Durch einen raffinierten Trick kann der verurteilte und kaltblütige Bankräuber Willi Jensen (Horst Frank) aus dem Zuchthaus entkommen. Jensen, der während des Prozesses immer wieder seine Unschuld beteuerte, will die Beute nach zwei Jahren Haft aus seinem Versteck holen, doch das alte Haus, das dafür diente, wurde abgerissen. Alles scheint umsonst gewesen zu sein und der Sträfling muss andere Pläne schmieden. Er taucht bei seinem Bruder Heinz (Heinz Reincke) auf, den er mit seiner eigenen Frau Vera (Christiane Krüger) bei ihm vorfindet, da die beiden mittlerweile zusammen leben. Die Situation eskaliert und Vera wird als Geisel genommen. Um an Geld zu kommen, schreckt Willi Jensen nun vor Raub, Erpressung und schließlich auch Mord nicht zurück. Kommissar Knudsen (Klaus Schwarzkopf) verfolgt die Spur des unberechenbaren Verbrechers quer durch Hamburg. Wird er ihn stoppen können..?
Regisseur Wolfgang Staudte inszenierte mit
"Fluchtweg St. Pauli" einen soliden, vor allem aber einen charakteristischen Kiez-Krimi, der eine breit gefächerte Unterhaltung bietet. Dabei wirkt die turbulente Geschichte von Anfang bis Ende gut konstruiert. Die Handlungsstränge gehen nahtlos und ganz geschickt ineinander über, verstehen es daher eine glaubhafte Geschichte zu schildern, die insgesamt dem Empfinden nach auf dem Boden der Tatsachen bleibt und die Anteile von Krimi, Milieu-Studie und Unterhaltungsfilm liefern eine ausgewogene Mischung. Man bekommt es nicht mit dem perfekten Verbrecher aus dem Bilderbuch zu tun, vielmehr hat Jensen mit immer wieder neu auftauchenden Komplikationen zu kämpfen. Die Beute, und somit der Sinn der ganzen Strapaze, ist verloren. Der weitere Weg den er dabei gezwungenermaßen einschlagen muss, offenbart langsam aber sicher eine auf ihn und alle Beteiligten zukommende logische Konsequenz, und zur wichtigsten Frage wird, wie oder ob man seine Zerstörungswut schließlich ausbremsen kann. Die Inszenierung verläuft hierbei ohne größere Kapriolen, Spannung und Anteile von Action machen den Film mit dessen stichhaltigen Charakterzeichnungen sehr sehenswert und überzeugend, auch der dosierte Humor kam hier glücklicherweise nicht zu kurz.
Die Besetzung dieser Produktion steht durchgehend für Glaubwürdigkeit. Horst Frank demonstriert hier ziemlich eingängig, wie schnell kriminelles Potential nicht nur abgerufen, sondern auch schnellstens multipliziert werden kann. Zwei Jahre saß er im Gefängnis um endlich die Früchte seiner kriminellen Aktivitäten ernten zu können, doch alles kommt anders. Das Schicksal zeigt sich äußerst launisch und Willi Jensens weiteres Vorgehen gleicht einer klassischen Sisyphusarbeit. Dass die Gelegenheit nicht nur Diebe macht, sondern auch Mörder, lässt vermuten, wohin die Reise gehen wird. Horst Frank spielt jedenfalls großartig auf, der sonst so abgebrühte und kaltschnäuzige Mann kann seine Emotionen in vielen Situationen nicht mehr unterdrücken und seine Verteidigung wird der lediglich diffus vorbereitete Angriff. Heinz Reincke als sein jüngerer Bruder liefert ein überzeugendes Kontrast-Programm. Er, der sich nicht einmal traut die 23 DM Fahrgeld aus Liliane Berndorfs, mit Tausendern vollgestopfter Tasche zu nehmen, die er lieber wahlweise in die Ausnüchterungszelle als nach Hause chauffiert, ist anständig, ehrlich und wie es meistens sein muss, wirkt er eben dadurch etwas einfältig. Das Duell der beiden Brüder gestaltet sich daher recht glaubhaft. Christiane Krüger spielt abwechslungsweise einmal eine sehr sympathische Rolle des unschuldigen, zu beschützenden Opfers mit Anflügen von Tiefgang recht überzeugend, wenn die Rolle der Vera jedoch letztlich etwas untergeordnet wirkt. Klaus Schwarzkopf stattet seinen Kommissar mit Ruhe und Logik aus, so dass man bei den vielen unterschiedlichen Zeichnungen verschiedenster Gesetzeshüter hier den Eindruck bekommt, dass er etwas Neues geliefert hat. Mit Sigurd Fitzek, Ulrich Beiger und Andrea Rau wird die Angelegenheit abschließend perfekt.
