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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 12. Jan 2014, 02:30
von buxtebrawler
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The Wrestler
Randy „The Ram“ Robinson (Mickey Rourke) steht vor den Trümmern seines Lebens: Die große Zeit als Wrestling-Star in den 80er Jahren ist längst vorbei, finanziell ist es schlecht um ihn bestellt und seine Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood) hat nicht mehr als Enttäuschung und Verachtung für ihn übrig. Während sich Randy an seine vergangenen Erfolge klammert, weiterhin auf miesen kleinen Kampf-Events auftritt und sich mit Steroiden in körperlicher Form hält, muss der abgewrackte Profi-Wrestler feststellen, wie weit seine Vereinsamung bereits fortgeschritten ist. Nur mit Stripperin Cassidy (Marisa Tomei) verbindet ihn eine tiefere Freundschaft. Zu seiner miserablen Gesamtsituation kommen erschwerend gesundheitliche Probleme hinzu, die ihren vorläufigen Höhepunkt in einem Herzanfall finden. Randy muss das Wrestling an den Nagel hängen um weitere Zusammenbrüche zu vermeiden – doch im Berufsleben kann der alternde Sportler nicht mehr Fuß fassen...
„Die Welt da draußen ist der einzige Ort, wo ich verletzt werden könnte!“

Mit Filmen wie „Pi“ und „Requiem for a Dream“ empfahl sich der US-amerikanische Regisseur Darren Aronofsky als Ausnahmetalent. Nach seinem experimentellen „The Fountain“ kehrte er im Jahre 2008 mit „The Wrestler“ zurück zu einem realistischen Stil. Es handelt sich um ein biographisches Sportlerdrama, um das Porträt eines alterndes Wrestlers, der in den 1980ern ein Star war, aber den Anschluss an die Gegenwart verpasst hat.

Randy „The Ram“ Robinson (Mickey Rourke, „Angel Heart“) war in den 1980ern ein gefeierter Star des Profi-Wrestlings, sein Karrierehöhepunkt der Kampf gegen den „Ayatollah“ (Ernest Miller) 1989. Doch das ist lange her und viel geblieben ist ihm nicht. Er ist finanziell am Ende, verarmt und vereinsamt, jobbt aushilfsweise in einem Lager. Zu seiner einzigen Tochter (Evan Rachel Wood, „The Missing“) hat er keinerlei Kontakt. Er versucht weiterhin, vom alten Ruhm zu zehren, sich fit und muskulös zu halten und tritt unregelmäßig für Showkämpfe im kleineren Rahmen in den Ring. Privat sucht er die Nähe zur Nachtclub-Stripperin Cassidy (Marisa Tomei, „Die Wutprobe“), bis auf einige alte Kontakte aus der Wrestling-Szene pflegt er keine weiteren Freundschaften. Als er nach einem blutigen Hardcore-Match gegen den „Necro Butcher“ einen Herzanfall erleidet, wird er zum Umdenken gezwungen, versucht sich an einem bürgerlichen Leben und nimmt Kontakt zu seiner Tochter auf...

„Ich hasse die verfickten '90er!“

Wrestling genießt als Sportart nicht gerade den besten Ruf. Die Kämpfe seien reine Show, ihr Ausgang abgesprochen, zudem sportlich wenig wertvolles, prolliges Männlichkeitsgehabe, stumpfsinnig und brutal. Da ist sicherlich viel Wahres dran, übersehen wird dabei jedoch oft, dass ein wirklich guter Profi-Wrestler nicht nur ein guter Ringer, sondern auch ein Top-Athlet/-Akrobat, Entertainer und Schauspieler in Personalunion sein muss, und ob der heillos übertriebenen Image-Fixierung und Überzeichnung der fiktiven Charaktere zudem so etwas wie eine lebende Comicfigur. Das bringt eine Vielzahl von Problemen mit sich. Neben hartem Training in Bezug auf Kraft, Kondition und Athletik muss man viel für sein äußeres Erscheinungsbild tun. In einem Show-Sport, in dem Körper wie die von Comichelden verlangt werden, baute sich manch einer wahre Muskelberge auf, wie sie durch herkömmliches Training nicht zu erreichen sind. Steroid/Anabolika-Missbrauch formte unfassbare Körper, ruinierte aber die Gesundheit manch Wrestlers. Viele bekannte Namen aus der WWF/WWE, die man aus den '80ern und '90ern kennt, ließen in Folge dessen früh ihr Leben.

Was diesen Aspekt der Handlung betrifft, erscheint mir „The Wrestler“ also alles andere als unrealistisch. Randy kauft illegal Medikamente, Doping, Schmerzmittel... denn auch wenn vieles Show ist, kann Wrestling doch ein sehr schmerzhafter Sport sein – insbesondere, wenn man sich wie er Hardcore-Matches hingibt, in der man sich gegenseitig viele oberflächliche, möglichst stark blutende Verletzungen zufügt. Randy gibt Unsummen für diese Mittelchen aus, was natürlich negative Auswirkungen auf seine Gewinnspanne hat. Und wenn dann auch noch bei einer Autogrammstunde völlige Tristesse herrscht, ist das nicht nur frustrierend, sondern auch noch unrentabel. Nun kommt erschwerend hinzu, dass Randy nie wirklich etwas anderes gelernt hat, als zu wrestlen, nicht einmal, wie man mit einer Tochter umgeht und für sie da ist. Er hat sie jahrelang im Stich gelassen und wirkt im Umgang mit ihr völlig unbeholfen. Randy muss sich eingestehen, dass er keine große Nummer mehr ist, seinem Alter und angeschlagenen Gesundheitszustand Tribut zollen muss und nicht ewig von der Vergangenheit zehren kann, von deren Erfolgen er gern „seiner“ Stripperin berichtet und stolz seine Narben präsentiert. Die Annäherung zu seiner Tochter scheint indes zunächst zu glücken und seinen neuen Job hinter der Feinkosttheke im Supermarkt – bevor er sie betritt, hat er seine Ringeinlaufmusik im Kopf – scheint er mit Charme und Humor zu bewältigen. Doch ab einem gewissen Zeitpunkt hält er es dort nicht mehr aus und er muss einsehen, dass er nichts anderes kann, als zu wrestlen, dass er nicht lebensfähig in der grauen Realität außerhalb des bunten Wrestling-Zirkus ist.

„The Wrestler“ zeigt unverblümt die Absprachen der Wrestler untereinander vor den Kämpfen und beteiligt sich somit keinesfalls an der Legendenbildung vom im Ring erkämpften Siegen. Auch werden immer wieder explizite, derbe Ausschnitte aus Kämpfen – einer sogar in voller Länge – gezeigt, damit auch das bzgl. des Wrestling-Sports wenig Bescheid wissende Publikum unmissverständlich erfährt, worum es konkret geht. Der mit den Jahrzehnten nach den '80ern, in erster Linie natürlich mit sich selbst hadernde Randy, der immer noch gern Hardrock und Metal aus den glorreichen '80ern hört (Soundtrack-Höhepunkt: die Abrissbirne „Balls to the Wall“ der deutschen Schwermetaller ACCEPT), schlägt sämtliche Warnungen in den Wind, kann nicht aus seiner Haut und will es mit der Neuauflage des Kampfes gegen den Ayatollah noch einmal wissen. Dieser beschert ihm dann auch tatsächlich noch einmal einen Höhepunkt und eine volle Hütte – bedeutet jedoch voraussichtlich auch sein Ende.

„The Wrestler“ ist das Porträt eines gebrochenen Mannes, eines Mannes wie ein Bär, der doch so schwach und verletzlich ist, der in der Vergangenheit lebt und für den kein Platz mehr in der Gegenwart zu sein scheint. Mit etwas Abstraktionsvermögen ist diese zutiefst tragische Geschichte problemlos übertragbar auf andere Branchen, andere Bereiche, andere Menschen und Schicksale. Für Mickey Rourke wurde „The Wrestler“ zu seinem größten Erfolg seit langer Zeit. Man darf davon ausgehen, dass „The Wrestler“ auch für Rourke ein Stück weit autobiographisch ist; man erinnere sich an seine wechselhafte Karriere und seinen Ausflug in den Profi-Boxsport. Einfühlsam, ungeschönt und uneitel spielt er seine Rolle, schauspielerisch exzellent, authentisch, emotional (wehmütig, wütend, verbittert) und ebenso wandlungs- wie leidensfähig. Und damit steht er keinesfalls allein auf weiter Flur, hier wurden durch die Bank weg alle Rollen passend besetzt und mitreißend geschauspielert. Mit Ernest Miller und dem „Necro Butcher“ hat man echte Profi-Wrestler dabei und diverse Wrestling-Verbände unterstützten die Entstehung des Films.

