Herzlichen Dank an alle Organisierende, Einführende, Teilnehmende, Kuchenbackende und mich mit Filmtipps Zukleisternde, mich zu Bergwanderungen Mitnehmende und über meine Scherze Lachende für das wundervolle verlängerte Wochenende!
Anbei meine Sichtungseindrücke, (teilweise notiert noch am Freiburger Bahnhof, von dem ich gestern stundenlang nicht fortkam, da sich etwas "Suizidales mit Gleisen" ereignete):
INFERNO (Dario Argento, 1980)
Dass mich Argentos zweite (und eigentlich ja auch dritte) Mutter bei meiner Debüt-Sichtung als 35mm-Kopie derart von den Socken hauen würde, hätte ich mir vielleicht denken können, doch wie innig unsere Begegnung dann ausfiel, das hat mich dann trotzdem immens überrascht: Dieser Experimentalfilm im Gewand eines Italo-Horrors kam auf der großen Leinwand im Vergleich zu jeder meiner bisherigen Heimsichtungen zur Geltung, als würde ein Beiboot neben einem Panzerkreuzer schippern – und genau wie ein solcher hat mich die Erkenntnis dann auch überfahren, wie kongenial Argento auf dem Zenit seines Schaffens darin ist, irreal ausgeleuchtete Räume voller schauriger Artefakte zu inszenieren, davon zu erzählen, wie Gebrauchsgegenstände sich gegen die Menschen erheben, die sie zuvor produziert haben, wie die Träume eigentlich strukturell funktionieren, die uns nachts schweißgebadet hochschrecken lassen. Im Prinzip entschlackt Argento sein Kino von all dem Ballast der Literatur, der Psychologie, der dramaturgischen Finesse, der brillanten Schauspieler, der außerfilmischen Prämissen: Cinéma pur – ein selbstgenügsames Spiel aus Farben, Formen, Flächen, als ob Filmavantgardisten der ersten Stunde wie Henri Chomette, Walter Ruttmann oder Oskar Fischinger sich im hohen Alter fürs Genrekino entschieden hätten. Viel abstrakter wird es im Italo-Horror sicher nicht, und viel schöner schon gar nicht: Diese nonchalante Reminiszenz an UN CHIEN ANDALOU; diese endlosen Verfolgungsjagden durch Flure, Korridore, hinauf in Dachböden, hinab in Keller, dass man sich in Gesellschaft mit MC Escher wähnt; diese atemberaubende Unterwasser-Exposition; der Central Park ist nicht wiederzuerkennen; dafür stachen mir diesmal, (weil bei jeder weiteren INFERNO-Schau Dinge vor einem aufploppen, die man vorher nicht realisiert hat), zwei Hitchcock-Referenzen ins Auge, und zwar aus THE BIRDS, Stichwort: Flugkatzen und Augapfeldestruktion. Nach diesem Feuertanz sollte man sich eigentlich eine tagelange Film-Abstinenz verschreiben, denn jedes neue Bild kann nur erbarmungslos von den züngelnden blauroten Flammen verzehrt werden…
SUPERSEVEN CHIAMA CAIRO (Umberto Lenzi, 1965)
007 in Kairo. Aber natürlich alles ein bisschen kleiner, ein bisschen drolliger, ein bisschen gespickter mit Surrealismen (ich sage nur: ein Mann flieht vor zwei Bewaffneten ausgerechnet eine Pyramidenspitze hinauf, wo diese ihm umso leichter ihre Kugeln in den Rücken jagen können; ich sage nur: Verdammt, wir haben eine Tote in unserer Mitte und die Polizei rückt an, also tarnen wir sie einfach als Schaufensterpuppe, wird schon niemand außer dem aufmerksamen Kinozuschauer auffallen, dass das Püppchen andauernd blinzelt und das Gesicht verzieht; ich sage nur: ein hochkarätig radioaktives Metall, das man nach Belieben biegen und gar zu einem Kameraobjektiv verarbeiten kann.) Generell kann ich wenig bis nichts mit Bond und Konsorten anfangen, - (imaginiert euch an dieser Stelle das Grollen des Eurospy-Gottes!) -, aber wenn mir das Ganze derart infantil und in kreativer Kostengünstigkeit präsentiert wird wie in der Lenzi-Schmiede fühle ich mich trotz mancher Länge bestens unterhalten und komme gerne mit auf einen Trip von Kairo nach Rom und in die Schweiz, von Hotelzimmerbett zu Hotelzimmerbett, von (möglicherweise parodistisch gemeintem) Genre-Topos zu Genre-Topos. Dass die HÖLLENHUNDE DES SECRET SERVICE im Sequel noch durch eine HÖLLENKATZE VON KONG FU ergänzt werden, weckt schließlich meinen Durst, das Miezchen alsbald dieser zu keiner Sekunde ernstzunehmenden, dafür aber in höchstem Maße wohligen Rassehunde-Sause hinterherschieben zu können.
