Re: Salvatores Skizzen zu einer Studie der absoluten Kontingenz
Verfasst: Do 5. Mär 2020, 09:12
Originaltitel: Portrait de la jeune fille en feu
Produktionsland: Frankreich 2019
Regie: Céline Sciamma
Darsteller: Adèle Haenel, Noémie Merlant, Luana Bajrami, Valeria Golino
Produktionsland: Frankreich 2019
Regie: Céline Sciamma
Darsteller: Adèle Haenel, Noémie Merlant, Luana Bajrami, Valeria Golino
Den Preis für einen der schönsten Filmtitel des Jahres 2019 hat PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU, meiner Meinung nach, schon einmal gewonnen. Klingt das nicht zugleich nach James Joyces PORTRAIT OF THE ARTIST AS A YOUNG MAN und William Blakes THE GREAT RED DRAGON AND THE WOMAN CLOTHED IN SUN? Vor allem klingt es aber nach Pathos, nach großen Emotionen. Überrascht hat es mich letztlich nicht, dass es sich bei dem vierten Langfilm der französischen Regisseurin Céline Sciamma um einen Kostümfilm handelt, - und dass bei diesem Kostümfilm feministische, homoerotische, emanzipatorische Diskurse den Ton angeben, noch weniger, hat Sciamma doch zuvor Bekanntheit durch ihre Coming-of-Age-Trilogie aus NAISSANCE DES PIEUVRES (2007), TOMBOY (2011) und BANDES DES FILLES (2014) erlangt, in denen sie jungen Mädchen unterschiedlicher sozialer Milieus bei der Findung einer eigenen (sexuellen) Identität begleitet.
Im Jahre 1770 erhält die Pariser Malerin Marianne den Auftrag, die junge Adlige Héloïse zu portraitieren. Was klingt wie ein Job von der Stange, entpuppt sich als kompliziertes Maskenspiel: Zum einen lebt Héloïse mit ihrer verwitweten Mutter auf einer weltabgewandten Bretagne-Insel, zum andern weigert sie sich, irgendwem Modell für das Gemälde zu stehen, dessen Fertigstellung ihre (Zwangs-)Hochzeit mit einem italienischen Aristokraten besiegeln soll. Ihre Mutter schleust Marianne deshalb als vorgebliche Gesellschaftsdame auf das Eiland: Während Héloïse glaubt, sie solle ihr helfen, die langen Tagen bis zur Eheschließung totzuschlagen, studiert Marianne heimlich ihre Gesten, ihre Miene, ihre Aura, um jede Nacht zu versuchen, all das aus ihrem Gedächtnis heraus auf die Leinwand zu projizieren. Bei ihren Strandspaziergängen, Diskussionen im Flackerschein des Kamins und gemeinsamen Abendessen dringen die beiden Frauen immer mehr zueinander vor, und Marianne erfährt auch die Hintergrundgeschichte von Héloïses Hochzeit wider Willen: Eigentlich sei die Hand ihrer Schwester für die des Grafen aus Mailand vorgesehen gewesen, doch habe diese sich dann doch dafür entschieden, sich lieber die Küstenklippen in den Tod zu stürzen, statt einen Lackaffen zu heiraten, den sie nicht ausstehen könne. Es ist ebenfalls nur eine Frage der Zeit bis Héloïse hinter die wahren Gründe für Mariannes Besuch kommt: Entrüstet zeigt sie sich über das fertiggestellte Gemälde, in dem sie sich kein bisschen wiedererkennt – für Marianne Anlass genug, die erste Portrait-Fassung zu zerstören. Nur dadurch kann Héloïse ihre Mutter davon abhalten, Marianne der Insel zu verweisen, dass sie sich bereiterklärt, ihr von nun an sittsam Modell zu sitzen. Als die Mutter für fünf Tage verreist, und Marianne, Héloïse und das Dienstmädchen Sophie allein auf dem unwirtlichen Felsen im Meer zurückbleiben, nähern sich nicht nur unsere beiden Heldinnen zunehmend seelisch und körperlich an, sondern in der Einsamkeit gedeiht beinahe so etwas wie die Utopie eines feministischen Freistaats…
Von Utopien haben freilich auch Sciammas vorherige Werke erzählt: In NAISSANCE DES PIEUVRES entwickelt die fünfzehnjährige Marie einen Crush gegenüber der wenige Jahre älteren Floriane, und muss am Ende erkennen, dass diese ihrer Liebe lediglich freundschaftliche Gefühle entgegenbringt, bzw. nicht einmal begriffen hat, wie es um das Herz ihrer Freundin bestellt ist; in TOMBOY nutzt die etwas jüngere Laure den Umzug ihrer Familie und die noch andauernden Sommerferien, sich gegenüber den Nachbarskindern als Junge auszugeben, und ein Spiel mit Geschlechterrollen zu betreiben, das freilich ebenfalls in einem ernüchternden Zusammenstoß mit der Realität endet; in BANDE DES FILLES eilt die sechzehnjährige Mariame ihrem Traum von Freiheit