Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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L’infedele (Franco Trentalance & Matteo Swaitz, 2005) 2/10

Wenn sich zwei erfahrene Schwergewichte der Pornobranche wie Franco Trentalance und Matteo Swaitz zusammentun, dann sollte man meinen ein kleines Meisterwerk erwarten zu können. Etwas mit viel Abwechslung, Phantasie, intelligenter Kameraführung und spannender Handlung.

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Und was ist? Nichts. Nada. Niente. Absolutely nothing. Der Eindruck herrscht vor, dass Franco Trentalance Lust hatte auf Sex, sich dabei selbst gefilmt hat, und das ganze dann als Film veröffentlichte, garniert mit der ein oder anderen Anmerkung über die Geschichte und den aktuellen Stand des kommunistischen Kampfes. Die Kameraführung ist statisch und langweilig, die ewig langen Bilder zeigen die ewig gleichen Stellungen, und insgesamt herrscht einfach gähnende Langeweile vor. Katy Davis (AVENGERS: AGE OF ULTRON, DEAD BODIES) spielt mit, und das war auch der Grund sich den Film anzuschauen. Bis auf die Schlussszene (nicht die in der Kunstgalerie, die hat nichts mit Sex zu tun sondern mit dem Stand der Kunstbetrachtung in Bezug auf die politische Bewegung) ist das alles öde, unglaublich uninspiriert und uninspirierend. Sollte man sich sparen.
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Escape from women‘s prison (Giovanni Brusadore, 1978) 7/10

Monica, die Terroristin. Betty, die Mörderin. Diana hat mit Drogen gehandelt und gemordet. Erica hat bestimmt auch irgendwas Schlimmes gemacht, so genau bekommt man das nicht heraus. Die vier Frauen sind aus dem Gefängnis ausgebrochen und kapern einen Bus mit jugendlichen Tennisspielerinnen, die sie als Geiseln nehmen. Man verschanzt sich im Landhaus eines Richters und wartet darauf, dass etwas passiert. Zwei Dinge geschehen: Die Polizei erscheint auf der Bildfläche und versucht die Villa zu stürmen, was mit viel Einsatz von Blei erwidert wird. Und es kommt zu einer Art Lagerkoller, denn auf Dauer spielen die brachliegenden Nerven einfach nicht mehr mit: Anwesende Männer, Geilheit, Waffen, nervige Geiseln und Monica mit ihrer extremistischen Ideologie – Das kann nicht gut ausgehen …

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Geht es auch nicht, aber es ist absolut faszinierend mit anzusehen, welche Wege bis dahin eingeschlagen werden, welche Stereotypen bedient und welche gebrochen werden. Die Tennismädchen sind alle klein und dumm, bis auf eine, die sich innert Sekunden das Stockholm-Syndrom einfängt und ihre Teamkolleginnen anschwärzt. Die Knastjulen sind rau und sexuell ausgehungert, aber rein prinzipiell verbirgt sich unter der harten Schale ein weicher, mitunter auch ein verfressener, Kern. Der Richter glaubt an Recht und Gerechtigkeit, aber nur solange es ihm und seinen Vorstellungen dient. Eine wunderbar schmierige und starke Szene, wenn er, der zuvor von Monica zutiefst gedemütigt wurde, sich in einem verschlossenen Raum rächen kann . Nix mehr mit Justitia und so – Auge um Auge, Geschlechtsteil um Geschlechtsteil …

Aber die Stimmung passt. Der Film hat eine harte Ausstrahlung, auch wenn weder Sex noch Gewalt wirklich in den Vordergrund gerückt werden. Dafür wird zuviel gesprochen und zu wenig gehandelt, aber es wird trotzdem nie wirklich langweilig. Der Zuschauer ist sehr nah dabei, fühlt sich selber wie gefangen in diesem Landhaus, und spürt die latente Bedrohung und andauernden Druck auch sehr gut. Und so vergehen die 94 Minuten der italienischen Fassung dann tatsächlich recht flott, auch wenn andere Filme aus dieser Zeit ganz andere, extremere, Schauwerte auffahren. Aber die Mischung aus etwas Gewalt, etwas Sex, etwas Schmier und einer herrlich niedergedrückten Atmosphäre, die passt einfach.

