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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 4. Okt 2021, 06:07
von Maulwurf
A Hero never dies (Johnny To, 1998) 6/10

Seit einem Jahr tobt der Krieg zwischen den verfeindeten Gangsterbanden, und eigentlich hätte die Entscheidung über die Aufteilung Hongkongs längst gefallen sein sollen. Auf beiden Seiten kämpfen absolute Topleute: Hier Jack, dort Martin. Beide sind Ehrenmänner, beide stehen auf Rotwein und schnelle Autos, und beide haben keine Angst vor dem Tod. Die zwei könnten glatt Freunde sein, aber so ganz kommen sie halt doch nicht zusammen. Zu groß sind das Misstrauen und die tief verwurzelte Gegnerschaft. Bei einem harten Kampf in einem Motel in Thailand werden beide schwer verletzt. Martin verliert seine Unterschenkel, und Jack verdient seine Kröten anschließend als Müllmann in Bangkok. Die beiden Bosse, für die sie ihre Knochen hingehalten haben, verbrüdern sich unterdessen und beherrschen die Stadt gemeinsam. Jack und Martin, die zwei gebrochenen Helden, tun sich zusammen, um für die tiefen Wunden in ihrem Leben Rache zu nehmen.

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Vor vielen Jahren hat mir mal ein Freund, der mehr HK-Filme kennt als ich es jemals tun werde, gesagt, dass es von Johnny To auch schlechte Filme gibt. Damals, mit EXILED und VENGEANCE im Kopf, wollte ich ihm nicht so recht glauben. Nein nein, A HERO NEVER DIES ist beileibe nicht schlecht. Aber so richtig toll ist er halt auch nicht. Eher ein Beweis dafür, wie einfallslos sich das HK-Actionkino der späten 90er selber reproduzierte. Coole, aber blasse Revolvermänner, die sich gegenseitig mit Kugeln beharken, während die Zeit ohne es zu merken an ihnen vorbeiläuft. Dazu Actionszenen die sich mit der Hochzeit des HK-Actionkinos in keinster Weise messen können, sondern die einfach nur einfallslos und müde erscheinen. Abgehalfterte Helden, die an anderen Rache dafür nehmen, dass sie selber einmal die falschen Entscheidungen getroffen haben. Vielleicht mag das harte Urteil auch an der schlechten Qualität der gesehenen DVD liegen, das kann gut sein. Aber irgendwie wollte der Funke nie so recht zünden. Der Kampf in dem Motel ist gut und hart inszeniert, aber einfach irgendwie … unübersichtlich. Uninspiriert. Aus der Kombination viele Killer – viele Türen – sehr viele Wände – Regen – Nacht – große Wummen lässt sich sehr stylisches Actionkino herausholen, an dem man sich auch über 20 Jahre später noch nicht satt gesehen hat. Aber hier macht dieser Shootout schlicht und ergreifend nicht so recht an.

Später im Film hat Lau Ching-Wan als Martin dann keine Unterschenkel mehr. Für einen selbstbewussten und schnell lebenden Hitman natürlich ein echtes Problem, was darin gipfelt, dass seine Freundin irgendwann entnervt feststellt, dass er sich ja die ganze Hose vollgemacht hat. Martin lässt sich komplett hängen. Er starrt nur noch vor sich hin und es braucht lange bis er wieder den Mut findet, es mit den Gangstern aufzunehmen, die ihm seinen Lebensfaden buchstäblich zerschnitten haben. Parallel dazu geht Jack als Müllmann in Thailand umher, während die Bosse in Hongkong einen auf erfolgreiche Obermotze machen. Die Geschichte wird in dem Augenblick stark ausgebremst, das Interesse verlagert sich von den Killern hin zu den Bossen, die schnell und prägnant charakterisiert werden, und plötzlich erheblich interessanter wirken als die beiden eigentlichen Hauptfiguren die sich eher als platte Abziehbilder von Killern präsentieren, nicht als lebende Figuren, und damit nur schwerlich Mitgefühl wecken. Denn sowohl die Bosse wie auch die Freundinnen, die für jeden der beiden buchstäblich durch die Hölle gehen, sind spannender und wecken mehr Interesse …

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Wie gesagt, schlecht ist der Film nicht. Aber er hat seine Längen, und es gibt in diesem Bereich so verdammt viel Konkurrenz, und so verdammt viel besseren Stoff …

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Martin mag ein Lied ganz besonders, und will es in seiner Stammkneipe immer hören. Für alle, die mal wissen möchten wie sich ein Ohrwurm anhört:


Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 7. Okt 2021, 06:20
von Maulwurf
Blind Date (a.k.a. Lady in Black) (Antonio Bonifacio, 1990) 7/10

Angela betritt ein Kino (es läuft übrigens Borowczyks EMMANUELLE 5), geht auf die Toilette, und nur kurz darauf dringen Hilfeschreie nach außen – Sie wurde offensichtlich mit einer zerbrochenen Flasche verletzt und brutal vergewaltigt. Angela selber scheint das mit einiger Contenance wegzustecken, auffällig ist aber, dass das ihren Mann, den erfolgreichen Diplomanten John (im Original Gianni) relativ wenig kratzt, ist doch das Verhältnis zwischen den beiden längst abgekühlt und einer Beziehung zwischen John und Angelas heißer Freundin Eva gewichen. Zudem darf das Vorkommnis nicht an die Öffentlichkeit dringen – der Karriere Johns wegen! Bei einer Gartenparty allerdings munkeln sich die Gäste so einiges zu. „ … bei der Herkunft“ heißt es dann. Angela war halt nicht immer vom Erfolg verwöhnt, denn als 15-jähriges Mädchen wurde sie schon einmal vergewaltigt. Ihr Vater tötete den Mörder und kam dafür ins Gefängnis, wo er sich umbrachte. Wiederholt sich jetzt die Geschichte von damals, nur unter anderen Vorzeichen?
Nicht wirklich, denn der Filmvorführer des Kinos hat beobachtet, was auf der Toilette wirklich passiert ist: Angela hat sich die Verletzungen nämlich selber beigebracht und die Geschichte erfunden.

Und so steht das Leben mehrerer Menschen hart auf der Kippe: Der Filmvorführer erpresst Angela, wogegen sie sich wehrt. Vehement wehrt. Und Angela ihrerseits steht dem Glück von John und Eva im Weg, weswegen die beiden einen irren Mörder erfinden, der Angela beiseite räumen soll.

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Ursprünglich bin ich an den Film rangegangen mit der Erwartungshaltung, einen belanglosen Tittenfilm mit aufgesetzter Krimihandlung zu sehen. Geliefert wurde stattdessen ein trickreicher Krimi mit wahllos eingestreuten Softsexszenen, der trotz einer gewissen Vorhersehbarkeit durch Spannung und viel Atmosphäre wirklich Eindruck gemacht hat. Auch wenn der Beginn recht klischeelastig ist, sowohl was das Verhalten von gutaussehenden Damen in einem Mercedes betrifft wie auch in Bezug auf die Stereotypie von Spät-Gialli, so kriegt Regisseur Antonio Bonifacio in seinem Regieerstling doch recht schnell die Kurve, haut dem Bontempi-Experten was auf die Finger damit die Musik nicht gar zu dümmlich klingt, und zieht an der narrativen Reißleine um ein faszinierendes Vexierspiel um nackte Brüste und tödliches Verlangen zu inszenieren.

