Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

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Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

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Frank Schäfer – Zensierte Bücher

Zu meinen favorisierten zeitgenössischen deutschen Autoren sowohl im Sachbuchbereich als auch in der Belletristik zählt der Braunschweiger Literatur- und Musikexperte Frank Schäfer, ohne dessen im Jahre 2007 im Erftstädter Area-Verlag erschienener, rund 400-seitiger Abhandlung über von der Zensur betroffene Bücher ich nicht mehr auszukommen beschloss und sie mir neben Bud Spencer, Eis am Stiel und diversen Comics als Urlaubslektüre einpackte.

Der hübsch gebundene Schmöker widmet sich 32 verschiedenen Werken quer durch die Literaturgeschichte, enthält eine Handvoll Interviews und wird von einem ausführlichen, sich über zehn Seiten erstreckenden Vorwort Schäfers eingeleitet. Bis auf eine Ausnahme hat er bereits in „Kultbücher – Was man wirklich kennen sollte“ rezensierte Bücher ausgespart und äußert sich zu Herangehensweise und Selbstverständnis wie folgt:

„(…) außerdem keine Aufnahme findet der neonazistische, rassistische, antisemitische Dreck der rechten Subkultur. Wer sich auf so ein Niveau begeben will, möge dies tun – ich nicht.
Die Forschung zum Thema ist umfangreich, wenn nicht inflationär. Warum also die vielen Regalmeter Sekundärliteratur noch um drei Zentimeter verlängern? Nun, zum einen, weil die bisherigen (oft auch nicht mehr lieferbaren) Arbeiten schlicht veraltet sind, folglich auf die neueren Zensurfälle gar nicht mehr eingehen konnten.
Zum anderen weil eigentlich allen die Literatur selbst aus dem Blick gerät. Man zeichnet detailliert die Publikations- und Rezeptionsgeschichte nach, aber an einer literaturkritischen Auseinandersetzung ist eigentlich so recht keiner interessiert.“
(S. 19)

Das älteste Buch dieses Reigens stammt aus dem Jahre 1749 („Die Abenteuer der Fanny Hill“), die beiden jüngsten aus 2003 („Esra“ und „Meere“); dazwischen finden sich Titel wie „Die Abenteuer von Huckleberry Finn“, „Lady Chatterley“, „Mephisto“, „Unsere Siemens-Welt“, „Harte Mädchen weinen nicht“ und „American Psycho“, also ganz unterschiedlicher Popularität und Qualität. Schäfer arbeitet religiös verbrämte oder von fragwürdigem und mangelndem Kunstverständnis bis hin zu von der Kontinuität der Nazi-Ideologie geprägte Urteile auf und erwähnt mehrere Grundsatzurteile, die im Laufe der Jahrzehnte gesprochen wurden. Die verhandelten Bücher fasst er auf den Punkt gebracht zusammen, beschreibt und analysiert nie zu lang oder ausschweifend, aber bei entsprechend bescheinigter Qualität Lust auf die jeweilige Primärqualität machend, von denen er Eindrücke durch ausführliche Zitate vermittelt. In eigenen Beurteilungen und Kritiken schreibt er differenziert, sprachlich herausragend und eine große Leidenschaft fürs Lesen und Schreiben erkennen lassend – wenn auch immer mal wieder in etwas zu gewollt bildungsbürgerlichem Duktus. Und natürlich lässt er es sich auch nicht nehmen, die jeweiligen Urteilsbegründungen süffisant zu kommentieren. Ein großes Plus des Buchs ist es, dass Schäfer Werke und Urteile zeithistorisch einordnet und auch über Zensurversuche berichtet, die mal den Werken vielleicht sogar nützten, häufig aber den Verlagen immensen Schaden zufügten.

Zumindest Teile Schäfers Texts über Timothy Learys „Politik der Ekstase“ kannte ich bereits aus seinem Woodstock-Buch, sein Interview mit Günter Amendt zum Thema LSD im direkten Anschluss hingegen noch nicht. Nicht nur juristisch besonders interessant wird es im Falle „Josefine Mutzenbacher“, wenn sich die Zensoren der Bundesprüfstelle (BPS), der Schäfer „aggressive Ahnungslosigkeit“ attestiert, sogar über das BVerfGE hinwegsetzen, Verlage in dieser Pattsituation aber trotzdem fröhlich veröffentlichen. Der Witz, mit dem Schäfer über Mutzenbacher schreibt, scheint jenem Werk angemessen. Geradezu schildbürgerlich: Von Henry Millers „Opus Pistorum“ wird eine Neuauflage beschlagnahmt, die Originalausgabe aber bleibt unbehelligt. Unfassbar auch die Begründungen auf S. 321, die tief blicken lassen – spricht aus ihnen doch noch der restauratorische Prä-‘68er-Staat zum einen, der paranoide Cancel-Culture-Staat der Zeit der Terror- und Kommunistenparanoia zum anderen. Da schimpft Schäfer dann auch mal wie ein Rohrspatz – zurecht! Einmal verschlägt es dem eigentlich so eloquenten Autor angesichts hanebüchener Urteilsbegründungen auch glatt die Sprache: Man müsse nicht jeden Blödsinn kommentieren. Das Fazit jedenfalls: Die Bundesprüfstelle agiert verfassungsfeindlich.

Die Zensurversuche gegen Comiczeichner Ralf König und andere Comics in den 1990ern hatte ich damals selbst mitbekommen, auch das erfreuliche Kontra der Populär- und Subkultur. Ein skandalöser Fall von Homophobie im Namen des Jugendschutzes durch bayrische Behörden, das Urteil der BPS fiel glücklicherweise zugunsten Königs aus. Kein Fan ist Schäfer von „American Psycho“, um dessen Indizierung die BPS kurioserweise jahrelang und letztlich vergeblich rang, nachdem bereits 70.000 Exemplare abgesetzt worden waren und das Ding anscheinend unabhängig seines jeweiligen rechtlichen Status ein Bestseller über Jahre hinweg geworden war. Bezeichnend ist es, wie sich die BPS regelmäßig über Expertengutachten hinwegsetzt. Häufig geht es um die vermeintliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten und das Abwägen gegen die Kunstfreiheit, so auch im Falle der Autorin Birgit Kempker, die Schäfer ebenfalls interviewte. Zugleich geht es dabei aber auch um den Streisand-Effekt, der sich häufig als Bumerang für die Klagenden erweist.