Aronofsky ist „The Wrestler“ derart gut gelungen, dass er in der Lage ist, sein Publikum tief zu berühren, ihm Einblicke in den Wrestling-Sport und in die leidende Seele eines Muskelpakets zu gewähren und sich kritisch mit diesem Sport und seinen Akteuren auseinanderzusetzen, ohne ihn zu verteufeln oder sich über ihn lustig zu machen. Der Film wirkte lange in mir nach und tut es noch immer. Das etwas andere Sportdrama – und das von demjenigen, der einst „Pi“ machte. Auch wenn ich mir mehr Informationen zu „The Rams“ Karriereknick und Einblicke in die Mechanismen der großen Wrestling-Verbände gewünscht hätte – 8,5 von 10 Bodyslams hat es sich mindestens verdient.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 13. Jan 2014, 18:18
von buxtebrawler
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Die Kröte
Alle lachen über Vincenzo (Tomas Milian). Vincenzo ist ein Krüppel... Er ist bucklig geboren. Aber der Bucklige ist der gefährlichste Mann der Unterwelt von Rom. Alles was er gelernt hat, ist töten. Schneller als jeder andere. Was die Welt Ihm antut, zahlt er zurück. Mit 3 Komplizen plant er den Super-Coup auf einen Bank-Panzerwagen. Aber die Freunde verraten ihn. Nur sein Zwillingsbruder (Tomas Milian) steht zu ihm. Der Bucklige schwört den Verrätern den Tod! Wie eine Kröte benutzt er die Kanalisation als Versteck. Ein wahnwitziger Kampf beginnt... (by Delferro)
„‘ne Chance hat nur noch, wer mit dem Hirn arbeitet!“

Ende der 1970er neigte sich die Hochphase des ernsten italienischen Polizeifilms, des Poliziescos, seinem Ende. Die letzte Zusammenarbeit des erfolgreichen Genre-Regisseurs Umberto Lenzi („Der Berserker“) mit Tomas Milian („Der Gehetzte der Sierra Madre“) bewegt sich ein gutes Stück weit weg von den selbstjustizialen Beiträgen, vornehmlich mit Maurizio Merli in der Hauptrolle, und präsentiert ein differenziertes Bild der Verbrecher.

Der bucklige Vincenzo (Tomas Milian) ist ein berüchtigter und gewiefter Verbrecher, bekannt und berüchtigt bei Justiz und der Unterwelt Roms. Nach vorübergehender Abwesenheit kehrt er in die Hauptstadt zurück und plant zusammen mit „Albaner“ Milo (Salvatore Borghese, „Ein Käfer auf Extratour“), Di Gennaro (Guido Leontini, „Girolimoni - Das Ungeheuer von Rom“) und Perrone (Luciano Catenacci, „Die Viper“) einen Überfall auf einen Geldtransporter. Doch die drei hintergehen Vincenzo und versuchen, sich während des Überfalls seiner zu entledigen. Vincenzo kann durch die Kanalisation entkommen und in Ruhe seine Rachepläne schmieden. Unterstützung sichern ihm sein ungleicher Zwillingsbruder Sergio „Monezza“ Marazzi (Tomas Milian) und Vincenzos Freundin, die Prostituierte Maria (Isa Danieli, „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“) zu…

Milian sagt man nach, dass er an seinen Rollen unter Lenzi gern arbeitete und viel Eigenes hineinbrachte, sie mit speziellen Charakteristika versah und an ihren Dialogen mitschrieb. So stammt das Drehbuch zu „Die Kröte“ dann auch aus der Feder Milians und Lenzis, die Milians jüngere Rollen, Monezza aus „Das Schlitzohr und der Bulle“ und den Buckligen aus „Die Viper“, aufgriffen, verfeinerten, zu Brüdern erklärten und sie Milian als Doppelrolle spielen ließen. Nach „Der Berserker“ erzählt Lenzi die Geschichte erstmals wieder aus Sicht der Gangster, vornehmlich Vincenzos, die Polizeiarbeit nimmt eine untergeordnete Rolle ein. Stattdessen entwickelt der Zuschauer eine gewisse Sympathie für das Geschwisterpaar, Beide klopfen gern freche Sprüche und bedienen sich bisweilen vulgärer Sprache, doch während Monezza nach außen hin den etwas Unterbelichteten gibt, ist der stets kaugummikauende Vincenzo ein vorausschauend handelnder, intelligenter Gangster, der im Gegensatz zu seinem Bruder in erster Linie größere Dinger dreht. Faustdick hinter den Ohren haben es letztlich beide, wie nicht nur das Spiel mit der Polizei beweist – Marazzi-Brüder und Exekutive hauen sich gegenseitig übers Ohr. Die Charakterzeichnung der von Milian fulminant und grundverschieden gespielten Brüder ist das Faszinierende an „Die Kröte“: Während die Rolle Monezzas in „Das Schlitzohr und der Bulle“ mehr ausgeschöpft wurde als hier, kommt Vincenzo hier noch mehr zum Tragen als in „Die Viper“. Ein von der Natur benachteiligter Gangster, dessen kriminelle Laufbahn sein Gegenentwurf zum bürgerlichen Leben ist, in dem er keine Chance hätte, und seine Möglichkeit, sich Respekt zu erschaffen. Mit List und Tücke plant er seine Vendetta und entledigt sich in den richtigen Momenten unangebrachter Gefühle. Damit hat er etwas Comichaft- Überzeichnetes an sich, ohne ins Komödiantische abzudriften (was sein Bruder bisweilen tut, zu dessen Charakter das etwas Clowneske jedoch passt). Den Marazzis gegenüber steht Kommissar Sarti (Pino Colizzi, „Der Todeskuß des Paten“), der kein Vergleich mehr zum Schnauzbartprollbullen Merli aus vorangegangen Filmen ist und gegen Milian blass bleibt, vor allem aber in der Geschichte auch gar keine derart große Rolle spielen soll.

Verbrechensbekämpfung durch Selbstjustiz ist auch überhaupt nicht mehr Thema dieses Films. Dieser tendiert vielmehr in Richtung eines Außenseiter-Dramas und buhlt um Verständnis für die Ausgestoßenen der Gesellschaft. Höhepunkt ist die Disco-Szene, ein feiner Club für die oberen Zehntausend, in den der Bucklige es wagt, seine Freundin zum Tanzen auszuführen. Erwartungsgemäß dauert es nicht lange und er bekommt den geballten Hohn und Spott der anwesenden Gäste zu spüren. Doch Vincenzo wäre nicht „der Bucklige“, würde er sich nicht auf seine ganz spezielle Weise rächen. Diese recht lange Szene avanciert zu einer grandiosen Ein-Mann-Milian-Show, in der seine Diskriminierung aufgrund des Buckels sowie soziale Ungerechtigkeiten in einer mitreißenden, flammenden Rede thematisiert werden – natürlich à la italiano, à la Merli und Lenzi, also komplett ohne in rührseliges Betroffenheitskino abzugleiten, stattdessen voller Wut, schwarzem Humor und etwas Zynismus. Beeindruckend. Einmal mehr ist es die reinste Freude, Milian bei seiner Passion zuzusehen und zu beobachten, wie er die kontrastreiche Doppelbelastung wunderbar meistert. Neben einigen üblich verdächtigen Italo-Gangstervisagen in den Nebenrollen brilliert vor allem Isa Danieli an Milians Seite, der er nicht die Schau stiehlt.

Seinen episodenhaften Erzählstil und die bisweilen dominante Hektik und Gehetztheit seiner Polizeifilme überwand Lenzi mit „Die Kröte“. Er tauschte etwas Tempo gegen Anspruch, dennoch sollte man keine tiefgreifenden Charakteranalysen erwarten. „Die Kröte“ bleibt häufig oberflächlich und klischeehaft genug, um nicht im Genre verwechselt werden zu können und schöpft bestimmt nicht sein gesamtes Potential aus. Der geneigte Zuschauer muss natürlich trotzdem nicht auf eine rasante Verfolgungsjagd in niedlichen Kleinwagen verzichten, ebenso wenig auf eine großangelegte Schießerei im Finale, bei der den Teilnehmern sogar Granaten um die Ohren fliegen. Dieses leitet indes ein tragisches Ende ein, das dem Zuschauer verdeutlicht, wie sehr dieser mittlerweile mit den Brüdern mitfieberte. Es ist bedauerlich, dass diese beiden Charaktere nicht in Serie gingen, beispielsweise für eine in diesem Stil weitergeführte, leicht subversive Gangsterfilmreihe, Action-Thriller um zwei von ihren Gegnern fälschlicherweise oft unterschätzte Asse der Unterwelt. Der Milian’sche Höhepunkt in Lenzis Filmographie bleibt für mich zwar „Der Berserker“ aufgrund seiner irrsinnigen und beängstigenden Konsequenz, doch „Die Kröte“ sehe ich gleichauf mit „Das Schlitzohr und der Bulle“, evtl. gar etwas darüber. Ein starkes Umfeld, denn Lenzi und Milian waren ein tolles Team. 7,5 von 10 Punkten für diese schwer unterhaltsame und auf ihre Weise nachschwingende Geschichte von Freund- und Verwandtschaft, Außenseitern, Gesetzlosen und ihrem Kampf um Anerkennung und Glück – der bisweilen mit dem Leben bezahlt wird.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 14. Jan 2014, 17:43
von buxtebrawler
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Im Knast der perversen Mädchen
Eine Gruppe gewaltbereiter Frauen kann aus dem Gefängnis entkommen und startet einen Rachefeldzug gegen die Verantwortlichen. Sie kidnappen einen Bus voller junger Frauen und nehmen alle als Geisel. Die erste Station ist das Haus des verantwortlichen Richters, dessen Tochter sich bereits unter den Geiseln befindet. In der Villa mit dazugehörigem leerstehendem Gefängnisblock findet sich genug Platz für die zahlreichen Opfer, die nun Demütigungen und Folterungen über sich ergehen lassen müssen. Als schließlich die Polizei das Gebäude umzingelt, stellen die Geiselnehmerinnen ein Ultimatum...
„Ihr bürgerlich-liberalen Spießer müsst erkennen, dass eure Zeit aus ist!“

Der Sleaze-Gangster-Thriller „Im Knast der perversen Mädchen“ aus dem Jahre 1978 ist die einzige Regiearbeit des italienischen Schauspielers Giovanni Brusadori („Zeder – Denn Tote kehren wieder“). Der deutsche Titel ist irreführend, denn es handelt sich mitnichten um einen Women-in-Prison-Film. Das Drehbuch stammt von George Eastman, der sich vor allem als Schauspieler („Man-Eater“) einen Namen gemacht hat.

