Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Moderator: jogiwan
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Re: Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Der Zeitpunkt, zum dem das Gesehene spielt, unmittelbar vor Beginn des 1. Weltkrieges, ist von Haneke sicherlich sehr bewusst gewählt worden.
Hanekes Sittengemälde zeigt eine (typische?) Dorfgemeinschaft, einen Mikrokosmos, der in sich größtenteils abgeschlossen ist und durch patriarchalische Strukturen beherrscht wird. Es wird deutlich, dass die Hierarchie innerhalb dieser Gemeinschaft keinen Widerspruch duldet, beginnend bei der "Herrschaft" des Barons, über die Doktrinen der Kirche bis hin zu den strengen Verhaltensregeln innerhalb der Familien.
Hier wird deutlich, dass sich Reich und Arm wenig unterscheiden und das Aufbegehren der Baronin gegen ihren herrschsüchtigen Mann ebenso im Keim erstickt wird, wie das hilflose Aufbegehren des Sohnes der verunfallten Bäuerin, der das Schweigen bzgl. der vermeintlichen Schuld nicht länger ertragen kann.
Haneke beschreibt diesen Mikrokosmos ungemein virtuell, wobei er durchweg von den sehr guten Leistungen der Darsteller, auch der Kinderdarsteller, profitiert.
Hanekes Film wird nie plakativ oder gar voyeuristisch, bezieht aber trotzdem Stellung bei der Bewertung dieses Systems, in dem auch die humanistisch geprägten Ausnahmen, wie der Dorflehrer, kaum eine Chance haben, die verknöcherten Strukuren aufzubrechen, da Schweigen, Wegsehen und Verdrängen die Problembewältigung unmöglich machen.
Unzweifelhaft möchte Haneke diese Strukturen nicht nur als Nährboden für die Gewalt innerhalb dieses Mikrokosmos verstanden wissen, sondern angesichts des gewählten Zeitpunktes zumindest auch als offene und nicht beantwortete Frage, ob dieses wenig humanistische Zusammenleben die Extreme der kommenden Jahrzehnte (Diktatur, Krieg, Völkermord) erst möglich machte.
In einer Kritik zu diesem Film konnte man lesen, dass Haneke den Zuschauer in die Ecke treibe, dieser solle sich schlecht, gar schuldig fühlen. Auch wenn der Kritiker seine Meinung eloquent begründet, muss ich sagen, das ich selten so einen verkopften Unsinn gelesen habe. Haneke überlässt es gerade dem Zuschauer, welche Schlussfolgerungen er ziehen will.
Hat das Versagen innerhalb dieser Gemeinschaft auch Auswirkungen auf der großen Ebene, bot sie den Nährboden für Hass, Gewalt, Intoleranz und Mitläufertum?
Das einzige, das man Haneke entgegenhalten könnte, ist, dass er auf die Frage, wie die Schuld des Einzelnen zu bewerten ist, nicht eingeht, wird das Individuum nicht freigesprochen, und ihm die Verantwortung für sein Handeln genommen?
Fazit: Großes Kino, das es dem Betrachter überlässt, die (notwendigen?) Schlussfolgerungen selbst zu ziehen.
9/10
Hanekes Sittengemälde zeigt eine (typische?) Dorfgemeinschaft, einen Mikrokosmos, der in sich größtenteils abgeschlossen ist und durch patriarchalische Strukturen beherrscht wird. Es wird deutlich, dass die Hierarchie innerhalb dieser Gemeinschaft keinen Widerspruch duldet, beginnend bei der "Herrschaft" des Barons, über die Doktrinen der Kirche bis hin zu den strengen Verhaltensregeln innerhalb der Familien.
Hier wird deutlich, dass sich Reich und Arm wenig unterscheiden und das Aufbegehren der Baronin gegen ihren herrschsüchtigen Mann ebenso im Keim erstickt wird, wie das hilflose Aufbegehren des Sohnes der verunfallten Bäuerin, der das Schweigen bzgl. der vermeintlichen Schuld nicht länger ertragen kann.
Haneke beschreibt diesen Mikrokosmos ungemein virtuell, wobei er durchweg von den sehr guten Leistungen der Darsteller, auch der Kinderdarsteller, profitiert.
Hanekes Film wird nie plakativ oder gar voyeuristisch, bezieht aber trotzdem Stellung bei der Bewertung dieses Systems, in dem auch die humanistisch geprägten Ausnahmen, wie der Dorflehrer, kaum eine Chance haben, die verknöcherten Strukuren aufzubrechen, da Schweigen, Wegsehen und Verdrängen die Problembewältigung unmöglich machen.
