Seite 2 von 4
Re: Das Wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Mi 9. Feb 2011, 13:54
von buxtebrawler
ugo-piazza hat geschrieben:Paolo Cavaras wütende Abrechnung mit Gualtiero Jacopetti, zu dessen Team auch Cavara gehört hatte. Für mich immer noch einer DER Italofilme überhaupt.
Kenne weder sonderlich viele Mondos, noch diesen Film (bis jetzt). Behauptet Cavara, dass Jacopetti für seine Filme so vorgegangen ist, wie Paolo in dieser Geschichte?
Hab die DVD sicherheitshalber schon mal auf die Einkaufsliste gesetzt...
Re: Das Wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 10. Feb 2011, 13:27
von CamperVan.Helsing
buxtebrawler hat geschrieben:ugo-piazza hat geschrieben:Paolo Cavaras wütende Abrechnung mit Gualtiero Jacopetti, zu dessen Team auch Cavara gehört hatte. Für mich immer noch einer DER Italofilme überhaupt.
Kenne weder sonderlich viele Mondos, noch diesen Film (bis jetzt). Behauptet Cavara, dass Jacopetti für seine Filme so vorgegangen ist, wie Paolo in dieser Geschichte?
Direkt
behauptet nun nicht, aber es gab wohl schon Gerüchte (oder auch mehr, hab kein Bock zu recherchieren), dass manche Hinrichtung speziell für Jacopettis Kamera "getimt" worden wäre.
Ich hab übrigens auch nichts von Jacopetti und anderen Mondo-Konsorten gesehen, und hab auch nicht vor, das zu ändern.
Re: Das Wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Di 1. Mär 2011, 01:13
von Santini
Die damalige dt. Kinofassung und die VHS-Auswertungen hatten noch jeweils eine Freigabe ab 18 Jahren.
Die DVD hat eine Freigabe ab 12 Jahren.
Persönlich bin ich der Meinung eine Freigabe ab 16 Jahren hätte damals wie heutzutage bestens gepaßt.
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 20:45
von buxtebrawler
„Die Leute sind masochistisch und sadistisch. Ein Mädchen, das ein Gewehr in Anschlag bringt, erregt ihren Masochismus. Dasselbe Mädchen, hilflos und unbewaffnet, ihren Sadismus. Nicht gute oder schlechte Filme gibt es, sondern nur solche mit oder ohne diesen Nervenkitzel. Und durch diesen Reiz vergessen sie all den Blödsinn in den restlichen 2000 Metern eines Films.“
Italo-Regisseur Paolo Cavaras Drama „Das wilde Auge“ aus dem Jahre 1967 war ganz offensichtlich als Abrechnung mit seinem Kollegen Gualtiero Jacopetti gedacht, mit dem zusammen er sog. Mondofilme drehte, sensationslüsterne Dokumentarfilme von zweifelhaftem inhaltlichen Wert und Wahrheitsgehalt sowie moralisch fragwürdig – quasi die Vorläufer des heutigen Privatfernsehens.
Paolo (Philippe Leroy, „Milano Kaliber 9“, „Nikita“) ist ein ebensolcher Filmemacher und zudem ein zynisches, kaltschnäuziges, sexistisches Zerrbild eines Journalisten. Es beginnt noch relativ harmlos mit gestellten Szenen („Die Wirklichkeit ist langweilig. Lügen wollen die Leute sehen.“), doch für seine sensationellen Realaufnahmen geht er über Leichen, aber auch bis an seine eigenen Grenzen – es scheint, als bewerte er einen gelungenen Film höher als sein eigenes Leben. So wird einem buddhistischen Mönch nahegelegt, sich vor laufender Kamera aus Protest zu verbrennen, wird Einfluss auf ein Erschießungskommando genommen, um möglichst kameragerechte Bilder zu bekommen und begibt er sich in die unmittelbare Nähe einen geplanten Bombenanschlags, um „live dabei“ sein und entsprechendes Filmmaterial einfangen zu können. Während einer Safari lernt er Barbara (Delia Boccardo, „Bratpfanne Kaliber 38“) kennen, die ihm bald verfällt. Paolo übt eine eigenartige Faszination auf die erlebnishungrige, reiche Frau aus und die Beziehung zwischen beiden bietet viel Raum für einen tieferen Einblick in die Gedankenwelt eines desillusionierten Zynikers.
