A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Action, Crime, harte Cops, Gangster & Mafia

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von jogiwan »

ofdb.de hat geschrieben: [...]ein kleines Meisterwerk [...], das nicht plump mit schwarz/weiß-Malerei arbeitet und schonungslos aufweist, dass alle Seiten Fehler haben, Fehler machen und doch nur Menschen sind [...]
Klingt, als würden klassische Feindbilder ja nicht unbedingt bedient werden. Irgendwie bereue ich es, dass der am Freitag bei meinem Trip zum Saturn nich in der Einkaufstasche gelandet ist...
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untot
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von untot »

Hier gibt es kein Gut und Böse, hier kriegt jede Seite ihr Fett weg und niemand steht gut da, das gefällt mir.

Ich hoffe nur das in Italien nicht wirklich solch schlimme Zustände herrschen, wenn doch dann finde ichs echt heftig.
Man kann die Ohnmacht und die Unzufriedenheit der Leute wirklich gut nachvollziehen und man ist auch nicht weiter verwundert, das manche versuchen das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.
Guter Film, pessimistisch, trostlos, hart und ungeschönt erzählt er seine Geschichte, wirklich sehenswert.

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buxtebrawler
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von buxtebrawler »

Vermummt, in martialischer Schutzkleidung und scharf bewaffnet fallen sie in Gruppen über ihre Opfer her, die sie auf offener Straße misshandeln und verschleppen. Und landet einmal einer von ihnen vor Gericht, decken sie sich gegenseitig, verschaffen sich Alibis und entziehen sich so dem Zugriff des Rechtsstaats. Die Rede ist hier nicht etwa von besonders perfiden Straßengangs oder anderen gemeinhin als Verbrecher oder Kriminelle bezeichneten Subjekten, sondern von bestimmten Teilen der von ihren eigenen Opfern, weil von Steuergeldern bezahlten Polizei, i.d.R. sog. Bereitschaftspolizisten, die auf der Straße die Auseinandersetzung suchen, die soziale Proteste blutig niederschlagen, an Fußballfans ihr Mütchen kühlen, aber auch Opfer von Immobilienspekulanten aus ihren Wohnungen jagen, Flüchtlinge deportieren etc. Staatlich subventionierte und geförderte Schläger in Uniform, „offizielle Hooligans“, die das Gewaltmonopol für sich beanspruchen und missbrauchen.

„A.C.A.B.“ - dieses Akronym steht für „All Cops Are Bastards“, stammt ursprünglich aus Großbritannien und ist seit jeher ein auf eine simple Parole reduzierter Ausdruck einer autoritätskritischen Haltung, die sich seit Jahrzehnten durch verschiedene Bereiche der Unterschicht und diverse Subkulturen zieht, oftmals missverstanden als Generalbeleidigung sämtlicher im Polizeidienst Arbeitender oder extremistische Aussage. Dabei wird niemand, der diesen Parole verwendet oder als Tätowierung, Kleidungsaufdruck o.ä. trägt, etwas gegen Polizisten haben, die tatsächlich als „Freund und Helfer“ des einfachen Bürgers auftreten oder gegen Beamte, die Kapitalverbrechen wie Mord, Vergewaltigung etc. aufklären. Auch wird selbst am linken Rand wohl kaum angezweifelt werden, dass jede Gesellschaftsform Starke hervorbringen wird, die Schutzfunktionen für Schwächere einnehmen werden. Vielmehr wird auf den viel zu großen Teil der staatlichen Exekutive verwiesen, der sich zu willen- und verantwortungslosen Erfüllungsgehilfen der Reichen und Mächtigen macht, die geil darauf sind, ihre Autorität anderen gegenüber auszuspielen, die faschistoide Beweggründe in die Uniform treiben oder die schlicht ungestraft ihre Gewalttrieben ausleben wollen. Dank Corpsgeist, höriger Massenmedien, dreistem Lobbyismus, betrieben durch sich eine sich euphemistisch „Gewerkschaft der Polizei“ [sic!] nennende Organisation und gesellschaftliches Duckmäusertum, das Uniformen einen generellen Vertrauensvorschuss schenkt, braucht sich diese Sorte Polizisten keine Sorgen zu machen, für ihre Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden, im Gegenteil: Der Trend geht dahin, sie mit immer weiteren Befugnissen, Waffen etc. auszustatten. „A.C.A.B.“ ist Ausdruck eines Bewusstseins für diese antidemokratischen Tendenzen.

„A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ ist auch der Titel des nach einigen TV-Serien-Arbeiten ersten Kinofilms Stefano Sollimas, Sohn des italienischen Meisterregisseurs Sergio Sollima, der als der Intellektuelle der drei großen Sergios des Italo-Westerns gilt (neben dem epischen Sergio Leone und dem zynischen Sergio Corbucci). Der in italienisch-französischer Koproduktion entstandene Film aus dem Jahre 2012 basiert auf dem gleichnamigen, investigativ recherchierten Buch des italienisches Journalisten Carlo Bonini aus dem Jahre 2009.

