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Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Fr 23. Aug 2024, 10:39
von McBrewer
@Salvatore: U made my day !
Oder besser gesagt: Du gestaltest meine Woche :prost:
Den die Ausbeute dieses Threads hier läuft nun schon die ganze Woche über im Hintergrund als Soundtrack zur Arbeit.
Ärger bei der playlist Auswahl gibt es auch keinen: ich bin hier gänzlich alleine.
Und falls doch jemand seine Ohren in meine Umgebung steckt, verschwinden diese auch sogleich wieder aus dem Hörbereich.
Bei mir wechseln sich :-o , :shock: & :kicher: als Emotionen ab.
Woche gerettet und ich bin gespannt , was es noch so alles bis zur Magischen Nummer 1. zu entdecken gibt :popcorn:

Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Fr 23. Aug 2024, 18:52
von Blap
Salvatore = Bester ❤️❤️❤️

Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Fr 23. Aug 2024, 22:12
von Tomaso Montanaro
Tolle Zusammenstellung!
Jetzt hoffe ich auf eine Rezension von "Philosophy of the World" oder (wo wir schon bei Tierlauten sind) "Baa baa black sheep"...
:thup:

Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Mo 26. Aug 2024, 22:21
von Salvatore Baccaro
Herzlichen Dank für eure lieben Worte, die mich nur dazu anspornen, mit noch weiter hochgekrempelten Armen in den Hinterkammern meines Plattenschranks zu wühlen...


30. Fratello Metallo - Misteri (2008)

Ein Metallica-Konzert soll es gewesen sein, das den 1946 geborenen Lombarden Cesare Bonizzi, der Mitte der 70er dem Kapuzinerorden beitritt, zum Metal bekehrte. Schon zuvor habe der musikliebende Mönch sich leidenschaftlich der Tonkunst gewidmet, jedoch vornehmlich in New-Age-Sphären; mutiert zum Fratello Matello soll es nun aber Heavy Metal sein, mit dem er die katholische Lehre unters Volk bringen möchte. Sein Album "Misteri", das er 2008 auf dem Festival "Gods of Metal" in Bologna präsentiert, könnte, sobald man die Backstory kennt, kaum bizarrer sein: Da übt sich ein bereits sechzig Lenze zählender Klosterbruder zusammen mit drei Mitmusikern, die allesamt (bislang) kein Ordensgelübde abgelegt haben, in klassischem - man könnte auch sagen: generischem - Metal, der immerhin druckvoll produziert ist, und besingt in einer Mischung aus Sprechgesang und Schreien die Schönheit der Gottesmutter Maria, warnt vor den Schäden, die Tabak, Alkohol und Wollust anrichten können, rückt immer wieder in bester egozentrischer Metal-Manier die eigener Liebe für dieses Musikgenre in den Vordergrund. Bonizzis Karriere als Hartmetaller währt nicht lange: Schon Ende 2009 wendet er sich von seinem zweiten Standbein neben Seelsorge und Gotteslob ab - zu groß seien die Verführungen gewesen, mit denen ihn der Teufel umcirct habe, sobald er zum Rockstar geworden sei - was aber nicht heiße, dass sein Herz nicht nach wie vor für den Schwermetall schlage, den er ungebrochen als Nonplusultra musikalischen Ausdrucks bezeichnet. Ich würde ja zu gerne wissen, wie viele Menschen tatsächlich von Bonizzis hartem Mönchsrock zum Taufbecken gelockt worden sind...




29. Damião Experiença - Planeta Lamma (1971)

Seine Liebe zu Jimi Hendrix soll den brasilianischen Singer-Songwriter Damião Ferreira da Cruz (1935-2016) zu seinem Künstlernamen Damião Experiença gebracht haben. Mit dem Gitarrenrock seines übergroßen Idols freilich hat sein eigenes musikalisches Schaffen wenig gemein, wie eindrucksvoll das 1971er Debüt-Album "Planeta Lamma" beweist. Der Vergleich zum japanischen Liedermacher Mibu Furukawa (Platz 35) ist nicht von der Hand zu weisen, befleißigen sich doch beide Outsider Artists eines außerordentlich minimalistischen Soundgewands, bestehend aus Akustikgitarre, Mundharmonika, vielleicht mal etwas dezenter Percussion, über dem sie, sagen wir, sehr eigenwillige Vocal Performances entfalten. Wo Furukawas einziges Album "Gousarashi" von 1978 jedoch die Atmosphärische archaischer Dämonenbeschwörungen in Japans eisigem Norden versprüht, klingt Damião auf "Planeta Lamma" wie ein drogenschwangerer Straßenmusikant, der konsequent mit seinen a-logischen Songstrukturen, seinem halb gesprochenem, halb inbrünstig gebrülltem Gesang, seiner nur mit einer einzigen Saite bestückten Klampfe dagegen anarbeitet, auch nur ansatzweise in klassisches Folk-Territorium abzuschweifen. Insgesamt dreizehn Songs soll das Album offiziell beinhalten, die allerdings ständig ineinander übergehen, zuweilen nie klar markieren, wo der eine endet, und der nächste beginnt, wobei das Erkennen der einzelnen Liedgrenzen noch dadurch erschwert wird, dass "Planeta Lamma" auf nur einer Handvoll Melodien und Akkordfolgen aufgebaut scheint, die das komplette Album durchziehen. Das Ergebnis ist wüst, leidenschaftlich, ekstatisch - und wird noch skurriler, wenn man erfährt, dass der Künstler sich - ähnlich wie die französische Band Magma etwa zur gleichen Zeit - eine extraterrestrische Privatmythologie um die eigene Existenz gezimmert hat, inklusive eigener Sprache, in der er sämtliche seiner Balladen vorträgt: Damião nämlich will vom titelgebenden Planeten Lamma stammen, und spricht bzw. singt demzufolge in einem speziellen Dialekt, der zum Teil aus Verballhornungen seiner Muttersprache Portugiesisch, teilweise aus nicht dechiffrierbaren Neologismen besteht. Ebenso konsequent hält sich Damião übrigens von der kommerziellen Musikindustrie fern: Alle seine Alben von 1971 bis 2009 verteilt er als Privatpressungen kostenlos auf der Straße oder verschenkt sie an Gleichgesinnte - weswegen bis heute nicht ganz klar ist, wie viele Werke der gute Mann zeitlebens aufgenommen hat, und wann diese konkret erschienen sind. In den 80ern rückt er zwar etwas vom minimalistischen Freak Folk ab und legt sich eine Backing Band zu, singt gar in verständlichem Portugiesisch, dafür vermengt er nun Themen wie Drogen, Homosexualität, Abtreibung, Feminismus oder Ideologien/Religionen wie Kommunismus, Nationalsozialismus, Rastafarianismus derart freimütig miteinander, dass im Grunde nur von einer Poetik der Gegensatzvereinigung gesprochen werden kann.




28. Patty Waters - Patty Waters sings (1966)

Die Tochter eines Milchfarmers aus Iowa Patty Waters ist gerade mal 18, als sie das Landleben hinter sich lässt, nach New York zieht, und Kontakte zur dortigen Jazzszene knüpft. Namentlich ist es Saxophonist Albert Ayler, der ihr die Aufnahme eines Studioalbums beim auf Free Jazz spezialisierten Label ESP-Disk ermöglicht. Mit chaotischen Exzessen à la Ornette Coleman hat das 1966 erschienene, gerade mal halbstündige "Patty Waters sings" nicht viel zu tun, vielmehr stellt es wohl das verstörendste, zappendusterste, alptrauminduzierendste Jazz-Album dar, das ich jemals gehört habe. Dabei funktioniert die erste LP-Hälfte noch vornehmlich wie ein dramaturgisch kluger Spannungsaufbau: Hier ist Patty Waters zu hören, wie sie sieben kurze Songs intoniert, von denen keiner die 3-Minuten-Marke knackt, manche sich gar noch unter zwei Minuten einpendeln. Begleitet zumeist einzig von einem einsamen Klavier sind diese Schmachtballaden perfektes Material, um es nach Mitternacht hören, wenn gerade über einem selbst der Weltschmerz hereinbricht. Vorbereiten kann einen aber keines dieser schön traurigen und traurig schönen Vocal-Jazz-Stücke darauf, was die zweite Plattenseite bereithält. Auf dieser befindet sich lediglich ein einziger Track von knapp einer Viertelstunde Länge, offiziell eine Coverversion der traditionellen Balladen "Black is the Color of My Lover's Hair", aber, puh, hinter dieser noch immer harmlosen Fassade versteckt sich ein langer, quälender Exorzismus, so, als würde Waters all ihre sie heimsuchenden Dämonen ins Studiomikrofon ergießen. Während Piano, Bass und Drums sich nun doch endlich zunehmend in einen Avantgarde-Jazz-Malstrom stürzen, wiederholt Waters über weite Laufzeitstrecken immer wieder das Wort "Black", mal keuchend, mal wispernd, atemlos wie ein müdes Gespenst, dann plötzlich brüllend, kreischend, fauchend, als habe der Teufel höchstselbst sich in ihren Stimmbändern breitgemacht. "A depressed, black hole into madness", schreibt ein Reviewer im World Wide Web - und ich kann dem kaum etwas hinzufügen, außer, dass mich die Gänsehaut allein beim bloßen Schreiben über diese Höllenfahrt heimsucht.




