Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Di 22. Sep 2020, 13:46
Polizeiruf 110: Thanners neuer Job
Ick bin kein Berliner
„Willkommen in der Hauptstadt!“
Der erste „Polizeiruf 110“ des Ostberliner Regisseurs Bodo Fürneisen („Die Weihnachtsgans Auguste“), die im Sommer 1991 gedrehte und kurz vor Weihnachten 1991 erstausgestrahlte Episode „Thanners neuer Job“, war nicht nur eine der letzten Produktionen des DDR-Fernsehens DFF, sondern auch der letzte Einsatz des langjährigen Hauptkommissars der DDR-Krimireihe Peter Fuchs: Schauspieler Peter Borgelt nahm nach diesem Fall seinen Hut. Zudem handelt es sich nach „Unter Brüdern“ um das zweite „Tatort“/„Polizeiruf 110“-Crossover: Kripo-Kommissar Christian Thanner (Eberhard Feik), langjähriger Ermittler in Duisburg an der Seite Horst Schimanskis, trifft hier erneut auf seine Ostberliner Kollegen.
„Er ist’n Kamerad, der treu zu uns steht!“
Ostberlin, Juli 1991: Zwei Schläger schlagen den jugendlichen Helmut (Jens Knospe, „Die Jungen von St. Petri“) zusammen und fesseln ihn an einen Stuhl. Gefunden wird er von zwei Nazi-„Skins“, die sich seiner an- und ihn in ihre Neonazigruppe aufnehmen, der der gutbürgerliche Druckereibetreiber Wilfried Ortner (Wolf Roth, „Plutonium“) vorsteht. Während die Ostberliner Kripo Amateurvideos von einem Neonazi-Überfall auf einen Jugendclub untersucht und die Kampfsportgruppe der Rechtsextremisten observiert, bekommen sie den Duisburger Hauptkommissar Christian Thanner als neuen Arbeitsgruppenleiter vorgesetzt: Er soll den Ostberliner Kollegen mit seiner Expertise vorübergehend unter die Arme greifen, wird jedoch nicht gerade mit offenen ebensolchen empfangen: Ein Besserwisser aus dem Westen hat ihnen gerade noch gefehlt… Zuvor überrumpelte Thanner bereits eine Berliner Bekannte und Kriminaloberkommissar Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) mit seiner unangekündigten Ankunft. Und Thanner bekommt gleich mehr zu tun, als ihm lieb ist: Die Jungnazis Kalle (Thomas Lawinky, „Hass im Kopf“) und Helmut überfallen ohne Absprache mit Ortner eine Sparkassenfiliale, um „Geld für die Bewegung“ zu erbeuten. Daraus entwickelt sich eine Geiselnahme, im Zuge derer sich Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs gegen die Geiseln austauschen lässt und fortan in Lebensgefahr schwebt, denn insbesondere Kalle scheint zu allem entschlossen…
„Ich kann die Ossis zurzeit schwer ertragen!“
Thomas Lawinky, der bereits im „Polizeiruf 110: Zerstörte Hoffnung“ in einer optisch ebenfalls an einen Skinhead angelehnten Nebenrolle zu sehen und eine Zeit lang auf diesen Typus abonniert war, mimt hier in Kalle den Klischee-Bonehead, wie er damals vielerorts tatsächlich der Realität entsprach: Dumm wie Bohnenstroh und mit peinlich baumelnden Schleifen in den Stiefeln herumlaufend, aber skrupellos und brutal und irgendwelchen Politkaspern hörig. Helmut ist eher der Typ, der froh ist, eine Gemeinschaft gefunden zu haben und sich an Kalle und Konsorten dranhängt, jedoch nicht ganz so doof und vor allem sensibler ist, sodass er irgendwann erkennt, in welchen Mist er sich hineingeritten hat – und dass er einen gefährlichen Soziopathen um sich hat. Zu Beginn zeigen sich Lawinky und die sexy hergerichtete Cathlen Gawlich („Tatort: Buntes Wasser“) als vögelndes Pärchen sogar kurz hüllenlos. Schnell allerdings dominiert die Gewalt in diesem „Polizeiruf“, der in erster Linie Kalle und den bei einem Schusswechsel mit der Polizei angeschossenen Helmut auf der Flucht und in Verstecken zeigt. Immer dabei: Kommissar Fuchs, der einiges einstecken muss und menschenunwürdig behandelt wird.