Unzweifelhaft möchte Haneke diese Strukturen nicht nur als Nährboden für die Gewalt innerhalb dieses Mikrokosmos verstanden wissen, sondern angesichts des gewählten Zeitpunktes zumindest auch als offene und nicht beantwortete Frage, ob dieses wenig humanistische Zusammenleben die Extreme der kommenden Jahrzehnte (Diktatur, Krieg, Völkermord) erst möglich machte.
In einer Kritik zu diesem Film konnte man lesen, dass Haneke den Zuschauer in die Ecke treibe, dieser solle sich schlecht, gar schuldig fühlen. Auch wenn der Kritiker seine Meinung eloquent begründet, muss ich sagen, das ich selten so einen verkopften Unsinn gelesen habe. Haneke überlässt es gerade dem Zuschauer, welche Schlussfolgerungen er ziehen will.
Hat das Versagen innerhalb dieser Gemeinschaft auch Auswirkungen auf der großen Ebene, bot sie den Nährboden für Hass, Gewalt, Intoleranz und Mitläufertum?
Das einzige, das man Haneke entgegenhalten könnte, ist, dass er auf die Frage, wie die Schuld des Einzelnen zu bewerten ist, nicht eingeht, wird das Individuum nicht freigesprochen, und ihm die Verantwortung für sein Handeln genommen?
Fazit: Großes Kino, das es dem Betrachter überlässt, die (notwendigen?) Schlussfolgerungen selbst zu ziehen.
9/10
"You can´t love animals and eat them too."
"Dressing well is a form of good manners." - Tom Ford
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Re: Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Zum ersten Teil. Sehe ich nicht so. Jeder macht sich irgendwo schuldig, weil er sich entweder nicht gegen die Verhältnisse auflehnt, weg guckt oder sie gar unterstützt. Freigesprochen wird meines Erachtens niemand. Im Gegenteil.Theoretiker hat geschrieben: Das einzige, das man Haneke entgegenhalten könnte, ist, dass er auf die Frage, wie die Schuld des Einzelnen zu bewerten ist, nicht eingeht, wird das Individuum nicht freigesprochen, und ihm die Verantwortung für sein Handeln genommen?
Fazit: Großes Kino, das es dem Betrachter überlässt, die (notwendigen?) Schlussfolgerungen selbst zu ziehen.
9/10
Zum zweiten Teil. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Früher war mehr Lametta
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Re: Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Großes, schweres, aber zu keiner Minute uninteressantes Stück deutschsprachige Kinogeschichte.
Der Film strotzt nur vor überlebensgroßen Männerfiguren: der Pastor, der Arzt, der Baron, selbst der Bauer in der unteren Hierarchie. Ihr Wort ist Gesetz, in der Familiengemeinschaft, im Dorfleben.
Zurück stehen müssen die Frauen & vor allem die Kinder, von denen ihrerseits dann Gewalt ausgeübt wird
Einzig der junge Lehrer zeigt Menschlichkeit und analysiert als Erzähler die "schreckliche" (Kinder-)Geschichte.
Man muß auf jedenfall noch die tolle Darstellerriege lobend erwähnen, Burghart Klaußner & Ulrich Tukur sehe ich eh gerne auf der Leinwand, Haneke`s Stammschauspielerin Susanne Lothar hat es auch in dieses Werk geschafft und sogar Detlef Buck punktet in einer ernsten Rolle.
Der Film strotzt nur vor überlebensgroßen Männerfiguren: der Pastor, der Arzt, der Baron, selbst der Bauer in der unteren Hierarchie. Ihr Wort ist Gesetz, in der Familiengemeinschaft, im Dorfleben.
Zurück stehen müssen die Frauen & vor allem die Kinder, von denen ihrerseits dann Gewalt ausgeübt wird
Einzig der junge Lehrer zeigt Menschlichkeit und analysiert als Erzähler die "schreckliche" (Kinder-)Geschichte.
Man muß auf jedenfall noch die tolle Darstellerriege lobend erwähnen, Burghart Klaußner & Ulrich Tukur sehe ich eh gerne auf der Leinwand, Haneke`s Stammschauspielerin Susanne Lothar hat es auch in dieses Werk geschafft und sogar Detlef Buck punktet in einer ernsten Rolle.