Der Film setzt sich mit der oben beschriebenen Spezies auseinander: Die Bereitschaftspolizisten Cobra (Pierfrancesco Favino, „Die Unbekannte“), Negro (Filippo Nigro, „Reich und verdorben“) und Mazinga (Marco Giallini, „Die entfesselte Silversternacht“) schwingen gern den Knüppel und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Der Nachwuchspolizist Adriano (Domenico Diele, „Paura 3D“) stößt zu ihrer Einheit und wird mit ihren Gepflogenheiten vertraut gemacht, während Mazingas Sohn in die rechtsradikale Bonehead-Szene abrutscht.

„A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ ist zunächst einmal eine Milieustudie, die anhand jener Einheit denn Alltag der Bereitschaftspolizei schildert. Nach einem groben Überblick stößt Sollima den Zuschauer ins kalte Wasser und zeigt die uniformierten Schläger, wie sie streikende Arbeiter erst provozieren, sich in schließlich in Kampfmontur auf die unbewaffneten, ungeschützten Arbeitskämpfer stürzen und sie verprügeln sowie willkürliche Verhaftungen vornehmen. Sollima zeigt wenig heldenhafte Einsätze wie den Rausschmiss eines armen Rentners aus dessen eigener Wohnung, eine bewusst herbeigeführte Massenschlägerei mit Hooligans im Rahmen eines Fußballspiels, woraufhin Cobra und Konsorten sogar einen Zug überfallen, die reisenden Fußballfans kollektiv wie Verbrecher behandeln, sie misshandeln und sich Lügengeschichten fürs Protokoll und zur Rechtfertigung ihres Einsatzes überlegen, wie sie die Ärmsten der Armen, Flüchtlinge, deportieren, um sie aus dem Land zu schmeißen, wie sie Ausländer beleidigen und bedrohen und Migranten in Angst und Schrecken versetzen. Fragwürdige Verbrüderungsrituale sollen den Neuling auf die Gemeinschaft einschwören und verdeutlichen, dass man nur sich gegenseitig verpflichtet ist, nicht aber dem Gesetz. So deckt man sich vor Gericht und entzieht sich der Strafverfolgung. Der Film widmet sich aber auch dem Privatleben der Beamten und stellt dar, welch armselige Verlierer sie sind, die sich im Dienst den Frust von der verkümmerten Seele prügeln. Adriano steht einer rechtsextremen Partei nahe, ein Ex-Mitglied der Einheit ist bekennender Neofaschist. Ein dominanterer Handlungsfaden der eher episodenhaften Erzählweise ist der Umgang mit der Rechtsradikalität Mazingas Filius, der mit gewaltbereiten Boneheads eine Moschee besetzt hat. Zu einem der Schlüsselmomente für den jungen Adriano wird die Stürmung des Squats, für den es keinerlei Befehl gibt und der nichts anderes als ein privater Rachefeldzug ist.

Dies geht auch damit einher, dass „A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ zu einem beunruhigenden Porträt einer immer stärker ins politische rechte Lager kippenden Gesellschaft wird, was eben nicht nur seitens der Polizei mit einer Zunahme an Gewalt einhergeht. Um Ausgeglichenheit bemüht ist man, wenn der Fokus zwischenzeitlich auf tatsächliche Ungerechtigkeiten, die den Polizisten widerfahren, gerichtet wird. So entsteht das Bild eines an allen Enden aus den Fugen geratenen Systems, das seiner innenpolitischen Probleme nicht Herr wird und in den Beamten eben jene willfährigen Kräfte sieht, die gefälligst zu funktionieren haben, ansonsten aber weitestgehend alleingelassen werden – was wiederum einer von mehreren Erklärungsansätzen für ihr Fehlverhalten ist. Vor all diesen Hintergründen macht Adriano eine Entwicklung durch, die ihn letztlich den Corpsgeist brechen lässt und fortan vor seinen Kameraden als Verräter dasteht. Am Ende scheint der Film auf einen spannend vorbereiten und dramatisch inszenierten Showdown organisierter Gewalt zuzusteuern, der jedoch ausbleibt – der Einsatz des Abspanns verhindert ihn für den Zuschauer, der erahnen kann, was der Einheit nun blüht, wie das Urteil des Straßengerichts lautet. Des Straßengerichts? Anscheinend bedeutet die organisierte Gewalt in diesem Fall einen Vorfall im November 2007, als sich mafianahe Ultrá-Gruppen zusammentaten, um gemeinsam gegen die Polizei vorzugehen, welche sich wiederum nun endgültig „von oben“ im Stich gelassen und dem Pöbel zum Fraß vorgeworfen sahen (soweit ich einer Inhaltsangabe von Boninis Buch entnehmen konnte). Dieser Bezug wurde mir während meiner Erstsichtung nicht ganz klar. Boninis Buch scheint stärker und deutlicher auf die Auseinandersetzungen zwischen Fußball-Hooligans und der Polizei einzugehen, gewichtet ihre Bedeutung eventuell stärker. An diesen Stellen fehlen mir tiefere Einblicke in die italienische(n) Szene(n).

