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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 10. Feb 2014, 14:14
von buxtebrawler
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American Mary
Mary Mason ist eine junge Medizinstudentin mit Geldsorgen, sie kann ihr Studium kaum finanzieren und die Telefonrechnung nicht bezahlen. Darum beschließt sie einen Neben-Job als Stripperin anzunehmen. Beim nächtlichen Bewerbungsgespräch in einem Club kommt jedoch alles anders als geplant und für Mary eröffnet sich durch bizarre Untergrund Operationen ein neuer Weg ans schnelle Geld zu kommen. Sie startet eine Karriere der etwas anderen Art.
„Man entwickelt einen schwarzen Humor, wenn man täglich Menschen aufschneiden muss!“

Die nach einem Kurzfilm und dem es noch nicht nach Deutschland geschafft habenden „Dead Hooker in a Trunk“ dritte Regiearbeit der Zwillingsschwestern Jen und Sylvia Soska ist der kanadisch-US-amerikanische Horror-Thriller „American Mary“ aus dem Jahre 2012, für dessen Hauptrolle man die durch die „Ginger Snaps“-Reihe populär gewordene Katharine Isabelle verpflichten konnte.

Medizinstudentin Mary Mason (Katharine Isabelle) hat Geldsorgen und bewirbt sich daher in einem Nachtclub als Stripperin. Nachdem man dort von ihren chirurgischen Fähigkeiten erfahren hatte, bittet man sie jedoch, ein Folteropfer wieder zusammenzunähen – und bezahlt gut. Durch die erfolgreich verlaufene Operation wird sie zu einer beliebten Anlaufstelle für die Body-Modification-Szene, die sich ohne medizinische Notwendigkeit schwerwiegenden operativen Eingriffen hingibt, um aufzufallen und/oder sich selbst zu verwirklichen. Als Mary jedoch auf einer Party von ihrem Professor vergewaltigt wird, beginnt sie, ihr Geschick auch anderweitig einzusetzen…

„Gute Chirurgen machen keine Fehler!“

Eine mitten aus dem Leben gegriffene Geschichte… ist es sicher nicht, was die Soskas hier verfilmt und Eli Roth („Hostel“) gewidmet haben. Etwas sehr konstruiert erscheint die Handlung dieses bizarren Rape’n’Revenge-Reißers, der es sich offenbar zu Aufgabe gemacht, die Body-Modification-Szene dem Horror- und Thriller-Publikum vorzustellen. Tatsächlich kommen hier Menschen, die sich die Geschlechtsorgane entfernen lassen, um zu einer menschlichen Puppe zu werden oder Zwillinge, die sich durch eine Operation noch näher werden wollen (gespielt von den Regisseurinnen persönlich!), besser weg als manch „Normalo“, erlaubt „American Mary“ einen um Neutralität bemühten Einblick in jene Subkultur – obschon man sich des Grotesken durchaus bewusst ist und es entsprechend inszeniert. So hat der Film auch ein bisschen was von einer Freakshow, betont jedoch in erster Linie – wenn auch auf überzeichnete Weise – das Recht auf Individualität und Selbstbestimmung. Letztere wird schwer verletzt von Marys Vergewaltiger, was sie jedoch zu einem derart grausamen Rachefeldzug schreiten lässt, dass man schon wieder Mitleid mit ihm entwickelt. Das kurz eingestreute, unappetitliche Bild gerissener Penishaut, verursacht durch Onanie nach Piercing des Geschlechtsorgans, wirkt gegen das Kopfkino, das sich angesichts Marys unerbittlicher Härte einstellt, schon beinahe harmlos.

Bei allen Grausamkeiten ist „American Mary“ aber ein schön anzusehender Film, der fantastisch aussieht, sich einer schummrig bunten Ästhetik zwischen klinisch und schmutzig bedient und eine artifizielle Stimmung der Negation des Verfalls, wenn nicht selbst herbeigeführt, schafft. Katharine Isabelle sieht nicht nur toll aus, sondern ist auch eine erstklassige Schauspielerin. Ihre Rolle verfügt über einen ambivalenten Charakter, als hätte man vermeiden wollen, sie zu einer bedingungslosen Identifikationsfigur zu machen. Das macht „American Mary“ zusätzlich interessant und unberechenbar, was ein gutes Stück weit über die Schwierigkeiten, einen durchgehenden Spannungsborgen aufrecht zu halten, hinwegsehen lässt. Das etwas sehr abrupte und ideenlose Ende indes erscheint mir etwas unbefriedigend und als ein echter Schwachpunkt. Doch auch ohne richtige Pointe ist „American Mary“ erfrischend provokant und sehenswert, schwarzhumorig, böse, zynisch und dabei so hübsch anzusehen, dass man nicht weggucken kann.

Bemerkenswertes Detail: Die eher am Rande vorkommende Polizei ermittelt wegen des vermissten Dr. Grants und erzählt Mary sofort von dessen sexuellen Abartigkeiten – richtig so, weshalb in Zeiten entfesselter Geheimdienste überhaupt noch Datenschutz vortäuschen…?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 10. Feb 2014, 17:27
von buxtebrawler
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Communion – Messe des Grauens
Die 12-jährige Alice (Paula E. Sheppard) lebt bei ihrer geschiedenen Mutter. Eines Tages gerät die boshafte Einzelgängerin unter Mordverdacht, als ihre jüngere Schwester Karen (Brooke Shields) unter seltsamen Umständen ums Leben kommt. Mangels Beweise wird gegen das Mädchen nichts unternommen, doch ein weiterer Zwischenfall, der beinahe das Leben ihrer Tante kostet, bringt Alice in eine Anstalt. Die Polizei ist davon überzeugt, daß das Mädchen eine unberechenbare Psychopathin ist...
„Sie ist ein unheimliches Mädchen!“

US-Regisseur Alfred Sole drehte in seiner Karriere nur vier Filme. Er begann 1973 mit dem Porno „Deep Sleep“. 1976 folgte mit „Communion – Messe des Grauens“ in seiner Mischung aus Horror, Thriller und Mystery ein waschechter Prä-Slasher, bevor es 1980 mit „Tanya’s Island“ und 1982 mit der Horror-Parodie „Freitag, der 713.“ schon wieder zu Ende ging. Das ist schade, denn im Falle des vorliegenden Films lohnt sich das Hingucken zweimal.

Die kleine Karen (Brooke Shields, „Freaks“) wird kurz vor ihrer Kommunion, einem katholischen Ritus, in der Kirche ermordet. Der Verdacht fällt auf Karens Schwester, die zwölfjährige Alice (Paula E. Sheppard). Alice lebt bei ihrer geschiedenen Mutter und gilt als verhaltensauffällig bis bösartig. Zunächst kann ihr nichts nachgewiesen werden, doch nachdem auch ihre Tante einen Angriff fast mit ihrem Leben bezahlen musste, wird sie in eine psychiatrische Heilanstalt gebracht. Aber es geschehen weitere Morde. Wer steckt wirklich im gelben Regenmantel und schwingt das Messer?

„Irgendwann bring ich dich um, du Biest!“

„Communion – Messe des Grauens“ lässt sich nicht lange bitten und mordet die kleine Brooke Shields in ihrer zweiten Filmrolle bereits nach ca. zehn Minuten aus der Handlung. Der Mörder trägt einen gelben Regenmantel, wie auch Alice einen hat, und außerdem exakt die Maske auf dem Anlitz, die Alice zuvor trug. Nun ist Alice sicherlich kein kleiner Engel, sondern mit ihren Verhaltensstörungen eher das exakte Gegenteil ihrer allseits beliebten Schwester Karen – doch ist sie wirklich zu solchen Taten fähig? Diese Frage beschäftigt den Zuschauer eine ganze Weile, denn das Whodunit? des Films lockt möglicherweise auf eine falsche Fährte – möglicherweise aber auch nicht, gerade angesichts weiterer Spielfilme jenes Jahrzehnts um mörderische Kinder. Dabei setzen Sole und Drehbuchautorin Rosemarie Ritvo auf ein vordergründig spießbürgerliches, von der rückständischen Kirche und ihren Ansichten durchsetztes Umfeld, unter dessen Fassade es schon länger kräftig brodelt und gegen das Alice nach der Scheidung ihrer Eltern verständlicherweise rebelliert. Einiges wirkt dabei immer ein gutes Stück weit der Reali- und Normalität entrückt; mal offensiv in Form des fetten Nachbarn Mr. Alphonso (Alphonso DeNoble, „Bloodsucking Freaks“), einem Katzenliebhaber, der Alice zu nahe kommt, mal subtiler in Form von im Polizeibüro hängender Nacktbilder. Irgendwie passt dazu, dass die auch nach lediglich zwölf Jahren aussehende Sheppard kurioserweise bei den Dreharbeiten schon 19 Jahre alt gewesen soll. Viele Zooms auf Gesichter verringern die Distanz des Zuschauers zum Geschehen, der Zeuge eines Lügendetektortests wird, in dessen Rahmen Alice behauptet, Karen wäre mit dem Messer auf ihre Tante losgegangen, und damit verstärkt den Mystery-Anteil des Films prägt. Die Attacken des Mörders fallen durchaus unangenehm und brutal aus und fanden wohldosiert ihren Weg in „Communion – Messe des Grauens“. Der gruselige Soundtrack mit seinem Kindergesang erinnert bisweilen gar etwas an Dario Argentos „Suspiria“, der wohlgemerkt erst ein Jahr später erschien. Die Vergleiche mit „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ kommt nicht nur angesichts der Regenmäntel nicht von ungefähr, doch ist Soles Werk der bessere Film mit stimmigerer Geschichte.

Überraschend gibt Sole das Whodunit? bereits nach 70 Minuten auf und demaskiert den Mörder – was der Film unverhofft gut übersteht und ein starkes, fast schon hypnotisches Finale einläutet, das dann endgültig keinen Zweifel mehr daran lässt, dass es Sole und Ritvo auf religiösen Wahn abgesehen hatten. Das ist in beeindruckender Weise gelungen. „Communion – Messe des Grauens“ ist gut geschauspielert (Sheppard gibt souverän das undurchsichtige, garstige Gör, obwohl es sich anscheinend um ihr Debüt handelte und sie außer in „Liquid Sky“ anschließend nicht mehr vor die Kamera trat!), ungemütlich inszeniert, inspiriert von manch Genreklassiker und doch eigenständig und letztlich sicherlich einer der stärksten Vertreter des Prä-Slashers, bevor John Carpenter die Genreformel mittels „Halloween“ in Zelluloid goss. Das eine oder andere etwas bemüht wirkende Verwirrspiel und die technische Ungeschliffenheit, die ein Quasi-Debüt mit sich bringt, kosten einen halben Punkt, so dass faire 7,5 von 10 gelben Regenmänteln für Alice und ihre Familie bleiben.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 11. Feb 2014, 14:35
von buxtebrawler
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Cracks
Unter der Führung der charismatischen Lehrerin Miss G. erlernen die Schülerinnen tagsüber die feine Kunst des Schreibens und der Blumenbinderei. Sie lesen Texte großer Dichter, die vor exzessivem Lebenswandel warnen. Doch nach der Schule versammeln sie sich um ihre Lehrerin, die ihnen von den modernen Trends in der Literatur und Mode berichtet. Sie erzählt von ihren Reisen durch die Welt und ermuntert die Mädchen, die Dinge zu hinterfragen. Aber welche Ziele verfolgt Miss G in Wahrheit? Als eines Tages eine neue Mitschülerin auftaucht, in die sich Miss G zu vergucken scheint, werden die anderen Schülerinnen "eifersüchtig": plötzlich ist das Mädchen verschwunden...
Nach einem Kurzfilm und der Mitarbeit am Drama „Alle Kinder dieser Welt“ ist „Cracks“ aus dem Jahre 2009 die erste eigenverantwortliche Regiearbeit Jordan Scotts, der Tochter Ridley Scotts. Die aus Sicht einer Lehrerin erzählte Mischung aus Jugend- und Beziehungsdrama basiert auf einem Roman Sheila Kohlers und entstand in britisch-irischer Koproduktion.

Die junge Lehrerin Miss G. (Eva Green, „Die Träumer“) bringt Leben in ein englisches Mädcheninternat in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre: Den Literatur-Pflichtstoff erweitert sie nach Schulschluss um moderne Prosa. Sie berichtet von der großen weiten Welt und erzieht die Mädchen zu eigenständigen Persönlichkeiten. Sie übt mit ihnen Schwimmen und Turmspringen – gern auch nachts – und lässt auch ausschweifende Partys durchgehen. Doch die Idylle wird getrübt, als die Spanierin Fiamma (María Valverde, „Die Frau des Anarchisten“) als neue Mitschülerin zum mittlerweile verschworenen Haufen stößt und zum Mobbing-Opfer der eifersüchtigen Mädchen wird…

„Cracks“ ist ein Film der sanften Zwischentöne; man muss schon genauer hinsehen, um ihn – bzw. vielmehr Miss G. – zu durchschauen. Diese ist zwar für ihre Schülerinnen eine geliebte Respektsperson, eine Art Idol, weltgewandt, selbstbewusst und emanzipiert, doch hinter der Fassade verbirgt sich ein unglücklicher, unerfüllter, ja, schwacher Mensch. Was zunächst an „Der Club der toten Dichter“ erinnert, entwickelt sich zu einem Drama für alle drei Parteien: Miss G., Fiamma und die pubertierenden Mitschülerinnen. Der fast permanent eingesetzte, sanfte Klavier- und Streicher-Soundtrack wechselt nach den „erfolgreichen“ Mobbing-Attacken gegen die Spanierin zu zunehmend dramatischeren Klängen, die Bilder wenden sich von schwelgerischer Idylle zu düsterer Eleganz – um sich nach Rückkehr Fiammas wieder von der Sonne durchfluten zu lassen.

Was anschließend, nach ca. 75 Minuten, passiert, ist die entscheidende Wendung der Handlung (Achtung, Spoiler!): Miss G. hegt ein weiterführendes Interesse an Fiamma und versucht, sie zu verführen. Dies und ihr anschließendes Verhalten – sie startet eine Rufmordkampagne gegen Fiamma und tötet sie schließlich durch unterlassene Hilfeleistung – stellt alles infrage, wofür Miss G. zuvor stand bzw. zu stehen schien. Miss G. ist nicht mehr die starke Persönlichkeit, sondern eine Mörderin, die sich an Schutzbefohlenen vergreift. Machte sie ihre Schülerinnen mit moderner Literatur und alkoholschwangeren Partys vertraut, um sie für ihre eigenen Zwecke zu lockern? Schickte sie sie nacktbaden, um sich an ihren entblößten Körpern zu ergötzen? Ist sie eine derart schwache Person, dass sie gar keine andere Möglichkeit sieht, als ihr Glück bei gleichgeschlechtlichen Minderjährigen zu suchen? All diese Fragen drängen sich auf, und darüber hinaus diejenige nach der Intention dieses Films, inwieweit er trotz vorsichtiger Relativierung Miss G.s als Opfer ihrer eigenen Internatslaufbahn evtl. eine fragwürdige Aussage zu streuen versucht. Doch darüber möchte ich an dieser Stelle nicht spekulieren.

Was neben dieser Frage bleibt, sind Eindrücke eines angesichts seiner Thematik etwas arg weichgespülten Films, der stellenweise nur knapp an der Grenze zum Kitsch vorbeischrammt, wenn er seine Idylle errichtet, die er nach 75 Minuten radikal einreißt. Zu den positiven Aspekten gehört zweifelsohne Eva Green in ihrer aus Schönheit, Anmut und Ambivalenz kombinierten Rolle, der zuzusehen ebenso Spaß macht wie den Jungschauspielerinnen, die Natürlichkeit und Spielfreude mitbringen. Lediglich Juno Temple („Wild Child“) mit ihrem irgendwie aufgedunsenen Gesicht wirkt unvorteilhaft und vor allem zu häufig in Szene gesetzt. Unterm Strich bleibt ein ästhetisch gelungenes, dramaturgisch ungewöhnlich leises, aber inhaltlich zweifelhaftes und von vielen Andeutungen lebendes Drama, von dem ich mir etwas mehr versprochen hätte.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 11. Feb 2014, 21:30
von buxtebrawler
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A Gun for Jennifer
Nachdem Jennifer (Deborah Twiss) von ihrem Mann misshandelt wurde, verlässt sie ihre kleine Heimatstadt und zieht nach New York. Als sie dort von zwei Männern beraubt wird und diese versuchen sie anschliessend zu vergewaltigen wird sie von einer Gruppe militanter Frauen gerettet, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen und einen Feldzug gegen alle Frauen - und Kinderschänder führen. Sie geben Jennifer einen Job als Kellnerin in ihrer Striptease-Bar und nehmen sie in die Gruppe auf...
„Soll das der Angriff der Killer-Bambis sein, oder was?!“

US-Regisseur Todd Morris‘ erster und bis „Molotov Samba“ aus dem Jahre 2005 lange Zeit einziger Spielfilm ist der 1996 gedrehte „A Gun for Jennifer“, ein Exploitation-Rape’n’Revenge-Actioner der etwas anderen Sorte. Geschrieben wurde er zusammen mit Deborah Twiss („Kick-Ass“), die auch die titelgebende Hauptrolle übernahm und sich an der Produktion beteiligte.

Allison ist gerade aus Ohio, wo sie sich in Notwehr ihres sie misshandelnden Mannes entledigt hat, nach New York geflohen. Dort wird sie just überfallen und zu vergewaltigen versucht – doch Rettung eilt herbei in Form einer Gruppe militanter Feministinnen, die sich auf einem Feldzug gegen Frauen- und Kinderschänder befinden. Sie zwingen Allison dazu, die Männer zu erschießen und üben Druck auf sie aus, sich ihrer Gruppe anzuschließen. Allison nennt sich fortan Jennifer und arbeitet im Strip-Club der Bande als Kellnerin. Doch nach einem missglückten Attentat auf einen unter Vergewaltigungsverdacht stehenden Richter kommt es sowohl auf Seiten der Polizei als auch der wehrhaften Mädels zu Verlusten. Polizistin Perez (Benja Kay) ist der Bande auf der Spur, deren Mitglied Jesse (Frieda Hoops) einen letzten großen Erfolg verbuchen und einen Mafiaboss aus der Welt schaffen will…

„Drück ab!“

Der auf 16-Millimeter-Material gedrehte Independent-Film gibt sich mit seinem absichtlich krisseligen Bild voller Verschmutzungen und dreckigen Look alle Mühe, nach Grindhouse-Kino der 1970er auszusehen, was ihm darüber hinaus auch mit seiner emanzipierten Exploitation, seinem hohen Gewaltgrad und seinen expliziten, blutigen Szenen bestens gelingt. Die rauen, authentisch anmutenden Handkamera-Bilder werden begleitet von einem aufpeitschenden Punk-Soundtrack. Ein Racheakt im Prolog, eine Vergewaltigung direkt nach dem Vorspann – und schon lernt der Zuschauer die Mädchen-Gang kennen. Viel Zeit hat „A Gun for Jennifer“ bis hierhin also nicht verloren und es dauert auch nicht lange, bis der Zuschauer mit drastischen Bildern einer kastrierten Leiche sowie einem expliziten Kopfschuss konfrontiert wird. Viele Informationen werden jedoch zunächst zurückgehalten; erst nach einer guten halben Stunde werden die einzelnen Charaktere näher vorgestellt – durch die Polizei.

Zwischenzeitlich wird etwas Tempo herausgenommen und der Auftritt einer weiblichen Punkband mit barbusiger Sängerin bietet abermals gute Musik und erstmals nackte weibliche Tatsachen, streckt aber in erster Linie den Film um ein paar Minuten. Doch gerade, als ich fürchtete, Morris bzw. Jennifer & Co. hätten ihr Pulver bereits verschossen, folgt ein wahres Massaker an mutmaßlichen Vergewaltigern und werden weitere Informationen über die bis jetzt mit gemischten Gefühlen betrachteten Vigilantinnen preisgegeben: Leid, Notwehr und Justizirrtümer sind die Stationen auf dem Weg zur rasenden Rächerin, die keinerlei Kompromisse mehr eingeht. Das „Beste“ hebt man sich gar fürs Finale auf und sprengt eine Gangster-Party, auf der krude Operationen durchgeführt werden, während sie superbrutal und blutig dem Erdboden gleichgemacht wird. Starker Tobak. Durchatmen…

Zweifelsohne ist „A Gun for Jennifer“ ein Exploitation-Film. Er übertreibt, setzt sich dem Verdacht aus, Selbstjustiz und gewalttätige Rache zu verherrlichen und ergötzt sich an blutigen Details und Ausschlachtungen. Ebenso zweifelsohne steht „A Gun for Jennifer“ indes nicht der Sinn, ein möglicherweise chauvinistisches Publikum mittels Alibi-Moral zu unterhalten. Nein, „A Gun for Jennifer“ ist ein Punk-Film durch und durch. Er beutet seine weiblichen Charaktere nicht für sleazige Szenen aus, sondern hält sich trotz Strip-Club-Ambiente und Vergewaltigungsthematik diesbzgl. weitestgehend bedeckt. Wenn er nackte Frauenhaut zeigt, dann, wenn auch innerhalb des fiktiven Films die Protagonistinnen diese zeigen wollen. In erster Linie geht es von vornherein um den blanken Hass von von Justiz und Gesellschaft im Stich Gelassener, die schließlich zum Äußersten greifen und sämtlichen Feiglingen, die sich auf diese Weise an Frauen und Kindern vergehen, derart zu Leibe rücken, dass überhaupt kein Platz mehr für heimliche männliche Autoritätsphantasien mehr bleibt. So ganz nebenbei thematisiert „A Gun for Jennifer“ auch den Alltagssexismus, dem viele Frauen ausgesetzt sind. Das ist Exploitation mit Köpfchen, die nicht nur hochgradig authentisch den entsprechenden Geist der ‘70er transportiert, sondern dem Rape’n’Revenge-Bereich einen etwas anders gearteten, durchaus provokanten Tritt in die Weichteile des Machismo hinzufügt. Selbst die aus vielen ansonsten nicht weiter in Erscheinung getretenen Schauspielerinnen bestehende Darstellerriege erlaubt sich keine negativen Ausreißer und zieht ihren Stiefel engagiert durch.

Filmemacher wie Tarantino und Rodriguez sollten sich von einer kostengünstigen Produktion wie dieser besser ein paar dicke Scheiben abschneiden, statt sich mit ihrer Pseudo-Grindhouse/-Exploitation beim Mainstream einzuschleimen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 12. Feb 2014, 21:26
von buxtebrawler
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Paranormal Activity - Die Gezeichneten
Mit Kumpels jetzt einfach ein wenig Spaß haben und die Albernheiten per Videokamera aufnehmen - nach dem High School-Abschluß ist Jesse (Andrew Jacobs) noch nicht nach dem Ernst des Lebens. Das ändert sich, als seine verschrobene Nachbarin Anna (Gloria Sandoval) in ihrer Wohnung tot aufgefunden wird und Jesse mit seinem Kumpel Hector aus Neugier dort einbricht. Offenbar war Anna in okkulten Umständen aktiv, denn Jesse findet dort zu seiner Überraschung auch einen Altar und zahlreiche Fotos von sich. Als er eines Morgens mit einer Bißwunde aufwacht, entwickelt er seltsame, ja übermenschliche Fähigkeiten, verändert sich aber zunehmend charakterlich. Ein ehemaliger Klassenkamerad, Oscar, der wegen Annas Tod unter Verdacht steht, hat die gleiche Bißwunde, erklärt sich und Jesse zu "Gezeichneten" und begeht Selbstmord. Kann Ali (Molly Ephraim), in die dämonischen Vorfälle seit den 90ern involviert, Jesse helfen, den Fluch loszuwerden?
Ich bekenne mich schuldig: Ja, ich habe mir bisher noch jeden Teil der „Paranormal Activity“-Reihe angesehen. Und, ja, irgendwie hatte ich dabei fast immer meinen Spaß. Ja, ich genieße es, mir diese Filme im Kino anzuschauen und verbinde mit ihnen schöne, je nach Qualität des Films ange- oder entspannte Abende. Ich bin demnach mitverantwortlich dafür, dass die seinerzeit mit „Blair Witch Project“ höchst erfolgreich losgetretene (aber weißgott nicht erfundene) Found-Footage-Kinowelle einfach nicht abebbt, die kostengünstig mittels Amateur-Kameratechnik umgesetzten (meist) Suspense-Grusler nach wie vor um die Gunst der Zuschauer buhlen und dem 2007 noch recht originellen „Paranormal Activity“ eine Fortsetzung nach der anderen spendiert und damit das Subgenre gemolken wird, solange es noch Milch gibt. Für „Paranormal Activity - Die Gezeichneten“, 2014 erschienen und damit zurzeit jüngster Sprössling der Reihe, durfte nun erstmals ein gewisser Christopher Landon auf dem Regiestuhl platznehmen (sofern es einen gab), Found-Footage-Horror als Spielwiese für Debütanten.

