Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi (1981)
Moderator: jogiwan
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi
RAKETE ZUM MOND - 6/10
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi
falscher Thread, oder?dr. freudstein hat geschrieben:RAKETE ZUM MOND - 6/10
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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- kein Sonnenlicht
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi
Der Doc spielt wohl wieder einmal Fred-Lotto!purgatorio hat geschrieben:falscher Thread, oder?dr. freudstein hat geschrieben:RAKETE ZUM MOND - 6/10
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi
Der steht auch noch auf dem Plan, ja.supervillain hat geschrieben:@Captain Blitz: Na dann wünsche ich viel Vergnügen mit der Oase der Zombies.
- Die Kroete
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi (1981)
Im Kino arg selten und von daher hat der sich wohl seine Berechtigung verdient, in Nürnberg gezeigt zu werden, ansonsten gilt aber zur Qualität des Films folgendes zu sagen. Achtung, ich zitiere mich selbst:
"Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Filme, die von Andrea Bianchi sind!"
"Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Filme, die von Andrea Bianchi sind!"
Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi (1981)
Für mich was „Die Rückkehr der Zombies“ ja schon so etwas wie das überraschende Highlight des diesjährigen Foren-Treffens und die unkonventionelle Einleitung des werten Salvatore hat mich ja dazu verleitet, diesen vielfach selbst von Italo-Fans gescholtenen Film nun in einem etwas anderem Licht zu sehen. Dieser hat zwar noch immer keine nennenswerte Handlung, aber zweifelsfrei doch eine Vielzahl von erinnerungswürdigen Szenen und Momenten, die Bianchis Streifen zu einem ganz besonderen Erlebnis machen. Weder hatte ich den Beginn so humorvoll in Erinnerung, noch das Ende, das sich mit seiner Ausweglosigkeit und atonalem Moog-Gefiepse auch im Vergleich zum unbeschwerten Beginn sehr düster präsentiert. Auch das Make-Up eigentlich ganz großartig und der spontane Szenenapplaus für Peter Bark ist ebenfalls ein Indiz dafür, dass „Die Rückkehr der Zombies“ seinen ganz eigenen Platz tief im Herzen eines jeden Zombie-Fans gefunden hat.
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- Salvatore Baccaro
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi (1981)
Zwei oder drei Dinge, die ich nun über LE NOTTI DEL TERRORE weiß...
Photographie und Zufall. Zombies und Zufall.
In seinem 1931 erstmals veröffentlichten Aufsatz mit dem possierlichen Titel KLEINE GESCHICHTE DER PHOTOGRAPHIE meditiert der deutsche Philosoph Walter Benjamin verhältnismäßig lange über einer an sich unscheinbare Kinderphotographie, die den Knaben Franz Kafka etwa im Alter von fünf Jahren zeigt. Er schreibt: „Da steht in einem engen, gleichsam demütigenden, mit Posamenten überladenen Kinderanzug der ungefähr sechsjährige Knabe in einer Art von Wintergartenlandschaft. Palmenwedel starren im Hintergrund. Und als gelte es, diese gepolsterten Tropen noch stickiger und schwüler zu machen, trägt das Modell in der Linken einen unmäßig großen Hut mit breiter Krempe, wie ihn Spanier haben. Gewiß, daß es in diesem Arrangement verschwände, wenn nicht die unermeßlich traurigen Augen diese ihnen vorbestimmte Landschaft beherrschen würden. Dies Bild in seiner uferlosen Trauer ist ein Pendant der frühen Photographie, auf welcher die Menschen noch nicht abgesprengt und gottverloren in die Welt sahen wie hier der Knabe. Es war eine Aura um sie, ein Medium, das ihrem Blick, indem er es durchdringt, die Fülle und die Sicherheit gibt.“ Was Benjamin mit dem Begriff Aura meint, der aus dem Griechischen übersetzt so etwas wie Hauch heißt und zudem die Göttin der Morgenbrise bezeichnet, kann man vielleicht grob als die Emanation sowohl natürlich gewachsener wie auch künstlerisch verfertigter Objekte beschreiben, die diesen ihre Einmaligkeit verleiht und mit dem Anbruch der industriellen Moderne, in der jedes Kunstwerk beliebig oft technisch reproduziert werden kann, allmählich in ihre Verfallsphase übergegangen ist. In seiner kleinen Photographiegeschichte sowie in seinem noch berühmteren Essay vom KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT (1936) begibt sich Benjamin in gewisser Weise auf die Spurensuche nach Auren, die noch unverstellt, gleichsam wahrhaftig sind, und findet sie eben nicht nur in ganz frühen Portraitphotographien und noch früheren Daguerreotypien, sondern, wie wir oben gelesen haben, außerdem in gestellten Atelieraufnahmen wie der, die dem armen Kafka eine für heutige Augen ziemlich alberne Verkleidung aufnötigt.
Abb.1: Als Franz K. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in einem Photoatelier zu einem kleinen Spanier vor gemalter Hintergrundkulisse verwandelt
Dieses Bild, man hört das problemlos zwischen den Zeilen, ist Benjamin offenbar reichlich zuwider, und mit Sicherheit würde er es, wie übrigens das photographische Medium an sich, niemals als Kunstwerk betrachten. Dennoch erfüllt es einen Zweck, hat eine Daseinsberechtigung, allerdings eine, die jedem, der an seiner Herstellung beteiligt gewesen ist, kaum bewusst gewesen sein mag. Für Benjamin ist ein Photo wie das des Buben Franz ein vortrefflicher Zeuge einer Geschichte, die sich fern von pompösen Herrscherhäusern in der anonymen Masse des Alltäglichen abspielt. Je länger man es betrachtet desto mehr, scheint es, verrät es einem. Beispielweise wie Eltern des Mittelstands in den späten 1880er Jahren gerne ihre Kinder in Szene gesetzt haben. Oder aber welche Kindermode zu dieser Zeit gerade en vogue gewesen ist. Zudem ist da, in diesem besonderen Fall zumindest, Kafka selbst, über den wir einiges wissen, von dem das meiste jedoch erst lange nach Entstehens dieses einen Photos eintreten wird - beziehungsweise Kafkas Aura, die Benjamin aus dem Bild heraus regelrecht entgegenzuspringen scheint. Derjenige, der bei all diesen Verstrickungen und geflüsterten Subtexten die meisten Hände im Spiel hat, ist wenig überraschend Großmeister Zufall. Obwohl der unbekannt gebliebene Photograph, der dieses Bild in seinem Atelier, das kann man ihm sicherlich unterstellen, aus rein pekuniären Motiven geschossen hat, obwohl Kafkas Eltern, deren primäres Ziel es wohl gewesen ist, von ihrem Besuch in besagtem Atelier ein Bild mitnehmen zu können, auf dem ihr Bub einigermaßen herzeigbar ausschaut, obwohl Kafka selbst, der höchstwahrscheinlich kein Wörtchen dabei hat mitreden dürfen, ob er nun in diesen Anzug gesteckt werden möchte oder nicht, obwohl also keine der involvierten Personen auch nur im Traum daran gedacht haben mag, so ist das Kinderphoto Kafkas über seinen plumpen Verwendungszweck hinaus nichtsdestotrotz voller Zeichen, die einem Betrachter, wenn er sie nur lange genug anstarrt, nicht gerade wenig Hinweise über den Kontext liefern, in dem sie rein zufällig vor eine Kameralinse geraten sind. Für Walter Benjamin wird das photographische Medium demnach von seiner absoluten Kontingenz bestimmt. Nicht das muss zählen, auf das der Photograph mit voller Absicht seine Kamera gerichtet hat, in den meisten Fällen zählt im Nachhinein sogar das viel mehr, das ihm völlig ungewollt ins Bild geschlüpft ist.