Eine Frau, die schwer vermutet dass ihr eigener Mann sie umbringen möchte. Ein gängiges Thrillersujet, und in den allermeisten Fällen kommt die Spannung aus der Ungewissheit, ob er nun, oder ob er nun nicht. Zweifel werden gesät, Verdächtigungen gestreut, rote Heringe ausgelegt, und der Zuschauer kann sich partout nicht entscheiden ob der Hauptverdächtige nun wirklich ein Spitzbube ist, oder ob das arme Unschuldslamm sich das nicht einfach alles nur einbildet.

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LADY IN BLACK macht es sich nicht ganz so einfach, denn die Tatsache, dass Gianni den Tod seiner Frau will wird schon recht früh in Wort und Bild festgehalten (weswegen ich das in der Inhaltsangabe auch spoilern durfte). Das (sehr gutaussehende) Motiv wird erklärt, und der Zuschauer harrt des kommenden Mordanschlags. Pustekuchen, denn irgendwann wird er gleichzeitig der Tatsache gewahr, dass Angela mitnichten so unschuldig ist wie sie bislang eingeführt wurde, und ihr eigenes Süppchen am Kochen hat. Welches durchaus auch mit den gängigen Zutaten wie Terror oder Mord gewürzt sein könnte.

Dazu kommen männliche Sinistergestalten, deren Rolle teilweise erst spät im Film geklärt wird, und schöne Frauen, deren Motiv auch nicht immer ganz klar ist. Die Haushälterin Rosie zum Beispiel, die immer dann auftaucht wenn sie keiner bemerkt, und die viel mehr sieht und weiß als alle denken. Oder die gutaussehende Polizeiinspektorin, die erheblich misstrauischer ist als man vermutet, und die so gerne Columbo wäre …

LADY IN BLACK mag vielleicht nicht so elegant oder raffiniert sein wie die klassischen Gialli der frühen 70er-Jahre, aber er unterhält hervorragend, viel besser als gedacht, und ordnet die bekannten Zutaten wie viel nackte Haut, seltsame Vorgänge und noch viel mysteriösere Charaktere zu einem gut durchdachten Ganzen, dem man durchaus einen Blick gönnen sollte.

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 10. Okt 2021, 07:05
von Maulwurf
Broken Trail (Walter Hill, 2006) 4/10

Drei Cowboys treiben eine Herde Pferde über 800 Meilen von Virginia bis nach Wyoming. Unterwegs werden sie von einem Sklavenhändler ausgenommen, und als sie diesen für den Überfall zur Rechenschaft ziehen, „erben“ die drei eine Gruppe chinesischer Mädchen, die eigentlich als Huren hätten verkauft werden sollen. Zusammen mit den Mädchen zieht man also im Jahre 1898 durch die Prärie, schaut sich die Landschaft an und unterhält sich über mal mehr und mal weniger philosophische Dinge. Die Typen, denen die Chinesinnen eigentlich „gehören“; die also mal irgendwann Geld hingelegt haben dass die Mädels zu ihnen kommen, die wollen ihre Ware aber natürlich zurück haben, und verfolgen die Cowboys, die sich aber an ihre liebreizende Begleitung schon längst gewöhnt haben. Nach sage und schreibe drei Stunden filmischer Erzählung trifft man sich zum gepflegten Austausch bleihaltiger Argumente …

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Klingt unaufregend? Ist unaufregend. Zuschauen, entspannen, nachdenken im Wildwest-Setting. Keine Ahnung, was Walter Hill geritten hat, auf Michael Ciminos Spuren zu wandeln und eine dreistündige Wildwest-Meditation zu drehen. Wobei Hill ja bereits bei LONG RIDERS diese Anwandlungen hatte, langsames Reiten mit brutalen Shootouts zu kombinieren, und schöne Bilder zusammen mit einfältigen Stories konnte er ja auch schon immer. Oder findet irgendjemand STRASSEN IN FLAMMEN intelligent? Nö, aber sexy anzuschauen ist er …

Bei BROKEN TRAIL kann man die zum Teil außerordentlich schönen Naturaufnahmen von Kameramann Lloyd Ahern II (LAST MAN STANDING) ausgiebig und ohne Ablenkung durch störende Handlung genießen, und den Träumen von Freiheit und Abenteuer nachhängen. Irgendwie immer in der Nähe der Marlboro-Romantik macht es eine Zeitlang durchaus Freude zuzuschauen, wie die Cowboys ihre Arbeit tun und dabei ihre Würde in einer Form bewahren, die heutzutage längst abhanden gekommen ist. Spätestens allerdings nach zwei Stunden Laufzeit hat sich diese Art der meditativen Filmbetrachtung dann langsam totgelaufen – und es passiert immer noch nichts, außer dass dann immer noch eine Stunde Film kommt …

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Es wird geritten. Es werden Pferde getrieben. Es wird unglaublich viel geredet (was nicht uninteressant ist, weil die Figuren von Haus aus erstmal eher schweigsam angelegt sind, und weil die Chinesinnen kein Englisch können), und ab und zu kommen die Bösewichter ins Bild, damit man denkt dass da gleich etwas Aufregendes passiert. Zudem wird der erste Teil mit einer heftigen und sehr schlecht gefilmten Gewaltreruption beendet, und der zweite Teil mit einer noch heftigeren und ziemlich gut gefilmten Gewaltorgie resümiert: Ist der Cliffhanger zum zweiten Teil noch übelste Wackelkamera im Halbdunkel, macht das Showdown filmisch gesehen gut was her. Außer dass es erheblich zu kurz ist, und da bin ich halt einfach Traditionalist – Im Western muss geschossen werden, muss Action sein! Selbst in einem intellektuell höher stehenden Film wie DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS wird geschossen, und es wird Spannung erzeugt, wenngleich auch nicht immer durch Action. Aber BROKEN TRAIL hält sich in beiden Beziehungen gewaltig zurück – So gewaltig, dass der Finger gegen Ende hin immer mehr mit der Vorspultaste der Fernbedienung flirtet. Die letzten etwa 15 Minuten sind dann für Westernfans ganz harte Minuten und können auch ohne die Gefahr, etwas zu versäumen, mit Dingen wie Kühlschrank leeren oder einem Klobesuch verbracht werden.

