Re: Salvatores Skizzen zu einer Studie der absoluten Kontingenz
Verfasst: Do 10. Okt 2019, 08:10
Originaltitel: Linnaisten vihreä kamari
Produktionsland: Finnland 1945
Regie: Valentin Vaala
Darsteller: Rauli Tuomi, Regina Linnanheimo, Kaija Rahola, Paavo Jännes, Eine Laine, Reino Valkama
Winter in den 1830er Jahren im entlegenen Herrenhaus derer von Littow, in dem den beiden Schwestern Anna und Ringa sowie ihrem traditionsbewussten Vater eine Reihe von Gästen die Aufwartung machen, die entweder vom draußen tobenden Schneesturm in die Obhut des luxuriösen Anwesens gefegt werden und/oder ganz bestimmte Absichten, manchmal hehre, manchmal perfide, dabei verfolgen, sich auf unbestimmte Zeit im Schoß der adligen Familie niederzulassen. Im Fokus des allgemeinen Interesses stehen wenig verwunderlich die bislang noch unberingten Händen der schönen Littow-Töchter. Muttersöhnchen Eusebios beispielweise, ein entfernter Verwandter, der nie ohne die strenge Mama das Haus verlässt und ansonsten gerne dem schweren Finnenwein zuspricht, hat es ebenso auf eine der Schwestern abgesehen wie der Hochstapel Graf Spiegelberg, der den Stammvater Karl Littow mittels gewisser Dokumente zu erpressen versucht, laut denen ihm die Hälfte des Familienvermögens zusteht – eine Forderung, von der er nur Abstand nehmen will, wenn ihm der Weg zum Traualtar mit einem weiblichen Littow-Sproß gebahnt werden sollte. Vervollständigt wird die illustre Truppe aber noch um den adretten Architekten Charles Littau, der eigentlich die anstehende Modernisierung des Schlösschens vorbereitet soll, schnell jedoch in die Familienangelegenheiten seines Auftraggebers verwickelt wird: Einquartiert in der titelgebenden „Grünen Kammer“ stößt er weniger auf die Gespenster, vor denen ihn der Hausbutler gewarnt hat, sondern auf empfindliche Schriften, die ihm dunkle, auch mit seiner eigenen Person in Beziehung stehende Geheimnisse der Littows aufdecken. Zudem bleibt es nicht aus, dass sein Herz alsbald demjenigens Ringas zufliegt wie eine der willenlosen Schneeflocken vor den vereisten Fensterscheiben, die unsere Helden noch immer daran hindern, Schloss und Film zu verlassen.
In den von mir im Vorfeld konsultierten Quellen wird LINNAISTEN VIHREÄ KAMARI immer mal wieder als ein Film geführt, der zumindest mit einem oder zwei Zehen im Horror-Genre steht. Dem kann ich nach meiner nunmehrigen Sichtung dieser in Finnland durch kontinuierliche Fernsehausstrahlungen offenbar noch immer recht populären Adaption eines Romans des (mir bislang unbekannten) Schriftstellers Zacharias Topelius nur halbherzig zustimmen. Obwohl erst 1859 veröffentlicht, scheint Topelius‘ Buchvorlage knietief in den Gefilden dessen zu waten, was man hierzulande als „Schauerromantik“ bezeichnet, bzw. was man im anglikanischen Raum unter „Gothic Fiction" versteht. Vertreten ist nämlich das gesamte Arsenal an Topoi, die man eher aus (heute nahezu vergessenen) Populärliteratur-Bestsellern der 1790er und frühen 1800er Jahren kennt: Eine aristokratische Familie mit mehr als einer Leiche im Keller; Geheimgänge und Tapetentüren; familiäre Verwicklungen, bei denen ständig irgendwer als der illegitime Sohn und Erbe von irgendwem anders enttarnt wird, oder sich herausstellt, dass zwei sich liebende Geschwister auf einmal gar nicht miteinander verwandt sind; vermeintlicher Geisterspuk, der sich (früher oder später) als Ausgeburt der Phantasie unserer überreizten Helden entpuppt, oder als heimtückisches Täuschungsmanöver; sinistere Figuren wie Erbschleicher, verlotterte Adlige, Halsabschneider; alles in allem ein Gesellschaftsmodell, in dem trotz der zeitweisen Irritationen am Ende doch alles auf festen Sockeln steht, und die Bettlaken der falschen Gespenster genauso wie die Erschütterungen des Klassensystems zurück in die Mottenkiste gestopft werden. Auch in LINNAISTEN VIHREÄ KAMARI trifft man alle paar Schritte auf irgendein Versatzstück dieser einst beliebten, heute unfreiwillig komischen literarischen Blüten – wenn der Film auch mit einem (jedoch wirklich ziemlich subtilen) ironischen Gestus mit solcherlei Ingredienzien hantiert: Es wirkt, als wüssten die Verantwortlichen genau, dass sie im Grunde alten Kaffee aufkochen, servieren den aber immerhin mit einem subtil-schelmischen Grinsen.
