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Re: Mama - Andrés Muschietti (2013)

Verfasst: Di 4. Feb 2014, 18:48
von buxtebrawler
„Alle Familien sind voll kaputt!“

Nachdem Guillermo del Toro auf den Kurzfilm „Mama“ des gebürtigen Argentiniers Andrés Muschietti aus dem Jahre 2008 aufmerksam wurde, stellte er ihm als Produzent ein Budget von 15 Millionen US-Dollar für eine spielfilmlange Adaption des Kurzfilms zur Verfügung. Diese(r) „Mama“ wurde 2012 in spanisch-kanadischer Koproduktion gedreht und fand im Januar 2013 in die Lichtspielhäuser.

Jeffrey Desange (Nikolaj Coster-Waldau, „Nightwatch – Nachtwache“) hat seine Frau umgebracht, ist mit seinen kleinen Töchtern Victoria (Megan Charpentier, „Jennifer's Body“) und Lilly (Isabelle Nélisse, „Whitewash“) in die Wälder geflohen, verunfallt und in einer verlassenen Waldhütte gestrandet – wo irgendetwas ihn davon abhalten kann, auch seine Kinder zu erschießen und ihn anstelle ihrer tötet. Nach fünf Jahren finden die von Jeffreys Bruder Lucas (ebenfalls Nikolaj Coster-Waldau) beauftragten Detektive die beiden seit diesen Vorfällen verschollenen Kindern in eben jener Hütte, wo sie unabhängig von Erwachsenen aufwuchsen. Lucas und seine Freundin Annabel (Jessica Chastain, „Stolen Lives - Tödliche Augenblicke“) nehmen die Kinder bei sich zuhause auf, Psychologe Dr. Dreyfuss (Daniel Kash, „Jack Brooks: Monster Slayer“) kümmert sich zusätzlich um die Mädchen und bietet dem Paar an, gemeinsam mit den Kindern in ein Haus zu ziehen. Doch Annabel tut sich schwer mit ihrer neuen Mutterrolle – und außerdem scheinen die Mädchen ein düsteres Geheimnis mitgebracht zu haben…

In die eigentliche Handlung steigt „Mama“ nach seinem Prolog und dem folgenden Zeitsprung ein, porträtiert dafür kurz das Paar Annabel und Lucas, wobei sich erstere interessanter-, weil emanzipatorischerweise als Musikerin in einer Punk-Band verdingt. Der Geisterfilm über Mutterliebe setzt fortan auf wohldosierte Schockmomente, die bereits mit dem Fund der Mädchen zum Einsatz kommen und selbst dann ordentlich sitzen, wenn sie vorhersehbar sind. Diese dienen jedoch nicht dem Selbstzweck und sind einem klassischen Spannungsaufbau untergeordnet, der das Unheil zunächst im seltsamen Verhalten der faszinierenden „wilden“ Mädchen andeutet, das sich in unnatürlichen Bewegungsabläufen der Jüngeren, ungewöhnlichen kulinarischen Vorlieben (Nachtfalter) und ihrem Getuschel über eine „Mama“ äußert. Jene „Mama“ taucht zunächst von den erwachsenen Protagonisten unbemerkt als schwarzer Schatten in ihrem Rücken auf, zeigt mit voranschreitender Spielzeit aber immer mehr von sich und offenbart ein tolles Creature Design in einer Mischung aus menschlichem Darsteller (der vom Marfan-Syndrom gezeichnete Javier Botet), gelungenen Masken- und Make-up-Arbeiten sowie einigen Computeranimationen, vorrangig der Haare des Wesens, mit denen es im Zusammenhang mit seinen Kriechbewegungen bisweilen an Asia-Grusler à la „The Ring“ erinnert.

Die psychologische Ebene wird verstärkt angesprochen von unheimlichen Visionen auf dem Krankenbett, einer bösen, stilistisch interessant verfremdeten und auf beunruhigende Weise unwirklich wirkenden Alptraumsequenz aus Point-of-View-Perspektive und einem an Urängste appellierenden Traum im Traum. Das übergeordnete Thema der Mutterliebe bzw. -rolle wird stets beibehalten und setzt zwei Charaktere konträr zueinander in Szene: die mit ihr hadernde Annabel und die sie ruhe- und rastlos ausfüllende, ambivalente Geistererscheinung, die wiederum gewisse Parallelen zu Jeffrey Desange aufweist. Durch diesen Überbau läuft „Mama“ nie Gefahr, als oberflächliche, effekthascherische Schauermär missverstanden zu werden. Die erdfarbene Bildgestaltung passt stilistisch prima, wenn ihr auch manchmal zu sehr der Graublau-Filter übergestülpt wurde. Am Schluss sieht sich der Zuschauer mit einem dramatischen Semi-Happy-End konfrontiert – phantastisch, gruselig, schön und traurig zugleich. Für ein Regie-Debüt ist „Mama“ richtig gut geworden, kann nicht zuletzt auch mit zwei anscheinend wirklich talentierten Jungschauspielerinnen glänzen und ringt mir 7,5 von 10 Punkten und den Hinweis ab, dass „Mama“ unverkennbar auch die Handschrift des iberischen Grusels jüngerer Jahrzehnte trägt, weshalb gerade Freude moderneren Euro-Grusels sich von ihm/ihr in die lang- und dünngliedrigen Arme schließen lassen sollten.

Re: Mama - Andrés Muschietti (2013)

Verfasst: Di 4. Feb 2014, 18:56
von Captain Blitz
Danke für die Rezi, den Film habe ich schon länger auf dem Radar, kam aber noch nicht zum Kauf, wird dann demnächst mal nachgeholt.

Re: Mama - Andrés Muschietti (2013)

Verfasst: Di 4. Feb 2014, 19:03
von horror1966
Der liegt hier schon recht lange, muss den die Tage endlich einmal sichten.

Re: Mama - Andrés Muschietti (2013)

Verfasst: Mi 24. Dez 2014, 08:31
von jogiwan
jogiwan hat geschrieben:Effektiver und auch sehr packender Gruselstreifen über verwilderte Kinder und einem bösen Rachegeist, der auch größtenteils (bis auf den etwas lahmen CGI-Autounfall zu Beginn) sehr schön in Szene gesetzt wurde. Der Zuschauer wird ja nicht lange mit irgendwelchen Tricks auf falsche Fährten gelockt und auch die Gore-Keule bleibt stets eingepackt, was dem atmosphärischen, aber für Genre-Kenner sicher auch etwas vorhersehbaren Streifen sehr entgegen kommt. Mit seinen gruseligen und anfänglich kurzen und dann immer detailreicheren Geistererscheinungen wird die Spannungsschraube bis zum Finale auch eher gemächlich angezogen und parallel zur Hauptgeschichte auch die Vergangenheit des Rachegeistes aufgerollt. "Mama" ist mit seinen sympathischen Darstellern und seiner spannenden Geschichte jedenfalls sehr gute Ware, die mir trotz bekannter Elemente aus der Mottenkiste sämtlicher Geisterfilme aus den letzten hundert Jahren für aktuelle Genre-Ware jedenfalls sehr, sehr gut gefallen hat. Wer die spanischen Geisterfilme "Fragile", "Darkness" und "Das Waisenhaus" mochte, sollte jedenfalls unbedingt zugreifen. Empfehlung!
Gruseliger und gut gemachter Streifen, der auch bei der Zweitsichtung überzeugt. :nick: