Die tausend Augen des Dr. Mabuse - Fritz Lang (1960)

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buxtebrawler
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Re: Die tausend Augen des Dr. Mabuse - Fritz Lang (1960)

Beitrag von buxtebrawler »

Die "Dr. Mabuses Meisterwerk"-Blu-ray-Box ist mutmaßlich am 06.12.2019 bei Universum erschienen:

Bild

Beinhaltet:
- Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (s/w)
- Im Stahlnetz des Dr. Mabuse (s/w)
- Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (s/w)
- Das Testament des Dr. Mabuse (s/w)
- Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (s/w)
- Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse (s/w)

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... &vid=99521
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Maulwurf
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Re: Die tausend Augen des Dr. Mabuse - Fritz Lang (1960)

Beitrag von Maulwurf »

Wenn ein Regisseur, der das Handwerk in der Pionierzeit von der Pike auf gelernt hat, und der später im Haifischbecken namens Hollywood erfolgreich war, wenn so jemand mit der deutschen Krimigemütlichkeit aufräumt, dann gute Nacht. Dramatische Musik, eindrucksvolle Schatten, erstklassige Schauspieler, und eine Krimihandlung die in einer Welt der Paranoia und der Angst angesiedelt ist. Kameras überall, versteckte transparente Wände, Überwachung, Beobachtung, eine Handlung in mehreren Ebenen, in der keiner der Akteure das ist was er zu sein vorgibt, Hinterlist und Tücke allenthalben. 1000 AUGEN ist kein Krimi aus der guten alten Zeit, sondern ein packender Thriller modernen Zuschnitts. Und der Höhepunkt ist erreicht, wenn Fritz Lang sich auf seinen eigenen TESTAMENT DES DR. MABUSE bezieht, diesen in Wort und Bild referenziert und als tatsächliches Geschehnis innerhalb des Lang’schen Universums hinstellt. Einer der filmischen Höhepunkte dieses Jahres!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Die tausend Augen des Dr. Mabuse - Fritz Lang (1960)

Beitrag von Maulwurf »

(Und nochmal etwas ausführlicher. Aber nicht zu sehr ...)

Die 1000 Augen des Dr. Mabuse
Deutschland/Frankreich/Italien 1960
Regie: Fritz Lang
Dawn Addams, Peter van Eyck, Wolfgang Preiss, Gert Fröbe, Werner Peters, Andrea Checchi, Howard Vernon, Nico Pepe, David Cameron, Jean-Jacques Delbo, Marielouise Nagel, Reinhard Kolldehoff


Die 1000 Augen des Dr. Mabuse.jpg
Die 1000 Augen des Dr. Mabuse.jpg (117.03 KiB) 181 mal betrachtet
OFDB
Italo-Cinema (Prisma)

Ein Journalist wird in seinem Auto vor einer Ampel erschossen. Der Täter verschwindet unerkannt. Ein junges Mädchen versucht aus dem Fenster eines Hotels zu springen, doch ein Multimillionär kann sie im letzten Moment aufhalten. Kleine und große Tragödien geschehen in den letzten Tagen scheinbar zusammenhanglos, doch eines haben sie alle gemeinsam: Die Personen sind im Laufe der Zeit alle im Hotel Luxor abgestiegen, und fanden alle anschließend einen plötzlichen Tod. Kommissar Kras ist mit dem Fall des toten Journalisten betraut und ahnt nicht, dass Interpol im selben Umfeld auf der Spur des Dr. Mabuse ist, einem Superverbrecher, der vor dem Krieg ums Leben gekommen ist. Sollte man zumindest meinen, doch die Verbrechen, die hier begangen werden, ähneln denen von vor 30 Jahren verblüffend. Lebt Dr. Mabuse vielleicht noch?

Zwei Gangster unterhalten sich. Der eine möchte wissen, wie der große Boss aussehen mag. Der andere versucht ihm das auszureden, doch der erste sinniert weiter vor sich hin: „Ich möchte aber doch zu gerne wissen, wie der Doktor aussieht.“ Schnitt auf einen Blinden der laut und deutlich in die Kamera spricht „Ich weiß es nicht.“

