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Re: Das süße Leben der Nonne von Monza - Bruno Mattei (1981)

Verfasst: So 22. Feb 2015, 09:32
von jogiwan
Mit „Das süße Leben der Nonne von Monza“ und „The Other Hell“ hat Bruno Mattei im Jahre 1981 ja gleich zwei Filme im ähnlichen Umfeld gedreht. Während „The Other Hell“ aber eher in Richtung Horror geht, ist „ La Vera Storia della Monaca di Monza“ aber klassische Nunploitation-Stuff mit verdrängten, sexuellen Obsessionen in einem etwas seltsamen Konvent, in dem sich vor allem die männliche Belegschaft wie im Selbstbedienungsladen fühlt. Statt Demut und Gebete steht ja Fleischeslust am Programm, am Ende werden sogar Mordkomplotte geschmiedet und als auch noch die Inquisition an die Tür klopft nimmt das Grauen erst recht seinen Lauf. Alles recht solide und halbwegs ansprechend gefilmt, bietet die von Claudio Fragasso erdachte Geschichte mit viel nackter Haut eigentlich alles, was man sich bei einem Film aus dieser Kiste erwartet und teils wirkt das Szenario wirklich wie ein einziger, fiebriger Alptraum aus dem es für den Zuschauer und den Protagonisten kein Erwachen gibt. Einer historischen Prüfung wird die „wahre Geschichte der Nonne von Monza“ aber wohl nicht standhalten und wer wissen möchte, was Nonnen tatsächlich so den ganzen Tag treiben, sollte sich vielleicht eher einen anderen Film suchen. Wer aber wissen möchte, was sich das männliche und Testosteron-gesteuerte Gehirn zu diesem Thema so alles ausmalen kann, ist hier aber sicher an der richtigen Adresse.

Re: Das süße Leben der Nonne von Monza - Bruno Mattei (1981)

Verfasst: Do 21. Jan 2016, 13:54
von Salvatore Baccaro
Die Frau, die unter der Bezeichnung Nonne von Monza in das kulturelle Gedächtnis Italiens eingehen sollte, wurde am 4. Dezember 1575 in Mailand als Marianne de Leyva y Marino in eine der reichsten Familien der Region geboren. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter beschließt ihr Vater, seine einzige Tochter müsse Nonne werden, und schiebt sie dreizehnjährig in das Konvent der Heiligen Margherita ab – vornehmlich, heißt es, aus ökonomischen Gründen, sprich: um Mariannes Bruder als Alleinerbe des eigenen Vermögens einsetzen zu können, was in einer Zeit, in der Klöster nicht selten als Auffanglager von Kindern fungierten, die man entweder nicht durchfüttern konnte oder wollte, nichts Ungewöhnliches ist. Am 28. September 1591 findet die offizielle Weihung zur Braut Christi statt: aus Marianne de Leyva wird Schwester Virginia Maria. Da Virginia, trotz ihres hohen Status, aufgrund ihres niedrigen Alters nicht sofort Mutter Oberin werden kann, betraut man sie mit der Erziehung der Novizinnen. Während ihrer Tätigkeit als Lehrerin, im Jahre 1597, trifft sie zum ersten Mal auf Giovanni Paolo Osio, einem ungestümen jungen Mann, dessen ebenfalls nicht wenig begüterter Familie ein Haus gehört, das direkt an das Klostergelände grenzt. Von diesem aus schafft er es, die Nonne auf sich aufmerksam zu machen, ihr den Kopf zu verdrehen, sie schließlich in eine Liebesaffäre zu verstricken, in die alsbald noch weitere Mitschwestern Virginias eingeweiht sind sowie der Priester Paolo Arrigone, einem Vertrauten Giovannis, der diesem tatkräftig beim Entspinnen seines geheimen Verhältnisses unter die Arme greift. Zunächst endet die Liaison zwischen Virginia und Giovanni, nachdem erstere eine Totgeburt erlitten hat, 1602 für bestimmte Zeit, allerdings wird die Nonne schon im Herbst des darauffolgenden Jahres ein zweites Mal von ihrem Liebhaber schwanger, und gebiert neun Monate später eine Tochter, mit der sie, scheinbar unbehelligt, weiterhin hinter Klostermauern zusammenlebt. Im Sommer 1606 spitzt sich die Situation dann aber zu: eine Mitschwester Virginias droht, die ganze Sache an die Öffentlichkeit zu bringen, worauf Giovanni, wohl nicht zum ersten Mal in seinem Leben, zum Mörder wird. Auch ein Schmied, der Giovanni mit Schlüsseln ausgeholfen hat, die diesem problemlosen Zugang zum Konvent sicherten, muss als Mitwisser sein Leben lassen. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen rufen die rätselhaften Vorkommnisse alsbald den Erzbischof Federico Borromeo auf den Plan, der ab November 1607 Schwester Virginia einer mitunter peinlichen Befragung aussetzt. Unter Folterqualen gesteht die Nonne ihre Taten – Vater Arrigone kommt als Komplize mit einer vergleichsweise leichten Gefängnisstrafe von zwei Jahren davon, Giovanni wird zum Tode verurteilt, kann aber fliehen und verschwindet damit aus sämtlichen offiziellen Dokumenten, Schwester Virginia selbst wird bei lebendigem Leibe eingemauert, und verbringt ganze dreizehn Jahre ohne menschlichen Kontakt und in vollkommener Dunkelheit innerhalb einer kleinen Klosterzelle bevor man sie begnadigt und sie noch bis ins hohe Alter und ins Jahr 1650 weiterlebt.