Mit Horror (oder auch nur wohligem Grusel) sollte man all das freilich nicht in Verbindung bringen, (weshalb vorliegender Film, was ich mir insgeheim erhofft hatte, auch nicht wirklich etwas mit den schaurigen Schneemelancholien eines VALKOINEN PEURA oder dem sexuell überhitzten Hexenzauber eines NOITA PALAA ELÄMÄÄN verbnidet, jenen beiden Filmen, die sieben Jahre das finnische Horrorkino sowohl einläuten als auch gleich wieder zu Grabe tragen.) Viel eher scheint mit LINNAISTEN VIHREÄ KAMARI ein zwar recht unterhaltsamer, stellenweise aber auch sehr langatmiger und narrativ im Leerlauf stagnierender Mix aus klassischem Melodrama, Gesellschaftssatire und ein wenig Romanze zu sein, dessen Obertöne mit zunehmender Laufzeit ganz klar zeitgenössische Melodien anstimmen: Wenn unsere Identifikationsfigur, der Architekt Litthau, seinem Schwiegervater in spe, dem am Althergebrachten krampfhaft festhalten wollenden Grafen Littow, eine Predigt hält, nach der doch alle Menschen gleich seien, und somit jedweder Standesdünkel eine Attacke direkt gegen die Vernunft, oder wenn es am Ende, nachdem der angebliche „Familienfluch“ zur allgemeinen Zufriedenheit aufgedröselt worden ist, heißt, man solle nicht über die Schulter in die Vergangenheit gucken, sondern zuversichtlich in die Zukunft, dann kommt es mir vor, als ob da im Subtext – man bedenke das Produktionsjahr 1945 – ganz viel Unausgesprochenes schlummere, das mit der zurückliegender Kriegszeit, der deutschen Besatzung Finnlands und, allgemeiner, dem Widerstreit zwischen Nostalgie und Progressivität innerhalb der (nicht nur finnischen) Nachkriegs-Gesellschaft zu tun hat.
Wenigstens ästhetisch kann man dem Film aber nicht absprechen, leidenschaftlich an gewissen Genre-Statuten zu hängen: Da flackert die Funzel; da knarrt der Dielenboden; da wehen Wandteppiche, scheinbar Gestalten formend; und in einem wirklich wundervollen Moment erkundet Charles, nur mit einer Kerze bewaffnet, ein angeblich verwunschenes Gemach, wobei sich die Tonspur angenehm zurücknimmt, und die Kamera sich mit sichtlicher Lust an einem liebevoll hergerichteten Sammelsurium ausgestopfter Eulen, mottenzerfressener Folianten und sogar einem Affenschädel ergötzt. Relativ singulär steht diese mehrminütige Szene aber in einem Film, der trotz oder gerade wegen seines ausgeprägten Chiaroscuro, seinen beinahe schon den Duft der Universal-Studios atmenden, im wahrsten Wortsinn gotischen Studiokulissen, und seinen ständig angedeuteten, jedoch zu keinem Zeitpunkt herzhaft ausagierten Schrecken und Schatten auf mich mehr wie ein abgefilmtes Theaterstück wirkt, bei dem einige potentielle Lacher vom Zahn der Zeit zernagt worden sind, und nicht jede Plot-Volte interessant genug herüberkommt, um mich wirklich weit über eineinhalb Stunden bei Laune zu halten.