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Käfig (Giuseppe Patroni Griffi, 1985) 7/10

Wer kennt das nicht: Der geliebte Partner meldet sich nicht mehr und scheint verschwunden. Der Anrufbeantworter terrorisiert den Anrufer, am Arbeitsplatz weiß niemand etwas, und so langsam macht man sich dann schon mal irgendwann Sorgen, ob nicht vielleicht etwas passiert ist. Oder ob man vielleicht Knall auf Fall verlassen wurde …
So geht es Helene, die ihren Lebensgefährten Michael nicht mehr erreichen kann. Heute früh war noch alles in Ordnung, und plötzlich ist der Mann fort. Verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Was Helene nicht weiß ist, dass Michael gefesselt im Bett der Vermieterin sitzt, und selber eigentlich ganz gerne wieder nach Hause möchte. Die Vermieterin wiederum, Marie Colbert, hat aber 15 Jahre nach einer Affäre mit Michael endlich die Liebe ihres Lebens wiedergefunden, und denkt überhaupt nicht daran, den einstigen und jetzigen Liebhaber gehen zu lassen. Auf das Klo darf er, OK, aber auch nur mit vorgehaltener Waffe. Die Situation ist bereits unübersichtlich, aber zu allem Überfluss verliebt sich Maries Tochter Jacqueline auch noch in Michael, und ist ebenfalls nicht bereit ihn gehen zu lassen – ihn aber gegenüber ihrer Mutter erbittert zu verteidigen.

Und was als amouröses Abenteuer beginnt, als frivoles Spielchen mit zartem Geturtel und einem gehauchten Schwur von Ewigkeit, mit geschmücktem Weihnachtsbaum und aufoktroyiertem Familienleben, das endet dann irgendwie ganz anders als geplant. Michael erwacht nackt in einem Bett, gefesselt, und findet das ja eine Zeitlang noch recht amüsant. Bis er merkt, dass es Marie bitterernst ist damit, dass sie ihn nicht mehr gehen lässt. Dass sie ihn 15 Jahre lang vermisst hat, ihn, die einzig wahre Liebe seit ihrer Jugend, in welcher der routinierte Verführer ihrem jungen Körper die Freuden der Liebe lehrte, und sie ihn nun nie nie nie mehr hergeben wird. Sie wird ihn verwöhnen, mit Gänseleberpastete, rotem Kaviar und viel Sex, aber die Freiheit, die wird sie ihm nicht mehr gönnen.

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Ein böser und oft bitterer Film über Obsessionen und Abhängigkeit, vor allem aber über das, was Liebe, oder was man auch immer dafür hält, aus Menschen machen kann. In der Beziehung zwischen Michael und Helene ist auch nicht alles ganz in Ordnung, vor allem weil Michael alles andere als treu zu sein scheint. „Er ist halt ein Mann, na und“ tröstet sich Helene, aber glücklich macht so ein Konstrukt auch nicht. Michael ist mehr so der Typ Mann, der sein Sperma möglichst weiträumig verteilen muss. Der geborene Charmeur und Fremdgeher, der hier an seine Nemesis stößt. Er und Marie hatten vor vielen Jahren, als Marie noch ein junges Ding war, diese heftige Affäre, so mit Fesselspielchen in einer Strandhütte und so, und seine plötzliche Abreise hat Marie nie so recht verwunden. Wobei die 15 Jahre, welche die deutsche Synchronisation dem Zeitraum andichtet, im Original immer nur „viele Jahre“ sind, was den bittersüßen Beigeschmack hat, dass Jacqueline unter Umständen auch Michaels Tochter sein könnte. Und die jetzige Romanze zwischen den Beiden so in ein ganz anderes Licht taucht.