Abb.2: Bejamins liebster Photograph: Das Paris des Eugène Atget (1857-1927) als Geisterstadt ohne Zombies
Von einem Photographen, die sich so sehr dem Wesen des Zufalls verschrieben hat, dass er ihn quasi zum Thema seiner Arbeiten macht, erzählt auch Andrea Bianchi in LE NOTTI DEL TERRORE. Bewaffnet mit einer Kamera zieht Mark mit seiner Freundin, dem Schreihals Janet, durch das weitläufige Parkgelände außerhalb des Schlosses, ihr höchstens Bruchteile von Sekunden lassend, sich in die Posen zu werfen, in denen er sie dann gemeinsam mit irgendwelchen Hecken, Büschen und Zweigen ablichtet. Einmal greift der Zufall ziemlich offensiv ins Geschehen ein: Janet scheint umzuknicken, fällt der Länge nach hin. Mark ruft ihr zu, nicht aufzustehen, genau so solle sie liegenbleiben, genau so wolle er sie haben. Das Photo, das daraus entsteht, zeigt der Film uns zwar nicht – wie auch, da Janet und Mark, ohne zu viel verraten zu wollen, gerade noch mit knapper Not den Abspann erleben werden und den fraglichen Film anschließend in einer von Zombies verseuchten Welt wohl niemand jemals entwickelt wird -, so viel weiß man indes über es, dass es sich bei ihm um ein reines Zufallsprodukt handelt. Nachdem der Schuss getätigt und die eher hilflos als pittoresk auf dem Boden herumliegende Janet im Kasten ist, versucht sie Mark zu erklären, dass das Gelände unter ihr nachgegeben habe, so, als ob da was in der Erde fehle, was eigentlich dort hingehört. Nur wenige Minuten hat Mark Zeit, das zu belächeln, bevor er erkennen muss, dass seine Liebste, die über hellseherische Fähigkeiten verfügt und die Nächte bzw. die eine Nacht des Schreckens, von der der Film handelt, in Traumvisionen gesehen hat, mit ihren Visionen gar nicht so falsch liegt. Interessant ist jedenfalls, dass Bianchi in dieser Szene seinen surrealen künstlerischen Ansatz auf eigenartige Weise selbst zu reflektieren scheint. Nicht nur, dass Photographien ihren Wert, wie weiter oben steht, für kluge Köpfe wie Herrn Benjamin vor allem anderen durch ihre Zufälligkeiten erhalten, Bianchi hat mit Mark zudem eine Figur – sofern man denn ein derart eindimensionales Strichmännchen tatsächlich als Figur bezeichnen möchte – in das Boot geholt, in dem er seinen Cast dem Untergang entgegenschippern lässt, die dem namen- und gesichtslosen Atelierphotographen, vor dem der kleine Kafka hat strammstehen müssen, völlig entgegengesetzt ist. Mark reicht es für seine Bilder völlig, seine Freundin ziellos durch den Schlosspark laufen zu lassen, ihr von Zeit zu Zeit zuzurufen, sie solle stehenbleiben oder weiterlaufen: da ist nichts gestellt, nichts gekünstelt, da ist nichts wirklich interessant und nichts wirklich spannend. Keine große Leistung ist es von hier aus mehr, Mark zum alter ego Andrea Bianchis auszurufen. In Marks Photographien spiegelt sich exakt das Prinzip wieder, das Bianchi selbst anwendet: er schickt seine Schauspieler durch die limitieren Kulissen, manchmal passiert etwas, manchmal nicht, scheinbar komplett dem Zufall überlassen, und gefilmt wird trotzdem. Dass es sich bei dem Kontingenzelement, das Janet von den Füßen in Seitenlage befördert, um die untoten Etrusker handelt, denn die sind es, die im Boden fehlen, sodass er nachgeben kann, macht nur noch deutlicher, wie sehr Bianchi in seinem Film von einer Welt berichten möchte, in der nichts Zuverlässigkeit besitzt, in der alles jeden Moment durch etwas, das niemand – es sei denn, man verfügt, wie scheinbar Janet, über das dritte Auge irgendwo unter der Stirn – hat vorausahnen können, durchkreuzt, vernichtet und über den Haufen geworfen werden kann. Die Etrusker erheben sich, Janet fällt, ein Photo entsteht, bei dem Mark in Jubelrufe ausbricht: am Ende sind sie alle tot, und das folgt keinem Plan, keiner Logik, hat keinen Sinn und keinen Verstand.
Abb.3: Intermedialer Diskurs oder doch bloßer Zufall?
Zufällige Begegnungen. Von Regenschirmen, Nähmaschinen, Forken und Fangeisen.
Wenn es einen Satz gibt, den sich die französischen Surrealisten um Wortführer André Breton in den 20er Jahren mit rotem Edding über die Betten geschrieben haben, dann lautet er wie folgt: „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch.“ Derjenige, der so im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar schön sein soll, ist ein Jüngling namens Artur Mervyn und seines Zeichens auserkorenes Opfer des Päderastendämons Maldoror, der in sechs Gesängen des Dichters Lautréamont in für die späten 1860er Jahren unendlich expliziten Gewalt- und Sprachphantasien sein Unwesen treibt. Lautréamont, der eigentlich Isidor Ducasse heißt und 1870 mit 23 Jahren im von preußischen Truppen belagerten Paris wahrscheinlich von einer Seuchenepidemie dahingerafft worden ist, konnte für Breton wohl auch deshalb zum Urgroßvater des Surrealismus werden, weil er der Nachwelt nur dieses eine Werk hinterlassen ist: über das Vorwort ist sein Folgeprojekt, die POESIES, nicht hinweggekommen, er über ihnen weggestorben. Jedenfalls fasst der oben zitierte Satz sowohl die kompletten CHANTS DE MALDOROR wie auch den viel später er- oder gefundenen Surrealismus schon beinahe wie ein Credo im Kern zusammen: vertraute Dinge aus ihren vertrauten Kontexten gerissen und in neuen auf eine Weise miteinander kombiniert, die auf die Logik so viel Speichel spuckt wie sie in ihrem Mund findet. Regenschirm, Nähmaschine und Seziertisch sind keine Metaphern – und wenn, dann keine, die die menschliche Logik aufzudröseln imstande ist -, und sie geben dem Leser auch nicht wirklich einen Eindruck davon wie der Knabe Mervyn denn nun eigentlich tatsächlich physisch beschaffen ist, ihre Begegnung ist eben, wie das Zitat schon sagt, eine rein zufällige, im Prinzip sind die Gegenstände austauschbar, und mühelos hätte Lautréamont schreiben können. „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen eines Frauenfußes und eines Fangeisens in einem Schlosspark.“
Abb.4: Die einzige überlieferte Photographie Lautréamonts: Portrait des Künstlers als junger Mann
Mit besagtem Fangeisen machen Janet und Mark Bekanntschaft kurz nachdem ein, wie der männliche Part der Beziehung sinnigerweise feststellt, halbverwester Mensch nach dem Bein des weiblichen Parts der Beziehung gegrapscht hat. Man flieht, wie man es übrigens während des gesamten weiteren Verlauf des Films unablässig tun wird, sofern man nicht gerade zwischendurch gefressen wird, und wie es der Zufall will tappt Janet ausgerechnet in ein Fangeisen, das, seiner Größe nach zu schätzen, mindestens für Bären gedacht gewesen sein muss. Warum George, zu dessen Eigenheim der Park gehört, es dort hat aufspannen lassen, wo es von wilden Tieren nun nicht gerade wimmelt, ist eine Frage, die so offenbleibt, dass man sich die Antwort darauf genauso sparen kann wie die darauf, weshalb in unmittelbarer Nähe eine Mistgabel mitten in der Wiese steckt. Objet trouvé nennt der gemeine Surrealist Gegenstände, die ihm der Zufall hat entgegenflattern lassen und an denen er wenige oder gar keine Veränderung vornimmt, um sie anschließend als Kunst zu deklarieren. Mistforke und Fangeisen indes müssen gar nicht erst gefunden werden, sie sind einfach da, poppen plötzlich hoch wie Sexanzeigen auf dubiosen Internetseiten: das eine schnappt zu, und zwar mitten in Janets Bein hinein, die andere steht direkt daneben, damit Mark sich mit ihr gegen die anrückenden Zombies verteidigen kann. Auf mich wirkt gerade dieses Kombinieren eines Frauenfußes – der im Folgenden mal mehr, mal weniger schwer verletzt zu sein scheint, je nachdem wie es die Handlung, sofern man die paar hingehusteten narrativen Versatzstücke denn als eine solche bezeichnen möchte, verlangt – mit einem Fangeisen wie die zentrale Metapher eines Films, der von ganz unten bis ganz unten nur aus derartigen merkwürdigen, im Grunde kaum nachvollziehbaren Additionsverfahren besteht. Man kann das beliebig fortsetzen und bis auf die Spitze treiben: warum genau treffen denn nun der Professor und die Etrusker aufeinander?, was führt die Schar dann doch eher mehr an Schmuddelsex als an Geisteswissenschaft interessierter Anti-Helden in das Schloss, in dem dieser zurzeit residiert?, und was bitteschön bringt eine moderne Logik, die genau weiß, dass Autos, wenn man ihre Reifen zersticht, sich selten noch von der Stelle bewegen in die vermeintlich vor allem von Wurmkolonien bewohnten Terrakottaköpfchen der Untoten? Auch die Kollisionen von Menschenkörpern mit Gegenständen, die ihnen erheblichen Schaden zufügen, sind in diesem Film Legion und laufen stets nach dem gleichen Schema ab. Ob nun ein Frauenhals ein Stelldichein mit einer Sense hat, ob ein Frauenkopf auf Tuchfühlung mit einer Fensterscheibe geht, ob eine Frauenhand sich mit einem wie ein Wurfgeschoss umherfliegenden Nagel vereint oder ob ein Männerkopf und eine Kreissäge sich gegenseitig durchdringen: in schöner Regelmäßigkeit schmeißt Bianchi vorgeblich Lebendiges, nämlich seine völlig farblosen Charaktere, mit vorgeblich Leblosem, nämlich den wesentlich mehr Profil als ihre Opfer besitzenden Sägen, Sensen und Mistgabeln, zusammen, als solle LE NOTTI DEL TERRORE tatsächlich eine Fingerübung darin sein, Lautreámonts so eindrucksvolle literarische Liaisons zwischen Nicht-Zusammen-Gehörendem in die Körperwelten des Splatterfilms zu übersetzen.
Abb.5: Die Forke des Grauens zerteilt das Bild bereits vor ihrem Einsatz in kleine Häppchen
Film und Surrealismus.
