Was vom Tage übrigblieb ...

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Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Papaya – Die Liebesgöttin der Kannibalen (Joe D’Amato, 1978) 6/10

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PAPAYA beginnt damit, dass die Kamera eine wunderschöne junge Frau streichelt, die fast nackt am Strand liegt und verführerisch vor sich hinlächelt. Die Frau geht langsam über den Strand, dann liegt sie wieder eine Zeitlang, und irgendwann läuft sie zu einer einsamen Hütte in einem Wald, verfolgt von zwei dubiosen Finstermännern. In der Hütte liegt ein Mann, der sich über das Erscheinen der Frau freut. Man streichelt sich, man küsst sich, man vögelt, immer wieder spannungsfördernd unterbrochen von der Ansicht der beiden Männer, und irgendwann gleitet die Frau den Körper des Mannes hinunter, nimmt da was in den Mund – und beißt das Ding schnippschnapp ab!
Wenn PAPAYA so weitergehen würde, dann wäre dies ein ziemlich heftiger Erotik-Horror-Thriller vor dem Herrn. Sex und Gewalt vor tropischer Kulisse. Nackte Frauen, die nach dem vollzogenen Akt Männer blutigst kastrieren. Merkwürdige Gestalten, die hinter diesen Frauen herschleichen und eine zwielichtige Atmosphäre verbreiten. Hui, was für ein Heuler!
Allerdings geht PAPAYA anders weiter: Wir lernen Sara kennen, eine schöne und bevorzugt halbnackte Journalistin, die Vincent wiedertrifft, einen Freund aus früheren Tagen, und eigentlich möchte man erst mal eine Runde horizontal verbringen. Doch nach dem Einseifen und Duschen findet Sara im Hotelzimmer eine Leiche – Einen Kollegen von Vincent, der hier in seiner Eigenschaft als Ingenieur ein Atomkraftwerk bauen soll. Und zwar genau dort, wo die Insel am Schönsten ist. Zivilisation zu den Einwohnern bringen, so wird das genannt. Dass dies den Einwohnern nicht so recht schmeckt, dass sie in neue Häuser umgesiedelt werden, die ja viel schöner sind als die alten? Um die Zivilisation kümmern wir uns, um die Tradition können sie sich selber kümmern, so drückt Vincent das aus, und die eigentliche Meinung der Menschen ist ihm scheißegal. Sara sieht das etwas anders, und irgendwann wird dann auch klar, dass der Tote in Vincents Hotelzimmer nicht der erste tote Ingenieur ist. Und dass Papaya, die Schönheit vom Beginn des Films, Angestellte des Kraftwerkkonzerns gezielt durch den Einsatz von Sex tötet.

Wenn PAPAYA sich auf Sex, Mord und Totschlag konzentrieren würde, dann, ja dann wäre dies ein Film nach dem sich alle B-Film-Basterds die Finger lecken würden. Und nach der Papaya-Darstellerin Melissa Chimenti gleich mit. Aber leider ist PAPAYA vollgestopft mit Dialogen, mit Landschaftspanoramen, mit noch mehr Dialogen, und mit viel Autofahren und doofen Dialogen. Selten einmal kommt Stimmung auf, aber wenn, dann ist Party angesagt. Da ist diese Feier des Roten Steins, ein Eingeborenenritual, dass Vincent zum herablassend lächeln bringt, ist dies doch nur dummer Aberglaube von ein paar Wilden, und sonst nichts. Aber auf der Suche nach diesem Ritual laufen Vincent und Sara zuerst lange durch völlig leere und desolate Gassen eines verlassenen Dorfes, und die Gassen werden dabei immer klaustrophobischer und unheimlicher. Als sie dann auf der Feier sind, völlig beömmelt von den Tänzern und den aufgeschnittenen Schweinen, und den wie hypnotisierten Musikern zuschauen, da wird auch hier die Stimmung immer dichter und finsterer, ein Netz aus Angst und Terror zieht sich spürbar um die beiden Westler zusammen, und nur weil Joe D’Amato die Szene viel zu früh beendet, werden wir niemals Zeuge einer Gruppensexorgie inmitten zweier frisch geschlachteter und ausgebluteter Schweine …

