Sein eigener Dokumentarfilm „Made in Serbia“ brachte den jungen serbischen Filmemacher Mladen Djordjevic auf eine Idee: Fasziniert vom Plan einer durchs Land tingelnden Porno-Guerilla, die er im Zuge der Dreharbeiten zu seinem die serbische Porno“industrie“ unter die Lupe nehmenden Film kennenlernte, entwickelte er das Drehbuch zu seinem pseudo-halbdokumentarischen Spielfilmdebüt „Leben & Tod einer Pornobande“, das eben jenes Konzept aufgreift. Das Ergebnis ist ein 2009 veröffentlichtes, schwer verdauliches Road-Movie-Drama, das unter Zuhilfenahme expliziter Sex- und Gewaltszenen den Zustand des Landes nach der Zersplitterung des jugoslawischen Vielvölkerstaats und schweren kriegerischen Auseinandersetzungen porträtiert. Die Regie übernahm er persönlich, die Kamera führte Nemanja Jovanov („A Serbian Film“).
Nachwuchsregisseur Marko ist ambitioniert und brennt darauf, seine künstlerischen Visionen umsetzen zu können. Für seine Projekte findet er jedoch keine Geldgeber und muss sich schließlich als Filmer für einen zwielichtigen Pornoproduzenten durchschlagen. Als er schließlich dessen Geld dafür aufwendet, ein eigenes Filmprojekt zu verwirklichen, muss er die Flucht ergreifen. Er schart eine Gruppe gescheiterter Existenzen um sich, um mit ihnen als Porno-Kabarett von Dorf zu Dorf zu tingeln und die Landbevölkerung „sexuell zu erziehen“. Das funktioniert jedoch eher schlecht als recht und wird vom deutschen Kriegsberichterstatter Franz beobachtet, der Marko eines Tages zu überreden versucht, Snuff-Filme zu drehen…
Der pseudodokumentarisch als Videotagebuch Markos angelegte Low-Budget-Film wurde vornehmlich mit Handkameras gedreht und verfügt weitestgehend auch über exakt diese Optik zugunsten des Realismus. Der verhinderte Filmemacher trägt deutliche Züge eines Alter Egos Djordjevics, der zu Beginn seiner Karriere ebenso wenig seine eigenen Visionen mangels interessierter Förderer verwirklichen konnte. Von Beginn an gibt sich „Leben & Tod einer Pornobande“ recht offenherzig (z.B. in Bezug auf die Pornodrehs), erscheint jedoch zunächst beschwingt und leichtfüßig wie eine Milieukomödie. Nach und nach ändert sich der Tonfall indes. Bereits die Beweggründe für die Mitglieder der Pornobande, in Hippie-Manier in einem bunt bemalten Kleinbus durch die Lande zu fahren, zeugen von einem verkorksten bisherigen Leben und schwanken zwischen Hoffnung auf eine neue Chance und der Gewissheit, ohnehin nichts mehr zu verlieren zu haben. So treffen Markos Bettgespielin, die eine ausgebildete Schauspielerin ist, auf eine fürs normale Geschäft etwas zu füllige Dame, ein HIV-positives sowie ein drogenabhängiges Pärchen und unterwegs sammelt man noch einen zoophilen Transsexuellen ein.
