Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Do 26. Nov 2020, 18:13
Tatort: Blechschaden
„Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“ – „Wieso?“ – „Kripo!“
Der deutsche Ausnahmeregisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) hatte 1971 mit „Ich werde dich töten, Wolf“ gerade seinen Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule fertiggestellt, als er sich dazu verpflichten ließ, die achte Episode der TV-Krimireihe „Tatort“ zu inszenieren, für die er zusammen mit „Hörzu“-Redakteur Herbert Lichtenfeld auch das Drehbuch verfasste: Der am 13.06.1971 erstausgestrahlte „Tatort: Blechschaden“ wurde der Auftakt des siebenteiligen ersten Kieler Zweigs der Reihe um Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf, „Der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“).
„Elf Gehöfte, drei Hunde und ‘n lahmer Gaul, was?“
Als Bauunternehmer Alwin Breuke (Friedrich Schütter, „Das Millionenspiel“) mit seiner heimlichen Affäre Monika (Eva Astor, „Libido - Das große Lexikon der Lust“) nachts aus Travemünde in sein Heimatdorf Sieverstedt (bei Pinneberg) zurückfährt, übersieht er auf der Landstraße den Jugendlichen Harald Lossmann (Jens Weisser, „ Nachrichten aus der Provinz“) auf dessen Fahrrad und verursacht einen tödlichen Unfall. Breuke begeht Fahrerflucht und versucht, den Unfall zu vertuschen – beobachtet von seiner Frau Elsa (Ruth-Maria Kubitschek, „Ich schlafe mit meinem Mörder“), die ihrerseits eine heimliche Affäre zu Joachim Seidel (Götz George, „Spion unter der Haube“), angestellter Ingenieur im Unternehmen ihres Mannes, unterhält. Kurz darauf wird Alwin Breuke erpresst: Eine weibliche Tonbandstimme fordert telefonisch wiederholt 10.000 DM von ihm. Breuke glaubt, dass lediglich Monika als Erpresserin infrage käme, doch auch nach der Geldübergabe hören die Anrufe nicht auf. Hauptkommissar Finke verdächtigt derweil Lossmanns Rivalen Peter Reichert (Volker Eckstein, „Ich töte“) des Mordes, da dieser mit dem Unfallopfer kurz vor dessen Tod in Streit um eine Frau geraten war. Und es wird nicht der einzige Todesfall bleiben…
„…die findet dich wirklich beschissen!“
Eine Engtanzparty in einer Bar mit Livemusik. Und wer betritt da das Parkett? Götz George, der spätere Duisburger Kultkommissar Schimanski in seiner allerersten „Tatort“-Rolle! Hier spielt er Schwerenöter Joachim Seidel, der nur eine von vielen nur scheinbar voneinander unabhängigen Figuren ist, die Petersen und Lichtenfeld in die Handlung einführen. Ein alter Knacker (Horst Beck, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) spannt überall durch die Fenster und macht sich fleißig Notizen, er wird erst zu einem viel späteren Zeitpunkt wieder eine Rolle spielen. Notizen anzufertigen ist indes keine schlechte Idee, um bei allen Liebe-/Eifersüchteleien und Dreiecksbeziehungen den Überblick zu bewahren, denn jeder scheint hier mehr als nur eine Liebschaft zu pflegen.
„Würden Sie nicht auch so kombinieren?“
Nicht so jedoch Hauptkommissar Finke, der mit Jessner (Wolf Roth, „Perrak“) einen Assistenten frisch von der Polizeischule zur Seite gestellt bekommt. Da kommt es naturgemäß zur einen oder anderen Kabbelei. Kubitschek gibt eine sehr plietsche Ehefrau und Geliebte, die sofort das falsche Spiel ihres Mannes durchschaut und hier optisch ein wenig an Dagmar Lassander erinnert. Den Unfall, mit dem alles anfing, hat Petersen ambitioniert in Point-of-View-Perspektive gefilmt, was einen eindrucksvollen Effekt zur Folge hat, und auch sonst ist die Kameraarbeit recht dynamisch, bisweilen zum regen Treiben passend geradezu quicklebendig ausgefallen. Erzählerisch begnügt man sich nicht mit der falschen Verdächtigung und den Ermittlungen in der Unfallsache, deren Verursacher dem Publikum ja von vornherein bekannt ist. Mit der Erpressung kommt ein Whodunit? hinzu, auf das im letzten Drittel des mit 105 Minuten überlangen „Tatorts“ mit einem waschechten Mord noch einer draufgesetzt wird.
