Meine Rezension mit Bildimpressionen:
"La coda dello scorpione" - und hier stimmt der deutsche Titel ausnahmsweise mal mit dem italienischen Originaltitel überein - ist der zweite Giallo von Sergio Martino nach
"Lo strano vizio della Signora Wardh" ("Der Killer von Wien"). Er hatte im selben Jahr Premiere in Italien. Neben Sergio Martino weist der Film noch weitere Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger auf. So spielt in beiden Produktionen George Hilton die männliche Hauptrolle. Sergios Bruder Luciano Martino produzierte beide Filme. An den Drehbüchern arbeiteten Ernesto Gastaldi und Eduardo Manzanos Brochero, die Kamera führte jeweils Emilio Foriscot. Jedoch sind die Unterschiede ebenso auffällig wie die Gemeinsamkeiten. Die Stimmung in "Schwanz des Skorpions" ist eine ganz andere als die durch die träumerischen, in Erotik schwelgenden Rückblenden aufgebaute sinnliche Atmosphäre des vorhergehenden Werks.
Das zeigt sich schon in der Wahl der weiblichen Hauptdarstellerin - oder besser gesagt, Hauptdarstellerinnen. Während Edwige Fenech als Julie Wardh in erster Linie Empfindsamkeit, Fragilität und Weiblichkeit im Höchstmaß ausstrahlte, sind in "La coda dello scorpione" mit Ida Galli (alias Evelyn Stewart) als Millionärswitwe Lisa Baumer (die etwa ein Drittel des Films als temporäre weibliche Hauptfigur bestreitet) und Anita Strindberg als Journalistin Cléo Dupont zwei nordisch-kühle und deutlich rationaler wirkende Damen im Einsatz, deren Figuren sich bis zu einem gewissen Punkt durchaus selbstbestimmt in einer männlich dominierten Umgebung zu entfalten wissen. Bei Lisa Baumer, die in der einleitenden Straßenszene mit rotem Hut als "cappuccetto rosso", sprich Rotkäppchen, einherschreitet - ein trügerisches Bild scheinbarer Unschuld? - geht das einher mit einer sich langsam enthüllenden moralischen Korruption. Sie steht im Verdacht, einen Flugzeugabsturz verursacht zu haben, um eine Million Dollar aus des Gatten Lebensversicherung zu kassieren. Dass das nicht lange gutgeht, sollte außer Frage stehen. Wir ahnen, zumindest wenn wir den Fall der Mrs. Wardh nicht mehr klar vor Augen haben, aber noch nicht, dass diese Korruption aber im weiteren Verlauf des Films nahezu alle Figuren zu betreffen scheint. Selbst Figuren, die korruptes Handeln zu bekämpfen scheinen, werden unverhofft selbst als gierig und betrügerisch präsentiert - ein Motiv, das damals auch in der kreuz und quer verzweigten Mordgeschichte in Bavas "Reazione a catena" drastischen Ausdruck fand. Reichtum und vor allem die Aussicht darauf werden allenthalben als moralisches Gift ausgewiesen, mitunter in Kombination mit außerehelicher Sexualität. Anita Strindberg ermöglicht dabei, wie auch in anderen Rollen, Einblicke in die Kinderstube der plastischen Chirurgie.
Als anscheinende Gegenkraft werden Presse und Polizei dargestellt, vertreten von Cléo Dupont sowie dem Interpol-Mann John Stanley und dem Athener Inspektor Stavros, die von Albert de Mendoza und Luigi Pistilli gegeben werden. Aber auch hier scheint die Harmonie nicht ungetrübt, denn zwischen Stanley und Stavros gibt es Kompetenzgerangel und auch in ihrer charakterlichen Anlegung beißen sich das weltmännische Gehabe und die Verdachtsfreudigkeit Stanleys mit dem bodenständigen Skeptizismus von Stavros, der zudem recht asexuell erscheint, was ihn in eine klare Opposition zu Lynch bringt, den er schon aufgrund dessen lockeren Lebenswandels nicht unverdächtig zu finden scheint. Ein typisches Giallomotiv ist, dass die Polizei mit ihren Ermittlungen oft hinterherhinkt, und dies wird im Fall von Stavros durch ein Puzzle verdeutlicht, das er nicht zusammenzusetzen imstande ist. Statt seiner beendet Versicherungsagent Peter Lynch (George Hilton) das symbolkräftige Puzzle, was in dessen Fall eine besondere Ironie hervorbringt.