27. The Furby Fans - We Love Furby (1999)

Etwa zur selben Zeit, als die Tamagotchis weltweit die Kinderzimmer kaperten, kam auch ein Fabelwesen namens Furby in Umlauf, das äußerlich ausschaut wie eine Mixtur aus Fledermaus, Maus und Katze, und das sozusagen die elaborierte Variante des japanischen Tamagotchis darstellt: Während dieses als zweidimensionales extraterrestrisches Wesen zeitlebens in seinem elektronischen Ei gefangen ist, handelt es sich beim Furby um ein dreidimensionales Plüschtier, das seine minderjährigen Besitzer mit Lautäußerungen auf Furbisch erfreut, mit Ohren und Augen wackeln kann, und dank integrierter Bewegungssensoren stets mitbekommt, ob man es am Bäuchlein oder am Schnäuzchen krault. Die Bedürfnisse freilich sind dieselben wie beim Tamagotchi: Furbies wollen gefüttert, liebkost, mit Aufmerksamkeit überhäuft werden - und wenn das ausbleibt, werden sie entweder todtraurig oder fuchsteufelswild. Kein Wunder, dass solch eine Schöpfung, für die übrigens der US-Spielzeughersteller Hasbro die Verantwortung trägt, nicht nur reihenweise Eltern in den Wahnsinn treibt, sondern auch findige Musikproduzenten auf clevere Vermarktungsstrategien bringt - so geschehen in den Niederlanden, wo die Gebrüder Frank und Tom Verkooyen kurzerhand ein Projekt namens "The Furby Fans" ins Leben rufen, das folgende Ingredienzien für uns in petto hat: Bubblegum-Dance-Beats, deren ostentative Fröhlichkeit einem die Ohren bluten lassen; die Stimmchen der titelgebenden infantilen "Furby Fans", die ihrer unbedingten Liebe für das flauschige Etwas Ausdruck verleihen, ihre Mütter anflehen, sie sollten doch bitte den Furby-Arzt rufen, denn ihr Haustier wirke malade, oder uns die Kulturgeschichte der Furbies näherbringen; sowie, natürlich, zahllose Samples, in denen die Furbies selbst sich zu Wort melden, vor sich hin brabbeln, gackern, fiepen. Besonders clever übrigens: Um ihre Kreationen als vollwertiges Album vermarkten zu können, haben die Verkooyens einfach ein und dieselbe 20minütige EP zweimal auf CD gemogelt, mit dem einzigen Unterschied, dass die Texte bei den einen Versionen auf Niederländisch, bei den anderen auf Englisch sind. In diesem Sinne: "I love my furby, he is my dearest friend / And if there is a party you will see that he can dance / He wiggles when you tickle and he laughs the hole day long / Our friendship is forever, that's why we sing this song."




26. Anima - Stürmischer Himmel (1971)

Soll das Schafsblöken, mit dem das erste Album des Münchner Musikprojekts "Anima" einsetzt, nun eine herzhaft-flauschige Einladung oder eine ernstgemeinte Warnung sein, die kommende Dreiviertelstunde betreffend? Ich jedenfalls habe mich immer immens eingeladen gefühlt, wenn dieses einsame Rufen eines Hammels vor windiger Soundkulisse zu mir her drang - und mich in Folge stets erfreut an den chaotischen, atonalen, reguläre Songstrukturen auf den Scheiterhaufen verweisenden Improvisationen, die das Pärchen Paul und Limpe Fuchs hier unverkrampft und unverfroren vorlegen. Veröffentlicht 1971 auf dem legendären Ohr-Label lässt sich "Stürmischer Himmel" selbstverständlichen in den größeren Krautrock-Kontext einordnen; selbst im Umfeld anderer zeitgenössischer innovativer Bands der bayrischen Hauptstadt wie Amon Düül, Embryo oder Zweistein hat man es indes mit einer wahren Kuriosität zu tun: Auf zum größten Teil eigenhändig aus Metall und Holz gezimmerten Instrumenten eingespielt, die im Booklet auf solch wohlklingende Namen wie "Fuchszither", "Fuchsgeige", oder "Fuchsbass" getauft werden, steuert gerade Limpe Fuchs Vocals bei, die man am ehesten mit dem schrillen Maunzen einer Katze vergleichen kann. Dabei strahlt das Album trotz allem Krach dennoch ein irgendwie lukullisch-ländliches Flair aus, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass die beiden Füchse zum Entstehungszeitpunkt auf einem Bauernhof leben, wo sie, wie sie stolz im Beiheft verkünden, ihre eigenen Pot Plantagen betreiben. "Stürmischer Himmel" ist vollkommen ungebunden, ungezwungen, nie anstrengend, schön in seinem wohlmeinendem Chaos, die perfekte Vertonung eines Abends an einem Lagerfeuer, mit Sex, Joints, und Schafen, die in ihren Ställen blöken - sozusagen der perfekte Soundtrack zur gesellschaftlichen Aufbruchstimmung Anfang der 70er Jahre, deren utopischen Hoffnungen nur wenige Jahre später ebenfalls lodernd auf den Scheiterhaufen enden sollte.


Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Fr 30. Aug 2024, 13:18
von Salvatore Baccaro
25. My Bloody Valentine – Loveless (1991)

Mit der Zeit hat sich das zweite Studioalbum der irisch-britischen Band "My Bloody Valentine", obwohl bei Release kommerziell wenig erfolgreich, zu einem Lieblingskandidaten solcher Listen wie "1001 Albums You Must Hear Before You Die" oder "The 500 Greatest Albums Of All Time" gemausert, und tatsächlich dürfte es sich bei "Loveless" - zumindest, wenn man mich nach meiner bescheidenen Meinung fragt - im Gegensatz zu anderen derart mit Lorbeerkränzen überhäuften Tonträgern um eine der schönsten Rockmusikplatten nicht nur des Shoegaze-Genres, nicht nur der 90er, nein, aller Zeiten handeln. Das Konzept besticht mich schon, wenn ich nur darüber schreibe: E-Gitarren werden solange verzerrt und gesampelt bis sie einen Klangteppich ergeben, den lediglich noch ein dünner Firnis von atonalem weißen Rauschen trennt. Es ist ein infernalisches Gitarrengeheul, mit dem uns allein schon der Opener "Only Shallow" in seinen ersten Takten überfällt, und den ich schon immer in direkter Nachbarschaft zum etwa zeitgleich in Norwegen entwickelten Black Metal der Zweiten Welle gesehen habe. Anders aber als im Black Metal steigern "My Bloody Valentine" ihre lärmenden Feedback-Orgien nicht etwa mittels keifendem, krächzendem Gesang noch weiter ins Extreme, sondern konterkarieren sie mit den engelsgleichen Stimmchen des Gitarren-Duos Kevin Shields und Belinda Butcher, die förmlich über dem Inferno schweben, zuweilen von ihm verschluckt werden, sich dann wieder feengleich aus dem Malstrom befreien. Songtexte sind, obwohl Shields zeitlebens behauptet, dass man an ihnen mehr gefeilt habe als an der eigentlichen Musik, nur selten einmal zu erahnen, Fragmente intelligibler Sätze oder Wortfetzen schälen sich lediglich in unregelmäßigen Abständen aus dem wahlweise malmenden oder meditativen Dröhnen hervor, so wie auch Schlagzeug und Bass - ebenfalls nicht unähnlich zum Black Metal skandinavischer Prägung - größtenteils vom wohlkalkulierten und -temperierten Noise-Gewitter zugekleistert sind. Von der ersten bis zur letzten Sekunde gleicht "Loveless" einem verwaschenen Traum, einem impressionistischen Gemälde, bei dem man hinter einer Rauch- oder Nebelwand die Silhouetten vertrauter Dinge nur mit Mühe auszumachen vermag. Nichts ist eindeutig, alles fließt, panta fuckin' rhei, und bei jedem Hördurchgang meint man etwas anderes in den Silhouetten zu erkennen, die einem zunächst so vertraut erschienen sind. Ich bin nach über 20 Jahren immer noch verzückt!




