bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Tatort: Der Pott

„Wenn die Ruhr brennt, wird das Wasser des Rheins nicht ausreichen, sie zu löschen.“

Mit der Verfilmung des Drehbuchs der Autoren Axel Götz und Thomas Wesskamp debütierte die TV-Serienregisseurin Karin Hercher innerhalb der „Tatort“-Reihe: „Der Pott“ ist der 21. Fall der Duisburger Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Er wurde 1988 gedreht und am 9. April 1989 erstausgestrahlt.

„[Mord] ist wie alles andere auch, nur mit Leichen.“

Duisburger Stahlarbeiter protestieren gegen Arbeitsplatzabbau, indem sie kurzerhand das Werk ohne gewerkschaftliche Legitimation besetzen. Unterstützung erhalten sie von der Bevölkerung, die mehr als eine halbe Million DM gespendet haben. Der „Pott“ mit diesen Zuwendungen soll im Rahmen einer öffentlichen Protestkundgebung medienwirksam präsentiert werden, wird jedoch bei einem brutalen Überfall entwendet. Das bringt die Streikenden zusätzlich in Bredouille. Damit nicht genug: Günther Broegger (Horst Lettenmeyer), eines der unmittelbaren Opfer des Überfalls, wird in einer Kleingartensiedlung nahe des Arbeiterviertels Duisburg-Hochfeld ermordet aufgefunden. Da Thanner zu einer Außenstelle des Bundeskriminalamts nach Bonn gewechselt ist und Hänschen (Chiem van Houweninge) erst in sechs Wochen wiederkommt, sieht sich Schimanski zunächst gezwungen, die Ermittlungen allein anzugehen. Er kann jedoch Königsberg (Ulrich Matschoss) überzeugen, ihm Jo Wilms (Thomas Rech, „Tatort: Blutspur“) vom Raubdezernat zur Seite zu stellen, der im Falle des gestohlenen „Potts“ ermittelt. Schimanski stellt die Kleinkriminellen Struppek (Michael Brandner, „Nordkurve“) und Golonska (Guido Föhrweißer, „Der Atem“), als sie gerade Broeggers Wohnung durchsuchen. Doch damit ist der Fall längst nicht gelöst, und immer wieder kreuzen sich die Wege der Kripo mit denen eines BKA-Schnüfflers (Miroslav Nemec, „Stahlkammer Zürich“) …

„Für meinen Bruder ist jeder ein Arschloch, der vor zehn Uhr aufsteht!“

Ein Novum im Duisburger „Tatort“: Der Prolog zitiert einen Artikel der Wochenzeitung „Der Spiegel“ vom 28.03.1988, der von Ideen handelt, das Gewaltmonopol des Staats bei Demonstrationen, Streiks u.ä. zugunsten privater Sicherheitsdienste aufzugeben. Der eigentliche Fall beginnt mit einem Liveauftritt Rio Reisers mit seiner Band auf der Streikveranstaltung der Stahlwerker, wo man „Über Nacht“ zum Besten gibt. Der Überfall wird betont brutal dargestellt, indem auch ein altes Mütterchen misshandelt und anstelle des Gelds in den „Pott“ geworfen wird. Schimmi ist unterdessen wenig von Thanners Jobwechsel begeistert. Zum Running Gag wird, dass er Thanners Gepäck die ganze Zeit im Kofferraum mit sich herumfährt, während Thanner längst in Bonn ist und verzweifelt an seine Sachen heranzukommen versucht.

„Ich hab‘ dir immer gesagt: Wir sind hier nur von Idioten umgeben!“

Bei einem Gerangel zwischen Bevölkerung und Polizei setzt sich Schimmi für die einfachen Leute und springt rabiat mit den Uniformierten um – ein eindeutiges Zeichen für Schimanskis Sympathieverteilung. Starke Auftritte hat auch Willi Thomczyk („Tatort: Grenzgänger“) als zynisch philosophierender, arbeitsloser Bruder Jos. Nach und nach lernt man Jos ganze Familie kennen, beim gemeinsamen Essen Schimanskis mit Jos Familie gibt’s neben deutscher Küche geballtes Ruhrpott-Naturell – und auf Jos Schwester Vera (Sabine Postel, „The Brief“) wirft Schimmi direkt ein Auge. Hoch her geht’s aber nach wie vor auf der Straße: Schimmi legt sich mit BKA-Schnüfflern an und muss sie gleichzeitig vor einer aufgebrachten Meute beschützen, später gehen Streikende und sie Unterstützende wie ein Lynchmob mit Fackeln auf die Straße und machen Jagd auf Golonska, von dem sie glauben, er sei in den Mord oder den Überfall verwickelt.

„Bügeln und gebügelt werden – Frauenschicksal!“

Das Bonner BKA um seinen von Ludwig Haas („Lindenstraße“) gespielten Chef hingegen präsentiert sich als stocksteife Tafelrunde, in die Thanner nicht so recht passen will – und der sich überrascht von den Plänen hinsichtlich privater Sicherheitsdienste zeigt. In Duisburg wird derweil ganz klassisch per Flugblatt nach Struppek gefahndet, einen Sturz vom Förderturm überlebt er anschließend nicht. Schimmi ist, fertig zu Hause auf seinem Motorrad sitzend, trinkend und Rio Reiser hörend, mit seinem Latein am Ende und sieht sich gezwungen, Thanner um Hilfe zu bitten, der dadurch in einen Gewissens- und Interessenkonflikt gerät. So kommt es schließlich doch wieder zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden – ein schöner erzählerischer Kniff.

Letztlich geht’s um verdeckt operierende BKA-Spitzel und ihre Einflussnahme, aber auch um noch viel mehr: Den Malocher-Hintergrund der Wilms, um Bosse und ihrem Umgang mit der Belegschaft, um Solidarität, Befangenheit, Rache und einen guten Schuss Dramatik und Tragik. Der doppeldeutig betitelte „Tatort: Der Pott“ hantiert dafür vielleicht mit einem etwas großgeratenen Ensemble, dafür erlangte dieses später einige Berühmtheit: Aus Miroslav Nemec, der bereits im „Tatort: Gebrochene Blüten“ dabei war, wurde ein bis dato aktiver Münchener „Tatort“-Kommissar, Sabine Postel heuerte beim Bremer „Tatort“ an, Jos von Leonhard Lansink gespielter zweiter Bruder ist heute als „Wilsberg“ bekannt, Thomczyk machte Hauptrollenkarriere in der Comedy-Serie „Die Camper“. Ludger Pistor („Balko“) ist als Schimanskis Kollege Schäfer auch wieder mit von der Partie.

Sein Gewaltmonopol bei Demos und Arbeitskampf offiziell und unter dem Deckmantel der „Deeskalation“ in private Hände zu geben, das hat der Staat bzw. haben seine Institutionen dann doch nie getan – vor dem ganz realen Hintergrund der Stahlarbeiterstreiks der 1980er erzeugt dieser „Tatort“ aber ein Bewusstsein dafür, wohin so etwas führen könnte: dass sich das BKA für Privatinteressen einsetzt und sich im Zweifelsfall gegen die Arbeiterklasse richtet. Dies wiederum erscheint als der Regierung unterstellte Institution wenig abwegig, betreiben CDU und längst auch SPD i.d.R. doch Lobbypolitik für Konzerne und Kapital. Und wenn ein BKA-Fatzke Thanner droht, er werde dafür sorgen, dass dieser nie wieder einen Job bekomme, erinnert das an ebenfalls ganz reale Fälle zu Zeiten des Kalten Kriegs, in denen bundesdeutsche Inlandsgeheimdienste auf diese Weise beispielsweise das Fußfassen von DDR-Aussiedlerinnen und -Aussiedlern, die ihnen nicht ganz geheuer waren, verhinderten. Angesichts der zahlreichen authentischen Bezüge erscheint es überaus stimmig, dass unter Regisseurin Hercher die zuletzt so Duisburg-„Tatort“-typische Neo-Noir-Ästhetik beinahe vollständig einem anschaulichen Sozialrealismus wich.

Am Ende dieses bockstarken „Tatorts“ betrinkt Schimmi sich und singt Rio „Schicht, Ende, aus“. Seine Dienstmarke wurde Schimanski aber noch nicht los.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Das Haus der Verfluchten

„Solche Pfaffen lehne ich ab!“

Eine der letzten Regiearbeiten des Italieners Alberto De Martino („Der Antichrist“) ist der Spät-Giallo „Das Haus der Verfluchten“ aus dem Jahre 1985. Das italienische Genrekino befand sich bereits auf dem absteigenden Ast und im Giallo war eigentlich alles bereits auserzählt worden. Doch De Martino ließ einige zeitgenössische Einflüsse zu und wollte es noch einmal wissen.

„Du wirst nie wieder nach Hause gehen!“

Die junge Joana (Christina Nagy) ist zwar an den Rollstuhl gefesselt, lässt sich von ihrem Handicap jedoch nicht unterkriegen und lebt ein aufgewecktes Leben voller Aktivitäten – vor allem innerhalb ihrer Sportgruppe für Querschnittsgelähmte, wo sie sich in ihren Trainer Craig (David Warbeck, „The Beyond – Über dem Jenseits“) verliebt. Ihre Freundin und Pflegerin Ruth (Caroll Blumenberg), die auf Joanas Zuneigung hoffte, betrachtet diese Entwicklung mit Argwohn. Tatsächlich ist auch Craig Joana sehr zugetan und macht ihr einen Heiratsantrag. Daraufhin tritt Joanas behandelnder Arzt Dr. Sernich (Rossano Brazzi, „Mondo Cane“) an Craig heran und unterrichtet ihn über grausame Ereignisse aus Joanas Kindheit: Sie wurde von einem als Pfarrer verkleideten Kinderschänder missbraucht und fiel auf der Flucht eine Treppe herunter, woher ihre Lähmung rührt. Sie hat dieses Trauma vollständig verdrängt – doch gelangt es wieder in ihr Bewusstsein, riskiert sie, einen Herzinfarkt zu erleiden. Nach der Vermählung mit Craig scheint eben jener Triebtäter immer wieder in Joanas Nähe aufzutauchen und sie zu terrorisieren. Der Grund: Joana ist finanziell nicht schlecht gestellt – und an Übeltäter geraten, die sie in den Wahnsinn bzw. Tod treiben wollen, um sich über ihr Vermögen hermachen zu können…

„Mein psychisches Gleichgewicht ist sehr labil...“

Ein sehr durchästhetisierter Prolog deutet in Zeitlupen Joanas schreckliche Missbrauchserlebnisse an. In der erzählerischen Gegenwart definiert De Martino sodann die Genrezugehörigkeit des Films, indem er in Point-of-View-Perspektive einen heftigen Priestermord durch einen schwarzbehandschuhten Mörder inszeniert. Anschließend wird einem Joana nähergebracht, die irgendetwas im Schaufenster sieht, das sie zu irritieren scheint... Doch das mit dem Priestermord initiierte Whodunit? wird nach der Charakterisierung Joanas überraschend schnell aufgeben und Craig als Mörder enttarnt. Dass es zwei Täter gibt, da Ruth gemeinsame Sache mit Craig macht, bleibt ebenso wenig ein Geheimnis. Diese ungewöhnlich frühe Bekanntgabe von Täter(n) und Motiv führt jedoch kaum zu Spannungsabfall, sondern gibt De Martino die Gelegenheit, sich stärker in Richtung Slasher (das mit subjektiver Kamera gefilmte Erschlagen eines jungen Pfaffen ist nicht von schlechten Eltern), vor allem aber Psycho-Thriller zu orientieren und dabei den Überlebenskampf der querschnittsgelähmten Joana in den Mittelpunkt zu stellen. Der Wissensvorsprung des Publikums schafft Raum für Suspense-Momente.

De Martino und sein Team reizen auch die optischen Möglichkeiten ein gutes Stück weit aus, nicht nur in den Gewaltspitzen: Alpträume werden visualisiert, Spiegelungen in Sonnenbrillen stellen einen schönen grafischen Effekt dar, weitläufige Gebäude werden zu klaustrophobischen Fallen verengt. Die recht krude Handlung erhält nach rund zwei Dritteln eine plötzliche überraschende Wendung und einige genüsslich ausgewalzte Spannungsszenen, was in ein vom Wahnsinn geprägtes Finale mündet, in dem der Terror regiert und ein expressiver Warbeck noch einmal so richtig aufdreht. Dass Joana auf ihren Rollstuhl angewiesen ist, erhöht die Perfidie der Täter und die Diskrepanz zwischen Opfer und Täter beträchtlich, was sich in der Konsequenz positiv auf die Empathieentwicklung zugunsten Joanas auswirkt.

Nein, „Das Haus der Verfluchten“ verfügt über kaum Alleinstellungsmerkmale. Es handelt sich vielmehr um ein Genrefilm-Puzzle, dem immerhin das Kunststück gelingt, trotz früher Aufdeckung seines „Geheimnisses“ spannend und unterhaltsam zu bleiben, wenngleich er dadurch etwas inkonsistent erscheint. Carroll Blumenberg bringt Sex-Appeal ein, Warbeck haut kräftig auf die Kacke und Christina Nagy ist mitleiderregend und wehrhaft zugleich – ein Trio, dem man gern in diesem in Boston und New York spielenden Spät-Giallo aus der zweiten Reihe in tollem Look, mit sehr hörenswerter musikalischer Untermalung Francesco de Masis und mit einigen deftigen Gewalterruptionen angereichert, zusieht. Schade, dass Nagy und Blumenberg nicht in weiteren Produktionen zu sehen waren.
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Tatort: Blutspur

„Wie im Libanon!“

Der Südtiroler TV-Serien-Regisseur Werner Masten („Straßen von Berlin“, „Der Bulle von Tölz“) debütierte im Jahre 1989 innerhalb der „Tatort“-Reihe mit gleich zwei Beiträgen: „Schmutzarbeit“ sowie dem hier besprochenen „Blutspur“, dem nach einem Drehbuch Peter Steinbuchs entstandenen 22. Fall der Duisburger Kripo um die Kommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Das passte insofern gut, als Masten bereits 1984 einen Film namens „Schimmi“ inszeniert hatte. „Tatort: Blutspur“ wurde am 20. August 1989 erstausgestrahlt und landete aufgrund seiner Gewaltdarstellungen anschließend bis 1999 im Giftschrank.

„Wer kricht’n um die Zeit schon einen hoch?“

Eine Gruppe arabischer Terroristen verübt abends einen Anschlag auf das Büro zur Befreiung Palästinas in Essen-Steele. Am nächsten Morgen werden Schimanski und Thanner in aller Herrgottsfrühe damit beauftragt, einen drachenfliegenden Exhibitionisten zu stellen, was weder zu ihrem eigentlichen Aufgabengebiet noch zu ihren bevorzugten Tätigkeiten gehört. Entsprechend schlecht ist die Stimmung. Der Einsatz führt zu einem Lager für polnische Fernfahrer, dessen Betreiber der polnischstämmige Kripo-Informant Leszek (Vadim Glowna, „Wo immer du bist“) ist. Kurz nach dem Gespräch mit Leszek taucht das Terrorkommando ebenfalls dort auf schießt wild um sich, wobei Schimanskis Wagen zerstört wird. In einem Lkw entdecken die Kripobeamten eine riesige Blutlache, die sie untersuchen lassen. Leszek ist derweil verschwunden, kann aber in einem Duisburger Hotel ausfindig gemacht werden. Schimanski belauscht in einem Lüftungssacht Leszeks Gespräch mit einem gewissen Samara (Kostas Papanastasiou, „Morena“), als die Terroristen plötzlich Handbrandsprengsätze durchs Fenster werfen und Samara sowie einen stummen Passfälscher töten. Leszek jedoch kann entkommen, wird von Schimanski aber für ebenfalls tot gehalten. Leszeks Freundin Ela (Marita Marschall, „War Zone – Todeszone“) aber greift er vorm Hotel auf und verhört sie. Daraufhin taucht sie bei der Bauchtänzerin Roswitha (Michaela Wolko, „Das Nürnberger Bett“) unter. Ihren just aus der Haft entlassenen Zuhälter Freddie (Rolf Zacher, „Der Formel Eins Film“) zwingen Schimanski und Thanner zur Zusammenarbeit, um Ela zu finden. Feststeht: Ela und Leszek sind in tödliche Geschäfte verwickelt – doch welcher Art? Und welche Rolle spielen die Terroristen in diesem mörderischen Spiel?

„Es geht alles seinen gewohnten Dienstweg!“

Mit „Blutspur“ greift die Reihe die damals aktuellen blutigen Konflikte zwischen Palästinensern und Schiiten im Libanon auf. Der Prolog zeigt den Anschlag aufs Bürogebäude, inklusive Explosionen, Schüssen und brennenden Menschen. Ein herber Einstieg in diesen Action-Krimi, der sich gar nicht mit Erklärungen dahingehend aufhält, weshalb Thanner nach den Ereignissen im vorausgegangenen Duisburger „Tatort“ wieder mir nichts, dir nichts bei der Kripo arbeitet. Dieser reitet permanent darauf herum, dass libanesische Verhältnisse herrschen würden, und Schimmi wirkt durchgehend gehetzt, genervt und aggressiv – analog zur hochbrisanten, gefährlichen Lage durch die Ausweitung eines Nahostkonflikts auf deutsches Territorium. „Wer kämpft hier gegen wen… und warum?“ wird wortwörtlich als Frage in den Raum geworfen und beschreibt exakt, worum es in dieser unübersichtlichen Gemengelage geht, die Masten und Co. hier etablieren.

„Handbrandsprengsätze, verdammt noch mal!“

Vermengt wird das Nahost-Motiv mit Ausflügen ins Nachtleben und Rotlichtmilieu. Bei einer schön gefilmten nächtlichen Autofahrt Thanners und Schimanskis durch den Essener Kiez kennt Thanner fast alle Bordsteinschwalben beim Namen. Roswitha liefert eine Bauchtanzeinlage und die Figur des Freddie (Zachers zweiter Einsatz in einem Duisburger „Tatort“) als kleiner Zuhälter gerät im weiteren Verlauf immer mehr zum amüsanten Comic Relief. Zum Running Gag avanciert Thanners ständige Sorge um sein neues Auto, einen weißen Subaru. Es wird diesen Fall nicht überleben. Auf den Straßen liefert man sich ein packendes Duell Lkw versus Pkw und in einem Großteil der weniger actionreichen Szenen dominiert erneut eine prima realisierte, bisweilen vielleicht etwas dick aufgetragene Neo-Noir-Ästhetik. Veronica Ferres („Schtonk!“) gibt sich als Imbisswirtin ein Stelldichein, Dieter Pfaff ist als Kripo-Kollege Geiger wieder mit von der Partie und statt mit Königsberg müssen sich Schimanski und Thanner mit dem von Gerhard Olschewski gespielten Ossmann herumplagen.

„Steckt euch die Schiiten in euren BKA-Arsch!“

„Blutspur“ wollte etwas viel auf einmal – oder man streckte ein im Prinzip fertiges Skriptkonstrukt bemüht mit Ruhrpott- bzw Kiez-Folklore, denn so richtig möchte sich hier nicht immer ein Teil ins andere fügen. Daraus resultieren ein paar Ungereimtheiten und eine überkomplizierte Erzählweise, bei der die Übersicht schon mal verloren geht. Die gute Unterhaltung überwiegt aber zweifelsohne, denn Schimmi und Thanner gehen einmal mehr voll in ihren Rollen auf. Zudem kracht’s und scheppert es ordentlich und angesichts vieler Toter und Blutlachen geht der Fall durchaus an die Nieren. Der reale Hintergrund macht zudem ein interessantes Zeitdokument aus diesem „Tatort“, der sich inhaltlich jeglicher klarer Positionierung verweigert und stattdessen die Bilder eindrucksvoll sprechen lässt.
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Im Angesicht der Hölle

„Ein Haus auf dem Lande – ganz friedlich auf den ersten Blick...“

Der kanadische Bodybuilder und Rock/Metal-Sänger Jon Mikl Thor tat sich einst als Produzent und Drehbuchautor mit US-Regisseur John Fasano („Freakshow“ alias „Black Roses“) zusammen, der daraufhin im Jahre 1987 mit „Im Angesicht der Hölle“ alias „Rock’n’Roll Nightmare“ debütierte – einer Mischung aus Horror- und Musikfilm, die zu einer echten Trash-Wundertüte wurde, die man gesehen haben muss, um an sie glauben zu können…

„Komm, zeig mir deinen Biberschwanz!“

John Triton, muskelbepackter Sänger der Hardrock/Heavy-Metal-Band „Tritonz“, mietet sich mit seiner Kapelle (und Freundinnen sowie einigen nachreisenden Groupies) in ein abgelegenes Farmhaus ein, um dort weitestgehend von der Außenwelt isoliert Inspiration zu finden und in Ruhe ein neues Album aufzunehmen. Dieses Farmhaus war jedoch einst ein Schauplatz des Schreckens: Dunkle Mächte hatten dort eine ganze Familie dahingerafft. Es kommt, wie es kommen muss: Ausgehungert stürzen sich die Dämonen auf die Musiker und ihren Anhang…

„Sex und Drogen, das wird euch gefallen!“

Ein Voice-over-Sprecher kommentiert den Prolog, der das Massaker an der Familie zeigt. Anschließend darf man minutenlang Jon Mikl Thor alias John Triton dabei zusehen, wie er auf einer Straße fährt – wahnsinnig aufregend. Er befindet sich mit seiner Band auf dem Weg zum besagten Horrorhaus. Vor Ort bequatscht man alles Weitere aber erst einmal mit Manager Phil (Adam Fried, „Student Affairs“) – anscheinend sind alle einfach bei John eingestiegen, ohne zu wissen, wohin es geht und warum. Musiker! Nach diversen weiteren redundanten Füllszenen ohne Sinn und unnötig in die Länge gezogenen Einstellungen isst man gemeinsam zu Abend, woraufhin John sich in seinen, nun ja, extravaganten Bühnendress wirft und man gemeinsam probt und rockt. Seltsame Tonverfremdungen mitten im Lied deuten bereits darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Anne zieht sich aus und will Phil verführen, verwandelt sich in ein Monster und beißt im ein Stück Fleisch aus der Schulter – dabei wurde doch gerade erst diniert!

Weitere Mädels verwandeln sich in Ungetüme und als die Groupies eintreffen, werden sie direkt wieder vergrault – welch Stutenbeißerei! Wer stirbt, existiert als Monster weiter und ist zudem anscheinend praktischerweise auch gleich noch Gestaltenwandler. Doch show must go on und so trägt John zur nächsten Probe eine rote, gepunktete Mischung aus Frack, Kleid und Kittel. Die Mädels wiederum ziehen allesamt mindestens einmal blank, auch jene Dame, der Phil „die Hand gibt“, die aus seinem Oberkörper hervorbricht. Diverse langweilige Sexszenen werden aneinandergereiht, John bumst unter der Dusche. Der kleine Junge aus dem Prolog (Jesse D'Angelo, „Blood Sisters“) taucht auf und bringt ein ganz seltsames Musikthema mit. Auch er verwandelt sich in ein Monster. Der anschließend als Schattenspiel inszenierte Kampf kann nur als Hommage an den Expressionismus verstanden werden.

Das Hühnchen im Kühlschrank ist nicht gut durchgegart, das kennt man. Als John sich am Ende jedoch als „Erzengel Triton“ entpuppt, wird’s endgültig konfus. Er wird mit Gummiseesternen beworfen und plustert sich als Kraftmeier im knappen Höschen auf, um gegen den Latexteufel höchstpersönlich zu kämpfen. Unglaubliche Szenen spielen sich ab, „Im Angesicht der Hölle“ wirft alles Vorausgegangene über den Haufen und stürzt sich mit dieser Wendung direkt ins filmische Delirium, lässt dem Wahnwitz freien Lauf und seinen Haarspray-He-Man mit Anlauf in die Nonsens-Hölle der Gummipuppen springen. Wer wird stärker sein: John „Erzengel“ Triton oder der mittlerweile zahlreiche Nehmerqualitäten bewiesen habende Zuschauer?

Die generische bis kitschige Musik bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Hardrock, Heavy Rock und Metal, die Dialoge sind aus der Klapse, die Kreaturen mitunter niedliche (!) Handpuppen, Masken und Spezialeffekte billig – und unentwegt rocken fiese Scheitel durchs Bild. Das alles findet auf unbeholfenem Amateurniveau statt und ist nicht für einen Filmmeter spannend, sodass selbst die deutsche Pornosynchro dazu passt.

Die größte Frage ist, wie viel Selbstironie hier im Spiel war. Das ist insofern fraglich, als Jon Mikl Thor bisweilen ein wenig der Realität entrückt wirkt, bei andererseits sehr viel Selbstvertrauen, möglicherweise bis hin zur Selbstüberschätzung. Da drängen sich mir Parallelen zu Christian Anders auf, mit dem Unterschied, dass Thor wesentlich sympathischer scheint und sich zu keinem antisemitischen Schwurbelhirni heruntergewirtschaftet hat. Ein Rollenname wie „Roger Eburt“ zeugt von Humor (davon ausgehend, dass er an den Filmkritikerpapst Roger Ebert angelehnt wurde), und den braucht man auch für diesen Film, der sich als echtes Trash-Bonbon genießen lässt und es ohne seine Streckszenen, bei höherem Tempo also, sicherlich zu größerem Ruhm gebracht hätte. So bleibt er ein Geheimtipp nicht nur für Freunde des bekloppten ‘80er-Jahre-Metal-Films. Im selben Jahr erschien übrigens mit dem etwas besseren „Zombie Nightmare“ Thors zweiter schauspielerischer Gehversuch. Fasano hingegen lieferte ein Jahr später ohne Thor mit „Freakshow“ einen weiteren herrlich durchgeknallten Metal-Horror-Film ab, mit dem er dem Latex-Overkill treu blieb. Aber das ist eine andere Geschichte…
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Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt

„Störungen und Komplikationen treten auf – besonders dann, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten!“

Im Jahre 1971 erschienen sage und schreibe allein fünf Pseudofickreportfilme, die vom Österreicher Ernst Hofbauer inszeniert wurden. „Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt“ fand zwischen „Mädchen beim Frauenarzt“ und „Der neue heiße Sex-Report – Was Männer nicht für möglich halten“ in die Licht- und Lustspielhäuser und ist ein archetypischer Vertreter seiner fragwürdigen Zunft. Als Reporter treten diesmal Christian Engelmann („Der Pfarrer von St. Pauli“) und Peter Raschner („Oktoberfest! Da kann man fest...“) in Erscheinung.