hinterher, indem sie die Schule schmeißt und sich einer Mädchenclique anschließt, die Mitschüler erpresst und beraubt, Ladendiebstähle begeht, sich Schlägereien mit verfeindeten Banden liefert, nur um Stück für Stück tiefer ins kriminelle Abseits zu geraten. All diese Filme zeichnet aus, dass Sciamma die Balance findet zwischen intimen Einblicken in die Seelenleben sich unverstanden fühlender, mit ihrer sexuellen und/oder geschlechtlicher Identität hadernder, perspektivloser Jugendlicher und einem Inszenierungsstil, der sich fernhält von dem Drücken auf Tränendrüsen, plakativer Gesellschaftskritik oder dem Heischen um Mitleid, sondern, trotz aller Intimität, schon mehr mit dem Stoizismus beispielweise der Berliner Schule zu tun hat: Extradiegetische Musik erklingt bei Sciamma selten, und wenn, dann niemals ohne Grund; ihre Darsteller sind zumeist Laien, ihre Dialoge authentisch, ihre Bilder betont nüchtern, fast dokumentarisch; wer sich Geschichten voller unerwarteter Wendungen und dramaturgischer Finessen erwartet, dürfte sowieso an der falschen Haltestelle stehen. Wie transferiert Sciamma nun aber all diese Sensibilitäten und Stilmittel in einen dezidierten Historien-Kontext?
PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU folgt den etablierten Mustern: Im Zentrum stehen Frauen, die sich, zumindest emotional, gegen eine sie unterbutternde Gesellschaftsstruktur auflehnen – und wenn in vorliegendem Film im letzten Drittel plötzlich mit Héloïses Verlobtem ein Mann die Handlung entert, wirkt das im ersten Moment wie ein Schock, nicht nur für Marianne, sondern auch für mich; Schauwerte braucht niemand zu erhoffen, werden aufregendere Szenen von Sciamma doch konsequent ins Off verbannt: Wenn beispielweise Héloïse an Sophie eine Abtreibung vornimmt, ist das derart zurückhaltend inszeniert, dass ein Moment der Unaufmerksamkeit einem vielleicht sogar entgehen lassen würde, was sich da gerade für ein Drama abspielt, und wenn sich Marianne und Héloïse einander sexuell annähern, dann sehen wir einzig ihr behutsames Gehen auf Tuchfühlung, und treffen sie erst nach einem Schnitt wieder, wie sie nackt nebeneinander im Bett liegen; überhaupt wirkt PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU noch spröder, noch introvertierter, noch unaufgeregter als Sciammas Frühwerke, indem all die inneren Vulkane, die in unseren Heldinnen eruptieren, nahezu ausnahmslos in ihrem Innern verbleiben: Fast könnte man sagen, dieser Film sei reifer, gediegener, abgeklärter als seine drei Vorläufer. Zu tun hat das freilich auch mit den Entscheidungen, als Protagonisten erwachsene Frauen und keine Jugendliche zu wählen, sich in eine ferne Epoche zu begeben, und vor allem nicht länger alltägliche Situationen, die bislang im Mittelpunkt von Sciammas Filmen gestanden haben, zu thematisieren, sondern einen Ausnahmezustand zu bebildern: Dass Héloïse und Marianne die Zeit davonrennt, wissen die Beiden am besten, sodass der gesamte Aufenthalt der Malerin auf der Atlantikinsel ihren utopischen Charakter bereits per se in sich trägt. Böse Zungen könnten freilich sagen, dass PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE ein Arthouse-Prototyp ist, wie am Reißbrett entstanden: Zwei Stunden lange hübsche Bilder, hübsche Landschaften, hübsche Kostüme, doch rein storytechnisch passiert nichts, was nicht auf einer Briefmarke Platz finden würde. Allerdings ist das auch gar nicht der Punkt, den Sciamma machen will: Ihr zärtliches Kammerspiel kaut uns nicht vor, legt nichts wirklich offen, wirkt allein deshalb so distanziert, weil es mich selbst zum Nachdenken anregen möchte – und wenn dann nach hundertzwanzig Minuten der Film in einer Großaufnahme von Sciammas Lebensgefährtin Adèle Haenel kulminiert, die angesichts einer Opernaufführung ihre bislang runtergeschluckten Gefühle nicht mehr im Zaum zu halten vermag, dann wirkt es beinahe, als sei die meditativ-kontemplative Stimmung, die der Film zuvor an den Tag gelegt hat, nur dafür gedacht gewesen, mich in diesen letzten Minuten umso heftiger mit Vulkanen zu konfrontieren, die doch plötzlich extrem schmerzhaft aus ihren Körperkäfigen hervorbrechen.
