Nosferatu - Die Pest kehrt zurück - Alexander Melach (2016)

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Salvatore Baccaro
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Nosferatu - Die Pest kehrt zurück - Alexander Melach (2016)

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Originaltitel: Nosferatu - Die Pest kehrt zurück

Produktionsland: Österreich 2016

Regie: Alexander Melach

Cast: Sandra Trindade, Jonas Christen, Andreas Paukner, Christian Qualtinger, Maria Christina Preis


Seit ich Friedrich Wilhelm Murnaus Grauenssymphonie NOSFERATU mit 13, 14 Jahren zum ersten Mal im Halloween-Nachtprogramm von Arte gesehen hatte, habe ich mich in diesen Film verliebt wie in wenige andere. Bei NOSFERATU handelt es sich nicht nur um einen der wenigen Filme, die ich mir wirklich immer anschauen kann, etwa so, wie wenn man seinen Lieblingssong, seine Lieblingsplatte zu jeder Tages- und Nachtzeit zu hören imstande ist, sondern den ich mir im Laufe meines Lebens sicherlich Minimum vierzig bis fünfzigmal angeschaut habe. Kurz gesagt: Ich hege für NOSFERATU einen Crush wie zeitgenössische Teenager für ihre angehimmelte K-Pop-Band oder ihren bewunderten Gangster-Rapper – und natürlich muss ich mir, als ich von der Existenz eines österreichischen Films aus dem Jahre 2016 höre, der NOSFERATU – DIE PEST KEHRT ZURÜCK heißt, diesen unverzüglich anschauen: Sollte da jemand wirklich versucht haben, ein Remake des Klassikers auf die Beine zu stellen, wie der Titel mir verheißt? Schon einmal ist dieser Versuch ja unternommen worden – mit zwiespältigem Ergebnis. Denn, obwohl ich auch Werner Herzogs Oeuvre ganz tief in meinem Herz vergraben habe: Sein PHANTOM DER NACHT mit Kinski als Blutsauger halte ich für eins seiner schwächeren Werke – trotz der schauerromantischen Schwelgerei, einem todtraurigen Klaus und dem vielleicht unfähigsten Van Helsing der gesamten Kinohistorie. Aber vielleicht gewinnt der Streifen von einem gewissen Alexander Melach, der wohl vom experimentellen Theater kommt, dem Original ja doch die eine oder andere Facette ab, stellt eine augenzwinkernde Hommage dar, (ähnlich wie Elias E Mehriges SHADOW OF THE VAMPIRE), oder unterhält mich wenigstens als Low-Budget-Trash. So viel sei gesagt: Keine dieser drei Möglichkeiten, die ich dem Film im Vorfeld anbiete, wird sich letztendlich bewahrheiten.