Die Handlung erscheint zunächst losgelöst vom Rest der Reihe, weshalb manch einer diesen fünften Teil auch eher als Spin-Off einordnet: Jesse (Andrew Jacobs) hat gerade den High-School-Abschluss geschafft und möchte die verbleibende Zeit bis zum Beginn des Ernst des Lebens möglichst viel Spaß haben. Er hängt mit seinem Kumpel Hector (Jorge Diaz, „American Trash“) herum, der ganz versessen darauf ist, mit seiner Handkamera den Alltag festzuhalten. Dabei filmt er in jugendlichem Überschwang auch heimlich einen seltsamen Ritus, der von der eigenartigen ältere Nachbarin Anna (Gloria Sandoval, „Nach 7 Tagen - Ausgeflittert“) initiiert wird. Als sie Anna zu nahe kommen, wird sie wütend und verflucht Jesse. Kurz darauf wird sie in ihrer Wohnung tot aufgefunden, mutmaßlicher Mörder: Der ehemalige Klassenkamerad Oscar (Carlos Pratts, „Las Angeles“), der sich ebenfalls ganz seltsam benimmt. Und auch Jesse bemerkt Veränderungen an sich: Er erwacht eines Morgens mit einer blutigen Bisswunde und entwickelt ungeahnte Fähigkeiten. Kurz vor seinem Freitod unterrichtet ihn Oscar davon, zu den „Gezeichneten“ zu gehören. Zusammen mit Oscars großem Bruder Arturo (Richard Cabral, „Duke“), einer lokalen Unterweltgröße, und Ali (Molly Ephraim, „College Road Trip“), die aus eigener Erfahrung über einige Informationen zu den Vorfällen verfügt, versucht man, der Sache auf den Grund zu gehen…

Konnte man manch vorausgegangenem Teil noch vorwerfen, in wenig aus dem Leben gegriffen scheinenden Mittelklasse-Milieus zu spielen, siedelte man diesen Film in einem hispanischen US-Wohnviertel an, in dem man eher nicht die Polizei ruft. Zum Auftakt sieht man Bilder der Schulabschlussfeier 2012, bevor man eine Zeit lang zwei Freunde voll jugendlichem Esprit dabei beobachtet, einigen Unfug anzustellen und den Ernst der Lage längere Zeit nicht zu erkennen. Das geht einher mit durchaus erfrischendem Humor und man fühlt sich zeitweise wie ein Dritter im Bunde, der zur Clique gehört. Das ist zwar nicht alles von sonderlichem Belang, aber macht Spaß, entspannt und lullt ein. Als Jesse dann erst zum Supermann und schließlich zum ernsthaft von finsteren Mächten Geplagten mutiert, mehren sich die überraschenden, wohldosierten Schockmomente, die einerseits gut sitzen, andererseits aber nicht mehr den Gruselfaktor beispielsweise des Originals aufweisen. Okkulte Motive um rätselhafte Hexen und Besessenheit werden miteinander vermengt, bevor man im Finale zum actionreichen Dämonenspuk greift. Ein unverhofft eingestreuter Räumlichkeitseffekt während einer Art Exorzismus stammt zwar aus dem Computer, hat mich aber regelrecht ins Kinosofa gedrückt. Nach dem Bezug auf Ali aus Teil 2 schlägt Landon eine gewitzte Brücke zum Original und der Zuschauer findet sich plötzlich im ersten Film wieder, was Mythologie und Mystik der Reihe in diesem erneut offenen Ende angenehm untermauert und ganz dem Prinzip der Serie folgend schon wieder Lust auf mehr macht.

Stilistisch bleibt man diesmal bei der Handkamera, statt unterschiedliche Videoaufnahmen verschiedener Quellen zusammenzufügen. Das wirkt sich wohltuend auf die Dynamik des Films aus, der nun wesentlich öfter die Schauplätze wechselt und öfter im Freien spielt. Auch hier ist es nicht immer glaubwürdig, dass permanent mitgefilmt wird, doch ist sich Landon dessen offensichtlich bewusst und bricht dann und wann mit der Selbstverständlichkeit der gedankenlosen Kamerabegleitung jedweder Ereignisse. Unterm Strich ist „Paranormal Activity – Die Gezeichneten“ dann doch wesentlich unterhaltsamer und generell besser als erwartet ausgefallen. Jeder halbwegs beantworteten Fragen fügt er mindestens eine neue hinzu und es gelingt ihm tatsächlich, mehr Interesse an weiteren Fortsetzungen zu wecken, als es der Vorgänger tat. Das ist zwar alles sehr durchschaubar konstruiertes und dank Found-Footage-Sujet zudem technisch zu großen – wenn auch nicht so großen wie manches Mal zuvor – Teilen simples und wenig künstlerisches Unterhaltungskino zum Einmalgucken, dafür jedoch effektiv und anscheinend mit einer gewissen Liebe zur Mythologie der Reihe umgesetzt worden. Abwarten, ob dem hiermit ein Stück weit gefestigten Anspruch an Rätselhaftigkeit und Zusammenhang des „Paranormal Activity“-Phänomens vom sechsten Teil genüge getan werden kann und wird. Fans des Subgenres jedenfalls dürften sich in Landons Film bestätigt sehen, Skeptiker und Gegner indes sicherlich auch.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 13. Feb 2014, 16:57
von buxtebrawler
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Rituals
Fünf leicht angegraute Herren, von Beruf Doktoren, wollen ein Wochenende in der Wildnis um Ontario verbringen. So paddeln sie langsam einen Fluß herunter, um mal hier und dort zu campieren. Es kommt zu Reibereien untereinander, und einer von ihnen verläßt die Gruppe. Danach geschehen einige merkwürdige Dinge und "Unfälle? . . .
„Willkommen am Arsch der Welt!“

Der 1977 in US-amerikanisch-kanadischer Koproduktion unter der Regie Peter Carters („Targoor – Reise ins Grauen“) und nach einem Drehbuch Ian Sutherlands entstandene „Rituals“, übrigens Carters Spielfilmlängen-Debüt, ist mitnichten ein Prä-Camp-Slasher, der „Freitag der 13.“ und Konsorten vorwegnimmt (wie auf der „X-Rated“-DVD vollmundig behauptet), sondern ein ruhiger Backwood-Terror-Horror-Thriller, entstanden im Fahrwasser von Filmen wie „Deliverance“ und seitdem anscheinend ziemlich in Vergessenheit geraten.