Fix was los also in Petersens außerschulischem Regiedebüt. Der Fall regt zum Mitdenken an und erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit, die er mit hohem Unterhaltungswert inklusive subtilem Humor, einem Paar entblößter weiblicher Brüste und einem kleinen Crossover mit Hamburg-Kommissar Trimmel (Walter Richter) belohnt. Debütant Petersen konnte einige ihm bereits vertraute Schauspieler gewinnen, was ihm die Arbeit erleichtert haben dürfte und möglicherweise mitverantwortlich dafür war, dass die Chemie innerhalb der Konstellation zu stimmen schien. Aus heutiger Sicht birgt „Blechschaden“ zudem einen hohen Nostalgiefaktor oder schlicht interessante Einblicke in eine längst vergangene Zeit: In der Bürgerratssitzung sind alle am Qualmen und Biertrinken, in Hamburg fährt noch die Straßenbahn (während die südholsteinische Provinz in manch idyllischer Landschaftsaufnahme eingefangen wird) und die äußerst indiskrete Bank arbeitet bereitwillig mit der Polizei zusammen. Das verschachtelte und sehr, aber nicht überkonstruierte Drehbuch erinnert bisweilen gar angenehm ans damalige Genre-Kino, ohne das Lokalkolorit zu vernachlässigen. Wenn der Abspann läuft überm Bewegtbild einsetzt, ist der Gerechtigkeit genüge getan und haben sich nicht nur sowohl Kommissar Finke als auch Regisseur Petersen für weitere Großtaten qualifiziert, sondern auch Nils Sustrate, der zu Petersens Stammkomponisten avancieren sollte und „Blechschaden“ mit einem herrlich pulpig funkenden und groovenden Soundtrack unterlegte.
7,5 von 10 von Tonbandschnipseln klebe ich da gern aneinander.
„Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“ – „Wieso?“ – „Kripo!“
Der deutsche Ausnahmeregisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) hatte 1971 mit „Ich werde dich töten, Wolf“ gerade seinen Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule fertiggestellt, als er sich dazu verpflichten ließ, die achte Episode der TV-Krimireihe „Tatort“ zu inszenieren, für die er zusammen mit „Hörzu“-Redakteur Herbert Lichtenfeld auch das Drehbuch verfasste: Der am 13.06.1971 erstausgestrahlte „Tatort: Blechschaden“ wurde der Auftakt des siebenteiligen ersten Kieler Zweigs der Reihe um Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf, „Der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“).
„Elf Gehöfte, drei Hunde und ‘n lahmer Gaul, was?“
Als Bauunternehmer Alwin Breuke (Friedrich Schütter, „Das Millionenspiel“) mit seiner heimlichen Affäre Monika (Eva Astor, „Libido - Das große Lexikon der Lust“) nachts aus Travemünde in sein Heimatdorf Sieverstedt (bei Pinneberg) zurückfährt, übersieht er auf der Landstraße den Jugendlichen Harald Lossmann (Jens Weisser, „ Nachrichten aus der Provinz“) auf dessen Fahrrad und verursacht einen tödlichen Unfall. Breuke begeht Fahrerflucht und versucht, den Unfall zu vertuschen – beobachtet von seiner Frau Elsa (Ruth-Maria Kubitschek, „Ich schlafe mit meinem Mörder“), die ihrerseits eine heimliche Affäre zu Joachim Seidel (Götz George, „Spion unter der Haube“), angestellter Ingenieur im Unternehmen ihres Mannes, unterhält. Kurz darauf wird Alwin Breuke erpresst: Eine weibliche Tonbandstimme fordert telefonisch wiederholt 10.000 DM von ihm. Breuke glaubt, dass lediglich Monika als Erpresserin infrage käme, doch auch nach der Geldübergabe hören die Anrufe nicht auf. Hauptkommissar Finke verdächtigt derweil Lossmanns Rivalen Peter Reichert (Volker Eckstein, „Ich töte“) des Mordes, da dieser mit dem Unfallopfer kurz vor dessen Tod in Streit um eine Frau geraten war. Und es wird nicht der einzige Todesfall bleiben…
„…die findet dich wirklich beschissen!“
Eine Engtanzparty in einer Bar mit Livemusik. Und wer betritt da das Parkett? Götz George, der spätere Duisburger Kultkommissar Schimanski in seiner allerersten „Tatort“-Rolle! Hier spielt er Schwerenöter Joachim Seidel, der nur eine von vielen nur scheinbar voneinander unabhängigen Figuren ist, die Petersen und Lichtenfeld in die Handlung einführen. Ein alter Knacker (Horst Beck, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) spannt überall durch die Fenster und macht sich fleißig Notizen, er wird erst zu einem viel späteren Zeitpunkt wieder eine Rolle spielen. Notizen anzufertigen ist indes keine schlechte Idee, um bei allen Liebe-/Eifersüchteleien und Dreiecksbeziehungen den Überblick zu bewahren, denn jeder scheint hier mehr als nur eine Liebschaft zu pflegen.