Man merkt schon, hier gibt es unterschiedliche Betrachtungsmöglichkeiten in Bezug auf Liebe, Treue, Sex und den ganzen Kladderadatsch. Bemerkenswert ist dabei, dass die Schauwerte eher gering sind. Laura Antonelli, die spätestens seit Massimo Dallamanos VENUS IM PELZ eine DER erotischen Darstellerinnen Italiens war, ist in keiner einzigen Szene komplett nackt zu sehen, und Blanca Marsillach als Jacqueline zeigt zwar, genauso wie in Lucio Fulcis ein Jahr später gedrehtem DEVIL’S HONEY, nackte Haut, ist dabei aber ebenfalls recht zurückhaltend. Intensiv ist etwa die Szene, als Marie den gefesselten Michael verführen will, und Jacqueline unbemerkt dabei zuschaut und sich selbst befriedigt. Aber das Ganze ist nicht schmierig und nicht voyeuristisch aufgemacht, stattdessen ist dies die einzige Szene, in der tatsächlich eine intensive Erotik vorherrscht, fast nur durch die Beobachtung der (sehr zurückhaltend dargestellten) onanierenden Jacqueline.
Denn generell ist die Erotik, so sie stattfindet, eher unterkühlt, so wie die ganze Szenerie unterkühlt und streng scheint - Trotz der plüschigen Wohnung hatte ich immer das Gefühl, dass der Film den Geist der New Wave atmet, ohne dass ich das jetzt irgendwo festmachen könnte. Es ist einfach diese distanzierte Grundstimmung, die da vorherrscht, und die sehr viel vom Lebensgefühl der 80er-Jahre atmet - Vergleichbar vielleicht ein wenig mit den Filmen Claude Chabrols aus dem 60ern und 70ern, die sich auch mit dem einen Thema beschäftigten, aber immer aus dieser sicheren Distanz berichteten. Umso brachialer wirken dann die Fluchtversuche Michaels, die, ich darf ein wenig spoilern, eher etwas mit Blut und viel Schmerzen zu tun haben. Das Gebaren aller Beteiligten wird im Lauf des Films immer ruppiger, und irgendwann schwappen die unterdrückten Gefühle halt über.

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Zu dem Regisseur Giuseppe Patroni Griffi würden irgendwelche schwülen oder exploitativen Sexspielchen auch gar nicht passen. Aus einer aristokratischen Familie stammend, war Griffi Zeit seines Lebens einer der großen Theaterregisseure Italiens, der zwischen 1962 und 2000 sechs Filme und drei Produktionen für das Fernsehen drehte. Aber was für Filme! 1969 drehte er METTI, UNA SERA A CENA mit Tony Musante und Florinda Bolkan, dessen Musik in DER KÄFIG einmal im Hintergrund zu hören. Eine wunderbare Reminiszenz, gerade auch deswegen, weil in beiden Filmen Ennio Morricone einen sehr schön zu hörenden Score komponiert hat. 1976 inszenierte Griffi dann Laura Antonelli als EIN GÖTTLICHES GESCHÖPF in einer sage und schreibe siebenminütigen Nacktszene. Andere Schauspieler bei Griffi waren unter anderem Terence Stamp, Liz Taylor oder Marcello Mastroianni. Man sieht schon, der Mann war nicht fürs Grobe, aber Erotik darstellen, das schien er zu können. Leider muss ich das im Konjunktiv schreiben, da seine Filme in Deutschland bis auf DER KÄFIG und das erwähnte GÖTTLICHE GESCHÖPF alle niemals gelaufen sind …

DER KÄFIG ist deutlichst ein Kind seiner Entstehungszeit und zeigt sich als interessante Melange aus Anspruch und Erotik. Wenn man keinen Tittenfilm erwartet sondern eher etwas, was zwischen Thriller und Drama hin und her pendelt, und mit toller Optik und schöner Musik punktet, dann ist der Film sehr wohl lohnend.

