die hochgegangen ist. Jemand, der Selbstjustiz übt und es zwar nicht grundsätzlich auf die Falschen abgesehen hat, dessen Gewalteruptionen aber weniger einem sozialen Gewissen als vielmehr einer abgestumpften, kaputten Psyche entspringen. Travis Verhalten ist das Produkt sozialer Entfremdung.
Der letzte Satz greift mir da doch erheblich zu kurz, auch wenn "soziale Entfremdung" sicherlich zutrifft. Die wiederum ist imho bereits die Folge davor liegender Ereignisse, mutmaßlich traumatische. Und es liegt in der Natur des Traumas, dass die meisten Menschen es nicht verstehen - oder nicht verstehen wollen.
buxtebrawler hat geschrieben: Di 28. Mär 2023, 15:04Doch der Film arbeitet Travis‘ Trauma nicht auf – so wenig, wie er dazu in der Lage ist, so sehr verweigert sich dem auch der Film.
Wäre eben auch die Frage, ob das im Film zu leisten ist. Wir können ja schließlich auch nur vermuten, dass sein Trauma mit dem Einsatz in Vietnam zu tun hat. Das muss aber gar nicht zwangsläufig so sein, oder zumindest nicht nur der Fall sein. Und wenn tatsächlich mehrere Trauma-Layer übereinander liegen sollten, wird es hochgradig komplex und sehr langwierig, das zu entknoten.

buxtebrawler hat geschrieben: Di 28. Mär 2023, 15:04Regisseur Scorsese ließ sich den einen oder anderen Cameo nicht nehmen und findet sich als Travis‘ Fahrgast, dem seine Frau Hörner aufgesetzt hat,
Wenn ich mich richtig erinnere, fantasiert Scorsese doch in jener Szene davon, seine Frau umzubringen. Auch hier könnte man sich bereits die Frage stellen, warum dieser x-beliebige Fahrgast sich in Gewaltfantasien ergeht? Scheidung a la Katholizismus?
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben: Mo 3. Apr 2023, 23:20 Der letzte Satz greift mir da doch erheblich zu kurz, auch wenn "soziale Entfremdung" sicherlich zutrifft. Die wiederum ist imho bereits die Folge davor liegender Ereignisse, mutmaßlich traumatische. Und es liegt in der Natur des Traumas, dass die meisten Menschen es nicht verstehen - oder nicht verstehen wollen.
"Soziale Entfremdung" klingt dir vermutlich zu harmlos, oder? Tatsächlich dürfte es da ein breites Spektrum geben. Von einem zugrundeliegenden Trauma aber ging auch ich aus, s.u.
ugo-piazza hat geschrieben: Mo 3. Apr 2023, 23:20 Wäre eben auch die Frage, ob das im Film zu leisten ist. Wir können ja schließlich auch nur vermuten, dass sein Trauma mit dem Einsatz in Vietnam zu tun hat. Das muss aber gar nicht zwangsläufig so sein, oder zumindest nicht nur der Fall sein. Und wenn tatsächlich mehrere Trauma-Layer übereinander liegen sollten, wird es hochgradig komplex und sehr langwierig, das zu entknoten.
Das ist sicherlich richtig, wobei ich ehrlich gesagt schon davon ausging, dass ein Vietnam-Trauma bei Travis vorausgesetzt werden kann. Unter dieser Prämisse hatte ich den Film zuletzt geschaut. Vielleicht wäre es interessant, ihn noch einmal unter einer ganz anderen Prämisse zu gucken und psychologisch zu durchdringen zu versuchen.
ugo-piazza hat geschrieben: Mo 3. Apr 2023, 23:20Wenn ich mich richtig erinnere, fantasiert Scorsese doch in jener Szene davon, seine Frau umzubringen. Auch hier könnte man sich bereits die Frage stellen, warum dieser x-beliebige Fahrgast sich in Gewaltfantasien ergeht? Scheidung a la Katholizismus?
Dieser Machismo bzw. die Kritik daran zieht sich ja durch Scorseses Gesamtwerk und sollte hier vermutlich ein Hinweis darauf sein, dass innerhalb dieser Gesellschaft bei Weitem nicht nur Travis einen an der Waffel hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