Die Methode ist so einfach wie genial: man setze sich mit einem Stift in der Hand vor ein weißes Blatt Papier, lösche sein kritisches Ich und lasse seine Gedanken einfach so fließen. Auf diese Weise, von den Surrealisten zwar nicht erfunden, aber doch zum ersten Mal weitreichend in die europäische Literatur eingeführt, entsteht 1919 das erste Werk der sogenannten écriture automatique, LES CHAMPS MAGNÉTIQUES, das derart einflussreich war, dass sich noch in den 90ern Popband nach ihm benannt haben. Dem, was man da aus sich selbst heraus schöpft, sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt, orthographische, grammatikalische, syntaktische und logische „Fehler“ sogar ausdrücklich erwünscht, einzig und allein auf die Authentizität des Geschriebenen kommt es an, nicht darauf, irgendeinem vorgefertigten System zu folgen. Ein solches wildes Drauflosschreiben oder Drauflosmalen oder Drauflosmusizieren mag in den meisten Kunstformen relativ problemlos funktionieren, etwas anders sieht es aber beim Film aus, dessen Ausgangsbedingungen allein schon wesentlich höhere finanzielle und logistische Ressourcen verlangen. Ein Stift, ein Blatt Papier, eine Leinwand, eine Blockflöte sind da vergleichsweise schon allesamt mehr oder minder leicht zu beschaffende Dinge und zudem mühelos allein zu bewältigen. Einen Film zu drehen ist jedoch in den meisten Fällen eine Kollektivsache, verbunden mit unzähligen Fragen, die eine klare Antwort fordern: welcher Bildausschnitt soll in welcher Szene gewählt werden?, wo platziere ich die Kamera?, läuft der Schauspieler von links oder von rechts durchs Bild? Mit dem surrealistischen Ansatz, seine Phantasie vollkommen unbekümmert darum sprießen zu lassen, wohin sie einen am Ende entführt, scheint sich das filmische Medium naturgemäß ziemlich zu beißen. Es verwundert demnach auch nicht, dass von der klassischen Filmgeschichte im Grunde nur ein einziges Werk als genuin surreal angesehen worden ist. UN CHIEN ANDALOU, dessen Titel und Inhalt, wen wird es wundern?, nicht das Geringste verbindet, von Luis Bunuel und Salvador Dalí zum Jahreswechsel 1928/29 innerhalb von zwei Wochen gedreht, soll ausschließlich auf zwei Träumen basieren, von denen die beiden Künstler zuvor heimgesucht worden sind. Obwohl UN CHIEN ANDALOU völlig assoziativ völlig verrückte Bilder aneinanderreiht, deren Verknüpfung von der Montage kein bisschen mit Sinn ausgestattet wird, ist der Unterschied zwischen einem literarischen Werk wie LES CHAMPS MAGNÉTIQUES natürlich nicht zu übersehen. Mit Stift und Papier kann ich einen Traum gleich nach dem Aufwachen festhalten, mit einer Filmkamera dauert es ungleich länger, fordert planende Vorbereitung, mitarbeitende Spießgesellen und natürlich Geld, denn das regiert, gemeinsam mit dem Zufall, die Welt. Schon im Nachfolgewerk Bunuels, L’AGE D’OR, wird noch evidenter, was ich meine. Während UN CHIEN ANDALOU tatsächlich beim besten Willen nicht erschlossen werden kann, erzählt L’AGE D’OR durchaus eine Geschichte – zwar absonderlich und definitiv subversiv, nichtsdestotrotz könnte ich, wenn ich sollte und wollte, eine, glaube ich, recht zusammenhängende, nachvollziehbare Inhaltsangabe der Grundgeschichte liefern. Gleiches gilt umso mehr für Filme wie Arrabals VIVA LA MUERTE, Jodorowskys EL TOPO, Zulawskis POSSESSION oder Lynchs ERASERHEAD, um nur einige zu nennen. Zu Recht tragen sie Kronen auf ihren Stirnen, im orthodoxen Sinne surreal sind sie jedoch nicht, weil sie eben die Sinne ihrer Zuschauer nicht frei von Sinn und Verstand ansprechen, sondern trotz allem etwas zu berichten haben, das herauszukristallisieren einem aufgeschlossenen Betrachter problemlos möglich sein dürfte.
Abb.6: Die Geschichte eines Auges: Diese frühe Splatterszene tut heute noch weh
Dass ein Film keine wirkliche Handlung besitzt, merkt man wohl daran, dass man sie nicht wiedergeben kann. Wie könnte ich den Inhalt von LE NOTTI DEL TERRORE in zwei, drei Sätzen zusammenfassen? Es reicht gerade einmal für einen und selbst der ist noch voller Fragezeichen. Er lautet: Eine Gruppe von Leuten, die, ich weiß nicht weshalb, ein Schloss aufsuchen, das einem von ihnen zu gehören scheint und in dem sich zurzeit, ich weiß nicht weshalb, ein wunderlicher Professor mit ich weiß nicht welchen Experimenten und Forschungen bezüglich der Bestattungsriten der alten Etrusker beschäftigt, wird von Zombies, von denen ich nicht genau weiß, woher sie eigentlich kommen, überfallen, worauf die Gäste sich vor ihnen verschanzen, vor ihnen fliehen und schließlich von ihnen verschlungen werden. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen zu diesem Film, der wirkt, als sei er ein Gestrüpp, in dessen Wildwuchs keine schöpferische Kraft auch nur mit der Fingerspitze eingegriffen hat, um ihn in irgendeine Richtung zu lenken. Es fällt mir schwer, mir ein Drehbuch zu LE NOTTI DEL TERRORE vorzustellen. Was soll dort gestanden haben? Es fällt mir noch schwerer, mir einen Regisseur, einen Produzent vorzustellen, auf deren Mist der Film gewachsen sein soll. Ich bin mir sicher, selbst die hätten mir nicht erklären können, weshalb in einer Szene plötzlich Glühbirnen explodieren und wieso Peter Bark Türen nicht öffnen muss, sondern sie, lange bevor er sie überhaupt erreicht hat, vor ihm von alleine aufschwingen und, ich muss darauf zurückkommen, verweste Etrusker wissen, wie man Autos effektiv außer Gefecht gesetzt. Leicht fällt es jedoch, LE NOTTI DEL TERRORE als Produkt eines Unterbewusstseins zu sehen, das es irgendwie, vielleicht mit Zauberei, geschafft hat, sich sofort, ohne Umwege über ein Drehbuch, in bewegten Bildern zu manifestieren. Es ist, als sei da ein Loch in einem schlafenden Kopf, durch das man Vorgängen zusieht, die im Wachzustand die Schranken der Vernunft niemals hätten passieren dürfen. Ich wiederhole meine These: wenn es einen surrealen Film gibt, dann heißt er LE NOTTI DEL TERRORE. Er ist das womöglich mehr noch als UN CHIEN ANDALOU. Bei dem erkennt man nämlich zumindest bestimmte Motive, die auf Bunuel und Dalí als Autoren verweisen, da die beiden sie in späteren Werken wiederaufgegriffen bzw. weiterverwertet haben. LE NOTTI DEL TERRORE demgegenüber besitzt für mich wenig bis gar nichts Vertrautes. Er spielt in einer Welt, die auf den Kopf gestellt worden ist. Seine Menschen agieren nicht wie Menschen, seine Zombies sind klüger und sympathischer als die nominellen Helden, seine Handlung folgt höchstens rudimentär bekannten narrativen Konzepten, schleicht aber eigentlich doch viel mehr unverständlich vor sich hin. Einmal mehr: LE NOTTI DEL TERRORE ist ein Meisterwerk des surrealen Kinos. Punkt.