„Abwickeln, was sonst!“
Das alles ist wirklich gut geschauspielert – insbesondere Borgelt gibt noch einmal alles – und spannend inszeniert, eine Eskalation liegt stets in der Luft und da es sich um Fuchs‘ letzten Fall handelt, ist sein Ableben nie auszuschließen. Ein moderner, mal dramatischerer, mal rockigerer, aber fast immer ziemlich gut passender Soundtrack trägt seinen Teil dazu bei, die Publikumsaufmerksamkeit an den Film zu binden. Mindestens ebenso bemerkenswert ist es jedoch, wie gut es gelang, den auf die Wende-Euphorie gefolgten „Wiedervereinigungs“-Frust abzubilden, der bereits kurz nach dem Anschluss der DDR an die BRD in den neuen Bundesländern um sich griff. Vieles veränderte sich zum Negativen, Betriebe schlossen, Massenarbeitslosigkeit war die Folge, neonazistische Propaganda aus dem Westen fiel auf fruchtbaren Boden und infiltrierte orientierungslos gewordene Dummbatzen. Hier ist es Ortner, der in seiner Druckerei Nazipropaganda druckt, sich gegenüber der Kripo aber auf Meinungsfreiheit beruft. Von der Tat seiner beiden Schützlinge ist er wenig begeistert, zumal sie dafür seinen Passat entwendet haben. Die Beute reißt er trotzdem gern an sich. Ein Sportlehrer war früher Sozialist, ist jetzt ebenfalls Faschist, die braune Seuche krallt sich einen nach dem anderen.
„Deutschland, einig Vaterland…“
Der Fluchtwagen der Bankräuber ist noch ein Wartburg, die DDR gerade erst ein Jahr Geschichte – und doch erkennt die Polizei ihr Ostberlin kaum wieder. Nachdem die Kriminalitätsrate in der DDR sehr gering war, muss man sich nun nicht nur mit Kapitalverbreche(r)n herumschlagen, sondern auch noch mitansehen, wie der Nazi-Nachwuchs den eigenen Chef entführt, misshandelt und demütigt und einem auf der Nase herumtanzt. Und dann ist da ja noch der Klugscheißer aus dem Westen, mit dessen Hilfe man den Spuk nach einem dramatischen Finale zwar fürs Erste beenden konnte, dem Fuchs am Ende aber gern das Feld überlässt. Dieser ganze Mist hat nichts mehr mit dem zu tun, wofür man zu DDR-Zeiten ausgebildet worden war. Ob Fuchs‘ Abgang am Ende dieses „Polizeirufs“ nach 85 Einsätzen ein Zeichen von Stolz und Selbstachtung oder eine Geste der Kapitulation vor den neuen Verhältnissen ist, obliegt der Interpretation der Zuschauerinnen und Zuschauer. Ein starkes Zeitporträt ist „Thanners neuer Job“ so oder so.
Thanner kehrte nach Duisburg zurück und fand sich noch einmal an Schimanskis Seite im „Tatort: der Fall Schimanski“ ein, bevor auch dort erst einmal Schluss war. Der Deutsche Fernsehfunk stellte seinen Betrieb neun Tage nach Ausstrahlung dieses „Polizeirufs“ ein. Ob Jens Knospes Rollenname „Helmut“ ein Zufall war…?
Ick bin kein Berliner
„Willkommen in der Hauptstadt!“
Der erste „Polizeiruf 110“ des Ostberliner Regisseurs Bodo Fürneisen („Die Weihnachtsgans Auguste“), die im Sommer 1991 gedrehte und kurz vor Weihnachten 1991 erstausgestrahlte Episode „Thanners neuer Job“, war nicht nur eine der letzten Produktionen des DDR-Fernsehens DFF, sondern auch der letzte Einsatz des langjährigen Hauptkommissars der DDR-Krimireihe Peter Fuchs: Schauspieler Peter Borgelt nahm nach diesem Fall seinen Hut. Zudem handelt es sich nach „Unter Brüdern“ um das zweite „Tatort“/„Polizeiruf 110“-Crossover: Kripo-Kommissar Christian Thanner (Eberhard Feik), langjähriger Ermittler in Duisburg an der Seite Horst Schimanskis, trifft hier erneut auf seine Ostberliner Kollegen.