„Du bist der einzige Lehrling, von dem selbst ich noch was lernen kann!“

Ein gewohnt reißerischer Voice-over-Sprecher führt in den Film ein, der angeblich unter der Mitwirkung einer Gewerkschafterin, eines Betriebspsychologen und eines Personalreferenten entstand. Unterteilt in elf Episoden erhält das interessierte Publikum einen vermeintlichen Einblick in den Themenkomplex „Liebe, Erotik, Verführung und Sex am Arbeitsplatz“, folgerichtet lautet die…

Episode 1: Liebe im Büro
Azubine Biggi (Barbara Stanek, „Engelchen macht weiter - Hoppe, hoppe Reiter“) hat eine Büroaffäre mit ihrem Chef laufen, der sich ihr jedoch eher widerwillig hingibt. Biggi lässt alles auf Tonband mitschneiden, wobei Cheffe sie erwischt und ihr eine runterhaut, bis bayrische Putzfrauen eingreifen. Der Fall landet vor Gericht: Unzucht mit Abhängigen lautet der Straftatbestand, doch der Anwalt des Chefs hält ein flammendes Plädoyer für die Abschaffung des entsprechenden Paragraphen.

„Wenn ich mich nicht immer so beherrschen würde, hätte ich bestimmt schon die Hälfte von denen da durch!“

Episode 2: Vierzig Mädchen und ein Mann
Ein Reporter interviewt Herrn Baumann (Harald Baerow, „Engel, die ihre Flügel verbrennen“), der mit zahlreichen Gastarbeiterinnen in einem Labor arbeitet – angeblich alles rattenscharfe Ausländerinnen. Antworten auf die Fragen des Reporters werden filmisch umgesetzt: Carlotta folgt ihrem Chef in den Aufenthaltsraum und fällt über ihn her. Andere Damen folgen ihr, wutentbrannt und eifersüchtig. Es kommt zum Kampf (Catfight), woraufhin er eine Auserwählte im Auto vernascht – was im Kontrast zu seinen Aussagen steht.

Episode 3: Besuch bei der Chefin
Hierbei handelt es sich um einen Fall, über den Dr. Rosenstiel freimütig und fachmännisch berichtet: Ein Psychiater liegt mit Irena im Bett, sie sind verheiratet. Sie beginnt zu erzählen, wie es vor einem halben Jahr noch war: Sie verdingte sich erfolgreich als Modeschöpferin und übte sich im gleichgeschlechtlichen Sex, was jedoch keine Erfüllung brachte. Herr Stein (Michael Conti, „Der Arzt von St. Pauli“) bewarb sich bei ihr, sie verführte ihn. Herr Stein ist jedoch vom anderen Ufer und wollte sie nur ausnutzen, um mit einem eigenen Laden durchzustarten. Der verzweifelte Irena schnitt sich daraufhin die Pulsadern auf.

Auf ein Interview mit DGB-Betriebsrätin Frau Lange und mit einigen Lehrlingen folgt Episode 4: Mittagspause. Ein Stotterer (Michael Schreiner, „Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten“) leiht sich bei Franz Kondome. Er möchte mit einem Mädchen (Waltraud Schaeffler, „Pornografie illegal“) im Lager bumsen, aber die „einzige gemütliche Bumsecke“ ist schon belegt. Also muss der Lastenaufzug herhalten, wo man jedoch vom Chef und Inspekteur (Hans Kern, „Das Kriminalmuseum“) ertappt wird. Falk Schubert, Personalreferent des Arbeitsgeberverbands, äußert sich im Kurzinterview, diverse Azubinen ebenfalls.

„Sie waren gerade im Schulmädchen-Report, hat Ihnen dieser Film gefallen?" – „Ja, danke – ich war schon zweimal drin!"

Episode 5: Montagsgespräch
Zwei Bäuerinnen unterhalten sich im Betrieb ordinär über Sex. Azubine Karla (Heidi Hansen, „Fanny Hill“) reagiert genervt. Ihr Chef Herr Eisenheuch (o.ä.) will Sex mit ihr und erpresst sie. „Willst mal sehen?“ Er entblößt sich vor ihr, was Hofbauer jedoch nicht von der Kamera einfangen ließ. Sie knallt ihm eine. „Na, mein Fötzchen, was sagst du zu dem Hannes?“, fragt er, bevor Falk Schubert sich erneut zu Wort meldet und weitere Interviews mit Damen im Supermarkt und auf der Straße durchgeführt werden.

Episode 6: Überstunden
Herr Lohmeyer ist ein weiterer Chef, der sich den Fragen des neugierigen Sexreporters stellt. Er berichtet von Jutta Bornstedt (Renate Kasché, „Venus im Pelz“), die die Ehefrau Herrn Bornstedts (Tonio von der Meden, „Der neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten“) war, eines sehr fleißigen Mitarbeiters. Ingrid nahm ihn mit zu sich nach Hause, während ihr Mann Überstunden schob, um die Hypothek abbezahlen zu können, und begann eine Affäre mit ihm. Sie wurde sogar schwanger von ihm. Kurz nachdem Jutta durch Zufall dahinterkam, verunfallte sie tödlich. Falk Schubert und die DGB-Tante dürfen erneut ihren Sermon loswerden, weitere Mädels werden vom indiskreten Reporter belästigt.

„Der legt sogar die ältesten Schrippen um!“

Episode 7: Der Firmen-Casanova
Kfz-Meister Lallinger (Wolfgang Scherer, „Beichte einer Liebestollen“) hat ebenfalls eine Geschichte zum Besten zu geben: Ein Kfz-Mechaniker (oder so) macht sich über die jungen Mädels aus dem Büro her. Als Rezipient muss man zudem einige Wortspielereien über sich ergehen lassen. Der Arbeitgeber quasselt anschließend etwas ins Mikro, junge Frauen tun es ihm gegenüber dem Reporter gleich.

Episode 8: Die kluge Ehefrau
Eine Sekretärin (Marion Forster, „Mache alles mit“) berichtet von ihrem fremdgegangenen Mann, Gastarbeiterinnen werden interviewt, die DGB-Uschi meldet sich zu Wort.

Episode 9: Umgang mit Lehrlingen
Die fesche Toni (Evelyne Traeger, „Prostitution heute“) wird von ihrem Chef Herrn Berghoff (Wolf Harnisch, „Ich schlafe mit meinem Mörder“) befummelt.

Episode 10: Betriebsfest
Das züchtige Fräulein Spannholz (Ursula Bode, „Zur Sache, Schätzchen“) ist gegen Betriebsausflüge und man kann es ihr angesichts der gezeigten spießigen Firmenfeier nicht verdenken. Doch unter den Tischen wird gefummelt und natürlich auch gebumst – und, siehe da: Herrn Lüdemann (Walter Feuchtenberg, „Der Ostfriesen-Report: O mei, haben die Ostfriesen Riesen“) gelingt es gar, das spröde Frollein Spannholz aufzutauen! Es folgen die obligatorischen Interviews.

Episode 11: Es begann in der Kantine
Ein Mann berichtet von einer Affäre, die – Überraschung! – in einer Kantine begann. Die Pointe: Am Schluss haben sie geheiratet, und zwar sich, also gegenseitig. Man möchte gratulieren.

Die kaum erotischen Fummel- bis Softsex-Episödchen sind oftmals derart kurzgeraten, dass man den Eindruck bekommt, sie seien bei „Schulmädchen-Report“ und Konsorten vom Schneidetisch gefallen und zu diesem hochnotpeinlichen Flickwerk zusammengekehrt worden. Junge meist schutzbefohlene Frauen/Mädchen werden von ihren Vorgesetzten belästigt bzw. stürzen sich vielmehr selbst auf sie, womit sich auch dieser Film einmal mehr in Altherrenfantasien suhlt und Partei für Autoritätspersonen ergreift, die ihre Hände oder Schwänze nicht bei sich beibehalten können.

Angesichts des unfreiwilligen Humors, der diesem Filmchen innewohnt, sowie seiner mittlerweile glücklicherweise doch weitestgehend überholten Geschlechterrollenklischees lässt er sich natürlich als Trash-Film goutieren und auslachen. Vergegenwärtigt man sich jedoch das dargestellte Frauen- und Gesellschaftsbild und den Zynismus, mit dem Hofbauer dieses transportiert, kann einem das Lachen durchaus im Halse stecken bleiben. Somit handelt es sich bei „Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt“ wie bei so vielen anderen „Reportfilmen“ auch in erster Linie um ein beschämendes, entlarvendes Sittenporträt einer sexistischen und zugleich verklemmten Gesellschaft, die die durch die sexuellen Revolution gewonnenen Freiheiten ausnutzte, um ihr antiquiertes antiemanzipatorisches Weltbild in pseudoaufklärerischen Werken zu zementieren. Von dieser Formel abweichende Episoden haben Alibicharakter, sind in ihrer Übertreibung unglaubwürdig und enden auffallend oft in Selbstmord(-versuchen). Altbekannt ist auch die Mischung aus betont ernsthaften Beiträgen, komödiantischen (meist die schlimmsten!) Episoden und einer Art Happy End. Dieses war für die deutsche Erotikfilmlandschaft jedoch noch längst nicht in Sicht, „Reportfilm“ und Konsorten starteten gerade erst so richtig durch…
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Zombie Nightmare

„Ich bestelle mir wohl lieber 'ne Portion Arsch und Titten!“

US-Filmemacher Jack Bravman („Janie”) trat in erster Linie als Produzent in Erscheinung und brachte es zwischen einer Vielzahl an Pornos auf nur wenige Spielfilm-Regiearbeiten. Eine davon ist die 1987 entstandene kanadische Katastrophen-Low-Budget-Horror-Produktion „Zombie Nightmare“, zu der John Fasano, Regisseur des Trash-Heulers „Im Angesicht der Hölle“, das Drehbuch verfasste und sich außerdem als Regieassistent verdingte. Fasano hatte für „Im Angesicht…“ kurz zuvor erstmals mit dem Hardrock/Metal-Sänger und Bodybuilder Jon Mikl Thor zusammengearbeitet, der hier kurzerhand für den eigentlich geplanten, jedoch verhinderten Hauptdarsteller einsprang. Nur eine von vielen Unwägbarkeiten dieser Produktion…

Der gut gebaute Tony Washington (Jon Mikl Thor) ist ein feiner Kerl, der, wenn er sich nicht gerade um seine alte Mutter kümmert, leidenschaftlich gern Baseball spielt. Während eines Einkaufs verhindert er erfolgreich einen Ladenüberfall, indem er sich gegen die Kriminellen zur Wehr setzt. Anschließend wird er jedoch von einem Auto überfahren und stirbt an seinen Verletzungen. Mutti Washington (Francesca Bonacorsa) wendet sich in ihrem Schmerz an die Voodoo-Priesterin Molly Mokembe (Manuska Rigaud), die ihr noch einen Gefallen schuldet, seit ihr Mann und Tonys Vater (John Fasano höchstpersönlich) starb, als er Molly vor Vergewaltigern rettete. Er wurde erstochen, wodurch Tony ein Kindheitstrauma davontrug. Mittels eines Voodoo-Rituals lässt sie Tony aus dem Totenreich wiederaufstehen, der nun, als untoter Zombie, baseballschlägerschwingend Jagd auf seine Peiniger macht…

Jon Mikl Thor brachte nicht nur Muckis mit, sondern auch Mucke, nämlich einen hochkarätigen Metal-Soundtrack: Nach dem Prolog, der das Voodoo-Ritual vorwegnimmt, ertönt direkt der Überhit „Ace Of Spades“ von Motörhead. Der Vorspann, den das Stück unterlegt, sieht allerdings aus wie am C64 entstanden. Die Ereignisse, die dem Prolog vorausgingen, werden nun dargestellt; im Mittelpunkt steht dabei ein brünetter, eingeölter Thor als Tony, der noch bei seiner Mutter lebt. Die reichlich alberne ‘80er-Jahre-Musik wird alsbald von Virgin Steeles coolem „We Rule The Night“ abgelöst, weitere Songs des Soundtracks stammen von Girlschool, Fist, Death Mask und Pantera. Tonys Zombifizierung stellt dann eine Mischung aus den klassischen Voodoo-Zombies, die zu Sklaven ihres Meister respektive ihrer Meisterin werden, und schmodderigen Untoten dar – letzteres findet zumindest in Tonys Horrormaske Ausdruck, die Thor von nun an spazierenträgt. Die fiesen Jugendlichen, auf die es Zombie-Tony nun abgesehen hat, entpuppen sich als Upper-Class-Gang, von denen der untote Rächer nun einen nach dem anderen killt. Captain Tom Churchman (Adam West, „Batman hält die Welt in Atem“), der Oberbulle des Städtchens, hat ebenfalls einiges auf dem Kerbholz, der Vater eines der Übeltäter ebenso. Doch so sehr Churchman alles zu vertuschen versucht, sein Deputy bleibt dran.

„Zombie Nightmare“ ist rein technisch und formal etwas „besser“, etwas mehr den Konventionen des Filmemachens entsprechend, als sein Quasi-Vorgänger „Im Angesicht der Hölle“. Sein Mini-Budget sieht man ihm jedoch deutlich an, gruselig oder atmosphärisch ist er nun wirklich kein bisschen, aber auch kein lustiger Trash, angesichts dessen man sich pausenlos auf die Schenkel klopfen wollen würde. Zudem wird er erst gegen Ende ein wenig blutig, Nacktszenen gibt es diesmal gar keine, eine eigentlich dafür prädestinierte Rolle hüpft lieber bekleidet ins Wasser. Die Erwartungshaltung, die geschürt wird, wenn man im Jahre 1987 einen Film mit dem Titel „Zombie Nightmare“ in die Videothekenregale hievt, dürfte ihm in der Rezeption das Genick gebrochen haben, denn wer Zombie-Splatter‘n‘Gore-Action erwartet, ist hier an der vollkommen falschen Adresse. Vielmehr handelt es sich um ein stark Slasher-inspiriertes Rachedrama, das Kritik an Autoritäten formuliert (der Name des bigotten Bullen Churchman spricht für sich und die Szene, in der sich ein Punk heftig seiner Verhaftung widersetzt, zählt zu meinen persönlichen Höhepunkten des Streifens) und Heavy Metal durchaus zeitgemäß als Soundtrack zum Aufbegehren liefert.

Die Liste der überlieferten Produktionspannen liest sich jedoch wie Murphy’s Law: Dass Thor als Hauptdarsteller einsprang und nun als Zombie durch die Gegend stakst, ist vielleicht sogar ein Pluspunkt. Ein Wrestler, der mitspielen sollte, wurde jedoch am Flughafen vergessen, Darstellerin Linda Singer („Sommer-Ferien – Total verrückt“), die eigentlich blankziehen sollte, entpuppte sich als 15-Jährige, die daher noch unter Welpenschutz fiel, und überhaupt hatte man ursprünglich einen ganz anderen Film im Sinn, musste sich letztlich aber dem Willen der Produzenten beugen, was die inhaltliche Ausrichtung anbelangt. Auch nach Abschluss der Dreharbeiten riss die Pannenserie nicht: Die Cutter schnibbelten den Trailer aus dem Master und verhunzten den Film zusätzlich. Eigentlich wichtiges Material ging unwiederbringlich verloren.

Dafür wiederum funktioniert „Zombie Nightmare“ meines Erachtens indes doch noch erstaunlich passabel. Ok, ich habe aber auch ein großes Herz für die ‘80er und für bekloppte Metal-Filme, finde Jon Mikl Thor lustig und feiere Fasano für „Freakshow“ alias „Black Roses“. Aber auch das Ensemble kann sich tatsächlich sehen lassen: Zwischen viele Laien mischte sich mit Adam West niemand Geringerer als der Batman der 1960er-Jahre und Shawn Levy, der später eine erfolgreiche Karriere als familienfreundlicher Regisseur („Nachts im Museum“) einschlug, ist ebenso mit von der Partie wie Tia Carrere („Wayne’s World“) am Anfang ihrer Karriere in der Rolle der Amy. Ich möchte daher nicht so hart mit „Zombie Nightmare“ ins Gericht gehen wie manch Kritikerkollege, erinnere mich lieber an seine naiv-charmanten Momente und gehe mit meinem Kumpel Tony die Night rulen.
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Ich glaub', mich tritt ein Pferd

„Ein Bauernlümmel und ein fetter Pfannkuchen!“

Nach seinem Debüt „Schlock – Das Bananenmonster“ und dem darauffolgenden „Kentucky Fried Movie“ gelang US-Regisseur John Landis mit der Inszenierung eines lose auf Geschichten des „National Lampoon“-Magazins beruhendem Drehbuch des Trios Harold Ramis, Douglas Kenney und Chris Miller ein weiterer Kultfilm, dessen Effekt lange nachwirkte: „Animal House“ alias „Ich glaub', mich tritt ein Pferd“ aus dem Jahre 1978 gilt als die Mutter aller College-Komödien mit massivem Einfluss auf die weitere Genre-Entwicklung und die Popkultur im Allgemeinen – und machte den Komödianten John Belushi („1941 - Wo, bitte, geht's nach Hollywood?“) zum Star.

Das Faber College an der US-Ostküste im Jahre 1962: Erstsemester versuchen, in verschiedenen Studentenverbindungen unterzukommen. Die Bewohner des „Delta Tau Chi“-Hauses schlagen dabei ziemlich aus der Art, denn nichts liegt der feierwütigen Meute ferner als die reaktionäre Spießigkeit elitärer Verbindungen wie der der Omegas, die tief im Hintern des amtierenden Rektors stecken. Mit ihr befindet man sich im ständigen Konflikt, bis es den Omegas zusammen mit dem Rektor sogar gelingt, die Deltas zu verbieten. Doch die Rache der Deltas lässt nicht lange auf sich warten…

Snob- versus Sauf-Verbindung, eine Aneinanderreihung anarchischer Partyszenen, ein schmissiger Rock’n’Roll-Soundtrack, die legendäre Lebensmittelschlacht in der Mensa, Otis Day live, nackte Brüste und Brachialhumor – aus diesen Zutaten setzt sich oberflächlich betrachtet „Animal House“ zusammen. Doch „Animal House“ ist zumindest in Ansätzen mehr, allem voran eine Art Allegorie auf die US-Gesellschaft. Zeitweise wirkt es, als lasse Landis in seinem 1978 entstandenen, aber 1962 spielenden Film die verspießten ‘50er gegen die post-sexualrevolutionären ‘70er antreten. Untertanen- und Corpsgeist und ein System, das diese voraussetzt und fördert, werden ebenso aufs Korn genommen wie sog. Rassenkonflikte. Die Deltas in ihrer krassen Überzeichnungen sind zwar die Sympathieträger des Films, eine Gruppe von Freaks und Unterprivilegierten, die sich nicht dem System fügen will (oder kann) – doch auch diese ist Teil der verballhornenden Parodie verschiedener typischer College-Charaktere.

Die eigentliche Geschichte wird indes aus eher losen Handlungssträngen zusammengestrickt, wodurch es ihr am dramaturgischen Element mangelt, zumal der Film etwas zu lang geraten ist. Betrachtet man jedoch die einzelnen episodenartigen Sequenzen für sich, fällt die hervorragende Chemie zwischen den Darstellerinnen und Darstellern auf, ohne die eine derart unbekümmert wirkende Herangehensweise an die Inszenierung dieser Art von Humor wohl nicht möglich gewesen wäre. Dieser gibt jedoch selbst Anlass für zumindest vorsichtige Kritik, denn dieser Krawall- und Brachialhumor, der wesentlich mehr auf den Knalleffekt denn auf subtilere, leisere Töne setzt, scheint mir etwas sehr US-typisches geworden zu sein, das hier einen gewagten Spagat zwischen den genannten gesellschafts- und systemkritischen Untertönen auf der einen und viel Aggressivität auf der anderen Seite wagt. Ein Novum war es beispielsweise, ernste, dramatische Musik zur Untermalung einer Komödie zu verwenden. Spätere, von „Animal House“ inspirierte Filme haben besagte andere Seite auf die Spitze getrieben und damit endgültig die Geschmäcker gespalten, doch für eine bestimmte Klientel war bereits „Animal House“ seinerzeit ein glatter Schlag ins Gesicht. Für mein Empfinden hat sich diese Mischung mittlerweile überholt – und sowohl realistischere, weit weniger alberne Filme, die grundsätzlich ähnliche Aussagen transportieren, als auch die konsequenten, geradezu selbstparodistischen Vertreter des Extrem- und Fäkalhumors erreichen mich mitunter direkter als Landis‘ Pionierleistung. Und so 100%ig ist die College-Komödie auch nie mein Subgenre geworden.

Nichtsdestotrotz lädt „Animal House“ gerade wegen seines episodenhaften Slapsticks und seines hochkarätigen Ensembles (Tim Matheson, „Der letzte Ritt der Daltons“, Tom Hulce, „9 / 30 / 55“, Peter Riegert, „Hals über Kopf“, Stephen Furst, „The Bastard“, Kevin Bacon, „Freitag der 13.“, Donald Sutherland, „Die Körperfresser kommen“, Karen Allen, „The Wanderers“), dessen Mitglieder meist am Anfang ihrer Karriere standen, inklusive eines völlig freidrehenden, herrlich asozialen Belushi dazu ein, mehrmals geguckt zu werden. Bestimmte Szenen setzen sich im Langzeitgedächtnis fest und wurden aufgrund ihres inszenatorischen Wahnwitzes zu Klassikern des College-Humors. Am Schluss friert bei den einzelnen Figuren jeweils das Bild ein, während Textblöcke darauf verweisen, was aus ihnen werden wird. Diese Zukunftsausrichtung unterscheidet „Animal House“ von manch Nachahmer und unterstreicht gewissermaßen seinen Anspruch an sich selbst, die Zukunft zu beeinflussen und mitzugestalten. Nicht nur deshalb sollte man Landis‘ Film allein schon aus filmhistorischem Blickwinkel einmal gesehen haben.

Ich würde mir diesen Film gern einmal mit Onkel Joe im Kino ansehen.
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buxtebrawler hat geschrieben: Mo 18. Nov 2013, 15:42 Bild
Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung
Sanitäter Frank (Nicolas Cage) versucht jede Nacht Menschen in einer amerikanischen Grossstadt zu retten. Jede Nacht Penner und Junkies, die in ein Krankenhaus müssen, das völlig überfüllt ist. Doch in letzter Zeit sterben ihm die meisten Patienten zwischen den Händen weg. Als Frank mit dem Tod einer Patientin nicht klarkommt, lernt er schliesslich eine Frau kennen, deren Vater er das Leben gerettet hat. Mit den Nerven am Ende verliert er sich in Träumen, Drogen und Depression...
„Warum sollte man verleugnen, dass man diesen einen Augenblick lang selbst Gott gewesen ist?“

Das US-Drama „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ aus dem Jahre 1999 markiert eine weitere Zusammenarbeit des Regisseurs Martin Scorsese („Kundun“) mit Drehbuchautor Paul Schrader („Taxi Driver“). Rettungssanitäter Frank (Nicolas Cage, „8 mm“) ist Nacht für Nacht mit wechselnden Kollegen in New York unterwegs, um die Erstversorgung verletzter und kranker Menschen zu gewährleisten und sie ins Krankenhaus zu fahren. Doch seit er einem jungen Mädchen nicht mehr helfen konnte, scheinen ihm sämtliche Patienten unter den Händen wegzusterben. Zudem scheint ihn das tote Mädchen zu verfolgen, immer wieder sieht er ihr Gesicht in anderen Menschen und scheint er ihre Botschaften zu empfangen. Zunehmend beginnt er an seinem Beruf zu zweifeln, bis er schließlich in Depressionen verfällt.

„Warum ist immer alles gleich ein Herzstillstand?“

Wie schon die Scorsese/Schrader-Kollaboration „Taxi Driver“ ist auch „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ ein „New-York-Film“, ein urbaner Alptraum, in dem ein Einzelner an den Schattenseiten der Großstadt verzweifelt und zu zerbrechen droht, bis er schließlich fragwürdige, radikale Entscheidungen trifft. Er beginnt mit Erzählungen des Protagonisten aus dem Off im Stile eines Film noir, der er im Prinzip auch ist. Der Auftakt bietet bald Einblicke in eine überfüllte Notaufnahme, in der Chaos und Zynismus seitens des überforderten Personals vorherrschen. Nach Schichtende sieht Frank regelmäßig aus wie nach einer Schlacht – übermüdet und in blutgetränkter Kleidung. Zwangsläufig muss er sich neben mehr oder minder „normalen“ Patienten mit durchs soziale Raster gefallenen Verlierern des US-amerikanischen Traums herumplagen, beispielsweise mit dem durchgeknallten und lebensmüden Junkie Noel (Marc Anthony, „Mann unter Feuer“), der beinahe jede Nacht eingeliefert wird und allen auf die Nerven fällt. Dieser wiederum ist ein alter Bekannter von Mary (Patricia Arquette, „True Romance“), deren Vater Frank jüngst das Leben gerettet hat und der seither im Krankenhaus im Koma liegt. Frank entwickelt ein Interesse an Mary, lernt sie näher kennen und erfährt, dass sie in der Vergangenheit selbst drogenabhängig war. Diese Konstellation verhindert allen zynischen Dialogen zum Trotz ein einseitiges, vorurteilsbehaftetes Bild Drogenabhängiger und ist gleichzeitig ein Indiz für den schmalen Grat zum Wahnsinn, den in dieser Stadt vor ihrem Exitus immer mehr zu übertreten scheinen.

Jedoch ist „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ kein auf die Tränendrüsen drückendes Betroffenheitsdrama, sondern gespickt mit großartigem (schwarzem) Humor, der mit Einführung des Sanitäterkollegen Marcus (Ving Rhames, „Jacob’s Ladder“) dominanter wird, ohne den Film zu veralbern. Dieser wird zunehmend zu einer in Bezug auf Rettungssanitäter wenig vertrauenserweckenden Groteske, stellt dabei jedoch unaufhörlich existentielle Fragen, äußert trotz alledem viel Respekt für dieses Berufsbild und zeigt eindringlich die Gefahren seelischen Ausbrennens, die mit ihm einhergehen, gespickt mit den typischen urbanen Symptomen wie emotionaler Verwahrlosung, Einsamkeit trotz Millionenmetropole und gefühlte Ohnmacht gegenüber den äußeren Umständen. Fast jede Szene wurde mit Musik untermalt, ohne dass sie dabei aufdringlich wirken würde. Im Gegenteil, der Soundtrack ist überaus hörenswert mit seinen stets geschickt eingesetzten Stücken von The Clash, Van Morrison, R.E.M., Johnny Thunders, The Who und anderen. Der auch dadurch konsequent erzielte Geräuschpegel passt zur „City that never sleeps“, zur Rastlosigkeit und Unruhe, die Scorsese verdeutlicht. Ohne in modernistische Hektik zu verfallen, gelingt Scorsese einmal mehr ein düsteres Bild New Yorks und in ihm gefangener Einzelschicksale, während der zum Einsatz kommende Humor das Treiben spöttisch kommentiert und dadurch erträglich macht.