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Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg und verschwand (Felix Herngren, 2013) 4/10

Der Versuch, die Geschichte des 20. Jahrhunderts zusammenzufassen und gleichzeitig aufzuzeigen, dass man sich auch ohne Intelligenz oder besondere Fähigkeiten erfolgreich durchs Leben schlagen kann. Forrest Gump aus europäischer Sicht? So was in der Richtung, denn was Allan Karlsson hier erlebt, steht den Abenteuern des amerikanischen Vorbildes in kaum etwas nach. Karlsson feiert mit Franco, tanzt mit Stalin und säuft mit Truman. Er löst die Probleme bei der Erfindung der Atombombe, flüchtet aus einem stalinistischen Gulag, und ist während des kalten Krieges Doppelagent zwischen den Machtblöcken. Das ganze immer mit diesem typisch skandinavisch-lakonischen Ton erzählt, meistens schwarzhumorig und immer relativ komisch. Ansprechende Familienunterhaltung auf ... ääh ... hohem geistigem Niveau. Witzig. Wahnsinnig witzig …
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Maulwurf
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Reset (Yoon Hong-seung, 2017) 2/10

Die Physikerin Xia Tian arbeitet an Experimenten mit Zeitreisen. Richtiger: An Experimenten mit Reisen in Paralleluniversen, bei denen aber auch die Zeitebene gewechselt wird. Als ihr Sohn entführt wird damit sie den gesamten Datenstamm der laufenden Experimente stiehlt, klappt zwar der durchgeführte Raub, aber ihr Sohn wird vom ruchlosen Attentäter trotzdem getötet. Also reist Xia Tian in den Ereignissen zurück, um ihren Sohn zu retten.

Ist das die Zukunft des modernen Films? Wenn sogar Autoverfolgungsjagden am Computer gepimpt werden müssen? Wenn der Fall eines Überseecontainers allen physikalischen Wahrscheinlichkeiten widerspricht, nur um Dramatik zu erzeugen? Dumme Charaktere, die noch viel dümmere Dialoge aufsagen um dem Zuschauer wertvolle Lebenszeit zu stehlen? Bevor man sich RESET zu Gemüte führt sollte unbedingt die Überlegung im Vordergrund stehen, dass man selber nicht zurück reisen kann in die Zeit, um sich diese vollkommen verschenkten 105 Minuten zurückzuholen. Das Sammelsurium an unausgegorenen Ideen in einer seelenlosen Geschichte hat zumindest ja noch ganz nette Bilder, und die Verfolgungsjagd in der alten Schule ist zwar relativ spannend, stimmungsvoll und gut gemacht. Spätestens aber wenn die letzte Viertelstunde zu ticken beginnt, und das alles vernichtende Pathos jegliche Spannung in die Schranken weist, spätestens dann weiß der Zuschauer dass er mit der Sichtung dieses aufgeblasenen Geballers einen Fehler gemacht hat. Gefühlt minutenlang tauschen Mutter und Sohn ein „Ich liebe Dich“ aus, was als Schluss eines, ja was denn? Actionfilms? SF-Thrillers? auf jeden Fall äußerst unbefriedigend ist.

Ich mag Zeitreise- bzw. Parallelweltgeschichten sehr, aber diese hier hat einfach keinen Nährwert. Die Übergänge zwischen den Dimensionen ergeben keinen Sinn, die Figuren kommen von einem verdammt platten Reißbrett, und das Pathos, unterstützt durch einen schrecklich banalen Soundtrack, ist schier unerträglich. Was auf den ganzen Schmonzes generell zutrifft …
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Beitrag von Maulwurf »

Secret Defense (Philippe Haïm, 2008) 7/10

Zwei Menschen. Diane studiert arabische Sprachen und hat gerade die letzte Prüfung vermasselt. Sie wird vom französischen Geheimdienst gepresst, und ihr erster Auftrag führt sie nach Beirut, wo sie einem Islamisten eine sogernannte Honigfalle stellen soll. Was nichts anderes heißt, als für das Vaterland die Beine breitzumachen. Pierre ist ein Drogendealer, der im Gefängnis Kontakt bekommt zu einer Gruppe von Islamisten, und allmählich extremisiert wird. Irgendwann werden sich die beiden Lebensläufe überschneiden …

