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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 25. Mär 2014, 16:45
von buxtebrawler
Und dann sah ich zum wiederholten Male den hier, diesmal im Kino:
buxtebrawler hat geschrieben:Bild
Nackt unter Kannibalen
Die Reporterin Emanuelle ist einem neuen Fall für ihre Zeitung auf der Spur. Merkwürdige Todesfälle in einem New Yorker Krankenhaus veranlassen die Schönheit, mit einer versteckten Kamera als Spionin tätig zu werden. Dabei wird sie Zeugin eines grausamen Vorfalls: Eine frisch eingelieferte Frau beißt einer Krankenschwester die Brust ab. Bei einer Untersuchung der kannibalistisch veranlagten Frau wird eine Tätowierung entdeckt. Emanuelle wittert eine Sensationsstory und zusammen mit dem Naturforscher Mark Lester stellt sie einen Zusammenhang zwischen der Tätowierung und einem Volk im Gebiet des Amazonas fest. Mark und Emanuelle machen sich auf den Weg zum Amazonas, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen...
„Sie hat ihr ein Stück vom Busen rausgerissen und aufgegessen!“ – „Ich hab’ ihre Akte heute Morgen gelesen, da stand drin, dass sie aus Südamerika stammt...“

Einmal mehr spielt die exotische Schönheit Laura Gemser die dauergeile Sensationsreporterin Laura alias „Black Emanuelle“, die ihre Sexualität auch gern mal zur Freude des Zuschauer als überzeugendes Verhandlungsargument einsetzt. Italo-Regisseur Joe D’Amato („Man-Eater“) versuchte sich diesmal an einem Rip-Off der seinerzeit populären Kannibalen-Horrorfilme, so dass wir es hier mit einem Crossover aus Non-HC-Erotik und Gore-Geschmodder zu tun bekommen, der natürlich wieder einmal auf wahren Tatsachen beruht...

Nach einigem Vorgeplänkel in der Zivilisation inkl. einer brustbeißenden Krankenhauspatientin geht es, kurz bevor man als Zuschauer Fräulein Gemser zustimmen und ebenfalls „Das sind ja grauenvolle Aufnahmen, aber mich interessiert eigentlich mehr Südamerika!“ konstatieren möchte, endlich an den Amazonas bzw. das, was D’Amato uns dafür verkaufen will. Dort trifft man auf einige Nebendarsteller wie Mónica Zanchi als ebenfalls zeigefreudiges Luder, Donald O’Brien als undurchsichtigen Unsympathen sowie Nieves Navarro als dessen Frau Maggie, die der Gemser hier flugs in Sachen Sleaze den Rang abläuft. Und irgendwann eben auch auf die im Gegensatz zu Deodatos unerreichtem „Cannibal Holocaust“ hier hoffnungslos eindimensional als irre Wilde, die frischen Gedärme ihrer Opfer roh verschlingenden und Geschlechtsorgane abtrennenden gezeichneten Kannibalen inkl. einiger mittelprächtiger Spezialeffekte.

Das ist natürlich alles hübsch zusammengeklaut und 100%ig „geschmackssicher geschmacklos“, schwüle Dschungelatmosphäre will in den sehr offensichtlich europäischen Drehorten so recht keine aufkommen. Jedoch kann „Nackt unter Kannibalen“ auf „seriöser“ Ebene durchaus mit seiner schwelgerisch-schönen Kameraarbeit sowie einem wirklich gelungenen, eingängigen Soundtrack punkten. Der Gipfel der Komik allerdings ist Lauras pseudomoralisches Gequatsche am Ende – herrlich!

Fazit: Ein Sleaze’n’Gore-Exploiter, der eigentlich zu keiner Sekunde vorzugeben versucht, etwas anderes zu sein und erwartungsgemäß konsequent von D’Amato umgesetzt wurde. Auf jeden Fall um Klassen besser als ähnliche Gehversuche beispielsweise eines Jess Francos. Ob es das Publikum Ende der 1970er sonderlich prickelnd fand, erst von diversen attraktiven Nackedeis stimuliert zu werden, um im nächsten Moment einer Kastrationsszene beizuwohnen, entzieht sich aber meiner Kenntnis...
Macht schon Spaß im Kino, auch wenn die deutsche Kinofassung doch arg um Gewalt erleichtert ist und somit der Sleaze-Faktor überwiegt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 27. Mär 2014, 15:44
von buxtebrawler
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Benny & Joon
Benny und Joon sind Geschwister, leben zusammen und befinden sich in einer schwierigen Situation. Einerseits möchte Benny ein normales Leben führen, das in erreichbare Nähe rückt, als er sich frisch verliebt, andererseits hängt er jedoch an seiner neurotischen Schwester, die er mit ihren tausend Macken weder einliefern, noch alleinlassen will. Da kommt eines Tages ein exzentrischer junger Mann in die Stadt, Sam, der seinem großen Idol Buster Keaton nacheifert. Wider Erwarten verstehen sich Sam und Joon ausgezeichnet, doch das weckt ausgerechnet Bennys Argwohn...
Die zweite Regiearbeit des Kanadiers Jeremiah S. Chechik nach der populären Weihnachtskomödie „Schöne Bescherung“ ist das romantische US-Komödiendrama „Benny & Joon“ aus dem Jahre 1993 mit Johnny Depp („Edward mit den Scherenhänden“) in einer der Hauptrollen.

Seit dem Unfalltod ihrer Eltern lebt die junge Frau Joon (Mary Stuart Masterson, „Die Frauen von Stepford“) mit ihrem älteren Bruder Benny (Aidan Quinn, „Crusoe“) zusammen. Joon hat schwere psychische Störungen davongetragen und ist zu einer Gefahr für sich und andere geworden. Benny arbeitet als Automechaniker und fungiert zudem als Betreuer und Vormund seiner Schwester. Unter dieser Mehrfachbelastung ist an eine normale Partnerschaft nicht zu denken. Durch Zufall lernt Joon jedoch eines Tages den exzentrischen Sam (Johnny Depp) kennen, den Benny bei einer Pokerpartie mit seinen Arbeitskollegen „gewann“. Er zieht zu Benny und Joon, verdingt sich als Haushälter – und scheint die erste Haushaltshilfe zu sein, die Joon nicht vergrault. Im Gegenteil, sie findet Gefallen an dem jungen Mann, der sie mit seinen Kunststückchen und seinem außergewöhnlichen Lebensentwurf prächtig unterhält. Als sich die beiden jedoch ineinander verlieben, eskaliert die Situation…

Johnny Depp begeistert in „Benny & Joon“ mit seinen Buster-Keaton- und Charlie-Chaplin-Imitationen und anderen clownesken Choreographien, um die der Film unschwer zu erkennen herumkonstruiert wurde. Doch eben diese Rahmenhandlung ist der frappierende Schwachpunkt des Films: Auf höchst naive und erschreckend oberflächliche Weise thematisiert „Benny & Joon“ das Zusammenleben mit einer psychisch kranken Person, die auch schon einmal Gefahr läuft, das gemeinsame Haus abzufackeln. Zwar stellt der Film die Einschnitte, die die Betreuung für Bennys Privatleben bedeuten, zumindest ansatzweise dar, bleibt jedoch die Antwort schuldig, wie jemand wie Sam eigenverantwortlich überlebensfähig sein soll und romantisiert das Aufeinandertreffen zweier gestörter Menschen, das Joon angeblich über ihre Krankheit hinweghilft. Was bis hierhin trotz aller Unwahrscheinlichkeiten zumindest nett anzusehen ist, erfährt eine unverständliche Wendung, als Benny ohne ersichtlichen Grund seine Schwester wütend beschimpft und dann doch in eine stationäre Pflegestation gibt, nachdem er von der Liebe zwischen beiden erfahren hat. Das ist nur schwer nachvollziehbar, wirkt alles andere als glaubwürdig und soll sehr offensichtlich lediglich die Dramatik verschärfen, bevor sich selbstverständlich alles zum Guten wendet und im selben Abwasch auch Benny eine Partnerin kennenlernt. Wenn es doch nur alles so einfach wäre…