Fünf Ärzte machen regelmäßig gemeinsam Urlaub, doch der diesjährige soll ein ganz besonderer werden: D.J. (Gary Reineke, „Fantasy Island - Die Geisterinsel“) hat einen Angel-Ausflug in die Wildnis der kanadischen Wälder organisiert. Schon früh beginnen die Probleme: Ein Unbekannter hat nachts die Schuhe der Gruppe gestohlen. Nur D.J. hat ein Ersatzpaar dabei und zieht in Ermangelung von Kommunikationsmöglichkeiten allein los, um die Abholung der Gruppe in die Wege zu leiten. Währenddessen werden die Streiche, die man den Verbliebenen spielt, jedoch immer arger – nachdem sie mit einem just getöteten Tier direkt vor ihrem Lager konfrontiert wurden, machen sie sich auch ohne festes Schuhwerk daran, D.J. zu folgen. Aber der Terror geht weiter, jemand schleudert einen Bienenstock auf sie und Abel (Ken James, „Psychic“) kommt auf der Flucht ums Leben. Bleiben nur noch drei „Halbgötter in weiß“, die noch immer nicht wissen, wie ihnen geschieht und wer hinter ihnen her ist. Martin (Robin Gammell, „Eine Frau sieht rot“) gerät in eine Bärenfalle und ist schwerverletzt auf Harrys (Hal Holbrook, „The Fog – Nebel des Grauens“) und Mitzis (Lawrence Dane, „Scanners – Ihre Gedanken können töten“) Hilfe angewiesen. Als er zu delirieren beginnt, streiten sich Harry und Mitzi darum, ob es nicht besser wäre, ihn zurückzulassen. Der Unbekannte bleibt ihnen stets auf den Fersen und gibt langsam aber sicher Hinweise auf seine Identität…

Dieses klassische Backwood-Sujet erinnert tatsächlich längere Zeit verdächtig stark an „Deliverance“, avanciert jedoch schnell zu einem Wechselbad der Gefühle. Einigen wahrhaft fiesen, jedoch sparsam dosierten und grimmigen, bedrückenden, intensiven Einzelszenen sowie schönen Bildern der Wildnis und Landschaftsaufnahmen, die ein Gefühl von mittendrin statt nur dabei vermitteln, stehen mit der Charakterisierung der Individuen beginnende, aber nie endende ethische und moralische Fragen wälzende Dialoge noch und nöcher gegenüber. Trotz der herausragenden schauspielerischen Leistungen bleibt „Rituals“ über weite Strecken bis zum Finale derart monoton, dass akute Einschlafgefahr besteht (dem Rezensenten widerfahren) und die eigentlich nicht uninteressant konzipierten Rollen bisweilen gar zu nerven beginnen. Das dramaturgische Potential aus den unterschiedlichen Ansichten der Ärzte, deren Konflikte untereinander angesichts der Extremsituation immer offener zutage treten, droht unter Langatmigkeit und fast schon inflationärem Gelaber zu ersticken. Vom Unwesen, das der Antagonist treibt, bekommt man i.d.R. lediglich die Ergebnisse zu sehen – was sich jedoch zum Finale ändert. Seine Identität weist einen durchaus Sinn ergebenden Bezug zu den Ärzten auf, letztlich reiht er sich jedoch optisch in den Chor entstellter Hinterwäldler ein, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Klagelied auf die (Errungenschaften der) Zivilisation singen. Der Showdown bekommt dann im wahrsten Sinne des Wortes reichlich Feuer, endet allerdings irgendwie unbefriedigend unspektakulär.

Dennoch hat „Rituals“ seine unabstreitbaren Qualitäten und wurde in meinem Falle eventuell schlicht Opfer einer falschen Erwartungshaltung. „Rituals“ ist der nicht immer gelungene Versuch schwer psychologischen Backwood-Terrors, der unter einer gewiefteren Regie sicherlich zu einem Klassiker hätte avancieren können. Die aufgeworfenen Fragen sind zum Teil noch immer aktuell, doch nehmen sie hier Überhand und werden in Form einer ermüdenden Talkshow diskutiert. In weitestgehend unberührter Wildnis ausgeliefert zu sein, kann und darf natürlich zermürbend monoton sein, doch übertreibt man es hier mit diesem Stilelement, sofern es überhaupt bewusst eingesetzt wurde. Zudem fehlt hier letztlich überraschend das genretypische Aufeinanderprallen von Kulturen fast komplett, so dass ich es schon ein wenig vermisse – auch wenn ich mir im Klaren darüber bin, dass die tödlichen Konflikte in erster Linie als Katalysator für die negativen Vibrationen der Ärzte untereinander dienen sollen. Dieses Konzept wiederum wird strenggenommen durch das Eingreifen des Unbekannten torpediert, es wirkt nicht konsequent. Ich will „Rituals“ nicht schlechter machen, als er ist: Genre-Fans dürften eine interessante Entdeckung machen und angesichts manch anderer Veröffentlichung ist Carters Film im überdurchschnittlichen Bereich anzusiedeln. Nichtsdestotrotz lautet mein Fazit: Gute Schauspieler in einem inszenatorisch unglücklichen Film.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 14. Feb 2014, 16:48
von buxtebrawler
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Livid – Das Blut der Ballerinas
Lucys erster Tag als häusliche Krankenpflegerin führt sie in die marode Villa von Mrs. Jessel, die bereits seit Jahren in einem tiefen Koma liegt. Lucys geschwätzige Kollegin erzählt ihr, dass Mrs. Jessel früher eine gefürchtete Ballettlehrerin war. Und man vermute einen großen Schatz in ihrer unheimlichen Villa. Zusammen mit ihren Freunden William und Ben macht sich Lucy in einer Nacht schließlich auf die Suche und sie brechen in die Villa der alten Lady ein. Erst scheint auch alles glatt zu laufen, aber dann verschwindet William plötzlich in einer Wand und landet in einem geheimen Zimmer. Was er dort erleidet, geht über seine Vorstellungskraft. Doch dadurch scheint sich das schaurige Geheimnis endlich zu lüften, aber auch die jungen Leute regelrecht aufzufressen. Quelle: Covertext (DVD)
„Was machst du denn mit dem Tuch auf dem Kopf?“

Alexandre Bustillo und Julien Maury – das sind die Namen der beiden französischen Regisseure, die 2007 in „Inside“ einer schwangeren Frau übel zusetzten und damit einen aufmerksamkeitserregenden Beitrag zur neuen Härte im französischen Horrorfilm leisteten. 2011 folgte dann mit „Livid – Das Blut der Ballerinas“ ihr Zweitwerk, das sich ebenfalls dem Horrorgenre verschreibt, jedoch weniger auf Splatter und Gore setzt – zunächst.

Lucie (Chlóe Coulloud, „Späte Entscheidung – La Surprise“), die gerade ihre Mutter verloren hat und eine Iris-Heterochromie, sprich: zwei verschiedenfarbige Augen aufweist, jobbt in ihren Ferien als Altenpflegerin. Catherine Wilson (Catherine Jacob, „Das Glück liegt in der Wiese“) nimmt sie zu den Patienten mit nach Hause und weist sie in ihr Aufgabengebiet ein. Diese Tour führt beide auch ins Anwesen der seit Jahren im eigenen Bett im Koma vegetierenden ehemaligen Ballett-Lehrerin Jessel (Marie-Claude Pietragalla), die laut Catherine einen Schatz irgendwo im Haus versteckt haben soll. Als Lucie ihrem Freund William (Félix Moati, „LOL (Laughing Out Loud) ®“) davon berichtet, ist dieser Feuer und Flamme, ins Haus einzudringen und den Schatz zu bergen, um mit Lucie ein neues Leben zu beginnen. Nach anfänglicher Skepsis macht sich Lucie mit William und seinem Bruder Ben (Jérémy Kapone, ebenfals „LOL (Laughing Out Loud) ®“) auf den Weg zur alten Villa und steigt durch ein geöffnetes Kellerfenster ein. Doch was die drei dort finden, ist nicht der erhoffte Schatz, sondern ein düsteres Geheimnis – und absolut tödlich…

„Livid“ beginnt nicht nur mit sympathischen, nachvollziehbaren Charakterzeichnungen, sondern vor allem wunderschönen Außen- wie Innenaufnahmen voll morbider Poesie und dazu passend entschleunigten Szenen, die der Ästhetik der Bilder Kraft und Zeit zur Entfaltung bieten. Der Streicher- und Klavier-Soundtrack begleitet das Trio in ein im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich detailreich ausgestattetes, gruseliges Gebäude, das reichlich gotischen Schauer-Charme ausdünstet und unzweifelhaft etwas Organisches an sich zu haben scheint – sei es durch den sichtbar einsetzenden Verfall des Uralt-Baus, sei es durch die schwer atmende Greisin und Komapatientin, die es wie ein Herzmuskel am Leben zu halten scheint. Mit seiner Ballett-Thematik und der alten röchelnden Frau in einem geheimnisvollen Gebäude erinnert „Livid“ sicher nicht von ungefähr an Dario Argentos „Suspiria“ und wenn ein blutbeschmiertes Mädchen im weißen Kleid einen grünen Garten betritt, ist das nicht nur überaus stilvollendet, sondern lässt vermuten, dass die Regisseure auch mit Bavas und Rollins Filmkunst vertraut sind. Jugendliches Schauspieltalent, beispielsweise der sich für weitere Produktionen empfehlenden Coulloud, trifft hier auf die gute alte Ballett- und Filmschule gleichermaßen. Dass man ausgerechnet „Halloween III“ zitiert, ließ mich wiederum schmunzeln.