Interessanterweise findet mit „Esra“ auch ein Fall Berücksichtigung, bei dem eigentlich, so sollte man meinen, das Persönlichkeitsrecht hätte greifen müssen. Schäfer erläutert, warum dem, ungeachtet des seines Erachtens miserablen profilneurotischen Schlüsselromans, nicht so ist bzw. hätte sein sollen. Zudem führte er zu dieser Causa ein Interview mit dem KiWi-Geschäftsführer Helge Malchow. Der letzte Fall, Alban Nikolai Herbsts „Meere“, war bei Drucklegung noch nicht abgeschlossen. Wie er ausging, lässt sich bei Wikipedia & Co. nachlesen.

Viele Prozess- und Urteilsbegründungen offenbaren ein elitäres und dennoch höchstens halbgebildetes Kunstverständnis, das vielleicht die Folge totalitärer deutscher Vergangenheit und ihrer Zensurgeschichte, aber auch einer hochnäsigen Unterscheidung zwischen E- und U-Kultur ist. Schäfers Buch bietet einen erkenntnisreichen wie unterhaltsamen (also „E“ und „U“ vereinenden) Überblick über deutsche Zensurbemühungen im Literaturbereich und ist ganz sicher nicht nur für, Zitat: „Freunde juristischer Rabulistik“. Lediglich bei seinen Ausführungen zum Fall „Siegfried“ kam ich nicht ganz mit, wenn auf S. 231 von einem Prozess gegen die beiden „Spiegel“-Redakteure die Rede ist. Diese waren es doch (u.a.), die gegen Jörg Schröder geklagt hatten…? Vielleicht hat sich in diesem (mir ansonsten sauber lektoriert erscheinenden) Buch dort lediglich ein falsches Wort eingeschlichen.

Frank, wann kommt eigentlich „Zensierte Musik“?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Beitrag von buxtebrawler »

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Mad-Taschenbuch Nr. 4: Don Martin dreht durch

Es musste ja so kommen: Nachdem „Mad“-Stamm- und Kultzeichner Don Martin bereits die Taschenbuchreihe hatte eröffnen dürfen, schnappte er über, als man ihm sagte, dass auch die Nummer 4 wieder ihm ganz allein gewidmet sein würde. Im US-amerikanischen Original erschien diese im Jahre 1974, ein Jahr später stand die deutsche Fassung in den Regalen der Hochliteratur. 160 unnummerierte Schwarzweiß-Seiten strapazieren das Zwerchfell, für die Dick de Bartolo Don Martin bei den Texten unterstützte.

Die versammelten Cartoons und Geschichten erstrecken sich über drei bis etliche Seiten, wobei mit dem Platz großzügig umgegangen wird, weisen sie doch in der Regel lediglich ein Panel auf. Eines der Herzstücke des Buchs ist das eigentliche Taschenbuch-Debüt Käpt’n Hirnis, der hier seltsamerweise noch „Privatdetektiv Feinbein“ heißt und es mit dem „Unhold mit den 1000 Gesichtern“ zu tun bekommt. Schön, wie dort die Schwarzweiß-Gestaltung für einen Telefon-Gag aufgegriffen wird. Ebenfalls recht viel Platz nimmt die Zoologie-Persiflage „Die Küchenschabe als solche“ ein. Wie später im Taschenbuch Nr. 38 findet sich auch hier eine „Die Fliege“-Verballhornung und „King Kong“ bzw. das Hollywood’sche Film-Biz werden ebenfalls kräftig aufs Korn genommen.

Die Macken des Taschenbuch-Debüts wurden ausgemerzt, übrig blieb pures Don-Martin-Destillat, gewonnen aus schrägem Anarcho-Slapstick-Humor, herrlich karikierendem Strich und kreativem Gebrauch von Soundwords. Schön, dass ich diese Lücke endlich habe schließen können.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Beitrag von buxtebrawler »

Dr. Monkula hat geschrieben: So 26. Mai 2024, 21:25 Dazu sind vom Alfons Verlag im Buch von Christian Blees: Die Geschichte der Gruselcomics in Deutschland. Aus der Reihe »Texte zur Graphischen Literatur« in der Edition Alfons ! Da sind wir am Ende vertreten mit dem FERAl Comic, mit einem sehr netten Text drin und sogar "BLOOD AFTER MIDNIGHT" wird schön genannt ! Klare Kaufempfehlung, das Buch ist wirklich toll geworden, so viele Sachen die Ich liebe drin und sogar Donald F. Glut, einer meiner Helden, wird erwähnt ! Das Buch wird´s auch in Erlangen geben und der Macher ist vor Ort ! Kauflink:

https://www.reddition.de/shop/bücher-se ... ror-detail
Das hat mir meine Liebste zum Geburtstag geschenkt :knutsch:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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McBrewer
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von McBrewer »

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3cad201b-c4d2-49c9-8cbe-b30d433bcf55.jpeg (162.97 KiB) 511 mal betrachtet
In den ersten Minuten im Familienurlaub, direkt noch vor dem Start des Flugzeuges, meine auserkorene Urlauslektüre aufgeschlagen (ich weiß nicht mehr, ob ich das irgendwann einmal geschenkt bekommen oder aus dem Bücher-Tauschregal mitgenommen hatte?)

"Der erste letzte Tag: Kein Thriller" von Sebastian Fitzek

Ein ungleiches Paar.
Eine schicksalhafte Mitfahrgelegenheit.
Ein Selbstversuch der besonderen Art.