„Er ist’n Kamerad, der treu zu uns steht!“
Ostberlin, Juli 1991: Zwei Schläger schlagen den jugendlichen Helmut (Jens Knospe, „Die Jungen von St. Petri“) zusammen und fesseln ihn an einen Stuhl. Gefunden wird er von zwei Nazi-„Skins“, die sich seiner an- und ihn in ihre Neonazigruppe aufnehmen, der der gutbürgerliche Druckereibetreiber Wilfried Ortner (Wolf Roth, „Plutonium“) vorsteht. Während die Ostberliner Kripo Amateurvideos von einem Neonazi-Überfall auf einen Jugendclub untersucht und die Kampfsportgruppe der Rechtsextremisten observiert, bekommen sie den Duisburger Hauptkommissar Christian Thanner als neuen Arbeitsgruppenleiter vorgesetzt: Er soll den Ostberliner Kollegen mit seiner Expertise vorübergehend unter die Arme greifen, wird jedoch nicht gerade mit offenen ebensolchen empfangen: Ein Besserwisser aus dem Westen hat ihnen gerade noch gefehlt… Zuvor überrumpelte Thanner bereits eine Berliner Bekannte und Kriminaloberkommissar Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) mit seiner unangekündigten Ankunft. Und Thanner bekommt gleich mehr zu tun, als ihm lieb ist: Die Jungnazis Kalle (Thomas Lawinky, „Hass im Kopf“) und Helmut überfallen ohne Absprache mit Ortner eine Sparkassenfiliale, um „Geld für die Bewegung“ zu erbeuten. Daraus entwickelt sich eine Geiselnahme, im Zuge derer sich Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs gegen die Geiseln austauschen lässt und fortan in Lebensgefahr schwebt, denn insbesondere Kalle scheint zu allem entschlossen…
„Ich kann die Ossis zurzeit schwer ertragen!“
Thomas Lawinky, der bereits im „Polizeiruf 110: Zerstörte Hoffnung“ in einer optisch ebenfalls an einen Skinhead angelehnten Nebenrolle zu sehen und eine Zeit lang auf diesen Typus abonniert war, mimt hier in Kalle den Klischee-Bonehead, wie er damals vielerorts tatsächlich der Realität entsprach: Dumm wie Bohnenstroh und mit peinlich baumelnden Schleifen in den Stiefeln herumlaufend, aber skrupellos und brutal und irgendwelchen Politkaspern hörig. Helmut ist eher der Typ, der froh ist, eine Gemeinschaft gefunden zu haben und sich an Kalle und Konsorten dranhängt, jedoch nicht ganz so doof und vor allem sensibler ist, sodass er irgendwann erkennt, in welchen Mist er sich hineingeritten hat – und dass er einen gefährlichen Soziopathen um sich hat. Zu Beginn zeigen sich Lawinky und die sexy hergerichtete Cathlen Gawlich („Tatort: Buntes Wasser“) als vögelndes Pärchen sogar kurz hüllenlos. Schnell allerdings dominiert die Gewalt in diesem „Polizeiruf“, der in erster Linie Kalle und den bei einem Schusswechsel mit der Polizei angeschossenen Helmut auf der Flucht und in Verstecken zeigt. Immer dabei: Kommissar Fuchs, der einiges einstecken muss und menschenunwürdig behandelt wird.
„Abwickeln, was sonst!“
Das alles ist wirklich gut geschauspielert – insbesondere Borgelt gibt noch einmal alles – und spannend inszeniert, eine Eskalation liegt stets in der Luft und da es sich um Fuchs‘ letzten Fall handelt, ist sein Ableben nie auszuschließen. Ein moderner, mal dramatischerer, mal rockigerer, aber fast immer ziemlich gut passender Soundtrack trägt seinen Teil dazu bei, die Publikumsaufmerksamkeit an den Film zu binden. Mindestens ebenso bemerkenswert ist es jedoch, wie gut es gelang, den auf die Wende-Euphorie gefolgten „Wiedervereinigungs“-Frust abzubilden, der bereits kurz nach dem Anschluss der DDR an die BRD in den neuen Bundesländern um sich griff. Vieles veränderte sich zum Negativen, Betriebe schlossen, Massenarbeitslosigkeit war die Folge, neonazistische Propaganda aus dem Westen fiel auf fruchtbaren Boden und infiltrierte orientierungslos gewordene Dummbatzen. Hier ist es Ortner, der in seiner Druckerei Nazipropaganda druckt, sich gegenüber der Kripo aber auf Meinungsfreiheit beruft. Von der Tat seiner beiden Schützlinge ist er wenig begeistert, zumal sie dafür seinen Passat entwendet haben. Die Beute reißt er trotzdem gern an sich. Ein Sportlehrer war früher Sozialist, ist jetzt ebenfalls Faschist, die braune Seuche krallt sich einen nach dem anderen.
„Deutschland, einig Vaterland…“
Der Fluchtwagen der Bankräuber ist noch ein Wartburg, die DDR gerade erst ein Jahr Geschichte – und doch erkennt die Polizei ihr Ostberlin kaum wieder. Nachdem die Kriminalitätsrate in der DDR sehr gering war, muss man sich nun nicht nur mit Kapitalverbreche(r)n herumschlagen, sondern auch noch mitansehen, wie der Nazi-Nachwuchs den eigenen Chef entführt, misshandelt und demütigt und einem auf der Nase herumtanzt. Und dann ist da ja noch der Klugscheißer aus dem Westen, mit dessen Hilfe man den Spuk nach einem dramatischen Finale zwar fürs Erste beenden konnte, dem Fuchs am Ende aber gern das Feld überlässt. Dieser ganze Mist hat nichts mehr mit dem zu tun, wofür man zu DDR-Zeiten ausgebildet worden war. Ob Fuchs‘ Abgang am Ende dieses „Polizeirufs“ nach 85 Einsätzen ein Zeichen von Stolz und Selbstachtung oder eine Geste der Kapitulation vor den neuen Verhältnissen ist, obliegt der Interpretation der Zuschauerinnen und Zuschauer. Ein starkes Zeitporträt ist „Thanners neuer Job“ so oder so.
Thanner kehrte nach Duisburg zurück und fand sich noch einmal an Schimanskis Seite im „Tatort: der Fall Schimanski“ ein, bevor auch dort erst einmal Schluss war. Der Deutsche Fernsehfunk stellte seinen Betrieb neun Tage nach Ausstrahlung dieses „Polizeirufs“ ein. Ob Jens Knospes Rollenname „Helmut“ ein Zufall war…?