24. Pope Francis - Wake Up! (2015)

Mit Cesare Bonizzi haben wir auf Platz 30 bereits einen metallisch musizierenden Mönch kennenlernen. Kann es denn noch frömmer, noch gottseliger werden? Aber sich, denn, nein, kein Bischof, kein Kardinal, der Heilige Vater Franziskus höchstselbst ist es, unter dessen Namen 2015, zwei Jahre nach seinem Amtsantritt, vorliegendes Album erscheint: Der Papst als Popstar - das passt allerdings auch irgendwie zum Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der sich gerade verglichen mit seinem direkten Vorgänger Ratzinger alias Benedikt modern und hip gibt - wohlgemerkt insofern ein Papst überhaupt modern und hip sein kann. Mit dem Album selbst hat Pope Francis, wie er sich im Musikbusiness stilecht nennt, allerdings wenig zu tun: Erwartungsgemäß setzt sich das knapp einstündige Werk aus (größtenteils italienischsprachigen) Redebeiträgen Franziskus' zusammen, Auszügen von Predigten, öffentlichen Kundgebungen, Ansprachen, die dann später mit Musik garniert wurden. Einer der Hauptstrippenzieher des Ganzen ist - und nun wird es spannend! - vielmehr ein gewisser Tony Paglucia, den alle Aficionados italienischen Progressive Rocks als Mitglied der stilprägenden Band "Le Orme" kennen dürften, für die er von 1966 bis 1992 hinter den Tasten sitzt, und Meilensteine wie "Felone e Sorona" (1973) entscheidend mitkomponiert. In den 90ern aber scheint Paglucia den Ruf Gottes zu vernehmen, und sein musikalisches Schaffen fortan spirituellen Zwecken zu weihen: So erscheint bereits 1998 mit "La notte della stella" ein ausgesprochen frommes (und kitschiges) Konzeptalbum rund um die Geburt Jesu. Etwa zwei Jahrzehnte später hat Pagulcia es zum Hauskomponisten des Vatikan geschafft - und seine Wurzeln im Progressive-Rock immer noch nicht ganz vergessen! Was "Wake Up!" dementsprechend so interessant (und skurril) macht, ist der heterogene - man könnte auch sagen: krude - Stilmix der Begleitmusik, mit der die (etwas einschläfernden) Sermone des Primaten von Rom unterlegt sind: Keyboards, die klingen, als seien sie per Zeitmaschine direkt aus dem Goldenen Zeitalter des Prog-Rock ins 21. Jahrhundert gebeamt worden; mitreißende Gitarren-Soli; gregorianische Kirchenchorgesänge; Elemente von Post-Grunge und New Age; selbst einen Pop-Hit bietet man auf, in Gestalt nämlich des Titeltracks "Wake Up!", wo der maximale Pontifex in etwas gebrochenem Englisch die Jugend zum Aufwachen ermahnt ("Wake Up! Go! Go! Forward!"), während sich auf muskalischer Ebene weitere 70er-Prog-Keyboards, Hard-Rock-Gitarren, Bläser und ein inbrünstig lateinische Verse intonierender Sängersknabe ein Stelldichein geben. Mein liebstes Stück allerdings Track 3, der mit seinen lateinamerikanischen Rhythmen gar Beach-Club-Vibes evoziert! Wäre Tony Paglucia der Organist meiner Dorfkirche, würde man vielleicht öfter beim Hochamt sehen...




23. Dvnaèbkre - Dvnaèbkre Zuèrkl Mogovtre (1995)

Anfang der 90er Jahre formiert sich in der Bretagne, konkret: in der Region um die Hafenstadt Brest, eine Black-Metal-Szene, die zwar maßgeblich beeinflusst ist von norwegischen Gesinnungsgenossen wie Burzum, Mayhem, Emperor, die ab 1992 mit Brandanschlägen auf Kirchen auf sich aufmerksam machen, jedoch einen noch, sagen wir, unangepassteren Kurs fahren möchte: Die sogenannten "Légions Noires" wollen anti-establishment, anti-social, anti-commercial as fuck sein - weshalb man seine Tapes nur im engsten Kreis unter Ausschluss der Öffentlichkeit verteilt, eine besonders rohe, raue Form des Black Metal spielt, gegen die sich selbst manches skandinavische Krachgewitter wie ein lauer Sommerwind ausnimmt, und - zur Krönung des Ganzen - auch noch eine eigene Sprache namens "Gloatre" kreiert, die aus schier endlosen Aneinanderreihungen unaussprechlicher Buchstabenkombinationen mit scheinbar willkürlichen Akzentzeichen besteht. Die entsprechenden Bands und Projekte hören dann auf Namen wie Brenoritvrezorkre, Vzaéurvbtre oder Mavbtreëh, und berufen sich auf ein Selbstverständnis, wie es die Band Vlad Tepes pointiert zum Ausdruck bringt: "We are Black Legions of Satan, we are the immortal warriors of Black imperial blood. We are here to pervert christian worms and they shall face the Black holocaust. It's near!" Einer der federführenden Schwarzlegionäre ist ein Mensch mit Künstlernamen Vordb Dréagvor Uèzréèvb, dem katastrophal abgemischtes Lo-Fi-Geknüppel mit Kreischgesang irgendwann nicht mehr zum anti-bürgerlichen Protest ausreicht, und der, nachdem er die Stromgitarre in die Ecke geschmissen hat, auf neue Wege sinnt, musikalische und gesellschaftliche Konventionen zu massakrieren. Eindringlich beweist er seine Neuorientierung mit der einzigen EP seines Projekts "Dvnaèbkre", das mit Black Metal nun rein gar nichts mehr zu tun hat: Track 1 soll, wenn man diversen Internetforen glauben mag, die Aufnahme einer sterbenden Katze sein, also quasi auditiver Animal Snuff: Es rauscht das Tonbandgerät, dazwischen hört man immer wieder klägliches, schmerzerfülltes Maunzen, bis irgendwann Totenstille herrscht - eine, eh, "Komposition" so moralisch fragwürdig wie verstörend, wenn man sich zu fragen beginnt, wie der gute Vordb denn mit seinem Recorder ganz zufällig in die Nähe einer moribunden Mieze gelangt sein soll. Track 2 wartet dafür mit extrem lauten Dröhngeräuschen, die offenbar von einem heillos verstimmten Keyboard erzeugt werden, während im Hintergrund hier und da erneut verdächtige Geräusche auftauchen, als ob es dort weiteren Tieren an den Kragen geht. Die nächste Konsequenz ist es dann wahrscheinlich, die Musik ganz bleiben zu lassen - und einen Mord zu begehen...




22. Caninus - Now the Animals Have a Voice (2004)

Jetzt haben endlich auch die Tiere eine Stimme - und zwar diejenige zweier Pitbulls namens Basil und Budgie, die als Sänger der 1992 gegründeten Deathgrind-Band in Erscheinung treten. Während die Band, ein Side-Projekt der (mir unbekannten) New Yorker Hardcore-Punk-Combo "Most Precious Blood", für meine Ohren recht generischen Grindcore vom Stapel lässt, knurrt, bellt, hechelt sich das hündische Sanges-Duo auf vorliegender 2004er Debüt-Ep durch 14 Stücke, die oftmals nur wenige Sekunden lang sind, und es insgesamt auf eine Laufzeit von gerade mal 11 Minuten bringen. Der für das Projekt ausschlaggebende, immens hohe Novelty-Factor manifestiert sich letztlich auch in (ironisch gemeinten) Songtiteln wie "No Dogs, No Masters", "Bite The Hand That Breeds You", oder "Fear of Dogs", zu denen ich gerne einmal die Lyrics lesen würde. Als Basil im Januar 2021 aufgrund eines Gehirntumors eingeschläft werden muss, lösen sich Caninus aus - zuvor hat man aber immerhin noch 2005 eine Split-Ep mit der Grindcore-Band "Hatebeak" veröffentlicht, deren Sänger wiederum ein Papagei namens Waldo ist. Schaut mich nicht so an, ich bin bloß Chronist all dieser Dinge...




21. Aby Ngana Diop - Liital (1994)

Wikipedia weiß über den Begriff "Griot" folgendes zu berichten: Er bezeichne "in Teilen Westafrikas einen berufsmäßigen Sänger, Dichter und Instrumentalisten, der in einer bestimmten Form des Gesangs epische Texte als Preissänger, Geschichtenerzähler, Lehrer oder rein zur Unterhaltung vorträgt." In den 1980er und 1990er Jahren zählt die Senegalesin Aby Ngana Diop zu den gefragtesten Griots Dakars, die sich im sogenannten "Taasu", einer Form mündlichen Poesie, vorgetragen zur Begleitung diverser Trommeln, artikuliert. Mit ihren Backgroundsängerinnen, Tänzerinnen, Trommlern ist Diop gefragter Gast auf Partys, Taufen, Hochzeiten der Dakarer Elite, die nicht genug bekommen kann von ihrer kraftvollen Stimme, ihrem Sprachwitz, ihrer Mimik und Gestik, kurzum: von ihren Performances als Griot-Gesamtkunstwerk. Im Jahr 1994 bringt die dakarische Diva mit "Liital" ihre einzige Kassette auf den Markt. Innerhalb der senegalesischen Musik bedeutet die Veröffentlichung eine kleine Revolution, verbindet die Künstlerin hier doch in kongenialer Weise das traditionelle Taasu mit Senegals genuiner Rezeption westlicher Popmusik, die wiederum unter den Namen "Mbalax" firmiert. Für westliche Ohren dürfte Diops Musik vor allem Analogien zu Drum 'n' Bass und Rap wachrufen: ersteres wegen diesen frenetischen, überlauten, atemlosen Trommelgewittern, die jeden der sechs Tracks rhythmisch untermalen, zweiteres wegen des Sprech- oder Schreigesangs, dessen sich Diop befleißigt, sowie vor allem auch des Call-and-Response-Verfahrens, in dem Diop mit ihren Backgroundsängerinnen kommuniziert. Im Senegal ist die Kassette ein großer kommerzieller Erfolg, verhilft Diop noch ein paar Sprossen weiter hoch auf der Superstarleiter, wird auf Volksfesten und privaten Feiern rauf und runter gespielt - während es für westliche Ohren (zumindest meine eigenen) eine Hörerfahrung verglichen mit einem Marathonlauf sein dürfte: Ruhepausen kennt Diop nicht, weder für sich noch für die Hörerschaft, wenn sie wie von Sinnen ihre Texte auf Wolof, (die wohl sehr intelligent und witzig sein sollen), herausbrüllt, wenn gefühlt eine ganze Industriehalle voller unterschiedlicher Trommeln ihre sowieso schon exzessiv deklamatorische Stimme zu noch mehr Feuer anstachelt, wenn es sich permanent so anfühlt, als würden wir den einzelnen Stücken in doppelten Geschwindigkeit lauschen, so unbändig ist die Energie, die dieses Album versprüht, das aufgrund seiner puren Power teilweise fast wirkt, als könne es jeden Moment erschöpft unter der Last des eigenen Tonmaterials kollabieren. Leider stirbt Diop nur drei Jahre nach Release von "Liital" im Juli 1997 - ihre Musik indes lebt in jüngeren Generationen westafrikanischer Musiker ebenso fort wie in den Ohren westlicher Obskuritätensammler, die auf ihr Album, so wie ich, größtenteils durch die verdienstvolle Seite "Awesome Tapes from Africa" gestoßen sein dürften. Einmal mehr zögere ich nicht, die Meisterwerkskarte zu zücken, wenn diese auch vor Erschöpfungsschweiß klatschnass ist.


Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Do 5. Sep 2024, 13:03
von Salvatore Baccaro
20. The Gerogerigegege - Shōwa (1989)

Am 7. Januar 1989 verstirbt mit Kaiser Hirohito der 124. Tennō des Japanischen Kaiserreichs. Nur kurze Zeit nach dem Tod des dem Inselstaat seit 1926 vorstehenden Regenten kann man in den Plattenläden Japans ein Album finden, auf dem eine Schwarzweißphotograpghie Hirohitos prankt, sich sonst allerdings keinen nennenswerten Informationen über den Inhalt der LP finden lassen. Den Verdacht, dass es sich um ein Memorial-Album handeln dürfte, bestärkt nicht nur der Umstand, dass das Werk mit einer Aufnahme der japanischen Nationalhymne eröffnet, sondern bereits der Titel, der sich auf die sogenannte "Shōwa-jidai", die "Ära des erleuchteten Friedens" bezieht, wie die Regierungszeit Hirohitos offiziell genannt wird. Gerade die Phase bis zur Kapitulation Japans im Zeiten Weltkrieg hat mit Frieden freilich ungefähr so viel zu tun wie das, was die Noise-Band "The Gerogerigegege" mit vorliegender Veröffentlichung als Trojanisches Pferd unters Volk mischen, mit einer gravitätischen Würdigung des verblichenen Monarchen: Die deutschsprachige Wikipedia übersetzt den Namen des Projekts als "Kotz-Durchfall-Spiel-Spiel-Spiel, oder Kotz-Durchfall gefolgt von der Wiederholung eines gutturalen Lauts" - und ähnliche Reaktion mögen insbesondere national gestimmte und kaisertreue Hörer überfallen haben, als sie seinerzeit unvermittelt mit "Shōwa" konfrontiert wurden. Cover, Titel, Hymne - das alles sind natürlich nur Finten im Dienste einer flächendeckenden Provokationen, die sich gegen alles richtet, wofür die konservative, traditionsbewusste, vergangenheitsverklärende Gesellschaft Japans für die jungen Wilden von "Gerogerigegege" steht - und die sich darin erschöpft, dass wir, nachdem die Nationalhymne verklungen ist, für den Verlauf zweier LP-Seiten zuhören dürfen, wie ein von der Band gebuchtes Pärchen zügellosen Sex hat. Für Fans des Harsh Noises, für den "The Gerogerigegege" sonst stehen und wie sie ihn auf Klassikern wie "Senzuri Power Up" (1989) oder "Endless Humiliation" (1994) praktizieren, dürfte das Ganze deshalb ebenfalls eine Geduldsprobe darstellen. Ein weiterer Fall, wie schon bei "Nymphomatriarch" (Platz 50), bei dem die Performer mehr Freude während der Aufnahme gehabt haben dürften als die späteren Rezipienten beim Lauschen. Sozusagen der musikgewordene "Gag", einen Pornofilm in der VHS-Hülle einer Heimatschmonzette zu verstecken...




19. Farrah Abraham - My Teenage Dream Ended (2012)

Zu Fame kommt die 1991 geborene US-Amerikanierin Farrah Abraham 2009 durch das TV-Format "16 and Pregnant". Sein Konzept trägt die Reality-Serie offenherzig im Titel: Mit der Kamera begleitet werden sich zumeist ungewollt in guter Hoffnung befindliche Teenagerinnen während ihrer Schwangerschaft und in den ersten Monaten des Mutterseins. Abraham kommt beim Publikum derart gut an, dass man sie noch im selben Jahr für das Spin-Off "Teenage Mom" castet - und seitdem ist die junge Frau aus den Sensationsmedien nicht mehr wegzudenken, sei es als Kandidatin von "Big Brother", sei es als (kurzzeitige) Pornodarstellerin, sei es, weil sie 2012 - mit gerade mal 21 Lenzen! - ihre Autobiographie veröffentlicht. Allerdings hat Abraham für ihre kurze Lebenszeit bereits viel erlebt, und dabei wenig Schönes, wie schon der Titel des zum Bestseller avancierenden Buchs nahelegt: "My Teenage Dream Ended" berichtet davon, wie die sexuell wenig erfahrene Autorin aufgrund Absenz von Verhütungsmitteln plötzlich ein Kind unterm Herzen trägt, wie der Kindsvater noch vor der Geburt bei einem Autounfall verstirbt, wie ihr nicht sonderlich hilfreiches Elternhaus - die Mutter verbietet ihr eine Abtreibung; der Vater soll sie körperlich misshandelt haben - dazu beiträgt, dass sie reichlich unvorbereitet und überfordert in die Mutterschaft eintritt. Als Beigabe zur Autobiographie nimmt Abraham aber auch ihr erstes und einziges Pop-Album auf, bei dem sich seither die Geister scheiden: Die einen markieren es aufgrund seiner zweifelhaften Entscheidungen in den Sektoren Produktion, Mix und Songwriting als eines der "worst albums of all time", und kritisieren es dafür, dass hier schamlos das schwere Schicksal einer Teenagerin ausgeschlachtet wird, um damit Charterfolge einzufahren; andere Stimmen küren "My Teenage Dream ended" gerade wegen all der Dinge, die - aus konventioneller Sicht - in den nicht ganz 30 Minuten Spielzeit gegen den Strich laufen, als Meilenstein von Outsider Art, als Vorläufer eines Hyperpop, wie ihn später Künstlerinnen à la Charli XCX ausarbeiten sollten, als surrealistischen, das heißt, rein zufällig entstandenes Avantgarde-Kunstwerk. Die Wahrheit liegt, wie so oft, sicher irgendwo dazwischen, wenn Abraham in jedem Track mit vollkommen überzogenem Autotune über krude abgemischten Instrumentals all ihre Schicksalsschläge in einer Weise vor uns ausbreitet, die irgendwo zwischen Verstörung, Cringe und Genius oszilliert. Oft ähneln die Texte Tagebuchnotizen, bei denen bestimmte Sätze exzessiv wiederholt werden, stecken voller Phrasen und Allgemeinplätzen, wirken dabei aber völlig aufrichtig - während die zugehörige Musik in ihren besten Momenten tatsächlich den Eindruck erweckt, es ginge gar nicht darum, zugängliche Pop-Musik zu kreieren, sondern diese vielmehr flächendeckend zu dekonstruieren, so billig und arhythmisch klingt das Ganze für von Hochglanz-Hits verwöhnte Ohren. Musikjournalist David Renshaw vom "Guardian" drückt es besser aus als ich es könnte, und bezeichnet das Album als "an agonising, disconcerting clatter [...] as if someone is translating chart music into an alien language and back again." Word.




18. Congress-Woman Malinda Jackson Parker - Tubman Goodtype Songs of Liberia (1971)

Dass sich die liberianische Sängerin und Pianistin Malinda Jackson Parker auf vorliegendem Album den Titel "Congress-Woman" gibt, hat seine Berechtigung: Tatsächlich sitzt die 1903 geborene Dame in den 50ern für eine Amtszeit lang im Repräsentantenhaus des westafrikanischen Staats, und kümmert sich dort vor allem um die Belange der Kunstschaffenden. Auch der Titel "Tubman Goodtype Songs of Liberia" spielt auf ihre politische Karriere an, nennt sie doch William S. Tubman namentlich, den von 1944 bis 1971 regierenden 19. Präsidenten Liberias, der gemeinhin als "Vater des modernen Liberia" gilt, und für den Jackson selbst politische Hymnen und Lieder komponiert. Diesen Spirit findet man auch in der 71er Kollektion von vier Songs, die Parker im Ragtime-Stil zu eigenhändiger Pianobegleitung vorträgt, und die allesamt von einer derartigen Ernsthaftigkeit und Leidenschaft beseelt sind, dass es fast ungerecht erscheint, aufgrund der in ihnen behandelten Themen und Parkers eigenwilligem Vortragsmodus ein zuckendes Zwerchfell zu bekommen. Mit "Cousin Mosquito", den Parker in gleich zwei unterschiedlichen Versionen aufgenommen hat, möchte die Chanteuse beispielsweise ihre Landsleute über die schweren Konsequenzen aufklären, den der Stich des titelgebenden Insekts bereithalten kann: "Beware of cousin mosquito and his solo. Take no chances, for cousin mosquito saps all of your blood and send you to your grave before time. So take my advice: Avoid cousin mosquito and his solo!"- wobei Parker das Wort "Cousin" gefühlte hundert Mal hintereinander wiederholt. Ist die Stoßrichtung des Songs eine unübersehbar didaktisch-edukative, haben wir es bei "Precious Palm Tree" um ein patriotisches Liebeslied an Parkers Heimat zu tun, wobei der titelgebende Palmbaum als Symbol für die Schönheit und Größe Liberias dient: "Precious palm tree, gentle palm tree Precious palm tree, thee we call Precious palm tree, gives us oil Precious palm tree, set us free." Die beiden anderen Stücke - "No Bananas" und "Bush Cow Milk" - gehen in eine ähnliche Richtung: Die Texte sind ausgesprochen naiv, die Intonation ausgesprochen enthusiastisch, das Ergebnis ausgesprochen befremdlich - vor allem dann, wenn Parker ihrem Idol Rachmaninov (alias "Radamaninov") Tribut zollt, und plötzlich aus dessen "Prelude (Op. 3 No. 2)" zitiert, wenn sie ihre Songs immer wieder mit längeren Monologen unterbricht, die sich anhören, als würde sie einfach das aussprechen, was ihr gerade spontan durch den Kopf geistert, wenn sie ihr Piano nicht länger spielt, sondern förmlich auf es eindrischt.




