Originaltitel: Il terzo occhio
Regisseur: Mino Guerrini
Kamera: Alessandro D'Eva
Musik: Francesco De Masi
Drehbuch: Gilles De Reys, Mino Guerrini, Piero Regnoli, Phil Young
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Mino lebt gemeinsam mit seiner Mutter (Contessa Alberti) und der Haushälterin Marta in der Villa Alberti. Die enge Bindung, die zwischen dem attraktiven jungen Mann und seiner Mutter (mit der er im selben Zimmer schläft) besteht, ist vermutlich dem Verlust seines Vaters geschuldet. Konträr zu dieser Bindung und seines befremdlichen Verhalten hat Mino vor geraumer Zeit ein hübsches Mädel kennen gelernt. Jener Augenstern, der sich Laura nennt, ist seither ein ständiger, allerdings auch unwillkommener Gast im Hause Alberti. Doch als ob ihre Unerwünschtheit nicht schon schlimm genug wäre, will Mino in naher Zukunft mit seiner Errungenschaft in den Hafen der Ehe einlaufen. Die Contessa, die nicht nur Antipathie und Aversion gegen Laura, sondern gegen alle Frauen, die ihrem Filius zu nahe treten könnten, hegt, ist von den Plänen freilich nicht im Geringsten angefixt und will die Heirat mit aller Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste vereiteln. Um dieses Ziel zu erreichen ist sie bereit, über Leichen zu gehen. Da sich eine Contessa jedoch ungern die Hände schmutzig macht, geschweige denn mit Blut befleckt, fällt die Drecksarbeit in Martas Ressort. Jene Haushälterin, die in der Villa Alberti das Licht der Welt erblickte, seit jeher für die Albertis ackert wie rackert und im Zuge von vorgespielter Loyalität und der hoffnungsreichen Aussicht auf fürstliche Entlohnung auch vor einem Mordauftrag nicht zurückschreckt. Demgemäß manipuliert Marta die Bremsen in Lauras Auto, und ausgerechnet Mino muss kurze Zeit später mit ansehen, wie die große Liebe seines Lebens in den Tod rast. Doch die heimtückische Tat ist erst der Auftakt zu einer Reihe von Morden, die von Stund an vom blutigen Wahnsinn flankiert werden.
Da ich mit dem Gedanken jongliere, zusätzlich Regale für meine umfangreiche Filmsammlung zu erwerben, habe ich kürzlich ein wenig vorselektiert und bin über manch DVD gestolpert, die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesichtet habe. Eine dieser Entdeckungen ist DAS DRITTE AUGE. Ein von Mino Guerrini inszenierter Psycho-Thriller, der rund 13 Jahre nach seinem Erscheinen als Vorlage für Joe D´Amatos berüchtigtem SADO - STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF fungierte. Seine Inspirationen zog Guerrini (vermutlich) aus der Hammer-Schmiede (DER SATAN MIT DEN LANGEN WIMPERN, HAUS DES GRAUENS) sowie aus PSYCHO und einigen weiteren Hitchcock-Vehikeln, die ich im Laufe der Besprechung noch benamsen werde.
„Ich gäbe sonst was dafür, wenn man mich von dieser Laura befreien würde!“ (Contessa Alberti)
Entgegen der beruhigenden Eingangsmusik, die harmonische Melodien in unsere Ohren schweben lässt, wirkt die Atmosphäre im Hause Alberti. Disharmonie ist ein zu humanes Wort, um den hier herrschenden Hass und dessen treuen Begleiter, die Missgunst, zu umschreiben. In der Villa Kunterbunt geht es derbe rund und man treibt man es deutlich zu bunt, denn hier leben und machinieren bzw. leiden und intrigieren Mutter, Sohn und eine bemerkenswert tüchtige Hausangestellte. Wie und woran der hier fehlende Hausherr, die starke Hand, der Vater, starb oder ob er evt. die Familie verlassen hat, erfahren wir nicht¹, aber unvollständige Familien sind schließlich keine Rarität innert derart ambitionierter Filmproduktionen. Ebenfalls keine Ausnahme sind in diesem Zusammenhang die Eindringlinge. Jene Personen, die Hass und Missgunst bewusst in eine an sich intakte Gemeinschaft tragen oder - wie in diesem Fall - latent vorhandenen Hass und Missgunst unbewusst additional befruchten und simultan katastrophale Folgen heraufbeschwören.
