El Bar – Frühstück mit Leiche
El Bar
Spanien/Argentinien 2017
Regie: Álex de la Iglesia
Mario Casas, Blanca Suárez, José Sacristán, Carmen Machi, Terele Pávez, Alejandro Awada, Joaquín Climent, Secun de la Rosa, Jaime Ordóñez, Jordi Aguilar, Diego Braguinsky, Mamen García
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OFDB
Ein Vormittag an einem belebten Platz, irgendwo in Madrid. Eine Bar wie tausende andere. Eine ältere Chefin, ihr mittelalter Angestellter, und die Gäste: Ein Müllmann, ein Hipster der als Werbetexter arbeitet, ein paar Geschäftsleute, ein Obdachloser, eine Spielerin. Einer der Geschäftsleute verlässt das Lokal, ein Schuss fällt, und der Mann liegt tot auf dem Pflaster. Der Müllmann will helfen, wieder ein Schuss, der zweite Tote. Es ist klar: Wer aus der Türe tritt ist tot. Die Nachrichten? Verschweigen das Thema. Das Handynetz? Ausgefallen. Die Nerven? Bis zum Zerreißen und darüber hinaus angespannt. Irgendwann wird dann klar, dass das ganze mit dem Dicken zu tun hat, der da hinten auf dem Klo liegt und ausschaut wie ein Überbleibsel aus einem frühen Peter Jackson-Film. Zu tun hat mit den Polizisten, die unter schwerer Bewaffnung Autoreifen auf den Platz laden und anzünden, woraufhin in den Nachrichten von einem plötzlich ausgebrochenen Großfeuer die Rede ist. Und offensichtlich hat das auch was mit den Typen in den Seuchenanzügen zu tun, die mit Flammenwerfern anrücken.
Aber das ist erst später. Bis dahin ist schon eine ganze Menge passiert, viel mehr, als der kleine Maulwurf es gedacht hätte. EL BAR hatte ich mir ausgeliehen, dann aber so überhaupt keine Lust gehabt den zu sehen. Zu modern, zu Mario Casas (an dem ich mich in KEIN FRIEDE DEN TOTEN etwas übersehen habe), zu hip und zu abgedreht, so habe ich mir das im Vorfeld gedacht. Ich bin kein großer Freund von Álex de la Iglesias Filmen – Das, was ich bisher von ihm gesehen habe hat mir in den wenigsten Fällen wirklich gefallen. Aber damit der Leihfilm endlich zurückgegeben werden kann, habe ich beim „Anschauen“ das gemacht, was man halt so macht wenn man desinteressiert ist: Am Handy daddeln, die Fernbedienung in der Umgebung der Vorspultaste knuddeln …
Und ganz plötzlich, nach rund einer halben Stunde voller dummer Menschen mit nervigen Dialogen und uninteressanten Aktionen, ganz plötzlich zieht irgendwas an dem Film. De la Iglesia hat etwas Geheimnisvolles gemacht, um aus der langweiligen und dialoggeschwängerten Situation herauszukommen. Hat die Spannungsschraube angedreht, und vor allem die Zwanghaftigkeit der Situation böse zugespitzt. Ganz plötzlich sind die Figuren lebendige Menschen, der schnelle Schnitt nervt nicht mehr, und die schlimme Lage, in der sich die Protagonisten befinden, wird zu einem tödlichen und faszinierenden Karussell.
Wie in einem klassischen Milgram-Experiment heißt es plötzlich
Die einen und die anderen. Die einen, das sind die mit der Waffe. Die andern, das sind die, die in den Keller müssen. Und wie es so ist im Leben, kann sich diese Situation auch ganz schnell umdrehen. Wer hat jetzt die Waffe? Und damit die Verfügungsgewalt über seine Mitmenschen? Die Deutungshoheit über die Lage?
Fünf Menschen in einer Extremsituation, in der alles, was man jemals über Zivilisation gelernt hat, vollkommen außer Kraft gesetzt wird. Oder, je nach der Bosheit der Erfahrungen, genau zutrifft. Ein Obdachloser, der, seitdem er auf der Straße lebt, nur Ablehnung und Gewalt erfahren hat. Ein Werbetexter, der sich nach Anerkennung sehnt. Eine Spielerin, die bevorzugt mit dem Rücken zu den Menschen steht, damit sie nicht gesehen wird. Ein Mann in den besten Jahren, der sein Leben als Bedienung in einem Café fristet. Und eine junge Frau, die nicht weiß wo sie hingehört und was sie will, und die aufgrund ihres guten Aussehens immer und überall nur als mögliches Fickfleisch betrachtet wird. Eine geladene Pistole. Vier Ampullen mit einem möglichen Gegengift. Und absolute Straffreiheit für den Überlebenden.
Und so habe ich vom fast völligen Desinteresse bis hin zum Nägelkauen sämtliche Stadien durchgemacht, die so ein Film einem Zuschauer bieten kann. Wobei die letzte halbe Stunde schon eine böse und kranke Phantasie über etwas ist, was man unter dem Begriff Überlebenskampf zusammenfassen kann. Vor allem Jaime Ordóñez als Penner Israel ist überwältigend. Mit einer Ausstrahlung wie Tomas Milian zu Zeiten von DER BERSERKER und einem genialen Overacting (und ich meine das genau so) beherrscht er fast alle Szenen in denen er spricht. Oder schreit. Oder zuschlägt. Oder einfach nur grinst. Und so ganz nebenher den Zuschauer am Schlafittchen packt und in eine böse, kranke und ausgesprochen realistische Welt zieht.
EL BAR ist ein unerwartet packender und böser Film über Menschen in einer unerwartet plötzlichen und bösen Extremsituation, der nach den hiesigen Erfahrungen mit Corona mehr als nur einen Kloß im Hals hinterlässt …
7/10