17. Godz - Contact High with the Godz (1966)

Dilettantismus oder Kunst? Dilettantismus und Kunst? Kunst als Dilettantismus? Solcherlei Fragen kann man sich weidlich stellen beim Genuss dieses nur 25 Minuten langen Albums, das die New Yorker Folk-Combo "The Godz" im September 1966 in nur wenigen Stunden aufnimmt. Vermittelt wird ihnen das erforderliche Tonstudio vom Artdirector des Free-Jazz-Labels ESP, und eigentlich ist der Plan auch erst mal nur, eine Single aufzunehmen - letztendlich spielen die jungen Männer aber einfach munter drauflos und können der Welt am Ende eine (wenn auch kurze) LP präsentieren, die tatsächlich so klingt, als hätten die Musiker ihre jeweiligen Instrumente zum allerersten Mal in der Hand und würden, nicht zuletzt unter Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen, eine improvisierte Nummer nach der nächsten aus dem Ärmel schütteln. "Contact High with the Godz" hört sich stellenweise nach einem Spaziergang durch eine Musikschule an, in der gerade die Unterrichtsstunden für die Neulinge abgehalten werden. Wir hören Geräusche aus jedem Raum: Da knarzt eine Geige, da schrammelt jemand willkürlich auf einer Akustikgitarre herum, da gerät ein Schlagzeug aus dem Takt. Jemand versucht zu singen wie Dylan – und scheitert. Schließlich ergehen sich sämtliche Bandmitglieder bei "White Cat Heat" in nervenaufreibendem Gemaunze- und zum Abschluss wird dem Hank-Williams-Klassiker May You Never Be Alone Like Me mit einer, sagen wir, eigenwilligen Coverversion gehuldigt.




16. Jandek – Six & Six (1981)

Mit etwa 60 Studioalben seit Ende der 70er und etwa 70 Livealben seit 2005 dürfte Jandek einer der produktivsten Kunstschaffenden dieser Liste sein. Zugleich handelt es sich jedoch auch um einen der mysteriösesten. Viel nämlich ist nicht bekannt über den Musikus, der erst 2004 überhaupt zum ersten Mal live auftritt, nachdem er bereits mehr als 25 Jahre lang unter dem Pseudonym "Jandek" auf dem (mutmaßlich eigenen) Label "Corwood Industries" jährlich zumeist mindestens ein Album veröffentlicht hat: Interviews gibt das Phantom kaum, selbst sein bürgerlicher Name und sein Wohnort sind nicht einwandfrei entschleiert; nahe liegt immerhin, dass er irgendwo in der Gegend von Houston, Texas leben muss, denn dorthin führt die Spur eines Postfachs, über das man Jandek Bestellwünsche und Fanbriefe zukommen lassen kann. Obgleich Jandek der musikinteressierten Mehrheit gänzlich unbekannt ist, hat er doch mehrere Generationen an Indie-Musikern inspiriert: So erweisen ihm in der Vergangenheit unterschiedliche Personen und Bands wie Sonic Youth, Kurt Cobain oder Will Oldham die Reverenz. Jandeks Musik selbst ist - zumindest in den Anfangstagen, als er noch auf eine Begleitband verzichtet und sich noch weitgehend fernhält von Reminiszenzen an klassische Folk- oder Blues-Musik - so sperrig wie man nur sein kann, und gerade "Six & Six", sein zweites Album von 1981, (und das erste unter den Namen "Jandek", nachdem sein Debüt 1978 noch unter "The Units" Firmierte), stellt dafür ein anschauliches Beispiel dar, zählt es doch zu den unheimlichsten LPs, die ich jemals hören dürfte: Das Ganze erinnert stark an Gespenstergeschichten aus vorigen Jahrhunderten, die gerade wegen ihrer Subtilität und ihrer Andeutungen vielmehr zu erschrecken wissen als jeder freimütige Blick auf Gedärme und Gekröse. In den insgesamt neun Songs erschafft Jandek mit einer seltsam entrückten, monotonen Stimme, die die eines Gespenstes zu sein scheint, und uns vom Meer, von verflossenen Liebschaften, von dadaistisch anmutenden Phantasmagorien erzählt, mit seiner dissonant verstimmten und auf jedem Track im Prinzip gleich klingenden Akustikgitarre und, wie gesagt, ohne jedwede Backing-Klänge das musikalische Äquivalent zu einer Geisterphotographie aus dem 19. Jahrhundert. Dazu passt auch das Albumcover, das einem ähnlich frösteln lassendem Konzept gehorcht: Zu sehen ist wohl Jandek selbst, wie er von einem Schwarzweißbild direkt in die Kamera blickt. Nahezu alle seine Alben zeigen ihn in Gestalt solcher Photos - sodass man, wenn man seiner Diskographie chronologisch folgt, Zeuge werden kann, wie der Mann, der zum Zeitpunkt von "Six & Six" etwa 30 Jahre zählen dürfte, immer älter wird, dem Tod immer näherrückt - und dabei hat er schon auf seinem zweiten Album die Stimme eines ruhelosen Verstorbenen.


Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Fr 13. Sep 2024, 13:58
von Salvatore Baccaro
15. Alien Kids - Alien Rap: Songs About Life on the Planet Glumph (2008)

Gemeinhin steht das Hip-Hop-Genre ja für unverblümt vorgetragene Sozialkritik, für naturalistische Schilderungen des Lebens im Ghetto, für subversive Attacken gegen die (weiße) Mehrheitsgesellschaft, die sich in einer ordinären, zuweilen sexistischen und gewaltverherrlichenden Sprache äußern. Nichts davon freilich findet sich auf dem einzigen Album der "Alien Kids" aus dem Jahre 2008, das sämtliche dieser Elemente konsequent gegen den Strich bürstet: Statt Sozialkritik entführt uns das Werk, wie der Titel bereits verheißt, auf den (fiktiven!) Planeten Glumph, und lässt uns aus der Perspektive eines kleinen Jungen, der allnächtlich Besuch von seinem extraterrestrischen Freund erhält, teilhaben am Alltagsleben der dort Heimischen - wir erfahren, "how to make Alien fries", "how to make an Alien shake", "how to Make an Alien Burger", und, nicht zuletzt, "how to make Alien ice cream" -; statt derber Undeground-Beats schöpfen die Instrumentals hauptsächlich Inspiration aus Synth Funk und Space Disco; kein Rapper mit knurrender Stimme führt uns durch die knapp 40 Minuten Laufzeit, zu hören gibt es stattdessen hochgepitchte, nasale Alien-Stimmchen, die auf Dauer ausgesprochen nervtötend sein können; zu allem Überfluss handelt es sich auch noch um ein dezidiertes Erzeugnis für Kinderohren, wie bereits die Tagline auf dem Comic-Cover verkündet: "There is a special message on this CD for the kids of the Earth". Wie genau diese Botschaft ausschaut, habe ich oben bereits skizziert: Zum größten Teil drehen sich die insgesamt 9 Tracks um die kulinarischen Vorlieben der Glumphianer, weswegen ein Stück dann auch passenderweise "Alien Food" heißt; darüber hinaus kommen wir in den Genuss immerhin eines Lieds, das in der alien-eigenen Sprache "Glumpish" intoniert wird; und das Herzstück des Ganzen pustet eine kitschig-utopistische Friedensbotschaft in die Welt hinaus: "The Gret Message: How the Aliens transformend Glumph into a Peaceful and Happy Planet". Mastermind hinter dem Ganzen ist ein 1941 in Brooklyn geborener Musiklehrer namens Gerald Jay Markoe, der sich ansonsten offenbar primär durch klebrig-süßliche New-Age-Produktionen hervortat, und auf seinem eigenen Label "Creative Kids Productions" neben den Schlüssellochblicken auf die Speiseteller des Planeten Glumph lediglich noch einige Mozart-Aufführungen für Kinder veröffentlicht hat. Auf der Rückseite der CD kann man ihn hinter einem Xylophon sitzen sehen - zusammen mit einer Gruppe Kindern, die sich Alienmasken über die Köpfchen gezogen haben. Ob das Album nun als Parodie intendiert gewesen sein mag, ob Markoe wirklich der Meinung gewesen ist, seiner infantilen Hörerschaft einen großen Spaß zu bescheren, oder ob es ganz andere Gründe für die Produktion dieser Kuriosität gegeben hat - der Zahn der Zeit hat die Antworten auf all diese Fragen wohl längst weggenagt, und was bleibt sind hungrige Alien-Bäuchen, die mit Burgern, Eiskreme und Pommes gefüllt sein möchten.




