Nur Gott kann mich richten - Özgür Yildirim (2017)

Moderator: jogiwan

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Blap
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Re: Nur Gott kann mich richten - Özgür Yildirim (2017)

Beitrag von Blap »

McBrewer hat geschrieben: Di 13. Apr 2021, 17:51 Definitiv ein Film mit Mehrwert, da gibt es auch bei der wiederholten Sichtung noch viel zu entdecken :opa:
Jau, der wird sicher auf Blu-ray in meine bescheidene Sammlung wandern. :)
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Maulwurf
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Nur Gott kann mich richten - Özgur Yildrim (2017)

Beitrag von Maulwurf »

 
Nur Gott kann mich richten
Nur Gott kann mich richten
Deutschland 2017
Regie: Özgür Yildrim
Alexandra Maria Lara, Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Peter Simonischek, Kida Khodr Ramadan, Franziska Wulf,
Edin Hasanovic, Masha Tokareva, Kailas Mahadevan, Kai Ivo Baulitz, Tim Wilde, Thomas Limpinsel


Nur Gott kann mich richten.jpg
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OFDB

Ricky kommt aus dem Knast und braucht Kohle, um irgendwo im Süden in eine Teilhaberschaft mit einer Bar einsteigen zu können. Da kommt ihm das Angebot seines Freundes Latif gerade recht, ein Geschäft mit Albanern zu machen: Rashid hat zweieinhalb Kilo Heroin, das er seinen Leuten vorenthalten will indem er einen Überall auf sich selbst inszeniert. Und Ricky und Latif sollen den Job ausführen. Weil aber Latif genau an dem Abend ausfällt muss Rafael mitmachen, Rickys jüngerer Bruder, der verzweifelt versucht, nach 2 Jahren Bau ein ehrliches Leben mit seiner Freundin zu führen, gerade Vater wird, und eine wesentliche Charaktereigenschaft hat: Er verliert schnell die Kontrolle über sich.
Nach dem Job werden Ricky und Rafael von einer Polizeistreife angehalten weil das Rücklicht des Wagens kaputt ist. Dank Rafael bleiben am Ende zurück ein Polizist im Koma und eine Gruppe Albaner ohne Stoff, denn die Tasche mit dem Heroin ist fort! Die hat sich die Polizistin Diana unter den Nagel gerissen, die nun versucht das Zeug zu verticken, damit sie ihrer kleinen Tochter die dringend benötigte Herzoperation zahlen kann. Aber zweieinhalb Kilo H sind viel Stoff, und dann landet man auch in einer Stadt wie Frankfurt schnell bei denjenigen, denen das Zeugs gerade geklaut wurde …

Früher, als ich jung war, wollte ich auch mal Polizist werden. Was wahrscheinlich dem Einfluss zu vieler amerikanischer Vorabendserien im TV zuzuschreiben war. Dann wäre ich heute? Keine Ahnung, vielleicht, mit etwas Glück, im mittleren Dienst. Was würde ich dann sehen? Wie würde mein Leben, meine Wahrnehmung aussehen? Würde ich das sehen, was Diana in NUR GOTT KANN MICH RICHTEN sieht? Eine Welt, die längst aus den Fugen geraten ist. In der Ehre und Respekt nur für das Selbstbild und von Fremden eingefordert werden, in Wahrheit aber der eigene Vorteil das einzige ist was zählt. Und dieser Vorteil wiederum wird mit allen Mitteln und um jeden Preis eingefordert. Das Leben eines Polizisten ist genauso viel wert wie ein Schlag in die Fresse – Mal nebenbei abgehandelt, den eigenen Vorteil erfolgreich verteidigt, und übergehen zur Tagesordnung.