Seine Intention, eine Lanze für psychologisch auffällige Mitmenschen zu brechen, unterwandern Chechik und die Drehbuchautoren ungewollt, indem sie sich in sichten Oberflächlichkeiten und Klischees ergehen, eine naive „Alles-nicht-so-schlimm“-Botschaft transportieren und damit unter Beweis stellen, von der behandelten Materie eigentlich keinen Schimmer zu haben. Nicht persönlich betroffene Zuschauer bekommen ihre kleine Portion heiler Welt ab und eine verklärende, verzerrte Darstellung mit auf den Weg, die eines in der Realität ganz sicher nicht bewirkt: Verständnis für tatsächlich Kranke. Dennoch positiv: der Titelsong „I’m Gonna Be (500 Miles)“ der Proclaimers, der durch den Film zum Hit wurde.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 28. Mär 2014, 15:28
von buxtebrawler
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Tote Zeugen singen nicht
Kommissar Belli (Franco Nero), ein Mann, der für seine brachialen Methoden bekannt ist, kämpft in Genua gegen einen europaweit agierenden Drogenring. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, doch als sich im Verlauf der Ermittlungen herausstellt, dass die Verbindungen der Gangster bis in die höchsten politischen Kreise reichen, bekommt Belli die Gewalt am eigenen Leib zu spüren. Cafiero (Fernando Rey), ein altmodischer Gangster, der sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, steht ihm ratschlagend zur Seite. Doch auch er weiß: es wird wieder Blut fließen...
„Mohnblumen sollten Sie züchten!“ – „Ihr Bullen – immer einen schlechten Scherz!“

„Tote Zeugen singen nicht“ aus dem Jahre 1973 – das ist der Einstand des italienischen Filmemachers Enzo G. Castellari („Ein Bürger setzt sich zur Wehr“) ins Poliziesco-Genre, die erste von vielen Zusammenarbeiten mit Franco Nero („Django“), der hier die Hauptrolle bekleidet, und dürfte stilbildenden Einfluss auf das Genre ausgeübt haben.

„Du hast Scheiße im Gesicht!“

Die internationale Drogenmafia expandiert und neue, äußerst brutale und skrupellose Kräfte überziehen Genua mit Gewalt und Mord, um sich ihr Revier zu schaffen. Kommissar Belli (Franco Nero) versucht verzweifelt, den Verbrechern das Handwerk zu legen, sucht gar die Kooperation des alternden Mafiapaten Cafiero (Fernando Rey, „Brennpunkt Brooklyn“), der sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hat und Belli ausdrücklich vor der Rücksichtslosigkeit der neuen Generation warnt. Bellis Vorgesetzter Scavino (James Whitmore, „Formicula“) sammelt seit langer Zeit belastendes Material, möchte jedoch weiter mit der Anklage warten, bis er über entscheidende Informationen zu den Hintermännern verfügt. Doch Belli ist ungeduldig und hält diese Vorgehensweise angesichts der grassierenden Brutalität für falsch. Aber tatsächlich führen die Spuren zu hohen Herren, denen bislang nichts angelastet werden konnte – und die vor wirklich gar nichts zurückschrecken, wie Belli schmerzhaft erfahren muss…

„Worauf wollen Sie hinaus?“ – „Auf einen tödlichen Sport, genannt ‚Politik‘!“

„Tote Zeugen singen nicht“ paart die Action Di Leo’scher Gangsterstreifen à la „Der Teufel führt Regie“ mit dem systemkritischen Ansatz eines Damiani aus „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ und der besessenen Polizeiarbeit auch US-amerikanischer Vorbilder, die von Maurizio Merli unter Umberto Lenzi und anderen auf die Spitze getrieben wurde, häufig aber auch durch ihre gnadenlosen Überzeichnungen nicht 100%ig ernstgenommen werden konnte. Castellaris Film hingegen ist durchgehend um absolute Ernsthaftigkeit bemüht, grimmig und kulturpessismistisch. Zur aufpeitschenden Funk-Musik der De-Angelis-Brüder eröffnet „Tote Zeugen singen nicht“ mit Bellis Jagd auf den „Libanesen“ in Form einer überaus rasanten Verfolgung über eine Hochstraße inkl. Blechschäden und gewagten Stunts. Tatsächlich wird der „Libanese“ geschnappt, doch der Polizeiwagen mit ihm als Insassen kurzerhand in die Luft gesprengt – Polizisten und ein kleines Mädchen sterben, Belli überlebt mehr durch Zufall. Spätestens jetzt weiß der Zuschauer bereits, womit er es hier zu tun bekommt: mit Verbrechern, die keinerlei Grenzen mehr kennen, keinen Ehren- oder Moralkodex, wie er dann und wann mafiösen Strukturen zugesprochen wird, stattdessen nackte Gewalt als Allzweckmittel inflationär einsetzen, die Stadt mit Terror überziehen. Das ist Castellaris überspitzte Sichtweise auf das gewaltgebeutelte Italien der 1970er, die er für keinen lässig-coolen Ein-Mann-Krieg-Action-Film aufgreift, sondern für einen Thriller voller Emotionen wie Wut, Verzweiflung, auch Trauer.

„Aber wem helfen wir? Den Privilegierten, von denen alles bestimmt wird, denen, die bezahlen!“

Kommissar Belli wird als von seiner Arbeit besessener, cholerischer, mit dem Mut der Verzweiflung vorgehender Mann, dem bei Vernehmungen und Ermittlungen auch schon einmal die Hand ausrutscht, charakterisiert. Die Handlung offenbart Einblicke in sein Privatleben, das spürbar unter seiner Arbeit leidet. Er hat eine Freundin (Delia Boccardo, „Die Klette“) und eine kleine Tochter (Castellari-Tochter Stefania Girolami Goodwin, „Racket“); letztere kommt ihn besuchen, beschwert sich über den Zustand seiner Wohnung und räumt erst einmal auf… Dass seine Freundin im späteren Verlauf überfallen und zusammengeschlagen werden wird, ahnt Belli zu diesem Zeitpunkt genauso wenig voraus wie den ultrabrutalen Tod seiner Tochter. Die verfeindeten Mafia-Clans liefern sich tödliche Schießereien, Cafiero-Untergebener Rico (Daniel Martin, „Für eine Handvoll Dollar“) ist zum Gegner übergelaufen. Ein Gangster überfährt einen Mann per Motorrad im Park; Castellari filmt den Angriff teils aus subjektiver Point-of-View-Perspektive des Fahrers, teils mit Wackelkamera und lässt den Angreifer komplett in schwarzes Leder gekleidet besonders bedrohlich erscheinen. Ein schöner Kunstgriff in einem Film, in dem sich Castellari ansonsten als handwerklich weniger filigraner Mann fürs Grobe gibt und selbst einen kleinen Auftritt als Moderator auf einer Yacht hat. Hier wird eindeutig mehr geklotzt als gekleckert, selbst die Wortgefechte zwischen Belli und Scavini sind aufbrausend. Immer wieder appelliert Scavini an Belli, geduldig zu sein, um die wirklich großen Fische fangen zu können, während Belli die immer mehr einer Anomie gleichenden Umstände auf der Straße vor Augen hat und nicht versteht, weshalb Scavini auf seinen Ermittlungsergebnissen sitzt. Der Zuschauer kann sich noch nicht sicher sein, ob Scavini nicht evtl. ein falsches Spiel spielt, doch beseitigt auch Scavinis Tod kurz nach dessen Umdenken alle Zweifel. Auch Überläufer Rico gerät erneut ins Kreuzfeuer und wird kurz vor seiner Flucht brutal ermordet. Und zum Finale hin legt Castellari glatt noch ein paar Scheite nach und aus dem hohen Tempo des Films wird fast schon Hektik, bis eine ausgedehnte Schießerei im Rahmen des actionreichen Showdowns viele weitere Tote kostet und man schließlich doch noch an die „Saubermänner“ im Hintergrund herankommt.