14. Lullaby -My Master Lucifer (1993)

Das Cover vereint schon mal alles, was man sich von einem Album erwartet, das besonders EVIL daherkommen möchte: Der Name "Lullaby" ist in Lettern geschrieben, die ausschauen, als wollten sie ein Horror-B-Movie-Spektakel der 50er anpreisen, inklusive Dreizack als Y; rechts unten finden wir eine Art Wappen mit gleich mehreren Pentagrammen; links flattert ein Fledermäuschen durchs Bild, genauso den Anschein erweckend, eine Kinderhand hätte es gezeichnet wie die das Bild dominierende Teufelin, die ihr Geschlecht gut erkennbar mittels ihrer Brüste vor sich her trägt und augenscheinlich gerade der Kanalisation entsteigt; den Titel "My Master Lucifer" lesen wir vergleichsweise klein in roter Schrift hinter den beachtlichen Schwingen unserer Satanin. Es liegt nahe, hinter dem weiblichen Höllenbewohner ein Porträt der für vorliegendes Album verantwortlichen Künstlerin Lullaby Oliveira zu vermuten, eine brasilianische Metal-Lady, die unter anderem Bekanntheit dafür erlangte, dass sie ihre eigene Radioshow für extreme Klänge in ihrer Heimatstadt São Paulo hostete. Erwartungen, man bekäme es bei ihrem Frühwerk "My Master Lucifer" tatsächlich mit Dampfwalzenfanfaren aus den Sektoren Black oder Death Metal zu tun, werden schnell enttäuscht, und es stellt sich die legitime Frage, ob das, was Lullaby hier darbietet, denn überhaupt im strengeren Sinne als "Metal" klassifiziert werden kann: Im Grunde bestehen die Songs mit ihren markigen, jedoch wenig variationsreichen Titeln wie "Welcome Lucifer", "In the Name of the Devil" oder eben schlicht "Lucifer" aus jeweils einem doomigen Riff, das problemlos auch fünfzehn Jahre zuvor seinen Dienst für eine okkult angehauchte Hard- oder gar Prog-Rock-Band hätte tun können, einem monotonen Drumcomputer-Beat und dem "Gesang" Oliveiras, die sich darin erschöpft, ein gutturales, mit hoher Wahrscheinlichkeit elektronisch verfremdetes, das heißt, downgetuntes Grunzen zum Besten zu geben. Der Effekt, der damit erzielt wird, ist - zumindest für mich - weniger gänsehauterzeugend, vielmehr ausgesprochen unterhaltsam, denn nicht selten wirkt es, als würden sich die unterschiedlichen Komponenten in drei völlig unterschiedlichen, überhaupt nicht miteinander in Berührung stehender Universum stehen: Der Drumcomputer poltert unbeeindruckt vor sich hin; die Gitarren hören sich an, als seien sie aus einem ganz anderen Track herausgecuttet worden, verfallen plötzlich in Soli, wechseln unvermittelt zu atmosphärischem Akustikgezupfe; und über diesem Fundament stößt Lullaby scheinbar willkürlich ihr kehliges Knurren zu Ehren des Leibhaftigen aus. Wenn in der Hölle kein Platz mehr für weirde Musik ist, dann kehrt diese auf die Erde zurück!




13. John Duncan - 快楽逃避 (Pleasure Escape) (1985)

"I wanted to punish myself as thoroughly as I could. I’d decided to have a vasectomy, but that wasn’t enough: I wanted my last potent seed to be spent in a dead body. I made arrangements to have sex with a cadaver. I was bodily thrown out of several sex shops before meeting a man who set me up with a mortician’s assistant in a Mexican border town." So beschreibt Performance- und Klangkünstler die Entstehungsgeschichte des Tracks "Blind Date", der 1980 im Rahmen eines Art-Festivals in Los Angeles als Radio Broadcast übertragen wird, und sich fünf Jahre später als erste Hälfte der Kassettenveröffentlichung "Pleasure Escape" wiederfindet. Auf Duncans Website wird der "künstlerische Akt", der die Grundlage des höchst kontroversen Tondokuments bilden soll, wiederum in folgenden nüchternen Worten dargestellt: "In May of 1980, Duncan performed what would be the most controversial artistic act of his career, Blind Date, in which he travelled to Tijuana to purchase a female corpse, with which he had sex. Shortly thereafter, he had a vasectomy so that his last potent seed was incinerated with the cadaver. Blind Date transformed him into a Los Angeles pariah." Tatsächlich besteht die etwa Viertelstunde, die "Blind Date" dauert, größtenteils aus Geräuschen, die im Grunde alles oder nichts sein könnten - was die Authentizität von Duncans vorgeblicher Nekrophilie schon früh in Frage stellt: Wir hören die meiste Zeit das Rascheln und Rauschen von etwas, das wie eine Plastikplane klingt, dazwischen vereinzelt männliche Keuch- und Stöhngeräusche, und sehr, sehr viel Stille: Sicher, es kann sein, dass Duncan, der gerade in seiner Sturm-und-Drang-Phase nun wirklich nicht für besonders magenschonende Performances bekannt ist, wirklich einen anonymen Frauenleichnam begattet hat, genau so gut kann es aber sein, dass es sich bei dem Ganze um einen mehr oder minder elaborierten Hoax handelt, der letztendlich gar den Kunstbetrieb selbst bloßstellt, (ob nun gewollt oder nicht), wenn er selbst den Sex mit einem Leiche zur Disposition stellt, als große Kunst (TM) debattiert zu werden. Ebenso probat ist es aber sicher, die Chose rein als plumpe Provokation aufzufassen - zumal Kassettenseite No. 2 dann aus dem Soundtrack eines von Duncan imaginierten Films namens "Move Forward" besteht, und uns mit einer reichlich plakativen Noise Collage verwöhnt, in die Duncan Samples des berüchtigten "Death Tapes" von Jonestown, Guyana verwoben hat, sowie Aufnahmen wohl seiner eigenen Selbstbefriedigungsgeräusche. Ehrlich gesagt möchte ich den zugehörigen Film zu Duncans Kopfkino eigentlich niemals realisiert sehen, und auch nicht wissen, wie der Artist, der erklärt, Anlass für seine "Blind-Date"-Performance sei ordinärer Herzschmerz gewesen, darauf reagiert, wenn ihm im Leben mal etwas wirklich außerordentlich Schlimmes jenseits von Liebesangelegenheiten widerfährt.




12. Ruins - Ruins 1986-1992 (2001)

Es kommt selten vor, dass eine einzige Band ein ganzes Genre begründet. Genau das tun allerdings die Franzosen von Magma rund um Bandleader und Schlagzeuger Christian Vander: Ende der 60er beginnt man noch als recht herkömmliche Jazz-Combo, dann erfindet Vander mit Kobaia eine eigene Sprache, einen eigenen Sci-Fi-Mythos rund um dieselbe, und mit Zeuhl (was auf Kobaianisch so viel wie "himmlische Musik" bedeuten soll) eine eigene musikalische Ausdrucksform, die hauptsächlich auf dem spirituellen Jazz eines John Coltrane und die frenetische Chormusik eines Carl Orff basiert, wobei man jedoch auch knietief im zeitgenössischen Progressive Rock watet. Während Magma ab den ausklingenden 70ern zunehmend kommerziellere Pfade einschlagen,irgendwann den Bandbetrieb über längere Zeiträume ganz einstellen, fällt das Zeuhl-Konzept nicht nur in ihrer Heimat Frankreich, sondern vor allem in Japan auf fruchtbaren Boden: Gerade im ostasiatische Inselstaat erblühen ab den 80ern Bands mit Namen wie Bondage Fruit oder Koenjihyakkei, die die sowieso für Mainstream-Ohren wenig bekömmliche Magma'sche Formel gemäß einer Überbietungsästhetik noch weiter ins Extreme und Bizarre steigern: Noch wildere Taktwechsel, noch schrillere Gesangsstimmen, noch chaotischere Instrumentierung! Mit Gründungsjahr 1985 dürfte Ruins eine der frühsten japanischen Zeuhl-Bands sein - und eine der herausforderndsten. Etikette wie "Brutal Prog" oder "Punk Zeuhl" sind nicht übertrieben, wenn Schlagzeuger Tatsuya Yoshida über die Bandhistorie hinweg mit wechselnden Bassisten als Power-Duo klassische Zeuhl-Klänge mit der Aggressivität, Junvenilität, Rotzigkeit von Punkmusik verbindet. Wundervoll zeigt die 2001 erschienene Zusammenstellung "Ruins 1986-1992" auf, welche Noise-Orgien allein ein einzelner Bass und ein einzelnes Schlagzeug zu entfachen imstande sind. Auf die Dauer von 72 Minuten dürfte dies dann auch eins der wenigen Alben sein, die ich niemals in meinem Leben komplett habe durchhören können: Eigenartige Lautäußerungen menschlicher Stimmen in einer erfundenen, Kobaia ähnelnden Sprache, das heißt: Schreie, Grunzen, Falsetto; ein Schlagzeug, das unsere Ohren zu Brei hauen möchte; ein Bass, derart druckvoll, dass es einem den Magen umzudrehen vermag. "Outburn" heißt gleich der erste Track der Sammlung - und damit beginnt die Tour de Force gerade erst!