Abb.7: Falsche Zeichen im Finale - oder sollte es die angeblichen Propheizungen der Schwarzen Spinne, meiner gründlichen Recherche zum Trotz, tatsächlich geben?!In seinem 1931 erstmals veröffentlichten Aufsatz mit dem possierlichen Titel KLEINE GESCHICHTE DER PHOTOGRAPHIE meditiert der deutsche Philosoph Walter Benjamin verhältnismäßig lange über einer an sich unscheinbare Kinderphotographie, die den Knaben Franz Kafka etwa im Alter von fünf Jahren zeigt. Er schreibt: „Da steht in einem engen, gleichsam demütigenden, mit Posamenten überladenen Kinderanzug der ungefähr sechsjährige Knabe in einer Art von Wintergartenlandschaft. Palmenwedel starren im Hintergrund. Und als gelte es, diese gepolsterten Tropen noch stickiger und schwüler zu machen, trägt das Modell in der Linken einen unmäßig großen Hut mit breiter Krempe, wie ihn Spanier haben. Gewiß, daß es in diesem Arrangement verschwände, wenn nicht die unermeßlich traurigen Augen diese ihnen vorbestimmte Landschaft beherrschen würden. Dies Bild in seiner uferlosen Trauer ist ein Pendant der frühen Photographie, auf welcher die Menschen noch nicht abgesprengt und gottverloren in die Welt sahen wie hier der Knabe. Es war eine Aura um sie, ein Medium, das ihrem Blick, indem er es durchdringt, die Fülle und die Sicherheit gibt.“ Was Benjamin mit dem Begriff Aura meint, der aus dem Griechischen übersetzt so etwas wie Hauch heißt und zudem die Göttin der Morgenbrise bezeichnet, kann man vielleicht grob als die Emanation sowohl natürlich gewachsener wie auch künstlerisch verfertigter Objekte beschreiben, die diesen ihre Einmaligkeit verleiht und mit dem Anbruch der industriellen Moderne, in der jedes Kunstwerk beliebig oft technisch reproduziert werden kann, allmählich in ihre Verfallsphase übergegangen ist. In seiner kleinen Photographiegeschichte sowie in seinem noch berühmteren Essay vom KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT (1936) begibt sich Benjamin in gewisser Weise auf die Spurensuche nach Auren, die noch unverstellt, gleichsam wahrhaftig sind, und findet sie eben nicht nur in ganz frühen Portraitphotographien und noch früheren Daguerreotypien, sondern, wie wir oben gelesen haben, außerdem in gestellten Atelieraufnahmen wie der, die dem armen Kafka eine für heutige Augen ziemlich alberne Verkleidung aufnötigt.
Abb.1: Als Franz K. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in einem Photoatelier zu einem kleinen Spanier vor gemalter Hintergrundkulisse verwandelt
Dieses Bild, man hört das problemlos zwischen den Zeilen, ist Benjamin offenbar reichlich zuwider, und mit Sicherheit würde er es, wie übrigens das photographische Medium an sich, niemals als Kunstwerk betrachten. Dennoch erfüllt es einen Zweck, hat eine Daseinsberechtigung, allerdings eine, die jedem, der an seiner Herstellung beteiligt gewesen ist, kaum bewusst gewesen sein mag. Für Benjamin ist ein Photo wie das des Buben Franz ein vortrefflicher Zeuge einer Geschichte, die sich fern von pompösen Herrscherhäusern in der anonymen Masse des Alltäglichen abspielt. Je länger man es betrachtet desto mehr, scheint es, verrät es einem. Beispielweise wie Eltern des Mittelstands in den späten 1880er Jahren gerne ihre Kinder in Szene gesetzt haben. Oder aber welche Kindermode zu dieser Zeit gerade en vogue gewesen ist. Zudem ist da, in diesem besonderen Fall zumindest, Kafka selbst, über den wir einiges wissen, von dem das meiste jedoch erst lange nach Entstehens dieses einen Photos eintreten wird - beziehungsweise Kafkas Aura, die Benjamin aus dem Bild heraus regelrecht entgegenzuspringen scheint. Derjenige, der bei all diesen Verstrickungen und geflüsterten Subtexten die meisten Hände im Spiel hat, ist wenig überraschend Großmeister Zufall. Obwohl der unbekannt gebliebene Photograph, der dieses Bild in seinem Atelier, das kann man ihm sicherlich unterstellen, aus rein pekuniären Motiven geschossen hat, obwohl Kafkas Eltern, deren primäres Ziel es wohl gewesen ist, von ihrem Besuch in besagtem Atelier ein Bild mitnehmen zu können, auf dem ihr Bub einigermaßen herzeigbar ausschaut, obwohl Kafka selbst, der höchstwahrscheinlich kein Wörtchen dabei hat mitreden dürfen, ob er nun in diesen Anzug gesteckt werden möchte oder nicht, obwohl also keine der involvierten Personen auch nur im Traum daran gedacht haben mag, so ist das Kinderphoto Kafkas über seinen plumpen Verwendungszweck hinaus nichtsdestotrotz voller Zeichen, die einem Betrachter, wenn er sie nur lange genug anstarrt, nicht gerade wenig Hinweise über den Kontext liefern, in dem sie rein zufällig vor eine Kameralinse geraten sind. Für Walter Benjamin wird das photographische Medium demnach von seiner absoluten Kontingenz bestimmt. Nicht das muss zählen, auf das der Photograph mit voller Absicht seine Kamera gerichtet hat, in den meisten Fällen zählt im Nachhinein sogar das viel mehr, das ihm völlig ungewollt ins Bild geschlüpft ist.