„Würden Sie nicht auch so kombinieren?“
Nicht so jedoch Hauptkommissar Finke, der mit Jessner (Wolf Roth, „Perrak“) einen Assistenten frisch von der Polizeischule zur Seite gestellt bekommt. Da kommt es naturgemäß zur einen oder anderen Kabbelei. Kubitschek gibt eine sehr plietsche Ehefrau und Geliebte, die sofort das falsche Spiel ihres Mannes durchschaut und hier optisch ein wenig an Dagmar Lassander erinnert. Den Unfall, mit dem alles anfing, hat Petersen ambitioniert in Point-of-View-Perspektive gefilmt, was einen eindrucksvollen Effekt zur Folge hat, und auch sonst ist die Kameraarbeit recht dynamisch, bisweilen zum regen Treiben passend geradezu quicklebendig ausgefallen. Erzählerisch begnügt man sich nicht mit der falschen Verdächtigung und den Ermittlungen in der Unfallsache, deren Verursacher dem Publikum ja von vornherein bekannt ist. Mit der Erpressung kommt ein Whodunit? hinzu, auf das im letzten Drittel des mit 105 Minuten überlangen „Tatorts“ mit einem waschechten Mord noch einer draufgesetzt wird.
Fix was los also in Petersens außerschulischem Regiedebüt. Der Fall regt zum Mitdenken an und erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit, die er mit hohem Unterhaltungswert inklusive subtilem Humor, einem Paar entblößter weiblicher Brüste und einem kleinen Crossover mit Hamburg-Kommissar Trimmel (Walter Richter) belohnt. Debütant Petersen konnte einige ihm bereits vertraute Schauspieler gewinnen, was ihm die Arbeit erleichtert haben dürfte und möglicherweise mitverantwortlich dafür war, dass die Chemie innerhalb der Konstellation zu stimmen schien. Aus heutiger Sicht birgt „Blechschaden“ zudem einen hohen Nostalgiefaktor oder schlicht interessante Einblicke in eine längst vergangene Zeit: In der Bürgerratssitzung sind alle am Qualmen und Biertrinken, in Hamburg fährt noch die Straßenbahn (während die südholsteinische Provinz in manch idyllischer Landschaftsaufnahme eingefangen wird) und die äußerst indiskrete Bank arbeitet bereitwillig mit der Polizei zusammen. Das verschachtelte und sehr, aber nicht überkonstruierte Drehbuch erinnert bisweilen gar angenehm ans damalige Genre-Kino, ohne das Lokalkolorit zu vernachlässigen. Wenn der Abspann läuft überm Bewegtbild einsetzt, ist der Gerechtigkeit genüge getan und haben sich nicht nur sowohl Kommissar Finke als auch Regisseur Petersen für weitere Großtaten qualifiziert, sondern auch Nils Sustrate, der zu Petersens Stammkomponisten avancieren sollte und „Blechschaden“ mit einem herrlich pulpig funkenden und groovenden Soundtrack unterlegte.
7,5 von 10 von Tonbandschnipseln klebe ich da gern aneinander.