Die wohl berühmteste Adaption dieser im Laufe der Zeit in die italienische Volkstradition eingegangenen, historisch verbürgten Geschichte dürfte Alessandro Manzonis I PROMESSI SPOSI sein. Dieser Roman, wohl einer der bedeutendsten der italienischen Nationalliteratur, behandelt das tragische Leben der Marianne de Leyva indes lediglich als eine Episode unter vielen. Während sie noch in einer Frühform des Textes, FERMO E LUCIA von 1821, recht breiten Raum einnimmt, ist sie in der finalen Fassung von 1840 bis 1842 dann weitgehend der Schere zum Opfer gefallen, und obwohl die Nonne von Monza weiterhin als entscheidende Nebenfigur auftritt, erfährt der Leser über ihre eigene Geschichte nicht viel mehr als einige schüchterne Andeutungen. Selbst in der FERMO-E-LUCIA-Variante verfährt Manzoni als dezidiert katholischer Autor, dem nichts weniger im Sinn liegt als seine Kirche oder seine Religion mittels pikanter Enthüllungen zu diffamieren, äußerst stiefmütterlich mit dem Stoff, verschweigt gravierende Details wie beispielweise dass ein ordentlicher Priester an der Verführung Virginias mitgewirkt hat, und bekräftigt fortwährend, fast schon entschuldigend, den sittlichen Zweck, den er mit dem Aufrollen eines solchen blasphemischen Falls im Grunde verfolgt. Sein Hauptgewährsmann ist ein gewisser Giuseppe Ripomanti, der in seiner HISTORIAE PATRIAE, publiziert zwischen 1641 und 1643, eine anschauliche Schilderung des Prozesses gegen Schwester Virginia liefert. Allerdings hat Manzoni auch Einsicht in die Originalakten genommen – und dass er dazu überhaupt die Möglichkeit hatte, das wiederum scheinen die verantwortlichen Autoritäten, wenig erbaut über die Literarisierung römisch-katholischer Kellerleichen in Manzonis Prosa, letztlich derart als Fehler empfunden zu haben, dass das fragliche Archiv von 1836 an für knapp hundertzwanzig Jahre für die Öffentlichkeit verschlossen blieb.