Lange Zeit ist „Livid“ große europäische Gruselfilmkunst, die sich Zeit lässt, zum Zurücklehnen und Genießen einlädt, die wohlige Schauer und ein angenehmes Maß an Spannung produziert. Der erste Mord geschieht nach 55 Minuten, eine Rückblende in die dunkle Vergangenheit zu Zeiten der Ballett-Schule liefert erst nach ungefähr einer Stunde Hintergrundinformationen. Diese läuten jedoch eine jähe Zäsur ein: „Livid“ verliert zeitweise an Mystik, gewinnt dafür an Tempo sowie an blutigen Einlagen, als würden Bustillo und Maury sich ihres Debüts entsinnen. Ob der Stilbruch in diesem Ausmaße bewusst herbeigeführt wurde, kann ich nicht beurteilen, er wirkt auf mich jedenfalls, als hätte man nicht so recht gewusst, wie man die Geschichte im bisherigen Stil weitererzählen könnte. Die brutalen Splatter-Einlagen sind zweifelsfrei auf einem technisch hohen Niveau angesiedelt, doch profanisieren sie ein Stück weit die geheimnisumwitterte Grundstimmung und ich ertappte mich dabei, mich nach ihr zurückzusehnen. Den Anschluss an diese zu wiederzufinden versucht man durch ein etwas langgezogenes Ende, das sich leicht kitschiger Fantasy-Märchen-Atmosphäre bedient und somit einen weiteren Stil in die Waagschale wirft.

Damit ist „Livid“ eine stilistisch leider inkohärentere Schauermär geworden, die auf ungewöhnliche Weise gotischen Vampir-Horror in die Neuzeit transferiert und fleißig diverse weitere Motive zusammenwürfelt, bis manch eingestreute Szene sowie die überraschende Pointe zwar immer noch schaurig-schön, jedoch auch etwas überambitioniert wirken und dabei viele Fragen unbeantwortet lassen, ohne dafür dauerhaft auf die mystische Grundstimmung der ersten beiden Drittel bauen zu können. Nichtsdestotrotz wurde „Livid“ handverlesen besetzt (beispielsweise mit der tatsächlichen Balletttänzerin Marie-Claude Pietragalla und ihrer unheimlichen Aura, in einer Nebenrolle gar Béatrice Dalle aus „Inside“) und bedeutet in Zeiten seelenloser CGI-Blockbuster ein für Genre-Freunde prachtvolles Filmerlebnis, das zum Ende hin etwas strauchelt, aber dennoch einen überwiegend positiven Eindruck hinterlässt und Lust aufs bald noch einmal Gucken macht. Chapeau!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 17. Feb 2014, 19:17
von buxtebrawler
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Der Unsichtbare
Jack Griffin hat ein Mittel entwickelt, das den menschlichen Körper unsichtbar macht. Im Selbstversuch stellt er fest, daß er Erfolg hatte. Doch entgegen seiner Erwartungen läßt die Wirkung nicht nach. Zudem stellen sich fatale Nebenwirkungen ein: Jack nutzt seine Erfindung, um damit Verbrechen zu begehen, und nach ersten Erfolgen stellt sich Größenwahn ein.
„Er ist wahnsinnig und unsichtbar – aber er ist ein Mensch!“

Neben einigen (Kriegs-)Dramen drehte US-Regisseur James Whale in den 1930er-Jahren einige Horrorfilme für die „Universal“-Filmproduktion, darunter unverrückbare Klassiker wie „Frankenstein“ und „Frankensteins Braut“. Neben Frankensteins Monster erweiterte er die Riege der Universal-„Classic Monsters“ im Jahre 1933 um den unsichtbaren Dr. Jack Griffin nach einem Roman H.G. Wells‘ und brachte damit einen Archetypus des Mad Scientist auf die Leinwand.

Dr. Jack Griffin (Claude Rains, „Der Wolfsmensch“) hat an einem Mittel geforscht, mit dem man einen Menschen komplett unsichtbar machen kann. Er testet es im Selbstversuch und wird tatsächlich unsichtbar – und bleibt es zu seiner Überraschung. Fieberhaft versucht er, ein Gegenmittel zu entwickeln. Er lässt Frau und Familie zurück und steigt mit seine Unsichtbarkeit verhüllenden Bandagen im Gesicht in einem Gasthaus ab, um in Ruhe weiterforschen zu können. Doch diese Ruhe ist ihm nicht vergönnt und die Situation eskaliert. Griffin muss fliehen und bemerkt selbst nicht, wie ihn sein Serum zum Negativen verändert: Er wird böse und größenwahnsinnig.

Diese seine zweite Spielfilmrolle überhaupt bedeutete den Durchbruch für Claude Rains im Filmgeschäft, kurioserweise obwohl sein Gesicht lediglich kurz in der Schlusseinstellung zu sehen ist. Tatsächlich wurde Rains aufgrund seiner ungewöhnlichen Stimme und Aussprache ausgesucht, über die Whale der unsichtbaren Rolle Charakter verleihen wollte. Nach einer heiteren Kneipenszene mit Witz und viel Gelächter wird die komödiantische Szenerie jäh unterbrochen von der Ankunft des bandagierten Unsichtbaren, den eine geheimnisvolle Aura umgibt. Whale hält sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf und zeigt schon früh die tollen, seinerzeit als revolutionär aufgefassten Spezialeffekte, wenn der Unsichtbare sich seiner Bandagen und Kleidung entledigt. Hierfür wurde eine Art Vorläufer des Blue-Box-Verfahrens angewandt, schwarzer Samt verhüllte die unsichtbar wirken sollenden Körperteile. Auch heute noch kann sich diese Technik (nicht) sehen lassen, zu ihrer Effektivität gesellt sich jahrzehntelang gereifter Charme.

Rasch schreitet auch die charakterliche Veränderung Griffins voran, seine größenwahnsinnigen Vernichtungspläne äußert er indes recht plump und comichaft überzeichnet. Selbstverständlich lässt man Griffin auch Streiche spielen und Schabernack treiben, wie es wohl die meisten täten, wenn sie einmal unsichtbar sein könnten. Für derartige Szenen wird „Der Unsichtbare“ wieder beschwingt-komisch, nur um im nächsten Moment Griffin einen Zug entgleisen und damit hunderte Tote verantworten zu lassen. Ein Wechselbad der Gefühle also, das der temporeiche Film provoziert und dafür auf Tiefgang hinsichtlich Griffins Charakter, seiner Gefühls- und Gedankenwelt, eventuellen Zwiespälten etc. verzichtet. Möglicherweise wollte man bewusst nicht zu sehr in Richtung „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ steuern. Bemerkenswert: Zum Dank für den entscheidenden Hinweis auf den flüchtigen Griffin fackelt die Polizei dem Landwirt die Scheune ab und läutet damit ein tragisches Ende ein, dem allerdings diverse Fortsetzungen unter fremder Regie folgen sollten. „Der Unsichtbare“ erschien mir lange Zeit der am wenigsten Interessante der „Classic Monsters“, dabei ist auch er ein filmhistorisch bedeutungsvolles Mad-Scientist-Science-Fiction-Abenteuer der guten alten Schule und Meilenstein des phantastischen Films, der auch rein zum Vergnügen geschaut noch immer angenehme Kurzweil und überschwängliche, kindlich-naive Träume von Unsichtbarkeit bedienende Unterhaltung bietet, prima gealtert ist und beweist, dass geglückte handgemachte Spezialeffekte einfach zeitlos sind. In diesem Sinne: „Plötzlich kam mir durch die Drogen, die ich die ganze Zeit genommen hatte, die Erkenntnis!“