Vier, ähm, „Damen“ brechen aus dem Gefängnis aus. Die Anführerin der flügge Gewordenen ist die verurteilte „Linksterroristin“ Monica (Lilli Carati, „Oben ohne, unten Jeans“), die die Flucht mit ihrem Bruder Pierre plante. Doch der wird während der Flucht angeschossen und das Fluchtauto in einen Unfall mit einem mit Tennisspielerinnen besetzten Bus verwickelt. Da dieser noch fahrtüchtig ist, sattelt man kurzerhand um und nimmt die Sportlerinnen mitsamt Fahrer als Geiseln. Die Reise geht zum Landhaus des Vaters einer der Entführten, der pikanterweise derjenige Richter (Filippo De Gara, „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“) ist, der seinerzeit Monica verurteilte. Dort verschanzt man sich mit den Geiseln und lässt seinen Trieben freien Lauf. Doch nachdem man mit dem Richter eine Apotheke aufsuchte, um Medikamente für Pierre zu holen, wird die Polizei in Form von Inspektor Zamboni auf die Situation aufmerksam…

„Du bist sogar zum Bumsen zu blöd!“

Der mit einer kräftigen deutschen Schnodder-Synchro versehene Streifen zeigt vier recht unterschiedliche Gefängnisausbrecherinnen, von denen lediglich die als Anführerin auftretende Monica politische Motive hatte. Diese wird zunächst als skrupelloses Monster dargestellt, das für seine ideologischen Ansichten über Leichen geht. Sie liefert sich fleißig Streitgespräche mit dem Richter, voll von klischeehaften Parolen und Beschimpfungen. Ob man Monicas Charakter auf diese Weise bewusst oberflächlich hielt, um sie als wahnhafte Terroristin mit markigen Sprüchen, jedoch ohne wirklichen politischen und menschlichen Tiefgang zu entlarven oder ob man schlicht hierbei schon an seine Grenzen stieß und es gar nicht besser gekonnt hätte, vermag ich nicht zu beurteilen. Ausstrahlung hat die Carati jedenfalls und in ihren besten Momenten erinnert die später ins Hardcore-Porno-Fach gewechselte Schauspielerin an die Französin Isabelle Adjani. Seinen Sleaze-Gehalt bezieht „Im Knast der perversen Mädchen“ aus den Vergewaltigungen durch die drei anderen Frauen, die jedoch eher Männerphantasien gleichen denn tatsächlichem sexuellen Missbrauch. Zudem zeigt man die Knastvögel bei der Körperpflege. Den Richter zwingt man zwischenzeitlich, sich in die Hose zu pinkeln, um ihn zu entwürdigen.

„Bist du taub oder hat dich der Kerl gerade durchs Ohr gebumst?“

Der Beziehung zwischen Monica und dem Richter sowie zum übrigen Ausbrecher-Trio räumt der Film einen gewissen Raum ein und er beginnt zu variieren: Plötzlich erscheint Monica eher sanftmütig und die anderen skrupellos. Der Richter liefert sich eine Prügelei mit Monica und misshandelt sie, nachdem sie einige Flashbacks erlebte. Er schlägt sie ohnmächtig und vergewaltigt sie! Von den anderen wird dies süffisant mit „Die Liebesgeschichte eines Kapitalistenschweins und einer Terroristenhure!“ kommentiert. Vermutlich wollte man durch diesen ungeheuerlichen Vorgang darstellen, wie ähnlich sich die Terroristin und der stets auf Rechtstaatlichkeit pochende Richter letztendlich sind bzw. letzteren als triebhaften Wolf im Schafspelz zeigen, der hinter seiner bürgerlichen Fassade seine niederen Instinkte verbirgt, während sein Opfer wenigstens noch höhere Ziele als Motiv zumindest angab. In der schludrigen Art der Inszenierung jedoch kann diese Szene problemlos auch als legitimierte Racheaktion des männlichen Parts interpretiert werden, was ein Indiz dafür ist, wie schablonenhaft und oberflächlich sowie tendenziell sexistisch „Im Knast der perversen Mädchen“ stets bleibt. Dass Brusadori bei der Umsetzung jegliches Feingefühl vermissen lässt, beweist auch, dass er die Geiseln als fröhlich feiernde Meute zeigt, sobald sie Alkohol zu trinken bekommen: ein Haus voller Mädels + Alkohol = Party, ist doch klar! Als Running Gag hat die etwas Beleibtere der ehemaligen Insassinnen ständig etwas zu essen in der Hand – und in etwa so ernst kann man auch die ja eigentlich sehr akute Bedrohung nehmen bzw. den Film als Ganzes.

Letztlich richtet Monica sich gegen ihre Ausbruchsgenossinnen und das bald folgende Finale lässt den Film ziemlich abrupt mit vielen Toten enden. „Im Knast der perversen Mädchen“ ist ein typisches Beispiel für einen Film, der sich sehr viel besser liest (vermutlich auch in dieser meiner Kritik), als er letztlich ist. Er wurde trotz seines exploitativen Stils recht dröge und spannungsarm umgesetzt und der eher selten wirklich erotische Sleaze-Gehalt reißt da genausowenig raus wie der (Pseudo-)Anspruch, der möglicherweise in Eastmans Drehbuch noch in ernstzunehmenderer Form vorhanden war, jedoch nicht adäquat von Brusadori verfilmt werden konnte. Zur Ehrenrettung sei jedoch angemerkt, dass die deutsche Fassung um satte 17 Minuten (!) in der Handlung gekürzt wurde und sie eventuell deshalb nicht nur ziemlich holterdipolter, sondern generell unrund und profan wirkt. Für Sleaze-Fans womöglich noch von Interesse: In den Nebenrollen findet man mal mehr, mal weniger bekleidet die mal mehr, mal weniger bekannten Ines Pellegrini, Dirce Funari, Ada Pometti, Marina Daunia, Artemia Terenziani und Angela Doria.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 15. Jan 2014, 21:19
von buxtebrawler
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Snoopy, Come Home
Obwohl Hund Snoopy ja eigentlich bei Charlie Brown recht glücklich ist, denkt er trotzdem noch gern an die Zeit bei seiner früheren Besitzerin Leila zurück... Eines Tages überstürzen sich dann die Ereignisse. Charlie Brown meckert mit dem verwöhnten Snoopy und ein Brief trifft für Snoopy ein - Leila liegt im Krankenhaus und hat nur einen Wunsch: einen Besuch von Snoopy. Gar nicht so leicht für einen Hund, denn überall ist er unerwünscht - im Bus, im Zug und natürlich erst recht im Krankenhaus! Doch Snoopy gibt nicht auf, schließlich möchte er, daß es Leila bald wieder gut geht. Als diese sich endlich dank Snoopys Anwesenheit erholt hat und das Krankenhaus verlassen darf, bittet sie Snoopy, nun für immer bei ihr zu bleiben. Der kleine Hund muß sich entscheiden...
„Du bist ein merkwürdiger Kerl!“ (Peppermint Patty zu Charlie Brown)

Nachdem die berühmten „Peanuts“-Comic-Strips aus der Feder Charles M. Schulz‘ im Jahre 1965 in jeweils halbstündigen Geschichten in Form von Cartoons ins Fernsehen gingen, hatten sie vier Jahre später in „Charlie Brown und seine Freunde“ ihre Kino-Premiere. 1972 folgte der zweite Kinofilm „Snoopy, Come Home“, der Hund Snoopy in den Mittelpunkt stellte und erstmals seinen kleinen Freund, den Vogel Woodstock, als Charakter einführte. Bei beiden Kinofilmen führte der US-Amerikaner Bill Melendez Regie.

Snoopys Vorbesitzerin Layla liegt im Krankenhaus und sendet einen Brief an ihren ehemaligen Beagle, wie gern sie ihn wiedersehen würde. Allen Widrigkeiten zum Trotz nehmen Snoopy und Woodstock die beschwerliche Reise zum Krankenhaus auf sich und treffen schließlich wohlbehalten ein, um Layla Gesellschaft zu leisten. Als diese schlussendlich genesen das Hospital verlassen darf, bittet sie Snoopy, dauerhaft bei ihr zu bleiben – wie wird sich Snoopy entscheiden?