Castellaris vornehmlich auf Action setzender Film ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich auch ein sicherlich häufig spekulativer Actionstreifen mit Aussage und Niveau kombinieren lässt, wie charismatische, erfahrene Schauspieler internationaler Herkunft und Formats zu seinem Gelingen beitragen und wie nachvollziehbare Emotionen ein aus der harschen Realität abstrahiertes, beinahe-apokalyptisches Bild spannend und unterhaltsam präsentieren können, ohne auf den Stammtischfaktor der Lynchjustiz oder die distanzschaffende Comichaftigkeit zu setzen. Auch davon losgelöst hat „Tote Zeugen singen nicht“ bisweilen seine visuelle Ästhetik, die Aufmerksamkeit erregt, bleibt jedoch stilistisch noch hinter späteren, künstlerischeren Werken Castellaris zurück. Dessen häufig einfließende Sozialkritik findet sich jedoch unverkennbar bereits hier; nicht nur im Aufgreifen der Verquickung von Wirtschaft, Politik und Mafia, sondern auch im am Rande zusätzlich thematisierten Arbeitskampf. Ob es nun unbedingt sein musste, immer wieder Bellis Gedanken und Erinnerungen an vorausgegangene Szenen zu zeigen und dadurch dem Zuschauer sämtliche Arbeit abzunehmen, sei einmal dahingestellt. Meines Erachtens wäre hier auch erzählerisch noch etwas Luft nach oben gewesen, doch der positive Gesamteindruck überwiegt ohne Zweifel.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 1. Apr 2014, 17:59
von buxtebrawler
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Ein Bürger setzt sich zur Wehr
Nach einem Überfall auf eine Postfiliale wird Carlo Antonelli (Franco Nero) von den Gangstern entführt und aufs übelste zusammengeschlagen. Enttäuscht von der Polizei die nicht fähig ist ihm zu helfen, startet Antonelli seinen ganz eigenen Rachefeldzug.
„Wo bleibt denn die scheiß Polizei?!“

Nach der erfolgreichen ersten Zusammenarbeit des italienischen Regisseurs Enzo G. Castellari mit Franco Nero („Django“), der die Hauptrolle in „Tote Zeugen singen nicht“ bekleidete, folge ein Jahr später (1974) eine weitere Kollaboration für den Poliziesco „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ alias „Ein Mann schlägt zurück“. Strenggenommen handelt es sich jedoch vielmehr um einen Selbstjustiz-Thriller aus Sicht eines „einfachen Bürgers“ denn um einen Polizeifilm, offenkundig beeinflusst von Michael Winners „Ein Mann sieht rot“.

Carlo Antonelli (Franco Nero) bringt sein redlich verdientes zur Post und hat es gerade auf den Tresen gelegt, als die Filiale von drei bewaffneten Verbrechern (Romano Puppo, „Fireflash – Der Tag nach dem Ende“, Massimo Vanni, „The Riffs – Die Gewalt sind wir“, Nazzareno Zamperla, „Hügel der blutigen Stiefel“) überfallen wird. Sie rauben den Laden aus und als Carlo sein Geld schnell wieder einstecken möchte, wird er nicht nur bedroht, sondern auch noch als Geisel auserkoren und auf der Flucht brutal zusammengeschlagen. Die Verbrecher entkommen, Carlo wird auf die Straße geworfen. Doch was Carlo wirklich empört, ist die Reaktion der Polizei, für die Fälle wie dieser Alltag zu sein scheinen und die Carlos Schicksal keine größere Bedeutung beimessen. Carlo fühlt sich nicht ernstgenommen; voller Wut versucht er selbst, das Trio ausfindig zu machen. Tatsächlich gelingt es Carlo, auf die Spur seiner Entführer zu kommen, doch die Polizei bleibt passiv. Entgegen der Appelle seiner Freundin Barbara (Barbara Bach, „Malastrana“) nimmt er das Gesetz selbst in die Hand…

„Gesetze sind wie Spinnweben: Sie fangen die kleinen Fliegen, aber die dicken Brummer reißen Löcher hinein!“

Anhand einer Abfolge brutaler Verbrechen und Morde skizziert Castellari zu Beginn das allgemeine gesellschaftliche Klima, in dem das Unrecht grassiert und zunehmend den Alltag bestimmt. Eine gesungene Hippie-Rock-Melodie macht mit dem Soundtrack der De-Angelis-Brüder vertraut, der sich abwechslungsreich durch den Film zieht. Auf Carlos beschriebene unfreiwillige Verwicklung in den Überfall der Postfiliale folgt eine gewohnt rasante Verfolgungsjagd per Kfz inkl. einiger Stunts. Der unbescholtene, bislang wenig auffällige Ingenieur Carlo reagiert empört, als die Polizei ihm ankreidet, sich gewehrt zu haben. Dies erschüttert Carlos Glaube an Recht und Gesetz derart, dass er ob der erfahrenen Ungerechtigkeiten, vor allem durch die Reaktion der Polizei, vollkommen aufgewühlt ist und die Welt nicht mehr versteht. Sein zuvor anscheinend leicht naives Vertrauen in die Justiz ist zerstört und aus dem braven, angepassten Bürger wird das genaue Gegenteil: Seiner Frau gegenüber rutscht ihm die Hand aus und wie besessen gilt sein Hauptaugenmerk fortan der Suche nach den Verbrechern – woran sich auch nichts ändert, als er zunächst auf Granit beißt und auch noch sein Auto demoliert wird. Schließlich greift er selbst zu unlauteren Methoden und erpresst den Kleinkriminellen Tommy (Giancarlo Prete, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“), um u.a. an Waffen zu gelangen.

Die Entmenschlichung der Gangster durchbricht der Film, als er Tommy von dessen Sozialisation erzählen und zarte Freundschaftsbande zu Carlo knüpfen lässt. Mit Tommys Hilfe gelingt es Carlo tatsächlich, an die Gangster heranzukommen und er lässt sich von ihm zu deren Versteck fahren. Dort jedoch erwarten ihn abermals böse Prügel und Erniedrigung. Castellari lässt einen wilden Rocksong ertönen, für den der normale Filmton mitsamt Sprache und Geräuschen gänzlich verstummt. Spätestens hier beweist der zugegebenermaßen diesmal leicht zum Overacting neigende Franco Nero seine schauspielerische Klasse, Entsetzen und Verängstigung stehen ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Die Action-Schraube wird nach dem harten Einstieg wieder deutlich angezogen, Castellari arbeitet mit dramatischen Zeitlupen, Nero mit einer Schaufel und die Make-up-Abteilung mit viel Geschick, wenn sie den Hauptdarsteller völlig fertig, mehr tot als lebendig aussehen lässt. Schon längst ist „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ kein „Ein Mann sieht rot“-Plagiat mehr, wenn es denn je eines war.

Carlos Wohnung wird in Brand gesetzt und damit eine Brücke zum Prolog geschlagen. Durch Druck auf die Polizei beginnt diese, Aktionismus zu betreiben – eine perfide Taktik. Eine Entführung wird fingiert, die Unterwelt reagiert zunehmend entnervt auf den Vigilanten. Das erwartet actionreiche Finale hat einen tragischen Ausgang. Am Ende bleibt fraglich, ob Carlo nun die Verbrecher mit ihren eigenen Waffen geschlagen hat, ob er seine Unschuld verloren und selbst Leid verursacht oder die Gesellschaft von wenigstens ein paar kriminellen Elementen befreit hat, ob er den Tod eines Freundes zu verantworten hat, ob er sich selbst in Lebensgefahr begeben und letztlich nur Glück gehabt hat und ob er Vorbildfunktion einnehmen sollte oder vielleicht doch besser nicht. Die Polizei ist sich sicher und erpresst ihrerseits Carlo im Epilog. Der Zuschauer ist angehalten, gern noch ein wenig über das Gesehene nachzudenken, denn Carlos Charakter wurde offenbar bewusst ambivalent gezeichnet und macht ihn nicht zum strahlenden Helden der Selbstjustiz. Stattdessen zeigt „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ das fragile Verhältnis zwischen Bürgern und Rechtsstaat und mögliche Folgen, beginnend mit emotional verstörendem Vertrauensverlust und mündend in Mord und Totschlag. Vermeintlich einfache Lösungen sowie jeglichen reaktionären Ansatz behält der Film für sich und ist nicht nur deshalb in keiner Weise als glorifizierend zu betrachtend. Zu einem beträchtlichen Anteil kann „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ durchaus auch als Psychogramm eines naiv an die für Gerechtigkeit sorgende Obrigkeit glaubenden Mannes betrachtet werden, der letztlich ebenso viel kriminelle Energie in sich birgt wie diejenigen, vor denen er beschützt werden möchte. Ferner zeigt Castellari, wie schnell man selbst zum Kriminellen werden kann.

