Re: Horror Infernal - Dario Argento (1980)
Verfasst: Mo 28. Sep 2020, 12:07
Erscheint voraussichtlich am 15.10.2020 bei 8-Films noch einmal als Blu-ray/Doppel-DVD-Kombination im Mediabook:
European Genre Cinema
https://www.deliria-italiano.org/phpbb/
Das sehe ich auch nach "Deliria över Freiburg" immer noch genauso, wobei mir diesmal - neben der Komik in ein, zwei Szenen - aufgefallen ist, welch große Rolle Vorhänge bzw. das, was sich hinter ihnen befindet, spielen. Toller Film, der seine volle Pracht nur auf der großen Leinwand entfaltet!buxtebrawler hat geschrieben: ↑Do 16. Dez 2010, 17:51 Bei einem Film wie Dario Argentos Horror-Beitrag „Inferno“ aus dem Jahre 1980 verzeihe selbst ich das weitestgehende Fehlen einer Handlung, die diesen Namen auch verdient hätte, denn die Ausstattung, die Atmosphäre und insbesondere die Poesie der Bilder überwiegen hier qualitativ so stark, dass die von mir einfach mal wohlwollend „unkonventionell“ genannte Erzählweise verschmerzbar wird. Wen interessiert es da noch, dass geheimnisvolle Charaktere eingeführt werden, deren Sinn nicht erläutert wird und die nie wieder auftauchen? Oder dass vermutlich nur Argento allein weiß, warum den Tod verkörpernde Hexen nach Giallo-Manier ihre Opfer töten? Oder warum ein Imbissbudenwirt ohne Anlass zum eiskalten Mörder wird? Mich jedenfalls kaum, nachdem ich für die Zweitsichtung auf großer Leinwand meine Erwartungshaltung entsprechend korrigiert hatte. Auf all das und noch viel mehr bietet „Inferno“ keine oder nur unzureichend Antwort, doch lässt er kaum einen Zweifel daran, worin seine wahren Qualitäten liegen: Wurde Architektur jemals so imposant für einen Horrorfilm in Szene gesetzt? Wie Argento hier die Gebäude und ihr Inneres als eigentliche Protagonisten heranzieht und die Menschen in ihnen wie hilflose, verlorene Kreaturen umherirren lässt, ist fulminant und in Kombination mit der von Mario Bava inspirierten und bereits aus dem Vorgänger „Suspiria“ bekannten Farbkomposition einzigartig. Fast episodenartig (Kritiker mögen „zusammenhanglos“ konstatieren) werden atmosphärisch unheimlich dichte, gruselige bis brutale Einzelszenen gezeigt, die meist überaus gelungen sind, allen voran die Unterwasserszene aus den ersten Minuten: ein prächtiges, mysteriös-schauriges und gleichzeitig erotisches Stück Film, das sich in all seiner Ästhetik dem Betrachter ins Gedächtnis einbrennt. Die Kameraarbeit hält wieder einige Schmankerl bereit, für die Argentos Werke berüchtigt sind, und verleiht „Inferno“ Tiefe und Stil. Unterlegt vom Soundtrack Keith Emersons (Emerson, Lake & Palmer), der sich klassischer Themen bedient und gegen Ende mit einer hochdramatischen, treibenden, energiegeladenen Synthie-Prog-Operngesangs-Melange einen eindrucksvollen Höhepunkt und Ohrwurm setzt, befindet sich der Zuschauer in einem wahren Sinnesrausch an fremdartigen, surrealen Eindrücken, auf einem abgefahrenen Trip durch Argentos schillernde und doch abgrundtief düstere Phantasiewelt. Lediglich das ob seiner Feuersbrunst tatsächlich auf gewisse Art infernalische Finale stellt einen kleinen Stilbruch dar, als auf eine sehr billige Maske zurückgegriffen wurde. Fazit: Pflichtprogramm für Freunde der europäischen Phantastik abseits des Mainstreams sowie sämtliche Bildästheten, die eine sich bietende Chance zur Sichtung auf Kinoleinwand nicht entgehen lassen sollten, denn erst dort entfaltet „Inferno“ seinen vollen Glanz und seine Erhabenheit. Trotzdem bin ich froh, dass Argentos folgenden Filmen wieder eine zumindest etwas geradlinigere Handlung zugrunde lag...
