Drei Anmerkungen zu Ernst Marischkas SISSI-Trilogie, die ich mir als Mammutprojekt an einem verschneiten Winterabend zu Gemüte führte, als mir die Gesellschaft des lieben Traumpaars Karlheinz Böhm und Romy Schneider unbegreiflicherweise angenehmer erschien als jedwede andere menschliche Gemeinschaft:
1. Seit ich als kleiner Bub meine ersten deutsch-österreichischen Heimatfilme der 50er und 60er zwischen Kaffee, Kuchen, Schweinelendchen und Pfalzkartoffeln im Sonntagsfernsehen meiner Großmutter gesehen habe, bin ich vollgepumpt mit einer regelrecht perversen Lust an deren pastellhaften Farben, verkitschten Bergpanoramen wie aus dem Tourismuskatalog, ihren naiv-einfältigen Herzschmerzgeschichten, und schmalzseliger Postkartenromantik, all das im besten Fall noch mit pseudo-volkstümlicher Musik garniert. Marischkas SISSI-Trilogie watet freilich nur mit halber Wade in diesen Gefilden: Wesentlich opulenter als das gemeine Bergdorfdrama sind diese Prestigefilme ausgefallen, randvoll gestopft mit historisch wahrscheinlich wenig authentischen, aber als Weiden für die Augen dienenden Kostümen, Interieurs und Originalschauplätzen wie Schloss Schönbrunn oder den Wassergassen Venedigs. Ästhetisch holen mich die Filme allerdings genau dort ab, wo mich die Heimatfilme im Öffentlich Rechtlichen Rundfunk der späten 90ern sitzengelassen haben: Die SISSI-Filme schauen aus wie zum Leben erwachte Postkärtchen, wie man sie nicht zuletzt in Schloss Schönbrunn erstehen kann, um die daheimgebliebene Verwandtschaft zu beeindrucken. Die Dominanz von Grün- und Rottönen in Agfacolor, die den Figuren etwas latent Fleischiges verleiht, erinnert mich nicht wenig an die Farbfilm-Trilogie, die Veit Harlan noch schnell kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs abgedreht hat, wobei freilich DIE GOLDENE STADT, IMMENSEE oder OPFERGANG eine nicht nur latente Todessehnsucht eigen ist, die diese Hyper-Melodramen in ziemlich morbide Tücher einschlägt. In den SISSI-Filmen hat der Todeshauch nichts zu suchen - ebenso wenig übrigens wie innovative Kamerafahrten, eine interessante Montage, oder Bilder, die mehr sein wollen würden als einfach nur schön. Von Kant wissen wir ja schon: Schön, das ist das Gegenteil von erhaben. So sehr also Marischka bei den Farben, Kostümen und Bauten auf den Putz haut, so wenig Geschirr hat er übrig, um Cineasten, die mehr wollen als fünf Stunden etwas Gefälliges anschauen, damit zu bewerfen.
2. Was noch in den SISSI-Filmen fehlt, das Harlan knapp ein Jahrzehnt früher aber bis zum Exzess ausagiert, das sind echte Konflikte. Sicher, auch die junge Kaiserin hat ihre schwachen Stunden, und Momente, in denen ihr das Herz zerfließt, und auch in der Ehe mit Schwiegermutterliebling Franz läuft nicht immer alles rund wie ein Hamsterrad. Dennoch, was Marischkas Drehbuch mir fünf Stunden lang an Problemen serviert, das ist alles letztlich mehr oder weniger leicht lösbar, und bedroht den süßlichen Fluss der Handlung niemals existenziell. Dass Sissis Papa, der Herzog von Bayern, lieber zur Jagd geht oder Zithervirtuosen fördert, statt sich am Kaiserhof seiner Schwägerin herumzudrücken, während Sissis Mama, Prinzessin Ludovika Wilhelmine, ihrer Schwester, Franz Josephs Mutter, und dem Hoftreiben an sich schon eher positiv gegenübersteht, ist kein ernstzunehmendes Problem, sondern Aufhänger für einige vergnüglich-humoristische Streitereien zwischen den Eheleuten. Auch als Sissis Bruder heimlich eine Bürgerliche, die zudem Schauspielern ist, heiratet, verfliegen die Bedenken der blaublütigen Eltern sofort, als sie ihr aus dieser Verbindung entstandenes Enkelchen auf den Armen wiegen. Selbst die eigentliche, (weil einzige) Antagonistin der Filme, Franzls Mütterchen Prinzessin Sophie Friederike, wird nicht als grundlegend bärbeißig der armen Sissi gegenüber dargestellt, der sie immerhin das Kind entzieht, und die sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit am Hofe bloßstellt, sondern mit einigen versöhnlichen Attributen ausstaffiert. Wenn Franzl und Sissi sich in die Haare kriegen, reicht sowieso ein Busserl, um die Sturmeswolken über die Alpen zu pusten. Wie k.u.k.-Historiker über die Filme denken, kann man sich jetzt schon ausrechnen: Das Leben als Kaiserin hat zwar den einen oder anderen Stolperstein, und das Hoftreiben ist nicht immer ein Zuckerschlecken, aber letztendlich räumt das Schicksal unserer Heldin doch jedes Hindernis aus dem Weg, und füllt ihr spätestens in den Finalen jedes der drei Teile das Mäulchen mit ganz viel Zuckerwatte.
3. Zuckerwatte hat Marischka aber auch für sein Publikum in rauen Mengen besorgt, um es völlig verklebt in die Abspänne seiner Filme zu entlassen. In den ersten beiden Dritteln gehen Plot und visueller Überschwang jedes Films relativ gleichberechtigt Hand in Hand. Ein Ausflug in die Berge im zweiten Teil beispielweise, bei dem die Kamera sich gar nicht sattsehen kann an Ziegenherden, Alpenglühen und dem fidelen Branntweinsaufen in entlegenen Schutzhütten, ist vollkommen narrativ motiviert: Sissi und Franz haben dort ihre zweiten Flitterwochen, und mischen sich inkognito unters gemeine Volk, wie das Herrschende nun mal so tun. Im Finale jedes Films bricht die narrative Dynamik jedoch in schöner Regelmäßigkeit unter den Schauwerten zusammen, die Marischka bis zum siebten Himmel stapelt: Wenn Sissi im ersten Teil Franz Joseph ehelicht, und wenn die beiden im zweiten Teil zu König und Königin von Ungarn gekrönt werden, und wenn sie analog im finalen Teil im Österreich zugehörigen Königreich Lombardo-Venetien den Widerstand der dortigen Adelskaste brechen, indem sie sich als bodenständige, kinderliebe Regenten inszenieren, und vom Volk zum Dank besinnungslos bejubelt werden, dann gleichen diese Massenszenen voller pompöser Orchestermusik, ekstatischen Gesichtern und Gesten wahren Orgasmen, die nach einem langen Vorspiel Befriedigung auf nicht allen, aber zumindest auf sinnlicher Ebene verschaffen. Zugleich enthüllen sie Marischkas Intention hinter seinen SISSI-Filmen unverblümt: Mich mittels eines Übermaßes an Farben, Bildern, Romy-Schneider-Großaufnahmen derart zu sedieren, dass ich mich selbst fühle wie eine dieser Postkarten, die den status quo stützt, und folglich jede Abweichung von diesem unter Pastelltönen, prächtigen Uniformen und heiteren Trinkspruch zu begraben.
Was für ein Trip!