Re: Die Rache der Kannibalen - Umberto Lenzi
Verfasst: Mo 10. Jan 2011, 18:24
Mit das Interessanteste bei CANNIBAL FEROX finde ich die Darstellung der Eingeborenen, bei der Signore Lenzi sich offenkundig (wie in vielen anderen Belangen auch) von Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST inspirieren ließ. Vor CANNIBAL HOLOCAUST findet man unter all den Kannibalenstämmen, die das italienische B-Kino bevölkerten, keinen einzigen, der aufgrund äußerer Einwirkungen, sprich: durch das Fehlverhalten weißer Kolonialisten, erst zu dem geworden wäre, was er ist. Ob nun in MONDO CANNIBALE 1+2, in NACKT UNTER KANNIBALEN oder Martinos WEISSE GÖTTIN DER KANNIBALEN: die Eingeborenen sind von Natur aus Fleischfresser, und hetzen selbstverständlich alles, was ihnen als Nahrungslieferant vor die Speere kommt. Anders indes bei CANNIBAL HOLOCAUST, wo die Kolonialisten mit Waffen und Kameras ihren garstigen Tod in den Eingeborenenmägen selbst verschulden. Zwar werden die Eingeborenen auch zuvor schon als Kannibalen klassifiziert, üben ihre besonderen kulinarischen Praktiken indes nur im Rahmen ritueller Zeremonien oder Stammeskriege aus. Professor Kerman, der auszieht, um herauszufinden, was nun mit dem verschollenen Filmteam um Alan Yates geschah, wird kein Haar gekrümmt: er darf unbehelligt mit den Kannibalen dinnieren. Die Eingeborenen verfügen zudem durchaus über ein Reflexionsvermögen und können "Gut" von "Böse" unterscheiden. Bezeichnend auch, dass Alan Yates und Konsorten ja nicht einfach nur verspeist werden, sondern deren Tötungsszene einen Gewaltausbruch sondergleichen darstellt, bei dem es nicht vorrangig um das Stillen eines Hungergefühls geht, vielmehr blutigste Rache die Triebfeder ist, inklusive Verstümmelung und Vergewaltigung.
Dieses Konzept, das den Kannibalismus in seinen perversesten Auswüchsen als reines Produkt weißer Eindringlinge in die Dschungelwelt präsentierte, sozusagen als Exportartikel des Kolonialismus, kopiert Lenzi in CANNIBAL FEROX 1:1. Hier ist es dann der Drogendealer Mike, der den Unmut der Eingeborenen weckt, und sie in Kannibalen verwandelt. Allerdings stellt Lenzi kongenial unter Beweis, wie wenig er CANNIBAL HOLOCAUST verstanden hat, und verzerrt die ursprüngliche Aussage vollkommen. Bei ihm sind die Kannibalen vor dem Eintreffen Mikes eben keine Kannibalen, sämtliche primitiven Instinkte werden erst dadurch geweckt, dass er in ihrem Dorf einfällt und ein (allerdings noch überschaubares) Blutbad anrichtet. Weshalb die Eingeborenen nun gerade auf die Idee kommen, die Eindringlinge nicht einfach nur zu töten, sondern sogar zu verzehren, lässt der Film offen, und ist wohl allein dem Umstand geschuldet, dass das Drehbuch es eben so verlangt. Bizarr auch die Motivation, die unsre drei Helden in den Dschungel führt. Gloria Davis möchte beweisen, dass Kannibalismus nie existiert habe, einzig eine Erfindung des Kolonalismus sei, um Eingeborenenstämme zu kompromittieren, und bekommt für diese Erkenntnis am Ende gar die Doktorwürde verliehen, da sich herausstellte, dass die Kannibalen nie welche geworden wären, wären sie nicht Kontakt mit der Zivilisation gekommen. Völlig verquer stellt der Film seine eigene Logik auf den Kopf, und muss sich die Frage gefallen lassen, inwieweit es die Eingeborenen irgendwie "besser" machen würde, wenn nur ein kleiner Funke ausreicht, sie zu blutgierigen Bestien werden zu lassen. Während die Kannibalen in CANNIBAL HOLOCAUST durchaus auch verletzliche Seiten zeigen, in ihrem sozialen Kontext nachvollziehbar und menschlich agieren, liegt bei denen in CANNIBAL FEROX nicht die geringste Psychologie zugrunde. Sie unterscheiden auch nicht zwischen "schuldig" und "unschuldig": jeder, der ihnen in die Hände fällt, darf sich eines grausamen Todes gewiss sein, was freilich auch mit Lenzis Wille zu tun hat, die überzogene, fast schon comichafte Gewalt bis auf die Spitze zu treiben.