Nicolas Cage, der manchmal vorschnell zum Mainstream-Schauspieler verschrien wird, habe ich selten derart aufspielen sehen wie hier. Er verkörpert exzellent seine tragische Rolle und wird dabei in einer Weise von Scorsese inszeniert, dass man als Zuschauer viel Empathie entwickelt und förmlich mit ihm mitfühlt und -leidet. Müßig zu erwähnen, dass ein Scorsese-Film wie dieser zwar sicherlich über ein beachtliches Budget verfügt, jedoch alles andere als ein Hollywood-Blockbuster-Konfektionsware ist. Cage steht die Fragilität seiner Rolle besser zu Gesicht als erwartet und er scheint bestens mit ihr umzugehen. Auch der Rest der Besetzung ist hochkarätig: Patricia Arquette, John Goodman („The Big Lebowski“), Ving Rhames, Marc Anthony – alle versehen ihre nicht immer einfachen Rollen mit Charisma und machen sie lebendig. Das Ende ist vielseitig auslegbar: Ein Plädoyer für Sterbehilfe, was die naheliegendste Interpretation wäre, nachdem der Zuschauer mehr und mehr die Perspektive Franks eingenommen hat? Oder ein Mord, durchgeführt von einem psychisch kranken Mann, der aus dem Verkehr gezogen gehört? „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ entpuppt sich als lange nachklingendes, grandioses Filmerlebnis, das Scorseses anerkannten Klassikern in rein gar nichts nachsteht und als modernes Noir-Mystery-Drama, das atmosphärisch in der obersten Liga spielt, ganz wunderbar dazu geeignet ist, in warme Decken eingemümmelt im mauscheligen Heimkino genossen zu werden und sich darüber bewusst zu werden, wie gut es einem (hoffentlich) gerade geht.
Gerade nach mittlerweile auch schon wieder etlichen Jahren noch mal gesehen und ich bin nach wie vor schwer angetan. Cage als Voice-over-Erzählinstanz im Präteritum, der sich in Neo-Noir-Optik und -Thematik durchs Leben schlägt und dessen immer stärkere Entfremdung von seiner Umwelt aus seiner Mimik spricht. Ein unterschätztes Meisterwerk!
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Das Leichenhaus der lebenden Toten

Atomkraft? Nein, danke!

„Ah, wie lustig: ein Leichentransporter!“

Der spanische Regisseur Jorge Grau („Violent Blood Bath“) schuf mit dem im Jahre 1974 veröffentlichten, italienisch-spanisch koproduzierten Zombie-Schocker „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ (auch bekannt als „Invasion der Zombies“) einen für die weitere Entwicklung des Zombie-Subgenres wichtigen Beitrag, der als eine Art Bindeglied zwischen Romeros „Night of the Living Dead“ und „Dawn of the Dead“ gilt und zudem eine deftige Prise Ökohorror beimischt.

„Der Zufall war noch nie ein gutes Alibi.“

Der junge, unangepasste Londoner Draufgänger und Antiquitätenhändler George (Ray Lovelock, „Der Berserker“) kann es kaum erwarten, die stickige Großstadt mit all ihrem Trubel hinter sich zu lassen und schwingt sich auf sein Motorrad, um zu seinem Häuschen auf dem Land inmitten von Einsamkeit und sauberer Luft zu eilen. Ein Tankstellenhalt wird ihm jedoch zum Verhängnis, denn die übermüdete, aber attraktive junge Edna (Cristina Galbó, „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“) fährt seinen parkenden Bock um, welcher daraufhin in die Werkstatt muss. Edna hat ein schlechtes Gewissen und gestattet ihm, das Steuer ihres Kleinwagen zu übernehmen, da sie in dieselbe Richtung will. Er solle sie bei ihrer Schwester Katie (Jeannine Mestre, „Das Tal der tanzenden Witwen“), die ihre Heroinabhängigkeit nicht in den Griff bekommt, und deren Mann Martin (José Lifante, „Abgeschlagene Köpfe“) absetzen und könne das Auto übers Wochenende behalten. Leider verfährt sich die Zweckgemeinschaft, sodass George einen Bauern nach dem Weg fragt. Während George nicht nur den Weg zu Katie erfährt, sondern sich auch ein neuartiges, einen hochfrequenten Pfeifton erzeugendes Gerät des Landwirtschaftsministeriums vorstellen lässt, das mit Radioaktivität Insekten und andere Schädlinge derart aggressiv macht, dass sie sich gegenseitig töten, wird Edna von einer Gestalt angegriffen, die sich als der Landstreicher Guthrie (Fernando Hilbeck, „Barabbas“) entpuppt – der eigentlich kürzlich verstorben ist. Bei Katie angekommen erfährt man, dass Martin gerade grausam ermordet wurde. Der ermittelnde Inspektor (Arthur Kennedy, „Der Antichrist“) ist ein erzreaktionärer, faschistoider alter Knochen, der die jungen Leute für ihren Lebensstil hasst und zunächst Katie und schließlich George massiv verdächtigt. Doch Edna hatte recht und nicht nur Guthrie ist aus dem Reich der Toten zurückgekehrt, um unter dem Einfluss der radioaktiven Strahlung die Lebenden zu zerfleischen…

„Wir wollen es nicht übertreiben…“

Grau stellt zu Beginn das hektische Treiben und den Straßenverkehr der Metropole inklusive einer nackten Flitzerin den verlassen wirkenden, weiten Landstrichen gegenüber, in die es George und Edna zieht. So herrlich grün und naturbelassen sie auch wirken, so haben sie im Vergleich zur quicklebendigen Großstadt auch etwas Morbides an sich, das Jorge Grau bereits vorm ersten Auftritt eines Untoten atmosphärisch subtil aus den Bildern herauskitzelt. George wiederum bildet die Antithese zu ebenso arroganten wie ignoranten Bauern, die ihn mit dummen Sprüchen bedenken, als er sich gegen Umweltverschmutzung ausspricht und die neue Technologie, mit der sie hantieren, kritisch betrachtet. Dabei haben sie den Schaden längst angerichtet: Landstreicher Guthrie streift als Zombie mit roten Augen durch die Gegend und erschreckt arglose junge Damen.

„Ihr seid alle gleich, ihr ungezogenen verkommenen Langhaarigen! Angezogen wie Schwule – Drogen Sex, fähig zu jeder Schweinerei!“

Kurz darauf werden Martin, ein Fotograf mit schütterem Haar und zugleich Ednas Schwager, und dessen drogenkranke und mit den Nerven vollkommen fertige Frau Katie in die Handlung eingeführt, wobei Martin bald wieder einen Abgang machen muss: Den Zombieangriff überlebt er nicht. Diese starke Szene wird optisch insbesondere durch das Blitzlicht des Selbstauslösers der Kamera Martins attraktiv, in Abständen von einigen Sekunden werden die Ereignisse fotografisch festgehalten – oder auch nicht, denn die Zombies können, offenbar ähnlich Vampiren, nicht fotografiert werden, wie sich herausstellen wird. Das Meisterstück des Films ist jedoch die klaustrophobische Gruftsequenz mit ihrem starken Gothic-Horror-Vibe, in der man sich scheinbar ausweglos eines Zombieangriffs erwehren muss. Gemächlich, aber stetig zieht „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ sein Tempo an. Wenn nach einer Stunde George auf des Rätsels Lösung kommt, folgen die Gore-Einlagen auf dem Fuße, die angesichts des Entstehungsjahrs wahrlich nicht ohne sind. Die Zombie-Gewalt kulminiert in einem blutigen Angriff aufs Krankenhaus bzw. die Menschen, die sich darin aufhalten, deftige Gewaltspitzen schockieren. Die strukturelle Gewalt hingegen findet ihren traurigen Höhepunkt in einer bösen Attacke, die desillusioniert und an Romeros „Night of the Living Dead“ erinnert, der jedoch ein Epilog folgt, der das Szenario auf seine Weise weiterspinnt.

Die Eindeutigkeit, mit der sich der Film auf die Seite von Umweltschützer(inne)n und progressiven jungen Menschen schlägt, die Fortschrittlichkeit nicht mit blindem Vertrauen in gefährliche technologische Eingriffe in die Natur verwechseln und nicht so naiv sind, der Freisetzung von Radioaktivität zuzujubeln, ist aller Ehren wert. Grau und seine Autoren Sandro Continenza und Marcello Coscia verstehen es, das Verhalten ignoranter Mitmenschen und die typischen dämlichen Sprüche, mit denen sie damals (und selbst heute noch) um sich warfen, aufzugreifen und zu veranschaulichen, wie gefährlich es ist, wenn solche Menschen Ämter wie die eines Polizeiinspektors bekleiden. Edna indes ist entgegen des emanzipatorischen Zeitgeists eine reichlich verhuschte junge Frau, der man ständig unter die Arme greifen muss – von Selbständigkeit kaum eine Spur .Jedoch: Nachdem der vom einem bärtigen Lovelock kernig gespielte George ihr lange Zeit keinen Glauben schenkte, muss nicht nur er einsehen, dass sie mit allem recht hatte. Ab dann kämpft George regelrecht gegen Windmühlen. Zugegebenermaßen sind die Figuren relativ schablonenhaft, Romeros Charaktere in „Night…“ waren weniger plakativ, dafür etwas glaubwürdiger ausgefallen.