buxtebrawler hat geschrieben: Mi 5. Apr 2023, 08:53
ugo-piazza hat geschrieben: Mo 3. Apr 2023, 23:20 Der letzte Satz greift mir da doch erheblich zu kurz, auch wenn "soziale Entfremdung" sicherlich zutrifft. Die wiederum ist imho bereits die Folge davor liegender Ereignisse, mutmaßlich traumatische. Und es liegt in der Natur des Traumas, dass die meisten Menschen es nicht verstehen - oder nicht verstehen wollen.
"Soziale Entfremdung" klingt dir vermutlich zu harmlos, oder?
Durchaus nicht. Aber ich halte "soziale Entfremdung" nun nicht für einen tauglichen Erklärungsansatz für Travis' Verhalten. Wenn man in einem ostsächsichen Kaff oder "Sweet home Alabama" aufwächst, ist soziale Entfremdung doch schließlich die wünschenswertere Alternative als das dort erlebte unreflektiert zu übernehmen.

Sicher wird die Zeit in Vietnam für Travis' Leben jetzt nach Vietnam einen erheblichen Einfluss haben, keine Frage. Aber wir wissen eben nicht, wer er und wie er vor Vietnam war. Ob er schon von seinen Eltern einen Hau (oder Haue) mitbekommen hat, schon vorher einen Hang zu Waffen hatte etc.

Und dass in den USA bei Themen wie Waffenbesitz, Rassismus oder Religion sehr viel im argen liegt, konnte man ja just heute wieder beim psychisch schwer gestörten orangenen Toupetträger beobachten, der hoffentlich bald zwangsweise einen neuen Wohnsitz zugewiesen bekommt. Nicht ganz so luxuriös wie in Florida, aber mit Kost und Logis.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben: Mi 5. Apr 2023, 21:10 Durchaus nicht. Aber ich halte "soziale Entfremdung" nun nicht für einen tauglichen Erklärungsansatz für Travis' Verhalten. Wenn man in einem ostsächsichen Kaff oder "Sweet home Alabama" aufwächst, ist soziale Entfremdung doch schließlich die wünschenswertere Alternative als das dort erlebte unreflektiert zu übernehmen.
Es gibt positive und negative Formen sozialer Entfremdung. ;)
Travis' negative Form wird ja bspw. provokativ positiv von der Subkultur umgedeutet, wenn sie ihn als Ikone be- und aufgreift - aus Gründen wie den von dir oben genannten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von fritzcarraldo »

Taxi Driver
IMG_20230507_092430.jpg
IMG_20230507_092430.jpg (4.14 MiB) 162 mal betrachtet
Dazu zitiere ich heute mal.

"....Wir sehen, wie einfach es für Travis ist, so mutterseelenallein erst zum Spinner, dann zum Verrückten und schließlich zur wandelnden soziopathischen Zeitbombe zu werden.
....
TAXI DRIVER ist unter anderem so beunruhigend, weil der Film aus der Perspektive von Travis Bickle erzählt wird. Und das ist die Perspektive eines Rassisten.
.....
Ist der dieser Film - TAXI DRIVER - ein Film über einen Rassisten, oder ist es ein rassistischer Film?
Die Antwort ist eindeutig. Ersteres. Und der Film wird dadurch zum mutigen Meisterwerk, dass er sich traut, den Zuschauern diese Frage zu stellen, und sie dann selbst zu einer Antwort kommen lässt."