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Eine düstere Welt, in der zwischenmenschliche Beziehungen nur über dienstliche Abhängigkeit oder den Tod gekennzeichnet sind. Vertrauen existiert nur, wenn jemand davon einen Nutzen hat. Jemanden zum Freund zu haben bedeutet, früher oder später ausgebeutet zu werden. Selbst für den Geheimdienst zu arbeiten heißt, dass das Vertrauen entzogen werden und der Gefallene in tiefen Kellern zu einem Geständnis gezwungen werden kann. Actionlastiger als im vergleichbaren AGENTS SECRETS – IM FADENKREUZ DES TODES wird eine Welt gezeigt, die nur aus Misstrauen und Tod besteht. In der ein falscher Schritt, eine falsche Reaktion, ein Moment Gedankenlosigkeit den eigenen Tod bedeutet. Oder den Tod anderer. Die Einsamkeit der Menschen ist überwältigend – Wenn sich Diane und Pierre irgendwann gegenüberstehen ist beider innere Leere mit Händen zu greifen, genauso wie ihre Verzweiflung und Angst. In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Das Tempo von SECRET DEFENSE ist hoch, und die Menge der auf den Zuschauer einhämmernden Informationen gigantisch. Dadurch wird auf vermutlich recht realistische Art gezeigt, wie sich ein Agent im Einsatz fühlen muss. Dauerbeschuss von Eindrücken, Gedanken, Informationen, und die Aufmerksamkeit darf keine Sekunde erlahmen. Verwirrung als Kampf gegen die eigene Existenz als Lebenszweck.

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SECRET DEFENSE ist spannend und grausam. Er lässt den Zuschauer keine Sekunde los, und doch möchte man den Kopf eigentlich viel lieber abwenden. Er zeigt auf was in den Schatten passiert. Sowohl in den Schatten in Paris wie auch in Beirut. Und er zeigt, wie einfach es ist, einen Menschen Dinge tun zu lassen, die er gar nicht tun will. Zum Beispiel einen Selbstmordanschlag zu verüben. Und bei allem trickreichen Dauerfeuerwerk und bei aller (mutmaßlichen) Übertreibung ist das die eigentliche Aussage des Films: Wozu sind wir fähig, und was braucht es, uns bis zum Äußersten zu treiben? Eine mögliche Antwort lautet Gar nicht viel, und allein für das Aufzeigen dieser Antwort innerhalb eines spannenden Thrillers kann man SECRET DEFENSE gar nicht hoch genug loben …
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Kaikan onanie: Niizuma-hen (Hisayasu Sato, 1993) 6/10

Seit sechs Monaten sind Reiko und Takahiro verheiratet, und seit sechs Monaten fasst er sie überhaupt nicht mehr an. Er redet auch kaum mit ihr. Im Gespräch mit der Hure Mayumi erfahren wir, dass er nur geheiratet hat, damit es nicht heißt er sei schwul, und seine Karriere nicht behindert wird. Deswegen heiraten ältliche Männer in Japan!
Reiko ergeht sich in Phantasien, dass sie beobachtet wird während sie sich selbst befriedigt. Sie stellt sich nackt auf den Balkon ihrer Hochhauswohnung, oder sie geht ohne Höschen spazieren und macht es sich irgendwann selber mit einem Vibrator. Bei dieser Gelegenheit spricht Mayumi sie an, der die arme Reiko leid tut: Takahiro ist regelmäßig bei Mayumi und schaut ihr über eine Kamera als Medium zu, wie sie Sex hat. Takahiro ist ein Voyeur, und Reiko will beobachtet werden …

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Ein Film, wie er von Jess Franco hätte sein können. Voyeurismus. Nackte Frauenkörper, die Sex haben, und obwohl sie immer „Nein, nein“ rufen, dabei doch jede Menge Lust empfinden. Ein Pärchen, das auf eher unkonventionelle Weise zusammenkommt. Die Kamera, ohne die eine Annäherung nicht stattfindet. Und viel Sex. Wem EL MIRÓN Y LA EXHIBICIONISTA gefällt und LE MIROIR OBSCÈNE, wer gerne mit dem Beobachten und dem Beobachtet werden spielt, der ist bei diesem kühl-erotischen Pinku mit dem düsteren Ambient-Soundtrack genau richtig.