In gewohnt tragikomischer Form konfrontiert Schulz seine kleinen Freunde mit wichtigen Fragen des Lebens, mit seinen Widersprüchen und Herausforderungen. Die Existenz Erwachsener wird zwar nicht geleugnet, zu sehen sind jedoch keine und sie spielen auch keine Rolle. Der simple, minimalistische und doch so charakteristische Strich der Zeichnungen ist eines der Erkennungsmerkmale der „Peanuts“. Inhaltlich taugen sie in der Regel sowohl für Kinder als auch für Erwachsene.

„Snoopy, Come Home“ beginnt gewöhnungsbedürftig mit vergnügten Strandszenen und Schlagermusik. Die eigentliche Handlung braucht etwas, um in die Gänge zu kommen – nach scheinbar unzusammenhängenden episodenhaften Szenen, durch die sich – wenn auch nicht durch alle – lediglich das „Hundeverbot“, das ständig gegen den armen Snoopy ausgesprochen wird, zieht. Schließlich jedoch verabschiedet sich Snoopy von seinem Herrchen Charlie Brown und zieht los gen Krankenhaus, immer mal wieder aufgelockert durch Gesangseinlagen. Die deutsche Bearbeitung bietet dabei löblicherweise auch deutsch gesungene Lieder, doch auch rein instrumentale Stücke strecken den Film auf seine Länge. Stellenweise geht es Cartoon-typisch ganz schön überzeichnet-brutal zur Sache, selbstverständlich ohne jemals Verstörungs- oder Nachahmungspotential für jüngere Zuschauer zu besitzen. Ein sonorer Bass intoniert als Running Gag immer wieder das „Hundeverbot“, irgendwann gar gefolgt von einem „und Vögel auch“, was Fragen nach der Gesellschaftsfähigkeit von Haustieren aufwirfst – insbesondere natürlich angesichts der vermenschlichten Form Snoopys und Woodstocks. Einige gelungene Gags erfreuen auch nach Jahrzehnten noch das ältere Publikum ebenso wie das junge, während für die Melancholie, Wehmut und Traurigkeit, die die Geschichte offenbart, ebenfalls beide empfänglich sein dürften, wenn auch vermutlich verstärkt der Nachwuchs. Bevor es zum Happy End kommt, wird viel geweint im Zuge der Thematisierung des Abschieds und des Verlusts eines geliebten Lebewesens. Ferner wird Snoopys Hintergrundgeschichte erläutert, was für an den Wurzeln der Figuren Interessierte von besonderem Interesse sein dürfte. Zu einem kitschigen, für alle zutiefst befriedigenden Ende kommt die Geschichte nicht; Schulz gaukelt seinem Publikum keine superheile Welt vor, verzichtet auf Gut-Böse-Schemata und lässt manch Frage offen im Raum stehen.

Wie so oft erscheinen mir die „Peanuts“ auch in diesem Film wie in einem Spagat zwischen kindgerechter Auseinandersetzung mit schwerwiegenden Herausforderungen des Lebens, ohne den Zuschauern etwas vormachen zu wollen, auf der einen Seite und einer ausgedehnten und auf Familientauglichkeit getrimmten, bunten Revue, die ein abendfüllendes Unterhaltungsprogramm bieten soll, auf der anderen. Neben der „Peanuts“-typischen Melancholie, die trotz aller Komik in den Bildern liegt und letztlich gut geeignet ist, einen gewissen Schwermut und Weltschmerz nicht zu leugnen, sondern einen spielerischen, humorvollen Umgang mit ihm zu finden, ist es der damit einhergehende Verzicht auf über gewisse Gesangs- und Tanzeinlagen hinausgehende Kitsch, der mir zusagt und dazu beitrug, aus den „Peanuts“ wahre Klassiker unabhängig des Alters ihrer Rezipienten zu machen. Und in Zeiten hochmoderner 3D-Animationsfilme wirken ihre einfachen Strichzeichnungen zwar antiquiert, entwickeln aber gerade daraus ihren Charme.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 16. Jan 2014, 18:11
von buxtebrawler
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Wolfsblut
1898 zieht es Glückssucher aus der ganzen Welt nach Alaska. Während die Abenteurer fieberhaft nach Gold graben, kümmert sich der kleine Mitsah um das verwaiste Wolfsjunge "White Fang". Ganoven wollen das Tier rauben, doch Mitsahs Freund Jason unternimmt alles, um den Wolf vor einem Ende in der Kampfhundarena zu bewahren...
„Ich säe Zwietracht – ich bin nämlich Regierungsbeamter!“

Es lohnt sich doch immer wieder zu betonen, dass der italienische Regisseur Lucio Fulci keinesfalls auf seine Splatterfilme, die er ab Ende der 1970er drehte, reduziert werden darf und immer einmal wieder einen Blick auch auf seine anderen Genre-Arbeiten zu werfen, so z.B. auf die 1973 in italienisch-französisch-spanischer Koproduktion erschienene Jack-London-Verfilmung „Wolfsblut“.

Der mit seinem Vater Charlie (Daniel Martin, „Für eine Handvoll Dollar“) in der Natur lebende Inuit-Junge Mitsah (Missaele) freundet sich mit einem Mischling aus Wolf und Hund an und zähmt ihn. Als Mitsah eines Tages ins Eis einbricht, wird er zwar von „Wolfsblut“, wie er die Kreatur getauft hat, gerettet, benötigt jedoch ärztliche Versorgung. Aus diesem Grunde reist er mit seinem Vater in die Goldgräberstadt Dawson City, die unter dem Einfluss des Klondike-Goldrauschs steht. „Beauty“ Smith (John Steiner, „Der Verfahren ist eingestellt – vergessen Sie’s!“) kontrolliert dort mit seiner Gefolgschaft die Geschicke und beutet die Goldschürfer aus. Der Regierungsbeamte Kurt Jansen (Raimund Harmstorf, „Der Seewolf“), sein Freund, der Autor Jason Scott (Franco Nero, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) und die katholische Schwester Evangelina (Virna Lisi, „Blaubart“) machen dort ebenfalls Station. Eine Krankenstation soll eingerichtet werden und just in diese wird der kleine Mitsah eingeliefert. Mr. Smith jedoch interessiert sich nur wenig für das Schicksal des Jungen und verwickelt Wolfsblut in einen blutigen Hundekampf – den er gewinnt. Als sich Mitsahs Vater jedoch das Tier nicht von Smith abkaufen lassen will, akzeptiert Smith diese Entscheidung einfach nicht…

Der beste Freund des Menschen ist mitnichten der Mensch, denn dieser ist dem Menschen ein Wolf. Nein, die Rede ist selbstverständlich vom vom Wolf abstammenden Hund. Das wusste anscheinend seinerzeit schon Jack London, dessen literarische Vorlage ich inhaltlich allerdings nicht kenne, weshalb sich jeder Vergleich mit ihr erübrigt. Fulcis Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelte Verfilmung präsentiert sich als Abenteuerfilm im Western-Gewand mit anfänglich weiten weißen Landschaftsaufnahmen winterlicher Idylle sowie tierdokumentarischen Bildern eines Angriffs eines Wolfsrudels auf Wild, der überleitet in die Geschichte der Domestizierung Wolfsbluts. Sämtliche naturbelassene Idylle endet jedoch jäh, als es in die vom Goldrausch beseelte Stadt geht, in der Jansen und Scott schon bald zwei Nervensägen nach allen Regeln der Kunst verprügeln müssen. Ein zunächst parallel verlaufender zweiter Handlungsstrang zeigt die schlimmsten Auswüchse und macht „Wolfsblut“ auch zu einem Lehrstück in Sachen Frühkapitalismus: Mr. Smith beutet die naiven Goldschürfer mit Wechsel- und Zinswesen aus. Doch dies ist nicht das einzige Übel der amerikanischen Geschichte, das Bestandteil des Films wird, auch den Rassismus der Siedler gegen die Ureinwohner zeigt Fulci in ungeschönter Form. Die Inuit werden als Menschen zweiter Klasse behandelt und ihrer Rechte beraubt.

Der von Smith initiierte Hundekampf ist grausam, passt aber zu seinem Charakter: Er ist der Typ Mensch, der glaubt, alles kaufen zu können – und kann er es einmal nicht, setzt er seinen Willen mit Gewalt durch. U.a. zu diesem Zwecke unterhält er eine Bande aus Betrügern, Tierquälern, Frauen- und Kinderschändern und Mördern. Nach einem von ihnen begangenen Mord erklingen einige zum Kontext passende Bibelzitate aus dem Munde des falschen Pfaffen Oatleys (Fernando Rey, „Blutiges Blei“). Wesentlich deutlicher wird da die fromme Gebetschwester, wenn sie schließlich im Finale ein flammendes Plädoyer gegen Lynchjustiz hält – während Smith weitestgehend unbeeindruckt weitermordet.