Im Jahre 1770 erhält die Pariser Malerin Marianne den Auftrag, die junge Adlige Héloïse zu portraitieren. Was klingt wie ein Job von der Stange, entpuppt sich als kompliziertes Maskenspiel: Zum einen lebt Héloïse mit ihrer verwitweten Mutter auf einer weltabgewandten Bretagne-Insel, zum andern weigert sie sich, irgendwem Modell für das Gemälde zu stehen, dessen Fertigstellung ihre (Zwangs-)Hochzeit mit einem italienischen Aristokraten besiegeln soll. Ihre Mutter schleust Marianne deshalb als vorgebliche Gesellschaftsdame auf das Eiland: Während Héloïse glaubt, sie solle ihr helfen, die langen Tagen bis zur Eheschließung totzuschlagen, studiert Marianne heimlich ihre Gesten, ihre Miene, ihre Aura, um jede Nacht zu versuchen, all das aus ihrem Gedächtnis heraus auf die Leinwand zu projizieren. Bei ihren Strandspaziergängen, Diskussionen im Flackerschein des Kamins und gemeinsamen Abendessen dringen die beiden Frauen immer mehr zueinander vor, und Marianne erfährt auch die Hintergrundgeschichte von Héloïses Hochzeit wider Willen: Eigentlich sei die Hand ihrer Schwester für die des Grafen aus Mailand vorgesehen gewesen, doch habe diese sich dann doch dafür entschieden, sich lieber die Küstenklippen in den Tod zu stürzen, statt einen Lackaffen zu heiraten, den sie nicht ausstehen könne. Es ist ebenfalls nur eine Frage der Zeit bis Héloïse hinter die wahren Gründe für Mariannes Besuch kommt: Entrüstet zeigt sie sich über das fertiggestellte Gemälde, in dem sie sich kein bisschen wiedererkennt – für Marianne Anlass genug, die erste Portrait-Fassung zu zerstören. Nur dadurch kann Héloïse ihre Mutter davon abhalten, Marianne der Insel zu verweisen, dass sie sich bereiterklärt, ihr von nun an sittsam Modell zu sitzen. Als die Mutter für fünf Tage verreist, und Marianne, Héloïse und das Dienstmädchen Sophie allein auf dem unwirtlichen Felsen im Meer zurückbleiben, nähern sich nicht nur unsere beiden Heldinnen zunehmend seelisch und körperlich an, sondern in der Einsamkeit gedeiht beinahe so etwas wie die Utopie eines feministischen Freistaats…
Von Utopien haben freilich auch Sciammas vorherige Werke erzählt: In NAISSANCE DES PIEUVRES entwickelt die fünfzehnjährige Marie einen Crush gegenüber der wenige Jahre älteren Floriane, und muss am Ende erkennen, dass diese ihrer Liebe lediglich freundschaftliche Gefühle entgegenbringt, bzw. nicht einmal begriffen hat, wie es um das Herz ihrer Freundin bestellt ist; in TOMBOY nutzt die etwas jüngere Laure den Umzug ihrer Familie und die noch andauernden Sommerferien, sich gegenüber den Nachbarskindern als Junge auszugeben, und ein Spiel mit Geschlechterrollen zu betreiben, das freilich ebenfalls in einem ernüchternden Zusammenstoß mit der Realität endet; in BANDE DES FILLES eilt die sechzehnjährige Mariame ihrem Traum von Freiheit hinterher, indem sie die Schule schmeißt und sich einer Mädchenclique anschließt, die Mitschüler erpresst und beraubt, Ladendiebstähle begeht, sich Schlägereien mit verfeindeten Banden liefert, nur um Stück für Stück tiefer ins kriminelle Abseits zu geraten. All diese Filme zeichnet aus, dass Sciamma die Balance findet zwischen intimen Einblicken in die Seelenleben sich unverstanden fühlender, mit ihrer sexuellen und/oder geschlechtlicher Identität hadernder, perspektivloser Jugendlicher und einem Inszenierungsstil, der sich fernhält von dem Drücken auf Tränendrüsen, plakativer Gesellschaftskritik oder dem Heischen um Mitleid, sondern, trotz aller Intimität, schon mehr mit dem Stoizismus beispielweise der Berliner Schule zu tun hat: Extradiegetische Musik erklingt bei Sciamma selten, und wenn, dann niemals ohne Grund; ihre Darsteller sind zumeist Laien, ihre Dialoge authentisch, ihre Bilder betont nüchtern, fast dokumentarisch; wer sich Geschichten voller unerwarteter Wendungen und dramaturgischer Finessen erwartet, dürfte sowieso an der falschen Haltestelle stehen. Wie transferiert Sciamma nun aber all diese Sensibilitäten und Stilmittel in einen dezidierten Historien-Kontext?
PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU folgt den etablierten Mustern: Im Zentrum stehen Frauen, die sich, zumindest emotional, gegen eine sie unterbutternde Gesellschaftsstruktur auflehnen – und wenn in vorliegendem Film im letzten Drittel plötzlich mit Héloïses Verlobtem ein Mann die Handlung entert, wirkt das im ersten Moment wie ein Schock, nicht nur für Marianne, sondern auch für mich; Schauwerte braucht niemand zu erhoffen, werden aufregendere Szenen von Sciamma doch konsequent ins Off verbannt: Wenn beispielweise Héloïse an Sophie eine Abtreibung vornimmt, ist das derart zurückhaltend inszeniert, dass ein Moment der Unaufmerksamkeit einem vielleicht sogar entgehen lassen würde, was sich da gerade für ein Drama abspielt, und wenn sich Marianne und Héloïse einander sexuell annähern, dann sehen wir einzig ihr behutsames Gehen auf Tuchfühlung, und treffen sie erst nach einem Schnitt wieder, wie sie nackt nebeneinander im Bett liegen; überhaupt wirkt PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU noch spröder, noch introvertierter, noch unaufgeregter als Sciammas Frühwerke, indem all die inneren Vulkane, die in unseren Heldinnen eruptieren, nahezu ausnahmslos in ihrem Innern verbleiben: Fast könnte man sagen, dieser Film sei reifer, gediegener, abgeklärter als seine drei Vorläufer. Zu tun hat das freilich auch mit den Entscheidungen, als Protagonisten erwachsene Frauen und keine Jugendliche zu wählen, sich in eine ferne Epoche zu begeben, und vor allem nicht länger alltägliche Situationen, die bislang im Mittelpunkt von Sciammas Filmen gestanden haben, zu thematisieren, sondern einen Ausnahmezustand zu bebildern: Dass Héloïse und Marianne die Zeit davonrennt, wissen die Beiden am besten, sodass der gesamte Aufenthalt der Malerin auf der Atlantikinsel ihren utopischen Charakter bereits per se in sich trägt. Böse Zungen könnten freilich sagen, dass PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE ein Arthouse-Prototyp ist, wie am Reißbrett entstanden: Zwei Stunden lange hübsche Bilder, hübsche Landschaften, hübsche Kostüme, doch rein storytechnisch passiert nichts, was nicht auf einer Briefmarke Platz finden würde. Allerdings ist das auch gar nicht der Punkt, den Sciamma machen will: Ihr zärtliches Kammerspiel kaut uns nicht vor, legt nichts wirklich offen, wirkt allein deshalb so distanziert, weil es mich selbst zum Nachdenken anregen möchte – und wenn dann nach hundertzwanzig Minuten der Film in einer Großaufnahme von Sciammas Lebensgefährtin Adèle Haenel kulminiert, die angesichts einer Opernaufführung ihre bislang runtergeschluckten Gefühle nicht mehr im Zaum zu halten vermag, dann wirkt es beinahe, als sei die meditativ-kontemplative Stimmung, die der Film zuvor an den Tag gelegt hat, nur dafür gedacht gewesen, mich in diesen letzten Minuten umso heftiger mit Vulkanen zu konfrontieren, die doch plötzlich extrem schmerzhaft aus ihren Körperkäfigen hervorbrechen.