In den von mir im Vorfeld konsultierten Quellen wird LINNAISTEN VIHREÄ KAMARI immer mal wieder als ein Film geführt, der zumindest mit einem oder zwei Zehen im Horror-Genre steht. Dem kann ich nach meiner nunmehrigen Sichtung dieser in Finnland durch kontinuierliche Fernsehausstrahlungen offenbar noch immer recht populären Adaption eines Romans des (mir bislang unbekannten) Schriftstellers Zacharias Topelius nur halbherzig zustimmen. Obwohl erst 1859 veröffentlicht, scheint Topelius‘ Buchvorlage knietief in den Gefilden dessen zu waten, was man hierzulande als „Schauerromantik“ bezeichnet, bzw. was man im anglikanischen Raum unter „Gothic Fiction" versteht. Vertreten ist nämlich das gesamte Arsenal an Topoi, die man eher aus (heute nahezu vergessenen) Populärliteratur-Bestsellern der 1790er und frühen 1800er Jahren kennt: Eine aristokratische Familie mit mehr als einer Leiche im Keller; Geheimgänge und Tapetentüren; familiäre Verwicklungen, bei denen ständig irgendwer als der illegitime Sohn und Erbe von irgendwem anders enttarnt wird, oder sich herausstellt, dass zwei sich liebende Geschwister auf einmal gar nicht miteinander verwandt sind; vermeintlicher Geisterspuk, der sich (früher oder später) als Ausgeburt der Phantasie unserer überreizten Helden entpuppt, oder als heimtückisches Täuschungsmanöver; sinistere Figuren wie Erbschleicher, verlotterte Adlige, Halsabschneider; alles in allem ein Gesellschaftsmodell, in dem trotz der zeitweisen Irritationen am Ende doch alles auf festen Sockeln steht, und die Bettlaken der falschen Gespenster genauso wie die Erschütterungen des Klassensystems zurück in die Mottenkiste gestopft werden. Auch in LINNAISTEN VIHREÄ KAMARI trifft man alle paar Schritte auf irgendein Versatzstück dieser einst beliebten, heute unfreiwillig komischen literarischen Blüten – wenn der Film auch mit einem (jedoch wirklich ziemlich subtilen) ironischen Gestus mit solcherlei Ingredienzien hantiert: Es wirkt, als wüssten die Verantwortlichen genau, dass sie im Grunde alten Kaffee aufkochen, servieren den aber immerhin mit einem subtil-schelmischen Grinsen.
Mit Horror (oder auch nur wohligem Grusel) sollte man all das freilich nicht in Verbindung bringen, (weshalb vorliegender Film, was ich mir insgeheim erhofft hatte, auch nicht wirklich etwas mit den schaurigen Schneemelancholien eines VALKOINEN PEURA oder dem sexuell überhitzten Hexenzauber eines NOITA PALAA ELÄMÄÄN verbnidet, jenen beiden Filmen, die sieben Jahre das finnische Horrorkino sowohl einläuten als auch gleich wieder zu Grabe tragen.) Viel eher scheint mit LINNAISTEN VIHREÄ KAMARI ein zwar recht unterhaltsamer, stellenweise aber auch sehr langatmiger und narrativ im Leerlauf stagnierender Mix aus klassischem Melodrama, Gesellschaftssatire und ein wenig Romanze zu sein, dessen Obertöne mit zunehmender Laufzeit ganz klar zeitgenössische Melodien anstimmen: Wenn unsere Identifikationsfigur, der Architekt Litthau, seinem Schwiegervater in spe, dem am Althergebrachten krampfhaft festhalten wollenden Grafen Littow, eine Predigt hält, nach der doch alle Menschen gleich seien, und somit jedweder Standesdünkel eine Attacke direkt gegen die Vernunft, oder wenn es am Ende, nachdem der angebliche „Familienfluch“ zur allgemeinen Zufriedenheit aufgedröselt worden ist, heißt, man solle nicht über die Schulter in die Vergangenheit gucken, sondern zuversichtlich in die Zukunft, dann kommt es mir vor, als ob da im Subtext – man bedenke das Produktionsjahr 1945 – ganz viel Unausgesprochenes schlummere, das mit der zurückliegender Kriegszeit, der deutschen Besatzung Finnlands und, allgemeiner, dem Widerstreit zwischen Nostalgie und Progressivität innerhalb der (nicht nur finnischen) Nachkriegs-Gesellschaft zu tun hat.
Wenigstens ästhetisch kann man dem Film aber nicht absprechen, leidenschaftlich an gewissen Genre-Statuten zu hängen: Da flackert die Funzel; da knarrt der Dielenboden; da wehen Wandteppiche, scheinbar Gestalten formend; und in einem wirklich wundervollen Moment erkundet Charles, nur mit einer Kerze bewaffnet, ein angeblich verwunschenes Gemach, wobei sich die Tonspur angenehm zurücknimmt, und die Kamera sich mit sichtlicher Lust an einem liebevoll hergerichteten Sammelsurium ausgestopfter Eulen, mottenzerfressener Folianten und sogar einem Affenschädel ergötzt. Relativ singulär steht diese mehrminütige Szene aber in einem Film, der trotz oder gerade wegen seines ausgeprägten Chiaroscuro, seinen beinahe schon den Duft der Universal-Studios atmenden, im wahrsten Wortsinn gotischen Studiokulissen, und seinen ständig angedeuteten, jedoch zu keinem Zeitpunkt herzhaft ausagierten Schrecken und Schatten auf mich mehr wie ein abgefilmtes Theaterstück wirkt, bei dem einige potentielle Lacher vom Zahn der Zeit zernagt worden sind, und nicht jede Plot-Volte interessant genug herüberkommt, um mich wirklich weit über eineinhalb Stunden bei Laune zu halten.