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ugo-piazza hat geschrieben:Nach erneuter Sichtung (und Empfehlung!) des Films frag ich mich allerdings immer noch, warum der als Gialli eingetragen ist...
Genau das habe ich mich auch gerade gefragt, als ich den hier, vor Verwunderung erblicken mußte.
Eigentlich sollte der unter Poliziesco geführt werden, trifft vielleicht auch dort nicht ganz das Genre, kommt aber von der Sache her, wesendlich näher.
„Sie haben also Vertrauen zur Justiz?“ – „Nein, ich vertrau auf den Skandal!“
Der für seine kritischen, die Verbindungen der italienischen Mafia mit höchsten Politik- und Justiz-Kreisen aufzeigenden Filme in den 1960ern und ‘70ern bekannt gewordene Regisseur Damiano Damiani drehte im Jahre 1971 das wütende Meisterwerk „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ – in dessen Verlauf (Achtung, Spoiler!) ein das Vertrauen in die Justiz verloren habender Kommissar zur Selbstjustiz greift und daraufhin mit Staatsanwalt Traini, gespielt von Franco Nero, aneinandergerät. 1975 kam nach „Girolimoni - Das Ungeheuer von Rom“ dann „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ in die Lichtspielhäuser, der für die deutsche VHS-Auswertung in den reißerischeren „Der Terror führt Regie“ umgetitelt wurde. Dieser Film wirkt wie eine selbstreflektive Aufarbeitung Damianis eigenen Schaffens, wie sich bereits anhand der Inhaltsangabe erahnen lässt:
Der italienische Filmemacher Giacomo Solaris (Franco Nero, „Django“) hat einen Film über einen Staatsanwalt gedreht, der sich von der Mafia korrumpieren lässt. Am Ende dieses Films wird der Staatsanwalt erschossen. Unschwer zu erkennen ist, dass für den Film Staatsanwalt Traini (Marco Guglielmi, „Lauf um dein Leben“) aus Palermo Vorbild war, dem Solaris Machenschaften mit der Mafia vorwirft und für seine Überzeugung auch einen Prozess riskieren würde, von dem er sich erhofft, dass die Kritik an Traini dadurch eine größere Öffentlichkeit erlangen würde. Doch Traini reagiert erstaunlich gelassen auf den Film und sucht den Dialog mit dem Filmemacher, lädt ihn gar zu sich nach Hause ein. Kurze Zeit später wird Traini auf offener Straße erschossen. Während Trainis Witwe Antonia (Françoise Fabian, „Das Weibchen“) Solaris vorwirft, die Tat mit seinem Film provoziert zu haben, ist dieser sich sicher, dass Traini auspacken wollte und deshalb von der Mafia ausgeschaltet wurde.
Damiani-Stammschauspieler Franco Nero spielt diesmal nicht den gleichnamigen, jedoch gänzlich anders charakterisierten Staatsanwalt Traini, sondern Filmemacher Solaris und damit anscheinend eine Art Alter Ego Damianis. So, wie sich Damiani nach „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ vermutlich Vorwürfen ausgesetzt sah, Selbstjustiz und Morde zu glorifizieren oder zumindest zu begünstigen, so werden ähnliche Stimmen gegen Solaris laut. Das ist einer von mehreren Gründen, weshalb er auf eigene Faust Ermittlungen anstellt – Ermittlungen in einem halbseidenen Milieu aus Politik und Justiz, mithilfe eigener halbseidener Freunde wie dem kleineren Mafioso Terrasini (Renzo Palmer, „Die Gewalt bin ich“). Der Tod Trainis scheint einige Unruhe bewirkt und den Status Quo durcheinandergewirbelt zu haben. Konkurrierende Mafia-Organisationen kündigen ihren Waffenstillstand auf, politische Bauernopfer werden dargebracht. Aus Solaris‘ Sicht alles Indizien, die seinen Verdacht bestätigen. Dass es nach einigen Toten dann doch anders kommt, muss er konsterniert zur Kenntnis nehmen