Livius Reimer macht sich auf den Weg von München nach Berlin, um seine Ehe zu retten. Als sein Flug gestrichen wird, muss er sich den einzig noch verfügbaren Mietwagen mit einer jungen Frau teilen, um die er sonst einen großen Bogen gemacht hätte. Zu schräg, zu laut, zu ungewöhnlich - mit ihrer unkonventionellen Sicht auf die Welt überfordert Lea von Armin Livius von der ersten Sekunde an. Bereits kurz nach der Abfahrt lässt Livius sich auf ein ungewöhnliches Gedankenexperiment von Lea ein – und weiß nicht, dass damit nicht nur ihr Roadtrip einen völlig neuen Verlauf nimmt, sondern sein ganzes Leben!
Autor Fitzek hatte ich jetzt noch nicht auf dem Schirm, ebenso wenig wie seine sonst "üblichen" Romane/Werke.
Daher ging ich jetzt ganz unvoreingenommen an den Roman.
Lustigerweise Beginnt der Roman natürlich auch im Flugzeug & so musste ich doch schon auf den ersten Seiten heftig schmunzeln, während meine mitreisenden Familienmitgliedern noch angespannt in den Startsitzen saßen.
Natürlich geht es um zufällige Begegnung des mittelalten (ähnlich ich) Livius mit der jüngeren Lea & des daraus resultierenden Roadtrips.
Das ganze ist teilweise recht komisch & ich möchte auch nicht zu viel verraten.
Wer mal eine kurzweilige, unterhaltsame (Urlaubs-)Lektüre benötigt, kann das teil gerne mal mitnehmen oder sich bei mir melden 8ch habe das Teil ja schon durch und noch einmal lesen tue ich das ja auch nicht mehr, der Überraschungsmoment ist weg)
Übrigens soll Autor Fitzek ja für spannendere & vor allem blutigere Bücher bekannt sein, vielleicht nehme ich von diesen Werken bei Gelegenheit auch mal eines vor die Leselampe... :popcorn:
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buxtebrawler
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Mad-Taschenbuch Nr. 21: Ivica Astalos – Das Mad-Buch der Technik

Astalos‘ zweites Mad-Taschenbuch hatte ich bereits gesprochen, nun endlich kann ich sein Taschenbuch-Debüt nachreichen: „Das Mad-Buch der Technik“ aus dem Jahre 1979 umfasst wie üblich rund 160 unkolorierte Seiten, die in ein Vorwort und elf Kapitel aufgeteilt sind. Jenes Vorwort, in dem Herbert Feuerstein seinen Cartoonisten augenzwinkernd, aber furztrocken beleidigt, ist bereits der erste große Lacher, bevor Astalos diverse Technik bzw. den Glauben an sie aufs Korn nimmt. Alltagsprobleme werden vermeintlichen technischen Lösungen gegenübergestellt, ob nun situationsübergreifend oder spezialisiert auf das morgendliche Aufstehen, den Straßenverkehr, öffentliche Verkehrsmittel oder Comichelden (!). Technische Mängel und ihre (vermeintliche) Abhilfe verballhornt Astalos ebenso satirisch wie die Technik-Historie, die Astalos‘ Texte und Zeichnungen mit absurden „technischen“ Skizzen zu geschichtlichen Ereignissen verbindet.

Die „neuen Methoden zur Abwehr von Autodieben“ haben sich seltsamerweise nicht durchgesetzt, während die „Vorschläge zur Verbesserung des Telefonsystems“ nostalgisch in Festnetz-Zeiten und die mit ihnen verbundenen Probleme zurückblicken lassen – und sich das eine oder andere Problem mittlerweile tatsächlich technisch gelöst hat! Die „klugen Antworten auf dumme Sprüche“ adaptierte Astalos bereits hier von seinem US-Kollegen Al Jaffee, inklusive Mehrfachauswahl und Platz zum Notieren einer jeweils eigenen Antwort. Dass die Technik zum Fluch werden kann, zeigt eindrucksvoll das letzte Kapitel auf, das mit einer ähnlichen Selbstironie wie jener, die das Buch eröffnete, schließt.

Durch die in Teilbereichen relativ detaillierten Zeichnungen und die vielen spaßigen, aber nie zu ausufernden oder das Cartoon- und Karikatur-Konzept ad absurdum führenden Texte liest, guckt und schmunzelt man länger an diesem Mad-Taschenbuch als an manch anderem aus der Reihe. Dass Astalos der Spagat zwischen Albern- und Verspieltheit, findigen Alltagsbeobachtungen und durchaus hintergründigem Humor gut gelingt, macht ihm zu einer meiner favorisierten Mad-Autoren und -Zeichner.
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fritzcarraldo
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Beitrag von fritzcarraldo »

Ich stelle es mal hier rein.

Tipp zum Thema Comics.
Comic Ausstellung plus Lesung im August in Bremen.

"Coming up in August
@_captain_berlin_ und #zombieman
#vernissage : 09. August 2023, 19 Uhr, Vortrag: 25 Jahre @weissblechcomics mit Levin Kurio
Comiclesung: 23. August, 20 Uhr Captain Berlin mit Jörg Buttgereit und Fufu Frauenwahl im @city46_bremen

Comicworkshop: 17. + 18.08 und 01.09 2024 mit @hapillu und @gunterlepski im Raum404, Nicolaistrasse 34/36, 20195 Bremen. Anmeldung unter zinefest@kulturbuero-bremen.de

Ausstellung: 10. August – 14. September 2023, Öffnungszeiten: Do. und Fr. 20 – 22, Sa. 14 – 17 Uhr, @raum404 , Nicolaistrasse 34/36, 20195 Bremen

Captain Berlin! Zombieman! Diese Titel sprechen für sich – und sie stehen für die provokant unterhaltsamen WEISSBLECH Comics-Heftserien, die im gesamten deutschsprachigen Raum einzigartig sind. Dabei handelt es sich nicht um Lizenzmaterial, sondern um Germanys greatest Superheroes! Um so großartiger, dass WEISSBLECH Comics 2024 schon sein 25-jähriges Verlagsjubiläum feiern kann! [...]"