Was dennoch anfänglich nach Vergnügen, Ausbruch aus dem Alltag und Abenteuer sexuell aufgeschlossener Menschen aussieht, die ein von gegenseitiger Akzeptanz geprägtes Miteinander pflegen, gerät schnell zur Abrechnung mit dem provinziellen Teil und Geist Serbiens, denn so interessiert manch Dorfbewohnerschaft das Pornotheater verfolgt, so grausam reagiert es auch auf die Provokationen, was sich auf Dauer nicht sonderlich ermutigend auf die Gruppe auswirkt. Den Kontrast zwischen politisch uninteressierten urbanen Außenseitern und der nach dem Kollaps des Landes erstarkten konservativen bis reaktionären, ja, geradezu primitiven Landbevölkerung ist ein besonderes Anliegen des Films, der damit Mosaiksteinchen ins sich immer weiter verdichtende Bild einer desillusionierten, perspektivlosen post-sozialistischen Gesellschaft eines zerbombten und in vielerlei Hinsicht eher am Abgrund stehenden Staats zeigt, die zunehmend abgestumpft und vom individuellen Überlebenskampf bestimmt ist und sich von niederen Instinkten ebenso leiten lässt, wie es sie bedient. Gleichzeitig hält Djordjevic dem westlichen Zuschauer einen Spiegel vor, wenn er u.a. Bezug nimmt auf moderne US-amerikanische Torture- und Terrorfilme und exakt die Vorstellungen eines Balkanlandes untermauert, die bei weiten Teilen der Weltbevölkerung vorherrschen und durch jene Genrefilme transportiert werden.
Dies ist insbesondere ab dem Punkt der Fall, an dem die Handlung ein weiteres Mal kippt und Franz ins Spiel kommt, der Marko überredet, Snuff-Filme für ein gut zahlendes elitäres Publikum zu drehen. Franz steht stellvertretend für die skrupellosen Ausbeuter des geschwächten und gebeutelten Landes, die vom Leid anderer profitieren. Djordjevic reichert diese Rolle zusätzlich mit Medien- und Konsumkritik an, während der Zuschauer nur ahnen kann, wie es einem Volk ergeht, das tagtäglich in den Nachrichten mit Bildern wahrhaftiger Kriegsgräuel konfrontiert wurde, welcher Prozess dadurch in Gang gesetzt wird, was sich in den Köpfen damit über einen längeren Zeitraum Konfrontierter abspielt, die sich zudem den Folgen der radioaktiven Verseuchung durch die Bombardements durch das Nato-Mörderbündnis ausgesetzt sehen. Das pseudomoralische Gerüst zur Rechtfertigung ist jedenfalls schnell gestrickt; „Leben & Tod einer Pornobande“ schockiert mit der Niedrigschwelligkeit des Schritts für zumindest ansatzweise als Sympathieträger eingeführte Protagonisten. Was folgt, ist der letztlich wenig überraschende, in seinem Wie und Warum dennoch erschreckende konsequente Zerfall der Pornobande, der einher geht mit dem moralischen Zerfall des Geistes der einzelnen Mitglieder. Die Abwärtsspirale dreht sich unaufhaltsam, bis am Ende im Fünf-Minuten-Takt gestorben wird und letztlich nichts mehr bleibt.
Es ist weit weniger der Umstand, dass manch Geschlechtsorgan in Aktion zu sehen ist und dass die eine oder andere Gewaltszene mittels Spezialeffekten unappetitlich gestaltet wurde, der „Leben & Tod einer Pornobande“ zu einem solchen Magenschwinger macht. Vielmehr ist es die inhaltliche Radikalität und Erbarmungslosigkeit, mit der Djordjevic seinem Publikum vor den Kopf schlägt. Er verzichtet weitestgehend auf selbstzweckhafte Schockmomente und entspinnt eine vulgär-künstlerische Parabel auf den Zustand der serbischen Gesellschaft, die die Verrohung des Individuums greifbar macht. Positiv hervor stechen die mutigen Schauspieler, die sich bereiterklärten, ohne falsche Scham und für wenig Geld in diesem Film mitzuwirken. Sie wurden Teil eines Stücks modernen, wütenden, entromantisierenden und sexuellen, doch komplett unerotischen, Grenzen auslotenden osteuropäischen Kinos, das von Komik über Tragik bis hin zu im wahrsten Sinne des Wortes nackter Gewalt die komplette Bandbreite abdeckt, dass es wehtut und nachhallt und damit bewusst für Kontroversen sorgt.
Ich kann diesen Film nicht bewerten, nur beschreiben, daher verzichte ich auf die Anstrengung der Punkteskala.
Leben & Tod einer Pornobande - Mladen Djordjevic (2009)
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Re: Leben & Tod einer Pornobande - Mladen Djordjevic
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!