„Zweihundert Mille in zwei Tagen? Wie soll das gehen? Wir haben die Kohle nicht!“
„Ist das mein Problem oder dein Problem? Das ist Business, Digger.“


Es ist eine desolate Welt, und sie ist bevölkert von Menschen am Ende der Hoffnung. Nein, das stimmt nicht ganz – Hoffnung ist durchaus noch vorhanden, aber alles, absolut alles, geht mit hundertprozentiger Sicherheit den Bach runter. Das Familienleben mit Freundin genauso wie die Bar im Süden oder das Leben der kleinen Tochter. Alles wird bedingungslos vernichtet, womit NUR GOTT KANN MICH RICHTEN schon stark an einem Neo-Noir entlangschlittert: Verzweifelte und einsame Menschen auf dem Weg in den Abgrund. In der Welt, in der diese Menschen leben, zählen ausschließlich und nur die eigene Faust, die eigene Knarre, die eigene Kohle. Soziales Verhalten würde bedeuten sich eine Blöße zu geben. Schwach zu erscheinen. Nicht für voll genommen zu werden. Wenn Ricky und Diana miteinander gesprochen hätten wäre das Geschäft für beide zur vollsten Zufriedenheit abgewickelt worden. Ricky hätte seine Haut gerettet und Diana das Leben ihrer Tochter. Aber nein, viel wichtiger ist es, aufeinander zu ballern. Sich gegenseitig zu zeigen, dass man den Größeren hat, unabhängig von Geschlecht oder gesellschaftlicher Position. Ein Verhalten wie in der Politik …

Mit NUR GOTT KANN MICH RICHTEN ziehen wir durch die Straßen einer Großstadt, die halt zufällig Frankfurt heißt (gedreht wurde unter anderem aber auch in Offenbach, Rüsselsheim und Hamburg), die aber auch New York heißen könnte. Oder Paris. Oder Sofia. Eine Stadt bestehend aus Hinterhöfen, abgeranzten Vierteln und stillgelegten Industriegebieten. Das Ende der Zivilisation wie wir sie vor 50 Jahren noch kannten ist eingeläutet, und so wird die Zukunft aussehen: Eine Polizeistreife hält ein Auto wegen eines kaputten Rücklichts an, und am Ende liegt ein Polizist im Koma und zweieinhalb Kilo H liegen auf der Rückbank einer verzweifelten Mutter. Unangebrachter Pessimismus? Ich weiß nicht, ein Blick in die modernen Städte, nicht in die Vorzeigemeilen der Innenstädte sondern in die Straßen hinter dem Bahnhof, oder gar in die Bezirke dort draußen, wo der Migrantenanteil gen 100% geht, dieser Blick zeigt mir, dass ich mit diesem Pessimismus vielleicht gar nicht so falsch liege. Eine Welt zeigt sich, die mir weißem Mittelstandsjungen, halbwegs gebildet und gut situiert, so fremd ist wie Saufspiele ostsibirischer Holzfäller oder Initiationsriten prähistorischer Ureinwohner. Und die auch genauso archaisch ist. Und direkt vor unserer Haustüre!

Dies soll keine Darstellung persönlicher Befindlichkeiten sein, sondern der Versuch, die Stimmung des Films zu beschreiben. Die Stimmung, vor allem aber auch die Wirkung auf den Zuschauer. NUR GOTT KANN MICH RICHTEN ist trotz einiger Längen gegen Ende ein roher und heftiger Film, der den Zuschauer brutal in den Unterleib tritt. Der zeigt, dass das deutsche Genrekino lebt und genauso mitreißen kann wie es französische Cop- und britische Gangsterfilme oder spanische Thriller können. Erstklassige Schauspieler zeigen vor schmutzigen und düsteren Kulissen großartiges Können, und die Verknüpfung der einzelnen Handlungsstränge findet auf hohem Niveau statt und hebt die Spannung teilweise ins Unerträgliche: Wir wissen was gleich passieren wird, aber wir können es nicht aufhalten, und der unerwartete Twist beim nicht wie gedacht ablaufenden Shootout ist dann das Sahnehäubchen. Großes Kino mit heftigen Magenschwingern!

8/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Nur Gott kann mich richten - Özgür Yildirim (2017)

Beitrag von Maulwurf »

Oh, den gab es schon? Irgendwie ist der mir beim Suchen durchgerutscht, Entschuldigung! :oops: Vielen Dank fürs Einfügen!!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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