Ja, der von einem klassischen orchestralen Soundtrack begleitete Film beinhaltet schreiende Ungerechtigkeiten zuhauf, die nach etlichen Verlusten schlussendlich (Achtung, Spoiler!) gesühnt werden. Leichen pflastern den Weg zum Ziel und somit ist „Wolfsblut“ keinesfalls mit niedlichem, anheimelndem Kinderkino zu verwechseln. Hier geht hart zur Sache und am Goldrausch mit seinen von der Habgier getriebenen Menschen wird kaum ein gutes Haar gelassen. John Steiner als Mr. Smith spielt mit diabolischem Lächeln und überheblicher Mimik seine Rolle überaus hassenswert und schmierig, auch Harmstorf und Nero überzeugen in ihren Rollen (taten sie dies jemals nicht?). Nachwuchs-Mime Missaele macht seine Sache auch prima und eine Virna Lisi wünscht man sich nicht nur fürs Geistliche. Die Tierdressur klappte anscheinend prima und die verwendeten Hunde „spielen“ gut genug mit, um den Subplot von Tiertreue etc. nicht zu konterkarieren. Mit Fulcis sorgfältiger Inszenierung, seiner emotionalen Wirkung, seinem Anspruch, und spannenden Unterhaltungswert empfiehlt sich „Wolfsblut“ als Abenteuerklassiker für die ganze Familie ab den größeren Kindern aufwärts, ohne dafür Kompromisse eingehen zu müssen. „Wolfsblut“ hat sich als stubenrein und zwar etwas bissig, jedoch nicht tollwütig erwiesen, gehört definitiv nicht auf die Liste der Problemhunde und hat sich damit 7,5 von 10 Leckerlis ganz ohne Betteln redlich verdient.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 18. Jan 2014, 00:37
von buxtebrawler
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Die Teufelsschlucht der wilden Wölfe
Der Schriftsteller Jason Scott kehrt zurück nach Alaska, um Stoff für ein neues Buch zu sammeln. Kaum angekommen, trifft er auf seinen treuen Freund Wolfsblut, den er seinerzeit bei den Eskimos zurücklassen musste. Aber auch ein anderer Mann ist zwischenzeitlich nach Klondyke zurückgekehrt - ein eiskalter Verbrecher, der unter dem Namen Beauty Smith viel Unheil angerichtet hatte und Jason und der Justiz einst entwischt war. Mit Unterstützung des korrupten Polizeichefs Leclerc beherrscht Smith die Stadt und zieht den Goldsuchern auf übelste Weise das Geld aus der Tasche. Jason hat sich geschworen, diesem üblen "Teufel" endgültig das Handwerk zu legen...und Wolfsblut hilft ihm auf seine Weise...
1974, also ein Jahr nach der Jack-London-Verfilmung „Wolfsblut“, schob man in italienischer Produktion die Fortsetzung „Die Teufelsschlucht der wilden Wölfe“ nach. Auf dem Regiestuhl nahm erneut Lucio Fulci („The Beyond“) platz.

Nach den in „Wolfsblut“ beschriebenen Ereignissen, die Jason Scott (Franco Nero, „Ein schwarzer Tag für den Widder“) zu einem Buch verarbeitete, ist er ein gefeierter Autor. Dennoch kehrt er nach drei Jahren mit seinem Kumpel Kurt Larsen (Raimund Harmstorf, „Blutiger Freitag“) und Schwester Evangelina (Virna Lisi, „Blaubart“) zurück in die Wildnis im Nordwesten Kanadas. Zu seinem Entsetzen trifft er dort nicht nur auf die Hund/Wolf-Kreuzung Wolfsblut, mittlerweile herrchenlos, sondern auch auf „Beauty“ Smith (John Steiner, „Tödliche Schlagzeilen“), der dort unter geändertem Namen und angeblich an den Rollstuhl gefesselt agiert – mit Unterstützung des korrupten Sheriffs Charles LeClerq (Renato De Carmine, „Allein gegen die Mafia“). Erneut beutet er die Goldschürfer aus, doch Scott und seine Freunde wollen ihm das Handwerk legen.

Erneut setzen Fulci und sein Team auf winterliche Landschaftspanoramen, siedelten diesmal gar den ganzen Film im winterlichen Klima an – inkl. die Schneeidylle kontrastierender Bilder erfrierender Menschen. Auch der klassische Orchester-Soundtrack ertönt in gewohnter Weise und die meisten Schlüsselfiguren kennt man bereits aus dem Vorgänger. Zeitlich angesiedelt gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigt auch „Die Teufelsschlucht der wilden Wölfe“ die Schattenseiten des Goldrauschs, der Begehrlichkeiten bei skrupellosen Mördern wie Mr. Smith weckt und die einfachen Goldschürfer angesichts ihres Traums vom Reichtum entsolidarisiert und sich naiv in Gefahren begeben lässt. Der Schock zu Beginn sitzt tief, wenn Smith und sein Handlanger nicht nur noch leben, sondern auch direkt weitermorden und sogar dem kleinen Mitsah, Wolfsblut Herrchen, sein Leben nehmen. Die Kinderrolle der Handlung wird neu besetzt mit dem von Renato Cestiè („Bay of Blood“) gespielten Bill Tarwater, dem sich Wolfsblut anschließt. Mr. Smith sitzt sprichwörtlich wieder im Sattel, nennt sich nun Mr. Forth und hat sich sozusagen die Justiz kurzerhand gekauft – ein weiteres Lehrstück in Sachen Kapitalismus, wie sie sich durch die beiden Filme ziehen. Der Rolle des Mr. Smith gelingt es, über die Gesamtdistanz immer noch einen draufzusetzen und empfiehlt sich als die Niedertracht in Person. U.a. intrigiert er gegen Wolfsblut und ist mitverantwortlich für schlimme Verletzungen des Mischlings, die manch Tierliebhaber nahegehen dürften.

Stilistisch variiert man diese Fortsetzung jedoch zugunsten stärkerer Familientauglichkeit. Das beginnt mit einer komödiantischen Kneipenschlägerei, die losbricht, nachdem Wolfsblut einen Falschspieler bloßgestellt hat, entwickelt sich mit der Zeit dann doch ein wenig in Richtung „Lassie“ & Co. und mündet darin, aus Wolfsblut eine Art Superhund zu machen. Etwas kitschig wird’s auch bisweilen, was interessanterweise wiederum im Kontrast zu manch Härte wie z.B. dem ohne Bandagen ausgetragenen Schlittenrennen im Finale, einem der Herzstücke des Films, steht – wenngleich die Todesart des letzten verbleibenden Konkurrenten etwas sehr absurd erscheint. Leider wird dabei auch der Abgang Mr. Smith' irgendwie zur Nebensache. Nichtsdestotrotz ist auch „Die Teufelsschlucht der wilden Wölfe“ ein über weite Strecke gelungener Abenteuerfilm, der sowohl den Ernst als auch die Western-Anteile des Vorgängers ein Stück weit zurückgefahren hat, aber noch immer mit einer starken Besetzung und mindestens soliden Inszenierung glänzt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 19. Jan 2014, 17:52
von buxtebrawler
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Pans Labyrinth
Spanien, 1944: Nachdem der Bürgerkrieg schon seit fünf Jahren vorbei ist, kämpfen in den Bergen Nordspaniens immer noch republikanische Partisanen gegen das faschistische Franco-Regime. Die elfjährige Ofelia (Ivana Baquero) zieht mit ihrer schwangeren Mutter Carmen (Ariadna Gil) in die umkämpfte Region, da ihr Stiefvater Hauptmann Vidal (Sergi Lopez) seine neue Frau bei sich haben will, wenn sie das Kind bekommt. Der sadistische Hauptmann ist von der Regierung mit der Zerschlagung des Widerstandes beauftragt worden und geht mit grausamen Methoden gegen die Rebellen und vermeintliche Sympathisanten vor. Ofelia flüchtet sich währenddessen in die Fantasiewelt ihrer Bücher, die von Elfen und andere Kreaturen bevölkert ist. Eines Tages erscheint ihr in einem Labyrinth in der Nähe des Landsitzes ein Pan (Doug Jones), der ihr offenbart, dass sie in Wirklichkeit eine Königstochter aus einem unterirdischen Königreich sei. Er erlegt Ofelia drei Mutproben auf, die sie bestehen muss, um in das Reich ihres Vaters zurückkehren zu können…
„Ihr seid kein Menschenkind!“

Nach „The Devil's Backbone“ aus dem Jahre 2001 ist der 2006 veröffentlichte „Pans Labyrinth“ der zweite von drei vom gebürtigen Mexikaner Guillermo del Toro geplanten Filmen über den spanischen Bürgerkrieg. „Pans Labyrinth“ ist eine ungewöhnliche Melange aus Kriegsdrama und Fantasy-Märchen und sollte keinesfalls mit einem Kinderfilm verwechselt werden.