Ich weiß, das klingt billig. Aber vor allem im zweiten Teil verläuft sich das bisschen Handlung halt einfach so dermaßen in der Prärie, dass ich nicht umhin komme etwas Häme zu versprühen. Die Schauspieler sind allererste Sahne und retten so manch langatmige oder gar peinliche Szene vor dem Untergang, die Bilder sind edel und der Soundtrack hat seine guten Saiten. Aber insgesamt sind das dann genau diese vier Pünktchen, die ich da vergeben mag. Inhaltlich ist mir persönlich der Film einfach erheblich zu fade …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 13. Okt 2021, 06:22
von Maulwurf
El Mariachi (Robert Rodriguez, 1992) 6/10

Der Killer Azul kommt aus dem Gefängnis frei und sucht seinen früheren Partner Mocco, weil er von dem seinen Anteil an einem Geschäft einfordern will. Azul ist daran zu erkennen, dass er schwarz angezogen ist und in seinem Gitarrenkoffer ein ganzes Waffenarsenal spazieren trägt. Der Mariachi kommt in die Stadt und sucht eine Auftrittsmöglichkeit. Er ist schwarz angezogen und trägt in seinem Gitarrenkoffer eine Gitarre spazieren. Bühne frei für ein ziemlich blutiges Verwechslungsdrama …

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Natürlich wirkt EL MARIACHI wie eine Fingerübung, vor allem wenn man ihn mit dem megaerfolgreichen DESPERADO vergleicht. Und natürlich sieht man EL MARIACHI seine sage und schreibe 7.000 Dollar Produktionskosten deutlich an. Aber macht das was? Nö! Der Film rockt die Bühne ziemlich gut, macht Laune, und hat vielleicht sogar das bessere Ende als DESPERADO. Dafür ist die Musik oft nicht so gelungen, aber was soll’s. Es macht einfach ungeheuren Spaß zuzusehen, wie die Geschichte schnell und blutig in Fahrt kommt, und wie sich die gegenseitigen Verwechslungen immer mehr in die Höhe schrauben. Großes kleines Kino, bei dem das Remake interessanterweise genügend Abstand hält um als eigenständiger Film durchzugehen, und gleichzeitig immer wieder Hommagen auf den Vorgänger aufblitzen. Dazu der recht abgedrehte Humor Rodriguez‘, von dem ich bislang immer dachte dass er auf Quentin Tarantinos Mist gewachsen ist. Aber mitnichten, Rodriguez ist genauso ein Spinner mit den gleichen aberwitzigen Ideen. Kein Wunder dass FROM DUSK TILL DAWN auch heute noch so gut funktioniert …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 16. Okt 2021, 07:06
von Maulwurf
Brighton Rock (John Boulting, 1948) 8/10

Im Brighton der Jahre zwischen den Kriegen führt Pinkie eine Gaunerbande. Krumme Sachen auf dem Wettplatz, ein wenig Spaß haben, männlich auftreten, sowas halt. Kleine Geschäfte, aber kein Mord. Zumindest sehen seine Männer das so, Pinkie hat da schon ein wenig andere Ambitionen. Als der frühere Kumpel Fred nach Brighton kommt, setzt sich Pinkie auf dessen Spur und tötet ihn. Selbstmord, heißt es in der Zeitung. Doch die Sängerin Ida weiß es besser: Sie war mit Fred in den Minuten vor dessen Tod zusammen, und in ihren Augen sah der nicht wie ein lebensmüder Mann aus, sondern eher wie ein verängstigter Mann. Weil die Polizei ihr aber nicht glaubt untersucht sie den Fall selber. Und macht damit die Pferde scheu. Richtiger: Sie schreckt Pinkie auf. Über Ida stößt Pinkie dann auf die Kellnerin Rose, die beweisen könnte dass Pinkies Alibi erfunden ist, und mit der bändelt er dann an, damit er sie einerseits kontrollieren, und andererseits klar den Zeitpunkt ihres Todes bestimmen kann.
Rose ist eine kleine und nicht allzu helle Bedienung, die noch nie einen Freund hatte. Und jetzt zeigt dieser gut aussehende und selbstbewusste Mann Interesse an ihr. Sie heiraten: Rose aus Liebe, und Pinkie, weil eine Ehefrau nicht gegen ihren Mann aussagen darf. Aber Ida schnüffelt weiter, und als der Hard Boiled-Gangster Colleoni auf den Plan tritt, der die Stadt übernehmen will, und dabei mit Pinkie zusammenstößt, spitzt sich die Situation bedenklich zu.

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Man könnte sich die Sache einfach machen, und Richard Attenborough als Pinkie Brown ganz einfach mit Tommy Judo vergleichen. Der war die Hauptfigur in dem 1947 entstandenen DER TODESKUSS von Henry Hathaway und die erste Rolle für Richard Widmark, der hiermit umgehend einen Riesenerfolg hatte. Pinkie Brown und Tommy Judo, die beiden könnten Brüder sein - Diejenigen, die am Ende der Straße wohnen und den ganzen Block terrorisieren. Ihr Auftreten, ihr Verhalten gegenüber Freunden oder Feinden, diese aalglatte Überheblichkeit, die nur mühsam die aufgestaute und schnell durchbrechende Aggressivität bemäntelt. Wenige Jahre vor den Krays wurden die beiden East End-Brüder im Kintopp fast vorweg genommen …

Allerdings hat Attenborough die Rolle des Pinkie Brown bereits einige Zeit früher am Theater gespielt, und zwar auf Basis eines Romans von Graham Greene, der auch das Drehbuch für den Film schrieb. Im Film wiederholte Attenborough also seine Theaterrolle, und wurde zusätzlich auch von einem echten Mobster aus Brighton, Carl Ramon, in seiner Verhaltensweise geschult. Ob Henry Hathaway das Theaterstück mit Attenborough kannte ist nicht überliefert, allerdings ist Attenborough in ebendiesem Stück bereits 1942 in Washington aufgetreten …

Genug hypothetische Trivia, BRIGHTON ROCK. Der Film. Ein Gangsterfilm, an dem zwei Dinge auffällig sind. Zum einen gibt es keine Identifikationsfigur. Alle Charaktere sind mehr oder weniger verlorene Seelen, außer Rose, und die ist zu einfach gestrickt um als klassische Heldin zu taugen, auch wenn sie natürlich genau deswegen unsere Sympathie bekommt. Pinkie ist ein kalter Krimineller, der so gerne ein großformatiger Gangster wäre, diese Klasse bei Colleoni kennenlernt – und den Schwanz einzieht. Ida ist nicht unsympathisch, aber als etwas verlebte und auf eine impertinente Art unangenehme Miss Marple, die keinen Hehl daraus macht dass ihr ein Glass Porter lieber ist als das meiste andere im Leben, wird sie immer vom Flair der Bosheit und des billigen Fusels umgeben.

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Ida wirkt trotz aller Mühen der Regie ordinär, und soll wohl das einfache Mädel darstellen, taugt dazu aber eher weniger. Genauso wenig wie Rose, die wie erwähnt tatsächlich ein einfaches Mädchen ist, gerade genug um als Projektion für den Zuschauer dienen zu können. Na ja, und die Nebenfiguren sind letzten Endes reine Nebenfiguren, die auch in einem realen Leben zu nichts anderem als zu Nebenfiguren taugen würden. Am ehesten kann man sich vielleicht noch mit dem Anwalt Prewitt anfreunden, der die Verzweiflung über das komplett in den Sand gesetzte Leben im Alkohol ertränkt. Oder bei dem Gangster Dallow, der zumindest das Zeug zu einem guten Klansman hätte. Opportunistisch genug ist er jedenfalls. Zumindest Ida und Prewitt wirken ein wenig wie die Figuren aus den britischen Komödien dieser Jahre. Charaktere, die dem Zuschauer einen Halt und eine Bezugsperson geben sollen, nur dass diese beiden nicht so grenzenlos optimistisch und positiv gezeichnet sind wie es üblich war, sondern dass beide auch viel Schmerz und auch Bosheit im Leib haben. Sie wirken ... echter. Realistischer …