Verglichen mit dem eher schroff inszenierten Vorgänger „Tote Zeugen singen nicht“ wirkt „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ visuell edler und wartet mit einigen echten Kamera-Kunstgriffen auf. Der Soundtrack erlangt mit der lässigen Soul-Nummer „Driving All Around“ seinen Höhepunkt und passt prima zum facettenreichen Geschehen auf der Leinwand. Trotz Castellari auf dem Regiestuhl setzt der Film nicht übertrieben auf Action, sondern reichert die Geschichte mit Buddy-Movie-Einflüssen an. Stunts gibt es dennoch nicht wenige zu bewundern und Franco Nero ließ es sich Überlieferungen zufolge nicht nehmen, sie alle höchstpersönlich durchzuführen. In der Schauspieler-Riege bekommt man neben Nero viele italienische Charaktergesichter zu sehen, beispielsweise Renzo Palmer („Racket“) bei der Polizei oder eben Romano Puppo und Massimo Vanni unter den Gangstern. Barbara Bach hat nicht viel zu tun, ist aber auch stets gern gesehen – ebenso wie der obligatorische Castellari-Cameo. Ein äußerst gelungener, gewohnt harter Genre-Beitrag, der zum Besten zählt, was ich bisher von Castellari gesehen habe!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 2. Apr 2014, 16:56
von buxtebrawler
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Eyes of a Stranger
Jane (Lauren Tewes) ist Reporterin und ihre große Story ist ein Frauenmörder, der auch ihre Schwester zum Opfer fiel. Tracey (Jennifer Jason Leigh) hat zwar überlebt, ist jedoch ihrer sämtlichen Sinne seitdem beraubt. Tatsächlich hat Jane Erfolg, doch das Gesetz will von ihren Erkenntnissen nichts wissen, da die Beweise vor Gericht nicht zugelassen werden würden. Also fängt sie an, den Mann selbst zu terrorisieren, ein gefährliches Spiel, denn der Mörder schlägt zurück...
„Kein Mensch kann sich heute sicher fühlen!“

Zwischen seinen Komödien „King Frat – Die Wildschweine sind los“ und „Das total verrückte Ferien-Camp“ drehte der in erster Linie für die Zombie-Komödien-Fortsetzung „Return of the Living Dead II“ bekannte US-Regisseur Ken Wiederhorn im Jahre 1981 den Spielfilm „Eyes of a Stranger“, der sich überraschend als bierernste Melange aus Thriller und Slasher entpuppt. Die Vermarktungsversuche als „Maniac 3“ hingegen sind grober Unfug, allein schon, weil der ebenfalls nur angebliche „Maniac 2“ (eigentlich: „Love to Kill“) erst ein Jahr später erschien.

In Miami geht ein Frauenmörder um, der seine Opfer zunächst mit obszönen Telefonaten belästigt, um sie anschließend niederzuschlagen, zu vergewaltigen und zu erdrosseln. Die TV-Nachrichtensprecherin Jane Harris (Lauren Tewes, „Love Boat“) hat mit Tracy (Jennifer Jason Leigh, „Dolores“) selbst eine jüngere Schwester, die Opfer eines Missbrauchs wurde und sich seitdem blind und stumm stellt. Durch einen Zufall beginnt Jane, ihren Nachbarn Stanley Herbert (John DiSanti, „Das Wunder in der 8. Straße“) aus dem Hochhaus gegenüber zu verdächtigen, doch ihr Freund David (Peter DuPre, „Naked Space – Trottel im Weltall“), von Beruf Anwalt, schenkt ihr keinerlei Glauben. So ermittelt Jane auf eigene Faust, dreht den Spieß kurzerhand um und versucht, auf Herbert telefonisch Druck auszuüben. Doch schließlich gelangen sowohl Tracy als auch Jane selbst ins Visier des Triebtäters…

Wiederhorns filmischer Auftakt erinnert sicherlich nicht von ungefähr an Fred Waltons Klassiker „Das Grauen kommt um 10“, wenn (nach Bildern eines Wasserleichenfunds) quasi die komplette Durchführung eines Mords durch den Täter gezeigt wird: Eine Frau sitzt allein zu Hause, schaut ausgerechnet Wiederhorns Zombie-Film „Shock Waves“ im Fernsehen und wird von anonymen Anrufen belästigt. Eine dunkle Gestalt schleicht sich unbemerkt ein. Kurze Zeit später klingelt ihr maskierter Freund und sorgt für einen sog. False Scare. Klassischer geht es bis hierhin kaum, diese und ähnliche Motive finden sich zuhauf in diversen Slashern und das Subgenre maßgeblich beeinflusst habenden Werken. Ihr Freund bekommt schließlich die Rübe abgeschlagen und der maskierte Mörder fügt der Frau das Gleiche zu wie seinen Opfern zuvor. Diese ausgedehnte Einstiegssequenz macht alles richtig, setzt auf Hitchcock’sche Suspense, arbeitet visuell geschickt mit seinen Schatten und Ausleuchtungen und zieht die Spannungsschraube bis zu den eruptiven Gewaltausbrüchen stetig an.

Nachdem nun jeder Zuschauer weiß, mit welchem Ausmaß an Gewalt er es genau zu tun hat, richtet der Film seinen Fokus auf Nachrichtensprecherin Jane und ihre blindstumme kleine Schwester. Die Entführung letzterer erlebt der Zuschauer in den Erinnerungen Janes mit, dem dadurch auch verdeutlicht wird, weshalb Jane diese Fälle besonders nahe gehen. Das Drehbuch lenkt fortan den Verdacht auf Janes Nachbarn, während nunmehr eine im Büro arbeitende Annette die Anrufe erhält und, nachdem Wiederhorn erneut einige schöne Suspense-Szenen ausgewalzt hat, ihr der Mörder in ihrem eigenen Auto auflauert.

Der Knackpunkt ist, dass der Zuschauer nach nur 40 Minuten bereits weiß, dass es sich beim Täter tatsächlich um denjenigen handelt, auf den der Verdacht gelenkt wurde. Ohne sein Whodunit? also überhaupt richtig ausgebaut zu haben, beendet der Film es bereits und wird vom Suspense-Slasher zum ein gutes Stück weit an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ erinnernden Thriller, in dem Jane nach einem bösen Alptraum vom Fund ihrer Schwester auf eigene Faust ermittelt und selbstredend in entsprechende Gefahren gerät. Das ist alles sehr annehmbar und solide inszeniert, verfügt weiterhin über einen angenehmen Spannungsgrad, verschenkt aber das Potential, das eine weitere Konzentration auf die Suche nach dem Mörder, eine gewitzte Wendung der Handlung oder ein Festhalten am Slasher-Sujet gebracht hätten. Die bei näherer Betrachtung doch arg konstruierte Handlung unterwandert die Thematik der urbanen Anonymität, in der sich der Täter zunächst so sicher wähnt. Der für manch einen vielleicht Voyeurismus und daraus resultierenden Sleaze-Gehalt suggerierende Titel wiederum findet seine Entsprechung eher in Verfolgung und möglichem Verfolgungsjagd, was nicht als Kritikpunkt gemeint ist, sondern falschen Erwartungshalten vorbeugen soll. Positiv für sich verbuchen kann „Eyes of a Stranger“ die wohldosierten blutigen Spezialeffekte von niemand Geringerem als Tom Savini, die den Film im wahrsten Sinne mit einem Knall enden lassen, sowie engagierte Schauspieler mit seriösen Leistungen (glaubwürdig: Lauren Tewes, Typ unheimlicher Spießbürger von nebenan mit Leichen im Keller: John DiSanti, niedlich: die noch junge Jennifer Jason Leigh), dem gegenüber stehen aber eben ein meines Erachtens nicht ganz aufgehendes Konzept zwischen den Genre-Stühlen und die damit einhergehende Überraschungs- und Innovationslosigkeit.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 2. Apr 2014, 17:38
von buxtebrawler
Dann sah ich noch einmal "Planet des Schreckens", diesmal von Blu-ray. Mein älterer Kurzkommentar, der noch immer Gültigkeit besitzt:
buxtebrawler hat geschrieben:„Da war nichts, was uns Anlass zur Besorgnis gegeben hätte. Nichts, gar nicht. Außer diesen verdammten Wurmlöchern. Ich hasse Würmer!“

