Folge 83: Das goldene Pflaster
D 1974
R: Wolfgang Becker
Während Kommissar Keller sich in Wien von einer Schußverletzung (die er in Folge 82 erlitt) kurieren lässt, hat zuhause in München sein Team einen Mord an einem illegalen türkischen Gastarbeiter zu tun. Da er kein Geld hatte, um seine Schlepper vorab zu bezahlen, musste er nun in Deutschland Teile seines Verdienstes an die Menschenschmuggler abführen - und genau dies wollte er nun nicht mehr tun, wie die Beamten von Murada, der Tochter des Ermordeten erfahren, die in Ingolstadt als Ingenieurin arbeitet. Ihr kleiner Bruder kann den Geldkassierer der Organisation identifizieren, und über ihn führt die Spur zu dem Geschäftsmann Kolschak, der sich mit dem Geld mit dem Nachtzug auf nach Wien macht. Kurzerhand besteigen Grabert, Heines, Erwin Klein und Murada ebenfalls diesen Zug, Heines gar als Abteilgefährte von Kolschak. Der aber durchschaut ihn und kann mit Hilfe eines halsbrecherischen Wiener Taxifahrers, der schon mal über den Bürgersteig rast ("Sehens eh, die Straßen is blockiert!") und 1000 Schilling Extra-Fahrpreis die österreichische Polizei abhängt. Mit Mord allerdings will Kolschak nichts zu tun haben und erklärt sich bereit, sich mit Kommissar Keller und Oberinspektor Gruber in einem Kaffeehaus zu treffen, wird aber just in dem Moment, als er es betreten will, von einer MG-Salve dahingerafft. Doch es gibt noch eine Spur, die zu einem heruntergekommenen Lokal am alten Hafen führt...
Die einzige echte Giftschrank-Folge der Serie (zwei weitere sind meines Wissens aufgrund urherberrechtlicher Probleme gesperrt) führt in die auch heute stets aktuelle Thematik um Schleuserbanden und illegale Zuwanderung. Auch wenn natürlich die Lösung des Falles im Mittelpunkt steht, wirft die Folge doch einen interessanten Blick auf die Gastarbeiter-Welt des Jahres 1974, kurz nachdem der Anwerbestopp für Gastarbeiter in Kraft getreten war. In dem Münchner Mietshaus, in dessen Hof der Mord passiert, wohnen überwiegend Illegale, wie auch das Mordopfer selbst, die die Leiche zu einer nahegelegenen Baustelle verbringen, weil sie (zu Recht) Probleme befürchten, wenn die Leiche am eigentlichen Tatort gefunden wird. Der Polizei erscheint jedoch gerade verdächtig, dass die verbleibenden legalen türkischen Hausbewohner bei der Befragung
zu schnell ihre Ausweise zur Hand haben. Die Dialogszenen unter den Türken sind konsequenter auf türkisch gehalten und nicht untertitelt. Murada, die Tochter des Ermordeten, ist eine attraktive und selbstbewusste Frau, die allerdings nicht auf ein Kopftuch verzichtet. Ihr ist vollkommen bewusst ist, dass sie nur mit hervorragenden Sprachkenntnissen eine Aufstiegsschance hat, die sie auch nutzt und als Ingenieurin arbeitet. Ihr Vater hingegen durfte aus gesundheitlichen Gründen nicht legal einreisen und wurde so zum illegalen Arbeiter. Und in der weiteren Familie ist ebenfalls macher legal hier und mancher nicht. Woran will man die Kriterien festmachen? Im "Zwischenschleusungspunkt" Wien werden die Illegalen in heruntergekommenen alten Ställen zusammengepfercht, bevor es nach Deutschland weitergeht. So großartig anders dürfte das auch 40 Jahre später nicht ablaufen. Man sollte nun keine ausgefeilte gesellschaftskritische Studie erwarten, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass man in der Zeit von 1974 an durchaus einiges mehr für die Integration von Zuwanderern hätte machen können.
So ist es eine interessante Folge, die auch durch den zweiten Schauplatz Wien und Fritz Muliar als Oberinspektor mit Wiener Schmäh dazugewinnt.
Die Verbannung in den Giftschrank ist natürlich a Schmarrn, der darauf zurückzuführen ist,
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dass sich ein Mitarbeiter der türkischen Botschaft in Wien als Organisator des Schlepperrings entpuppt, was empörte Beschwerden türkischer Diplomaten in Deutschland und Österreich nach sich zog.
Erbärmlich! In den Zeiten von Sultan Erdogan I. dürfte die Reaktionen allerdings auch heute noch wieder so ausfallen.