Zu elegischen Klangflächen beginnt NOSFERARU – DIE PEST KEHRT ZURÜCK mit einem Haufen stummfilm-esquer Texttafeln. „Im 21. Jhd. taucht im Herzen Europas eine Epidemie auf. Sie wird PEST genannt, in sehnsüchtigen Gedanken an einen viel geringeren Schrecken… obwohl damals die Freundschafts- und Familienbande aufbrachen und zerfielen, so wie die Haut des Menschen aufbrach und zerfiel, in übelriechende Geschwüre… Man sagt, Dracula, Nosferatu, wie immer sie das Böse nennen, brächte uns die Pest. Doch kein SCHWARZER Tod, ein GLÄSERNER Tod befällt den Menschen, UNSICHTBAR, in der Blüte der Jahre… IN DER BLÜTE DER JAHRE!!!... Und wir merken nichts davon, für den Rest unseres Lebens, in dem nur noch die Glätte der Haut zählt, ihr Wohlgeruch, während die Familienbande stillschweigend dahingegangen sind.“ Diese eher undurchsichtigen Worte geben schon einmal einen guten Vorgeschmack, was einen in der nächsten knappen Stunde erwarten wird: Melachs Film hat mehr zu tun mit einem didaktischen Gegenkulturprogramm, das sich halbseiden im Dracula-Cape versteckt, (man denke beispielsweise auch an Geissendörfers JONATHAN), als mit einem sich Genre-Konventionen ergebenden Amateur-Halsbeißer. Und noch etwas: Genauso kryptisch wie die einleitenden Sätze ausfallen, wird sich auch der komplette Film gebärden. Im Klartext: Ja, irgendwo mag da so etwas wie Gesellschaftskritik verbuddelt sein, (Kritik am Kapitalismus, wofür Vampire ja schon seit Zeiten des seligen Marx gerne aus den Gräbern gezerrt wurden; Kritik am gläsernen Menschen, die auch im Prolog anklingt; Kritik an einer Gesellschaft der Glätte und des Wohlgefallens, wie sie auch der Philosoph Byul-Chung Han oft und gerne artikuliert), - aber, puh, dass Melach den einfachsten Weg wählen würde, um mir direkt auf die Nase zu binden, WAS mir sein Film eigentlich sagen soll, dessen verweigert sich der Regisseur konsequent. NOSFERATU – DIE PEST KEHRT ZURÜCK ist Kunst™ - was an sich ja nichts Schlechtes sein muss: Ein hermetischer Arthouse-Film, der so viel gekostet haben dürfte wie die Hyäne, die in Murnaus Original als „Wehrwofl“ durchs Bild wuselt; ein Experiment, das sich an seiner eigenen Rätselhaftigkeit berauscht; ein Werk, das NOSFERATU lediglich als Stichwortgeber nutzt, um dann sein eigenes Süppchen zu kochen – und dieses Süppchen hat mir dann doch eher anstrengend geschmeckt…

Melachs Film gefällt mir dann am besten, wenn er sich ironisch aufs Original (beziehungsweise auf Bram Stokers DRACULA) bezieht – und dieses keck in die Gegenwart transferiert: Zu Beginn erwarten Mitarbeiter irgendeines Konzerns ein Fax aus Transsylvanien, denn, natürlich, im 21. Jahrhundert kommunizieren auch siebenbürgische Sauger nicht mehr per Post, (wieso ausgerechnet ein Fax und keine Mail, diese Antwort bleibt Melach indes schuldig – und auch, was die Szene bedeuten soll, in der der auf das Fax wartende Mitarbeiter bei dessen Ankunft regelrecht aus seinem Bürostuhl geschleudert wird); sodann wird Jonathan Harker von seinem Chef nach Rumänien geschickt, wo er mit Graf Orlok einen Kaufvertrag über eine Immobilie abschließen soll, (seltsamerweise scheint unser Held jedoch komplett zu Fuß nach Osteuropa zu wandern); der Graf erspäht Jonathans Verlobte Lucy, (und nicht etwa Mina, wie in Stokers Roman) nicht als Photographie im Innern eines Amuletts um den Hals seines Gastes, sondern als Desktophintergrund von Jonathans Smartphone. NOSFERATU auch rein inhaltlich ein Update zu verpassen, darum kümmert sich Melach jedoch in den seltensten Szenen. Stattdessen wirkt der Film oftmals wie eine wahllose Anhäufung von bizarren Momenten, die zu decodieren mir Verstand und Nerv fehlen: In einer endlos langen Szene wird ausgewalzt, wie Jonathan seiner Lucy einen Heiratsantrag macht; eine Pestgesellschaft lädt Jonathan zu Speis und Trank, wobei einer Frau lebende Würmer aus Mund und Dekolletee purzeln; ein wienernder Wirt, (wohlgemerkt: in Transsylvanien!), behauptet erst, Jonathan solle flugs in sein Gasthaus kommen, denn draußen tobe die Pest, nur um eine Dialogzeile später zu erklären, dass sich die vermeintlichen Pestkranken ihre Krankheit bloß einbilden; auch ist Graf Orlok im Grunde gar kein „richtiger“ Vampir, (denn niemals sieht man Eckzähne und dergleichen), trotzdem aber, wie gehabt, auf das Blut erpicht, das aus einer Wunde strömt, die Jonathan sich versehentlich beim Abendessen zufügt, und wird außerdem von einem Mann im Rollstuhl dargestellt, der sich vorzugsweise in abgehacktem Sprachduktus äußert.