Im Jahre 1944 finden in den nordspanischen Bergen noch immer Kämpfe zwischen den widerständischen Partisanen und der Armee des faschistischen Diktators Franco statt. Das elfjährige Mädchen Ofelia (Ivana Baquero, „Fragile - A Ghost Story“) verschlägt es mit ihrer schwangeren Mutter Carmen (Ariadna Gil, „Torrente 2 - Mission Marbella“) in jene Region, wo ihr Stiefvater Hauptmann Vidal (Sergi López, „Eine pornografische Beziehung“) den Widerstand bekämpft. Vor der vom Wahnsinn des Krieges, Leid und Tod beherrschten, wenig kindgerechten Szenerie flieht Ofelia in eine Fantasiewelt voll fantastischer Lebewesen; sie lässt sich von einer Fee zu Pan und seinem Labyrinth geleiten, von dem sie erfährt, dass sie die Königstochter einen unterirdischen Königreichs sei. Drei Mutproben habe sie zu bestehen, um wieder ihren Thron besteigen zu können. Derweil ersehnt Faschist Vidal seinen „Stammhalter“ herbei, während es seiner Frau zusehends schlechter geht...

Auf nicht unbedingt leicht verdauliche Weise vermengt del Toro bedrückend realistische Bilder des Krieges, in dem sich der sadistische Vidal auf brutale Weise austobt, mit faszinierend gestalteten Märchenwelten, die mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurden und reich an Metaphern auf die für Ofelia unerträglich gewordene Realität sind. Del Toro beschreibt in eindrucksvollen Bildern die Kraft der Imagination und erinnert damit an das Drama „Der Geist des Bienenstocks“ des spanischen Regisseur Víctor Erice aus dem Jahre 1973 – und doch wieder nicht, denn Erice sah sich gezwungen, extrem uneindeutig und symbolreich noch unter Franco zu arbeiten, während del Toro in US-amerikanisch-mexikanisch-spanischer Koproduktion nicht nur über ein beachtliches Budget verfügen konnte, sondern auch keine Repression fürchten musste. Seine Inspiration ist jedoch für Kenner beider Filme unübersehbar. Del Toro spingt zwischen faschistischer Realität und Phantasiewelt hin und her, greift für letztere auch auf CGI zurück, die jedoch tatsächlich gut gelungen sind – ich denke an die wandlungsfähige Heuschrecke oder an die dicke Kröte inkl. ihrer ekligen Effekte. Vornehmlich jedoch setzte man auf gute alte Handarbeit und erschuf beeindruckende Masken und Kostüme beispielsweise des „Pale Man“, der schaurig-schön abstoßend aussieht und seine kleinen Feen am liebsten blutig verzehrt. Augenscheinlich wurde diese Kreatur vom Schallplattencover des Albums „Release from Agony“ der deutschen Thrash-Metal-Band Destruction inspiriert. Mehr oder weniger subtil schlägt die Fantasiewelt Brücken zur filmischen Realität, verknüpft sich mit realen Ereignissen, verarbeitet diese oder treibt sie voran.

Für Freunde grausiger Kreaturen hat „Pans Labyrinth“ also einiges zu bieten, für Liebhaber märchenhafter Erwachsenen-Fantasy abseits von Barbaren-Trash ebenfalls. Jedoch sollte man sich nicht täuschen lassen, denn der Fantasy-Anteil ist nicht Hauptbestandteil des Films – das ist nach wie vor das Grauen des Krieges und des Faschismus, veranschaulicht anhand einer auf eine überschaubare Anzahl von Pro- und Antagonisten heruntergebrochenen Situation. Diese entwickelt sich brutal, blutig, mörderisch und verstörend in beklemmender, depressiver Stimmung. Betont langsam, entschleunigt erzählt „Pans Labyrinth“ seine Geschichte, lässt sich seine Charaktere oft scheinbar in Zeitlupe bewegen, während sich die Kamera langsam um sie herum bewegt und sanft das Klavier dazu klimpert. Der von allen beteiligten Darstellern hervorragend geschauspielerte Film verkneift sich trotz Ofelias fantastischer Eskapaden ein unzweideutig als solches zu betrachtendes Happy End, liefert stattdessen Stoff für Überlegungen und Interpretationen. Die vermeintliche kindliche Naivität erweist sich in erster Linie als Selbstschutzmechanismus, himmelschreiende Ungerechtigkeit bleib über weite Strecken eben genau diese, der Fantasy-Anteil verkommt nicht zum selbstzweckhaften, „familientauglichen“ Kitsch, sondern kann in meinem Fall auch nicht verhindern, dass die Ereignisse des Films emotional berühren und verdammt schlechte Laune verbreiten – weshalb aus meiner Sicht „Pans Labyrinth“ nur sehr bedingt als Unterhaltungsfilm taugt. Als Auseinandersetzung mit Krieg und Faschismus und Parabel auf die damit stets einhergehende Kindesmisshandlung, die Zerstörung der Kindheit der jungen Generation sowie als Plädoyer für Realitätsflucht angesichts von Extremsituationen ist del Toro ein beeindruckender Film gelungen, der durchaus nachwirkt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 20. Jan 2014, 16:06
von buxtebrawler
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I wie Ikarus
In einem fiktiven Staat wird der gerade wiedergewählte Präsident durch ein Attentat ermordet. Der Täter bringt sich anscheinend selbst um, eine Untersuchung der Vorfälle anberaumt. Doch der der Kommission angehörende Henry Volney (Yves Montand) findet Widersprüche in den Zeugenaussagen, weigert sich den Ermittlungsbericht zu unterschreiben und forscht weiter nach. Dabei entdeckt er, daß Zeugen eines unerwarteten Todes sterben und die Theorie von einem Einzeltäter bald kaum noch haltbar ist. Mit diesem Wissen ist jedoch auch er bald in Lebensgefahr...
„...dass wir vielleicht eine Nation sind, in der gewisse politische Probleme durch Mord gelöst werden!“

Der französische Filmemacher Henri Verneuil („Angst über der Stadt“) zeigte sich Ende der 1970er fasziniert von den Ermittlungen zum tödlichen Attentat auf den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, die, nachdem der Fall zunächst klar schien, zahlreiche Ungereimtheiten offenbarten. Er verband den Fall mit den Ergebnissen des Milgram-Experiments, konnte den Polit-Thriller-erfahrenen Yves Montand („Z – Anatomie eines politischen Mordes“) als Hauptdarsteller gewinnen und veröffentlichte den in einem fiktiven Staat spielenden Film „I wie Ikarus“ schließlich im Jahre 1979.

Der just wiedergewählte Präsident des namentlich nicht näher genannten Staats kommt bei einem Attentat durch tödliche Schüsse ums Leben, der vermeintliche Täter begeht angeblich Selbstmord. Für die sich mit dem Fall auseinandersetzende Untersuchungskommission ist der Fall klar, doch Kommissionsmitglied und Generalstaatsanwalt Henry Volney (Yves Montand) hegt Zweifel und verweigert sich der Unterzeichnung des Abschlussberichts. Er rollt den Fall neu auf; zahlreiche Widersprüche führen weg vom Einzeltäter und hin zu einem Komplott, das bereits fast alle Zeugen ihr Leben gekostet hat...

„Diese Geschichte ist vollkommen wahr, weil ich sie von Anfang bis Ende erfunden habe.“ – Mit diesem Boris-Vian-Zitat beginnt Verneuil seinen Film in einem mit einer Fantasie-Flagge versehenen, jedoch recht französisch anmutenden Staat, zeigt einen Heckenschützen, der jedoch gar nicht der wahre Todesschütze war und kurz darauf selbst ermordet wird. Es folgt ein Zeitsprung: Ein Jahr später unterzeichnet Volney öffentlichkeitswirksam den Untersuchungsabschlussbericht nicht, womit der Zuschauer die Hauptrolle erstmals kennenlernt und die eigentliche Handlung beginnt. Volney wird als couragierter Mann gezeigt, der seine Aufgabe ernst nimmt und unbequeme Fragen stellt, mit der gebotenen Seriosität gespielt von einem seine Rolle wie üblich vollends ausfüllenden Yves Montand, der einmal mehr (man erinnere sich an sein Engagement für Costa-Gavras) auch ein privates Interesse an der Umsetzung dieses Films hegte. Wie weit die Verschwörer gehen, zeigt „I wie Ikarus“ eindrucksvoll, wenn nacheinander alle unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Zeugen vorgestellt werden. Da wurde einer, der selbst ermitteln wollte, angeblich von palästinensischen Terroristen ermordet, eine Dame (Brigitte Lahaie!) hat sich angeblich erhängt, ein weiterer Zeuge starb an Herzversagen, gleich drei bei Verkehrsunfällen, andere durch Kugeln, z.B. aus Polizeiwaffen. Bis auf einen Unbekannten sind alle tot. Verneuil beschränkte sich auf nur neun Zeugen – aus Zeitgründen, denn nach dem JFK-Mord waren es derer satte 18! Als Todesschütze wird schließlich ein Auftragskiller (mit Lego-Frisur) präsentiert, engagiert von einem Mafioso namens de Palma (Jean Négroni), dessen Gefängnisentlassung der Geheimdienst erwirkt hat.

