Near Dark - Kathryn Bigelow (1987)

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Maulwurf
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Re: Near Dark - Kathryn Bigelow (1987)

Beitrag von Maulwurf »

Maulwurf hat geschrieben: Di 10. Nov 2020, 21:10 Irgendwie habe ich diese Vampire-führen-sich-auf-wie-die-Sau-am-Sofa-Story in einem modernen Western-Setting besser in Erinnerung. Die Liebesgeschichte zwischen Mensch und Vampirin wirkt Twilight-artig so unendlich kitschig, die Action ist eher wenig, und insgesamt ist der Film überraschend schlecht gealtert. Mehr als 6 von 10 Knutschflecken sind da nicht drin ...

... und nun noch mal etwas ausführlicher:

Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis
Near dark
USA 1987
Regie: Kathryn Bigelow
Adrian Pasdar, Jenny Wright, Lance Henriksen, Bill Paxton, Jenette Goldstein, Tim Thomerson, Joshua John Miller, Marcie Leeds, Kenny Call, Ed Corbett, Troy Evans, Bill Cross


Near Dark - Die Nacht hat ihren Preis.jpg
Near Dark - Die Nacht hat ihren Preis.jpg (113.54 KiB) 208 mal betrachtet
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Drei junge Männer am Abend in einer kleinen Stadt, irgendwo in der Einöde des Südwestens der USA. Dann ein junges und gutaussehendes Mädchen die ein Eis isst. Einer der jungschen Typen, Caleb, spricht sie an: „Kann ich mal beißen?“ Sie: „Beißen“? Er: Ich würde sterben für ein Eis.“ Sie: „Sterben?“
Der nächste Verlauf ist für alle Zuschauer, die sich mit Vampirfilmen im Allgemeinen und mit TWILIGHT im Besonderen auskennen, fast selbsterklärend: Das Mädchen, Mae, ist eine Vampirin und beißt Caleb, aber nur soweit dass er ebenfalls zum Vampir wird. Als sie ihn ihrer Familie vorstellt stößt er auf brutale Ablehnung, und er hat es auch lange Zeit schwer, weigert er sich doch zu töten, und suggelt stattdessen lieber an Mae. Gerade mal so geduldet reist man also des Nächtens durch die Wüstenei, sucht sich einsame Opfer, und überfällt ziemlich blutig eine Kneipe, damit Caleb endlich mal zum Töten kommt. Statt der überfälligen Initiation setzt sich aber die Polizei auf die Spur der Vampire, und bei einer wilden Schießerei schafft Caleb es, dass alle überleben. Gut gemacht, jetzt ist er einer von ihnen! Zumindest solange, bis die Blutsauger Calebs zufällig anwesende menschliche Familie aus dem benachbarten Motelzimmer zum Abendessen rüberholen, denn da regt sich der Familiensinn und der Mensch in ihm gewinnt Oberwasser. Familie ist halt einfach wichtiger als Liebe, aber vielleicht kann man ja auch beides zusammen haben …?

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Klingt das nicht irgendwie kitschig oderschnulzig? Könnte das nicht auch eine Folge aus dem TWILIGHT-Zyklus sein? Ohne dass ich mich da genauer auskenne behaupte ich mal, dass die Ähnlichkeiten der Storyline soweit verblüffend sind. Klar, es gibt Unterschiede, sonst hätte NEAR DARK nicht diesen Kultstatus: Erheblich mehr Blut und einiges mehr an Gewalt, viel Schmutz, Jenette Goldstein hat ein Dekolleté für wahrhaft sündige Gedanken, und die Vampire sind definitiv nicht nett.
Nein, nett sind sie nicht! Spaß an der Gewalt, Sadismus, Zynismus, das ist das Instrumentarium der Vampirfamilie, und jeder von ihnen ist ein Ausbund an abgrundtiefer Gemeinheit. Allen voran Severen (Bill Paxton), der mit seinem guten Aussehen und seiner König der Welt-Attitüde lange Strecken des Films beherrscht. Vor ihm muss man Angst haben, gegen ihn sind auch die anderen Vampire Waisenknaben. Jesse (Lance Henriksen) mal ausgenommen, aber der versteckt seine Gewalttätigkeit geschickt hinter einer Fassade der Coolness, wohingegen Severen mehr so den Haudrauf-Punk darstellt. Diamondback (Jenette Goldstein) scheint die Älteste des Clans zu sein, aber leider bleibt sie hinter den anderen ein wenig m Hintergrund, genauso wie der kindliche Homer (Joshua John Miller) und Mae (Jenny Wright) recht farblos bleiben.

