Ein ca. 5 Jahre alter Kommentar zum Film.
Regisseur: Ferdinando Baldi
Kamera: Mario Montuori
Musik: Roberto Pregadio
Drehbuch: Vincenzo Cerami, Pier Giovanni Anchisi, Mario di Nardo, Federico De Urrutia, Ferdinando Baldi
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Sommer 1867: Der Bürgerkrieg ist zu Ende. General Juan Carrasco kehrt auf seine Hazienda zurück. Von seinen Liebsten mit einem prunkvollen Fest empfangen, vergisst der General all das zuvor durchlebte Leid des Krieges. Aber die Freude ist nur von kurzer Dauer, denn Carrascos Ehefrau Anna hat gemeinsam mit ihrem Liebhaber Tomas einen niederträchtigen Plan ausgetüftelt, um Juan zu beseitigen und gleichzeitig die Herrschaft über die Hazienda zu übernehmen. Im Zuge dieses Vorhabens werden der General und seine Partygäste erbarmungslos niedergemetzelt. Sebastian, der Sohn von Anna und Juan Carrasco, kann gemeinsam mit seiner Amme dem Massaker entfliehen. Viele Jahre später erhält (der mittlerweile zum Mann gereifte) Sebastian Besuch von einem mysteriösen Fremden, der sich Rafael Garcia nennt. Haben Sebastian die Schatten der Vergangenheit eingeholt?
Erbarmungslos ballern die Strahlen der gelben Firmamentkugel auf eine karge Landschaft, durch die sich ein Fremder langsam fortbewegt, und für dessen einzige Erfrischung die Schweißtropfen auf seiner Stirn sorgen. Es dünkt, als sei er der letzte Mensch auf Erden, der inmitten einer trostlosen Vegetationsformation nach dem Grund seiner Existenz sucht. Doch der Wüstennomade ist nicht allein, denn in der Ferne lassen sich die Umrisse einiger Halunken erspähen, die dem Unbekannten nach dem Leben trachten. Aber sie „beißen auf Granitplatten“, denn der Fremde dirigiert postwendend die Kugeln seines Colts, sodass diese untertänig das Lied des Todes pfeifen.
Rafael ist unterwegs! Tönt Klaus Kindlers Stimme innert des deutschen Trailers. Und wie er das ist, denn sein Colt sitzt locker und dessen bleierne Todesboten verfehlen niemals ihr Ziel. Eskortiert von Roberto Pregadios grandiosem Leitmotiv, welches dermaßen auf die Fresse geht, dass selbst die Wüstenspitzmäuse ihre Löcher verlassen, um einen inbrünstigen Desert-Pogo auf das trockene Parkett zu legen. Genau so gestaltet man einen verheißungsvollen Westernauftakt, aber es wird – dass kann ich tief und satanisch versprechen – noch viel, viel besser, denn dieser vorzügliche „69er Baldi“ lässt die Göttinnen Nemesis und Eris für solch enorme Gefühlschwankungen sorgen, dass die vorolympische Götterwelt Gefahr läuft aus den Fugen zu geraten.
Ferdinando Baldi bastelte mit „Seine Kugeln pfeifen das Todeslied“ einen Western, der sich an der Tragödie des Aischylos, „Orestie“, orientiert. So werden aus den klassischen Figuren Agamemnon, Klytämnestra, Elektra, Orest und Aigisthos -General Carasco, seine Frau Anna, ihre Kinder Isabel und Sebastian, sowie Annas Liebhaber Tomas. Die Auswahl der jeweiligen Protagonisten bestätigt den Verantwortlichen ein vorzügliches Gespür. Coole Typen wie Leonard Mann und Peter Martell, hübsche Frauen wie Luciana Paluzzi und Pilar Velázquez, Kackbratzen wie Piero Lulli und José Manuel Martín. Innerhalb dieses delikaten Ensembles möchte ich Peter Martell (Rafael Garcia) besonders hervorheben, da er seine anfängliche Gefühlskälte und spätere Frustration jederzeit überzeugend transportiert. Aber was ist mit dem Mann eigentlich nicht in Ordnung?
Nun, Rafaels große Liebe, Isabel, wurde mit einem Kaufmann zwangsverheiratet. Ein Schicksalsschlag, der zu einer Schädigung seines psychischen Gleichgewichts führte. Die daraus erwachten Stimmungsschwankungen bewegen ihn dazu, sich mit hochprozentigem Stoff in andere Sphären zu schießen, was obendrein seiner Reaktionsfähigkeit schadet. Es resultiert ein brandgefährliches Abstumpfen seiner Sinne, ein Handicap, welches Annas Bluthunde (die sich danach sehnen, dem ungeliebten Kontrahenten mindestens die Fresse zu polieren) in eine deutliche Vorteilsposition lotst. Aber das juckt Rafael herzlich wenig, denn selbst im berauschten Zustand ist ihm kein Schmerz fremd - und Gnade ist er weder bereit zu geben, noch zu erhalten.
Garcia ist allerdings nicht der Einzige, der mit seiner Vergangenheit zu kämpfen hat. Isabel und Sebastian werden z. B. durch das Läuten einer Glocke in Panik versetzt, da sie das Geläut mit dem Mord an ihrem Vater assoziieren. Sie werden quasi zur Vorsicht gemahnt, was in ihrem Inneren wiederum ein Gefühl der Unsicherheit auslöst. Baldi spielt auf diese Weise einen Teil seiner Motivation aus, die auf eine chargierende An- und Abwesenheit Gottes hinweist.
Die Story setzt sich auf niveauvolle Weise mit der Blutrache auseinander. Um den Rezipienten möglichst schnell einzubinden, bietet ihm Baldi eine frühe Rückblende, die ihn mit den Charakteren und ihren Ambitionen vertraut macht. Fortan ist der Zuschauer bestens im Bilde und kann die Dramatik nahezu authentisch miterleben. Währenddessen offeriert Baldi diverse Action- und Gewaltsequenzen, welche mit zahlreichen Nahaufnahmen und schnellen Zooms auffahren, und denen man ebenfalls eine vorzügliche Inszenierung attestieren darf.
Das absolute Highlight unter den vielen Highlights, die dieser Film zu bieten hat, ist das Finale auf der Hazienda. Einerseits lässt das großartige Spiel der Protagonisten den Zuschauer zu einem Teil eines dramatischen Lösungsplots werden. Andererseits üben die hervorragenden Bildkompositionen eine derartige Faszination auf ihn aus, dass er dem Geschehen ´eh nicht entfliehen kann und sich (gemeinsam mit den Filmfiguren) der harten Realität stellen muss. So überrascht es schlussendlich auch nicht, dass „Seine Kugeln pfeifen das Todeslied“ in einem alles verschlingenden Feuer endet. The last exit, das unerlässliche Ziehen der Notbremse, um die Welt vom Bösen zu befreien und als reinigende Kraft zu wirken. Die dunkle Seite der Macht muss sich schlussendlich geschlagen geben, aber sie provoziert mit seinem letzten Geständnis ein nahezu lähmendes Entsetzen. Ob infolgedessen die Abwesenheit Gottes widerlegt oder belegt wurde? Findet es selbst heraus! Ich habe meine Erkenntnis gefunden, mag sie aber niemanden aufdrängen, denn „Seine Kugeln pfeifen das Todeslied“ ist einfach zu reich, um ihn eindimensional abzuhandeln, schließlich rumort es in allen Winkeln dieses - wie Christian Kessler ihn nennt – „donnernden Tragik-Westerns“.
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