Quelle:
https://www.facebook.com/share/p/YHDTUgTgcyCWzTMs/

Weiter Infos:
https://www.facebook.com/share/p/cgcdxP7wBbhvnbyL/
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IMG_20240804_230609.jpg (5.61 MiB) 474 mal betrachtet
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IMG_20240804_230659.jpg (5.39 MiB) 474 mal betrachtet
"Das Leben ist noch verrückter als Scheiße!" (Joe Minaldi -Burt Young- Es war einmal in Amerika)

"J&B straight and a Corona!"
(Patrick Bateman, American Psycho)

https://www.latenight-der-fussball-talk.de
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Arkadin
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Beitrag von Arkadin »

Ich bin Freitag und am 23.8. dabei. :winke:
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buxtebrawler
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Beitrag von buxtebrawler »

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Der Winterabend-Krimi – Knisternde Spannung für die langen Nächte

Meine Oma las für ihr Leben gern Krimis. Also schenkte ich ihr irgendwann als Kind, es müsste 1990 oder Anfang der 1990er gewesen sein, diesen rund 400-seitigen Taschenbuch-Schmöker aus dem damals renommierten Scherz-Verlag (der sich entgegen seinem Namen nicht etwa auf humoristische, sondern auf Kriminalliteratur spezialisiert und zahlreiche britische Krimis nach Deutschland gebracht hatte) aus dem Jahre 1990 zu Weihnachten. Das hatte sich aufgrund des Titels und der, wie ich finde, recht hübschen Aufmachung angeboten, zumal konnte ich ihn mir für die 9,80 DM, die der Verlag aufgerufen hatte, von meinem Taschengeld leisten. Etliche Jahre nach ihrem Tod kam das Buch – zusammen mit zahlreichen anderen – zu mir zurück. Ihm ist anzusehen, dass sie es gelesen hat, und im vergangenen Winter tat ich es ihr um die Weihnachtszeit herum gleich.

Fast wie ein Adventskalender bringt es diese Zusammenstellung auf 20 Geschichten verschiedener Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Länge, ausgewählt von Gisela Eichhorn:

Patricia Highsmith – Variationen über ein Thema
Spannend und unvorhersehbar geschriebene Dreiecksgeschichte um eine herrliche irre Femme fatale mit fieser Pointe.

Agatha Christie – Vierundzwanzig Schwarzdrosseln
Hercule Poirot erkennt als Einziger einen Mord im Tode eines Sonderlings. Typischer Christie-Stoff – und es geht viel ums Essen.

Roald Dahl – Lammkeule
Eine Frau erschlägt ihren Mann mit einer gefrorenen Lammkeule und verfüttert das Mordwerkzeug anschließend in zubereiteter Form an die Ermittler. Bezieht seine Spannung daraus, was ihr Motiv war – der Mann hat ihr irgendetwas eröffnet, aber man weiß nicht, was. Dies wird aber leider nicht aufgelöst.

Charlotte Armstrong – Kein gewöhnlicher Montag
Breitet recht langatmig anlässlich des Todes eines wehleidigen alten Muttchens ein kompliziertes Familiengeflecht aus, innerhalb dessen die Protagonistin sich auf der Spur einer Verschwörung wähnt.

Bill Pronzini – Das Netz
Auftragsgangster rennt seinem Geld hinterher und kommt dabei einem Mörder auf die Schliche. Gelungen.

Romain Gary – Ein Humanist
Bitterböse und zynisch, zugleich Ehrerbietung an die großen Klassiker der Literatur und Abgesang auf den Humanismus während des Zweiten Weltkriegs.

Ron Goulart – Der Sarg wartet schon
Hübsch makabre Geschichte auf „Geschichten aus der Gruft“-Niveau um fanatische Sammler von Horrorfilm-Devotionalien.

Margaret Millar – McGownyes Wunder
Weist einen etwas poetischeren Stil als die bisherigen Geschichten auf und weiß zu gefallen. Eine erneut makabre Geschichte über eine fehlende Leiche, eine dann doch nicht Tote und eine schräge Liebe mit mehrdeutig interpretierbarem Ende.

Peter Lovesey – Ein vermögender Mann
Lovesey schreibt böse moralisch/moritatisch über Ahnenforschung und Betrugsversuche – mit offenem Ausgang, den man sich aber denken kann.

Stephen Wasylyk – Immer Ärger mit Walter
Schwarzhumorige Moritat über den Mordversuch an einem nervigen Nassauer aus der eigenen Verwandtschaft.

Dorothy Salisbury Davis – Bis daß der Tod uns scheide…
…spielt im Schriftsteller-Business und hat in der deutschen Übersetzung leider ein schlechtes Korrektorat erfahren: Zeichensetzung, Grammatik, Tippfehler wie „Anwald“, „kittis“, „überlasseln“ – das ist umso ärgerlicher, als es in der Geschichte u.a. um überarbeitungswürdige Manuskripte geht. Diese dreht sich um eine toxische Ehe und einen Mord, von dem man zwischenzeitlich glauben gemacht wird, der Ehemann wolle ihn begehen, es dann aber doch anders kommt, und ist langatmig sowie kompliziert konstruiert. Generell finden sich in diesem Buch ein paar holprige Übersetzungen aus dem englischen Original (statt „entgegnete“ heißt es bspw. ständig „versetzte“) sowie der eine oder andere orthographische Fehler.

Edward D. Hoch – Vor die Hunde gegangen
Hoch gewährt Einblicke ins Hunderennen-Wettmilieu, sehr klassisch britisch.

Jack Ritchie – Herzlich willkommen im Kittchen
Zynische Story um einen korrupten Gefängnischef – grandios!

Jonathan Craig – Nenn mich Nick
Hier geht es schwarzhumorig nach dem Motto „Hell ain‘t a bad place to be“ zu, erhält nach einem Mord und einer Wendung aber leider doch noch eine ganz andere Tendenz.