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Ein Schicksal, welches sie mit dem männlichen Hauptdarsteller Adrian Pasdar teilen. Der nämlich schaut gut aus und hat sicher eine tolle Figur – aber sonst ist da nicht viel. Wie so oft ringt man als Zuschauer die Hände ob der Unvernunft und Einfalt eines Menschen, dem ewiges Leben in den Schatten gegönnt wird, und der einfach nicht verstehen will was da mit ihm passiert. Brad Pitt wird einige Jahre später eine ähnlich angelegte Rolle in INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR spielen, und da wird dann auch klar warum Brad Pitt diesen Gestus des Superstars hat. Der nämlich kann diesen Zwiespalt aus der Verweigerung des Tötens und dem Hunger nach Blut, dieses Dilemma aus Gewissen und Überlebenwollen, überzeugend darstellen, kann den Konflikt eines taggeborenen Menschen, der zu einer Kreatur der Nacht wird, glaubhaft und intensiv zeigen. Adrian Pasdar hingegen schaut oft aus wie ein langjähriger Drogenabhängiger, und benimmt sich auch genau so: Desorientiert, hilflos, müde. Mag sein, dass das als Identifikationsfigur für etwa 20-jährige taugt, ich bin einige Jahre älter und kann mit Lance Henriksen erheblich mehr anfangen. Der hat außerdem die erheblich attraktivere Frau an seiner Seite …

Aber wir waren bei TWILIGHT, und aus heutiger Sicht, das mit dem heutig ist vor allem ganz wichtig, drängt sich der Vergleich mit der erwähnten Schnulzen-Vampir-Geschichte geradezu auf – Am dieser Stelle ist NEAR DARK einfach schlecht gealtert. In den Weiten des Internets habe ich eine Kritik zu TWILIGHT gefunden und musste mit Entsetzen und Belustigung feststellen, dass manches, was dort geschrieben wird, auch auf NEAR DARK zutrifft, wenngleich hier auch die Geschlechter getauscht werden. Wollen wir doch mal schauen*:

„Er ist ein Vampir, saugt aber nur Tiere aus. Und er mag Bella wirklich gerne. Eine Romanze beginnt.“

OK, Mae saugt auch an Menschen rum, aber das sieht man nie. Selbst in der blutigsten Szene des Films, dem Überfall auf die Kneipe, hält Mae sich extrem zurück mit irgendwelchen Brutalitäten. Schließlich soll sie ja auch als Sympathiefigur fungieren.

„Währenddessen stromert ein ganz anderes Vampir-Trio durch die Gegend. Im Gegensatz zu Edward und seiner Sippe lutschen sie tatsächlich Menschen aus.“

Diese Sache ist in NEAR DARK ganz einfach auf ein und dieselbe Familie komprimiert worden: Mae ist die Gute, die anderen Vampire sind die Bösen. Aber sonst haben wir da eine identische Grundkonstellation. NEAR DARK hatte, und das sehen wir auch an der Inszenierung vieler Actionszenen, kein allzu hohes Budget zur Verfügung (5 Millionen Dollar waren es, um genau zu sein), eine weitere Vampirgruppe war da einfach nicht mehr drin

[.. ]die Figuren sind erschreckend farblos – nicht nur die Vampire.“

Ja, das kann ich bestätigen. Figuren wie Vorlagen aus dem Handbuch des kleinen Drehbuchautors (der Vater, der Sheriff, Severen) oder Charaktere mit erheblich zu wenig Screentime (Diamondback, Jesse).

„Zudem präsentiert uns „Twilight“ das wohl leidenschaftsloseste Liebespaar, das jemals das Licht des Kinoprojektors erblickt hat. Zwei Teenager im Rausche der Hormone, die sich allen Ernstes die ganze Zeit auf Sicherheitsdistanz anschmachten. Bloß nicht zuviel Körperkontakt, igitt. Herrschaften, die sind Siebzehn. Geht es denn noch lebensfremder?“

Ein guter Teil des Films besteht darin, eine Liebesgeschichte zwischen jungen Menschen abzubilden, die aus bekannten Gründen nicht so recht zusammenkommen können wie sie denn gerne möchten. Ein- oder zweimal wird geknutscht, das war es schon. Familientaugliche Vampirunterhaltung für das Nachmittagsprogramm. Ich meine, wenn der Vampirclan schon so drauf ist wie er ist, nämlich geil auf Blut und hemmungslos brutal, was ist dann mit Sex? In dem deutschen WIR SIND DIE NACHT besteht die Vampirfamilie aus 4 jungen Frauen, und die saufen und koksen und rauchen und vögeln ohne süchtig, fett oder schwanger zu werden. Sie genießen das unsterbliche Leben in vollen und hedonistischen Zügen, ohne Reue und ohne Probleme. Selbst in INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR ist das Thema Sex immer wieder immanent, und der ist auch nur sieben Jahre nach NEAR DARK entstanden …