Trotz seiner Thematik ist „Das wilde Auge“ ein ruhig erzählter Film (und kein „Action-Thriller“, wie ein deutsches VHS-Cover glauben machen wollte), der viel Wert auf durchdachte Dialoge legt. Einige davon erscheinen eher mit der groben Brechstange getreu dem Motto „Übertreibung veranschaulicht“ denn mit dem feinen Federkiel geschrieben worden zu sein und sind – zumindest aus heutiger Sicht - dementsprechend plakativ und vorhersehbar, andere ausformulierte Thesen sind aber überraschend interessant und verhelfen Paolos Charakter zu mehr Tiefgang sowie im Optimalfall der Reanimation der grauen Zellen des Zuschauers, will sagen: regen zum Nachdenken an. Fast gänzlich der Abstraktionsfähigkeit des Zuschauers überlassen bleibt hingegen, was genau es ist, das Barbara so sehr zu Paolo hinzieht. Seine Waghalsigkeit und Verwegenheit, die Abwechslung und Action in ihrem langweiligen Luxusleben verspricht? Die Faszination „des Bösen“? Eine masochistische Ader? Oder glaubt sie, unter der rauen Oberfläche einen tief verletzten, vom Leben enttäuschten, sensiblen Mann zu finden, wenn sie nur lange genug danach gräbt? All das steht höchstens irgendwo zwischen den Zeilen geschrieben und eröffnet sich mir vielleicht während einer Zweitsichtung.
Die Gratwanderung, in einem Film, der das kommerzielle Ausschlachten realen Leids kritisiert, nicht selbst (wenn auch nachgestelltes) Leid als unterhaltsame Schauwerte zu präsentieren, gelingt Cavara, indem er die exotischen Drehorte bzw. Kulissen gerade weit genug in den Hintergrund rückt, dass sie ihre atmosphärische Wirkung nicht verlieren und sich in erster Linie seinen Protagonisten widmet. Interessant ist dabei nämlich auch das (Abhängigkeit-)Verhältnis zwischen Paolo und seinem Kameramann bzw. Assistenten. Letzterer hegt immer mehr Zweifel an der Richtigkeit Paolos Handelns, bis es in Vietnam zu einem offenen Konflikt kommt.
In Vietnam wurde das Finale des Films angesiedelt, wo sich Paolos Zynismus mit dem des verbrecherischen Kriegs vermengt bzw. prima ergänzt und ich meine, einen vietnamkriegskritischen Subtext ausgemacht zu haben. Die Pointe ist tragisch, symbolträchtig und kaum vorhersehbar, wird hier aber natürlich nicht verraten.
Cavara gelingt es, Philippe Leroy häufig mit der eigenwilligen Mischung aus Nachdenklichkeit und Leere im Blick in Szene zu setzen, wie sie bei Menschen zu beobachten ist, die wissen, dass sie ihr Handeln eigentlich in Frage stellen sollten, dieses aber nicht wollen oder können. All das geschieht vor einem sehr realen Hintergrund und ist vermutlich auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Cavaras, hat aber auch heutzutage kaum an Aktualität eingebüßt – auch, wenn keine klassischen Mondofilme mehr gedreht werden. Insgesamt entsteht ein düsteres Bild einer zynischen Welt gepaart mit einer seltsamen, fast schon Endzeit-Romantik, Paolo zieht einen in seine eigenen Abgründe mit hinein. Definitiv ein Film, der einen höheren Bekanntheitsgrad verdient und dessen erneute Sichtung hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lassen wird.