Abb.2: Bejamins liebster Photograph: Das Paris des Eugène Atget (1857-1927) als Geisterstadt ohne Zombies
Von einem Photographen, die sich so sehr dem Wesen des Zufalls verschrieben hat, dass er ihn quasi zum Thema seiner Arbeiten macht, erzählt auch Andrea Bianchi in LE NOTTI DEL TERRORE. Bewaffnet mit einer Kamera zieht Mark mit seiner Freundin, dem Schreihals Janet, durch das weitläufige Parkgelände außerhalb des Schlosses, ihr höchstens Bruchteile von Sekunden lassend, sich in die Posen zu werfen, in denen er sie dann gemeinsam mit irgendwelchen Hecken, Büschen und Zweigen ablichtet. Einmal greift der Zufall ziemlich offensiv ins Geschehen ein: Janet scheint umzuknicken, fällt der Länge nach hin. Mark ruft ihr zu, nicht aufzustehen, genau so solle sie liegenbleiben, genau so wolle er sie haben. Das Photo, das daraus entsteht, zeigt der Film uns zwar nicht – wie auch, da Janet und Mark, ohne zu viel verraten zu wollen, gerade noch mit knapper Not den Abspann erleben werden und den fraglichen Film anschließend in einer von Zombies verseuchten Welt wohl niemand jemals entwickelt wird -, so viel weiß man indes über es, dass es sich bei ihm um ein reines Zufallsprodukt handelt. Nachdem der Schuss getätigt und die eher hilflos als pittoresk auf dem Boden herumliegende Janet im Kasten ist, versucht sie Mark zu erklären, dass das Gelände unter ihr nachgegeben habe, so, als ob da was in der Erde fehle, was eigentlich dort hingehört. Nur wenige Minuten hat Mark Zeit, das zu belächeln, bevor er erkennen muss, dass seine Liebste, die über hellseherische Fähigkeiten verfügt und die Nächte bzw. die eine Nacht des Schreckens, von der der Film handelt, in Traumvisionen gesehen hat, mit ihren Visionen gar nicht so falsch liegt. Interessant ist jedenfalls, dass Bianchi in dieser Szene seinen surrealen künstlerischen Ansatz auf eigenartige Weise selbst zu reflektieren scheint. Nicht nur, dass Photographien ihren Wert, wie weiter oben steht, für kluge Köpfe wie Herrn Benjamin vor allem anderen durch ihre Zufälligkeiten erhalten, Bianchi hat mit Mark zudem eine Figur – sofern man denn ein derart eindimensionales Strichmännchen tatsächlich als Figur bezeichnen möchte – in das Boot geholt, in dem er seinen Cast dem Untergang entgegenschippern lässt, die dem namen- und gesichtslosen Atelierphotographen, vor dem der kleine Kafka hat strammstehen müssen, völlig entgegengesetzt ist. Mark reicht es für seine Bilder völlig, seine Freundin ziellos durch den Schlosspark laufen zu lassen, ihr von Zeit zu Zeit zuzurufen, sie solle stehenbleiben oder weiterlaufen: da ist nichts gestellt, nichts gekünstelt, da ist nichts wirklich interessant und nichts wirklich spannend. Keine große Leistung ist es von hier aus mehr, Mark zum alter ego Andrea Bianchis auszurufen. In Marks Photographien spiegelt sich exakt das Prinzip wieder, das Bianchi selbst anwendet: er schickt seine Schauspieler durch die limitieren Kulissen, manchmal passiert etwas, manchmal nicht, scheinbar komplett dem Zufall überlassen, und gefilmt wird trotzdem. Dass es sich bei dem Kontingenzelement, das Janet von den Füßen in Seitenlage befördert, um die untoten Etrusker handelt, denn die sind es, die im Boden fehlen, sodass er nachgeben kann, macht nur noch deutlicher, wie sehr Bianchi in seinem Film von einer Welt berichten möchte, in der nichts Zuverlässigkeit besitzt, in der alles jeden Moment durch etwas, das niemand – es sei denn, man verfügt, wie scheinbar Janet, über das dritte Auge irgendwo unter der Stirn – hat vorausahnen können, durchkreuzt, vernichtet und über den Haufen geworfen werden kann. Die Etrusker erheben sich, Janet fällt, ein Photo entsteht, bei dem Mark in Jubelrufe ausbricht: am Ende sind sie alle tot, und das folgt keinem Plan, keiner Logik, hat keinen Sinn und keinen Verstand.
Abb.3: Intermedialer Diskurs oder doch bloßer Zufall?
Zufällige Begegnungen. Von Regenschirmen, Nähmaschinen, Forken und Fangeisen.