Pauline C. Smith – Russisches Roulette
Ein aus Sicht des ermittelnden Polizisten geschilderter Fall eines ebenso bizarren wie perfiden Selbstmords, bei dem ein etwas einfältiger Arbeiter benutzt wurde, damit der Selbstmörder sich an ihm rächen kann.

Ursula Curtiss – Schneeball
Curtiss fügt die Vorgänge um ein Verlegerehepaar, das sich hasste, eine einsame Blockhütte im Schnee, einen vermuteten Mord, eine Katze und eine Leiche, die erst ganz am Schluss gefunden wird, zu einer unterhaltsamen Kriminalschnurre zusammen.

Joyce Harrington – Vogelperspektiven
Eigenartiger, aber spannend erzählter Psycho-Thriller um zwei Freundinnen und einen Künstler mit Vogelmanie, der Frage danach, wer in seinen Ausführungen Recht hat, und einer leider schwachen, mysteriösen Pointe, die sich mir nicht ganz erschlossenen hat.

Robert L. Fish – Mondscheingärtner
Kleinstädtisch und schwarzhumorig schreibt Fish von einer verschwundenen Ehefrau und wartet mit einer überraschenden Pointe auf, die sich aus der Lektüre aber kaum erklären oder ableiten lässt... oder?

Lawrence Block – Paß in Ordnung
Ein Pärchen versucht den perfekten Mord. Was sich zunächst wie eine Bonnie-und-Clyde-Romanze liest, entpuppt sich nach einer Wendung als zynisches, abgekartetes Spiel.

Gerald Tomlinson – Reingelegt
Launiges Schelmenstück über einen frustrierten Schreiber, der die Öffentlichkeitsarbeit an einem College mit rekordverdächtig schlechter Football-Mannschaft betreibt und kurzerhand ein anderes, wesentlich erfolgreicheres Provinzteam eines fiktiven Provinzcolleges erfindet.

Hat alles in allem Spaß gemacht, denn auf eine schwächere Geschichte folgt meist wieder eine stärkere, die die vorausgegangene vergessen lässt, und der Leseeifer wird mit der einen oder anderen Perle belohnt. Zudem bietet diese Sammlung einen netten Überblick über das Genre im Kurzformat.
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Mad-Taschenbuch Nr. 24: Mad-Reporter Dave Berg betrachtet das Leben

Das dritte Mad-Taschenbuch des New Yorkers Dave Berg stammt im US-Original aus dem Jahre 1973, die deutsche Ausgabe wurde 1979 veröffentlicht. Die gewohnten rund 160, leider erneut unnummerierten Schwarzweiß-Seiten sind in die fünf „Abteilungen“ (= Kapitel) „Schul-Leben“, „Zusammen-Leben“, „Berufs-Leben“, „Überleben“ und „Alltags-Leben“ unterteilt, was aber lediglich eine grobe Sortierung der ein bis zwei Panels pro Seite umfassenden, karikierend überspitzten Alltagsbeobachtungen Bergs in seinem charakteristischen halbrealistischen Zeichenstil bedeutet. Ich habe hier bereits drei andere Bücher Bergs besprochen und kann mich eigentlich nur wiederholen: In seinem realitätsnahen, bodenständigen, aber sehr sympathischen Humor treffen Zeitkolorit (Hippies, antiautoritäre Lebensentwürfe, Populärkultur) auf zeitlose Widersprüche und Macken (zwischen-)menschlichen Verhaltens, auf Generationskonflikte und den ganz normalen alltäglichen Wahnsinn. Berg versteht es, seine Pointen in kurzen Cartoons zu zünden und scheint immer so etwas wie die Stimme der Vernunft innerhalb des Mad-Chaos-Kosmos zu sein.

Damit dürfte ich hier jetzt die ersten 40 Mad-Taschenbücher allesamt vorgestellt haben. Es existieren 33 weitere, die mir mittlerweile ebenfalls komplett vorliegen sollten. Ich freue mich auf deren Lektüre und werde weiter berichten.
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Frank Schäfer – Kultbücher. Was man wirklich kennen sollte

Kürzlich schrieb ich über Frank Schäfers im Erftstädter Area-Verlag erschienenes Werk „Zensierte Bücher“, in dem er mit einer Ausnahme (von der ich aus dem Stegreif gar nicht wüsste, um welche es sich handeln sollte) diejenigen Bücher aussparte, die der Braunschweiger Autor musik- und literaturzentrierter Sachbücher bereits in „Kultbücher“ besprochen hatte. „Kultbücher“ war im Jahre 2000 ursprünglich bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen, in der verbesserten, stark erweiterten Neuauflage, die Gegenstand dieser Rezension ist, jedoch erst 2005, nun ebenfalls bei Area. Der 400-seitige Umfang des gebundenen Wälzers entspricht dem von „Zensierte Bücher“, vorgestellt und besprochen werden von Schäfer sage und schreibe 71 Werke.

Einleitend stellt Schäfer acht sehr richtige Thesen zum Thema auf, um anschließend in chronologischer Reihenfolge in die Vollen zu gehen: In knapper Essay-Form kanonisierend, sortiert er die Bücher in ihren jeweiligen historischen Kontext ein. Doch handelt es sich tatsächlich allesamt um Kultbücher? Nun, mit „kennen“ meint Schäfer mitnichten „lieben“ und reflektiert seinen Kanon kritisch, statt ihn oberflächlich abzufeiern (oder „abzukulten“).