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 22:10
von Adalmar
Tut mir leid, dass ich noch mal meckern muss.
buxtebrawler hat geschrieben:Italo-Regisseur Paolo Cavaras Drama „Das wilde Auge“ aus dem Jahre 1967 war ganz offensichtlich als Abrechnung mit seinem Kollegen Gualtiero Jacopetti gedacht, mit dem zusammen er sog. Mondofilme drehte, sensationslüsterne Dokumentarfilme von zweifelhaftem inhaltlichen Wert und Wahrheitsgehalt sowie moralisch fragwürdig – quasi die Vorläufer des heutigen Privatfernsehens.
Klingt wie vom katholischen Filmdienst. Hast du denn mal was von Jacopetti gesehen? "Das wilde Auge" kann man sich aus meiner Sicht durchaus antun, aber wenn jemand mich fragen würde, ob er den oder lieber irgendeinen Jacopetti-Mondo sehen sollte, riete ich eindeutig zu letzterem, da die Jacopetti-Mondos berauschende künstlerische Collagen einer ganz eigenen Stilistik sind, die in der Filmgeschichte nicht ihresgleichen haben. Abgesehen von diesem m. E. völlig daneben liegenden Absatz finde ich deine Rezension gelungen.
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 22:20
von Nello Pazzafini
Adalmar hat geschrieben:Tut mir leid, dass ich noch mal meckern muss.
buxtebrawler hat geschrieben:Italo-Regisseur Paolo Cavaras Drama „Das wilde Auge“ aus dem Jahre 1967 war ganz offensichtlich als Abrechnung mit seinem Kollegen Gualtiero Jacopetti gedacht, mit dem zusammen er sog. Mondofilme drehte, sensationslüsterne Dokumentarfilme von zweifelhaftem inhaltlichen Wert und Wahrheitsgehalt sowie moralisch fragwürdig – quasi die Vorläufer des heutigen Privatfernsehens.
Klingt wie vom katholischen Filmdienst. Hast du denn mal was von Jacopetti gesehen? "Das wilde Auge" kann man sich aus meiner Sicht durchaus antun, aber wenn jemand mich fragen würde, ob er den oder lieber irgendeinen Jacopetti-Mondo sehen sollte, riete ich eindeutig zu letzterem, da die Jacopetti-Mondos berauschende künstlerische Collagen einer ganz eigenen Stilistik sind, die in der Filmgeschichte nicht ihresgleichen haben. Abgesehen von diesem m. E. völlig daneben liegenden Absatz finde ich deine Rezension gelungen.
danke Adalmar, du sprichst aus meinem Jacopetti verseuchten Herzen
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 22:41
von buxtebrawler
Adalmar hat geschrieben:Klingt wie vom katholischen Filmdienst. Hast du denn mal was von Jacopetti gesehen? "Das wilde Auge" kann man sich aus meiner Sicht durchaus antun, aber wenn jemand mich fragen würde, ob er den oder lieber irgendeinen Jacopetti-Mondo sehen sollte, riete ich eindeutig zu letzterem, da die Jacopetti-Mondos berauschende künstlerische Collagen einer ganz eigenen Stilistik sind, die in der Filmgeschichte nicht ihresgleichen haben.
Ja, hab ich. Ich hab in die "Mondo Cane"-Dinger mal reingeschaut und "Addio Onkel Tom" gesehen. Mit ersteren konnte ich nichts anfangen, mit letzterem schon eher, siehe den entsprechenden Thread. Ich hab mich vielleicht etwas sehr verallgemeinernd ausgedrückt, bleibe aber bei meiner Abneigung gegen pseudodokumentarische Vermischungen von gestellten Szenen und realen Aufnahmen von Hinrichtungen etc., angereichert mit ein paar alibimäßigen Kommentaren aus dem Off, die einem sensationslüsternen Publikum dargereicht werden. Und sollten Jacopetti und sein Team seinerzeit auch nur ansatzweise so vorgegangen sein wie in diesem Film dargestellt, bin ich mir von mir aus auch gerne einig mit dem katholischen Filmdienst.
Sollten das und die hier z.B. von ugo angesprochenen Gerüchte aber alles bösartige Verleumdungen sein, lasse ich mich gern eines Besseren belehren.