Wie dem auch sei: In der Tat ist es so, dass die italienische Polizei einige der übelsten faschistischen Schläger Europas beherbergt, wie trotz Verschleierungs- und Bagatellisierungsversuchen nach dem bewaffneten Überfall durch Polizisten auf die Diaz-Schule im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 für die Öffentlichkeit sichtbar wurde. Mit unvergleichlicher Brutalität stürmten italienische Polizisten das Demonstranten als Schlafstätte und der Presse sowie Sanitätern als Basis dienende Gebäude mitten in der Nacht und stürzten sich auf die wehrlosen Schlafenden, verursachten ein wahres Blutbad. Selbst nach der willkürlichen Verhaftung der Demonstranten wurden diese noch gefoltert, gequält und erniedrigt. Satte elf Jahre zogen sich die Verhandlungen gegen die Folterknechte hin, bevor es endlich zu Verurteilungen kam. Haftstrafen musste dennoch kein Verantwortlicher antreten und die meisten wurden gar nicht erst angeklagt. Die volle Härte des Gesetzes traf hingegen Demonstranten. Dieses populäre Beispiel für Polizeigewalt, Justizwillkür und die faschistoide Ausrichtung staatlicher Autorität findet mehrfach Erwähnung in Sollimas Film (der suggeriert, dass die Männer dabei waren) und dürfte einer der Gründe sein, weshalb manch einer in Italien die Polizeiarbeit kritischer zu hinterfragen begann und weshalb man das alte Poliziesco-Genre wieder aufgriff, ohne jedoch Polizisten vornehmlich als Opfer oder Unschuldige zu verklären.

„A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ zwingt den Zuschauer in die Perspektive der exemplarisch herausgegriffenen Polizeieinheit – mit aller Konsequenz. Wer es gewohnt ist, dass ein Spielfilm unmissverständlich vorgibt, wer gut und wer böse ist und unzweideutige Identifikationsfiguren anbietet, wird damit seine Probleme haben. Tatsächlich ist man dann und wann geneigt, sich mit den Schergen zu identifizieren – beispielsweise wenn sie sich die Neonazis vorknöpfen. Mitunter mag es so aussehen, als würde der Film diesen Akt der Selbstjustiz rechtfertigen. Vor dem Hintergrund zuvor gezeigter eigener rechtsextremistischer Umtriebe der Polizei und der Art und Weise, wie die so gar nicht unter antifaschistischen Vorzeichen stehende Stürmung vonstatten geht, dürfte zustimmendes Nicken sich bald in Kopfschütteln verkehren, denn moralisch lässt sich kaum etwas rechtfertigen, was die Männer im Laufe der Handlung bewerkstelligen. Vielmehr stellen Szenen wie diese diejenigen Teile des Publikums vor eine Art Dilemma, die Polizeigewalt einerseits ablehnen, gewalttätiges Vorgehen gegen Rechtsradikale jedoch befürworten. Ohne dieses Thema von meiner Seite zu vertiefen, dürfte unstrittig sein, dass es sich bei gleichem Verhalten derjenigen, für die die Moschee erbaut wurde, um Notwehr gehandelt hätte, während den privat agierenden Polizisten diese Art der Legitimation fehlt. Die Konzentration auf ihr Privatleben führt zu dem Missverständnis, dass der Film Verständnis für die Polizei wecken wolle. Dies ist jedoch in erster Linie dem realistischen, nichts und niemanden romantisierenden oder glorifizierenden Stil geschuldet – was ein grundlegendes Problem entlarvt: Schnell lässt sich der latent autoritätshörige Zuschauer einlullen, nimmt den Polizisten ihre Flucht in die Opferrolle ab und redet ihre Eigenverantwortlichkeit klein, solange sie nur gegen Autonome, Hooligans etc. vorgehen, Menschen also, mit denen man selbst nichts zu tun hat. Irgendwie wird das schon alles seine Richtigkeit haben und wenn mal der Knüppel ausrutscht, ist das eben ein Kollateralschaden und eigentlich haben die Delinquenten das ja auch verdient. So eine Tracht Prügel hat schließlich noch niemandem geschadet und wer sich aus all diesen Dingen heraushält, hat auch nichts zu befürchten. Man ist froh, dass jemand die Drecksarbeit macht und einem all das Gesindel vom Hals hält. Nur was ist, wenn sie irgendwann an die eigene Tür klopfen oder sie einfach eintreten? Wenn sie einem plötzlich selbst gegenüberstehen, weil man nicht bemerkt hat, wie der Radius der persönlichen Freiheit immer kleiner wurde, wie es immer enger auch für den eigenen Lebensentwurf wurde? Spätestens dann wird man bedauern, Autoritätskritik als Staatsverrat fehlinterpretiert oder als Spinnerei abgetan und einer Exekutive alles durchgehen lassen zu haben, obwohl sie in einer parlamentarischen Scheindemokratie, in der bislang jede bedeutende Veränderung außerparlamentarisch erkämpft werden musste, bisher noch jede Schweinerei durchgeknüppelt hat. Wenn dieser Film die sich hochschaukelnde Wechselwirkung von Gewalt und Gegengewalt dokumentiert, dann zeigt er auch die schizophrene Gewalt von Polizisten letztlich gegen sich selbst, die ihre Berufswahl noch unverständlicher erscheinen lässt.