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Diese Personen und der damit wiedergegebene Kosmos geben die Leere nach dem Krieg wieder, und damit ist BRIGHTON ROCK von der Figurenzeichnung her gesehen ein klassischer Noir: Menschen, die längst jede Richtung verloren haben, und wie Flipperkugeln zwischen den Ereignissen hin und her geworfen werden, ohne sich jemals wirklich wehren zu können. Rose ist da das perfekte Beispiel: Auch als ihr klar wird dass Pinkie ein Mobster ist gibt sie ihre Liebe nicht auf. Hauptsache überhaupt ein Mann verliebt sich in sie, und wenn es das Monster von Frankenstein persönlich wäre. Egal, aber ein Mann! Der böse und bittere Schluss setzt dieser völlig verzweifelten und unnütz erscheinenden Gefühlsregung die Krone auf und überzeugt dann auch den Zuschauer unter Schaudern von Pinkies Meinung, dass Liebe überflüssig sei und nur die Sicherheit zählt. Dieser entsetzliche Schluss kam entgegen Graham Greenes im Drehbuch vorgesehenem Ende zustande, taugt aber meines Erachtens eben als schauderhafter und zynischer Kommentar zum Zustand der Liebe auf der Welt viel besser als der ursprünglich gedachte Schluss. Allerdings spricht auch nichts dagegen, genau diese Ansicht als zynisch zu bewerten …

Das andere Merkmal von BRIGHTON ROCK ist der Druck, der in so vielen Szenen aufgebaut wird, und sich in Momenten der Gewalt immer wieder entlädt. Nicht wie in den heutigen Filmen, wo permanent geschossen wird und etwas explodiert. Nein, der Druck entsteht aus der Situation heraus. Aus dem Problem, dass der Mord an Fred einen Zeugen haben könnte, und allein dieses könnte reicht aus, um allen Beteiligten Schweißperlen auf die Stirn zu treiben, und sie zu Handlungen zu zwingen, die eigentlich jenseits ihrer eigenen Moralvorstellungen liegen. Das beginnt schon mit einer treibenden Verfolgungsjagd quer durch das sommerliche Brighton, gefilmt mit versteckter Kamera und inmitten des echten Straßenlebens der Stadt. Überall sind Touristen, Menschenmassen wohin man schaut, und Fred versucht verzweifelt am Leben zu bleiben indem er Gesellschaft sucht. Inmitten der anonymen Menschenmenge ist nur eine Partnerin eine Lebensversicherung, denn die wäre eine Zeugin und hält damit die Gangster von ihrem Vorhaben ab. Eine atemlose und erstklassig in Szene gesetzte Menschenjagd, die das Tempo des ganzen Films vorgibt.

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Denn auch nach dieser Jagd bleibt das Tempo hoch, zieht die Spannung fast permanent an. Alle Personen haben in jedem Augenblick eine Aufgabe, es entsteht keinerlei Zeit zum Nachdenken (was in Anbetracht des ein oder anderen Lochs im Drehbuch auch ganz gut ist). Pinkie versucht sein Revier, seine Position, sein Leben zu retten. Die kleine Rose versucht ihren Glauben an die Liebe und Pinkie zu retten, und sie ist mitnichten eine Insel im Sturm, sondern bringt unwissentlich das Fass erst zum Überlaufen. Ida ist eine etwas verlebte Hobbydetektivin und versucht unter Hochdruck einen (eingebildeten?) Kriminalfall zu lösen, und Pinkies Männer versuchen ihren Job zu machen, wobei es in einer Szene zu einer schlimmen Eskalation kommt, als Pinkie erfahren muss, dass ihn eigentlich keiner so richtig ernst nimmt. Alle seine Leute sind ein gutes Stückchen älter als er und haben ihre Erfahrungen gemacht, und dass Pinkie jetzt eine Frau hat veranlasst seinen Gefolgsmann Cubitt zu der Aussage „Jetzt wirst Du endlich zum Mann“. Keine wirklich gute Idee, so etwas zu seinem Boss zu sagen …

Was auch zu diesem Tempo beiträgt ist, dass so viele Szenen realistisch wirken. Szenen mit kleinen Details, die den Film nicht voranbringen (was er auch gar nicht nötig hätte), ihm aber sehr viel Leben geben: Natürlich die Straßenszenen, aber auch der Mann in der Geisterbahn, der seine Freundin überreden möchte einzusteigen und mit ihr einen stummen Dialog hält. Der Hotelboy der vorübergeht, wenn Pinkie und Colleoni sich unterhalten wollen, und der sie aufgrund seiner Ausrufe zum Schweigen bringt. Ida, die im Autopsiebericht alle Krankheiten von Fred vorliest – Vollkommen unerheblich für den Film, aber gleichzeitig ungemein lebendig und Ida perfekt charakterisierend. Momente die aus dem Leben gegriffen sind, und echten Realismus in die Gangsterpistole einfließen lassen
Auf der anderen Seite dann aber auch wieder Momente der Ruhe, in denen fast greifbare Spannung aufgebaut wird. Pinkie, dessen Hut immer schräg sitzt, genauso wie bei den großen Gangstergestalten in Übersee, zu denen er so gerne gezählt werden möchte. Doch Pinkie spürt diesen Druck ebenfalls, und er spielt dann gerne mit einem Bindfaden. So wie Humphrey Bogart in DIE CAINE WAR IHR SCHICKSSAL mit ein paar Stahlkugeln spielen wird. Und damit wird die Grenze, an der er psychisch wandelt, klar festlegt: Schaut her Leute, noch ein Schritt und ich explodiere …

Eine britische Variante von DER TODESKUSS? Etwas unterkühlter, nicht so voller Emotionen und nicht so heißblütig, dafür aber deutlich düsterer und mit einem böseren Schluss gesegnet. Klassisches und spannendes Gangsterkino, das mit den großen Vorbildern aus Amerika ganz locker mithalten kann, ja dieses in Punkto Realismus sogar deutlich übertrifft.

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 19. Okt 2021, 06:25
von Maulwurf
Rommel ruft Kairo (Wolfgang Schleif, 1959) 7/10

Im Kriegsjahr 1942 muss Feldmarschall Rommel die Festung Tobruk einnehmen, um sich die Vorherrschaft in Nordafrika sichern zu können. Doch dafür benötigt er Informationen über die Stärke und die Verminung der Festung – Ein Spion wird losgeschickt nach Kairo, ins Hauptquartier des britischen Generalstabs, um die benötigten Informationen zu besorgen. Nach einer 4.000 Km-Höllenfahrt durch die Wüste kommt dieser Spion, Hauptmann Eppler, ein halber Araber, tatsächlich in Kairo an. Er besorgt sich eine britische Uniform, geht in das Hauptquartier der 8. Armee – und fotografiert die Festungspläne. Ein Teufelskerl, doch die Briten wissen dass ein Spion unterwegs ist, und ohne dass Eppler es merkt, zieht sich die Schlinge um ihn immer enger. Zwei Frauen, eine Engländerin und eine Araberin, werden ihm zum Verhängnis …

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Und genauso, wie der Ton dieser Inhaltsangabe klingt, so ist auch der Film. Spionagetätigkeit als aufregender Zeitvertreib, Krieg als Abenteuer für große Jungs. Tote und verstümmelte Menschen? Zerstörte Städte? Elend und Grauen? Fehlanzeige, über Kairo lacht die Sonne und Adrian Hoven als Eppler lacht mit.

Und das Spannendste dabei: Die Geschichte ist tatsächlich passiert! Ob nun genau so, wie es ein Zeitzeuge in den Extras der gesehenen DVD behauptet, oder dramatisch aufgehübscht (was wohl wahrscheinlicher sein dürfte), ist dieses Husarenstück, einfach mal eben in das Hauptquartier einer feindlichen Armee zu gehen und die Pläne einer Festung zu fotografieren, ein Stückchen Zeitgeschichte. Der real existierende Johannes Eppler hat nach dem Krieg seine Memoiren veröffentlicht, und daraus wurde dann dieser Film gedreht.

Und somit gehe ich sehr zwiespältig mit ROMMEL RUFT KAIRO um. 1959, das war das Jahr in dem Bernhard Wicki DIE BRÜCKE auf die Leinwände brachte, und auch das düstere Stalingrad-Drama HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? kam in diesem Jahr heraus. Beides Filme voller Gewalt und mit Tod behaftet, zeichnen diese Dramen ein sehr realistisches Bild vom Krieg und vom Sterben, und beide Filme haben versucht, die jüngere Geschichte ein wenig kritischer nachzuzeichnen. Und dann ROMMEL RUFT KAIRO, der eine Welt voll Freude Eierkuchen und ein klein wenig Frieden vorgaukelt, und den jungen Männern kurz nach der damaligen Wiedermilitarisierung so richtig Lust machen sollte auf sonnige Abenteuer in fernen Ländern. Inhaltlich muss damit wohl leben, aber so richtig Freude kommt an dieser Stelle nicht auf.

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Unter filmischen Aspekten allerdings ist diese Freude ein ganz großes Thema! Ist ROMMEL RUFT KAIRO doch Spannungskino wie es besser kaum funktionieren könnte. Von Beginn an drückt Regisseur Wolfgang Schleif aufs Tempo, und jagt von Szene zu Szene, von Höhepunkt zu Höhepunkt. Wenig Füllmaterial ist zu sehen, stattdessen springt das Drehbuch zwischen den Highlights und den notwendigen Erklärszenen hin und her, und hält damit Spannung und Druck gleichmäßig sehr hoch. Spätestens wenn klar ist, dass die britische Abwehr überhaupt nicht aus Dummköpfen besteht, und der sehr sympathisch gezeichnete Eppler immer näher an seinen Untergang gerät, ohne dies zu wissen freilich, und spätestens wenn auf Seiten der Abwehr sich die Ereignisse genauso überschlagen wie im Hauptquartier der deutschen Armee, und Eppler immer noch davon ausgeht dass er sicher sei, spätestens dann ist jegliche Verharmlosung vorbei und ROMMEL RUFT KAIRO zeigt sich als das was er tatsächlich ist: Ein spannender Agententhriller mit guten Schauspielern und einem exotisch-interessantem Setting. In dem ein oder anderen Moment blitzt bereits eine Ahnung von James Bond auf: Die Frauen sind attraktiv und (zumindest die eine) mit allen Konsequenzen eifersüchtig, Eppler ist sehr elegant und ein wahrer Salonlöwe, kann aber auch skrupellos sein (nämlich wenn er die Frau, die ihn liebt, als Hure einsetzt um Informationen zu bekommen), und angenehmerweise wird keine der beiden Seiten als ausschließlich gut oder böse dargestellt. Im Gegenteil, sowohl Deutsche wie auch Briten machen ihre kriegerische Arbeit, und sind mitnichten superböse Nazis oder heilsbringende Tommys. Einzig das Bild von Leutnant Kay Morrison ist ein wenig schief: Wie die Dame es geschafft hat zum Leutnant aufzusteigen, obwohl ihre Hauptaufgaben offensichtlich darin bestehen Tee zu kochen und freie Tage zu haben, das ist ehrlich gesagt etwas schleierhaft. Das Frauenbild der damaligen Zeit zeigt sich hier in voller Hässlichkeit, aber auch das gehört zum Zeitkolorit, selbst wenn es auch heutiger Sicht eher … unschön anmutet.

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ROMMEL RUFT KAIRO ist ein sehr spannender und atmosphärisch umgesetzter Spionagethriller mit zum Teil außerordentlich schöner Schwarzweißfotografie (gedreht wurde an Originalschauplätzen), dessen zeithistorischen Kontext man besser versuchen sollte zu übersehen. Denn als Thriller funktioniert der Film erstklassig, als Zeitdokument leider eher weniger. Oder mehr, je nachdem wie man es sehen mag. Der Spiegel schrieb 1959 dazu: „Das [..] Spionagestück aus dem Afrika-Feldzug könnte als leicht zerfahrener Werbefilm der Bonner Bundeswehr gelten. Die Zähigkeit, Verwegenheit und der Humor der Rommel-Krieger dürfen bewundert werden, ohne dass ein Schatten der politischen Situation den Glanz des anspruchsvollen Männersports trübt.“ Und dies trifft es genau auf den Punkt.

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 22. Okt 2021, 06:13
von Maulwurf
Zwei wilde Draufgänger (Duccio Tessari, 1974) 5/10

Eine Million Dollar sind bei dem Überfall auf die Handelsbank von Chicago gestohlen worden! Niemand weiß wo die Kohle ist, aber jeder will sie haben. Der Versicherungsdetektiv Lombardi genauso wie der Nachtclubbesitzer Joe Snake. Als Lombardi im Kugelhagel unbekannter Killer stirbt, startet eine Kettenreaktion: Lombardis bester Freund, der Priester Charlie, will den Tod aufklären, und gerät dabei mit den Leuten von Snake aneinander. Der Ex-Cop Lee mischt sich ein und hilft Charlie bei der Mörderhatz. Die Polizei in Gestalt von Captain Ryan will Lee und Charlie in den Knast stecken, und die Mafia wiederum unterstützt die Bemühungen der beiden, damit endlich wieder Ruhe auf dem Kiez herrscht. Und Snake geht über Leichen, nur um endlich das Geld einstecken zu können …

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Wenn es einen Schauspieler gibt, der die Coolness mit ganz ganz großen Löffeln in sich reingekippt hat, dann ist das Isaac Hayes. Das große Schokobonbon (Originale Anrede aus CHIKAGO POKER), the man who’s the private dick that’s a sex machine to all the chicks, der Hohepriester des Soul. Der Mann ist einfach nur cool. In Großbuchstaben! Aber da gibt es einem, der ihm das Wasser reichen kann: Der Ex-Footballspieler Fred Williamson, der auf mich immer wirkt wie die personifizierte Darstellung des neuen schwarzen Bewusstseins, wie die groovige Variante von Jason Statham. Williamson im knallengen dunkelroten Lederanzug mit flachkrempigen Stetson und Hayes im diskreten Einreiher im gleichen Film, dazu noch der lakonische und mit den Fäusten ausgesprochen routinierte und treffsichere Lino Ventura. Kann da noch etwas schiefgehen?