Trotzdem, es sind immer wieder dichte Momente dabei, bei denen sich die Meisterschaft D’Amatos zeigt. Und es hat gleichzeitig auch immer wieder diese langen und langweiligen Dialoge, welche die Handlung kein Stückchen voranbringen, sich aber den Begriff Erklärbär recht eindeutig raushängen lassen. Die Bewohner des umgesiedelten Dorfes sehen aus und benehmen sich wie eine Bürgerrechtsbewegung bestehend aus Theologiestudenten, nicht wie Leute die Ingenieure ermorden, und genauso debattieren sie auch. Ein wenig mehr an Action hätte es da gerne sein dürfen. Sein sollen. Sein müssen …

Trotzdem, PAPAYA hat seine Momente. Momente mit Melissa Chimenti. Momente mit Sirpa Lane. Momente mit beiden zusammen. Und auch Momente voller Magie. Mit oder ohne den Damen. Es passiert halt einfach knapp 90 Minuten nichts, und trotzdem wird der Film nicht langweilig, und trotzdem bleibt der Zuschauer die ganze Zeit dabei, genauso wie der Regisseur. Der nämlich entspannt sich, freut sich, schweift mit den Gedanken sonstwohin, ist aber doch irgendwie immer beim Film. Und das konnte nur einer: Joe D’Amato, der Meister des konzentrierten cineastischen Nichts. Ein schöner Film. Trotzdem …
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Tiger hetzt die Meute (Joseph Sargent, 1973) 7/10

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Vor seiner Karriere als breit grinsender und schnurrbärtiger Playboy mit behaarter Brust, der mit einem sympathischen Lächeln schnelle Autos durch halb Amerika jagt, vor dieser Karriere hatte Burt Reynolds auch mal eine Zeit, wo er richtig gute Filme gemacht hat. Dunkle Filme voller Gewalt, psychisch oder physisch, und wo er zeigen konnte, dass er als Schauspieler nicht nur Lächeln und Schnäuzer drauf hatte, sondern auch seiner düsteren Seite Zucker geben konnte und wollte. Zu den bekanntesten gehören natürlich sein Italo-Western-Ausflug AN SEINEN STIEFELN KLEBTE BLUT und sein Durchbruch in BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE, aber auch das Schmugglerdrama DER TIGER HETZT DIE MEUTE hat einen gewissen Bekanntheitsgrad.

Wobei sich bei diesem der Wandel in Richtung leichtfüßige Komödie bereits andeutet: Als der Schmuggler und, sind wir mal ehrlich, Taugenichts Gator McKlusky im Knast erfährt, dass der Sheriff von Bogan County, J.C. Connors, Gators kleinen Bruder ermordet hat, wechselt er die Seiten. Zukünftig wird Gator für die Steuerbehörde unterwegs sein, um Connors ans Messer zu liefern. Der ist nämlich ein unbeschränkter Herrscher in seinem Distrikt, und keiner kann ihm irgendwas. Connors bekommt Schmiergelder von den Whiskeyschmugglern, und außerdem gibt es eine ganze Reihe ungeklärter Mordfälle in Connors Umgebung, um die sich niemand jemals wirklich kümmert. Jetzt aber ist Gator da. Undercover verdingt er sich beim Schmuggler Roy Boone als Blocker – Das heißt sein Job ist es, Boone, der im vorausfahrenden Wagen den Whiskey transportiert, hintendran die Cops vom Hals zu halten und sich mit denen wilde Verfolgungsjagden zu leisten, die gefälligst immer zu seinen Gunsten auszugehen haben. Ein lockeres Leben mit einem, vom FBI getunten, 400-PS-Boliden, scharfen Weibern, und jeder Menge Schnaps. Aber halt auch mit dem Auftrag, einem zutiefst korrupten und gewaltbereiten Alleinherrscher dem Gesetz zu überstellen.