So zitiert er Arno Schmidts Herausarbeitungen der Homoerotik, die Karl May – aus bestimmten Gründen? – seiner Winnetou-Figur angedeihen ließ, und übt scharfe Kritik an Rudyard Kiplings Dschungelbüchern: „Hier wird der Lesejugend die streng hierarchische, imperialistische Weltsicht des viktorianischen Großbürgertums eingebimst (…).“ (S. 24) Hochinteressant wird es bei Karl Kraus‘ „Die Fackel“, den Schäfer als frühen Kämpfer für sexuelle Selbstbestimmung, pressekritischen Sprachkritiker und wortgewaltigen Kriegsgegner während des Ersten Weltkriegs adelt. Es geht also keinesfalls darum, einer breiten Masse liebgewonnene Bücher systematisch zu besudeln und zu verreißen. Sherwood Andersons „Winesburg, Ohio“ interpretiert er relativ anspruchsvoll philosophisch, macht klar, welch Faschist und Schlächter Ernst Jünger war, und arbeitet aus Hermann Ungars „Die Verstümmelten“ die sexualpsychopathologische und homosexuelle Ebene heraus. Walter Serners „Die Tigerin“ beschreibt er als stilistisch mutige, abseitige Liebesgeschichte mit einer im Wortsinn ganz eigenen Sprache. Den russischen „Alle Fälle“-Autor Daniil Charms stellt Schäfer als Initiator der Neuen Form vor, der unter dem stalinistischen Terror zu leiden hatte und ihn nicht überlebte. Er bricht eine Lanze für die Naivität und rührende Schönheit Pus des Bären von Alan Alexander Milne und zitiert in diesem Zusammenhang Harry Rowohlt.

Ein weiteres „Kultbuch“, mit dem Schäfer abrechnet, ist John Cowper Powys‘ „Wolf Solent“ aufgrund dessen Fortschritts- und Wissenschaftsfeindlichkeit. Wilhelm Reichs Sachbuch „Die sexuelle Revolution“ nimmt er zum Anlass, zu beleuchten, wie man Sexualrevolutionär Reich während der NS-Diktatur fertigmachte, worüber dieser anscheinend den Verstand verlor und zum Esoterikspinner mutierte. Er nähert sich James Joyces „Finnegans Wake“ an, ruft anlässlich „Ich – Arturo Bandini“ John Fante als herausragenden Literat italienischer US-Immigranten, dessen Werke auch Bukowski gefielen, ins Gedächtnis, und geht dabei auch auf Fantes Sohn ein. Antoine de Saint-Exupérys Kinderbuch „Der kleine Prinz“ klassifiziert Schäfer als Geschichte über sonderbare Außenseiter und die Kraft der Freundschaft. Woodys Guthries Autobiographie „Bound for Glory“ umschreibt er als gossenpoetisches „Sittenbild der Unterschichten in den 20er und 30er Jahren“.

Die Nachkriegszeit eröffnet Schäfer mit Salingers „Der Fänger im Roggen“, einem Bildungsroman übers Erwachsenwerden und „den Antagonismus von Kunst und Leben“. Ian Flemings „James Bond“-Romane kritisiert er für ihren Schreibstil, vor allem aber für ihre reaktionären und sexistischen Inhalte – danke dafür, Frank! J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ scheint nicht sein Fall zu sein, offenbar erlag er dessen Faszination nicht. (Da ich fürchte, dass es mir ähnlich erginge, habe ich es trotz gefühlten sanften gesellschaftlichen Drucks noch immer nicht gelesen.) Zurecht wesentlich mehr anfangen kann Schäfer mit Philip K. Dicks klugen Science-Fiction-Dystopien, mit denen „die ästhetische Moderne im Science-Fiction-Genre Einzug“ gehalten habe. Seinen verfilmungskritischen Passus zu „Minority Report“ kannte ich allerdings schon aus einer seiner Essay-Sammlungen. Anhand „Jerry Cotton“ bricht er eine Lanze für Heftromane und sprach mit deren fleißigstem Verfasser Friedrichs, was mir aus „Homestories – Zehn Visiten bei Schriftstellern“ ebenfalls bereits bekannt war. Und wenn mich nicht alles täuscht, habe ich in einem seiner anderen Bücher auch schon seine Auseinandersetzung mit Nabokovs „Lolita“ gelesen. Doch Redundanz ist die Mutter der Didaktik, also sei’s drum.

Ginsbergs „Howl“ hebt Schäfer als lyrisches Manifest der Beat-Generation hervor, Kerouac charakterisiert er als naiv-träumerischen, konservativ-regressiven Beat-Autor. Er kommentiert die Werke des psychisch schwerkranken Robert Lowry, um schließlich eingehender auf sein vermeintlich antisemitisches „Lebendig begraben“ einzugehen und es von diesem Vorwurf freizusprechen. Das satirische und humoristische Potenzial von „Naked Lunch“ erkennt Schäfer, bleibt aber leider eine Antwort darauf schuldig, inwieweit Borroughs „reaktionäre Anwandlungen“ gehabt habe. Sein Essay über Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ ist leider fast ausschließlich eine Zusammenfassung des Inhalts, zudem ohne ein Wort über die fulminante Verfilmung zu verlieren. Und kenne ich seinen Text über Anthony Burgess‘ „A Clockwork Orange“ nicht auch schon? Wie dem auch sei: Schäfer ehrt den Roman als Plädoyer für die Wahlfreiheit des Menschen und gegen Totalitarismus. Harold Brodkeys „Unschuld“ hingegen verreißt er aufgrund dessen pubertärer, dusselig verliebter Sprache – obwohl mir die Zitate sehr zusagen. Sie lesen sich wie authentisch im Affekt geschrieben. Es folgt ein Loblied auf Charles Webbs „Die Reifeprüfung“ und dessen „liberalistische Intention“. Folk-Nuschler Bob Dylans „Tarantula“ wiederum ist offenbar unlesbarer Schwachsinn, was auch Schäfer vermittelt.

Sein Text über Richard Brautigans „Forellenfischen in Amerika“ verhandelt jenes Buch als mit der Hippiezeit korrespondierende, abermalige Sinnsuche in den mythologisierten USA in Form schräger Prosa, von der Schäfer begeistert ist, bei der ich jedoch abwinke. Hubert Fichtes „Die Palette“ skizziert er als „lapidares, teilnahmsloses, wenn nicht indolentes Stenogramm“, für dessen Stil er Verständnis äußert, ihn aber trotzdem bedauert. Der gute alte Charles Bukowski gefällt ihm, und so verteidigt er ihn gegen elitäre Behauptungen, er sei ach so antiliterarisch. Aus der Beat-Anthologie „Acid“ zitiert Schäfer die unfreiwillig komisch anmutenden Thesen Staffords und kommentiert sie sarkastisch. Günther Amendts „Sex Front“ sei ein freches, gelungenes Aufklärungsbuch – und auch, wenn man längst alles weiß, könnte es offenbar Freude bereiten, es einmal zu lesen.