Man merkt von Beginn an, dass DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE keine normale deutsche Krimikost eines kleinbürgerlichen Heimatfilm- und Lustspielregisseurs ist, sondern dass hier ein Meister am Werk ist, der sein Handwerk in der ganz großen Zeit des deutschen Kinos gelernt hat, und anschließend jahrelang im Haifischbecken Hollywood unterwegs war. Entsprechend groß sind auch die angesprochenen Themen, zu denen die deutsche Wikipedia schreibt „…Große, scheinbar tote, vergessene Verbrecher, die im Hintergrund weiterwirken; ein Hotel als Beobachtungsapparat und Metapher für Totalitarismus; willige Handlanger und Vollstrecker; ein scheinbarer Frieden, der nur mühsam schwelende Konflikte verdeckt; eine Atmosphäre der Künstlichkeit und großspurig gespielten Lockerheit …“. (1) Da wird dann schnell klar, mit welcher Routine (im positiven Sinne!) Fritz Lang hier mit Themen jongliert, an denen sich so manch anderer Regisseur verhoben hätte, und was für eine außerordentliche Lockerheit und welche Grandezza er dabei einsetzt. Verkrampft oder bieder ist hier kaum etwas, im Gegenteil hat 1000 AUGEN von Beginn an ein hohes Tempo, spielt mit Licht und Schatten wie ein klassischer Noir (was er ja letzten Endes auch ist, man vergleiche das Grundgerüst der Geschichte einmal mit dem US-Klassiker MINISTERIUM DER ANGST), und Lang setzte sein ganzes Können ein um einen modernen und gleichzeitig für alle Zeiten gültigen Thriller zu schaffen. Dass er dabei auf seinen eigenen DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE von 1933 referenziert, und diesen sogar in einem Gespräch erläutert, zeigt seine Meisterschaft: Nicht nur dass er sich mit dem Mord in der Eingangsszene selbst zitiert, er ist auch so selbstbewusst, als Begründung für diesen Mord seine eigene Filmarbeit herzunehmen, und sein eigenes Universum, das er mit den beiden Mabuse-Filmen genauso etabliert hat wie mit M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER, nach fast 30 Jahren einfach weiterzuführen als wäre es erst gestern gewesen.

Aber auch abseits solcher cineastischen Raffinessen macht 1000 AUGEN sehr viel her. Das Gleichgewicht zwischen Liebesgeschichte und kaltem Thriller ist immer im Lot, es gibt keinerlei Längen, und die Positionen der verschiedenen Charaktere sind angenehm unscharf. Zwar lernen wir zu Beginn, dass Interpol einen Mann im Hotel Luxor eingeschleust hat, aber wer das ist, das erfahren wir tatsächlich erst während des Showdowns. Peter van Eyck bleibt lange Zeit noiresk-zwielichtig, und auch die Rolle von Dawn Addams wird erst im Laufe des Films aufgedeckt, behält sich dann aber immer noch die ein oder andere Überraschung für den Schluss auf. Gleichzeitig ist der Härtegrad des Films für das Entstehungsjahr außerordentlich hoch – Es wird viel gestorben, es wird auch im Vordergrund des Bildes gestorben, und ungewöhnlich viele der Toten sind Polizisten. Was man aber auch mit einem Hinweis auf die eigentliche Handlung des Films erklären könnte: Wenn der Terror beginnt seine Hände auszustrecken, dann ist niemand mehr sicher, auch die Ordnungsmacht und ihre Exekutive nicht, die den Bürger vor dem Terror eigentlich beschützen sollen.

Auch hier wird immer wieder deutlich Bezug genommen auf die vergangene, aber nicht abgeschlossene Zeit. Besonders spannend ist wie dabei auch der Zeitenverlauf geschickt fortgeführt wird – 30 Jahre früher nimmt die Geschichte einen klaren politischen Bezug auf die aufkommenden Nationalsozialisten, jetzt, 1960, wird zurückgeschaut auf diese schreckliche Zeit und werden die Terrormethoden der Nazis thematisiert. Ein zusammenhängender Erzählfluss, der sich über mehrere Filme im Abstand von 30 Jahren ergibt …! Hinweise auf das Dritte Reich werden sehr deutlich ausgesprochen, was für einen (Kriminal-) Film dieser Zeit eher ungewöhnlich ist, und die Anlage von Dr. Mabuse als geistigem Erbe eines Geistesgestörten der ein Reich des Schreckens errichten will, lässt die Grenzen des deutschen Populär-Eskapismus weit hinter sich. DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE ist ein großer und starker Thriller, der für seine Entstehungszeit ungewöhnlich selbstbewusst daherkommt und den Zuschauer mitreißt in einen Strudel aus tollen Schauspielern, kniffiger Handlung und düsterer Atmosphäre. Ein würdiger Nachfolger des „Vorgängers“ von 1933 und sicher der beste Teil der Krimi-Serie aus den 60er-Jahren, weil er zwar die Pulp-Elemente der beliebten Krimis einsetzt, um damit aber eine narrativ ernstzunehmende Geschichte zu erzählen, und so ein Meisterwerk erschafft.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Lang

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