Ja, es kann. Und es ist gar nicht so einfach zu sagen, woran das liegen mag. Denn eigentlich passt alles zusammen: Drei großartige Schauspieler, eine hässliche Großstadt die mit lauter miesen Typen gefüllt ist, ein missmutiger und boshafter Cop, funky Musik … Aber die Chemie stimmt einfach nicht so ganz. Hayes und Ventura ergänzen sich hervorragend und haben einige schöne gemeinsame Momente, aber der Funke springt einfach nicht über. Und Williamson, der ganze Filme im Alleingang in trockene Tücher bringen kann, hat zu wenig Screentime um wirklich etwas zu bewegen. Die Kulissen bleiben auf der miesen deutschen DVD im Hintergrund, die Musik groovt bei weitem nicht so wie sie es hätte tun können (kein Vergleich mit einem Soundtrack von, sagen wir, Franco Micalizzi), und allmählich senkt sich während der Betrachtung des Films der Schleier des Desinteresses über den geneigten Zuschauer. Und Arnold Marquis auf Lino Ventura ist erstklassig, kann da aber auch nicht mehr viel reißen, da Heinz Theo Branding auf Isaac Hayes leider eine schlappe Fehlbesetzung ist, die aus Hayes‘ herrlichem Bassorgan eine langweilige Leier macht.

Erst nach der Sichtung habe ich gesehen, dass es laut OFDB tatsächlich eine einzige ungeschnittene deutsche Veröffentlichung gibt (nämlich die VHS von USA Video), und das war nun leider nicht die, die in meinem Player landete. Abgesehen von dieser VHS sind alle deutschen Fassungen um 20 Minuten gekürzt, und die dadurch entstehende Holprigkeit und Zusammenhangslosigkeit schadet dem Film ungemein, selbst wenn man schon vorher weiß was da kürzungstechnisch auf einen zukommt. Es gilt also, dass die Suche nach der ultimativen Veröffentlichung weitergeht. Anschließend kann der Film nochmal neu bewertet werden, und dann schauen wir mal weiter. Bis dahin überwiegt die Skepsis …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 25. Okt 2021, 06:30
von Maulwurf
Das wilde Leben (Achim Bornhak, 2007) 6/10

Uschi Obermaier. Ikone der ‘68er-Bewegung, Revolutionärin, Fotomodell, Kommunardin. Auch im Alter noch eine schöne Frau mit dem großen Wunsch nach persönlicher Freiheit und dem Hang, sich nichts vorschreiben zu lassen. In DAS WILDE LEBEN werfen wir einen kleinen verschmitzten Blick hinter die Kulissen. Lernen Rainer Langhans und Keith Richards kennen. Ziehen durch die Welt. Erfahren wir, wie es ist, wild zu leben?

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In Paris haben die Studenten in diesem Sommer ‚Fantasie an die Macht‘ an die Häuserwände geschrieben. In San Francisco haben sie auf den Straßen getanzt und für ihren Lebenstraum gekämpft. Und ich saß zuhause in Sendling, einem Vorort von München. Ich hatte das Gefühl zu sterben. Dieser ewige Totensonntag.

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Die Schlüsselszenen des Films kommen gleich zu Beginn, wenn die Jugend in einer typischen Familie dieser Zeit gezeigt wird. Aus Dir soll doch mal was werden, heißt es. Wo es selbstverständlich ist, dass die Eltern den Inhalt des persönlichen Schatzkästleins inspizieren, und hinterher heftige Vorwürfe vom Stapel lassen. Aus ihr soll mal was Anständiges werden! Eine Dame soll aus ihr werden, so sagt es die Mutter.

Wer aus so einer Umgebung kommt kann sich nur nach Freiheit sehnen. Und in einer Zeit, die sich bereits durch den Wunsch nach Aufbruch und Veränderung definierte, ist dieser Wunsch nach Freiheit geradezu immanent. Spannenderweise setzen wir aus der heutigen Sicht diese Suche automatisch gleich mit dem Kampf um politische Veränderung, was Ende der 60er-Jahre sicher das große Thema schlechthin war. DAS WILDE LEBEN zeigt uns aber einen Menschen, der ausschließlich die persönliche und unpolitische Freiheit sucht. So wie seit dem Fall der Mauer der Begriff Freiheit gleichgesetzt wird mit ungehemmten Konsum, so setzt die Uschi Obermaier des Films Freiheit gleich mit Promiskuität und Hedonismus, was für den damaligen Zeitgeist sicher nicht ungewöhnlich war. Uschi Obermaier war halt nun mal keine Revolutionärin, nicht mal politisch interessiert war sie. Aber sich gut in Szene setzen und verkaufen, das konnte sie.

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Diese Sehnsucht nach persönlicher Integrität und Selbstverwirklichung, auch wenn alle anderen sagen man solle das besser lassen. Der Traum, frei zu sein. Wobei frei sein bedeuten kann, am Strand zu leben und Feste zu feiern, genauso wie es bedeuten kann, sich für viel Geld fotografieren zu lassen. Sich nicht von den Einschränkungen der spießbürgerlichen Gesellschaft gängeln zu lassen, und von den Vorstellungen der ach so alternativen Gegengesellschaft noch gleich viel weniger, sondern das zu tun, was man selber für richtig hält. Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum.

Und wenn Uschi dann am Ende des Films auf das Meer schaut, ihr Leben Revue passieren lässt, und feststellt, dass sie nichts anders machen würde, dann überträgt sich diese Sehnsucht auch auf den Zuschauer, der sich automatisch fragt, ob er denn in seinem Leben alles richtig gemacht hat. Und was aus den eigenen Träumen geworden ist. Wollte man nicht immer mal …? War da nicht immer der Wunsch nach …? DAS WILDE LEBEN lässt den Zuschauer nachdenklich und etwas traurig zurück, was vielleicht auch ein Grund sein mag, warum die Rezeption des Films oft so schlecht ist. Es ist leichter, sich über Filmfehler auszulassen, und über fehlende Charakterisierungen (wirklich?) und eine sprunghafte Inszenierung zu schimpfen, als sich selber die schlussendliche Frage des Films zu stellen: Wo warst Du, als Du gelebt hast?

Und so reisen wir mit Uschi Obermaier durch die Welt der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Von Sendling nach London und Hamburg, nach Asien und nach Amerika. Nicht die Welt des Terrorismus und des Ölschocks wird gezeigt, sondern durch die Welt hinter den Nachrichten. Die Welt derjenigen Menschen, die keine Geschichte schreiben wollten, die aber auch nicht im Einheitsbrei versinken und dem bürgerlichen Leben anheim fallen wollten. Sondern dem alten Sponti-Spruch Gibt es ein Leben vor dem Tod? folgten und versuchten, ihr Leben mit einem anderen Sinn als dem des größtmöglichen Konsum zu füllen. Sex, Drogen, Party – Alles Dinge, die man in einem ganz bestimmten Alter unglaublich cool findet, und in einem ganz bestimmten anderen Alter rundweg ablehnt. Das erste erwähnte Alter ist das der Protagonisten, das andere dürfte das der Kritiker sein …
Uschi Obermeier hat sich irgendwann mal für den einen Weg entschieden, und ich bin sicher, dass sie, wenn sie vor dem Tod auf ihr Leben zurückblickt, sehr glücklich sein wird. Aber es ist natürlich auch klar, dass alle, denen diese Lebenseinstellung fremd ist, oder denen die Konsequenz zum Leben ihres eigenen Traumes verwehrt blieb, dass diese den Stab über ihr brechen. Oder könnte da nicht vielleicht auch ein klein wenig Neid im Spiel sein …?