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Ten Dead Men (Ross Boyask, 2008) 6/10

Früher war Ryan einmal eine Kampfmaschine. Ein bezahlter Killer, der im Auftrag eines englischen Gangsterbosses höchst effizient und zuverlässig tötete. Irgendwann stieg Ryan dann aus und wurde mit Freundin und Haus bürgerlich. Doch die alten Freunde lassen ihn nicht los, und so zieht er eines Abends aus und tötet wieder. Allerdings den Falschen. Im Umkehrschluss wird seine Freundin vor seinen Augen umgebracht und anschließend er ebenfalls. Doch Filmkiller sind zäh, und Ryan überlebt seinen Tod. Nun nimmt er Rache an den zehn Männern, die sein Leben auf dem Gewissen haben.

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Mit hohem Tempo und unnötig verkomplizierter Rückblendenstruktur erzählter Rachethriller, der im Wesentlichen schlicht und blutig ist. Wobei ich dummerweise nur die um 7 Minuten gekürzte Fassung gesehen habe, die längere Fassung scheint wohl die richtig blutigen Szenen zu beinhalten. In der gekürzten Fassung werden die finalen Kills immer rechtzeitig abgeblendet, was man aber auch als Stilmittel sehen kann – Meistens sind die Bilder im Kopf eh die stärkeren.

So oder so ist TEN DEAD MEN sicher keine Offenbarung, Brendan Carr ist härter als Bronson und schlechter als Tom Hardy, und der billige Videolook schreckt auch eher ab als dass er anmacht. Aber als brutaler kleiner Film für Zwischendurch, wenn man nicht nachdenken mag und sich berieseln lassen will, gibt es weitaus schlechtere Ideen als diesen. Independent-Kino aus England - Nichts für die Ewigkeit, aber gut zu schauen.

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The End (Nicola Collins, 2008) 7/10

Seit Jahren liebe ich britische Gangsterfilme. Ich hatte sogar längere Zeit darüber nachgedacht, ein Buch über dieses Genre zu schreiben, habe aber letzten Endes vor der schier unüberblickbaren Masse an Material kapituliert. Beim britischen Gangsterfilm gibt es einfach unglaublich viel Abwechslung – Vom Mockumentary (UK BAD BOYS) bis zur psychologischen Studie (CITY RATS), vom glänzigen High Budget-Film (DEAD MAN RUNNING) bis zum Independent Movie (TEN DEAD MEN), von der ernsthaften und düsteren Cop-und-Gangster-Story (HEAVY – DER LETZTE JOB) bis zur peinlichen Blödelei (LIVERPOOL GANGSTER).

THE END ist für den Liebhaber dieses Genre eine echte Fundgrube an Hintergrundwissen, an Referenzen und vor allem an Authentizität. Regisseurin Nicola Collins interviewt ihren Vater, einen Gangster aus dem East End, und seine Freunde. Alles hartgesottene Kriminelle der alten Schule, die eine Menge Sachen auf dem Kerbholz haben, und relativ offen darüber sprechen: Raubüberfälle, Morde, illegale Kämpfe … Viele von ihnen haben im Knast gesessen, und alle haben einen gewissen Hang zur Selbstdarstellung. Und was ebenfalls alle eint: Sie wirken sehr sympathisch, und man hat durchaus den Eindruck, mit jedem von ihnen im Pub um die Ecke ein gemütliches Bierchen trinken gehen zu können. Und auch wenn die wahren Geschichten hinter dem Posing höchstens angedeutet, und die Details zum eigenen Leben komplett verschwiegen werden, so wird doch recht schnell klar, dass die Jungs extrem harte Jungs sind, die man nicht zum Feind haben will. Wie älter gewordene Punks stehen sie nach wie vor zu ihrer stürmischen Jugend, und haben die Anti-Haltung der wilden Jahre nicht abgelegt.