Ansonsten verwehre ich mich aber dagegen, reflexartig in einem Atemzug mit bigotten Moralisten genannt zu werden, weil man mal etwas moralisch fragwürdig findet und einem nicht alles scheißegal ist.
Abgesehen von diesem m. E. völlig daneben liegenden Absatz finde ich deine Rezension gelungen.
Danke.
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 23:12
von Adalmar
buxtebrawler hat geschrieben:Ich hab mich vielleicht etwas sehr verallgemeinernd ausgedrückt, bleibe aber bei meiner Abneigung gegen pseudodokumentarische Vermischungen von gestellten Szenen und realen Aufnahmen von Hinrichtungen etc., angereichert mit ein paar alibimäßigen Kommentaren aus dem Off
Da kannst du auch gerne abgeneigt sein, aber so sind die Filme ja nun mal überhaupt nicht. Zum einen ist der Kommentar sehr pointiert, eloquent, ausführlich und alles andere als alibimäßig. Zudem spielt Gewalt nicht eine so große Rolle in den Filmen, wie es manche Kommentare hier scheinen lassen. In "Mondo Cane" werden z. B. alle möglichen Auswüchse der Zivilisation gezeigt, keineswegs auf Gewalt fokussiert oder gar beschränkt.
Und sollten Jacopetti und sein Team seinerzeit auch nur ansatzweise so vorgegangen sein wie in diesem Film dargestellt
Das kann ich dir natürlich auch nicht sagen, aber ich wüsste zumindest mal gerne, wo genau die von Jacopetti angeblich mit inszenierten Hinrichtungen zu sehen sein sollen.
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 23:18
von buxtebrawler
Adalmar hat geschrieben:Da kannst du auch gerne abgeneigt sein, aber so sind die Filme ja nun mal überhaupt nicht. Zum einen ist der Kommentar sehr pointiert, eloquent, ausführlich und alles andere als alibimäßig. Zudem spielt Gewalt nicht eine so große Rolle in den Filmen, wie es manche Kommentare hier scheinen lassen. In "Mondo Cane" werden z. B. alle möglichen Auswüchse der Zivilisation gezeigt, keineswegs auf Gewalt fokussiert oder gar beschränkt.
Nehme ich erst mal so hin. Gut möglich, dass ich da in meiner Erinnerung ein paar Filme durcheinanderwerfe bzw. voreilig von anderen auf Jacopettis schließe. Evtl. sollte ich den Mondo Canes eine zweite Chance einräumen... schauen wir mal.
Das kann ich dir natürlich auch nicht sagen, aber ich wüsste zumindest mal gerne, wo genau die von Jacopetti angeblich mit inszenierten Hinrichtungen zu sehen sein sollen.
Evtl. im von mir nicht gesehenen "Addio Africa"?
Spannendes Thema, bin nur leider alles andere als ein Mondo-Experte. Kann hier vielleicht jemand anderer Licht ins Dunkel bringen?
Re: Das wilde Auge - Paolo Cavara
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 23:31
von dr. freudstein
Nee, nicht wirklich. Nur erwähnungshalber: Habe zwar die Tapes Mondo Cane 1-5, 5 Tapes von Gesichter des Todes (eins Gesichter des Sterbens), DVD BOX Gesichter des Todes 2000 und Shocking Asia 1-2 hier, Addio Onkel Tom natürlich auch sowie Faces of Gore 1-2 (Tapes und DVD), aber ich bin da nicht sonderlich angetan von. Hab die damals als Gorebauer mir mal besorgt bzw. durch Sammlungsaufkäufe waren die dabei, aber mittlerweile kann ich da nix mehr mit anfangen und interpretieren schon gar nicht. Damals wollt ich halt mal krasse, echte Aufnahmen sehen, die waren auch dabei so wie gestellte, pseudodokumentarisch, aber eher heuchlerisch und ist mir dann doch zu krank.
Hab die damals gesehen wo ich so alt war wie ich jetzt aussehe.