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Die Handlung dieses Films ist den Erinnerungen von Uschi Obermaier frei nachempfunden, er stellt dieses Leben nicht nach. Das Drehbuch orientiert sich an den Marksteinen des Lebenslaufs, und was dazwischen passiert, nun … Wer weiß? Ein etwas melancholisch klingender Artikel von Claudius Seidl (1) führt diese Strategie des Mutes zur Erinnerungslücke weiter aus, übersieht dabei aber, dass Biopics, die sich nur grob an die Realität halten, per Definition nichts taugen. Zumindest in den Augen der bürgerlichen Filmkritik …

Mit persönlich hat DAS WILDE LEBEN gut gefallen. Er hat seine Längen und seine Fehler, aber eines macht er perfekt: Er erzeugt Stimmung. Und Sehnsucht. Einmal in Mexiko am Strand Musik machen. Einmal mit den Stones eine Party feiern. Einmal dem bürgerlichen Alltagswahn Einhalt gebieten und seine Träume zulassen …

Einmal so tun, als ob das Leben wild wäre …

(1) https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ ... 08101.html

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 28. Okt 2021, 06:56
von Maulwurf
Top of the heap (Christopher St. John, 1972) 4/10

Police Officer George Latimer verzweifelt an seinem Leben. Er ist stolz darauf ein Cop zu sein, und er trägt seine Marke mit hoch erhobenem Kopf. Aber für seine weißen Kollegen ist er letzten Endes nur ein Nigger, für die Schwarzen da draußen im Viertel ein Schwein das mit den Weißen zusammenarbeitet, seine Frau hält ihm vor dass er für den Job die Familie vernachlässigt, und irgendwie will jeder, dessen Bahn er kreuzt, ihm ans Leder. Die einzigen Freunde die er hat sind sein Partner und sein pensionierter Captain. George kompensiert seinen Frust und seine angestaute Wut mit Tagträumen. Hier betritt er gemeinsam mit seinen Freunden als erster Mensch den Mond. Trotz aller Widerstände und Probleme schaffen sie es, lebendig zurückzukommen, und bei der Parade gratuliert ihm sogar der Präsident persönlich. Eine große Parade, eine schöne Parade, in seiner Heimatstadt in Alabama. Doch da schiebt sich durch ein Fenster ein Gewehrlauf …

His rage is the illness of the times! heißt es auf dem Filmplakat, und irgendwie scheint es, als ob die ganze Welt Amok läuft. Aus jeder Mücke wird ein Elefant gemacht, und jeder Elefant bedeutet Gewalt. Ein Typ, der aus einer Kneipe wegrennt, und im Angesicht des verfolgenden Cops zum Messer greift. Ein weißer Polizist, der ihm die entsicherte Waffe an den Hals hält um herauszubekommen, ob George wirklich ein Kollege ist. Ein Taxifahrer, der sofort zum Wagenheber greift weil man ihn anschnauzt. Ist das die heutige Welt?

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Es scheint auf jeden Fall die Welt des Jahres 1972 zu sein, und die Frage kommt auf, wie weit wir uns denn seitdem weiterentwickelt haben. Ich vermute mal, dass Taxifahrer keine Wagenheber mehr unter dem Sitz haben sondern Schreckschusspistolen, und was weiße Cops in den USA mit Schwarzen machen haben wir im Lauf der Jahre 2019 und 2020 mehr als deutlich gesehen, aber zumindest die Episode mit dem Taxifahrer ist uns spätestens im Jahr 1975 in FANGO BOLLENTE wieder begegnet – Tatsächlich mit einer Pistole unter dem Fahrersitz …

Wut und Angst des George Latimer sind prinzipiell durchaus nachzuvollziehen. Niemand will ihn so recht ernstnehmen, überall eckt er an, er ist der Depp vom Dienst. Der schwarze Prügelknabe, der bei einer Demonstration gegen ein geplantes Chemiewerk einen Beutel mit Pisse ins Gesicht geworfen bekommt. Das wahre Problem beginnt, wenn man sich TOP OF THE HEAP, dessen Inhalt soweit erst einmal sehr interessant klingt(!), tatsächlich anschaut. Denn leider hat Produzent, Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Christopher St. John es verpasst, seine mutmaßlich eigene Wut in eine packende Geschichte zu stecken. Der Kontrast aus dem grauen Alltag, der in recht fröhlichen Farben und einer oft deutlichen Studiokulisse daherkommt, und den heldenhaften Tagträumen zündet leider nur an wenigen Stellen. Dass dabei die Grenzen zwischen Realität und Traum oft überschritten werden, und bei so mancher Szene nicht klar wird, ob George sich das gerade vorstellt oder ob das Geschehen in der Realität stattfindet, das unterstützt den hier abgebildeten Wahnsinn eher als dass es ihm schadet. Da läuft George bei der Verfolgung eines Verdächtigen auch mal in eine Gasse mit dem Namen Leach Realty (Ausgelaugte oder ausgewaschene Realität), und die schwedische Krankenschwester Ingeborg liest ein Magazin namens Ebony, bevor sie sich ihm auf dem Krankenbett hingibt. Ein Merkmal könnte das grelle Licht sein, welches in den Traumsequenzen den Zuschauer immer blendet, und St. John macht sich durchaus den Spaß, dieses Licht auch in Szenen einzusetzen, die mutmaßlich hier und heute spielen.

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Aber abseits dieser Vermischung aus Wahn und Realität, die in ihren guten Momenten den Wahnsinn Georges illustriert und in ihren schlechten Momenten furchtbar nervt, abseits dieser Vermischung kommt TOP OF THE HEAP irgendwie nicht so richtig in Fahrt. George ist der saubere und aufrechte Schwarze, der den Anschluss an den weißen Mittelstand geschafft hat, sehr stolz auf diese Leistung ist, und gar nicht versteht, warum sich einerseits die schwarzen Brüder von ihm abwenden, und andererseits die Weißen ihn nicht auf Augenhöhe akzeptieren. Immerhin sind seine besten Freunde beide weiß. Dass gerade in den Zeiten des neuen schwarzen Selbstbewusstseins zu Beginn der 70er-Jahre diese Haltung keine populäre war, wird hier deutlich illustriert. Und möglicherweise soll der Film auch eine Kritik an dem Versuch darstellen, Mitglied des weißen Mittelstandes werden zu wollen, anstatt seine Zugehörigkeit zur schwarzen Nation zu betonen. Wenn dem so ist, so hat St. John es nicht geschafft, diesen Zwiespalt klar herauszuarbeiten. Und wenn dem nicht so ist, dann ist die vorhandene Andeutung der Thematik zu wenig um zufriedenzustellen und zu viel um sie zu übersehen. Was zur Frage führt: Was möchte der Film eigentlich darstellen? Cop-Drama ohne Krimi? Sozialdrama ohne Biss? Irgendwas anderes ohne Substanz?