Grau nimmt gerade während der ersten Hälfte mitunter etwas sehr das Tempo heraus, ein paar Timing-Schwierigkeiten seien ihm jedoch verziehen und sind sicherlich auch geänderten Sehgewohnheiten zuzuschreiben. Dafür überzeugt er mit einigen witzigen Details (neben der Flitzerin beispielsweise die alte Eule im Hotel „Zur Alten Eule“) und einer Kameraarbeit, die ein Maximum an Effekt aus ihren häufig sehr unmittelbaren, nahen Einstellungen erzielt und somit besonders im Kino auf großer Leinwand ihre Wirkung entfacht. Die Attacken der Zombies scheinen auch dem Publikum zu gelten. „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ ist bis auf genannte Details weitestgehend spaßfrei, man setzt stattdessen auf eine grimmige, morbide Stimmung und durch den Wissensvorsprung des Publikums verstärkt auf Suspense. Dennoch ließ man es sich nicht nehmen, etwas arg hanebüchene Erklärungen abzugeben, in der man wissenschaftlich unhaltbare Vergleiche zwischen Toten und Insekten zieht und sogar Neugeborene sich aggressiv verhalten lässt – weil sie noch nicht so lange leben? Oder weil es sich noch um „niedere Lebewesen“ handelt? Mit Verlaub, aber das ist dann doch eher unfreiwillig komisch.

Das Make-up der Untoten kann sich hingegen ebenso wie das Gekröse und Gematsche sehen lassen und das unheimliche Gestöhne auf der Tonspur klingt noch länger in den Ohren nach. „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ ist kantiger und unbehauener als ein „Dawn of the Dead“, hat seine erwähnten Schwächen in der B-Note, ist aber ein Meilenstein in der Genre-Entwicklung und ein bedeutsamer Film mit dem Herzen am rechten Fleck, der auch heute noch mühelos sein Publikum findet und fasziniert.
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Kommissarin Lund – Staffel 1, Episoden 1-4

„Du interessierst dich nur für Leute, wenn sie tot sind!“

Die TV-Serie „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“ ist eine dänisch-schwedisch-norwegisch koproduzierte, in Dänemark spielende Krimireihe in drei Staffeln à 20 knapp einstündigen Episoden (Staffel 1, fürs Heimkino wurden je zwei Episoden zu einer zusammenfasst) bzw. zehn rund 110-minütigen Episoden (Staffeln 2 und 3). Sie entstand nach einer Idee Søren Sveistrups, Regie führten Birger Larsen, Kristoffer Nyholm, Henrik Ruben Genz, Hans Fabian Wullenweber und Charlotte Sieling. Erstausgestrahlt wurde die Serie in Dänemark ab Januar 2007 unter ihrem dänischen Originaltitel „Forbrydelsen“. Sie avancierte zu einem vielfach ausgezeichneten großen Publikumserfolg und wurde in zahlreiche Länder lizenziert. Sie gilt als Mitbegründerin der audiovisuellen Nordic-Noir-Ästhetik.

Bei der Hauptfigur Sarah Lund (Sofie Gråbøl) handelt es sich um eine dänische Kommissarin und Alleinerziehende eines minderjährigen Sohns, die ihren Umzug nach Schweden verschiebt, um zusammen mit ihrem Nachfolger Jan Meyer (Søren Malling) im Fall der grausam ermordeten 19-jährigen Schülerin Nanna Birk Larsen (Julie R. Ølgaard) zu ermitteln. Die Zahl der Verdächtigen ist hoch und die Ermittlungen gestalten sich kompliziert. Involviert werden u. a. die Eltern Pernille und Theis (Ann Eleonora Jørgensen und Bjarne Henriksen) und der Vertrauenslehrer Rama (Farshad Kholghi) der Toten sowie Troels Hartmann (Lars Mikkelsen), der liberale Herausforderer des amtierenden reaktionären Kopenhagener Bürgermeisters Paul Bremer (Bent Mejding), der sich mit seinem Parteiteam mitten im Wahlkampf befindet.

Auffälligstes Merkmal der Serie ist zunächst einmal ihre Länge: Während die meisten Krimiserien einen Fall innerhalb von maximal 90 Minuten lösen, benötigt Lund über 1.000 Minuten. Die Serie nimmt sich viel Zeit für die Einführung zahlreicher Figuren, ist multiperspektivisch und enorm dialoglastig. Eine Episode umfasst i. d. R. lediglich einen Tag erzählter Zeit. Während die erste Episode (nach Heimkino-Zählweise) mit ihrer ungelenken Einführung so vieler zunächst scheinbar nichts miteinander zu tun habenden Figuren und besonders ausgeprägter Geschwätzigkeit noch etwas überfordernd wirkt, gewöhnt man sich ab der zweiten Episode ans Ensemble und dessen Rollen und bekommt nach und nach Zugang zu den Figuren und ihren Perspektiven. Dennoch müssen klassische Cliffhanger angewandt werden, um die Spannung aufrecht zu erhalten und für die jeweils nächste Episode zu motivieren.

„Kommissarin Lund“ geht einerseits stärker ins Detail, indem das Leben der Verdächtigen stärker beleuchtet und die Trauerarbeit der Eltern der Toten dokumentiert wird, und etabliert relativ dominante Nebenhandlungsstränge wie den um den kommunalen Wahlkampf, schindet andererseits aber viel Zeit mit ereignisarm aneinandergereihten Dialogen und letztlich ins Nichts führenden Red Herrings wie dem um die Verdächtigung der Mitschüler der Toten. Insbesondere die stakkatohaften Dialoggewitter und das breite Figurenensemble wollen zunächst nur schwerlich zur durchs Nordic-Noir-Siegel aufgebauten Erwartungshaltung passen, die eher an unterkühlte Wortkargheit und Einsamkeit denken lässt. Dennoch gelingt der Serie der Aufbau einer düsteren urbanen Atmosphäre, die ein Dänemark ohne Sonnenschein, eine Kommissarin ohne Lächeln und ein vor dem Hintergrund des Mords grassierendes gegenseitiges Misstrauen der Figuren etabliert. In Kombination mit der Verhandlung auch unabhängig vom Mord ernster sozialer Themen wie der Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten bis hin zu Rassismus, Vorverurteilungen, Missgunst und Selbstjustiz arbeitet „Kommissarin Lund“ mit einem beißenden Realismus, der seine Figuren und damit letztlich auch sein Publikum ernstnimmt. Trivium: Der Rollenname „Mustafa Akkad“ scheint mir eine Hommage an Moustapha Akkad, den Produzenten der „Halloween“-Slasher Reihe, zu sein.

Die Überlänge der einzelnen, nicht in sich abgeschlossenen Episoden gestattete es mir leider nicht, über die ersten vier (nach Heimkino-Zählweise), also die ersten rund 7,5 Stunden, hinaus die Serie zu verfolgen. An dieser Stelle einen Schnitt zu machen und ein vorläufiges Fazit zu ziehen scheint mir jedoch angebracht, da die Handlung einen Verlauf nahm, die nicht unbedingt zum Weiterschauen einlädt:
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Inwiefern knüpft die Serie an die Noir-Ästhetik an?

1. Die düstere Urbanität, Kopenhagen als Großstadtmoloch ohne viel Sonnenlicht, enge, geschlossene Räume und Mauern, hinter denen sich moralisch Fragwürdiges abspielt (ausufernde Drogen- und Sexorgien Jugendlicher, Teenpornos konsumierende Lehrer u. ä.), gepaart mit Gesellschaftskritik und der Verhandlung realer gesellschaftlicher und politischer Fragen (vor allem thematisiert im Zuge des Wahlkampfs).

2. Die Ambivalenz der Figuren: Lund scheint ihren Sohn zu vernachlässigen und stellt ihre Arbeit über ihr Privatleben (verschobener Umzug, im letzten Moment abgebrochener Flug), Theis ist nicht nur trauernder Familienvater, sondern hat auch eine gewalttätige Vergangenheit und neigt zu Selbstjustiz, Meyer und Lund arbeiten nicht ausschließlich gut zusammen, sondern liefern sich Kompetenzgerangel etc.

3. Die weitestgehende Humorlosigkeit. Die Figuren wirken meist verbissen, getrieben, nervös, rauchen viel (was in früheren Krimiserien gang und gäbe war, 2007 aber bereits als wenig vorbildhaft gegolten haben dürfte). Es wird kaum gelacht oder auch nur gelächelt und wenn, handelt es sich um Strategie (beispielsweise im Wahlkampf), nicht um ehrliche, spontane Emotionen. Treten solche auf, sind sie eher negativer, aggressiver Natur.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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