Ich muss wohl nicht betonen, dass, kaum erhaschte ich einen Blick auf Erika, die Vorträge für mich sämtliches Interesse verloren haben und mir nichts anderes übrig blieb, als den Saal zu verlassen und mich nervös und zögerlich, Signora Blanc zu nähern und sie auch um ein Autogramm zu bitten. Jene zögerliche Nervosität wurde sofort von Erikas heiterem Wesen vertrieben. Mit breitem Lächeln unterzeichnete sie alles, was wir ihr reichten und hatte bei jeder DVD und jedem Plakat eine nostalgische Erinnerung parat, die wir aber nicht verstanden, weil keiner von uns Italienisch sprach.
Außer Erika und uns dreien war noch Gianluigi im Foyer, der sich um Erika kümmern sollte. Der arme Teufel wollte aber unbedingt die Vorträge hören, also boten wir ihm großzügig an, dass wir die Aufsicht über Signora Blanc übernehmen, was er dankend annimmt und sich in den Vortragssaal zurückzieht. Wir drei umkreisen derweil mit absoluter Begeisterung Erika und führen mit ihr angeregte Gespräche, die daraus bestehen, dass wir uns in diversen Sprachen Hauptwörter an die Köpfe werfen. Sie ist dabei bestens gelaunt und zeigt stets, wenn sie von uns einen Filmtitel hört, wie toll es für sie war, bei besagten Filmen mitzuspielen.
Irgendwann gibt sie uns zu verstehen, dass sie eine Zigarette rauchen möchte. Also verlassen wir das Gebäude. Wir stellen uns draußen auf, rauchen, da verdeutlicht sie uns plötzlich, dass ihr nach Spazierengehen zu Mute ist. Während wir noch überlegen, ob wir Gianluigi oder die anderen davon verständigen sollten, dass wir uns mit deren Gaststar entfernen wollen, marschiert sie schon in raschem Schritt los und uns drei bleibt nichts anderes übrig als ihr im Gänsemarsch zu folgen.
So erkunden wir Tamsweg, machen am Hauptplatz noch eine kleine Foto-Session und dann weist Erika darauf hin, dass sie Lust auf einen Kaffee hat. Nun gut, beim Seminar gibt es Kaffee, doch Erika möchte unbedingt einen italienischen (!) Kaffee haben. Die diversen Kaffeehäuser am Hauptplatz werden von ihr abgewiesen mit dem Bedenken, dass diese wohl keinen italienischen Kaffee anbieten. So irren wir weiter auf der verzweifelten Suche in Tamsweg im Lungau einen echt italienischen Kaffee zu finden und treffen unterwegs Uwe, der sich unserer kleinen Gruppe um Signora Blanc anschließt.
Vor einem Kaffeehaus führen wir mit ihr wieder die Diskussion, ob die Möglichkeit wohl besteht dort einen italienischen Kaffee zu bekommen, bis sich einer der beiden Filmfans erbarmt und reingeht um nachzufragen. Er kommt mit positiver Antwort wieder heraus, also führen wir Signora Blanc in das Kaffeehaus, wo wir von der Besitzerin schon erwartet werden. Es stellt sich heraus, dass diese nicht nur italienischen Kaffee anbietet und fließend italienisch spricht, sondern auch als deutsch-italienische Dolmetscherin gearbeitet hat, die Signora Blanc (wenn ich das richtig verstanden habe) irgendwann mal kennengelernt hat. Sofort sind die beiden Frauen ein Herz und eine Seele, setzen sich und beginnen über Gott und die Welt zu plaudern, während wir uns zu ihnen gesellen und kein Wort verstehend, Erika stumm anhimmeln.
Uwe reicht Signora Blanc derweil an die 50 Plakate, Szenenfotos, usw. welche sie alle fleißig unterzeichnet, ohne Anzeichen von Müdigkeit zu zeigen. Überhaupt war sie extrem aufgeweckt. Irgendwann begann sie zu singen, dann hat sie mit theatralischen Gesten auf Deutsch bis dreißig gezählt (fragt mich nicht warum, aber uns hat’s gefallen) und dann hat sie den Hund der Kaffeehaus-Besitzerin entdeckt!