Schäfers Essay zu Arno Schmidts „Zettels Traum“ weist die Struktur eines Dramas auf, das ein universitäres Gespräch abbildet, in dem Schäfer in die Rolle des Germanistik-Dozenten schlüpft, weit ausholt und Schmidt ästhetischen Nonkonformismus attestiert, bevor er zu dessen Opus magnum „Zettels Traum“ kommt. Das dürfte eher nichts für mich sein, denn schon das Lesen dieses Essays voller verquaster Verklausulierungen ist unnötig anstrengend – zumal es sich seitens Schmidt offenbar um einen Versuch handelte, E.A. Poe die Ehre abzuschneiden. Immerhin äußert Schäfer Kritik an Schmidts altersreaktionären Ressentiments.

In Hunter S. Thompsons „Angst und Schrecken in Las Vegas“ erkennt er eine ambivalente Aussage, schreibt daher von einer humorvollen Drogen-Apotheose und -Kritik zugleich sowie vom Abgesang auf die Hippies. Peellaerts und Cohns „Rock Dreams“ sei gar eine Illustration des Untergangs des Rock'n'Rolls und Jörg Schröders „Siegfried“ eine bewusst trashige, anarchische, aber auch eitle Abrechnung mit dem damaligen Literaturbetrieb. Helmut Salzinger sei ein seine Hoffnung in die „Yippies“ setzender Musikkritiker und -diskutant, der auf mich aber wie ein nerviger Hippie-Laberkopp wirkt. So oder so wurde er hoffnungslos von der Zeit niedergewalzt. Jerofejews „Die Reise nach Petuschki“ ist laut Schäfer ein russischer Suffroman voller russischem Weltschmerz, über den er gern noch mehr wissen würde – wie er abschließend durchblicken lässt. Ein Kuriosum unter den „Kultbüchern“ ist Heino Jaegers „Alkoholprobleme in Dänemark“-Schallplatte (!), offenbar ein herausragend komisches Spiel mit der Sprache.

„Gedichte/Lieder“ Wolf Wondratscheks seien überraschende Gedichtbände, Verena Stefans „Häutungen“ ein anscheinend gar nicht mal so gutes erstes literarisches Werk der Frauenbewegung in den 1970ern und Raymond Federman mit „Take it or leave it“ einer der zurecht bekanntesten Vertreter der literarischen Postmoderne gewesen. Auf S. 277 war Schäfer schon beim Feierabendbier, das hoffentlich kein „Giftpils“ war. Nichtsdestotrotz arbeitet er aus Bernward Vespers „Die Reise“, eine Art stellvertretender RAF-Terroristen-Biographie, sehr schön die Ambivalenz nicht nur dieser Figur heraus. Eckhard Henscheids „Geht in Ordnung – sowieso - - genau - - -“ sei für Schäfer ein empathisches humanistisches Denkmal für dämliche Kneipen-Dampfplauderer, auch wenn sich die Zitate eher sozialchauvinistisch herablassend für mich lesen. Uli Beckers „Gelegenheitsgedichte im besten Sinne“ aus „Meine Fresse!“ betrachtet Schäfer als Porträt des desillusionierenden Teils der 1970er und Brinkmanns „katastrophistische“ Text-Bild-Collage „Rom, Blicke“ als „rücksichtsloses und nachgerade dokumentarisches Stenogramm“. „Fuck off, Amerika“ aus der Feder Eduard Limonows attestiert Schäfer, ein „emotionaler Blitzableiter, zugleich aber auch ein aufrichtiges, sich selbst nie schonendes, die eigene Hybris, Ehrpusseligkeit und Larmoyanz nie beschönigendes Protokoll einer Selbstbehauptung“ zu sein, geizt dabei aber nicht mit Kritik am Autor.

Douglas Adams‘ Science-Fiction-Komödie „Per Anhalter durch die Galaxis“ sieht Schäfer ungewohnt kritisch, Jörg Fausers „Der Schneemann“ ordnet er als etwas undurchsichtigen Schelmenkrimi und Stenogramm des Dekadenwechsels zu den 1980ern ein und Rainald Goetz‘ „Irre“ als Infragestellung der Psychiatrie, aber auch Abgesang auf salonrevolutionäre Träumereien vom künstlerischen und revolutionären Potential Irrer – mit einem schwachen dritten Teil. Jim Dodges „Fup“ sei eine Art Erwachsenenmärchen, Gibsons „Neuromancer“ darf als Cyberpunk-Pionier nicht fehlen und Bret Easton Ellis‘ „Unter Null“ ist offenbar ein „American Psycho“-Vorläufer in Sachen Abrechnung mit den Yuppies. Philippe Djians „Betty Blue. 37,2° am Morgen“ mag Schäfer sehr, unterstellt aber beinahe Voyeuristisches beim Lesen. Wolfgang Welt mit seiner „Peggy Sue“ scheint mir ein ungefickter Journalist zu sein, der seinen persönlichen Frust in Musikkritiken auf andere projiziert, woraus eine Art unsympathischer Verliererprosa wird, was Schäfer in seinem wohlwollenden Essay zumindest anklingen lässt. Bei dieser Gelegenheit: Was soll eigentlich immer dieses Abarbeiten an Heinz Rudolf Kunze? Er schenkte uns immerhin die Evergreens „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Finden sie Mabel“ – und was danach so alles aus Deutschland die Charts erklomm, war doch wohl zu großen Teilen wesentlich schlimmer. M.A. Numminens „Der Kneipenmann“ ist laut Schäfer so etwas wie ein ehrerbietendes Soziogramm finnischer Unterschichtstrinker – und damit der Gegenpol zu Henscheid?