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 19. Feb 2014, 18:00
von buxtebrawler
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Killer hinter der Maske
Ein Kurzurlaub auf ein ländlich gelegenes Landhaus entpuppt sich für die Gäste als reinster Alptraum. Die erhoffte Erholung wird von einem maskierten Psychopathen getrübt, der nacheinander jeden von ihnen beseitigt. Angst und Mißtrauen breiten sich unter den Gästen aus. Wer ist der Mörder und was ist sein Motiv?
„Wann immer ihr Menschen seht, die das Schicksal zum Einzelgänger machte, passt auf euch auf – aufmerksam!“

„Killer hinter der Maske“ ist ein kurioser US-Slasher, über dessen Entstehungsdatum offensichtlich Uneinigkeit besteht. Fakt scheint zu sein, dass er in den 1970ern gedreht, jedoch erst 1981 veröffentlicht wurde. Ob er nun 1976 oder 1979 gedreht wurde, ist unklar. Das wäre jedoch nicht uninteressant zu wissen, ist doch davon abhängig, ob er vor John Carpenters „Halloween“ entstand und damit als Prä-Slasher zu betrachten wäre, oder ob er möglicherweise bereits von Carpenters genredefinierendem Horrorfilm inspiriert war. Regie führte David Paulsen, der hiermit sein Spielfilm-Debüt ablieferte, 1980 „Schizoid“ mit Klaus Kinski drehte und ansonsten in TV-Serien wie „Dallas“, „Unter der Sonne Kaliforniens“ und „Der Denver-Clan“ auf dem Regiestuhl involviert war.

Marie Sales Pettis (Marilyn Hamlin, „Liebesgrüße aus Pistolen“) hat sich von ihrem Mann Greg (Jeff Pomerantz, „Die Rückkehr des Unbegreiflichen“) getrennt, der für den Gouverneur tätig war und nach dessen Selbstmord erst einmal in der Nervenklinik landete. Zusammen mit dem neuen an Mann ihrer Seite, dem Börsenmakler Robert (Jim Doerr), dessen Freund Jay (Devin Goldenberg, „Love to Kill“), ihrer Schwester Shirley (Caitlin O'Heaney, „Panische Angst“) und dem homosexuellen Nicky (Christopher Allport, „Tot & begraben“), fährt sie für ein Wochenende aufs Land, während Greg auf den gemeinsamen Sohn Jeremy (Adam Hirsch) aufpasst. Am Zielort hat Robert ein kleines Haus erworben sowie eine Art Yacht, mit dessen Herrichtung der seltsame Hinterwäldler Otis (William Sanderson, „Manchmal kommen sie wieder“) betraut ist und um den sich einige Gerüchte ranken. Da die Arbeiten sehr schleppend vorangehen, soll Jay das Projekt beaufsichtigen. Jay macht sich derweil an Shirley heran, zum Unmut Nickys. Marie wiederum findet Gefallen an Landwirt Mac (David Gale, „Re-Animator“), lässt ihn aber nicht ran, scheint nicht ganz glücklich mit ihrem Robert zu sein. Und zu allem Überfluss taucht auch noch ein maskierter Mörder auf, der beginnt, die Gruppe zu dezimieren…

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und Entstehung des Stalk’n’Slash-Subgenres fördert manch Perle zutage, doch „Killer hinter der Maske“ – ganz gleich, wann er denn nun genau entstanden ist – gehört nicht dazu. Direkt zu Beginn präsentiert dieser einen gestört aussehenden Mann, der im Wald und mit einer Kettensäge in den Pranken Jagd auf eine verängstigte Frau macht. Die folgenden Szenen spielen in einer Großstadt und lassen nicht nur diese Eröffnung zusammenhanglos erscheinen, sondern führen auch in die undurchsichtigen und von mir eingangs zusammenzufassen versuchten Familien- und Freundesverhältnisse ein. Angesichts Paulsens Tätigkeiten für Serien wie „Dallas“ und „Der Denver-Clan“ erscheinen diese wie absichtlich verkomplizierte Beziehungskisten für Seifenopern jener Kaliber, nicht jedoch wie ein gelungener Einstieg in einen Horrorfilm. Der Sinn eines Gewaltausbruchs des sehr tuntig auftretenden Lockenkopfes und Hot-Pants-tragenden Nickys in einer Dorfkneipe erschließt sich mir noch weniger, um genau zu sein ebenso wenig wie seine offensichtlich Eifersucht auf Jay; möglicherweise wird auf diese Weise versucht, seine „maskuline Seite“ zu zeigen und damit zum Kreis der Verdächtigen der folgenden Mordserie hinzuzufügen. Beim ersten Hinterwäldler-Angriff verstummt plötzlich die Geräuschkulisse, stattdessen ertönt ein eigenartiger Score mit digitalen Soundeffekten – Tonfehler in der deutschen Fassung? Bewusst eingesetztes Stilelement? Ich weiß es nicht und zur allgemeinen Verwirrung trägt zusätzlich bei, dass sich diese Szenen, in denen Otis eine junge Frau mit einem Brandeisen, äh, „markiert“, als Rückblende entpuppen.

Wir haben bis hierhin also schon leicht nach Backwood müffelnde Einheimische, ein bisschen Kultur-Clash und mysteriöse Rückblenden sowie eben jene Bande Städter, die alles andere als sympathisch ist und deren Beweggründe, in jener Pampa zu kampieren, nicht die Bohne interessieren. Dafür ziehen die Damen gern blank und gibt man sich immer wieder angedeuteten Sexszenen hin, die offensichtlich in erster Linie dazu gedacht sind, den Film zu strecken. Dieser Art vergehen über 40 Minuten, erst dann schleicht jemand in genretypischer Point-of-View-Perspektive durchs Haus und streift sich eine Maske über – das Whodunit? beginnt, ohne dass bisher wirklich etwas geschehen wäre, der Verdacht lastet natürlich auf Otis. Im Anschluss kommt es zur ersten wirklichen Sexszene, was die Dialoge nun endgültig wie aus einem Porno entlehnt klingen lässt: „Jedes Mal, wenn ich mich umdrehe, seh‘ ich eine andere Waldnymphe!“ – „Ich brauche ein paar Eier!“ … Marie fummelt daraufhin an einem Kuheuter herum und lässt die Milch spritzen, mehr sexuelle Metapher geht nicht – und diese ziehen sich weiterhin durch stumpfsinnige Dialoge voller Zweideutigkeiten.

Doch dann, nach 50 Minuten: Der erste Mord – endlich! Kommt „Killer hinter der Maske“ jetzt in Fahrt? Nein. Er zeigt eine unheimlich in die Länge gezogene Striptease-Tanz-Szene zu Tango-Klängen, während der Nicky sich zu schminken beginnt… und trotzdem schafft die Dame es nicht, sich komplett ihrer Kleidung zu entledigen, bevor der Killer eingreift. Schon nach knapp 70 Minuten wird die Identität des Täters enthüllt, sein Motiv bleibt trotz Gelabers von Gouverneur, Boot etc. reichlich unklar, wie so vieles: Statt es direkt zu töten, spannt er sein weibliches Opfer auf eine Kreissäge und lässt es dort einfach liegen, nachdem er das Gerät nicht in Betrieb bekommt. Zugute halten muss ich Paulsen an dieser Stelle, dass er im Gegensatz zu den vielen anderen Merkwürdigkeiten immerhin hierauf zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurückkommt. Die Hinterwäldler erweisen sich letztlich als (Achtung, Spoiler!) rote Heringe, denn sie avancieren zu Rettern in der Not. Die Kettensäge, auf die der Zuschauer seit dem Prolog hofft, kommt indes nur sehr zögerlich zum Einsatz.