„Mit dem Charisma einer ausgelutschten Blutorange und der Mimik eines frisch Ausgesaugten markiert er den traurigen Tiefpunkt in diesem Teenie-Trauerspiel. Für so eine schweigsame und melancholische Rolle braucht es einen Darsteller, der mit den Augen spielen kann. Pattinson kann es definitiv nicht.“

Jenny Wright ist nicht unsympathisch, aber als frisch verliebte Vampirin mit einem unstillbaren Hunger nach Blut und Lover geht sie entschieden nicht durch. Die Gründe sind die gleichen wie bei Robert Pattinson …

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Könnte es am Ende gar sein, dass Stephenie Meyer, die Autorin der TWILIGHT-Romane, ursprünglich mal von NEAR DARK inspiriert wurde? Und die Geschichte, abgestoßen vom Blut- und Schmutzgehalt des Films, zu einer sauberen Teenie-Romanze umfunktioniert hat?
Gut vorstellbar, aber vielleicht bin ich ja auch nur zu versaut für solche Märchen. Was mir hier das Vergnügen trübt ist einfach dieser Hang zum Kitsch, zur Schnulze mit dem Zielpublikum des Spätpubertierenden, und der Schluss passt dann zu diesem Kitsch wie Sahnecreme auf Torte. Friede, Freude, Eierkuchen unter einer glücklich scheinenden Sonne, die Familie ist vereint, die Unholde sind tot, und das Leben ist wieder in Ordnung auf unserer kleinen Farm. Vergessen sind die gelegentlichen Ausflüge in die Nacht, denn nun können wir so leben wie es einem ordentlichen Redneck gebührt. Mal ganz ehrlich: Mae wird Sehnsucht nach dem anderen Leben bekommen, wetten? Nach Freiheit und dem Geruch der Nacht. Und zwar ganz schnell …

Ich für meinen Teil habe eher Sehnsucht nach düstereren Filmen, die zwischen Gewalt und Sex pendeln und ein realistischeres Bild der Welt zeichnen. NEAR DARK mag 1987 stilbildend gewesen sein, und die Actionszenen passen genau in diese Zeit und atmen auch den Geist der späten 80er, aber mehrere Jahrzehnte später hat sich das Rad der Filmwelt weitergedreht, und der Film ist, mitsamt seiner 18er-Freigabe, in den Bereich der Familienunterhaltung gerutscht. Für die Tochter hat es die liebende Jungvampirette, Papi und Sohnemann können mit den Actionszenen etwas anfangen, und Mama träumt heimlich davon so zu sein wie Diamondback: Lasziv, verdorben und lebendig, aber bloß nicht zu viel! Immer nur ein biß-chen …

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* Alle Zitate sind von Autor Martin Riggs und dieser Quelle entnommen: https://www.horrormagazin.de/filmkritik ... auen-2375/.

6/10
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Re: Near Dark - Kathryn Bigelow (1987)

Beitrag von buxtebrawler »

@Maulwurf: Das ist eine sehr interessante Gegenüberstellung. Vorläufig komme ich zu dem Schluss, dass mir persönlich offenbar Twilighthaftigkeit weniger ausmacht, wenn sie in einem '80er-Setting angesiedelt ist. :lol: Ich müsste den Film aber mal wieder gucken, um das wirklich beurteilen zu können - und "Twilight" vielleicht auch überhaupt erst mal gucken, aber davor graut's mir dann doch. Mit unseren Bewertungen (du 6, ich 7/10) liegen wir ja aber auch gar nicht so weit auseinander.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Near Dark - Kathryn Bigelow (1987)

Beitrag von Maulwurf »

TWILIGHT habe ich selber auch nicht gesehen, aber man muss auch nicht immer alles gesehen haben um es beurteilen zu können. Und die Parallelen sind einfach gar zu auffällig. Auf der anderen Seite zieht die Action hier genügend um sich ein Ganz gut zu erarbeiten. Aber mehr wird es einfach nicht. Zu viel Liebesschmonzes versaut mir da die Stimmung.
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Re: Near Dark - Kathryn Bigelow (1987)

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint voraussichtlich heute noch einmal bei WMM auf Blu-ray im wattierten, auf 222 Exemplare limitierten Mediabook:

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Extras:
Drei Audiokommentare, Making Of, entfernte Szene, Storyboards, Bildergalerien, Einführungen, Featurette, Trailer, 20-seitiges Booklet mit einem Text von Peter Osteried, zwei Bonus-DVDs mit zwei weiteren Horrorfilmen

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... vid=121347
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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