In den frühen 60ern, als erste akademische Arbeiten zur Monzaner Nonne zu erscheinen beginnen, erwacht das Interesse an der Geschichte auch im kinematographischen Kontext. Vier Filme sind es, die Schwester Virginia zwischen 1962 und 1986 zur Protagonistin wählen und, obwohl in verschiedenen kulturellen Umfeldern und unterschiedlichen kulturell bedingter Ästhetiken und Techniken entstanden, meiner Meinung nach, nicht nur einiges darüber aussagen, wie sich eine Geschichte innerhalb eines bestimmten Klimas oder unter den Händen eines bestimmten Künstlers wandeln und verwandeln kann, sondern auch, als diachrone Linie verstanden, einen Einblick darin liefern, wie sich das (nicht nur italienische) Exploitation- oder Genrekino innerhalb der knapp drei Jahrzehnte vom Anfang der 60er bis zum Ende der 80er gewandelt und verwandelt hat. Carmine Gallones LA MONACA DI MONZA (1962), Eriprando Viscontis gleichnamiger Film von 1969, Bruno Matteis und Claudio Fragassos LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA (1980) und schließlich Luciano Odorisios LA MONACA DI MONZA von 1986 speisen sich nicht nur alle aus dem gleichen Urstoff, den sie verschiedenartig interpretieren, zensieren oder exploitieren, und sind daher schon per se untereinander vernetzt, vor allem sind die vier Filme an prominenten Stellen innerhalb der europäischen Filmgeschichte positioniert, die zwischen 1962 und 1986, gerade was die Darstellung von Sex und Gewalt betrifft, eine durchaus bewegte, aufregende Zeit durchlebt hat. Im Folgenden sollen sämtliche vier Filme kurz besprochen, verglichen und auf die Frage hin untersucht werden, wo sie ihre ästhetischen und narrativen Kernpunkte setzen, sprich: was sie aus der Geschichte der Nonne von Monza machen, die das Leben bereits so filmreif geschrieben hat wie es kein Drehbuchautor vermöchte.

LA MONACA DI MONZA 3a Parte

In den Jahren, die zwischen Eriprando Viscontis MONACA DI MONZA und dem exploitativ-surealen Frontalangriff auf den Stoff von Bruno Mattei (Regie) und Claudio Fragasso (Drehbuch) vergehen, hat sich in Italien auf Grundlage von Monza-Nonnen-Filmen wie dem Gallones oder dem Viscontis, aber vor allem auch aus internationalen Produktionen wie vor allem Ken Russells THE DEVILS (1971) oder Jerzy Kawalerowiczs MATKA JOANNA OD ANIOLÓW (1961) ein ganzes Genre entwickelt, der sogenannte Nunsploitation-Film, in dessen Fokus, wie der Name schon verrät, die freiwilligen oder unfreiwilligen Sexeskapaden von Klosterfrauen stehen. Konstitutiv für das Genre sind ein starker antiklerikaler Ansatz, der mitunter bis hin zur offenen Blasphemie gerät, eine Affinität für historische Stoffe, die zumeist von Chroniken verbürgt werden, für die sich bereits Autoren wie Stendhal oder eben Manzoni interessiert haben, gerne aber auch die Ausmaße shakespearesker Liebestragödien annehmen dürfen, permanentes, möglicherweise unbewusstes, Rekurrieren auf literarische Vorlagen wie vor allem Denis Diderots Roman LA RELIGIEUSE (1760 bzw. 1790), freizügiger Umgang mit Sexualität, zuweilen bis über die Grenzen zur Pornographie hinaus, und eine gewisse Erbschaftsverwalterrolle in Bezug auf den bereits weitgehend abgedankten klassischen Kostümfilm der 50er und 60er Jahre. Was Visconti in seiner MONACA DI MONZA noch mehr andeutete als deutlich umrissen zeigte, das wird in unterschiedlichen Produktionen wie Sergio Griecos LE SCOMUNICATE DI SAN VALENTINO (1974), Domenico Paolellas LE MONACHE DI SAN’ARCANGELO (1973) oder Gianfranco Mingozzis FLAVIA (1974) nunmehr mit den unterschiedlichsten künstlerischen Ansätzen ein stückweit offener ausgespielt. Allerdings sei angemerkt, dass diese drei für das Genre exemplarischen Filme ihre Schauwerte an Sex und Gewalt stets noch in den Dienst einer Handlung stellen bzw. dieser sogar weitgehend unterordnen. Gerade Paolellas Genre-Beiträge zeichnen sich dadurch aus, dass ihre kontroversen Szenen nie zum Selbstzweck geraten, sondern stets narrativ und ästhetisch legitimiert sind. Meine an dieser Stelle schüchtern vorgebrachte These wäre, dass das Genre des (italienischen) Nonnensexfilms sich erst gegen Ende der 70er der Exploitation vollends ergibt, und dass ein Film wie STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA (1973), ebenfalls von Domenico Paolella, sich von Viscontis Monza-Nonnen-Bearbeitung letztlich sogar durch eine auffällige Dezenz und Feinfühligkeit abhebt, die genau zu wissen scheint, wann eine Gewalt- oder Sexspitze der Handlung dient, und wann nicht. LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA ist, ähnlich wie Joe D’Amatos IMMAGINI DI UN CONVENTO (1979), ein exemplarisches Beispiel dafür, wie die exploitativen, surrealen, non-narrativen Tendenzen des Genres sich endlich so weit Bahn brechen, dass sie jegliches Maß unter sich begraben.

LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA beginnt nicht nur mit der wohl bis dato kreativsten und subversivsten Darstellung von Mariannes Ordensbeitritt, sondern vor allem mit einem recht dreisten Diebstahl. Während unsere Heldin, deren Vorgeschichte Mattei und Fragasso wie Visconti gänzlich aussparen, vor dem Altar kniet und ihr unfreiwilliges Gelübde tut, wird fortwährend bereits zu Giampaolo Osio geschnitten, der, in starkem Kontrast zur friedlichen Szenerie im Gotteshaus, auf einem nahen Gestüt mit einigen weiblichen Mitstreiterinnen dabei zuschaut wie zwei Pferde sich begatten. Die wiederum sind aber nicht von Mattei und Fragasso selbst in ihren Film getrieben worden, stammen vielmehr aus Walerian Borowczyks skandalträchtigem Meisterwerk LA BÊTE von 1975 und wurden von den Verantwortlichen für LA VERA STRIA DELLA MONACA DI MONZA einfach in ihr eigenes Werk eingefädelt. Nichtsdestotrotz ist das - gerade wenn man die eher krude Integration des gleichen Fremdmaterials, an dem Mattei seinerzeit wohl einen Narren gefressen hatte, in seinen monumentales Trash-Epos CALIGULA ET MESSALINE von 1981 bedenkt – ziemlich geschickt geschehen, und weist den Betrachter vor allem von Anfang an darauf hin, dass die Geschichte der Nonne von Monza im Jahre 1980 und in den Händen solcher wagemutiger Filmemacher in einer Weise erzählt werden wird, die keine falsche Scham mehr kennt. Nachdem nämlich Hengst und Stute ihre Zutraulichkeiten beendet haben, zieht es Giamapolo mit seinem Gefolge sturzbetrunken mitten hinein in Mariannes Einweihungsfeier. Die allerdings musste schon zuvor unübersehbare Brüche dadurch erleiden, dass unsere Heldin am Rande der Zeremonie einmal mehr vom Geflüster ihrer Familienangehörigen unter die Nase gerieben bekommen hat, wie sehr sie regelrecht aus rein ökonomischen Gründen an das Kloster verschachert worden ist. Sehr viel mehr schockt sie es da nicht, als Giampaolo den Festakt stört, und von einem Priester mühselig aus dem Kirchenhaus gezerrt werden muss, wo er herumblökt, flucht und sich über die frischgebackene Schwester Virginia lustig macht. Deren Seitenblick zu ihm hin, mit großen Augen, unschlüssig, verwirrt, fasziniert, von Mattei und Fragasso für den Vorspannhintergrund als Standbild eingefangen, ist zugleich auch einer in die eigene schreckliche Zukunft.

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Abb.1: Zora Kerova am Scheideweg, vor ihr der Altar, hinter ihr das wüste Treiben ihres späteren Liebhabers. Waren Giovanna Ralli bei Gallone ein süßes Kirchenmäuschen und Anne Heywood bei Visconti eine im höchsten Maße ambivalente Figur, mal herrisch, mal schmachtend, kann Kerovas Darstellung der Monzaner Nonne als Prototyp einer Heldin gelten, die äußeren und inneren Reizen, Verführungen und Gelüsten, derart unterworfen ist, dass sie zum bloßen Spielball der Ereignisse wird
Abb.2: Kennern des transgressiven Kinos wird diese Pferdevulva bekannt vorkommen. Einmal mehr bedient Bruno Mattei sich, nicht nur, was Ideen betrifft, freimütig bei anderen Filmen - in diesem Fall: LA BÊTE - und betont damit den das Kino grundlegend konstituierenden Zitatcharakter und die Illusion originärer Schöpfung.