Von Roger Corman produzierter Sci-Fi-Horror aus dem Jahre 1980, der sich natürlich deutlich am überaus erfolgreichen „Alien“ orientiert, aber auch eigene Ideen vorweisen kann – die gehen allerdings im Hinblick auf die Handlung in dieser Mischung aus hochwertigem Effekt-Spektakel und trashigem Flair etwas unter. Wer Lust auf düstere Science-Fiction-Atmosphäre, tolles Creature Design und kreative Effekte, also eine durchaus, von seltsam rotleuchtenden Köpfen mal abgesehen, beeindruckende Optik hat, für die kein Geringerer als James Cameron mitverantwortlich zeichnet, und idealerweise auch noch Spaß hat, wenn mit ernster Miene bisweilen eigenartige Dialoge geführt werden, macht mit „Planet des Schreckens“ nichts falsch. Erwähnenswert vielleicht noch, dass Robert Englund alias Freddy Krueger mit von der Partie ist. Kurzweiliges und höchst unterhaltsames Filmvergnügen!
Erwähnenswert natürlich noch die erzwungene Nacktszene, für die ein schleimiger Riesenwurm zum Vergewaltiger wird...

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 3. Apr 2014, 16:15
von buxtebrawler
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Abyss
Nachdem ein amerikanisches Atom-U-Boot in der Nähe einer maritimen Untiefe gesunken ist und die Rettungsaktion durch schlechtes Wetter beeinträchtigt wird, beauftragt die Navy ein zufällig in der Nähe befindliches Taucherteam in einer mobilen Unterwasserstation mit der Rettung, verstärkt durch ein eigenes Navyteam. Die Suche ist erfolgreich, wird aber durch die Tatsache erschwert, daß das Navy-Team zusätzlich Atomwaffen rettet und an Bord der Station bringt. Gleichzeitig beobachten die Taucher mehrfach seltsame Leuchterscheinung aus der Untiefe und ein aus Wasser geformtes Wesen dringt in die Station ein. Das Verhältnis der Teams untereinander wird zunehmend bedrohlicher, je mehr die Gewißheit zunimmt, daß man auf dem Meeresgrund nicht allein ist...
„Abyss“ - das war 1989 die nach „Piranha II – Fliegende Killer“, „Terminator“ und „Aliens“ nach Auffassung der FSK bisher familientauglichste Regie-Arbeit des Kanadiers James Cameron, für die er erneut auch das Drehbuch verfasste. Sein hochbudgetiertes Unterwasser-Science-Fiction-Spektakel erhielt eine FSK-12-Freigabe und hat weit weniger Horror zu bieten, als man seinerzeit vor Veröffentlichung annahm. Ich beziehe mich in meiner Kritik auf den längeren Director’s Cut.

Ein Atom-U-Boot ist im Meer unweit der kubanischen Küste versunken. Die Navy ist auf die schnelle und professionelle Hilfe einer mobilen Bohrplattform und deren Taucher angewiesen, um es zu bergen, bevor sowjetische und kubanische Spionageschiffe es erreichen und ein Hurrikan zu wüten beginnt. Ferner hat die Navy Interesse daran, an Bord des U-Boots gelagerte Atomwaffen zu bergen, wovon die eigentlich mit der Suche nach Überlebenden beauftragte Besatzung der Bohrplattform nicht sonderlich begeistert ist. Es kommt zum Konflikt zwischen den Navy Seals um den langsam aber sicher den Verstand verlierenden Lieutenant Hiram Coffey (Michael Biehn, „Terminator“) und Bohrmeister Virgil „Bud“ Brigman (Ed Harris, „Creepshow“). Zwischen allen Stühlen setzt die Chefkonstrukteurin der Plattform, Dr. Lindsey Brigman (Mary Elizabeth Mastrantonio, „Scarface“), geschiedene Ex-Frau Brigmans, der sich ihr emotional noch stark verbunden fühlt. Doch plötzlich fällt die elektrische Versorgung aus und der aufgezogene Starksturm fordert seinen Tribut. Mitten in all dem Chaos tauchen seltsame Wasserwesen auf, die zunächst von nur wenigen, später von immer mehr Besatzungsmitgliedern gesichtet werden. Offenbar ist man nicht allein…

Seine Charaktervorstellungen gestaltet Cameron zunächst mit vielen Seifenoper-Elementen, bedingt durch das Aufeinandertreffen der geschiedenen Brigmans, zwischen denen das letzte Wort offensichtlich noch nicht gesprochen ist. Das aufwändig gestaltete Unterwasser-Ambiente sorgt für konfliktverschärfende Klaustrophobie, die es unmöglich macht, den Meinungsverschiedenheiten etc. aus dem Weg zu gehen. Das gesunkene U-Boot entfacht eine internationale Politik-Krise. In Minute 42 erscheint erstmals ein unidentifizierbares Objekt auf der Bildfläche, spielt jedoch noch eine untergeordnete Rolle in Anbetracht faszinierender Unterwasseraufnahmen des Wracks voller Leichen und den zahlreichen Katastrophenszenarien an Bord, die Erinnerungen an „Das Boot“ wach werden lassen. Nachdem Besatzungsmitglied „One Night“ (Kimberly Scott, „Flatliners - Heute ist ein schöner Tag zum Sterben“) zu Beginn noch dem Two-Tone-Klassiker „Too Much Pressure“ lauschte, der sich augenzwinkernd auf den Unterwasserdruck bezieht, besteht der folgende Soundtrack in erster Linie aus ständigem Marschgetrommel, was die Dominanz der Navy Seals und die militärische Bedeutung der Mission verdeutlicht. Die erste richtige Begegnung „von Angesicht zu Angesicht“ mit den eigenartigen Lebensformen erfolgt erst nach 65 Minuten mit einer, ähem, schwulen Qualle, gefolgt von einem rosa Riesenrochen. Einmal abgesehen von der Farbgebung überraschen mich diese Konfrontationen wenig, denn meine ganz eigene Theorie besagt ohnehin, dass die noch weitestgehend unerforschten Ozeane voller außerirdischer Lebewesen sein müssen, die im Laufe der Jahrtausende ins Meer geplumpst sind.

Seinen ersten richtig großen Spezialeffekt-Trumpf spielt „Abyss“ nach etwas über 80 Minuten aus, wenn ein genial animierter, transparenter Wasserwurm mit schemenhaften Konturen verblüfft und sogar ein menschliches Antlitz annehmen kann. Diese wegweisenden Computereffekte stammen von „Industrial Light & Magic“, die auch für die vielgerühmten „Terminator II“-Effekte verantwortlich zeichnen und hier bereits einen Vorläufer der dort verwendeten Morphing-Technologie zeigen. Die Kamera sorgt sogar kurz für eine subjektive Point-of-View-Perspektive des Wesens. Die Musik wird fröhlicher und unter der gestressten Besatzung herrscht endlich einmal wieder gute Stimmung. Diese währt jedoch nicht lange, denn Cameron widmet sich wieder verstärkt dem Interessenskonflikt der Parteien und den daraus resultierenden heftigen Unterwasser-Stunts und -Kämpfen. So unübersichtlich diese bisweilen auf den Zuschauer wirken, so gewinnt der Film doch deutlich an Spannung. In einer berührenden Szene sind sich die Brigmans längst wieder näher gekommen und Lindsey opfert sich in einer ausweglosen Situation, will freiwillig ertrinken, um anschließend wiederbelebt zu werden. Ein hochemotionaler Moment, der auf dramatische Weise sowohl das noch immer (oder wieder?) bestehende Vertrauen zwischen den ehemaligen Eheleuten als auch die inneren Konflikte Buds unter Beweis stellt und Entscheidungen einfordert, die niemand im Publikum jemals wird treffen müssen wollen. Cameron fährt Achterbahn mit den Gefühlen seiner Zuschauer, wenn er sie in eindringlichen Szenen lange im Unklaren darüber lässt, ob die Reanimation erfolgreich ausgehen wird.