Gemäß der Haushälterin Marta sind die Contessa und ihr Sohn eine Person. Aus dieser Aussage lässt sich lesen, dass Mino eine maternistische Persönlichkeit ist, die ihre Sozialisation mittels der Mutteridentifikation (Remember: der fehlende Vater / der Verlust des Vaters) durchlief. Die Contessa will nun unter allen Umständen verhindern, dass ihr Sohn seine Laura ehelicht. Sie ist eifersüchtig auf jedes x-beliebige weibliche Wesen, das ihrem Mino zu nahe kommt, und fürchtet ihren Sohn sowie die Macht über ihn zu verlieren. Um ihre Souveränität zu bewahren, ihre nahezu totalitäre Tyrannei zu kräftigen, einhergehende Kontrolle auszuüben und somit über jeden Schritt ihres Sohns auf dem Laufenden zu sein, ließ die Contessa diverse Löcher in die Wände bohren. Spätestens jetzt werden Sie an Hitchcocks (Mütter spielen in Hitchs Filmen übrigens oft eine zentrale Rolle) PSYCHO und im Besonderen an Norman Bates denken, der Marion Crane ebenfalls mittels eines Lochs in der Wand nachspionierte. An jenen Norman Bates, der die Leiche seiner Mutter stahl, sie so gut wie möglich konservierte und im Keller verbarg, mitunter in deren Kleider schlüpfte, um anschließend emsig mit dem Küchenmesser zu morden.
Mino ist ein passionierter Tierpräparator, der seine ermordete Freundin ausstopfte (der Vorgang wird nicht visualisiert und ereignet sich nur auf der Metaebene) und anschließend wie Frank Wyler (SADO - STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF) in seinem Bett platzierte. Auch wenn Mino seine ebenfalls früh zu Tode gekommene Mutter nicht präpariert und in den Sessel oder in den Schaukelstuhl setzt, ist es offenkundig, dass der junge Mann vorübergehend in die Rolle seiner M schlüpft² und alle Frauen, die ihm zu nahe kommen, tötet. Wer seine Augen aufhält, der kann im Kontext der Persönlichkeitsstörung notabene eine Szene beobachten, in der sich Mino typisch weiblich verhält. Gemeint ist die Szene, in der er sich verzweifelt zu Boden wirft und Martas Beine umklammert. Ein solches Gebaren schreibt man gemeinhin hysterischen Frauen zu.