Und so besteht DER TIGER HETZT DIE MEUTE aus zwei sehr unterschiedlichen Teilen, die ziemlich lässig miteinander kombiniert werden. Auf der einen Seite drischt Burt Reynolds seinen Ford Galaxie 500 mit dem 429 Cobra Jet Big Block V8 und Holley-Doppelvergaser wie ein Wilder über die kleinen Straßen, leistet sich erstklassige Sprünge über Kuppen und zeigt die Leistungsfähigkeit der Stuntmänner in allen erdenklichen Positionen. Hier kommt beim Actionfan ausgesprochen gute Laune auf, und die Tachonadel zeigt bereits ganz deutlich in die Richtung von späteren Filmen wie EIN AUSGEKOCHTES SCHLITZOHR. Das Team Burt Reynolds, Bo Hopkins und Hal Needham dürfte sich hier wohl kennen- und schätzengelernt haben – Ex-Stuntman Hal Needham war 2nd Unit Regisseur und dürfte mit ziemlicher Sicherheit die gelungenen Verfolgungsjagden auf dem Kerbholz haben, die definitiv ein Highlight des Films sind.

Aber da ist eben auch noch dieser andere Teil des Films. Der Teil, der von einem selbstherrlichen Gewaltherrscher handelt, gegen den sich niemand auflehnen kann und will. Der mit Menschen macht was ER will, dem nur sein eigenes Wohlergehen am Herzen liegt, und der keine Probleme damit hat zu töten, wenn es darum geht, seinen Distrikt von diesen verschissenen langhaarigen Hippies zu befreien, die gegen alles protestieren, Hasch rauchen, den Kriegsdienst verweigern und sowieso alle an die Wand gestellt gehören. Ein Gesetzeshüter, der mit Schmugglern gemeinsame Sache macht, und dessen Deputies kein Problem damit haben, eine verhaftete Schmugglerin zu vergewaltigen. Die Schlampe wird sowieso bald tot sein …

Dieser Teil des Films ist düster, hart und gewalttätig, und keiner wird unbeschädigt aus dieser Geschichte entkommen, auch der strahlende (?) Held Burt Reynolds nicht. Fast wie ein Film Noir kommt DER TIGER HETZT DIE MEUTE oft daher, mit dem Sträfling als Hauptfigur, dem der Tod seines Bruders so sehr an die Nieren geht, dass er sich, bislang undenkbar, an das Gesetz verkauft. Immer wieder wird dieses Thema aufgegriffen, von Mitstreitern und aber auch von Gegnern, so dass McKlusky immer weiß dass er ein Outlaw ist – Von der Polizei als Informant verheizt, von den Bürgern und selbst von seinem Vater als Spitzel geschmäht – Die Arschkarte hat er also in jedem Fall gezogen. Hier ist Reynolds nicht die strahlende Lichtgestalt der späteren Filme, und dieses Zwielicht tut ihm sehr gut. Besser als das äffchenartige Grinsen bei den Verfolgungsjagden auf jeden Fall. Spätestens wenn er in der Falle sitzend um sein Leben saufen muss, damit er noch den Hauch einer Chance hat nicht so zu enden wie sein Bruder, zeigt sich, dass Reynolds als Schauspieler vielleicht keine oscarreife Leuchte war, aber eine solide und bewegende Performance konnte er damals locker aus dem Handgelenk schütteln.

Diese Mischung aus den leichten und mitreißenden Actionszenen und dem düsteren Drama bekommt dem Film gut, wenngleich der Pessimist in mir den letzteren Teil naturgemäß gerne stärker gesehen hätte. Aber DER TIGER HETZT DIE MEUTE ist gut erzählt, flott geschnitten, hat jede Menge humoriger und auch knallharter Action, und verzichtet dabei völlig auf jedweden Klamauk. Ein Früh-70er-Actioner wie man ihn immer wieder gerne sehen kann.
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Kurz und schmerzlos (Fatih Akin, 1998) 6/10