Und damit ist „ I wie Ikarus“ bei einer seiner zwei schwergewichtigen Aussagen angelangt: Der Kritik an der Rolle der Geheimdienste im politischen Weltgeschehen. Jeder Staat hat einen oder mehrere Geheimdienste, die eigentlich der jeweiligen Regierung unterstellt sein sollten. Jedoch sind diese nicht selten mit derart vielen Privilegien und Befugnissen ausgestattet, dass sie sich sogar der staatlichen Kontrolle entziehen, ihre eigenen Interessen oder die Dritter verfolgen und die Politik damit entscheidend mitbestimmen. Man muss es so drastisch formulieren: Neben der katholischen Kirche gehören gewisse Geheimdienste zu den einflussreichsten Verbrecherorganisationen, Massen- und Völkermord gehört zu ihrem blutigen Geschäft. Sie haben u.a. die Macht – wie der Film eindrucksvoll zeigt –, gewählte Politiker durch die Medien unpopulär zu machen, die Stimmung innerhalb der Bevölkerung maßgeblich zu beeinflussen. Volney vergleicht Geheimdienste folgerichtig mit der Mafia, bezweifelt indes nicht ihre Notwendigkeit, kritisiert aber ihre Verselbständig zu über dem Gesetz stehenden „Staaten im Staate“. Sie sind verantwortlich für Kriege (vgl. z.B. gezielte Fehlinformationen des US-Außenministers, um den Irak-Krieg zu legitimieren) und damit einhergehendes Leid und müssen sich selten jemandem gegenüber dafür verantworten. In „I wie Ikarus“ waren sie es, die den gewählten Präsidenten zum Abschuss freigaben. Im Folgenden setzt sich „I wie Ikarus“ damit auseinander, wie es so weit kommen kann und beschäftigt sich in einer langen Exkursion mit dem berühmten Milgram-Experiment, anhand dessen er erörtert, wie Gehorsam auch für unmenschliche Entscheidungen in Diktaturen, im Faschismus, aber auch in (nominellen) Demokratien erreicht wird und funktioniert, wie Menschen für fremde Zwecke manipuliert und zu gewissenlosen Befehlsempfängern und -ausführern werden. Damit geht „I wie Ikarus“ einen entscheidenden Schritt weiter als andere Polit- und Verschwörungs-Thriller und versucht, Antworten in jedem einzelnen von uns zu finden, lädt ein zur kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst, statt nur mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Der sogar Nachhilfe im Tresorknacken gebenden Handlung hilft einmal gar Kommissar Zufall auf die Sprünge, und manch sarkastischer Kommentar Volneys heitert kurzzeitig auf, ohne den nüchternen, sachlichen Stil zu torpedieren. Wozu auch, denn auch ohne Effekthascherei und prätentiöses Brimborium liefert „I wie Ikarus“ neben einem Lehrstück in schmutziger, blutiger Politik überaus spannende Unterhaltung. Das pessimistische Ende ist nicht nur konsequent, sondern auch brillant umgesetzt worden und hinterlässt einen aufgewühlten, wütenden Zuschauer, der sensibilisiert wurde für diese Thematik und im Idealfall seine politische Naivität ablegt, eine kritische Haltung einnimmt. Maestro Ennio Morricones Soundtrack veredelt diesen Spitzenfilm, Film und Musik werden sich gegenseitig gerecht in einem Film voller Ungerechtigkeit. Leider hat sich seit dem Mord an John F. Kennedy nicht viel geändert, noch immer treiben CIA, NSA und wie sie alle heißen ihr Unwesen. Nicht nur deshalb gehört „I wie Ikarus“ eigentlich als Pflichtstoff nicht nur in die private Filmsammlung, sondern vor allem auch in den Schulunterricht.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 21. Jan 2014, 21:38
von buxtebrawler
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The Social Network
Im Jahr 2003 wird der begabte, aber sozial eher inkompetente Harvard-Student Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg) von seiner Freundin Erica verlassen. Als er bei einer spontanen Racheaktion den Server der Universität crasht, werden die Brüder Cameron und Tyler Winklevoss (Armie Hammer) auf ihn aufmerksam, als sie einen begabten Programmierer für ihr uni-internes Datingportal benötigen. Mark nimmt an, aber schon bald reift in ihm die Idee, den Einfall der Brüder für sich zu verwenden und mit seinem Freund Saverin (Andrew Garfield) sein eigenes, ähnlich gelagertes, aber weiter entwickeltes Projekt daraus zu machen. Tatsächlich schafft er es, das Netzwerk noch vor dem der Brüder unter dem Namen "The Facebook" an den Start zu bringen - und damit einen sensationellen Erfolg zu entwickeln. Als "Facebook" immer weiter wächst, wird Napster-Erfinder und Webhotshot Sean Parker (Justin Timberlake) auf ihn aufmerksam und hilft ihm, das Netzwerk zu einem weltweiten Phänomen zu machen. Aber Mark wird auch immer rücksichtsloser und unzugänglicher und macht sich reihenweise Feinde, von denen er schon genug hat, denn die Winklevoss-Brüder verklagen ihn nach Strich und Faden auf Ideenklau und verlangen ihren Anteil an der Firma...
„Sie klagen nur, weil sich zum ersten Mal in ihrem Leben die Dinge nicht so ereignet haben, wie sie es wollten!“

Nach „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ widmete sich US-Regisseur David Fincher („Fight Club“) im Jahre 2010 dem nicht minder seltsamen Fall des Mark Zuckerberg, Facebook-Gründer und jüngster Milliardär der Welt, in Form eines biographischen Justiz-Dramas – über dessen Realitätsgehalt es geteilte Meinungen gibt.

„The Social Network“ zeichnet anhand von gerichtlichen Verhandlungen die Entstehung des sozialen Online-Netzwerks Facebook, die Gründung des Zuckerberg’schen Imperiums und die Klagen ehemaliger Geschäftspartner, die zum Ausgangspunkt für die in Rückblenden erzählte Handlung werden, nach: 2003 wird Harvard-Student Zuckerberg (Jesse Eisenberg, „Zombieland“) von seiner Freundin verlassen, wobei sie ihm verbal kräftig eins überbrät. Daraufhin schreibt er Verächtliches über sie in seinen Blog und entwickelt über Nacht ein Programm, um Studentinnen seiner Universität durch die Besucher des Internetauftritts miteinander vergleichen zu lassen. Dafür hackt er diverse Server und kommt dadurch an entsprechendes Bildmaterial. Zwar muss er sich daraufhin seinen Rüffel abholen, doch werden auch die Rudersnobs und Brüder Cameron und Tyler Winklevoss (Armie Hammer, „Blackout“) auf ihn aufmerksam, die ihn als Programmierer für ein Verabredungs-Portal gewinnen möchten. Mark willigt ein, entwickelt jedoch stattdessen sein eigenes Projekt mit Unterstützung seines Freunds Saverin (Andrew Garfield, „The Amazing Spider-Man“): The Facebook verbreitet sich zum Unmut der Winklevoss‘ von Uni zu Uni und schließlich wird gar Napster-Gründer Sean Parker (Justin Timberlake, „Hilfe, ich bin ein Supermodel“) auf das Projekt aufmerksam, hilft, es auf ein neues Level zu hieven und es weltweit für jedermann zugänglich zu machen. Die Winklevoss-Brüder verklagen Zuckerberg derweil wegen Ideenklaus und wollen ihren Teil vom Kuchen abbekommen...

„Von jetzt an leben wir im Netz!“

Fincher & Co. zeigen Mark Zuckerberg als besessenen Programmierer, der an seine Grenzen geht, als verbissenen Typen, der nie lacht, aber auch im Winter in kurzen Hosen herumrennt. Und obschon „The Social Network“ Zuckerbergs soziale Unzulänglichkeiten, mangelnde Empathie etc. recht ungeschönt dokumentiert, zeichnet der Film ihn eben – je nach Erwartungshaltung mehr oder auch weniger überraschend – nicht als totales Arschloch, sondern liefert ein differenziertes Bild seiner Person. So war er – an gewisse Nerd-Ehren gemahnend – zunächst unkommerziell ausgerichtet und gegen Werbung auf seiner Plattform eingestellt, kümmerte sich einen feuchten Kehricht um uncoole Geschäftsangelegenheiten und war zwar kein moralisch integerer Idealist, aber auch kein skrupelloser Kapitalist. Diese Rolle wird viel eher „Mr. Napster“ Sean Parker zuteil, der als geltungs- und feiersüchtiger Großkotz eingeführt wird. Zuckerberg hingegen nimmt zunächst gar eine Art Underdog-Haltung angesichts der durchtrainierten, reichen Rudersnobs ein (s. auch das Eingangszitat).