Letzten Endes wirkt der Film analog zu George wie jemand, der versucht jemand anderes zu sein, ohne dies aber wirklich zu wollen. Entsprechend bekommt er gegen Ende des Films zwar einen Koller und weigert sich, die Uniform jemals wieder anzuziehen. Er schnappt sich seine Liebhaberin und will fort von hier. Sie fragt wohin? Er schaut völlig verständnislos und will nur weg. Sie fragt wiederum was sie denn woanders machen sollen. Er schaut immer noch verständnislos und meint nochmals dass er nur weg will von hier. Es schließt sich eine gut inszenierte Verfolgungsjagd an, die den Eindruck macht nur da zu sein, weil man das in den Filmen dieser Zeit halt dabei hatte – und am nächsten Tag ist alles wieder beim Alten. So what …? Soll die Aussage dieser Szenen wirklich sein, das Du zwar an den Grundpfeilern Deines Lebens rütteln darfst so viel Du willst, dabei aber nichts ändern wirst?

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Interessant ist, dass ich mich bei der Sichtung einige Male an den Quellen des italienischen Genrefilms der 70er-Jahre wähnte. Das beginnt schon mit der Prä-Titelsequenz, einer wüsten Prügelei zwischen Polizisten und Demonstranten, die wie die matschige Version des Beginns von MORDANKLAGE GEGEN EINEN STUDENTEN aus dem selben Jahr wirkt, allerdings nicht ganz so rüde endet (was auch wieder auf die Indifferenz St. Johns hinweist). Die Szene mit dem Taxifahrer könnte wie bereits auch aus FANGO BOLLENTE stammen, und wiederum endet die Szene nicht gewalttätig sondern wird im Dialog aufgelöst. Ist das vielleicht Absicht? Möchte St. John zeigen, dass Gewalt keine Lösung ist? Last but not least erinnert die Phantasie mit der Mondmission an Luigi Bazzonis SPUREN AUF DEM MOND, und die Verwirrung, die diese Szenen auslösen und auch bei den betreffenden Charakteren darstellen sollen, ist in beiden Filmen ähnlich. Hier allerdings hat St. John in Bezug auf die Auflösung die Nase vorn …

Was ich bei der Sichtung vermisst habe ist einfach der Biss, der so vielen gerade schwarzen Filmen dieser Zeit anhaftet. Der Mumm, dem Zuschauer, gerne auch mit Hilfe von publikumswirksamer Action, eine Botschaft um die Ohren zu hauen, die da heißt Stell Dich auf Deine Hinterfüße und kämpfe für Deine Rechte und Dein Leben. Stand your ground, wie es bei HOOLIGANS heißt. Und eben diese Verve und dieses Auf-den-Tisch-hauen fehlt hier völlig. Der oft grummelig und eher unsympathisch wirkende George kann das durch seine zurückhaltende Art auch nicht wettmachen und lässt den Film im unterdurchschnittlichen Mittelmaß versinken …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 31. Okt 2021, 13:41
von Maulwurf
Die Firma (Sydney Pollack, 1993) 6/10

Jung, gutaussehend, ehrgeizig, und Harvard-Absolvent mit Auszeichnung. Mitch McDeere stehen als angehendem Anwalt alle Türen offen, und alle Anwaltskanzleien des Landes reißen sich um einen wie ihn. Er geht zu Bendini, Lambert & Locke in Memphis, weil die zusätzlich zum Gehalt noch ein günstiges Haus und ein Mercedes-Cabrio drauflegen. Dinge, die im Leben halt wichtig sind. Aber bei einem Geschäftstrip auf die Caymans fallen ihm Unstimmigkeiten auf, das FBI teilt ihm mit dass es ein Auge auf ihn geworfen hat, und irgendwann ist er der Überzeugung, dass unter den Klienten seiner Firma Gangster sind. Richtig geraten, sagt das FBI: Bendiniusw. ist eine Geldwäsche für Mafiosi und gleichzeitig deren gesetzliche Vertretung. Aber, spricht das FBI weiter, er hätte eine Möglichkeit da mit einem blauen Auge rauszukommen. Nämlich wenn er die Akten der Kanzlei an das FBI weitergibt, seinen Eid als Anwalt bricht, und sich in ganz extreme Lebensgefahr begibt, weil er den Job des FBI machen und die Mafia ans Messer liefern soll …

Unter dem Begriff „altmodisch“ versteht man als Filmfan oft diejenigen Filme, die ihre Geschichte langsam aufbauen. Die gründlich erzählt werden, und bei denen es nicht im Sekundentakt rumst und wackelt. DIE FIRMA ist so ein „altmodischer“ Film, dessen Grundaufbau so dermaßen langsam ist, dass man sich unweigerlich fragt, welche Downer am Set verteilt wurden. Nicht falsch verstehen, DIE FIRMA ist definitiv ein spannender Reißer, der mit ganz wenigen Toten auskommt und eigentlich nur eine einzige Actionszene an Bord hat. Trotzdem, oder wahrscheinlich genau deswegen, gehören die letzten 20 Minuten, wenn Mitchs Plan zum Abliefern der Bösen und zur Rettung des Selbst abläuft, mit zu den spannendsten 20 Minuten die ich in der neueren Filmgeschichte jemals gesehen habe.

Aber bis dahin hat es, das muss man leider sagen, doch einiges an Leerlauf. Gerade das ausgewalzte Familienleben der McDeeres in der ersten Hälfte offenbart einiges an Längen, die, wenn man sie sich beim Endschnitt gespart hätte, dem sowieso schon überlangen Film viel an Knackigkeit hätte bringen können. Aber Sydney Pollack, der zumindest den Filmen die ich von ihm kenne folgernd, schon immer einen Hang zur epischen Ballade hatte, lässt seine Geschichte sehr gründlich und genüsslich am Zuschauer vorbeirollen. Untermalt mit einem leichten und angenehmen Jazzscore, der im Showdown zugleich ein wunderbar passendes Unbehagen versprüht, und mit einer Unmasse an bekannten Schauspielern erstklassig besetzt, ist DIE FIRMA Spannungskino wie es …Tja, nicht besser sein könnte mag ich nun nicht schreiben, denn es könnte sehr wohl besser sein. Wenn man statt der blassen Jeanne Tripplehorn eine stärkere Schauspielerin als Abby McDeere gefunden hätte. Wenn Holly Hunter, die ihre Szenen souverän beherrscht und die fetzigste Person im ganzen Film ist, mehr Screentime bekommen hätte. Wenn der Film um 20 Minuten gekürzt worden wäre. Wenn Ed Harris weniger Cholerik und mehr Kälte hätte versprühen dürfen. Wenn die Regie den Bösen innerhalb der Kanzlei auch ein wenig Abgründigkeit zugestanden hätte, anstatt sie eher wie knarzige alte Männer wirken zu lassen. Ich meine, Hal Holbrook, Gene Hackman und Jerry Hardin, das sind alles altgediente Miesmacher und Oberschurken, die könnten mit so einer Kanzlei den Teufel persönlich in den Himmel klagen und dabei noch sarkastisch lachen. Aber die Männer sitzen in erster Linie nur da, schauen, äußern sinistere Dinge, und schauen wieder.

Aber ich gehe ins Detail, und das wollte ich eigentlich gar nicht. Denn so schlecht ist DIE FIRMA beileibe nicht. Man muss halt einfach das Gesamtbild betrachten, und das ist durchaus stimmig. Nur gelegentlich ein wenig … altmodisch. Altmodisch im Sinne von sorgfältig und durchdacht. Manchmal halt ein wenig zu durchdacht …