Compliance - Craig Zobel (2012)

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buxtebrawler
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Re: Compliance - Craig Zobel (2012)

Beitrag von buxtebrawler »

Rund eine Dekade lang dauerte die als Strip Seach Phone Call Scam bezeichnete Serie von Anrufen vorgeblicher Polizisten an, die am 09.04.2004 ihren traurigen Höhepunkt in einer McDonald’s-Filiale in Mount Washington fand: Ein Anrufer gab sich als Officer Scott aus und behauptete, dass die junge Angestellte der Filiale, Louise Ogborn, eine Frau bestohlen habe. Er wies die Filialleiterin Donna an, die vermeintliche Diebin bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten, was jedoch noch dauern würde. Louise bestritt die Vorwürfe, doch Donna tat, wie ihr geheißen – auch, als der falsche Polizist von ihr verlangte, eine Leibesvisitation an Louise durchzuführen, die sich zu diesem Zweck komplett entkleiden musste. Als „Officer Scott“ auch noch Donnas Verlobten hinzuzog, wurde endgültig die Grenze zum sexuellen Missbrauch überschritten. Diese Ereignisse zeichnet US-Regisseur Craig Zobel in seinem nach seinem 2007er Debüt, der Komödie „Great World of Sound“, zweiten Spielfilm „Compliance“ aus dem Jahre 2012 in Form eines No-Budget-Dramas mit geänderten Namen nach:

In der „ChickWich“-Burgerbräter-Filiale ist man gestresst, weil ein Teil der Lebensmittel durch eine nicht ordnungsgemäß verschlossene Kühlkammer verdorben ist. In diese gereizte Stimmung platzt der Anruf des hier „Officer Daniels“ genannten Mannes (Pat Healy, „Dirty Girl“), der es offenbar genießt, dass man auf seine autoritäre Masche hineinfällt und sich am befohlenen und ausgeführten Missbrauch an Becky (Dreama Walker, „Vamperifica“), wie sie hier heißt, ergötzt. Diese lässt die Maßnahmen nach sanftem Widerstand zunächst ungläubig über sich ergehen und ist irgendwann so eingeschüchtert, dass sie alles mit sich machen lässt… Gern mal wird das Milgram-Experiment im Zusammenhang mit diesen Ereignissen als Vergleich herangezogen und tatsächlich geht es auch hier darum, dass den Ausführenden die Verantwortung für eigenes Handeln scheinbar abgenommen wird. Was in diesem Fall jedoch erschwerend hinzukommt, ist das Fehlen einer persönlichen Ebene mit der vermeintlichen Autorität über das Telefon hinaus. Niemand steht hier möglicherweise ehrfurchtgebietend und bewaffnet in Uniform vor einem und kann sich im Zweifelsfall ausweisen, hier ertönt schlicht eine Stimme aus dem Telefon – und niemand zweifelt ihre Autorität an. Wenn sie behauptet, sie sei ein Polizist, dann wird das schon stimmen. Diese Reaktion kann bis zu einem gewissen Moment nur mit tief blicken lassender treudoofer Obrigkeitshörigkeit erklärt werden, gepaart mit einem stressbedingten Unmut, die Situation kritisch zu durchleuchten, schließlich geht es ja „nur“ um eine Mitarbeiterin – so gesellt sich erschwerend eine arrogante Scheißegalhaltung in Bezug auf die eigenen Befehlsempfänger dazu, denen man offenbar ohnehin latent misstraut.

All dies geschieht in Zobels Kammerspiel jedoch ohne offene Dämonisierung der Vorgesetzten des Opfers, vielmehr werden diese selbst als Opfer der rhetorisch sicherlich nicht ungeschickten (und mit ihrem Duktus den interessantesten Aspekt des Films darstellenden) Manipulation skizziert. Insofern bleiben die Ereignisse noch diffus nachvollziehbar. Spätestens ab dem Moment, in dem Becky zustimmt, dass ihr Boss (Bill Camp, „Lincoln“) sie körperlich züchtigt und dieser das allem Anschein nach auch als relativ normal empfindet, wirkt das Gezeigte jedoch schreiend unrealistisch. Dass die Situation hier längst nicht mehr nur seitens des Anrufers schamlos ausgenutzt wird, spiegelt sich in Zobels Interpretation wenn überhaupt nur in unzureichendem Maße wieder.

Zobel versuchte sich möglicherweise an einem Balance-Akt zwischen Spannungs- statt Dokumentarfilm, der möglichst keine voyeuristischen Neigungen bedienen soll und sich mit Verurteilungen zurückhält. Das Ergebnis ist ein halbgares Filmchen, das beinahe jeglichen psychologischen Tiefgang vermissen lässt, öde und monoton inszeniert wurde und vermutlich an seinem eigenen Anspruch scheitert. Trotz der nahen Orientierung an den realen Ereignissen bleiben die Geschehnisse kaum nachzuvollziehen und dies ändert sich auch nicht, wenn nach Beckys Befreiung aus ihrer misslichen Lage und der Ergreifung des Telefontäters, den man zudem dramaturgisch unklug bereits ca. ab der Filmmitte zu sehen bekam, sich Beckys Vorgesetzte (Ann Dowd, „Philadelphia“) in einem drangeklatschten Epilog rechtfertigen darf und angibt, dass sie seither nicht mehr mit ihrem Verlobten gesprochen habe. Der dokumentarische Aspekt des Films bleibt zu bemüht und oberflächlich und für einen gelungenen, aufwühlenden Spielfilm reicht die recht plumpe Nacherzählung der Ereignisse einfach nicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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