Erika ist sehr tierliebend – sie hat auch selbst eine halbe Arche Noah zu Hause – und sofort stand sie auf, ging zu dem Hund und begann mit dem Tier zu spielen. Hier sei angemerkt, dass meine Kamera auch eine Video-Funktion hat und ich mich nun im glücklichen Besitz eines kurzen Clips sehen darf, der die große Italo-Ikone Erika Blanc zeigt, wie sie einem Hund sein Gummispielzeug durchs ganze Kaffeehaus entgegenwirft.
Sie hatte ihren Spaß, wir hatten unsren, es war ein wirklich wirklich grandioser Nachmittag. Nachdem wir uns also eine Weile unterhalten haben, gehen wir in einen Nebenraum, wo Uwe mit Erika ein Interview aufnehmen will. Die Kaffeehaus-Besitzerin hat er kurzerhand als Dolmetscherin rekrutiert. Und was das für ein Interview wurde: Geschätzte drei Stunden beantwortete Erika Fragen, unterzeichnete Fotos und erzählte Geschichten und das alles ohne das geringste Anzeichen von Müdigkeit. Im Gegenteil: Die ganze Zeit war sie bestens drauf, lachte viel und machte einfach spaßiges Zeugs. Höhepunkt war, als Uwe ihr ein Poster von „Die Toten Augen des Dr. Dracula“ reichte. Sie erzählt ziemlich lange über den Film und während die Übersetzerin diese Erzählung ins Deutsche überträgt beginnt Erika einfach so von sich aus mit dem Plakat herumzualbern. Sie hält es sich vors Gesicht, lugt spitzbübisch dahinter hervor und schneidet Grimassen. Großartig!
Das Interview selbst war auch extrem faszinierend. Da es wahrscheinlich auf einen der nächsten Veröffentlichungen eines Blanc-Filmes sein wird, will ich gar nicht zu sehr ins Detail gehen, was sie alles erzählt hat, aber seid gewiss, es waren einige grandiose Geschichten dabei: Sie sprach von dem fleißigen Franco Nero, der in den Drehpausen immer Englisch lernte, von dem gutherzigen Reggie Nalder, dem angenehmen Antonio Margheriti und dem genialen Mario Bava, erzählte eine witzige Anekdote über sich und Gordon Mitchell, berichtete eine Geschichte über Siegfried Rauch (oder wie sie ihn nannte: „Siggi!!!“) und sprach über ihr inniges Verhältnis mit Peter Lee Lawrence. Selbst mein Anthony Steffen kam zur Sprache: Das gute Anthönchen war sehr auf sein Aussehen bedacht und verwendete vor jeder Szene gewisse Zeit mit einem kleinen Handspiegel, ein Verhalten, welches Erika in dieser Intensität eher nur von dem weiblichen Geschlecht kannte. Während sie das erzählte, tat sie so, als wäre sie das Anthönchen und ich muss wirklich sagen: Erika Blanc, die Anthony Steffen nachmacht, gehört zu den schönsten Dingen, die ein Mensch im Leben sehen kann!
Auffallend war, dass sie über jeden ihrer Kollegen wirklich nur Positives zu berichten hatte. Das Schlimmste, was sie vielleicht über irgendwen gesagt hat war, dass Umberto Lenzi manchmal vielleicht ein kleinwenig cholerisch aber sonst ein echt toller wunderbarer Mensch war, negativer wurde sie nicht. Das war wirklich schön mit an zuhören, sie hat wirklich das Gefühl gegeben, dass sie auf den Filmsets der italienischen Genrefilme einfach eine wunderbare Zeit erlebt hat mit vielen extrem liebenswerten Menschen um sich herum.