Stefano Sollimas beeindruckender Film, der unbekannte Namen befreit und natürlich aufspielen lässt, verfügt neben seinen schwer verdaulichen und unbedingt auch nach Abspannende zu reflektierenden Inhalten auch über großartige Musik; neben dem Soundtrack der Band Mokadelic erklingen Hits der White Stripes, der Pixies, Joy Division, der 4-Skins-Klassiker „A.C.A.B.“, leider anscheinend in einer Coverversion einer italienischen Neonazi-Band, sowie in einer an Zynismus nur schwer zu überbietenden Szene der von der Punkband The Clash interpretierte Equals-Song „Police On My Back“, zu dem die Polizisten ausgelassen tanzen und grölen, nachdem vor Gericht ein Freispruch errungen wurde. Etwas problematisch finde ich an Sollimas Film letztendlich dann doch, dass einfachere Gemüter mit einer beliebigen Lesart an ihn herantreten und sich gerade das herauspicken, was sie hören und sehen wollen, könnten. Unabhängig davon erkenne ich u.a. die meines Erachtens wichtige Aussage, dass wer das staatliche Gewaltmonopol schamlos ausnutzt und missbraucht, sich nicht wundern darf, wenn es auf der Straße nicht mehr akzeptiert wird. Mitleid mit Prügelbullen zu empfinden, weil sie private Probleme haben oder sich keiner Unterstützung „von oben“ mehr sicher sein können, liegt mir indes fern.

Deutlich vernommen habe ich aber auch die zwischen den Bildern eindringlich aufgeworfene Frage, wie man angesichts blanken Hasses schon längst nicht mehr nur an gesellschaftlichen Randgebieten eigentlich zukünftig zusammenleben will, wie diese Gewaltspirale zu stoppen ist und wie weitere Eskalationen verhindert werden können. Eine wichtige Debatte, die endlich losgetreten werden muss, um weitere Schwerverletzte und Tote zu verhindern und deren denkbar falscheste Antworten die weitere Aufrüstung der Polizei und jegliche Tendenzen in Richtung eines Polizeistaats bei zugleich fortwährendem, gerechtfertigtem Vertrauensverlust in die Obrigkeit wären.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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purgatorio
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von purgatorio »

Alter Schwede :o hier hast du dich aber ausgelassen... scheint aber alles in allem ein sehenswerter Neo-Poliziesco zu sein. Mein Interesse ist natürlich geweckt :mrgreen:
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Onkel Joe
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von Onkel Joe »

Die DVD liegt seit einigen Wochen at Home und es wird nun wohl Zeit das Teil zu sichten, danke Bux für das Review :verbeug: .
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von purgatorio »

A.C.A.B.: ALL COPS ARE BASTARDS (Italien, Frankreich 2012, Regie: Stefano Sollima)

Im Herzen Roms wird einer eingeschworenen Gruppe von Bereitschaftspolizisten ein Neuling eingegliedert, der sich über seine Ideale und Handlungsmotivationen noch nicht ganz im Klaren ist, während der Rest der Truppe Ideale längst über Bord geworfen hat.

Integrationsrituale und Straßeneinsätze desillusionieren den jungen Adriano (Domenico Diele) zusehends, obwohl es ihm anfangs nicht bewusst wird. Erst nach und nach offenbart sich ihm der psychische Verfall hinter den martialischen Rüstungen seiner „Brüder“, die auf den Straßen zwar den Ton angeben, im Privatleben aber zusehends die Kontrolle verlieren. So muss sich Cobra (Pierfrancesco Favino) zum wiederholten Mal wegen unangemessener Gewaltausbrüche vor Gericht verantworten, Negro (Filippo Nigro) wird von seiner kubanischen Ehefrau vor die Tür gesetzt und verliert Heim und Tochter und der älteste der Gruppe, Mazinga (Marco Giallini), verliert die Kontrolle über seinen geliebten Sohn, der in extreme, rechtsradikale Gefilde abdriftet.