Bei Lynch selbst jedoch gibt es das aus vielen Gialli, vor allem den von Argento gedrehten, geläufige Motiv des vergessenen Details oder des Anhaltspunktes, von dessen Vorhandensein die männliche Hauptfigur überzeugt ist, ohne ihn jedoch identifizieren zu können. Bei Argento hat dies eine psychologische Konnotation; das Gedächtnis funktioniert selektiv und blendet aus, was das Auge sieht, aber nicht in den Denkhorizont des Sehenden passt. Dieses Detail wird in einem versteckten Winkel des Gedächtnisses abgelegt, wo seine Gegenwart spürbar, es selbst aber nicht sichtbar ist. In "La coda dello scorpione" läuft dieses per se spannungsfördernde Element jedoch aufgrund der Handlungsentwicklung am Ende weitgehend ins Leere. An Stelle des Argento'schen oft von Traumata und Verdrängtem geprägten psychologischen Ansatzes stehen hier - wie auch schon im Falle des vorhergehenden "Killers von Wien" - als Triebkraft der Handlung Geldgier und Vergnügungssucht einer amoralischen feinen Gesellschaft, wie sie auch in den Filmen etwa Bunuels oder Chabrols zu finden ist, immer begleitet von dem unterschwelligen Paradoxon, dass die Reichen und Gutaussehenden zwar als intrigant und gierig verworfen werden, der Film aber schon aus optischen Gründen auf sie angewiesen ist, um durch Schauwerte wie Körper, Mode und luxuriöse Innenausstattungen ein elegantes und vielseitig kameraästhetisch verwertbares Gesamterscheinungsbild zu schaffen.
Martino und Kameramann Foriscot sowie Assistent Giancarlo Ferrando wissen nicht nur das Breitwandformat gezielt und virtuos zu nutzen, das dynamisch und fantasievoll, ob mit Nahaufnahmen von sich einander zärtlich nähernden Händen oder panisch weglaufenden Mordopfern, gefüllt wird. Sie haben sich auch hier wieder sehr viel einfallen lassen, um verschiedensten Momenten im Film eine eigentümliche Prägung zu geben. Ein Höhepunkt ist hierbei sicher der Doppelmord an Erpresserin Lara Florakis (Janine Reynaud) und ihrem gorilla-artigen Anwalt (Luis Barboo). Reynaud, die zuvor von Jess Franco beispielsweise in
"Necronomicon - Geträumte Sünden" als Sexsymbol in Szene gesetzt wurde, agiert hier als missgünstige Schreckschraube. Der Mord bezieht eine Glasscheibe mit ein, an die sich das Opfer drückt, und erinnert damit an einer Szene aus Argentos späterem Horror-Klassiker
"Suspiria", für die auch die optische Verzerrung des menschlichen Gesichts, der plötzliche Umschlag von Schönheit zu Schrecken, charakteristisch ist. Aber auch ungewöhnliche Kamerawinkel kommen hier zur Genüge ins Spiel. Zudem ist die Tongestaltung der Szene spannend gelöst. Der Ton erscheint, korrespondierend mit einer Zeitlupe, zeitweise verlangsamt - beim Mord selbst schweigt die Musik, wo Argento vermutlich eine hämmernde Goblin-Melodie eingesetzt hätte - erst beim Fließen des Blutes setzt requiemartig Nicolais wehmütige Cembalo-Melodie ein. Blut fließt nicht nur an dieser Stelle im Film, zumindest eine Szene bietet auch eine für die damalige Zeit drastische Nahaufnahme. Betroffen ist das Auge, das auch an anderen Stellen des Films in bizarren Arrangements (Puppen, Gemälde) als Symbol für die von Intriganten gefürchtete Beobachtung eingesetzt wird. Die dynamische Einbettung und gelungene Platzierung der expliziten Gewaltaufnahmen vermögen die dem Stand der Zeit entsprechenden, teils recht offensichtlichen Spezialeffekte aufzuwiegen.
Bemerkenswert ist weiterhin eine Polizeiverhör-Szene, in der das Bild um 90 Grad rotiert erscheint; so können Figuren der Länge nach abgebildet werden, durch Drehung der offenbar auf der Seite liegenden Kamera werden Schuss und Gegenschuss realisiert. Eine ähnliche Einstellung ist in Giuliano Carnimeos
"Perchè quelle strane gocce di sangue sul corpo di Jennifer" ("Das Geheimnis der blutigen Lilie") zu sehen, wo aber nicht Foriscot, sondern der spätere Actionregisseur Stelvio Massi die Kamera führte. Solche waghalsigen Einstellungen zeigen, wie viel visuell gesehen im Giallo und im italienischen 70er-Genrekino allgemein möglich war, es wurde vieles hingebungsvoll ausprobiert, was heutiges Kino wohl dem Diktat glatter Bildoptimierung opfern würde. Ein Kleinod des Films ist sicher die (mit einem niedlichen Modell durchgeführte) Szene einer Flugzeugexplosion, die parallel mit dem Liebesakt eines Paares montiert ist - die Explosion bildet so gleichzeitig den Höhepunkt des Aktes ab. Kriminalität und Sexualität erscheinen auffällig verschränkt.
Ohne dass er die ästhetische Brillanz seines Vorgängers, des "Killers von Wien" alias "Lo strano vizio della Signora Wardh", erreichen könnte oder ein gleich faszinierendes Schauspielerensemble böte, belegt auch der "Schwanz des Skorpion" die Klasse und Experimentierfreude der Beteiligten. Wie auch andere zeitnah entstandene Gialli Martinos gehört er zum Kernbestand des Genres.