Wenn es einen Satz gibt, den sich die französischen Surrealisten um Wortführer André Breton in den 20er Jahren mit rotem Edding über die Betten geschrieben haben, dann lautet er wie folgt: „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch.“ Derjenige, der so im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar schön sein soll, ist ein Jüngling namens Artur Mervyn und seines Zeichens auserkorenes Opfer des Päderastendämons Maldoror, der in sechs Gesängen des Dichters Lautréamont in für die späten 1860er Jahren unendlich expliziten Gewalt- und Sprachphantasien sein Unwesen treibt. Lautréamont, der eigentlich Isidor Ducasse heißt und 1870 mit 23 Jahren im von preußischen Truppen belagerten Paris wahrscheinlich von einer Seuchenepidemie dahingerafft worden ist, konnte für Breton wohl auch deshalb zum Urgroßvater des Surrealismus werden, weil er der Nachwelt nur dieses eine Werk hinterlassen ist: über das Vorwort ist sein Folgeprojekt, die POESIES, nicht hinweggekommen, er über ihnen weggestorben. Jedenfalls fasst der oben zitierte Satz sowohl die kompletten CHANTS DE MALDOROR wie auch den viel später er- oder gefundenen Surrealismus schon beinahe wie ein Credo im Kern zusammen: vertraute Dinge aus ihren vertrauten Kontexten gerissen und in neuen auf eine Weise miteinander kombiniert, die auf die Logik so viel Speichel spuckt wie sie in ihrem Mund findet. Regenschirm, Nähmaschine und Seziertisch sind keine Metaphern – und wenn, dann keine, die die menschliche Logik aufzudröseln imstande ist -, und sie geben dem Leser auch nicht wirklich einen Eindruck davon wie der Knabe Mervyn denn nun eigentlich tatsächlich physisch beschaffen ist, ihre Begegnung ist eben, wie das Zitat schon sagt, eine rein zufällige, im Prinzip sind die Gegenstände austauschbar, und mühelos hätte Lautréamont schreiben können. „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen eines Frauenfußes und eines Fangeisens in einem Schlosspark.“
Abb.4: Die einzige überlieferte Photographie Lautréamonts: Portrait des Künstlers als junger Mann
Mit besagtem Fangeisen machen Janet und Mark Bekanntschaft kurz nachdem ein, wie der männliche Part der Beziehung sinnigerweise feststellt, halbverwester Mensch nach dem Bein des weiblichen Parts der Beziehung gegrapscht hat. Man flieht, wie man es übrigens während des gesamten weiteren Verlauf des Films unablässig tun wird, sofern man nicht gerade zwischendurch gefressen wird, und wie es der Zufall will tappt Janet ausgerechnet in ein Fangeisen, das, seiner Größe nach zu schätzen, mindestens für Bären gedacht gewesen sein muss. Warum George, zu dessen Eigenheim der Park gehört, es dort hat aufspannen lassen, wo es von wilden Tieren nun nicht gerade wimmelt, ist eine Frage, die so offenbleibt, dass man sich die Antwort darauf genauso sparen kann wie die darauf, weshalb in unmittelbarer Nähe eine Mistgabel mitten in der Wiese steckt. Objet trouvé nennt der gemeine Surrealist Gegenstände, die ihm der Zufall hat entgegenflattern lassen und an denen er wenige oder gar keine Veränderung vornimmt, um sie anschließend als Kunst zu deklarieren. Mistforke und Fangeisen indes müssen gar nicht erst gefunden werden, sie sind einfach da, poppen plötzlich hoch wie Sexanzeigen auf dubiosen Internetseiten: das eine schnappt zu, und zwar mitten in Janets Bein hinein, die andere steht direkt daneben, damit Mark sich mit ihr gegen die anrückenden Zombies verteidigen kann. Auf mich wirkt gerade dieses Kombinieren eines Frauenfußes – der im Folgenden mal mehr, mal weniger schwer verletzt zu sein scheint, je nachdem wie es die Handlung, sofern man die paar hingehusteten narrativen Versatzstücke denn als eine solche bezeichnen möchte, verlangt – mit einem Fangeisen wie die zentrale Metapher eines Films, der von ganz unten bis ganz unten nur aus derartigen merkwürdigen, im Grunde kaum nachvollziehbaren Additionsverfahren besteht. Man kann das beliebig fortsetzen und bis auf die Spitze treiben: warum genau treffen denn nun der Professor und die Etrusker aufeinander?, was führt die Schar dann doch eher mehr an Schmuddelsex als an Geisteswissenschaft interessierter Anti-Helden in das Schloss, in dem dieser zurzeit residiert?, und was bitteschön bringt eine moderne Logik, die genau weiß, dass Autos, wenn man ihre Reifen zersticht, sich selten noch von der Stelle bewegen in die vermeintlich vor allem von Wurmkolonien bewohnten Terrakottaköpfchen der Untoten? Auch die Kollisionen von Menschenkörpern mit Gegenständen, die ihnen erheblichen Schaden zufügen, sind in diesem Film Legion und laufen stets nach dem gleichen Schema ab. Ob nun ein Frauenhals ein Stelldichein mit einer Sense hat, ob ein Frauenkopf auf Tuchfühlung mit einer Fensterscheibe geht, ob eine Frauenhand sich mit einem wie ein Wurfgeschoss umherfliegenden Nagel vereint oder ob ein Männerkopf und eine Kreissäge sich gegenseitig durchdringen: in schöner Regelmäßigkeit schmeißt Bianchi vorgeblich Lebendiges, nämlich seine völlig farblosen Charaktere, mit vorgeblich Leblosem, nämlich den wesentlich mehr Profil als ihre Opfer besitzenden Sägen, Sensen und Mistgabeln, zusammen, als solle LE NOTTI DEL TERRORE tatsächlich eine Fingerübung darin sein, Lautreámonts so eindrucksvolle literarische Liaisons zwischen Nicht-Zusammen-Gehörendem in die Körperwelten des Splatterfilms zu übersetzen.
Abb.5: Die Forke des Grauens zerteilt das Bild bereits vor ihrem Einsatz in kleine Häppchen
Film und Surrealismus.
Die Methode ist so einfach wie genial: man setze sich mit einem Stift in der Hand vor ein weißes Blatt Papier, lösche sein kritisches Ich und lasse seine Gedanken einfach so fließen. Auf diese Weise, von den Surrealisten zwar nicht erfunden, aber doch zum ersten Mal weitreichend in die europäische Literatur eingeführt, entsteht 1919 das erste Werk der sogenannten écriture automatique, LES CHAMPS MAGNÉTIQUES, das derart einflussreich war, dass sich noch in den 90ern Popband nach ihm benannt haben. Dem, was man da aus sich selbst heraus schöpft, sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt, orthographische, grammatikalische, syntaktische und logische „Fehler“ sogar ausdrücklich erwünscht, einzig und allein auf die Authentizität des Geschriebenen kommt es an, nicht darauf, irgendeinem vorgefertigten System zu folgen. Ein solches wildes Drauflosschreiben oder Drauflosmalen oder Drauflosmusizieren mag in den meisten Kunstformen relativ problemlos funktionieren, etwas anders sieht es aber beim Film aus, dessen Ausgangsbedingungen allein