Wir erfahren Mino, und das sollte nun allen klar sein, als einen gestörten Charakter, der uns in keiner Weise einen Halt spendiert. Seine anfänglich zumindest zwiespältige Verhaltensweise weicht wenig später einem durch und durch beunruhigenden Habitus, der uns jeglicher Hoffnung, Mino könne sich zum Guten wandeln und uns schlussendlich doch noch als Identifikationsfigur dienen, beraubt. Laura, Minos angehende Ehefrau, bietet sich in ihrer Eigenschaft als Eindringling freilich als Identifikationsfigur an, aber sie segnet wie Marion in PSYCHO sehr früh das Zeitliche. Guerrini lässt kurze Zeit später deren Schwester (Daniela) ins Geschehen eingreifen, womit eine weitere Parallele (Lili Crane) zu PSYCHO (der Mord unter der Dusche wird, wenn auch in abgewandelter Manier, ebenfalls zitiert) erkennbar ist. Da keine der Personen unseren Identifikationsansprüchen gerecht wird, werden wir zum neutralen wie aufmerksamen Beobachter. Wir beobachten, wir warten ab und lassen das Geschehene respektive das Gesehene reflektieren…
Letzteres Verb liefert die minder gelenke Überleitung zu den Reflektionen, treffender formuliert zu den Schattenspielereien (ungeachtet ob Primär- oder Sekundärschatten), die DAS DRITTE AUGE inkludiert. Die Beleuchtung hat zu diesem Zweck die Traditionen des Expressionismus aufgenommen und der Kamera einige vorzügliche Kompositionen serviert. Das fertige Produkt lässt auch in diesem Zusammenhang Gemeinsamkeiten mit Hitchcock (man schaue DER FALL PARADIN, DIE 39 STUFEN als auch REBECCA) erkennen. Ähnlich komponierte Schattenspiele können Sie freilich auch in den bereits zu Vergleichszwecken genannten Hammer-Produktionen sowie - um Italien treu zu bleiben - in zahlreichen italienischen Gothic-Horror-Produktionen beobachten. Diese schaurig schönen Gothic-Vehikel verlagern ihre Schauplätze in dito schaurig schöne Gebäude, in denen monströse Halbwesen, verunstaltete als auch geisteskranke Menschen Bewohner wie Gäste gleichermaßen bedrohen. Nicht selten hausen diese Bedrohungen in einem bestimmten Teil des Gebäudes: Nord-, Süd- Ost- oder Westflügel. Gebäudeteile, die man aufgrund der bekannten Gefahr meiden soll, was aber zumeist nicht beachtet wird. Ab und an werden diese Gebäudeteile auch abgesperrt, weil ein Angehöriger, der in diesem Trakt lebte, zu Tode kam. So ordnet auch Mino nach dem Tod seiner Mutter an, dass fortan niemand den Flügel des Hauses betreten darf, in dem die Verblichene einst lebte. Eine Anweisung, die mich erneut an Hitch, im Besonderen an seinen wunderschönen Film REBECCA erinnert. Dort, im malerischen Manderley, musste der Westflügel, in dem die verblichene Rebecca de Winter lebte, unangetastet bleiben.
Wie eingangs gesagt handelt es sich bei DAS DRITTE AUGE um die Inspirationsquelle zu SADO - STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF. Wer jenes berüchtigte Remake auf dessen Ekel- und Goreszenen reduziert, der hat sie erfahrungsgemäß eh nicht alle auf dem Christbaum. Zudem wird dem angesprochenen Personenkreis, und dafür sprechen ebenfalls meine Erwahrungswerte, auch die extrem morbide Atmosphäre, die SADO zueigen hat und die D´Amatos Film nach meinem Dafürhalten erst einmal interessant macht, entgangen sein.
Trotz des fortwährend bedrückenden Todesflairs, das mich immerzu erfolgreich zu SADO verführen kann, sehe ich im direkten Vergleich das Original vor dem Remake. Dafür sorgen gute Darsteller, eine spannende Inszenierungsweise sowie eine aparte, zwischen Hitchcock, Hammer und Italo-Gothic schwingende Schwarzweiß-Fotografie. Die Schwarzweiß-Fotografie eines Films, in dem Hass und Wahn zum Greifen nahe sind und wo der Tod das erste wie auch letzte Wort spricht. Ein Film, der leider ein eher unbekanntes Dasein fristet und deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Fußnoten:
¹ Zumindest lässt uns die deutsche TV-Synchronisation darüber im Unklaren, warum und wie der Vater die Familie verlassen hat.
² Auch wenn Bodo Fründt in seinem Buch „Hitchcock und seine Filme“ im Kontext von PSYCHO behauptet, dass die Einschätzung des Psychiaters, Dr. Fred Richmond, absichtlich unbefriedigend ausgefallen ist, sollte uns Richmonds Behauptung hinsichtlich der Entwicklung Norman Bates, zwecks eines Vergleichs mit Mino Alberti, interessieren: „Normans kritisches Stadium hat mit dem Tod seines Vaters begonnen, seine Mutter hatte danach rücksichtslos von ihm Besitz ergriffen.“
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