(Achtung, spätestens ab jetzt folgen Spoiler!) Wer nun warum genau dieses oder jenes tut, trat während meiner Erstsichtung – insbesondere nach diesen aufwühlenden Momenten – zusammen mit jeglicher Sachlichkeit in den Hintergrund, dennoch blieb „Abyss“ dramaturgisch fesselnd. Das Pathos bricht sich bahn, wenn im Zuge einer selbstlosen Bombenentschärfung der Märtyrer-Tod gestorben wird. Zum nach dem militärischen Drill des Einstiegs immer emotionaler gewordenen Film passt das, zumindest besser als Schwarzeneggers Abgang in „Terminator II“ wenige Jahre später. Überhaupt wird „Abyss“ zu einem für Cameron-Verhältnisse ungewöhnlich pazifistischen Film, der vor dem Hintergrund des (eigentlich kurz vor seinem vorläufigen Ende stehenden) Kalten Kriegs die Angst vor einem Atomkrieg zwischen den Weltmächten aufgreift und in US-kritischer Form sämtliches Säbelrasseln verurteilt. Zum Niederknien ist dann die tricktechnisch formvollendete Reise Buds an der Hand eines Außerirdischen durchs Unterwasserreich, das von den extraterrestrischen Wesen bislang unerkannt beherrscht wird. Dort befindet sich nicht nur eine Atemzone für Bud, sondern auch das aktuelle TV-Programm in Überlebensgröße. Wie Cameron und sein Team hier die verschiedenen Elemente und Ebenen miteinander verweben, ist schon eindrucksvoll. Doch anstatt den Film mit der Rüge für die Menschheit durch die Wasser-Aliens zu beenden, setzt Cameron noch einen drauf und präsentiert Bilder einer stehenbleibenden (!) Flutwelle, die im Begriff ist, die starkfrequentierten Strände zu erfassen. Der Soundtrack spielt dazu erhabene, epische Musik.

Zusammengefasst ist „Abyss“ ein Cameron-typisch technisch beeindruckender Film, der nach Ausflügen des Regisseurs in Dystopien und ins Weltall bis auf den Grund taucht, um sein positives Karma zu verbreiten, in Zeiten des politischen Umbruchs Hoffnung zu spenden und zu Solidarität und Menschlichkeit aufzurufen. Obwohl durchaus intelligent gemacht, hadere ich dennoch etwas mit der oberflächlich bleibenden Aussage, die wenn überhaupt nur im Ansatz die Gründe für Kriege aufgreift und in ihren Allgemeinplätzen trotz 610 Meter Tiefe etwas Tiefgang vermissen lässt. Vielleicht spricht aus mir auch gerade nur desillusionierte Zyniker, der seit „Abyss“ zigfach miterlebt hat, wie selbst die größten Kriegstreiber unverhohlen von Frieden zu reden wagen. Unzweifelhaft ist jedoch, dass Cameron verstärkt auf Sentimentalität setzt, dabei in Richtung fast schon Spielberg’schen Kitsches tendiert und zentimeterdick aufträgt, was ihn vorerst in meiner konservativen Bewertung einen Punkt kostet. Auch muss ich zugeben, dass ich manch Nebenrolle als interessanter besetzt empfand als die Hauptrollen. Die Kombination aus Katastrophenszenario und (zumindest lange Zeit) tragischer Liebesgeschichte erinnert zudem bereits an seinen 1997er Welterfolg „Titanic“ und das Happy End trägt dafür Sorge, dass „Abyss“ nach fast drei Stunden wirklich niemanden (mehr) wehtut.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 7. Apr 2014, 17:04
von buxtebrawler
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Dementia 13
Das Erbe iherer leicht verrückten Mutter ist das Streitthema zwischen John und Louise Haloran, als John per Herzinfarkt verscheidet. Da durch sein Ableben Louise das Erbe verlustig gehen würde, entsorgt sie die Leiche in dem See auf dem sie gerade rudern und fingiert es so, als würde John noch leben. Das fällt natürlich irgendwann auf und deswegen plant Louise auch, die Mutter ebenfalls umzubringen. Dumm nur, daß im Umfeld der Halorans ein Axtmörder sein Unwesen treibt, der auch Louise in die Quere kommt. Damit ist es bald an dem Hausarzt der Familie, das mörderische Rätsel zu lösen...
„Du fürchtest dich zu Tode! Du zitterst vor Angst!“

Auch ein Francis Ford Coppola („Der Pate“-Trilogie) fing einmal klein an, nämlich zu Beginn der 1960er-Jahre und u.a. mit Arbeiten für Low-Budget-Papst Roger Corman. So drehte der US-Regisseur als 24-Jähriger im Jahre 1963 in Irland den Psycho-Thriller „Dementia 13“ mit einem Budget von nicht einmal 30.000 Dollar und in Schwarzweiß. Es handelt sich um die Zweitverwertung der Sets, der Crew und Teilen des Ensembles des Corman-Streifens „Schnelle Autos und Affären“.

Louise (Luana Anders, „Das letzte Kommando“) ist nicht sonderlich erfreut darüber, dass das Testament Ihres Gatten John (Peter Read, „Black Roses“) ihr sein Vermögen erst zuschreibt, wenn auch die Schwiegermutter (Eithne Dunne, „Das Labor des Grauens“) das Zeitliche segnet. Während sie wieder einmal auf ihn einwirkt, doch bitte das Testament zu ihren Gunsten zu ändern, erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt. Louise lässt den Leichnam verschwinden und beschließt, seine Familie nicht zu informieren. Stattdessen reist sie allein nach Irland zum Anwesen von Johns Familie, erklärt Johns Abwesenheit mit einer Geschäftsreise und versucht, während der jährlichen Trauerfeierlichkeiten zum Gedenken an Johns als Kind ertrunkener Schwester die Mutter endgültig in den Wahnsinn und ins Grab zu treiben. Doch ein weiterer, unbekannter Mensch hegt ebenfalls mörderische Pläne und lässt die Axt kreisen…

Im Prolog ertönt Musik von Elvis Presley, nach dem Vorspann verstummt der King und stattdessen sind Louises Gedanken zu hören – so wird der Zuschauer in ihren Plan eingeweiht. Und fürwahr, „Dementia 13“ sieht für einen Lowest-Budget-Film nicht nur prima aus, sondern wird von Coppola auch ohne jeden trashigen Ausreißer konsequent inszeniert. Hauptdarstellerin Luana Anders hat Charisma und begibt sich unter bizarre bis undurchsichtige Charaktere, denen sie auf dem irischen Anwesen begegnet. Eine Handlung, die zunächst wie aus einem klassischen Kriminalfilm anmutet, wird aus Sicht der Täterin erzählt, was in Zusammenhang mit den psychischen Traumatisierungen der Familie einen waschechten Psycho-Thriller gebärt, der um Prä-Slasher-Elemente in Form des Axtmörders und des sich um ihn rankenden Whodunit? erweitert wird. Gruselig ist „Dementia 13“ über längere Zeit nur bedingt, wenn sich Coppola auch von vornherein um eine unheilschwangere Atmosphäre bemüht. Unheimliche bewegte Puppen besorgen dann jedoch tatsächlich einen gewissen Gänsehautfaktor. Aufwändig und perfide sind die Vorbereitungen Louises, um ihre Schwiegermutter in den Wahnsinn zu treiben. Dass sie kurz darauf selbst dem Axtmörder zum Opfer fällt, ist ein krasser Einschnitt in der Handlung, die sich fortan auf den Mörder konzentriert und ihm letzten Endes ein psychopathologisches Motiv, dessen Ursache in der bereits bekannten Familientragödie zu finden ist, andichtet.