(aus CINEMA SPECULATION - Quentin Tarantino)

Bickle ist ja irgendwie, ähnlich wie SCARFACE Tony Montana zur Popikone geworden. Aber es ist schon unglaublich zu sehen, wie vielschichtig Paul Schrader diese Figur im Drehbuch darstellt. Schrader griff diese Thematik rund um seine Figuren ja dann später auch immer wieder auf, variierte und erweiterte diese dabei.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

Spannend zu erfahren, dass der Held meines Lieblingsfilms ein Rassist sein soll. Ich selbst kann mich zwar an keinen einzigen Charakter nicht-kaukasischer Herkunft erinnern, der überhaupt eine tragende Rolle gespielt hätte, aber bitte, wem es Spaß macht.
Travis ist sicherlich schwer traumatisiert, hat gewichtige psychische Probleme. ist gewalt-affin und übt eine Form von Selbstjustiz, die diskussionswürdig ist. Auch über die Funktion als ungefragter "Retter" für Iris und sein generelles Frauenbild ließe sich bestimmt streiten.
Aber das absolut letzte Attribut, das mir im Zusammenhang mit diesem Film eingefallen wäre, ist Rassismus. Für mich war Travis schlicht eine Person, der ich mich emotional extrem nah fühlte, und das machte den Reiz und die Faszination aus.
Klar, ich bin ja selbst Rassistin! Ich mache kein Hehl daraus, auch rechte Bands zu hören, wenn es mir passt und gebe einen Scheiß auf PC. Politisch sehe ich mich zwar eher linksextrem-anarchistisch, Transgender bin ich auch, aber die Zeichen sind überdeutlich.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von fritzcarraldo »

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es wahrscheinlich besser gewesen wäre, meinen Post ausführlicher zu gestalten.
Dafür gibt es an dieser Stelle erst einmal ein SORRY von mir.
Ich habe das Thema Rassismus bei Taxi Driver auch nie im Vordergrund gesehen. Fand den Text aber trotzdem interessant. Ob es so ist oder nicht. Keine Ahnung. Der Text ist natürlich nicht vollständig. Müsste man dann wahrscheinlich doch alles vor sich haben, um darüber zu diskutieren.
Es wird darauf eingegangen, dass es eben nicht im Vordergrund steht, sondern dass es eher feine Hinweise geben könnte. Es geht dabei wohl auch um bestimmte Worte, die aber z.B. auch in der deutschen Synchro verloren gehen, wenn ich dass richtig verstanden habe. Und was am wichtigsten ist, Schraders Drehbuch wurde wohl noch von Scorsese entschärft. Was aber natürlich auch bedeutet, dass da eher die Metaebene angekratzt wird und daher nur spekuliert wird. So ja auch der Titel des Buches. Damit wird natürlich polarisiert.
Der Film wird aber trotz allem weiter als Meisterwerk gesehen.
Mir ging es z.B. bei einem anderen Film im Buch, Peckinpahs GETAWAY ähnlich. Ein Lieblingsfilm von mir.
Da wird der Film fast die ganze Zeit im Prinzip als schlecht gemacht beschrieben.
Auch hier wird ständig spekuliert, ob das bessere Buch nicht hätte besser verfilmt werden können. Und eigentlich sind alle Rollen fehlbesetzt. Aber am Schluss geht es dann doch darum, dass der Film nur so sein konnte wie er ist und dass Peckinpah ein Meister seines Fachs ist.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

Du musst dich schonmal gar nicht entschuldigen. Du hattest ja nur zitiert, und das war mir auch völlig klar. Ich war schlicht erstaunt.
Aber es wird uns alle erwischen! Jeden Film und jeden Tonträger wird dieses Schicksal ereilen, früher oder später. Erinnert euch an meine Worte! Die Krake "politische Korrektheit" verschont niemanden, außer den Menschen, die sich ihr bewusst entziehen.
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Re: Taxi Driver - Martin Scorsese (1976)

Beitrag von buxtebrawler »

Dass Travis ein Rassist sein soll, war mir auch neu. Die englischsprachige Originalfassung habe ich indes nie gesehen und was evtl. zwischen Drehbuch und Inszenierung alles verlorenging, kann ich natürlich nicht wissen. Allerdings scheint es sich dabei ja a) um Tarantinos persönliche Interpretation zu handeln und meint er damit b) nicht, dass der Film rassistisch sei, wie er ja eindeutig schreibt. Mit irgendwelchen P.C.-Kampagnen dürfte das also überhaupt nichts zu tun zu haben.
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