„The Social Network“ zeichnet das digitale Zeitalter eines bestimmen Zeitraums vornehmlich aus der Perspektive des Facebook-Projekts nach, das man in schwindelerregende Höhen wachsen sieht. Das ist auf gewisse Weise faszinierend mitanzusehen, weckt bei diese Zeit als Internet-Surfer miterlebt habenden Zeitgenossen Erinnerungen an diese jüngste Vergangenheit und erlaubt den einen oder anderen neo-nostalgischen Blick zurück. Fincher zeigt aber auch, wie ein solches Projekt Freundschaften verändert, gefährdet, schließlich zerstört und wie es den Werdegang eines talentierten jungen Programmierers beeinflusst – Zuckerberg zieht schließlich nach Kalifornien, ausgerechnet gegenüber von Parker, und schasst letztlich seinen ursprünglichen Investor und Mitbegründer, der den eingeschlagenen Weg nicht mitgehen möchte, zumindest nicht in diesem Tempo. Dem wohnt natürlich eine gewisse Ironie inne, schließlich wirbt Facebook damit, Freundschaften zu festigen oder erst zu ermöglichen. Außerdem bietet der Film interessante Einblicke ins Milieu erfolgreicher, eigentlich viel zu junger Nerds, wobei ich jedoch nicht zu beurteilen vermag, inwieweit hier evtl. schlicht auf Klischees zurückgegriffen wurde. Erzählerisch jedenfalls macht Fincher vieles richtig, schafft es, seinen Film ebenso spannend wie unterhaltsam zu gestalten und probiert einen gewagten Spagat zwischen technikaffinem Nerd- und thematisch unbelecktem Mainstream-Zielpublikum. Diesem wird geschuldet sein, dass auf für Erstgenanntes interessante technische Hintergründe kaum eingegangen wird. Weniger verständlich jedoch ist, dass der Themenkomplex um Privatsphäre, Datenschutz etc. wenn überhaupt nur kurz und nebensächlich angerissen wird. Dass sich Fincher die Auseinandersetzung damit spart, erleichtert ihm indes die relativ neutrale, wertungsfreie Darstellung Facebooks und dessen Sinns und Zwecks; nichtsdestotrotz erlaubt er sich einen feinen, sehr sympathischen Seitenhieb auf die „Generation Facebook“, wenn er als Schlusseinstellung Zuckerberg in einer typischen Facebook-Nutzer-Haltung zeigt, die augenzwinkernd zumindest einen Teil der Absurdität des Ganzen aufgreift. Dass man sich um die visuelle Gestaltung bei einem Fincher-Film nicht viel sorgen machen muss, sollte mittlerweile ebenso Usus sein wie dass er keine unmotivierten schauspielerischen Leistungen durchgehen lässt (z.B. Timberlake spielt besser als er Musik macht und Hammer mimt gleich in einer Doppelrolle die Winklevoss‘) und ein Song der „White Stripes“ als Titelmelodie macht sich in seiner minimalistischen, handgemachten Instrumentierung auch wesentlich besser als vermeintlich passendere Computer-Sounds.

Nun habe ich den mir bei Finchers „Zodiac – Die Spur des Killers“ nicht ausreichenden Realismus angekreidet. In diesem Falle erscheint die Sachlage noch eine Spur undurchsichtiger. Drehbuchautor Aaron Sorkin legt Wert auf seine Aussage, dass es sich um keinen faktentreuen Dokumentarfilm handele, Zuckerberg selbst verweigerte sich jeglicher Kooperation. Wenn dessen Hauptkritikpunkt allerdings zu sein scheint, dass der Film nahelege, er habe Facebook gegründet, um Frauen kennenzulernen (was der Film meines Erachtens nicht aussagt) und ausgerechnet Cameron Winklevoss, der in „The Social Network“ nicht sonderlich gut wegkommt, den Film als faktisch korrekt bezeichnet, ist möglicherweise doch mehr dran, als die Filmemacher mit ihrem Understatement offen zugeben wollen. Ich kann es mir nicht verkneifen und sage „gefällt mir“, Herr Fincher – nur eines: Sie hätten das „The“ weglassen sollen. Einfach „Social Network“.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 22. Jan 2014, 18:06
von buxtebrawler
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Die Blutbestie von Rio

Mariel, der Meerjungmann

„Als erstes müsst ihr lernen, dass ihr euch ständig im Krieg befindet!“

„Die Blutbestie von Rio“ aus dem Jahre 1979 ist eine von anscheinend nur drei Regiearbeiten des Brasilianers Antônio Calmon. Es handelt sich um einen biographischen Action-Thriller, der das Leben Mariel Maryscotts nachzeichnet.

Als Bademeister an der Copacabana rettet Mariel Maryscott (Jece Valadão, „Bordell Copacabana“) regelmäßig Leuten das Leben – eines Tages auch das eines Selbstmörders, der gar nicht gerettet werden wollte und Mariel bittet, sich seiner Tochter, einer Prostituierten, anzunehmen. Ferner arbeitet Mariel als Rausschmeißer, wodurch die Polizei auf ihn aufmerksam wird und für sich gewinnen möchte, nachdem man Zeuge wurde, wie er eindrucksvoll drei Rowdys verprügelte. Als Polizist wird Mariel Leibwächter eines Politikers und schließlich Mitglied einer über dem Gesetz stehenden Todesschwadron, um das grassierende Bandenverbrechen zu bekämpfen. Doch Mariel wird Opfer eines Komplotts und landet schließlich selbst hinter Gittern.

„Verbrecher sind keine Menschen!“

Achtung: Ich spoilere quasi den gesamten Film, was mir für die Auseinandersetzung mit ihm notwendig erscheint. Der Film entstand zu Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur und beginnt mit militärischem Drill-Gebrülle aus dem Off zu einem Vorspann in Abspannlänge, was konterkariert wird von sanftem Frauengesang in einem Nachtclub. „Die Blutbestie von Rio“ reiht zunächst unzusammenhängend wirkende Szenen aneinander, indem er die ersten beruflichen Stationen Mariels zeigt sowie unseren machohaften Protagonisten beim Sex. Ein lächerliches Boxtraining soll anschließend von Mariels Fähigkeiten überzeugen. Begleitet von zynischen Sprüchen zum Thema Politik wird Mariel ausgebildeter Polizist und Leibwächter und befindet sich plötzlich (aufgrund der Sprunghaftigkeit der Handlung) am Tatort eines Mords, der Täter: Lucio Flavio. Dieser hält mit seiner Bande die Stadt in Atem und wird zum meistgesuchten Verbrecher. Hier muss er als Rechtfertigung für das Gründen der staatsterroristischen Todesschwadron herhalten, was der Film mit keiner Silbe kritisch betrachtet. Die Grausamkeit der Verbrecherbanden soll ein Überfall auf eine Apotheke beweisen, im Zuge dessen die Täter eine Angestellte grausam vergewaltigen (was der Film erneut zum Anlass nimmt, entblößte weibliche Geschlechtsorgane zur Schau zu stellen). Zu Disco-Musik erschießt die eintreffende Staatsmacht einige der Gangster, Mariel richtet den mittlerweile wehrlosen Vergewaltiger kurzerhand an Ort und Stelle hin. Seine Schüsse sehen dabei unfassbar ungelenk und dadurch einmal mehr schlicht lächerlich aus. Der mittlerweile ausgezeichnete und zum Helden stilisierte Mariel kümmert sich weiterhin um „seine“ Prostituierte, was in erster Linie bedeutet, dass er sie regelmäßig begattet. Eines Tages jedoch ist sie infolge ihres Drogenkonsums tot, woraufhin Mariel sich in einer bizarren Szene ihre nackte Leiche beschafft und auf den Beifahrersitz seines Cabrios setzt. Nicht minder bizarr sind Folter und sadistische, brutale Tötungen zu einem folkloristischen Chanson. Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen die Todesschwadron vorgegangen ist und Mariel verhaftet hat, wird im Gefängnis weitergemordet. Plötzlich ist auch Lucio Flavio tot und wer sein Mörder ist, ist lediglich zu erahnen, doch Mariels hämisches Grinsen verrät es uns.

Uff. Nachdem ich mich durch den Film gequält hatte, wusste ich nicht so recht, was ich von ihm halten solle. Auch ohne nähere Einblicke in die brasilianische Filmindustrie zu haben, entsteht für mich das Bild eines üblen Machwerks, das den realen Mariel Maryscott als staatlich geförderten und schließlich fallengelassenen Mörder glorifizieren soll. Dramaturgisch ist „Die Blutbestie von Rio“ hartes Brot, denn ich kann nicht guten Gewissens behaupten, dass Regisseur Calmon sein Handwerk verstanden hätte. Statt gekonnt Spannung zu erzeugen und dadurch Interesse zu wecken, fügt sich sein Film aus schluderig einandermontierten Einzelszenen zusammen. Dafür springt man fröhlich zwischen Folter, Tod etc. und Sexszenen hin und her, die Maryscott offensichtlich als besonders potentes und bei Frauen erfolgreiches Alphatier darstellen sollen. So etwas mag in sleazigen Exploitation-Streifen, die in erster Linie der Unterhaltung dienen, in Ordnung gehen und amüsieren. In einem vor einem realen Hintergrund gedrehten Film wie diesem wirken sie angesichts der Verbrechen der brasilianischen Todesschwadronen, die halfen, die Militärdiktatur zu festigen, nicht nur fragwürdig, sondern hochgradig zynisch. Erschwerend hinzu kommt das Anti-Schauspiel Valadãos, der in einem ausländischen Filmblog zwar anscheinend als einer der besten brasilianischen Schauspieler aller Zeiten angepriesen wird, hier jedoch rein gar nichts auf die Reihe bekommt. Insgesamt dürfte „Die Blutbestie von Rio“ damit auf unbedarfte Zuschauer wie ein unfreiwilliger, exotischer Trash-Film wirken, der für mich jedoch einen äußerst faden Beigeschmack beibehält. Einer Wertung in Zahlen entziehe ich mich diesmal.