Wie witzig! Genau diese Passage aus dem Giesen/Hahn-Werk habe ich auch bei meinem Einführungsreferat zu INFERNO beim diesjährigen Forentreffen als Einstieg zitiert...sid.vicious hat geschrieben: ↑Fr 15. Okt 2021, 00:43 Dario Argento berichtet in einem Interview für die Filmzeitschrift Cinema:
„Ich inszeniere meine Filme wie große Feste Für mich spielt im Film alles mit; Dekorationen, Lichtkombinationen, psychedelische Effekte, künstliche Klänge […] Dies alles ergibt ein Gesamtkunstwerk, in dem sich eine Reinheit entwickelt, die wie ein Zuschauer nach dem Mysterium sucht.“
Diese Eigeneinschätzung wird von den Autoren Rolf Giesen (der Cronenberg als Muttersöhnchen bezeichnete und einhergehend mit Heinrich Himmler verglich) und Ronald M. Hahn in ihrem Gemeinschaftswerk „Das neue Lexikon des Horrorfilms“ (im Zuge einer Kurzkritik zu „Inferno“) durch die folgende Anmerkung ergänzt:
„[…] Da fragt man sich, zu was er in der Lage wäre, würde ihm mal jemand ein ordentliches Drehbuch liefern."
Bin doch ziemlich sicher, dass Emerson sich hier von Mussorgsky hat inspirieren lassen. Die Rock-Interpretation der "Bilder einer Ausstellung" war ja auch einer von ELPs größten Erfolgen. Und bei Baba Jaga bzw. "The Hut and the Curse" geht es ja auch um eine Hexe ...sid.vicious hat geschrieben: ↑Fr 15. Okt 2021, 00:43 Und sollte das Genie aus Le Roncole nicht den Taktstock schwingen, dann gibt ein weiteres Genie, Keith Emerson, den Ton an, denn der Tastenvirtuose stimmte seine Sounds bestens auf die Bildkompositionen ab. Innert dieses sensationellen Scores möchte ich die Komposition „Mater Tenebrarum“ besonders hervorheben. Prog-Rock gemischt mit Opernchören, dass Teil geht so auf die Fresse, dass diese in den Sprachlos-Modus geschaltet wird. Ein Glanzstück, welches übrigens im Dunstkreis der Rockmusik (härterer Prägung) für Inspiration sorgte und (ich vermute es zumindest) sich als wegweisend für den späteren Symphonic Metal zeigte. Wer Lust auf eine Kostprobe hat, dem empfehle ich, den Song „To Mega Therion“ von der schwedischen Band Therion mit Keith Emersons „Mater Tenebrarum“ zu vergleichen.
Herrlich formuliert. Aus Deinen Worten lässt sich leicht lesen, dass Dir der Film nahe am Herzen liegt.Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Mi 10. Nov 2021, 21:11
Ansonsten gilt: "Dass mich Argentos zweite (und eigentlich ja auch dritte) Mutter bei meiner Debüt-Sichtung als 35mm-Kopie derart von den Socken hauen würde, hätte ich mir vielleicht denken können, doch wie innig unsere Begegnung dann ausfiel, das hat mich dann trotzdem immens überrascht: Dieser Experimentalfilm im Gewand eines Italo-Horrors kam auf der großen Leinwand im Vergleich zu jeder meiner bisherigen Heimsichtungen zur Geltung, als würde ein Beiboot neben einem Panzerkreuzer schippern – und genau wie ein solcher hat mich die Erkenntnis dann auch überfahren, wie kongenial Argento auf dem Zenit seines Schaffens darin ist, irreal ausgeleuchtete Räume voller schauriger Artefakte zu inszenieren, davon zu erzählen, wie Gebrauchsgegenstände sich gegen die Menschen erheben, die sie zuvor produziert haben, wie die Träume eigentlich strukturell funktionieren, die uns nachts schweißgebadet hochschrecken lassen. Im Prinzip entschlackt Argento sein Kino von all dem Ballast der Literatur, der Psychologie, der dramaturgischen Finesse, der brillanten Schauspieler, der außerfilmischen Prämissen: Cinéma pur – ein selbstgenügsames Spiel aus Farben, Formen, Flächen, als ob Filmavantgardisten der ersten Stunde wie Henri Chomette, Walter Ruttmann oder Oskar Fischinger sich im hohen Alter fürs Genrekino entschieden hätten. Viel abstrakter wird es im Italo-Horror sicher nicht, und viel schöner schon gar nicht: Diese nonchalante Reminiszenz an UN CHIEN ANDALOU; diese endlosen Verfolgungsjagden durch Flure, Korridore, hinauf in Dachböden, hinab in Keller, dass man sich in Gesellschaft mit MC Escher wähnt; diese atemberaubende Unterwasser-Exposition; der Central Park ist nicht wiederzuerkennen; dafür stachen mir diesmal, (weil bei jeder weiteren INFERNO-Schau Dinge vor einem aufploppen, die man vorher nicht realisiert hat), zwei Hitchcock-Referenzen ins Auge, und zwar aus THE BIRDS, Stichwort: Flugkatzen und Augapfeldestruktion. Nach diesem Feuertanz sollte man sich eigentlich eine tagelange Film-Abstinenz verschreiben, denn jedes neue Bild kann nur erbarmungslos von den züngelnden blauroten Flammen verzehrt werden."