Les Maudits
Frankreich 1947
Regie: René Clément
Michel Auclair, Paul Bernard, Anne Campion, Marcel Dalio, Jo Dest, Jean Didier, Fosco Giachetti, Lucien Hector, Kurt Kronefeld, Florence Marly, Henri Vidal, Karl Münch
OFDB
Im April 1945 war die Welt am Zerbrechen. Armeen überrollten Europa, und trieben Flüchtlingsströme vor sich her, von denen die meisten versuchten, einfach nur dem sicheren Tod zu entkommen. Der Tod kann aber auf viele verschiedene Weisen kommen. Für die Hauptfiguren in diesem Film würde er durch die Hand der Richter kommen, die ihnen ihre verqueren Ideale und ihre Verbrechen vorhalten würden. Oder durch die Hand der Mitbürger, die Rache nehmen wollen für die Zusammenarbeit mit den Unterdrückern. Den Henkern.
Ein italienischer Industrieller, der seine Fabriken an die Nazis verscherbelt hat. Ein Kleinkrimineller aus Berlin, der mit den Nazis eng zusammenarbeitet. Eine überzeugte Nationalsozialistin aus dem Sudetenland, die mit demjenigen schläft der ihr am meisten Macht bietet. Ein französischer Kollaborateur. Ein deutscher General. Sie alle wollen von Oslo aus mit einem U-Boot in das sichere Südamerika flüchten, und dort am Endsieg weiterarbeiten. Bei der Fahrt durch den Ärmelkanal wird Hilde, die gleichzeitige Geliebte des italienischen Fabrikanten und des Generals schwer verletzt. Ein Arzt muss her. Also wird im Schutz der Nacht ein kleines französisches Städtchen angelaufen und der dortige Arzt, gerade erst zurückgekehrt in sein Heim von der Flucht vor den Besatzern, gekidnappt. An Bord des U-Bootes merkt er schnell, dass sein Leben hier gar nichts wert ist. Niemandes Leben ist irgendwas wert. Und je höher jemand meint in einer wie auch immer gearteten Hierarchie zu stehen, umso grausamer sind seine Befehle, da demjenigen klar ist, dass sein Leben auch umso schneller vorbei sein kann.
Und so entspinnt sich der verzweifelte Versuch des Arztes Dr. Guilbert, am Leben zu bleiben, als mehr oder weniger planloser Weg, Allianzen zu spinnen, Zwietracht zu säen, und möglichst unbehelligt zu bleiben von den Attacken des Nazis Forster. Dabei merkt er schnell, dass die Kameradschaft der Seefahrer, der Soldaten, der Leidensgenossen, so wie wir sie in Wolfgang Petersens DAS BOOT noch kennengelernt haben, dass diese Kameradschaft nur ein Mythos ist und nicht existiert. Im Angesicht des Zusammenbruchs ist sich jeder der Nächste. Manche der Matrosen sind in der Partei, die haben mehr Rechte und dürfen bei der Übernahme von Treibstoff an Deck und frische Luft schnappen. Einer, der Funker, ist Österreicher, und damit per sé verdächtig. Mit dem Funker schmiedet Guilbert auch eine vorsichtige Allianz, aber kann er dem Mann wirklich trauen? Nein, er kann niemandem trauen. Wenn es darum geht das eigene Leben zu verteidigen, stehen Freundschaften und sogar Liebschaften zuoberst auf der Abschussliste.
In Südamerika angekommen entspinnt sich ein tödliches Duell zwischen dem Kontakt der Männer, dem Agentenführer Larga, dem eiskalten Ganoven Morus, einem Nazi-Matrosen und Forster. Jeder versucht, die jeweils anderen auf seine Seite zu ziehen, und selbst wenn Morus die Seite wechselt, weil er Largas Einflüsterungen von Freiheit und Geld erliegt, selbst dann stellt sich die Frage, wie lange dieser Seitenwechsel wohl halten mag. Vielleicht sind die Vorzüge der ursprünglichen Seite plötzlich wieder stärker. Und sei es nur, weil Forster, der Gebieter Morus‘, die delikateren und damit grausameren Bestrafungsmethoden hat? Opportunismus ist hier das Gebot der Stunde …
René Clément malt ein düsteres Bild einer Gesellschaft in kompletter Auflösung. Und mit komplett meine ich auch komplett. Hier gibt es keine wie auch immer geartete Ordnung mehr, niemanden der Verantwortung für andere übernimmt und versucht, für die Gruppe das Beste zu erreichen. Jeder kämpft für sich, bekämpft rücksichtslos alle anderen, und Bünde werden nur geschmiedet, um sich selber trickreich Vorteile zu verschaffen. Der Zustand nach dem Ende des Krieges, die völlige Gesetzlosigkeit als Folge jahrelanger und andauernder Barbarei. Eine Gesellschaft auf dem Höhepunkt der Selbstbedienungsmentalität und gleichzeitig am Ende ihres selbstverschuldeten Untergangs.
Nein, DAS BOOT DER VERDAMMTEN ist weder ein freundlicher noch ein versöhnlicher Film. Vielmehr können wir einen Blick in eine Hölle erhaschen, wie wir sie uns höchstens in einem Gefängnis vorstellen können. Wobei, ist ein U-Boot voller Ausgestoßener nicht wie ein Gefängnis? Ein U-Boot, dessen Insassen in qualvoller Enge nebeneinanderher leben, schwitzen, stinken, fressen, scheißen. Die nirgendwo an Land gehen können wenn sie nicht sofort verhaftet werden wollen, und die keine Sekunde unbeobachtet sein können. Die einzige Aussicht ist diejenige, bis ans Lebensende auf den Ozeanen herumzufahren. Wie fliegende Holländer …
Die Dramaturgie mag manchmal etwas holprig sein, die Anschlüsse wollen nicht immer so recht passen, und das Ende wirkt wie vom Produzenten angepappt, um dem Publikum für den Heimweg wenigstens einen versöhnlichen Schluss bieten zu können. Aber die Intensität und Düsternis, die Bosheit und die Angst, die durch diesen Film geistern, erschrecken auch heute noch nachhaltig. Geheimtipp! Gerade auch für alle die wissen wollen, wo Europa und die Welt Mitte der 2020er-Jahre hinsteuern …
7/10