schon wesentlich höhere finanzielle und logistische Ressourcen verlangen. Ein Stift, ein Blatt Papier, eine Leinwand, eine Blockflöte sind da vergleichsweise schon allesamt mehr oder minder leicht zu beschaffende Dinge und zudem mühelos allein zu bewältigen. Einen Film zu drehen ist jedoch in den meisten Fällen eine Kollektivsache, verbunden mit unzähligen Fragen, die eine klare Antwort fordern: welcher Bildausschnitt soll in welcher Szene gewählt werden?, wo platziere ich die Kamera?, läuft der Schauspieler von links oder von rechts durchs Bild? Mit dem surrealistischen Ansatz, seine Phantasie vollkommen unbekümmert darum sprießen zu lassen, wohin sie einen am Ende entführt, scheint sich das filmische Medium naturgemäß ziemlich zu beißen. Es verwundert demnach auch nicht, dass von der klassischen Filmgeschichte im Grunde nur ein einziges Werk als genuin surreal angesehen worden ist. UN CHIEN ANDALOU, dessen Titel und Inhalt, wen wird es wundern?, nicht das Geringste verbindet, von Luis Bunuel und Salvador Dalí zum Jahreswechsel 1928/29 innerhalb von zwei Wochen gedreht, soll ausschließlich auf zwei Träumen basieren, von denen die beiden Künstler zuvor heimgesucht worden sind. Obwohl UN CHIEN ANDALOU völlig assoziativ völlig verrückte Bilder aneinanderreiht, deren Verknüpfung von der Montage kein bisschen mit Sinn ausgestattet wird, ist der Unterschied zwischen einem literarischen Werk wie LES CHAMPS MAGNÉTIQUES natürlich nicht zu übersehen. Mit Stift und Papier kann ich einen Traum gleich nach dem Aufwachen festhalten, mit einer Filmkamera dauert es ungleich länger, fordert planende Vorbereitung, mitarbeitende Spießgesellen und natürlich Geld, denn das regiert, gemeinsam mit dem Zufall, die Welt. Schon im Nachfolgewerk Bunuels, L’AGE D’OR, wird noch evidenter, was ich meine. Während UN CHIEN ANDALOU tatsächlich beim besten Willen nicht erschlossen werden kann, erzählt L’AGE D’OR durchaus eine Geschichte – zwar absonderlich und definitiv subversiv, nichtsdestotrotz könnte ich, wenn ich sollte und wollte, eine, glaube ich, recht zusammenhängende, nachvollziehbare Inhaltsangabe der Grundgeschichte liefern. Gleiches gilt umso mehr für Filme wie Arrabals VIVA LA MUERTE, Jodorowskys EL TOPO, Zulawskis POSSESSION oder Lynchs ERASERHEAD, um nur einige zu nennen. Zu Recht tragen sie Kronen auf ihren Stirnen, im orthodoxen Sinne surreal sind sie jedoch nicht, weil sie eben die Sinne ihrer Zuschauer nicht frei von Sinn und Verstand ansprechen, sondern trotz allem etwas zu berichten haben, das herauszukristallisieren einem aufgeschlossenen Betrachter problemlos möglich sein dürfte.
Abb.6: Die Geschichte eines Auges: Diese frühe Splatterszene tut heute noch weh
Dass ein Film keine wirkliche Handlung besitzt, merkt man wohl daran, dass man sie nicht wiedergeben kann. Wie könnte ich den Inhalt von LE NOTTI DEL TERRORE in zwei, drei Sätzen zusammenfassen? Es reicht gerade einmal für einen und selbst der ist noch voller Fragezeichen. Er lautet: Eine Gruppe von Leuten, die, ich weiß nicht weshalb, ein Schloss aufsuchen, das einem von ihnen zu gehören scheint und in dem sich zurzeit, ich weiß nicht weshalb, ein wunderlicher Professor mit ich weiß nicht welchen Experimenten und Forschungen bezüglich der Bestattungsriten der alten Etrusker beschäftigt, wird von Zombies, von denen ich nicht genau weiß, woher sie eigentlich kommen, überfallen, worauf die Gäste sich vor ihnen verschanzen, vor ihnen fliehen und schließlich von ihnen verschlungen werden. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen zu diesem Film, der wirkt, als sei er ein Gestrüpp, in dessen Wildwuchs keine schöpferische Kraft auch nur mit der Fingerspitze eingegriffen hat, um ihn in irgendeine Richtung zu lenken. Es fällt mir schwer, mir ein Drehbuch zu LE NOTTI DEL TERRORE vorzustellen. Was soll dort gestanden haben? Es fällt mir noch schwerer, mir einen Regisseur, einen Produzent vorzustellen, auf deren Mist der Film gewachsen sein soll. Ich bin mir sicher, selbst die hätten mir nicht erklären können, weshalb in einer Szene plötzlich Glühbirnen explodieren und wieso Peter Bark Türen nicht öffnen muss, sondern sie, lange bevor er sie überhaupt erreicht hat, vor ihm von alleine aufschwingen und, ich muss darauf zurückkommen, verweste Etrusker wissen, wie man Autos effektiv außer Gefecht gesetzt. Leicht fällt es jedoch, LE NOTTI DEL TERRORE als Produkt eines Unterbewusstseins zu sehen, das es irgendwie, vielleicht mit Zauberei, geschafft hat, sich sofort, ohne Umwege über ein Drehbuch, in bewegten Bildern zu manifestieren. Es ist, als sei da ein Loch in einem schlafenden Kopf, durch das man Vorgängen zusieht, die im Wachzustand die Schranken der Vernunft niemals hätten passieren dürfen. Ich wiederhole meine These: wenn es einen surrealen Film gibt, dann heißt er LE NOTTI DEL TERRORE. Er ist das womöglich mehr noch als UN CHIEN ANDALOU. Bei dem erkennt man nämlich zumindest bestimmte Motive, die auf Bunuel und Dalí als Autoren verweisen, da die beiden sie in späteren Werken wiederaufgegriffen bzw. weiterverwertet haben. LE NOTTI DEL TERRORE demgegenüber besitzt für mich wenig bis gar nichts Vertrautes. Er spielt in einer Welt, die auf den Kopf gestellt worden ist. Seine Menschen agieren nicht wie Menschen, seine Zombies sind klüger und sympathischer als die nominellen Helden, seine Handlung folgt höchstens rudimentär bekannten narrativen Konzepten, schleicht aber eigentlich doch viel mehr unverständlich vor sich hin. Einmal mehr: LE NOTTI DEL TERRORE ist ein Meisterwerk des surrealen Kinos. Punkt.
Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi (1981)
fehlt nur noch die MP3 mit der musikalischen Einlage!
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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Re: Die Rückkehr der Zombies - Andrea Bianchi (1981)
für diesen Part steht dir der Literaturnobelpreis zuSalvatore Baccaro hat geschrieben:Mark reicht es für seine Bilder völlig, seine Freundin ziellos durch den Schlosspark laufen zu lassen, ihr von Zeit zu Zeit zuzurufen, sie solle stehenbleiben oder weiterlaufen: da ist nichts gestellt, nichts gekünstelt, da ist nichts wirklich interessant und nichts wirklich spannend. Keine große Leistung ist es von hier aus mehr, Mark zum alter ego Andrea Bianchis auszurufen.
ganz großer Text, aufmerksam beobachtet und hervorragend im Schlagen diffuser Brücken - grande!
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
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