Damiani scheint sich mit seiner eigenen Rolle auseinanderzusetzen, mit den eigenen Idealen, aber auch mit der eigenen Fehlbarkeit in einem immer komplexer werdenden autoritären Geflecht. Dies spiegelt sich im Stil des Films wider, der weit weniger emotional als Damianis vorausgegangene Filme denn vielmehr vernunftorientiert und in mehrere Richtungen offen wirkt. Es wird offensichtlich, dass niemand die Wahrheit gepachtet hat, bei aller verständlichen Aufgebrachtheit Kurzschlussreaktionen zu vermeiden sind und oft alles ganz anders sein kann, als es zunächst scheint. Damianis in den Film übertragenes Weltbild bleibt dabei ein wenig erquickliches und ist gespickt mit aus niederen Beweggründen handelnden Menschen; wirkliche charakterliche Integrität ist mit der Lupe zu suchen. Die Handlung mit all ihren Charakteren, oftmals über mehrere Ecken miteinander verbandelt, erscheint komplex und es fällt nicht immer leicht, den Überblick zu bewahren – allein schon, da dies nicht der Film ist, der einfache Antworten liefert. Längere Zeit ist „Der Terror führt Regie“ sehr dialogreich, dafür arm an Action und trotz großartiger Schauspieler mitunter etwas trocken – bietet also im Prinzip genau das, wovor sich weniger Genreaffine häufig fürchten, wenn sie mit anspruchsvollem polit- und gesellschaftskritischem Kino konfrontiert werden. Doch rechtzeitig finden auch wieder emotional aufwühlende Momente in die Handlung, man denke nur an den wunderschön und zugleich zutiefst morbide durchästhetisierten Mord eines Arztes an einem Blutwäsche-Patienten und den verstörenden Mord an einem Mafioso auf der Straße am helllichten Tag, bei dem die Kamera voll drauf hält und im Anschluss sogar die blutüberströmte, nackte Leiche zu sehen ist. Szenen wie diese rufen knallhart ins Gedächtnis zurück, worum es bei allen Fragestellungen und Einblicken letztlich geht: Um kaltblütigen Mord.
Zur einmal mehr ohrwumverdächtigen, stimmigen musikalischen Untermalung aus dem Schaffen Riz Ortolanis lässt sich „Der Terror führt Regie“ als Bestandsaufnahme des seinerzeitigen Ist-Zustands der italienischen Gesellschaft begreifen, auf die Damiani so unparteiisch wie es ihm möglich ist blickt, bemüht um Nüchternheit, die sich in realistisch-pessimistische Ernüchterung wandelt und damit eine Entwicklung beschreibt, die so viele rebellische, ambitionierte Menschen gleich welcher Branche er- und durchleben und die augenscheinlich auch vor Damiani nicht Halt machte. Ein überaus interessanter Film, gerade durch den Vergleich mit Damianis vorausgegangenen Werken, stilsicher inszeniert und getragen von herausragenden Schauspielern.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Musste erst googlen wegen Hypotaxe aber stimmt schon. Auch der ständig in Klammern gesetzte Verweis auf das auszugsweise bisherige Schaffen der jeweiligen Protagonisten stört teilweise, aber ansonsten immer eine sehr gute Auseinandersetzung mit dem jeweiligem Werk. Gelingt mir leider nie Immerhin ist ja ne klare Linie zu verzeichnen, wenn auch etwas zu professionell. Man muss sich oft mühsam durchlesen, bekommt dann aber immer gute Anhaltspunkte
Unter uns Pfarrerstöchtern: wenn ich die Möglichkeit zwischen Filmart- und Colosseo-DVD hätte, welche sollte ich nehmen? Ich tendiere zur erstgenannten, auch wenn die doppelt so teuer ist, aber ob es nun ein 10er oder ein Heiermann ist, das ist mir wurscht, Filmart finde ich besser.
Aber evtl. gibt es da gravierende Unterschiede und ich bin für jeden Tipp dankbar!