„I thought of myself as a Robin Hood, and everybody else saw me as a robbin‘ bastard.“

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Ein extrem unterhaltsamer und aufschlussreicher Film, der dem Zuschauer viele Hintergründe zu fiktionalen Gangsterfilmen eröffnet. Der illegale Box-Promoter in SNATCH wird plötzlich zu einem Menschen aus Fleisch und Blut, genauso wie die Typen aus FOOTSOLDIER Profil bekommen und The Guv‘ner aus JACK SAID zu einem tatsächlich existierenden Menschen wird. In rauem Schwarzweiss gefilmt und ohne gefakte Spielszenen hat THE END eine Authentizität, die einen manchmal fast schwindelig werden lässt. Kein gelacktes Hochglanzkino, sondern eine raue Erweiterung der Weltsicht. Beeindruckend!
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Enemies – Welcome to the Punch (Eran Creevy, 2013) 8/10

Der Londoner Polizist Max Lewinsky hasst den Verbrecher Jake Sternwood. So richtig tief. Abgrundtief. Der Grund ist, dass Sternwood vor drei Jahren Lewinsky eine Kugel ins Bein gejagt hat, als der ihn fast hätte festnehmen können. Stattdessen hat Lewinsky jetzt regelmäßig Schmerzen im Bein, und Sternwood lebt in Ruhe und Frieden in Island. Doch jetzt hat Sternwoods Sohn Schwierigkeiten, und der Vater kommt zurück nach London. Lewinsky weiß das, und dreht durch wie ein Hamster auf Speed. Schnell wird ihm klar, dass der momentan zu bearbeitende Fall mit dem Ex-Soldaten Dean Warns und der Fall mit dem Sohn von Sternwood zusammenhängen, aber wie tief die Verstrickungen reichen, und wieviel Hass er noch aufwenden muss um aus der Sache lebendig wieder rauszukommen (und ich vermeide wohlweislich den Begriff heil), das kann er sich noch gar nicht vorstellen.

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Jedem regelmäßigen Filmfan wird nach 20 Minuten klar sein, wer hier der Bösewicht ist. Und der Boss vom Bösewicht ist ebenfalls sehr schnell entlarvt. Sprich, die Story ist jetzt nicht wirklich innovativ oder gar neu. Entsprechend danken die Macher des Films im Abspann dem großartigen Hong Kong-Actionkino und all den Polizei-und-Gangster-Filmen, die sie inspiriert haben. Endlich einmal Filmemacher die ehrlich sind …

Nein, hier sind andere Dinge ausschlaggebend. Zum einen die großartigen Bilder – Ridley Scott als ausführender Produzent ist nicht zu übersehen, und angenehmerweise hat sich sein Einfluss nicht auf die Geschichte ausgedehnt. Die ist nämlich ausgesprochen druck- und kraftvoll, gut geerdet, kommt mit mächtig Rumms daher und hat ein wunderbares un-mainstreamiges Ende. Es hat auf der einen Seite ruhige Passagen die viel Atmosphäre zaubern, und dann auch einiges an gut geschnittenen und spannenden Shoot-Outs, die deutlich vom Hongkong-Kino inspiriert wurden (siehe oben).
Last but not least sind da die Schauspieler. Eran Creevy geht oft ganz nah an die Menschen, und zeigt Dialoge in Form von Nahaufnahmen von Augen und Gesichtern. Die Darsteller sind durch die Bank erstklassig, vor allem James McAvoy wirkt mit seinem 24/7-Wahnsinn wie eine realistische Vorstudie zu dem deutlich abgehobeneren DRECKSAU. Mark Strong mit seiner coolen Abgeklärtheit, Andrea Riseborough mit ihrem spröden nordenglischen Charme, und die Darsteller der Bösewichter sind alle erstklassig und überzeugen auf ganzer Linie. Britisches Cops & Thugs-Kino vom Feinsten, das zwar deutlich von außen inspiriert wurde, aber sich aus den vielen guten Einflüssen der letzten 20 oder 30 Jahre das Beste rausgepickt, und in einer höllisch explosiven Mischung neu zusammengesetzt hat. Nicht neu oder innovativ (hatten wir das nicht schon mal?), aber packend und nach vorne abgehend. Große Klasse!

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