Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Moderator: jogiwan

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Santini
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Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von Santini »

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Originaltitel: La Nuit des horloges

Herstellungsland: Frankreich / 2007

Regie: Jean Rollin

Darsteller: Ovidie, Françoise Blanchard, Dominique, Maurice Lemaître, Nathalie Perrey u. A.


Wird von X-Rated in der JEAN ROLLIN Collection als Nr. 6 erscheinen.

Geplanter VÖ-Termin: Ende Januar 2010.


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CamperVan.Helsing
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Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Requiem pour Jean Rollin


Eine junge Frau (Ovidie) hat das Haus des Filmregisseurs und Autoren Michel Jean (!) (das X-Rated-Backcover nennt ihn Jean Michel, argh!) geerbt. Aber ist er wirklich tot? Ihr erscheinen jedenfalls Figuren aus einer Zwischenwelt und Bilder aus seinen Filmen, wobei Standuhren (was sonst?) als Eingang in die Welt des Verstorbenen zu fungieren scheinen.

Aber lassen wir den Versuch, eine Inhaltsangabe zu basteln. Eine klassisch narrative Story war bei JR ja eh nie wichtig. Rollin unternimmt hier einen Streifzug durch seine eigene Filmgeschichte, so baut er hier kurze Szenen seiner früheren Werke (von "Viol" bis "Fiancee") ein und auch die Musik aus "Fascination" kommt hier wieder zu Gehör. Weiterhin tauchen hier noch einmal Schauspieler aus Rollins Vergangenheit auf: Francoise "Lady Dracula" Blanchard, Dominique aus "Le Frisson des Vampires" als sie selbst (!), Maurice Lemaitre aus "La vampire nue", Jean-Loup Philippe aus "Lèvres de sang" und Nathalie Perrey, die in diversen Filmen dabei war und u.a. die Mutter in "Lèvres de sang" spielte. (Brigitte Lahaie und die Castel-Twins kommen leider nur kurz in den Reinschnipseln vor...). Und neben den titelgebenden Standuhren tauchen neben den Tiermasken-Männern aus "La vampire nue" natürlich auch verlassene Eisenbahngleise und der Strand von Dieppe auf...

Und natürlich wird bald klar, wer mit dem verstorbenen Michel Jean gemeint war... Rollins gesundheitlicher Zustand soll ja nicht der allerbeste gewesen sein, ich könnte mir in der Tat glatt vorstellen, dass er den Film fertiggestellt hat, in der Annahme, wir würden ihn erst nach seinem Tod zu sehen bekommen.

Auch wenn seine späten Werke nicht mit den Klassikern aus den 70ern mithalten können, so ist "Horloges" doch wieder typisch Rollin, der unbeirrt sein ganz eigenes Ding durchzieht und uns wieder in seine ganz eigene Welt führt. Gut, den Abstecher zu den "Gehäuteten" (das wirkt, als hätte JR sich zu oft betrunken mit Gunther von Hagens ausgetauscht...) hätte man sich sparen können, aber ansonsten zieht mich Michel Jean wieder einmal in seinen Bann.

Die DVD von X-Rated bietet keinerlei filmbezogene Extras, aber das kann man verschmerzen. Den Film gibt es nur untertitelt, aber Rollin sollte man eh im Original schauen. Die Untertitelung ist in Ordnung und auch sauber gesetzt.

Adieu Jean. Und danke für alles.
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funeralthirst
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Die Nacht der Uhren

Beitrag von funeralthirst »

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Regie: Jean Rollin
Erscheinungsjahr: 2007
Mit: Francoise Blanchard
Bezug: X-Rated Jean Rollin Collection #6

[BBvideo 425,350][/BBvideo]

Zeit ist relativ, aber unsterblich...
Sie verschlingt uns und wir verschlingen sie...

Es sind die Toten, die von den Lebenden träumen, nicht umgekehrt.