Als die Situation auf den Straßen zunehmend unberechenbarer wird, die Position des zu verteidigenden Staates nicht mehr erkennbar ist, die Zahl der Asylbewerber – subjektiv wahrgenommen – ins unermessliche steigt und Fußballfans längst nicht mehr wegen des Fußballs zum Stadion gehen, greifen die Polizisten zum Letzten, was sie noch verstehen: GEWALT…

Gibt man sich nicht mit simpler Schwarz-Weiß-Malerei zufrieden, kann A.C.A.B. sehr lange nachwirken. Denn „die Bösen“ sind hier nicht eindeutig festzumachen, lediglich die Mechanismen, die irgendwie dazu führen, dass man als einer wahrgenommen wird, die perspektivisch strukturierten Handlungen, die diese Wahrnehmung manifestieren, und der Kreislauf, der eine Rückkehr zum Ursprung unmöglich macht. A.C.A.B. zeigt eine völlig desillusionierte, kaputte aber auch glaubhafte Welt, in der irgendwie alles aus dem Ruder gelaufen ist und nichts mehr Halt gibt – selbst die Gruppe erweist sich nur noch als Hort Gleichgesinnter, die unter dem gleichen Identitätsverlust leiden, was nicht zur Lösung des Problems sondern zur Potenzierung führt.

Menschen mit einem solchen Job, wie er im Zentrum des Films steht, müssten betreut werden. Es bedarf einer Vor- und Nachbereitung, psychologischer Obhut und sozialen Halt, um an einem Aufgabengebiet, wie dem Bereitschaftsdienst auf der Straße, nicht zu zerbrechen. Da Betreuung und Fürsorge aber ausbleiben und der Mangel an Rückhalt durch den obersten Dienstherrn, den Staat, zunehmend intensiver spürbar wird, schaffen sich die desillusionierten Polizisten einen Ersatzhalt, gesteigert bis zur Ersatzreligion. Zu dieser fehlt ihnen aber auch der Zugang, sie klammern sich verzweifelt an einen Rückhalt, an einen Sinn, den es nicht gibt. Der Film findet hierzu fantastische Bilder und lässt seine Protagonisten, respektive Antagonisten, vor einem heroischen Wandgemälde stehen, das sie alle bejubeln ohne es zu verstehen (primär natürlich, da es da nichts zu verstehen gibt – es handelt sich schlicht um eine rein illustrative Selbstüberhöhung aus einer längst vergangenen Zeit, als „der Job“ noch Identität und Funktion suggerierte). Es ist einfach nur da und verweist auf einen Sinn und einen Ursprung, den jeder längst aus den Augen verloren hat. So klammern sich die Cops an eine Vorstellung von Bruderschaft und Leidensgenossen, die nicht aufrechterhalten werden kann. In einer zunehmend anonymisierten Welt bricht die subjektive Wahrnehmung von Bedrohung, sei es durch den Staat, durch Migranten, durch Ehefrauen, durch Fußballfans und Rechtsradikalismus u.ä., über ihnen zusammen. Ihr eingeschränktes Sichtfeld aus Helm mit Visier heraus durch einen Schild, der kaum Schutz bietet, ist bei der Suche nach Lösungen nicht behilflich. Eingegliedert in eine Einheit, die nur als endindividualisierte Gruppe funktionieren kann – das liegt in der Natur der Sache –, und eine Befehlskette, wird das Sichtfeld der Polizisten derart eingeschränkt, dass es nur noch die hassenden „Die“ und die bedrohten „Wir“ geben kann. In dieser Welt sind sie aber allein – trotz Gruppe, trotz Brüdern – und alleingelassen. Das zu simpel strukturierte Weltbild erweist sich schnell als ebenso unsinnig wie funktional und funktioniert auf der grundlegenden Beobachtung des allmorgendlichen Aufstehens: zerschlägst du den Wecker, lässt er dich in Ruhe…

Gewalt führt zu Gegengewalt – und irgendwann sind die Feindbilder derart manifestiert, dass die Frage nach dem Ursprung keinen mehr interessiert. Überhaupt wird nicht mehr viel nachgedacht – was mir der Kern des Films zu sein scheint. Man akzeptiert die Welt wie sie ist, man akzeptiert seine Rolle darin, man unterlässt das Hinterfragen oder man war dazu nie in der Lage. Während die Polizisten sich einerseits ständig als Opfer fühlen (müssen?), da ihnen überall der Hass entgegenschlägt und die Gewaltbereitschaft unkontrollierbare Ausmaße (bis hin zu Mordbereitschaft) angenommen hat, nutzen sich andererseits die staatlich autorisierte Macht mit Rückendeckung vor Gericht und Gummiknüppel im Mopp. Sie haben in ihrer Welt zu leben gelernt, ohne je nach dem Sinn dieses Lebens zu fragen. Besonders zwiespältig erscheint in diesem Zusammenhang auch der Titel des Films (und der literarischen Vorlage). Das Akronym A.C.A.B. zeigt sich hier als derart prägend, dass sich auch die Polizisten dieses annehmen und gerne ein daran orientiertes Liedchen anstimmen – vor Einsätzen, auf Partys, auf dem Heimweg. Wie heißt es? Nenne einen Menschen lang genug einen Hund und er wird irgendwann auch bellen. Ähnlich verhält es sich hier. Nicht nur, dass die Cops sich gegen Vorurteile nicht mehr wehren oder sich beim Verschleiern diverser Machenschaften keine besondere Mühe mehr geben – nein – sie gefallen sich in ihrer Rolle und mit ihrer Machtposition auch Zusehens, scheitern aber gerade dann, wenn ihnen diese Position nichts nützt (vornehmlich im Privatleben!). Und Frust potenziert nun die Gewalt, wenn man sich durch sein Umfeld erst eine Katalysatorfunktion geschaffen hat. Und dies wiederum gilt für ausnahmslos jede Gruppe, die der Film zeigt. Entsprechend geht es nicht um Sympathien und Antipathien, nicht um die eindeutig Guten und die eindeutig Bösen, nicht um Täter und Opfer – es geht schlicht um den Mechanismus der Gewalt in dem gezeigten Milieu, dessen Ursprung längst im Dunst der Geschichte verschwunden ist.