Von nun an entwickelt sich die vorliegende vermeintlich wahre Geschichte im Grunde wie die von Visconti und Gallone erzählten. Giampaolo macht Virginia den Hof, sie knickt schließlich ein, zieht zwei weitere Nonnen als Komplizinnen in die Affäre mit dem jungen Raufbold hinein, bringt ein Kind von ihm zur Welt, das sie in ihrer Zelle versteckt, wird zwischendurch noch von Giampaolos lasterhaftem Weggefährten, dem Priester Don Paolo Arrigone, sexuell bedrängt, und bekommt es mit der Heiligen Inquisition zu tun, als ein gemeinschaftlicher Mord, der eine zu aufdringliche Mitwisserin beseitigen sollte, am Tageslicht erscheint. Die meiste Zeit folgt Fragassos Drehbuch dem, das Viscontis LA MONACA DI MONZA gedient hat, steigert dieses aber, wo es möglich und unmöglich ist, ins Groteske, Surreale, Phantastische. Mit Gallones nüchterner, mehr oder minder züchtiger Fassung hat die, in der Mattei und Fragasso gar nicht genug Tabubrüche sammeln können, so gut wie gar nichts mehr zu tun – stattdessen merkt man LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA an allen Ecken und Enden an, dass der Film so etwas wie einen allerdings komplett entrückten Kulminationspunkt für das Genre, dem er entstammt, darstellen möchte. Vieles von dem, was sich im Laufe der 70er zum Regelwerk des Nunsploitation-Films entwickelt hat, ist in Matteis und Fragassos Werk vertreten - während es bei Gallone und Visconti naturgemäß noch gänzlich fehlte oder höchstens zart angedeutet gewesen ist. Eine sterbenskranke Mutter Oberin, um deren Thron ein Machtkampf unter den Nonnen entbrennt, und der schlussendlich mittels Gift beim Dahinscheiden nachgeholfen werden soll, kennt man aus Paolellas LE MONACHE DI SAN’ARCANGELO. Innerklösterliche Strafmaßnahmen wie das Auspeitschen unzüchtiger Nonnen, bei denen Delinquent und Richter durch die gleiche sadomasochistische Lust verbunden scheinen und sich in ihren lust- und schmerzvollen Orgasmen in nichts nachstehen, kann man unter anderem in D’Amatos IMMAGINI DI UN CONVENTO und Griecos LE SCOMUNICATE DI SAN VALENTINO bestaunen. Surreale Träume und Visionen, in denen sich Heiligenstatuen plötzlich in lebende Körper verwandeln, und somit zur Projektionsfläche unterdrückter sexueller Wünsche fromme Frauen werden, schmücken Mingozzis FLAVIA und ebenfalls wieder D’Amatos IMMAGINI DI UN CONVENTO. Wo Visconti zehn Jahre zuvor bei seiner MONACA DI MONZA noch relativ frei mit der Geschichte verfahren konnte, d.h. sie dort zu intensivieren oder zu mildern, wo es ihm am strukturell besten schien, sind Mattei/Fragasso oftmals gefangen in den Forderungen eines Genres, das von ihnen verlangt, sich nach lange vorher festgelegten Grundparametern wie nach Autoritäten zu richten.

Dass Mattei und Fragasso 1980 aber nicht nur auf eine reiche Genre-Geschichte zurückblicken, sondern sie in gewisser Weise verwalten, adaptieren und manchmal sogar bewusst brechen, beweist nicht zuletzt die Art und Weise wie man eins der oben genannten traditionellen Nunsploitation-Elemente, nämlich die lebenden Statuen oder statuenhaften Lebenden, in LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA untergebracht hat: Virigina wird nach der ersten Begegnung mit Giampaolo von heißen Träumen gepeinigt, in denen sie, begleitet bloß von einer Kerze, durch die finsteren Klostergänge schleicht. Alle paar Meter trifft sie auf ein in den unterschiedlichsten Posen eng umschlungenes und erstarrtes Pärchen. Sie bleibt stehen, starrt sie an, von alleine erhellt sich das Gemäuer, und sie muss erkennen, dass es sich bei den in eindeutigen Positionen verschränkten nackten Körper um den Giampaolos und ihren eigenen handelt. Nicht nur die Innenwelt unserer Protagonistin stülpt sich dem Film in solchen mit dem eigentlich Genre-immanenten Naturalismus und Realismus brechenden und schon eher der europäischen Schauerliteratur verpflichteten Momenten frei von jedweder Zurückhaltung regelrecht über, Mattei und Fragasso präsentieren im Lauf des Films noch weitere ihre Avantgarde-Sensibilitäten und Affinitäten zum Phantastischen Kino unterstreichenden Seltsamkeiten, darunter einen von Rattern zernagter Frauenkadaver, der direkt aus Matteis RATS – NOTTI DI TERRORE (1984) stammen könnte, oder einen waschechten glatzköpfigen Exorzisten, der im schon fast Gothic-Horror-Qualitäten beweisenden Finale zu Blitz und Donner im Kloster einmarschiert. Ebenfalls zu erwähnen sind die himmlischen musikalischen Klänge, komponiert von Gianni Marchetti, die in den reinen Chorstücken zumindest akustisch schon beinahe diese eigenartige Stimmung von Werner-Herzog-Filmen aufkommen lassen: irgendwie sakral, aber dann doch mit dem einen oder anderen zwinkernden Auge.