11. Peter Brötzmann - Machine Gun (1968)

"This machine kills fascists!", hatte Woody Guthrie einst auf seiner Gitarre stehen. Peter Brötzmanns Saxophon indes tötet nicht nur Faschisten, sondern ist ein amoklaufendes Maschinengewehr, das alles und jeden, das ihm vor die Flinte gerät, erbarmungslos über den Haufen schießt, egal, welche politische Richtung der oder diejenige hat, egal, ob es sich um Witwen und Waisen handelt. Zusammen mit den Musikanten seines Oktetts treibt uns der gebürtige Remscheider bis zu dem Punkt, wo Musik körperliche Schmerzen bereitet. Wer schon den Free Jazz eines Ornette Coleman kaum aushält, bekommt von Brötzmann einen gezielten Kopfschuss versetzt. Nicht umsonst prangt auf dem Albumcover das Bild eines GIs hinter seinem Maschinengewehr, das der gelernte Grafiker Brötzmann selbst entworfen hat, daneben die Definition: "machine gun: automatic gun for fast, continuous firing." Besser könnte man das Chaos gar nicht beschreiben, das einen nicht nur auf dem 17-minütigen Titeltrack, sondern auch auf den beiden die zweite LP-Seite füllenden Stücken "Responsible" sowie "Music for Han Bennink I" heillos umfängt. Um dem infernalischen Lärm einen politischen Subtext unterjubeln zu können, muss man nicht mal wissen, dass Brötzmann als engagierter Kriegsgegner Ende der 60er desertierenden Soldaten der US Army, die ihrer Einberufung gen Vietnam entgehen wollten, Unterschlupf in seinem Wuppertaler Domizil gewährte: Wenn Animas "Stürmischer Himmel" (Platz 26) mit seinen pastoralen Kakophonien für die positiv grundierte Aufbruchstimmung Ende der 60er steht, für die utopische Vorstellung, dass bald alle Erdenkinder mit selbstgezimmerten Instrumenten inmitten von Schafsherden und Jointdünsten dem Weltfrieden ein Ständchen werden darbringen können, dann stellt das Jahre zuvor veröffentlichte Album Brötzmanns den kompletten Gegenentwurf hierzu da, und malt rein akustisch eine Welt der ständigen Todesdrohung, der Zerstörung, der Gewalt, sodass man sich nach dem Genuss von "Machine Gun" selbst fühlt, als sei gerade eine Kolonne Kettenfahrzeuge über einen drübergebraust.


Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: So 22. Sep 2024, 20:24
von Salvatore Baccaro
Das Forentreffen nähert sich auf Gazellenbeinen, und wir erklimmen nunmehr den Olymp der musikalischen Weirdness...

10. Diamanda Galas - The Litanies of Satan (1982)

"People ask me (about) my influences, I would have to say Patty Waters. They say other people and I say, Nahh, Patty Waters, listen to Patty Waters. I listened to her twice. That's all it took for some grain of inextricable influence."Dies lässt die griechischstämmige Avantgarde-Performerin Diamanda Galas in einem Interview Ende der 90er verlauten. Von dem Augenzwinkern, das bei der Aussage mitschwingt, sie habe Patty Waters (#28) immerhin zweimal hören müssen, um zu einem eigenen Gesangsstil zu finden, schwingt in Galas' Oeuvre kaum einmal mit. Stattdessen bewegen mir uns beim Kosmos der 1955 in San Diego geborenen Gothic-Ikone in wahrhaft infernalischen auditiven Bereichen, wo einem jedwedes Schmunzeln schnell in den Mundwinkeln gefriert. Galas besitzt nicht nur eine Stimme geradewegs aus der Hölle, sondern setzt sie zumeist auch ein wie ein Folterwerkzeug oder ein Rasiermesser, das ihrer Hörerschaft langsam die Trommelfelle zerschlitzen soll. Schon ihr Debüt macht keine Gefangene: Zwei Stücke sind auf "The Litanies of Satan" enthalten - zum einen eine Vertonung des gleichnamigen Gedichts von Charles Baudelaire aus dessen für die Gothic-Kultur ebenfalls nicht unrelevantem "Fleurs-du-Mal"-Zyklus von 1857, zum andern mit "Wild Women with Steak-Knives" einen, wie der Untertitel verheißt, "Homicidal Love Song for Solo Scream". Während Frau Galas bei der Baudelaire-Werkbearbeitung Industrial-Klänge voller elektronisch erzeugtem Maschinenlärm und magenzerdrückenden Drones mit schaurigsten Beschwörungsgesängen paart und das Ganze sich dementsprechend noch vergleichsweise abwechslungsreich und faszinierend gestaltet, sofern man denn musikalischem Noise auch nur einen Hauch abzugewinnen vermag, dürfte "Wild Women with Steak-Knives" wohl nur für eine Handvoll Auserwählte in seiner gesamten fünfzehnminütigen Schön- oder Schrecklichkeit zu ertragen sein. Hier gibt Diamanda Galas nämlich alles, lässt ihre Stimme sekundenweise splittriges Glas in die Atmosphäre pusten, jault, stöhnt, brüllt, überschlägt sich, jammert, knurrt, presst Laute aus ihrer Kehle, von denen zumindest ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass eine menschliche Stimme überhaupt dazu fähig ist, sie jenseits eines kirchlich angeordneten Exorzismus auszustoßen. Ein Album, das man alle paar Jahre mal aus dem Regal zieht und allein aufgrund seiner Erinnerungen sowohl Gänsehaut wie Tinnitus bekommt.




09. Vanilla Fudge - The Bear Goes On (1968)

Solch ein Album konnte möglicherweise nur Ende der 60er entstehen: Die aufstrebende US-Rockband Vanilla Fudge, die ihr erstes Album vor allem mit musikalisch ausufernden Coverversionen bestritt, legt mit ihrem Zweitling "The Beat Goes On" einen eigentümlichen auditiven Trip vor, wie sie selbst in den traditionsbrechenden Umwälzungen der 68er ihresgleichen sucht: Das Album ist in vier Phasen unterteilt. In der ersten bekommen wir Nachhilfe in Sachen Musikhistorie. Jeweils nur wenige Sekunden lang covern Vanilla Fudge verschiedenste Musikstücke von Bach über Elvis bis zu den Beatles und schustern sie zu einer sprunghaften Collage zusammen. In Phase zwei hält man sich etwas mehr zurück, denn hier treffen nunmehr einzig der Popsong "The Beat Goes On" von Sonny & Cher, der sich sowieso als Leitmotiv durch das gesamte Album zieht, und "Für Elise" bzw. die Mondscheinserenade Beethovens antipodisch aufeinander. In der erneuten Collage von "Phase three" wird uns sodann Geschichtsunterricht erteilt. Fast zehn Minuten lang werden die verschiedensten historisch bedeutsamen Stimmen des 20.Jahrhunderts (Churchill, Hitler, Roosevelt, Kennedy) gemixt. In "Phase four" gibt sich endlich die Band selbst die Ehre: man interviewt sich gegenseitig, befragt sich zu essentiellen Dingen wie der Lieblingseiscremesorte und zur Meinung bezüglich des Vietnamkriegs, liest Geschichten aus der Bibel vor oder schreit und albert einfach nur herum - mit der Konklusion, dass sich eines der Bandmitglieder als der wiedergeborene Messias outet. Kann man sich nicht ausdenken.




08. Demetrio Stratos - Cantare la voce (1978)

Lange Jahre fungierte der 1945 in Alexandria geborene Grieche Demetrio Stratos als Sänger der linkspolitischen italienischen Jazz-Prog-Rock-Formation "Area", die sich ausgehend von ihrem fulminanten Debütalbum mit dem provozierenden Titel "Arbeit macht frei" sukzessive in immer experimentellere Sphären vorwagte. Mit seinem 1978 veröffentlichten Solo-Opus "Cantare la voce" stellt Stratos an Avantgardeklängen allerdings so ziemlich alles in den Schatten stellt, was seine Stammband bis dahin fabriziert hatte. Stratos, ein Stimmakrobat wie es kaum einen Zweiten gibt, beweist auf "Cantare la voce", zu was seine Stimmbänder so alles fähig sind - weswegen ihm auf dem gezeichneten Cover-Portrait auch ein zweiter Mund in Kehlkopfhöhe gewachsen ist. Ohne die Hinzunahme jedweder Instrumente, sprich, als reines A-Capella-Werk konzipiert, grunzt, keucht, jodelt, schreit, maunzt, röchelt oder wispert Stratos hier in einer Art und Weise, dass es ständig zwischen genial-faszinierend und alptraum-nervtötend oszilliert: in erstere Kategorie fällt es, wenn er es tatsächlich vollbringt, orientalische Blasinstrumente derart perfekt rein mit seiner Stimme nachzuahmen, dass es zunächst schwer fällt zu glauben, dass diese Laute jemandes Kehle entspringen sollen; in zweite Kategorie eingeordnet werden muss es, wenn Stratos sich völlig seiner Stimmakrobatik hingibt und einen ohrenbetäubenden Ton nach dem andern produziert, als ginge es um sein Leben, und das Ganze sich dank seines Abstraktionsgrad so weit wie möglich entfernt von dem, was die meisten Menschen überhaupt noch als "Musik" bezeichnen würden. Auch Statos stirbt jung, erliegt bereits 1979 einem Krebsleiden, weswegen wir nie erfahren werden, ob es möglich gewesen wäre, diese Ansammlung humaner Lärmereien noch irgendwie zu toppen.