Demgegenüber lobe ich mir - diese Anmerkung sei mir gestattet - die Strukturierung des deutschen Äquivalents, die sogenannten Hundertschaften. Nach, wenn ich nicht irre, einem Jahr wird man dort wieder herausgelöst, allerdings muss auch (fast) jeder durch diesen Dienst durch. Die extreme physische und psychische Belastung, die dieser Job mit sich bringt, hat entsprechend vordefiniert einen Anfang und ein Ende. Wenn man sich in Italien für eben diesen Dienst als Beruf entscheiden kann (ich kenne mich da aber zu wenig aus, ist das wirklich so?), sollte die Motivation dazu doch ernsthaft hinterfragt werden. Und vor allem auch die psychologische Folgewirkung einer solchen dauerhaften Tätigkeit! Gerade dann, wenn hochgradig sinnlose und/oder wissentlich gefährliche Einsätze dazu kommen. A.C.A.B. hält hier Beispiele bereit. Einsätze, denen Angriffe auf Polizisten einerseits, oder Formen punktueller Polizeigewalt irgendwo im Land andererseits vorangegangen sind, können für niemanden glimpflich ausgehen! In der Rüstung steckend, mit dem dumpfen Geräusch im Ohr, dass auf dem Schild aufschlagende Steine hinterlassen, gibt es nur noch zwei mögliche Richtungen – fortlaufen oder vorwärts. Die Frage nach „Richtig“ oder „Falsch“ stellt sich dann schon lange nichtmehr!

Wenn ohnehin labilen Persönlichkeiten nur lang genug ausreichend Hass entgegen schlägt (was bei diesem Job offenbar der Fall ist) und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, eigenen, aufgestauten Hass dauerhaft auszuleben, dann werden sie (warum nicht gleich generalisieren? Dann werden alle Cops!) zu aggressiven Bastarden. In diesem Zusammenhang gehört aber auch zur Multiperspektivität gemahnt! Denn zu hinterfragen ist auch, welche Rolle das Akronym A.C.A.B. hier spielt. Unabhängig davon, was der Aussprechende – aus welchen Gründen auch immer – damit meint, wichtig wäre doch auch die Frage danach, was mit dem geschieht, der das Akronym in seiner simplen wie bedrohlichen Botschaft wieder und wieder zu hören bekommt.
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Il Grande Silenzio
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von Il Grande Silenzio »

Gelungenes Drama, das gleich mehrere soziale Problemstellungen in Italien aufgreift. Es fehlen jegliche Identifikationsfiguren oder gar Sympathieträger, dass Verhalten aller Gruppierungen wird hinterfragt und deren eindimensionale Sichtweisen letztendlich bloßgestellt.

Sehenswert - 8,5/10
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sid.vicious
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Re: A.C.A.B. - Stefano Sollima (2012)

Beitrag von sid.vicious »

Regisseur: Stefano Sollima
Kamera: Paolo Carnera
Musik: Mokadelic
Drehbuch: Daniele Cesarano, Barbara Petronio, Leonardo Valenti

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Mit seiner Dienstaufnahme bei der Bereitschaftspolizei wird Adriano Costatini mit einem Regelwerk konfrontiert, das er mit seiner Überzeugung nicht in Einklang bringen kann. Seine neuen Kollegen sind indes hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und ignorieren einhergehend jene ethischen Werte, die man von einem Bereitschaftspolizisten erwartet. Doch die harten Kerle verlieren in ihren Privatleben allesamt zusehends den Überblick und die familiären Streitigkeiten steigern sich zusehends ins Unermessliche, sodass sich der Hass über das eigene Versagen auf der Straße entlädt. Der ewige Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt wird spürbar rasanter und in den Straßen Roms solidarisieren sich schon bald AS- wie Lazio Ultras, um den Tod eines Fans zu rächen, denn für sie steht unumstößlich fest: All Cops are Bastards! Aber sind sie es wirklich?