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Abb.3: Teilweise 1:1 kopiert Mattei Szenen aus Eriprando Vicontis MONACA. Hier: die Selbstkasteiung Virginias, allerdings mit dem feinen, und gar nicht mal so kleinen Unterschied, dass ihr Verführer dabei in persona anwesend ist, und ihre körperfeindlichen Martern, scheint's, zur eigenen Triebsteigerung nutzt.
Abb.4: Matteis Auseinandersetzung mit dem Körperdiskurs des Materialismus der europäischen Aufklärung. In surrealen Träumen imaginiert Virginia Giampaolo und sich selbst als nackte, statuenhafte Körper, aneinandergeschmiegt in eindeutigen Posen. Erst als sie sich ihnen nähert, beleben sie sich, drehen ihr die Gesichter zu, grinsen.


Eine der größten Stärken Matteis und Fragassos ist es aber, dass die beiden Künstler dadurch, keinerlei erkennbare Ernsthaftigkeit bei ihrer Nonne-von-Monza-Adaption erkennen zu lassen, in den besten Momenten des Films – und von denen gibt es viele – quasi zurückfallen in die Frühzeit des Kinos, und mit einer Unbedarftheit und Unschuld operieren, als habe es vor ihnen keine kanonisierte, traditionell gewachsene, an Konventionen gekoppelte Filmkunst gegeben. Die Karnevalsszene, noch im ersten Drittel, zeigt vielleicht am schönsten, was ich meine. Pater Don Arrigo und Giampolo sind außer Rand und Band. Man berauscht sich an Wein, Prostituierten und hemmungslosem Sex. Der Priester gewinnt außerdem den Preis für die mit Abstand hübscheste Maskerade: er trägt ein rotes Ganzkörper-Teufelskostüm, nur echt mit Hörnern und Pferdeschwanz. In diesem hat er zunächst gemeinsam mit Giampaolo und einigen Huren viel Spaß im Horizontalen – großartig ist diese Szene, in der die Kamera minutenlang statisch verharrt und der Balz schräg von der Decke als stummer Zeuge beiwohnt, bevor sie ganz langsam, wie aus einer Trance erwachend, näher zu den sich wälzenden und quiekenden Körpern hinzuzoomen beginnt -, und schleppt sich anschließend komplett besoffen zur Morgenbeichte in die Kirche. Dort sitzt ihm als erste Sünderin Virginia gegenüber und klagt ihm von ihren Sexträumen bezüglich Giampaolo. Für den Priester im Satansrock gibt es kein Halten mehr: völlig von Sinnen stürzt er sich über die Nonne her und kann nur durch deren heftige Gegenwehr zurückgeschlagen werden. Dieser gesamten Szene wohnt ein ungezügelter Hang zum Körperlichen, zum Affektieren, zum Theatralischen inne. Wenn Don Arrigone, dessen irres Teufelsleibchen allein schon zurückverweist auf die Anfangstage des Spielfilms, sich in Zeitlupentempo aus dem Beichtstuhl schält und Virginia sich dabei angewidert von ihm abwendet, oder wenn Giampaolo und Arrigone völlig überzeichnet ihrer Lebensfreude huldigen, mit Wein und Samen um sich spritzen so viel sie haben, dann bewegen sich ihre Schauspieler, was Gestik und Mimik betrifft, nicht selten auf dem Niveau von Stummfilmen, in denen jeder Augenaufschlag mehr zählt als jede noch so bedeutungsschwere Silbe.