ZOMBI HOLOCAUST (Marino Girolami, 1980)
Endlich einmal auf der großen Leinwand gesehen, und zum vielleicht dreißigsten Mal davon beeindruckt, wie hier aus einem rein ökonomischen Geist heraus ein Meisterwerk des surrealistischen Kinos geboren wird. Was wollen die Menschen sehen? Zombies? Kannibalen? Verrückte Professoren? Inselromantik? Hardcore-Gore? Dann werfen wir doch einfach mal alles zusammen in den Hexenkessel und schauen, wie’s aufeinander reagiert. Was zumindest ich schließlich zu sehen bekomme, ist ein Film, der im wahrsten Wortsinn keinen Sinn ergibt, der dafür meine Sinne, (und vor allem die Lachmuskeln), unbelastet von etwaigen intellektuellen Steilflügen, umso heftiger anspricht; ein Film, der den eigenen roten Faden früh verliert und nie mehr wiederfindet; ein Film, dessen krude Ideen ziellos umherstehen wie Zombies, die nichts können außer stöhnen und verwesen; ein Film, der in jeder einzelnen Szene seinen Widerwillen dagegen demonstriert, in irgendeine kohärente, homogene Form gepresst zu werden. ZOMBI HOLOCAUST hat einen der schönsten Schlusssätze der Filmgeschichte („Peter, Sie haben…!“), psychedelischere Tapeten, Sessel, Lampenschirme findet man nirgends und statt eines Finales, in dem alle mühsam aufgedröselten disparaten Stränge zusammenlaufen, dürfen wir minutenlang dem Abbrennen einer Blockhütte zuschauen. In einer Geschichte des surrealen Kinos würde ZOMBI HOLOCAUST eine exponierte Stelle einnehmen, (zumindest, wenn sie von mir geschrieben worden wäre). Um mich selbst zu zitieren: „ZOMBI HOLOCAUST ist ein Film, der der Vernunft die Stimmbänder kappt, um sie am Schreien zu hindern.“
LA COMPAGNA DI BANCO (Mariano Laurenti, 1977)
…und damit wurde ich während eines Deliria-Forentreffens zum ersten Mal in unmittelbare Nähe zu meiner eigenen Belastbarkeitsgrenze gebracht, und überhaupt ist mir kein Film bekannt, den ich in letzter Zeit gesichtet hatte, und der mir derart wie ein hartes Brot erschienen ist, dass mir sämtliche Zähne abzubrechen drohen, (sämtliche Bethmanns übrigens inkludiert!) Wahrscheinlich ist diese Schlachtplatte des schlimmen Humors schon im Original kaum erträglich mit seiner Mixtur aus Gags auf Kosten der Arbeiterklasse („Du Suppenhuhn!“), auf non-heteronormative Sexualitäten („Für mich bist Du kein richtiger Mann“ in Richtung eines vermeintlich Homosexuellen), auf alles, was von etablierten Geschlechtervorstellungen abweicht (Männer in Perücken und Kleidchen, hach, wie witzig!), in der deutschen Synchronfassung glich das Spektakel für mich einem reinen Folterkeller, dessen Marterinstrumente sich zusammensetzten aus den prä-pubertärsten LÜMMEL-VON-DER-LETZTEN-BANK-Streichen, lustmolchig abgefilmter und unmotiviert in den Film gestreuter Jungmädchenbrüsten und einer feucht-fröhlichen Handlung, die kaum wahrnehmbar irgendwo hinter der grenzdebilen Groteskkomik betrunken umhertorkelt. Als besonders unangenehm habe ich einmal mehr auch empfunden, wie hier die unkonventionellen Physiognomien einiger Darsteller und Darstellerinnen freakshowhaft zur Schau gestellt werden – und wie sehr mir dieses permanente Rumschreien und Krakeelen Kopfschmerzen unter die Schädeldecke träufelt! Was für ein Machwerk, in dem man als Mann oder Frau eigentlich nur dann gutwegkommt, wenn man dem westlichen Schönheitsideal entspricht, (oder einen lukrativen Job als Anwältin besitzt).