Was kann oder muss man von einem Jean Rollin Film erwarten? Was gibt uns dieser Regisseur, der vordergründig in den 70ern und 80ern mit unzähligen Vampirfilm aktiv war, mit auf den Weg? Was ist seine Botschaft und was erzählen seine Filme? Gewiss sind diese Fragen, Fragen die nicht nur vom Unwissenden gestellt werden, sondern auch Fragen, die sich selbst der beinharteste Fan stellt, der sich immerzu seinen fantasievollen und surreal anmutenden Scheinwelten hingibt. Und dieses Hingebungsvolle ist auch sicher Grundvorraussetzung um zu geniessen, zu verstehen, zu erahnen, was Rollin inszeniert, denn Rollins Filme, falls man sie so nennen kann, sind Irrfahrten ins Unerklärliche, in Welten, in die man abtaucht, aber die man nicht versteht. Welten die man erfahren muss, um sich selbst zu verstehen, denn Rollins Filme sind persönliche Abbilder menschlicher Wünsche und Hoffnungen.

Gewiss sind Rollins Filme nicht leicht verdaulich, nie ein wirklich spannender Zeitmoment, aber dennoch so impulsiv, dass man nahezu hypnotisch hineingesogen wird. In ein Jenseits voller Leben, dass doch so unwirklich erscheint, dass man die Realität vergisst. Vielleicht ist das Rollins Vision, diese Vision unser Dasein voller innerlichem Sterben in eine zeitlose Welt voller Schutz zu retten. Aber eben nur im Film...so unwirklich, aber dennoch so persönlich.

Und so ist auch Rollins letzter Film "Die Nacht der Uhren" ein Film, auf den man sich einlassen muss, um Details zu erspähen, ist der Film ein persönlicher Überblick über das Schaffen, über die Persönlichkeit Rollins, seine Visionen, Trugbilder und Scheinwelten geworden, dass im Gesamten, seine ganze Karriere Revue passieren lässt. Und dabei lässt er seinen Seher wie immer alleine, um damit aber genau diese Gleichheit von Konsument und Protagonist zu vermitteln, ist die vermeintliche Dame in der ersten Szene, wohl genauso verwirrt und ahnunslos, wie der Seher selbst, der sich auf Reise begibt, die auch sie zweifellos beginnt.

Rollin zelebriert sein Rückblick nahezu dokumentarisch, nahezu so, als solle man sich in die Frau hinversetzen, die nun nach und nach verschiedenen Figuren aus den Filmen Rollins begegnet. Rollin kreiert dabei einen Grundplot, der mit dem Aufsuchen eines gewissen verschollenen und scheinbar toten Autors und Filmemachers Michael Jean zu tun hat, der natürlich mit Jean Rollin zu identifizieren ist, bringt uns die Reise der Frau, diese Suche nach dem Mann, der in einem Schloss der Uhren wohnt, verweilt und sinniert, Rückblenden alter Filme wider, die Rollin so ausmachten, um uns dabei in genauso unheilvoll, poetisch - theatralischer Symbolik, eben diese näher zu bringen und zu verzaubern.

Dabei spricht er nahezu zu seinen alten Schauspielern, die der suchenden Protagonistin helfen, um die Rollin Rätselei zu lösen, ist der Film an sich ein einziges Suchen nach der Lösung, was Rollin uns bewusst machen möchte. Wie oft drehte Rollin an diesem Strand, dieser Strand mit diesen Holzpfählen die aus dem Boden ragen, wie oft benutzte er Standuhren in seinen Filmen? Standuhren, die uns einsaugen, in eine Welt ohne Schmerz und Hass, in der uns der Tod die Liebe schenkt. Eine unheilvolle Symbolik. Wo Zeit nicht zählt und der Ozean, diese Weite unberührte und ruhige Weite uns verschlingt.

In Rollins Filmen steckten schon immer soviel Interpretationsmöglichenkeiten, dass man sich schnell davon abwenden dürfte, kann man persönlich nichts mit solch verwirrtem und verträumten Sleaze anfangen, denn Rollin packte den Horror des Lebens anders an, wie man nur zu eindringlich in seinem sehr persönlichen Film "Friedhof der toten Seelen (1973)" bewundern kann, wird auch dieser hier durchleuchtet, erklärt und zitiert, um auch viele andere seiner Filme in den Vordergrund zu bringen, die Rollin benutze, um seine Vision zu verkörpern. Ob Sexuall - Terror der entfesselten Vampire, Requiem of a Vempire, The living dead girl, Fascination oder der neuere Draculas Braut, alle waren sie Abbilder innerer Wünsche nach hingebungsvoller Liebe, dieser Zweisamkeit und doch der Grausamkeit, wie sie sich mit dem Leben vermengt, um uns zu vermitteln, dass wir Lebenden, viel eher die Toten sind.