Noch etwas früher entlarvt LA VERA STORIA DI MONACA DI MONZA selbst, wie wenig dem Film an der Vermittlung von Botschaften per gesprochenem Wort gelegen ist, und wie sehr er im Gegenzug auf einprägsame Bilder, überzeichnetes Schauspiel und narrative wie ästhetische Knalleffekte setzt: Mattei und Fragasso zeigen uns die Klosterinsassen beim Morgengesang. Mehr als offensichtlich ist, dass die Lippenbewegungen der Sängerinnen kein bisschen mit dem übereinstimmen, was die Tonspur für sie ausspuckt. Mehr als offensichtlich ist ebenfalls, dass nur einige der Nonnen überhaupt ihre Lippen bewegen, und die anderen stumm wie Fische einfach an der Seite herumstehen und das Ende der Szene abwarten. Wenn LA VERA STORIA DI MONACA DI MONZA aber dem Wort, sei es nun gesprochen oder geschrieben, doch einmal breiten Platz einräumt, dann kurioserweise nie ohne Hintersinn. So hält Pater Arrigone unserer Heldin eine lange Predigt darüber, weshalb sie der Fleischeslust nachgeben und sie nicht bekämpfen solle – eine Predigt, die in exakt dem Wortlaut wie sie in vorliegendem Film auftaucht auch in keinem der pornographisch-philosophischen oder philosophisch-pornographischen Romane des aufklärerischen Frankreichs deplatziert gewesen wäre, die man guten Gewissens ebenfalls zu dem literarischen Bestand zählen kann, aus dem das Nunsploitation-Genre sich die eine oder andere Inspiration geholt hat. Später, als Virginia und ihre Freundinnen vollends der Wollust verfallen sind, liest man sich gegenseitig aus eben solchen pornographischen Bestsellern vor. Nackt liegen die Nonnen auf Betten herum, sich erholend von den Ausschweifungen der letzten Stunden, und greifen, wohl um die Lust nicht vollends absterben zu lassen, zu anregender Lektüre, die wiederum, eine Metaebene höher, sündige Eskapaden zwischen Nonnen, Priestern und Mönchen beschreibt. Mattei und Fragasso spiegeln die Handlung ihres Films in dieser Szene auf einer Weise im Medium der literarischen Pornographie vergangener Jahrhunderte wie es, meines Wissens, sonst nur Walerian Borowczyk sowohl in CONTES IMMORAUX als auch in LA BÊTE getan hat.

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Abb.5: Franco Garofalo möglicherweise in der Rolle seines Lebens: Als Teufelspriester oder Priesterteufel kann er sein Gemüt, sowieso erhitzt durch reichlich Wein, nicht mehr kühl halten, und fällt gleich wie irrsinnig über die Sünderin her. Während die Figur des lüsternen Paters bei Carmille Garrone noch komplett fehlt, bei Visconti indes schon einigermaßen deutlich durch Hardy Krüger verkörpert wird, kennt Matteis institutionelle Kritik der Amtskirche keine Grenzen mehr und stilisiert Arrigone zu einem Sack voller Geilheit, dessen reichbestücktes Innenleben es schon beinahe mit dem Giampaolos aufnehmen kann.
Abb.6: Zum Abschluss einer der intimsten Momente, die Mattei jemals gedreht hat: Virginia und Giampaolo flüstern beim Kerzenschein über ihre Leidenschaft und darüber wie es zwischen ihnen weitergehen soll.