„Killer hinter der Maske“ wirkt von der ersten bis zur letzten Minute nicht nur in Hinblick auf die Geschichte, die er zu erzählen versucht, reichlich unausgegoren, sondern auch in technischer und stilistischer Hinsicht. Er ist ein auch für die 1970er ausgesprochen langsamer Film, dessen Schauspieler sich häufig in Zeitlupe zu bewegen scheinen und sich lange Sprechpausen erlauben. Er würfelt zwar einen Haufen Menschen (interessanterweise keine Jugendlichen, sondern Erwachsene) im Hinterland zusammen, lässt ihre Libido feildrehen und hetzt einen Killer auf sie, schafft es jedoch dennoch nicht, wohlige Slasher-Atmosphäre zu entwickeln; stattdessen fühlt man sich wie in einer Mischung aus Obere-Zehntausend-Seifenoper, peinlichem Softsex-Abenteuer und dem misslungenen Versuch eines Horrorfilms. Die musikalische Untermalung bleibt oft stumm, dudelt dann und wann unmotiviert vor sich hin, gefällt aber zumindest dann, wenn sie ihr stimmiges Gepfeife bzw. Flötentöne einsetzt. Die Schauspieler werden kaum gefordert und wussten mit ihren mies charakterisierten Rollen vermutlich selbst kaum etwas anzufangen. Ganz zu schweigen davon, dass Paulsen hier kaum etwas von Dramaturgie, Spannungsaufbau und Timing verstand. Fazit: Wer bei handwerklich einwandfreien Standard-Slashern schon abwinkt, sollte sich einmal anschauen, was hier fabriziert wurde – spätestens dann dürfte man wieder wissen, was man an ihnen hat. Ich gebe 4 von 10 Männer-Hot-Pants für diesen leidlich unterhaltsamen Film, der hier und da zumindest ein paar gelungene Einzelszenen vorweisen kann, vor allem aber irgendwie auf eine Weise neben der Spur ist, dass es fast schon wieder Spaß macht. Betonung auf „fast“.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 19. Feb 2014, 22:02
von buxtebrawler
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Blacula
Der afrikanische Prinz Manuwalde (William Marshall) wird im 18.Jahrhundert von Dracula gebissen und vampirisiert, dann aber in einem Sarg eingesperrt. Dort ruht er, bis er 1972 versehentlich in Los Angeles befreit wird. Als er in der jungen Tina seine ehemalige Braut Luva wiederzuerkennen glaubt, bringt er sie in seine Gewalt. Deren Freund Dr. Gordon Thomas durchschaut jedoch bald die Angelegenheit, als immer mehr von Draculas Opfern als Vampire durch die Gegend schleichen und eröffnet mit der Polizei die Jagd auf den schwarzen Blutsauger...
„Der Straßenfeger für den Neger!“ (Oliver Kalkofe)

Die Blaxploitation-Welle trieb anscheinend manch recht kuriose Blüte und machte auch vor dem Horror-Genre nicht halt. Neben Filmen wie „Abby“, „Dr. Black, Mr. Hyde“ und „Blackenstein“ gibt es mit „Blacula“, dem Regie-Debüt des US-Regisseurs William Crain aus dem Jahre 1972, auch eine dunkelhäutige Vampir-Variante, die ich doch tatsächlich als Heranwachsender und ohne einen, äh, „blassen“ Schimmer vom Blaxploitation-Phänomen im Nachtprogramm eines Privatsenders sah und dank der „Die schlechtesten Filme aller Zeiten“-Reihe auf Tele5 in den Genuss einer Zweitsichtung kam.

Im Jahre 1790 reisen der afrikanische Prinz Mamuwalde (William Marshall, „Abby“) und seine Frau Luva (Vonetta McGee, „Ich, die Nonne und die Schweinehunde“) quer durch Europa, um unter den Adligen Verbündete im Kampf gegen den Sklavenhandel zu finden. Eines Tages gerät er dabei auch an den Grafen Dracula (Charles Macaulay), der von dieser Idee alles andere als begeistert ist, sich ganz im Gegenteil als mieser Rassist entpuppt, Mamuwalde kurzerhand ebenfalls zu einem Vampir macht, ihn „Blacula“ tauft und zusammen mit Luva in einer Grabkammer einkerkert. Rund 200 Jahre später erstehen zwei Innenarchitekten aus Los Angeles, USA, Draculas Schloss inklusive Mamuwaldes Sarg und lassen diesen zusammen mit anderen Reliquien in ihre Heimat liefern. Nach Öffnung des Sargs stürzt sich Blacula zunächst auf die beiden jungen Männer und treibt anschließend auf den Straßen und in den Nachtclubs der Stadt sein Unwesen. Als er auf die junge Tina trifft, die seiner dahingeschiedenen Luva wie aus dem Gesicht geschnitten scheint, verliebt er sich unsterblich in sie. Doch der besonders engagierte Dr. Gordon Thomas (Thalmus Rasulala, „Lambada – Heiß und gefährlich“) hält nicht viel von dieser Art Romantik und schickt sich an, dem finsteren Treiben ein Ende zu bereiten...

„So was von einem flegelhaften Nigger ist mir ja noch nie über den Weg gelaufen!“

Nach einer tanzbaren funky Titelmelodie, die zu einer langen, liebevoll animierten Introsequenz ertönte, wähnte ich mich bald in einer Gay- statt Blaxploitation, denn die beiden Sargkäufer (wohlgemerkt einer von ihnen mit Afro) wurden derart tuntig überzeichnet, dass man knietief durch Schwulenklischees watet. Die Sarg-Transportszene wurde übrigens mir nichts, dir nichts aus „Junges Blut für Dracula“ gemopst. Doch schwamm drüber, dafür sieht Blacula durchaus imposant aus, da wurde gute Maskenarbeit geleistet. Dass er bedeutungsschwanger langsam durch die Gegend latscht und dabei irre lacht, wirkt jedoch eher belustigend denn unheimlich und trägt auch nicht dazu bei, der Blutsauger-Sause Gruselstimmung oder wirkliche Vampir-Atmosphäre einzuhauchen. Das könnte zum einen an den minutenlangen Soul-Gesangseinlagen im Nachtclub liegen, die zwar direkt in die Beine gehen, deren Interpreten dazu aber eher im Fremdschambereich tanzen. Zum anderen scheint dies auch nicht unbedingt Intention der Filmemacher gewesen zu sein, die sich zwar genüsslich in Vampir- und Schwarzen-Klischees suhlen, ihre Handlung jedoch nicht unbedingt ernst und es mit der inneren Logik nicht sonderlich genau nehmen. So findet sich Blacula offenbar problemlos bestens im Los Angeles des 20. Jahrhunderts zurecht, während um ihn herum manch alberner Spruch gerissen wird. Aber immerhin verwandelt er sich in eine Fledermaus und steuert Tina per Telepathie, bis sie von einem idiotischen Bullen erschossen wird. Die Vampirisierung der Opfer Blaculas tritt unmittelbar ein und macht sie zu ansehnlichen Untoten, für deren Erscheinungsbild man sich Mühe gab und sie auch in schöne Stunts schickt, indem man sie anzündet. Das Finale fällt dann recht durchschnittlich aus, dafür actionreich und mit einer netten tragisch-romantischen Note.

„Blacula“ ist schon in gewisser Weise trashig, wirkt aber gefangen im Niemandsland zwischen ernstgemeint und karikierendem urbanem Ethno-Spaß, ist nett anzusehen, aber nicht wirklich spannend. Guten Ideen folgen schluderigen Vernachlässigungen von Mindeststandards, der Gruselfaktor der Masken und Make-ups sowie der Thematik an sich wird untergraben vom beschwingten Soul, Funk und Groove, der sich nicht nur in der Filmmusik wiederfindet, sondern auch im poppigen Inszenierungsstil. So richtig gut ist „Blacula“ nicht, aber auch nicht richtig schlecht. Kritik scheint er sich durch Ironisierung entziehen zu wollen, mit einer Horrorkomödie möchte er dennoch nicht verwechselt werden. Unter Berücksichtigung seiner Originalität lege ich mich auf glatten Durchschnitt fest; unbedingte Blaxploitation-Fans wiederum dürften evtl. mehr an ihm finden als ich.