Als Amateurproduktion fehlt NOSFERATU – DIE PEST KEHRT ZURÜCK das Geld natürlich an allen Ecken und Kanten, - weshalb die Seereise des Grafen allein dadurch illustriert wird, dass man die Zeichnung eines Schiffs, über dem ein Totenschädel prangt, in die Kamera hält. Dennoch muss ich als jemand, für den Filme keine Hosen voller Goldstücke haben müssen, um wahre Goldstücke zu sein, (ganz im Gegenteil), die Inszenierung generell loben: Melach beweist, dass er ein Gespür für schauerromantische Bilder hat, (gerade einige Einstellungen auf nächtlichen Friedhöfen oder in finsteren Zimmern sind wirklich schön geworden), dass er weiß, wie man einen Film ansprechend montiert und wo man eine Kamera aufstellen muss, um interessante Einstellungen zu generieren, dass er es auch versteht, szenenweise in lyrischen Surrealismus hinüberzuschippern, (wie in einer Traumsequenz, in der Jonathan von einer Frau im Herbergsbett aufgesucht wird – eine Figur, die ihn seit Anbeginn seiner Reise verfolgt, und deren Funktion innerhalb der Handlung ich mir nicht erklären kann –, und sich seine Schlafstatt plötzlich auf offenem Meer zu befinden scheint); auch die Musikauswahl, (vorzugsweise düstere rumänische Folklore), weiß zu gefallen. Dennoch ist Melachs Stil eine mich teilweise enervierende Uneinheitlichkeit nicht abzusprechen – sowohl ästhetisch-technisch wie inhaltlich: NOSFERATU – DIE PEST KEHRT ZURÜCK wirkt wie ein aus allen Nähten platzendes Potpourri, dessen Agenda die unbedingte Heterogenität ist. In den schlimmsten Momenten kommt der Film dadurch reichlich verkrampft und verkopft daher – namentlich den letzten zehn Minuten, wenn die (sowieso längst bruchstückhafte) Handlung komplett auseinanderfasert: Jonathan wird von Draculas Bräuten, (die bei Murnau nicht vorkommen), zum Sexstelldichein geben; zu Hause plagen Lucy Visionen in Gestalt von Analog-Bildern, die ein Projektor an ihre Wohnzimmerwand wirft; Jonathan versucht, aus Orloks Schloss zu fliehen und wird von menschlichen Handlangern des Grafen wieder eingefangen; zu Hause brennen Jonathans Chef Renfield die Sicherungen durch und zwei weitere Männer hetzen ihn mit einem Fangnetz durch Wien – und irgendwann hören wir zu zusammenhanglosen Bildern von Landschaften, von der gelangweilt herumsitzenden Pestgesellschaft, von dem umherhastenden Jonathan die Stimme Lucys aus dem Off poetische Phrasen dreschen à la: „Watte liegt über der Stadt. Scheiben aus silberner Pappe. Die Monde einer Zivilisation, wo unsere Zungenspitzen aneinander reiben. Eine Sehnsucht schaut mich an. Zu einer Zeit, da schlägt keine Stunde. Mein Körper, von Dir unberührt, zerfließt. Mein Mund wird, von Dir ungeküsst, zur Wunde.“ Im Grande Finale schließlich darf der Graf, umgeben von live aufspielenden Wandermusikern, folgendes Plädoyer halten: „Viele trachten nur nach Papier und nach Aktien. Bekämpft euch nicht, in Macht und Habgier. Schaut euch in die Augen und respektiert euch und bringt einander Wertschätzung gegenüber.“ Falls das ironisch gemeint sein sollte, ist die Ironie meilenweit an mir vorbeigeflogen.

Letzte Texttafel: „Ende von Teil 1“. Ob ein Nachfolger jemals produziert wurde, ist mir nicht bekannt – und irgendwie schreit jetzt auch nicht unbedingt viel in mir danach, mir den gleich auch noch zu geben, herrje...
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