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Drei Freunde. Also so richtig Freunde. So wie Familie, solche Freunde. Costa der Grieche. Ein liebenswerter Looser, dem Kiffen und Klauen als Lebensinhalt reichen. Dies und Ceyda, die Schwester von Gabriel dem Türken. Gabriel kommt gerade aus dem Knast und will jetzt sauber bleiben. Sein Traum ist ein Strandcafé in der Türkei. Der dritte im Bunde ist Bobby der Serbe, der gerade bei seinem Onkel rausgeflogen ist, weil er bei den Albanern einsteigen will. Bobby ist ehrgeizig, immer nur abhängen und kiffen und vögeln reicht ihm nicht. Bobby will mehr. Er dient sich bei dem Zuhälter Muhamer als rechte Hand an, obwohl ihn das die Beziehung zu Ceydas Freundin und Geschäftspartnerin Alice kostet. Aber das ist egal, denn Muhamer gibt Bobby eine Chance, auf die dieser immer gewartet hat: Er kann selbständig einen Deal durchziehen. Wenn Bobby den Deal verkackt ist er weg vom Fenster, verstanden? Verstanden. Costa fährt zu dem Deal. Und Gabriel, der das nicht will, landet als blutiges Wrack aus den Fäusten Muhamers Schlägertrupp direkt bei Alice …

Drei Freunde auf dem Kiez. So richtig Freunde. Nicht einfach nur zusammen abhängen und kiffen und saufen und vögeln. Nein, das ist mehr. Das ist für die anderen den Arsch hinhalten, weil die machen das genauso. Ein verschworenes Team, das irgendwann sogar zusammen in einem Bett schläft und aneinander kuschelt. Wie Freunde das eben so machen. Aber zwei Dinge stehen zwischen den Freunden. Die Frauen, oder vielmehr die Eifersucht, und das Geschäft. Gabriel will keine krummen Sachen mehr machen, was Bobby nicht versteht. Bobby will bei den Albanern einsteigen, was Gabriel nicht versteht. Und Costa steht zwischen den beiden, will Ceyda zurückhaben, und will eigentlich, dass wieder alles so ist wie früher.

Wird es aber nicht. Wegen der Frauen und wegen des Geschäfts. Doch zwischen der Eifersucht und den Deals, dazwischen gibt es viele schöne und stille Momente, denen Fatih Akin in seinem Langfilmerstling viel Zeit einräumt. Er erzählt uns hier kein brutales Kiezdrama im Stil von CHICO, an den ich aber trotzdem oft denken musste, und es ist auch keine knüppelharte Kleingangsterstory wie NUR GOTT KANN MICH RICHTEN. Fatih Akin zeigt uns einen Kiez, der zumindest teilweise noch mit Gefühl und einer speziellen Art von Romantik zu tun hat, und der fast ein wenig an die vergangenen Zeiten der 70er erinnert, bevor die Russen und die Serben kamen. Die Straßen von Altona und St. Pauli, die Sex-Clubs, die Nutten, aber vor allem immer die Solidarität zwischen den Freunden, die Liebe zwischen den Männern und Frauen der kleinen Gruppe, der Zusammenhalt. Dies und der Spaß bei der Runde auf dem Kiez, genauso wie die Erkenntnis, dass die Zeit sich weitergedreht hat: Gabriel will erwachsen werden. Ausgerechnet der nicht so helle Costa stellt das fest, für Bobby könnte diese Aussage auch auf marsianisch sein. Das ist etwas was er nie verstehen wird …

Auch wenn der der Verlauf der Geschichte schnell absehbar ist, und auch wenn die Charaktere noch nicht so ausgefeilt sind wie in späteren Filmen Akins, trotzdem sollte man KURZ UND SCHMERZLOS eine Chance geben. Drei Freunde und das Erwachsenwerden zwischen Prügeleien, Joints und Waffendeals. Eine melancholisch-romantische-Komödie die so gar nicht melancholisch romantisch oder gar lustig rüberkommt, sondern ein Flair hat wie der Tagesanbruch an den Landungsbrücken nach einer durchsoffenen und durchgebumsten Nacht.
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