Rollins Geschichten waren eben seltsame und bizarre Geschichten über lebende Tote und tote Lebende, dabei nie plakativ um in Brutalität zu versinken, sondern die Gewalt, diese ruhige Brutalität des Lebens schön zu inszenieren, was dabei immer erschreckend ästhetischen Charakter hatte, schaffte es Rollin immer sein Treiben in zwei Lichter zu rücken. Genauso ein Zwielicht das unsere Protagonistin erreicht, wenn sie im Schloss der Uhren ankommt, soll sie in den Mythos Rollin aufgesogen werden, um ihr Lebendes Dasein gegen den liebevollen Tod, einzutauschen, wo sie ohne Maske, im Raume der Gehäuteten, in Frieden verweilen kann. Der Raum mit den Gehäuteten ist freilich eine Anspielung auf Die nackten Vampire, zelebriert er hier eine unerklärliche Metamorphose von dem Menschen, gejagdt von Menschen gesteckt in Federviehmasken, ihr Innersten und Verletzliches verborgen, um sie dort hinzuführen, in den Tod, wo sie alles offenbaren. Eben so gehäutet, wie die Toten, die eigentlich nicht tot sind.

Rollin häutet sich, lässt die Hosen runter und zitiert sich selbst. Diese Irrfahrt ist sicher kein Erlebnis für jedermann, denn Rollins Filme sind ungewöhnlich, ungewöhnlich anders, einfühlsam, zweideutig, grausam und dennoch schön zu gleich. Ein Empfinden das nicht jeder Konsument teilen wird, und ich weiss immer noch nicht, wem man sowas empfehlen kann, aber wohl vielmehr Rollin Fans, verwirrten und nachdenklichen Poeten, oder Träumern, die vom Seelenheil im Jenseits träumen. Doch wartet:
Sind die Lebenden am Leben, und sind die Toten wirklich tot?
Rollin sagte eins:
Es gibt keine Vampire, es gibt nur Menschen.

Und sei Die Nacht der Uhren noch so bizarr und eigenwillig, gewisse Defizite sind zu verspüren, kann der Film in Sachen Optik nicht verschleiern, wie gering sein Budget gewesen sein dürfte. Aber das tut nichts zur Sache, wirkt das Alles so symphatisch und nahezu so wie Draculas Braut (2002), als wäre Die Nacht der Uhren in den 70ern gedreht worden.

Fazit:
Rollin lässt uns unheilvoll, einsam und allein Revue passieren, deckt das ein oder andere Rätsel seiner Symbolik auf und lässt uns wieder von seinen lebenden Toten, Untoten und Menschen träumen. Doch so ruhig, dass wir in die Bedeutungslosigkeit des Seins zerfallen, ohne dabei Zeit, Raum und Richtung zu bemerken...

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sid.vicious
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Re: Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von sid.vicious »

Es sind die Toten, die von den Lebenden träumen, nicht umgekehrt. Dieses ist ein häufig erwähntes Zitat innerhalb des Films. Was soll und dieses sagen? Ist all das, was uns in Rollins vorherigen Werken gezeigt wurde und für Rätsel sorgte, wirklich nur Einbildung? Eine Aussage innerhalb „Die Nacht der Uhren“ teilt dieses zumindest mit. Bedeutet also Alles vorher in der Zweitwelt Lebende: ist scheinbar nicht existent. Sei es nicht so, so würde nicht auf das Träumen der Toten hingewiesen, sondern auf den für uns Lebende existierenden Traum von den Rätseln einer Scheinwelt.

Der Film befasst sich mit der Suche nach dem Regisseur und Literaten, Michael Jean. Es ist nicht schwierig, zu kombinieren, dass hinter dem Pseudonym Jean Rollin selbst verborgen ist. Auf der Suche begleitet den Zuschauer, die Hauptdarstellerin Ovidie. Sie wird zum Auge des Zuschauers, stellt seine Fragen und sucht nach deren Lösungen. Auf einer Zeitreise durch Rollins Filme, begegnen uns u.a. Francoise Blanchard (La Morte Vivante) und Maurice Lemaitre (Lèvres de sang). Es werden Ausschnitte aus Rollins Filmen gezeigt und versucht deren Bedeutung darzulegen. Alles scheint hinter der Tür der Schrankuhr zu warten, doch irgendwie wartet dort doch nur die Illusion. Ovidie erkennt die Situation, die sich hinter den Spiegeln birgt und entflieht dieser. Ovidie ist nicht bereit mit der Illusion eins zu werden und verwehrt im Folgeverlauf des Films ein weiteres Eintreten in die Schrankuhr. Ihr ist bewusst geworden, dass sie in ihre eigene Welt gehört, doch gehört sie nun wirklich dorthin? Ovidie hat die Grenzen in die andere nicht existierende Welt überschritten und sie ist ein Teil der Illusion geworden. Ihr späteres Verbrennen der Wanduhr, sorgt auch dafür, dass ihre Erinnerungen erloschen sind. Sie ist zwar in ihrer eigenen Welt, allerdings wird sie zur eigenen Illusion, die zum Ende des Films erinnerungslos über einen Friedhof schreitet und ihre Suche fortsetzt. Eine Suche, dessen Ziel ihr mittlerweile unbekannt ist.