Nichtsdestotrotz finde ich es erstaunlich, wie der Mann es fertigbringt, selbst eine relativ lineare Story wie diese hier nahezu völlig an die Wand zu fahren und in den Fahrwassern des Trashs zu versenken. Interessant auch, dass der einzige weitere mir bekannte Film, der auf den CANNIBAL-HOLOCAUST-Zug aufsprang, der gottgleiche ZOMBI HOLOCAUST ist. Sofern ich dessen wirre Geschichte richtig verstand, ist auch dort Dr. O'Brian aufgrund seiner beeindruckenden Gehirnverpflanzungsexperimente schuld daran, dass die Eingeborenen auf Quito ihre kannibalistischen Neigungen entdecken - und es mit diesen sogar schaffen, in New York als Krankenpfleger angestellt zu werden, um zu kostenlosen Mitternachtssnacks zu kommen...
Dieses Konzept, das den Kannibalismus in seinen perversesten Auswüchsen als reines Produkt weißer Eindringlinge in die Dschungelwelt präsentierte, sozusagen als Exportartikel des Kolonialismus, kopiert Lenzi in CANNIBAL FEROX 1:1. Hier ist es dann der Drogendealer Mike, der den Unmut der Eingeborenen weckt, und sie in Kannibalen verwandelt. Allerdings stellt Lenzi kongenial unter Beweis, wie wenig er CANNIBAL HOLOCAUST verstanden hat, und verzerrt die ursprüngliche Aussage vollkommen. Bei ihm sind die Kannibalen vor dem Eintreffen Mikes eben keine Kannibalen, sämtliche primitiven Instinkte werden erst dadurch geweckt, dass er in ihrem Dorf einfällt und ein (allerdings noch überschaubares) Blutbad anrichtet. Weshalb die Eingeborenen nun gerade auf die Idee kommen, die Eindringlinge nicht einfach nur zu töten, sondern sogar zu verzehren, lässt der Film offen, und ist wohl allein dem Umstand geschuldet, dass das Drehbuch es eben so verlangt. Bizarr auch die Motivation, die unsre drei Helden in den Dschungel führt. Gloria Davis möchte beweisen, dass Kannibalismus nie existiert habe, einzig eine Erfindung des Kolonalismus sei, um Eingeborenenstämme zu kompromittieren, und bekommt für diese Erkenntnis am Ende gar die Doktorwürde verliehen, da sich herausstellte, dass die Kannibalen nie welche geworden wären, wären sie nicht Kontakt mit der Zivilisation gekommen. Völlig verquer stellt der Film seine eigene Logik auf den Kopf, und muss sich die Frage gefallen lassen, inwieweit es die Eingeborenen irgendwie "besser" machen würde, wenn nur ein kleiner Funke ausreicht, sie zu blutgierigen Bestien werden zu lassen. Während die Kannibalen in CANNIBAL HOLOCAUST durchaus auch verletzliche Seiten zeigen, in ihrem sozialen Kontext nachvollziehbar und menschlich agieren, liegt bei denen in CANNIBAL FEROX nicht die geringste Psychologie zugrunde. Sie unterscheiden auch nicht zwischen "schuldig" und "unschuldig": jeder, der ihnen in die Hände fällt, darf sich eines grausamen Todes gewiss sein, was freilich auch mit Lenzis Wille zu tun hat, die überzogene, fast schon comichafte Gewalt bis auf die Spitze zu treiben.
Nichtsdestotrotz finde ich es erstaunlich, wie der Mann es fertigbringt, selbst eine relativ lineare Story wie diese hier nahezu völlig an die Wand zu fahren und in den Fahrwassern des Trashs zu versenken. Interessant auch, dass der einzige weitere mir bekannte Film, der auf den CANNIBAL-HOLOCAUST-Zug aufsprang, der gottgleiche ZOMBI HOLOCAUST ist. Sofern ich dessen wirre Geschichte richtig verstand, ist auch dort Dr. O'Brian aufgrund seiner beeindruckenden Gehirnverpflanzungsexperimente schuld daran, dass die Eingeborenen auf Quito ihre kannibalistischen Neigungen entdecken - und es mit diesen sogar schaffen, in New York als Krankenpfleger angestellt zu werden, um zu kostenlosen Mitternachtssnacks zu kommen...