07. Tim Buckley - Starsailor (1970)

Das Cover von Tim Buckleys insgesamt sechstem Studioalbum könnte durchaus ironisch intendiert sein: Da sitzt der 23jährige Musikus, der sich ab Mitte der 60er als Folk-Barde einen Namen machte und sodann immer weiter in den Hörgewohnheiten der breiten Masse feindlich gesonnene Gefilde abdriftete, breit grinsend vor einer Hauswand. Wohl nicht wenige Menschen, die Buckley für gefühlvolle Akustikballaden schätzten, dürften schon beim Eröffnungstrack "Come Here Woman" die Haare zu Berge gestanden haben: Bereits auf den beiden Vorgängeralben "Blue Afternoon" und insbesondere "Lorca" experimentiert Buckley mit freien Songstrukturen, umgibt sich mit improvisationsfreudigen Jazzmusikanten, ringt vor allem seiner Stimme alle möglichen Lautäußerungen von Schreien, Grunzen, elegischem Jammern ab. Die Art und Weise, wie er indes auf seinem Opus Magnum "Starsailor" quasi die westliche Popmusik neu erfindet, beziehungsweise einfach so tut, als wisse er nichts von Konventionen und Regeln, macht noch heute staunen. Zwar findet sich auf "Starsailor" auch Buckleys wohl bekanntester Song, nämlich "Song for the Siren", der seither oft und gerne von unterschiedlichen Solo-Artists und Bands gecovert wurde, dieser ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen aber schon einige Jahre alt - und auch der französischsprachige Bordellschlager "Moulin Rouge" verschafft nur eine kurze (und diesmal wohl ganz sicher ironisch gemeinte) Verschnaufpause von den übrigen sieben Tracks, in denen Buckley mehr oder minder alles dekonstruiert und destruiert, was Popmusik Ende der 60er gemeinhin ausmacht: In "Monterey" hören wir ihn zu einem monotonen Gitarrenriff wie ein Äffchen, wie Tarzan schreien; "I Woke Up" wirkt, als stünde der Song jeden Moment davor, einfach auseinanderzufasern, wobei Buckleys extrem mäandernder Gesang die chaotische Instrumentierung sowieso nur notdürftig zusammenhält; der Titeltrack gar setzt sich allein aus Vokalakrobatik zusammen, die Buckley zu allem Überfluss auch noch nachträglich elektronisch verfremdet und verzerrt hat. Für mich ist "Starsailor" eines der besten Alben aller Zeiten, für die alten Fans eine Enttäschung, für das Label ein finanzieller Misserfolg. Erst zwei Jahres später kehrt Buckley mit "Greeting from L.A." zurück, einem Funk- und Rhythm-&-Blues-Album voller versauter Lyrics, das genauso ostentativ nach Kommerz schielt wie seine letzten beiden (desaströsen) Alben "Sefronia" (1973) und "Look at the Fool" (1974). 1975 stirbt Buckley an einer Überdosis Heroin, noch keine 30 Jahre alt.




06.Blue Rahn Studio - Pachinko in Your Head (Non-Linear Music) (1998)

Eine "imaginäre Sinfonie in einer Spielhalle mit hunderten Pachinko-Automaten" nennt ein Beitrag von Deutschlandfunk Kultur euphorisch das Klangexperiment, mit dem der Künstler Eckart Rahn 1998 unter dem Titel "Pachinko in Your Head" an die Öffentlichkeit tritt - und tatsächlich besteht das Album aus einem einzigen einstündigen Track, auf dem Rahn die Geräusche zahlloser japanischer Spielautomaten zu einer einzigen Soundlawine collagiert hat. Wer eine Glücksspielhölle allein wegen der dortigen Klanglandschaften aufsucht, und weniger, um Geld zu gewinnen oder zu verlieren, dem erspart das Release den Gang vor die Tür; wen schon das Gezirpe und Geplärre des einarmigen Banditen in der Ecke der Stammkneipe zuweilen gehörig auf den Nerven geht, dürfte in diesem Album seinen Endgegner finden. Rahn freilich grundiert das Werk mit philosophischen Überlegungen: "Fascinated with the chaos theory (seemingly random events) which when encountered in very large numbers establish a new order of predictability if not beauty and symmetry. Everyone can relate to the sound of raindrops hitting a tin roof, and in that sound a pattern - or rhythm - seems to emerge." Artworktechnisch schick wurde "Pachinko in Your Head" übrigens als Metalldose vertrieben - vielleicht, damit man sich mit dieser, wenn man den Krach nicht mehr aushält, flugs den Schädel einschlagen kann.


Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Mo 23. Sep 2024, 21:38
von Reinifilm
Salvatore Baccaro hat geschrieben: So 22. Sep 2024, 20:24 06.Blue Rahn Studio - Pachinko in Your Head (Non-Linear Music) (1998)

Eine "imaginäre Sinfonie in einer Spielhalle mit hunderten Pachinko-Automaten" nennt ein Beitrag von Deutschlandfunk Kultur euphorisch das Klangexperiment, mit dem der Künstler Eckart Rahn 1998 unter dem Titel "Pachinko in Your Head" an die Öffentlichkeit tritt - und tatsächlich besteht das Album aus einem einzigen einstündigen Track, auf dem Rahn die Geräusche zahlloser japanischer Spielautomaten zu einer einzigen Soundlawine collagiert hat. Wer eine Glücksspielhölle allein wegen der dortigen Klanglandschaften aufsucht, und weniger, um Geld zu gewinnen oder zu verlieren, dem erspart das Release den Gang vor die Tür; wen schon das Gezirpe und Geplärre des einarmigen Banditen in der Ecke der Stammkneipe zuweilen gehörig auf den Nerven geht, dürfte in diesem Album seinen Endgegner finden. Rahn freilich grundiert das Werk mit philosophischen Überlegungen: "Fascinated with the chaos theory (seemingly random events) which when encountered in very large numbers establish a new order of predictability if not beauty and symmetry. Everyone can relate to the sound of raindrops hitting a tin roof, and in that sound a pattern - or rhythm - seems to emerge." Artworktechnisch schick wurde "Pachinko in Your Head" übrigens als Metalldose vertrieben - vielleicht, damit man sich mit dieser, wenn man den Krach nicht mehr aushält, flugs den Schädel einschlagen kann.

Manchmal gibt es wirklich bizarre Zufälle… genau diese CD lag heute inklusive der schicken Metaldose in dem Büchertauschschrank bei meiner Wohnung… :???:

Wer sie haben will - ich könnte sie mit nach Hannover bringen. :D

Re: Salvatores 50 schönste Skurrilitäten aus der musikalischen Monstrositätenkammer

Verfasst: Mo 23. Sep 2024, 21:43
von Salvatore Baccaro
Reinifilm hat geschrieben: Mo 23. Sep 2024, 21:38
Salvatore Baccaro hat geschrieben: So 22. Sep 2024, 20:24 06.Blue Rahn Studio - Pachinko in Your Head (Non-Linear Music) (1998)

Eine "imaginäre Sinfonie in einer Spielhalle mit hunderten Pachinko-Automaten" nennt ein Beitrag von Deutschlandfunk Kultur euphorisch das Klangexperiment, mit dem der Künstler Eckart Rahn 1998 unter dem Titel "Pachinko in Your Head" an die Öffentlichkeit tritt - und tatsächlich besteht das Album aus einem einzigen einstündigen Track, auf dem Rahn die Geräusche zahlloser japanischer Spielautomaten zu einer einzigen Soundlawine collagiert hat. Wer eine Glücksspielhölle allein wegen der dortigen Klanglandschaften aufsucht, und weniger, um Geld zu gewinnen oder zu verlieren, dem erspart das Release den Gang vor die Tür; wen schon das Gezirpe und Geplärre des einarmigen Banditen in der Ecke der Stammkneipe zuweilen gehörig auf den Nerven geht, dürfte in diesem Album seinen Endgegner finden. Rahn freilich grundiert das Werk mit philosophischen Überlegungen: "Fascinated with the chaos theory (seemingly random events) which when encountered in very large numbers establish a new order of predictability if not beauty and symmetry. Everyone can relate to the sound of raindrops hitting a tin roof, and in that sound a pattern - or rhythm - seems to emerge." Artworktechnisch schick wurde "Pachinko in Your Head" übrigens als Metalldose vertrieben - vielleicht, damit man sich mit dieser, wenn man den Krach nicht mehr aushält, flugs den Schädel einschlagen kann.

Manchmal gibt es wirklich bizarre Zufälle… genau diese CD lag heute inklusive der schicken Metaldose in dem Büchertauschschrank bei meiner Wohnung… :???:

Wer sie haben will - ich könnte sie mit nach Hannover bringen. :D
Ja, das Artwork ist toll! Kann ich nur empfehlen! Wirf sie doch in die Lostrommel, Reini... :D