Mit dem Verbrennen der Wanduhr werden unsere Illusionen gänzlich zerstört und Ovidie ist ein Teil von ihr… oder ist jegliche verbrannte Illusion nun einzig in Ovidie zu finden? Denn lt. Filmzitat heißt es: Zeit ist relativ, aber unsterblich. Sie verschlingt uns und wir verschlingen sie.

Rollins letzter Film ist nur Kennern seiner Werke zu empfehlen. Nur diese werden das, was „Die Nacht der Uhren“ zeigt und vermittelt verstehen können. Nur diese werden in der Lage sein, den Film vor ihren Augen ablaufen zu lassen und mit, auf die Reise durch Rollins Schein/Welten zu gehen. Niemand anderes wird sonst dazu in der Lage sein.

„Die Nacht der Uhren“ ist das Vermächtnis eines großartigen Regisseurs, welches sein Schaffen resümiert. Ein Resümee das traurig macht, da es leider Rollins letzter Film ist.

8/10
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CamperVan.Helsing
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Re: Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von CamperVan.Helsing »

sid.vicious hat geschrieben: „Die Nacht der Uhren“ ist das Vermächtnis eines großartigen Regisseurs, welches sein Schaffen resümiert. Ein Resümee das traurig macht, da es leider Rollins letzter Film ist.

8/10
Aber ein würdiger Abtritt.

Allerdings hat Bethmann bei Cinefacts vor einigen Monaten gepostet, dass JR doch wieder dreht. Eine Nachricht, die ich zwiespältig aufgenommen habe, denn was soll nach diesem Vermächtnis noch kommen?
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funeralthirst
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Re: Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von funeralthirst »

ugo-piazza hat geschrieben:
sid.vicious hat geschrieben: „Die Nacht der Uhren“ ist das Vermächtnis eines großartigen Regisseurs, welches sein Schaffen resümiert. Ein Resümee das traurig macht, da es leider Rollins letzter Film ist.

8/10
Aber ein würdiger Abtritt.

Allerdings hat Bethmann bei Cinefacts vor einigen Monaten gepostet, dass JR doch wieder dreht. Eine Nachricht, die ich zwiespältig aufgenommen habe, denn was soll nach diesem Vermächtnis noch kommen?
Richtig. Was soll da noch kommen? Sollte da noch was kommen? Kann da noch was kommen? Kann das was werden?
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Arkadin
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Re: Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von Arkadin »

Mit Ovidie kenne ich irgendwie nur ganz andere Filme. :oops:

Finde ich aber sympathisch, dass sich Michel Gentil..ähh.. Jean Rollin treu bleibt und weiterhin regelmäßig mit Darstellern arbeitet, die im "Erwachsenenbereich" tätig sind.

Laut IMDb ist sein neuer Film "Le masque de la Méduse" doch schon abgedreht,oder?
Scheint ja ein weiteres Familienfest zu sein.
Früher war mehr Lametta
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sid.vicious
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Re: Die Nacht der Uhren - Jean Rollin

Beitrag von sid.vicious »

Le masque de la Méduse

Bestzung:
Jean-Pierre Bouyxou ... Le Gardien
Bernard Charnacé ... Le Collectionneur
Marlène Delcambre ... Steno
Sabine Lenoël ... Euryale
Delphine Montoban ... Cornelius
Juliette Moreau ... Juliette
Agnès Pierron ... La colleuse d'affiche au Grand-Guignol
Gabrielle Rollin ... La petite musicienne
Jean Rollin ... L'homme qui enterre la tête
Simone Rollin ... Méduse
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