So großartig und für die damalige Zeit verhältnismäßig explizit Louises Tod auch inszeniert wurde, so wenig spannend gestaltet sich die Suche nach dem Mörder und so überraschungsarm ist letztlich die Auflösung des nun verstärkt den Horror-Bereich bedienenden Films. Man merkt ihm an, dass Coppola noch experimentierte, Vorbilder zitierte; zeitweise wirkt „Dementia 13“ wie eine Fingerübung, die zu beweisen antritt, was auch mit einem Mini-Budget möglich ist. Die moritatische, fast schon comichaft-schwarzhumorige Moral, die sich möglicherweise nicht sofort erschließt – versuchst du jemanden in den Wahnsinn und damit in den Selbstmord zu treiben, nimm dich an Acht vor den bereits wahnsinnig Gewordenen -, gefällt mir hingegen gut und ihr Augenzwinkern verrät mir, dass man „Dementia 13“ nicht als bierernsten Thriller oder Horrorfilm auffassen sollte. Ein sehr respektables Frühwerk eines Regisseurs, der noch Großes leisten sollte und ein nicht uninteressanter Genre-(Crossover-)Film für Freunde des Thrills.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 8. Apr 2014, 15:00
von buxtebrawler
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Maniac Cop
Eine Serie von brutalen Metzelmorden beunruhigt die New Yorker Polizei. Denn allen Anschein nach ist der brutale Killer ein Polizist! Der außer Rand und Band geratene Bulle streift nachts durch die Straßen der Stadt und sucht sich seine Opfer. In New York regiert das Chaos! Ausgerechnet ein Ordnungshüter stürzt die Stadt in Panik und Entsetzen! In panischer Angst bewaffnen sich die Bürger gegen die Polizei... (Covertext)
Nach US-Regisseur William Lustigs fulminantem Non-Porno-Regiedebüt „Maniac“ aus dem Jahre 1980 legte er zwei Jahre später mit „Vigilante“ einen sehr eigenartigen Selbstjustiz-Actioner nach. Daraufhin vergingen satte sechs Jahre, bis Lustig wieder als Regisseur in Erscheinung trat: „Maniac Cop“ lautete das Ergebnis; ein im Polizei-Milieu angesiedelter, actionreicher Slasher, geschrieben von Larry Cohen („Die Wiege des Bösen“).

In New York treibt ein brutaler Serienmörder sein Unwesen. Dass er dabei eine Polizeiuniform trägt, verschärft das Misstrauen der Bürger in die Gesetzeshüter. Diese wiederum sind ratlos, bis der Verdacht auf ihren Kollegen Jack Forrest (Bruce Campbell, „Tanz der Teufel“) fällt. Dieser jedoch beteuert seine Unschuld und tatsächlich führt die Spur zu einem ehemaligen Cop (Robert Z'Dar, „Cherry 2000“), der eigentlich längst tot sein sollte…

William Lustig zeichnet einmal mehr ein nicht sonderlich einladendes Bild der New Yorker Metropole; schon gar nicht, wenn er direkt zu Beginn zwei Straßenräuber auf eine wehrhafte junge Dame treffen lässt, die im Anschluss keine Hilfe von der Polizei zu erwarten hat, da der unbekannte „Maniac Cop“ ihr kurzerhand den Hals umdreht. Ein weiteres Opfer wird in feuchten Zement gedrückt. Panik und Paranoia machen sich unter der Bevölkerung breit. Eine deftige Szene zeigt, wie aufgrund der Vorfälle ein unschuldiger Polizist von einem verängstigten Bürger erschossen wird. Der Film bettet seine brutalen Morde in eine nachvollziehbare Atmosphäre der Verunsicherung und des Wahns.

Fortan konzentriert sich Lustig auf Jack Forrest, der vorgibt, ständig Überstunden machen zu müssen, jedoch mit einer misstrauischen Frau (Victoria Catlin, „Ghoulies“) gesegnet ist. Schon bald wird diese mit anonymen Anrufen belästigt („Warum bringt Jack all die Menschen um?!“). Schnell stellt sich heraus: Jack geht fremd, was er aus verständlichen Gründen möglichst geheim halten möchte. Als auch seine Frau dem Killer zum Opfer fällt, wird er verhaftet und muss darum kämpfen, seine Unschuld zu beweisen. Die Kombination aus einem unschuldig Verhafteten und der aufgekratzten Stimmung der Bevölkerung, die sich u.a. im Fernsehen polizeikritisch äußert, versieht „Maniac Cop“ mit Versatzstücken aus dem Polizei-Krimi/-Thriller-Bereich, bleibt dabei jedoch oberflächlich und überwiegend der emotionalen Ebene verhaftet. Als der Killer in Uniform, dessen Gesicht bisher stets verborgen blieb, eine verdeckte Ermittlerin angreift, wird er angeschossen, zeigt aber keinerlei Reaktion. Dies ist der erste deutliche Hinweis darauf, dass es sich bei ihm um kein „normales“ menschliches Wesen handeln kann, womit Lustig und Cohen jegliche Realitätsebene verlassen und sich nun vollends dem Phantastischen verschreiben. Leider entwickelt der Film zwischen den Morden nunmehr kaum Spannung, hat dafür aber schöne, atmosphärische Nachtaufnahmen der Großstadt zu bieten.

Nach 45 Minuten erfährt der Zuschauer durch eine Unterhaltung zwischen einer humpelnden Bullette und dem Killer, dass dieser Matt heißt und laut seines Gegenübers zu weit gehe. Im weiteren Verlauf wird seine Hintergrundgeschichte dann soweit aufgedröselt, dass es sich um den nach brutaler Selbstjustiz im Dienst verurteilten Ex-Cop Cordell handelt. Eine Rückblende zeigt, wie er im Knast umgebracht wurde. Es wird davon schwadroniert, dass er gar nicht ganz tot gewesen sein soll, doch so klasse die Maskenarbeit auch an seinem Gesicht gearbeitet hat, das man nun endlich zu sehen bekommt – was ihn nun unverwundbar und superstark gemacht hat, bleibt unerwähnt und scheint auch kaum jemanden übermäßig zu verwundern. Das hat klaffende Logiklöcher zur Folge, die Lustig in Anbetracht seines offensichtlichen Vorbilds „Halloween“ vielleicht nicht stopfen zu müssen glaubte. Doch wo „Halloween“ unter der Regie eines Carpenters auf jegliche Erklärungen verzichten kann und daraus einen besonderen Reiz zieht, das ultimativ Böse in Menschengestalt in Anlehnung an den „schwarzen Mann“ auf eine Kleinstadt loslässt, wirkt „Maniac Cop“ schlicht unausgegoren und nicht zu Ende gedacht. Ordentliche Actioneinlagen auf dem Polizeirevier und eine rasante Verfolgungsjagd bieten dann noch etwas fürs Auge und den Adrenalinspiegel, bis „Maniac Cop“ mit einem Verweis auf einen kommenden zweiten Teil endet. So bleibt ein origineller, urbaner Slasher in interessantem Umfeld, dem es etwas an Spannung und Figurencharakteristik mangelt und der seine Kritik an Hooligans/Folterknechten/Mördern in Polizeiuniform nur oberflächlich und halbherzig anbringt, dafür aber atmosphärisch und schauspielerisch überzeugen kann und sich so seinen Platz im gehobenen Mittelfeld des Genres sichert.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 10. Apr 2014, 11:18
von buxtebrawler
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Buster
Es war der größte Raubüberfall der Geschichte: Am 8. August 1963 wurde kurz vor London der Postzug der Royal Mail von unbewaffneten Männern überfallen, die insgesamt über 35 Mio. Dollar erbeuteten. Einer der Räuber war Buster Edwards (Phil Collins), der zusammen mit dem Drahtzieher Ronald Biggs (Ralph Brown) zum meistgesuchten Mann von Scotland Yard wird. Buster setzt sich nach Mexiko ab, wo er in Acapulco ein neues Leben beginnen möchte. Doch er vermisst seine Frau June (Julie Walters), die er bald nachkommen lässt. Aber June wird im heißen Mexiko nicht glücklich, sie vermisst die regnerischen Tage in London und kehrt Hals über Kopf dorthin zurück. Und mit ihr geht Busters Sinn fürs Leben. Er trifft eine folgenschwere Entscheidung.
„Dieses Verbrechen erschüttert die Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung!“

Die nach der Komödie „Ein Ehemann dreht durch“ zweite Spielfilm-Regiearbeit des Briten David Green, „Buster“ aus dem Jahre 1988, setzt sich in einem biographischen Gangster-/Liebesfilm mit dem englischen Posträuber Buster Edwards auseinander, der von niemand Geringerem als von Musiker Phil Collins in seiner ersten Spielfilmrolle gemimt wird.

Zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer unbewaffneter Männer überfällt Buster Edwards am 8. August 1963 den Postzug der Royal Mail, erbeutet 2.631.684 Pfund und geht damit in die Geschichte ein: Es war der größte Raubüberfall Englands. Fortan stehen Buster und seine Freunde auf der Fahndungsliste Scotland Yards und müssen untertauchen. Als einer nach dem anderen verhaftet wird und auch Buster die Luft im heimischen England zu dünn wird, setzt er sich nach Acapulco in Mexiko ab. Seine Frau June (Julie Walters, „Mack the Knife“) und seine Kinder kommen kurze Zeit später nach, doch June bekommt Heimweh und wird nicht glücklich im Sonnenparadies…

Seit ich im zarten einstelligen Alter erstmals das Musik-Video „Land of Confusion“ von Genesis sah, mag ich ja Phil Collins irgendwie. Trotzdem war es mir seinerzeit nicht vergönnt, diesen Film (über den ich in der „Bravo“ las), im Kino zu sehen und irgendwann geriet er in Vergessenheit. Beim Aufstocken meiner Plattensammlung um die Collins-Solo-Alben aus den 1980ern stolperte ich dann aber über den Soundtrack zu diesem Film und mein Interesse entflammte erneut Also schnell die antiquarische DVD besorgt, allein schon um mal zu schauen, wann und wie die Songs des Soundtracks zum Einsatz kommen. Interessanterweise widmet sich der 1963 in England spielende Film nicht dem populärsten der legendären Posträuber, Sir Ronald „King of the Punks“ Biggs, sondern seinen Kompagnon Buster Edwards, einem Gelegenheitsdieb mit losem Mundwerk, einer Tochter und einer schwangeren Frau – man braucht Geld. So reift der Plan, den Postzug zu überfallen. Buster und seine Freunde werden über jugendlichen, spitzbübischen Charme verfügend gezeichnet, der Zuschauer entwickelt Empathie und Verständnis. Doch die große Enttäuschung folgt kurz darauf, als der eigentliche Coup reichlich unspektakulär inszeniert wird und lediglich einen Bruchteil des Films einnimmt. Denn „Buster“ ist kein Heist-Movie im engeren Sinn, sondern beschäftigt sich vor allem mit dem Danach in Bezug auf Buster Edwards. Dieser sieht mit seinem Schnurrbart zu Tarnzwecken ulkig aus, während zum Leidwesen der britischen Obrigkeit die Posträuber in der Öffentlichkeit zu modernen Robin Hoods stilisiert werden. Obwohl immer mehr Mitglieder der Diebesbande gefasst werden, ist Edwards der Polizei stets einen Schritt voraus. Scotland Yard fühlt sich schwer auf den Schlips getreten und drängt Verhaftete in Verhören zu Denunziationen. Die Sympathie des Zuschauers gilt eindeutig Edwards und seinen Freunden, die ermittelnden Behörden kommen nicht gut weg. Bis hierhin hat „Buster“ viel Charmant-Augenzwinkerndes bis Komödiantisches.

Die Flucht nach Acapulco geht einher mit Fernweh weckenden Bildern, doch nach kurzem Good Life wird „Buster“ richtiggehend zu einem Familiendrama. Fernab der Heimat verfolgen Edwards und sein Komplize Bruce Reynolds (Larry Lamb, „Superman III - Der stählerne Blitz“), den es ebenfalls dorthin verschlug, das berüchtigte Wembley-Spiel der Fußball-WM 1966 und lassen ihrem ungebrochenen Patriotismus freien Lauf, während June im vermeintlichen Urlaubsparadies leidet. Es kommt zu einem schönen Kontrast der Bilder: das sonnige Acapulco auf der einen, ein nebliges London auf der anderen Seite. Und wieder schlägt „Buster“ Genre-Haken und wird zu einer rührenden Liebesschnulze, wenn Edwards aus Liebe zu seiner Frau nach England zurückkehrt, wo er sich rund fünf Jahre Knast ausgerechnet hat: „Das mit den 30 Jahren läuft heut‘ nicht mehr!“ Doch da hat er die Rechnung ohne die nachtragenden, beleidigten Hüter des britischen Kapitalismus gemacht, denn diese statuieren ein Exempel und verurteilen den armen Tropf zur Höchststrafe. Wenn dann Collins‘ speziell für diesen Film geschriebenes Stück „Groovy Kind of Love“ erklingt, darf man schon mal feuchte Äuglein ob der berührenden Szene kriegen. Leider versäumt es der Film an dieser Stelle, das ungerechte System entsprechend anzuklagen. Nüchtern berichten eine Texttafel und ein Sprecher aus dem Off, dass Edwards satte 15 Jahre absitzen musste. Und statt damit zu schließen, folgt ein optimistischer Epilog, der einen lächelnden, glücklichen Edwards, nach seiner Entlassung als Blumenhändler arbeitend, mit seiner ihm treu gebliebenen Frau zeigt; zum Abspann ertönt der ebenfalls eigens für den Film komponierte Collins-Hit „Two Hearts“. Von Hass und Verbitterung, die wohl eher angebracht wären, keine Spur. Inwieweit diese Szenen Edwards‘ tatsächlichen Umgang mit seinem Schicksal widerspiegeln, ist mir nicht bekannt. 1994 wurde er im Alter von 63 Jahren erhängt in einer Garage aufgefunden.

Wie dem auch sei, Phil Collins stellt ein überraschendes Schauspieltalent unter Beweis und trägt den Film so gut, dass man durchaus vergessen könnte, dass man eigentlich einen Musiker vor sich hat. Einen besonderen Stellenwert nimmt der Soundtrack ein. Die enthaltenen ‘60er-Hits (unvermeidlich: „I Got You, Babe“) laufen innerhalb der Handlung meist nebenbei im Radio. Die beiden erwähnten Collins-Songs avancierten zu großen Hits und konnten sich beispielsweise auf Platz 1 der US-Single-Charts platzieren. „Two Hearts“ wurde darüber hinaus 1989 für den Oscar des besten Songs nominiert. Auch der großartige Soul-Smasher „Loco in Acapulco“ der Four Tops wurde von Collins mitgeschrieben. Dessen Melodie greift Anne Dudley für ihren Instrumental-Soundtrack immer wieder auf angenehme Weise auf. Trotz seiner irritierenden Genre-Wechsel, seiner Vernachlässigung des großen Coups und der seichten, um Versöhnlichkeit bemühten Moral ist „Buster“ ein vielleicht nicht durchgehend vorbehaltlos guter, dennoch sehenswerter Film nicht nur für Phil-Collins-Fans, der Collins‘ nicht unsympathischen Wertkonservatismus und seinen gern besungenen, sentimentalen Traum vom ewigen Zusammensein unterstreicht, einmal mehr eine Lanze für die Gentleman-Räuber und damit die Underdogs der Gesellschaft bricht und stimmungsvolle Bilder aus zwei kontrastierenden Welten bietet. Und, ja, es ist einfach ein irgendwie… schöner Film, der ans Herz geht.