A.C.A.B. - All Cops are Bastards! Was gegenwärtig die Popularität einer gewöhnlichen Grußformel besitzt, fungierte Ende der 1970er bis in die 1980er hinein als ein Chiffre, welches vornehmlich im angelsächsischen Fußballrowdytum sowie unter den Punkausläufern seine Weiterverbreitung fand. Anfang der 1980er wurde in Großbritannien eine Street-Punk-Szene aktiviert, deren Protagonisten von einigen „Experten“ fälschlicherweise in die rechte Ecke gedrängt wurden: Die Oi-Bewegung. Die insbesondere von SHAM 69 inspirierten Bands wie beispielsweise COCKNEY REJECTS, COCKSPARRER, INFA RIOT, RED ALERT und ANGELIC UPSTARTS waren apolitisch (!) und agierten mit ihren Anhängern als ein kollektives Pendant zu den Punks, die 1976 und 1977 an und im Dunstkreis der Kings Road abhingen. Um es deutlicher zu sagen: Die frühen Punkbands kassierten gute Gelder und traten im TV auf, was die Punk-Rebellion tagtäglich tiefer in den Kommerz trieb, ganz zu schweigen von den horrenden Preisen die Vivienne Westwood und Malcom McLaren in ihrem Shop auf der Kings Road für ihre fesche Punk-Mode verlangten. Zudem stammten Frühpunks wie die Leute vom Bromley Contingent (Siouxsie Sioux, Steven Severin etc.) aus gutbürgerlichen und behüteten Verhältnissen und wirkten wie die Figuren aus einem amerikanischen Film-Musical von Bob Fosse. Für viele Kids entsprach das Umrissene absolut nicht ihrem Verständnis von einer Straßen-Bewegung. Die Seitenstraße war also frei für den Kollegen Oi, der für sie fortan als der wahre Punk fungieren - allerdings auch manch Unwillkommenes in sich aufsaugen - sollte. Schließlich führte der erwähnte rechte Ruf, welcher der Bewegung anhaftete, dazu, dass es zu rezidivierenden Ausschreitungen kam. Der bekannteste, einen Flächenbrand auslösende Zwischenfall ereignete sich in einem asiatischen Viertel zu Southall, wo ein Konzert von THE BUSINESS, 4-SKINS und THE LAST RESORT (Bands, die ja mal überhaupt nichts mit einer rechten Attitüde am Hut hatten) gestürmt wurde. Dieser sowie zahlreiche weitere Vorfälle zogen in letzter Konsequent tatsächlich etliche Nazi-Skins an, welche sich in der Szene ausbreiteten und ihr bis heute ein negatives Image bestätigen. Und eben dort wo ursprünglich Punks, Skins, Boot Boys und Working Class unpolitisch Hand in Hand gingen, dort wo die Fußballhymne (man höre „G.L.C.“ von MENACE, „I'm forever blowing bubbles“ von COCKNEY REJECTS) in die Punkmusik getragen wurde, dort wo sich vor den Arbeitsämtern endlose Schlangen bildeten, dort wo die Anhänger der zahlreichen Londoner Fußballclubs kollidierten, dort wo Aufstände und begleitende Schlägereien an der Tagesordnung waren, dort wo der Staat zu drastischen Mitteln respektive zum Polizeiknüppel griff, dort verbreitete sich die ca. 1978 aus der Wiege gehobene Parole, A.C.A.B., mit der Rasanz des inflationär zitierten Lauffeuers.

Der Slogan, „A.C.A.B. - All Cops are Bastards“, diente Stefano Sollimas Anfang 2012 im italienischen Kino debütierenden Polizeifilm als prägnante, mittlerweile global verständliche Firmierung. Was sich dahinter verschanzt, ist ein beeindruckender Film, der die Ursache von Gewaltausbrüchen anhand der Schicksale von vier (die Figur Carletto klammere ich bewusst aus) Bereitschaftspolizisten veranschaulicht. Währenddessen wird uns (erfolgreich) Adriano Costatini, der wegen besserer Verdienstmöglichkeiten zur Bereitschaftspolizei wechselte und dort in einen Gewissenskonflikt gerät, als Reflektorfigur offeriert. Sein erster Kontakt ist Cobra, der Adriano ab und an auch Schnuller nennt, und mehrere Strafverfahren wegen Körperverletzung am Halse hat. Cobra scheint den Hass, den man gegen ihn in seiner Eigenschaft als Bereitschaftspolizist hegt, zu benötigen, wie die Luft zum Atmen. Er ist ein sarkastischer Zeitgenosse, der die Verteidigung von bürgerlichen Rechten sowie der Menschenrechte längst vergessen hat und nur noch zum Schein als ordnungsliebender Freund und Helfer in Erscheinung tritt. Die Gewalt ist sein Lebenselixier, ein hochprozentiger Most, der ihm den Kick sowie den Sinn seiner Existenz liefert. Cobra ist ein Anarchist, da er die Gesetze sowie die Anweisungen seiner Vorgesetzen nicht akzeptiert, allerdings mit deutlich rassistischen wie faschistoiden Zügen. Der Polizeidienst reflektiert zugleich sein Privatleben und die Spezialeinheit seine Familie. Seine Kollegen, stets „Brüder“ genannt, Negro und Mazinga, hadern hingegen mit ihrem außerberuflichen Umfeld. Negro hat sich von seiner Frau, die Kubanerin Miriam, getrennt und darf nur selten seine Tochter, die sich während der gelegentlichen Treffen mit ihrem Vater langweilt, sehen. Mazinga, dessen Frau ebenfalls im Polizeidienst steht, hat arge Probleme mit seinem Sohn, der zusehends im rechtsextremen Sumpf versinkt, was schon bald Dienst und Privatleben kollidieren lässt. In den drei Personen wütet ein unbändiger Hass, der ihre Enttäuschungen vehement aus dem inneren Fokus drängen will. Sie sind geschundene und daher schindende Männer, die sich kaum von dem Straßenpöbel, den sie im wahrsten Sinne des Wortes bekämpfen, unterscheiden. Sie sind mit der Krankheit Gewalt infiziert und es gibt keine Medizin und keinen Exorzismus, der sie aus ihren Körpern vertreiben könnte. Um dies innständig zu vermitteln gestattet der Regisseur seinen Zuschauern einen derart intensiven Blick in seine Hauptcharaktere, dass er (der Zuschauer) eine duale Besessenheit enkodieren kann. Die Besessenheit der Antagonisten sowie die Besessenheit Sollimas erwähnte Besessenheit besonders eindruckvoll zu vermitteln, was ihm allumfassend gelingt.