Joachim Lottmanns „Mai, Juni, Juli“ definiert Schäfer als ersten deutschen Poproman, ein „fulminante(s) Stück Prosa“, das „nicht nur treffsichere(s) Szene- und Zeitdokument, sondern auch postmodernes Patchwork, ein Roman aus angefangenen Romanen“ sei. In Andreas Mands „Grovers Erfindung“ erkennt er nicht weniger als die Wiederauferstehung vergessener sensorischer, emotionaler, transzendentaler Potenziale der Kindheit, einen ebenso witzigen wie soziologisch interessanten und inhaltlich wie sprachlich überaus präzisen Roman über die Kindheit in den 1960ern. Mit „Generation X“ setze sich Douglas Coupland unklug zwischen die Stühle und biete „für einen Essay (...) einfach zu wenig Analyse – und für einen Roman zu viel.“ Irvine Welshs „Trainspotting“ lasse sich als verstörende und provokante „Apologie des Drogenkonsums“ zusammenfassen und Tobias Wolff Kriegserinnerungen „In der Armee des Pharaos“ als aus einer Dummheit heraus geborenes „deutlich Grausamkeit und Sinnlosigkeit [des US-Angriffskriegs auf Vietnam] spiegeln[des]“ Buch – weshalb dieses erst so spät, nämlich 1994, erschien, erfährt man leider nicht.

Kinners, wir ham’s gleich! Die letzte Rutsche: Nick Hornbys „High Fidelity“ beschreibt Schäfer als listenreiche, kluge Pop- und Erwachsenwerdungs-Prosa, deren auch von ihm erwähnte Erzählerlarmoyanz mir jedoch derart das Vergnügen trübte, dass eine Identifikation schwer- und mir die Verfilmung daher tatsächlich besser gefiel. McNeils und McCains US-Urpunk-Oral-History „Please Kill Me” empfinde Schäfer als spannend und souverän geführt, Stuckrad-Barres „Solocalbum“ hingegen als „Zeugma-lastigen, sprachlich ansonsten uninteressanten und inhaltlich abgeschmackt-polemischen, schaumschlägerischen Poproman über einen Teil der 1990er und das Herzeleid des Erzählers – touché! Aus ungefähr diesen Gründen, die sich mit meinen Befürchtungen decken, habe ich‘s bisher nicht gelesen, obwohl es eigentlich meine Kragenweite sein sollte. Große Lyrik mit „schier überbordende[m] Storytelling“ sei Fredy Neptunes „Am Fleischwolf“, Poesie auf bewusst „niederer Stilebene“ Forrest Gumps und Co. über die Grausamkeit des Menschen und die für mich unvorstellbare Möglichkeit, ihm zu verzeihen. Mit J.T. Leroys „Sarah“ stellt Schäfer zudem einen „so unbeschwert“ erzählten Roman „als ginge es um Burgenbauen im Sandkasten“ über pädophile und schwule Elendsprostitution vor, der offenbar autobiographisch und -therapeutisch, in „kindlich-glättende[m], harmonisierende[m] Erzählgestus“ verfasst ist. Frank Schulz‘ „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“ sei ein „ebenbürtige[r], nein, bessere[r] Nachfolger“ des „besten deutschen Trinkerroman(s) aller Zeiten“ – schade, dass er über diesen nicht auch geschrieben hat –, ein Roman über ein dem Wahnsinn verfallenden Schriftsteller, der zu lange gezwungen ist, Zeit und Talent für Anzeigenblättchen zu verschwenden. Und noch interessanter liest sich Schäfers Abhandlung über Matias Faldbakkens seine eigene Rezeptionsgeschichte vorwegnehmenden, schwerst beleidigenden Anarcho- und Pornoroman „The Cocka Hola Company“, den ich unbedingt werde lesen müssen.

Zugegeben, mitunter spoilert Schäfer nicht zu knapp. Andererseits ist „Kultbücher“ zumindest für mich auch ein Buch, das man liest, um einen nicht unbeträchtlichen Anteil der besprochenen Bücher nicht lesen zu müssen. So manch eines macht Schäfer einem aber schmackhaft und gibt sich dabei durchaus angriffslustig und streitbar, scheut sich nicht, manch heilige Kuh zu schlachten und zitiert gern aus Kritiken, um diesen zu widersprechen. Das liest sich nicht zuletzt wegen seiner Fabulierkunst ebenso informativ wie unterhaltsam, wenn er es nicht gerade wie für ihn typisch mit den seltsamen Wörtern übertreibt: Panegyrikos (antike Prunkrede), spinozistisch (de Spinozas Lehren ablehnend/abwertend), defätistisch (resignativ), Suada (Redeschwall, Beredsamkeit) und Vademekum (Leitfaden) habe bestimmt nicht nur ich vorher nie gehört und „Fürnehmkeit“ (S. 385) muss er sich selbst ausgedacht haben, Google liefert exakt 0 (null) Treffer.

Zum Inhalt: Natürlich kann Schäfer nicht über jedes Buch schreiben, das von einer kleineren oder größeren Leserschaft zum Kultobjekt erklärt wird. Aus seiner spitzen Feder hätte ich beispielsweise aber gern auch über Christian Kracht gelesen. Dass Lovecraft komplett ausgespart wurde, irritiert mich noch mehr, und meine leise Hoffnung, dass Schäfer Stephen Kings „Es“ berücksichtigt haben könnte, wurde nicht erfüllt – obwohl durchaus Parallelen zwischen Schäfers sporadischem belletristischen Schaffen und Kings Coming-of-age-Epos erkennbar sind. Davon unabhängig überwiegt bei Weitem der positive Eindruck, den die „Kultbücher“-Lektüre hinterlassen hat, denn dümmer macht sie ganz bestimmt nicht. Und Respekt dafür, all diese Bücher wirklich gelesen zu haben…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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