Der Vorspann des Films zeigt gleichzeitig einen von Heidy Bohlens absolut besten Knallern. Man kann sie als Liliane Berndorff bestaunen und man traut seinen Augen kaum, als sie sich Juwelen behangen und vollkommen rack auf dem Rücksitz des Taxis von Heinz Jensen nach einer durchzechten Nacht nach Hause fahren lässt, sich unter großer Mühe entkleidet und ihn schließlich noch anweist, ihren Mann morgen früh zu wecken, da sie offenbar glaubt, mit ihrem Hausmädchen zu sprechen.
»Die Nutten nennen sie die Glitzer-Lilly« heißt es in Anlehnung an ihre Juwelen, und dieser Auftritt, der sich ja quasi vollkommen wortlos abspielt, ist wirklich eine ganz besonders große Freude. Zu Hause bekommt sie eine, ihr wohl bereits vertraute Predigt von ihrem Gatten Henry gehalten, der von Ulrich Beiger übrigens eine sehr elegante Fassade bekam, sie jammert und fühlt sich schrecklich unpässlich. Ansonsten hat Madame Berndorf den lieben langen Tag anscheinend nicht viel zu tun, außer für das Plaisir zu leben, doch auch das langweilt sie offenbar sehr. Die schöne Heidy Bohlen, deren Filmografie mit einem guten Dutzend Kino- und TV-Produktionen leider nicht besonders viel hergibt, und die schon drei Jahre später ihren letzten Film machte, sehe ich stets unheimlich gerne zu, bei dem was sie treibt. Unglücklicherweise verliert sich ihre Spur bereits Mitte der Siebziger Jahre.
"Fluchtweg St. Pauli" zählt für mich persönlich zu den gelungensten Beiträgen seiner Gattung und er verzichtet fast vollkommen auf übliche, reißerische Elemente. So wird beispielsweise Brutalität eigentlich kaum im Bild gezeigt, sondern geht ausschließlich und meistens nur potentiell von Horst Frank aus. Hauchdünne Erotik-Einlagen liefert Heidy Bohlen, die man hier trotz Nackt-Szene vergleichsweise schon zugeknöpft nennen darf, und Andrea Rau, ebenfalls Expertin auf diesem Gebiet, darf ausnahmsweise nur die Fantasie anregen. Besonders positiv fallen die erstklassige Bildgestaltung und die tollen Schauplätze auf, originelle Kamerafahrten und die eingängige Musik von Peter Schirmann liefern ein rundes Komplettpaket, inklusive halbseidenem Nachtleben und einem packendem Finale. Eigenartig erscheint allerdings die weniger exponiert in Erscheinung tretende Rolle der Polizei, da man sich hauptsächlich auf das Tauziehen der Gebrüder Jensen konzentrierte. Die Strategie von Regie und Drehbuch geht mit ihrem Weniger-ist-mehr-Prinzip vollkommen auf und es macht immer wieder Spaß, sich diesen überdurchschnittlichen Film von Wolfgang Staudte anzuschauen, und das nicht nur wegen der hochkarätigen Besetzung.