Letztlich braucht es aber gar keine hunderte von Metaebenen-Leitern mit zahllosen Sprossen, um mich LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA zu der, meinem persönlichen Geschmack gemäß, gelungensten Verfilmung des historischen Stoffes erklären zu lassen. Nicht nur, dass Mattei und Fragasso ihm weitgehend treu bleiben, sie steigern ihn zuweilen bis über die Schwelle zum Absurden hinaus, was ihn zum einen surrealer und zum andern härter wirken lässt als es bei Gallone und Visconti der Fall war, und bleiben dabei dennoch einem Genre treu, dessen Regeln sie zwar affirmativ anwenden, jedoch dadurch die Freiheit bekommen, sich gänzlich im ästhetischen und technischen Bereich austoben und dort einige eigene exquisite Duftmarken setzen zu können. Hinzukommen, neben dem Starensemble voller vertrauter Gesichter - Zora Kerova sollte später noch die Rache der Kannibalen erfahren, Franca Stoppi lehrte uns in BUIO OMEGA die Beseitigung von Frauenleichen per Säurebad, Paola Corazzi hatte schon in Sergio Gallones SS Lager 5 eingesessen, Leda Simonetti machte in Cavallones BLUE MOVIE interessante Bekanntschaft mit leeren Cola-Dosen, und Franco Garofalo ist sowieso unsterblich geworden mit seiner Fred-Astaire-Imitation mitten in der Hölle der lebenden Toten -, eine für Mattei-Verhältnisse unglaublich kompetente Inszenierung, manche wirklich hübsche Bildkomposition, eine zuweilen experimentierfreudige Montage, und jener schwer zu bestimmende Faktor, der einen bei vielen italienische Genreproduktionen rätseln und zweifeln lässt, ob man es nun mit gedankenlosem Trash, ernstzunehmender Avantgarde-Kunst oder einfach einem, fernab äußerer Standards und Kriterien, ausgesprochen sehenswertem Film zu tun hat.

Re: Das süße Leben der Nonne von Monza - Bruno Mattei (1981)

Verfasst: Do 21. Jan 2016, 14:18
von jogiwan
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Letztlich braucht es aber gar keine hunderte von Metaebenen-Leitern mit zahllosen Sprossen, um mich LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA zu der, meinem persönlichen Geschmack gemäß, gelungensten Verfilmung des historischen Stoffes erklären zu lassen. Nicht nur, dass Mattei und Fragasso ihm weitgehend treu bleiben, sie steigern ihn zuweilen bis über die Schwelle zum Absurden hinaus, was ihn zum einen surrealer und zum andern härter wirken lässt als es bei Gallone und Visconti der Fall war, und bleiben dabei dennoch einem Genre treu, dessen Regeln sie zwar affirmativ anwenden, jedoch dadurch die Freiheit bekommen, sich gänzlich im ästhetischen und technischen Bereich austoben und dort einige eigene exquisite Duftmarken setzen zu können. Hinzukommen, neben dem Starensemble voller vertrauter Gesichter - Zora Kerova sollte später noch die Rache der Kannibalen erfahren, Franca Stoppi lehrte uns in BUIO OMEGA die Beseitigung von Frauenleichen per Säurebad, Paola Corazzi hatte schon in Sergio Gallones SS Lager 5 eingesessen, Leda Simonetti machte in Cavallones BLUE MOVIE interessante Bekanntschaft mit leeren Cola-Dosen, und Franco Garofalo ist sowieso unsterblich geworden mit seiner Fred-Astaire-Imitation mitten in der Hölle der lebenden Toten -, eine für Mattei-Verhältnisse unglaublich kompetente Inszenierung, manche wirklich hübsche Bildkomposition, eine zuweilen experimentierfreudige Montage, und jener schwer zu bestimmende Faktor, der einen bei vielen italienische Genreproduktionen rätseln und zweifeln lässt, ob man es nun mit gedankenlosem Trash, ernstzunehmender Avantgarde-Kunst oder einfach einem, fernab äußerer Standards und Kriterien, ausgesprochen sehenswertem Film zu tun hat.
Schöner Text zu einem schönen Film! Dem kann ich nur zustimmen und von den drei Verfilmungen (die von Visconti kenn ich ja noch nicht) der Monza-Nonnen-Geschichte hat mir Matteis Version auch am besten gefallen. Wer den italienischen Schmuddelfilmer generell für einen untalentierten Stümper hält, wird hier sicher eines Besseren belehrt!

Re: Das süße Leben der Nonne von Monza - Bruno Mattei (1981)

Verfasst: Fr 22. Jan 2016, 18:20
von Salvatore Baccaro
jogiwan hat geschrieben:Schöner Text zu einem schönen Film!
Merci. :verbeug:

Tatsächlich ist Matteis Nonne, zusammen mit seinem anderen Inferno (nicht zu verwechseln mit dem Argentos!), für mich mittlerweile zu seinem subjektiv besten, unterhaltsamsten, faszinierendsten Film avanciert.