Sollimas intensive Inszenierung wirkt fortwährend wirklichkeitsnah und scheint gar auf damalige, die Medien wie die Bevölkerung bewegende, Ereignisse anzuspielen. Man denke an den 21. März 2004, wo das Römische Fußballderby zum Schauplatz einer der schändlichsten Episoden der italienischen Fußballgeschichte wurde. Während der zweiten Spielhälfte betraten drei einflussreiche Ultras das Spielfeld, um mit Roma-Kapitän, Francesco Totti, zu reden. Der Grund: Ein Junge sei vor dem Stadion von der Polizei getötet worden. Sollte man das Derby nicht unverzüglich abbrechen, so prophezeiten die drei Ultras, werden die Spieler getötet. Das Spiel wurde demzufolge vorzeitig beendet. Die Geschichte von dem getöteten Jungen entsprach allerdings nicht den Tatsachen. Im Nachhinein wurde behauptet, dass die Ultras die Sache einerseits erfanden, um die Polizei attackieren zu können, andererseits um ihre politischen Muskeln spielen zu lassen, also ihre Macht (die sie, die Ultra-Gruppierungen, in Rom, siehe die „Irriducibili“, zweifelsohne besitzen) zu demonstrieren. Schlussendlich wurden während der Ausschreitungen vor dem Stadion 150 Polizisten verletzt. Sollima propagiert in seinem Film ebenfalls den Tod eines Fans, welcher tatsächlich der Polizei geschuldet ist und eine Solidarisierung der AS- und Lazio-Ultras sowie der römischen Nazi-Skins bewirkt, um unter dem Vorwand der Rache gemeinsam gegen die Polizei anzutreten. Der ewige, bereits eingangs erwähnte, Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt bleibt somit immerzu in Schwung.

Solche, an der Realität orientierte Momente, die „A.C.A.B.“ gleich mehrfach liefert, lassen das Gesamtkonstrukt flink als eine semidocumentary (ein Subgenre, dessen Ursprung in den 1940ern wurzelt und sich als Pendant zum Studiofilm vorstellt) verstehen. Wer es nicht wissen sollte, semidocumentaries wurden on location, also an Originalschauplätzen fotografiert, und brachten zudem Namen ins Spiel, die bei den realen Ereignissen eine Rolle spielten. Sie (die semidocumentaries) wurden unter anderem auch mit Laiendarstellern (in „A.C.A.B.“ als aufgebrachte Bürger, Skinheads, Hooligans wie Asylbewerber aktiv) besetzt, was dem Ganzen eine zusätzliche Realitätsnähe verlieh respektive verleiht.

Fazit: „All Cops are Bastards“ sucht und findet die Ursprünge der Gewalt und lässt den Zuschauer an den Schicksalen seiner Pro- und Antagonisten nahezu authentisch teilhaben. Währenddessen verzichtet der Regisseur und Drehbuchautor, Stefano Sollima, auf ein Heldentum, und skizziert seine Hauptfiguren als Antihelden, die keinerlei Anteil an der von ihnen offiziell verteidigten, anständigen Lebensweise besitzen. Eine Lösung wird nicht geliefert. Ergo sind Sollimas Antihelden auf ewig dazu verdammt, Teil eines florierenden Gewaltkreislaufs zu bleiben und nur der Tod kann sie, die „Bastards“, von dieser Bestimmung erlösen. Resümierend sei gesagt, dass Stefano Sollima mit „All Cops are Bastards“ bewiesen hat, dass ihm die Fußstapfen seines hoch erfolgreichen Vaters nicht zu groß geraten sind, denn Stefano hat ein großartiges wie intelligentes, zwischen Tragödie, Melodram, Psychoanalyse und Polizeifilm gelagertes Werk abgeliefert, das seinen Vater mit Stolz erfüllen würde. Wer diesen großartigen Film nicht kennen sollte, der hat wirklich was verpasst!
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