L’OCCHI DEL RAGNO (Roberto Bianchi Montero, 1971)
Selten habe ich einen derart zähflüssig erzählten, mit Überraschungen jedweder Art unglaublich knausrig umspringenden, letztendlich ermüdenden Thriller gesehen: Nach einem erfolgreichen Banküberfall von seinen Komplizen ausgebootet, sinnt Antonio Sabato auf Rache, um nach außerordentlich langwierigen neunzig Minuten endlich Endgegner Klaus Kinski gegenüberzustehen. Dieser ist dann für mich auch der einzige Lichtblick in der hüftsteifen Inszenierung: Als ehemaliger Gangster und nunmehriger Bauunternehmer in Algiers legt Kinski den Glimmstängel kaum einmal aus der Hand, darf eine der exaltiertesten Sterbeszenen seiner gesamten mir bekannten Karriere hinlegen und hat mich bis ins Mark erschüttert, wenn er im orientalischen Badehaus spinnengleich unter einem ihm über den Kopf gebreiteten Handtuch hervorguckt, (ein Moment, der mich wegen seiner speziellen Hauptbedeckung gar an Zulawskis L’IMPORTANT C’EST D’AIMER erinnert hat.) Erwähnenswert wären vielleicht noch das pessimistische Finale, das ich in dieser Form tatsächlich nicht habe kommen sehen, die experimentelle Gestaltung von ein, zwei Rückblenden (Zeitlupe; Negativbilder), (was aber nur unterstreicht, wie sehr Elemente des Avantgardefilms in kommerziell-konventionellen Streifen den Charakter eines Krebsgeschwürs haben), sowie die Geräusche, die ein hinter Sabato im Flugzeug sitzender älterer Herr macht, als ihn die Stewardess darauf hinweist, er solle beim Landeflug doch bitte seinen Gurt umschnallen: Röw, röchel, wööörg!
Alles in allem also ein buntes Potpourri mit echter Filmkunst (INFERNO; ZOMBI), soliden Schenkelklopfern (SUPERSEVEN), gähnendem Gangstertum (RAGNO) und Grenzerfahrungen, denen ich mich im privaten Rahmen sicher nicht so schnell ausgesetzt hätte (SEVENTEEN). Insgesamt dürfte das für mich persönlich wohl eine der passendsten Mischungen an Filmen gewesen sein, die jemals bei Deliria gezeigt wurden: "Eine Achterbahn der Gefühle", um ausnahmsweise eine schale Plattitüde zu bemühen. Fürs nächste Forentreffen plädiere ich allerdings dafür, Genres ins Programm zu nehmen, die bislang sträflich vernachlässigt wurden: Meine Petition für einen Zuwachs im Sektor Peplum und Mondo liegt schon in der Nachttischschublade bereit...