Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Claudine (Martin Cognito, 2002) 8/10

Wenn David Lynch jemals einen Porno drehen würde, dann könnte er so aussehen. Die Sexdienstleisterin Claudine findet ein Videoband, auf dem zu sehen ist was heute passierte: Der Anruf am Morgen, das Herrichten des Studios, der eintreffende Kunde, der Unfalltod des Kunden, die verzweifelte Aufräumaktion und das Eintreffen der Polizei. Das Band endet damit, dass Claudine das Band anschaut! Bei der nächsten Sichtung läuft das Band dann ein gutes Stückchen weiter, und zeigt sogar das Eintreffen der nächsten Kunden am kommenden Morgen. Und bei der dritten Sichtung sieht Claudine, wie sie einen Mord begehen wird …

Bild Bild

Der standardisierte Mainstream-Porno der letzten geschätzt 20 Jahre besteht in erster Linie aus einer abgefilmten Reihe von Rammelszenen, die steril und ausgesprochen athletisch oft eher zum Abschalten reizen als zum Aufgeilen. Eins und zwei, zwei auf eins, von hinten von vorne von unten von oben von links von rechts, Oh ja Baby mach es mir, Ohderistsohartichbinsogeil, und immer immer immer endet es mit dem Cumshot auf den Körper oder ins Gesicht der Frau. Gähn …

CLAUDINE ist anders. CLAUDINE kommt erst nach 35 Minuten Laufzeit zur ersten intensiveren Sexszene, und bis man die Hauptdarstellerin überhaupt einmal komplett nackt sieht vergeht noch viel mehr Zeit (auch wenn der Film damit beginnt, die nackte und schlafende Claudine mit der Kamera zu streicheln – Eine zärtliche und fast verschämt wirkende Szene). Bis dahin ergeht sich CLAUDINE in düster-mysteriösen SM-Dekors, in Folterstudios und in einer Kunstaktion (oder so etwas ähnlichem), die damit endet, dass der Polizist, der den Tod von Claudines Kunden untersucht, wilden Sex hat mit zwei weiblichen Dalmatinern. Auch hier ist die Atmosphäre eher nebulös, auch wenn der Auftritt von Alban Ceray als alterndem Impresario heiter-grotesk angelegt ist, aber es bleibt einfach alles etwas verschwommen. Eine sehr starke und den Zuschauer reizende Stimmung, die nicht wie so oft durch den exzessiven Einsatz von Weichzeichner entsteht, sondern durch eine Akte X-artige Narration und eine Kameraführung, die sich lange Zeit weigert zu viel zu zeigen.

CLAUDINE muss auch nicht immer alles zeigen, denn der Film hat eine Handlung, die durch Sexszenen ergänzt wird und damit ist er die Erweiterung des Pornos auf die Ebene des Arthouse im Stile eines David Lynch. Vielleicht ein klein wenig vergleichbar mit Michael Ninns HC-Dystopie LATEX, ist CLAUDINE erfrischend anders. Düster, intelligent, sexy – Welcher Porno kann diese drei Attribute schon auf sich vereinen?

Bild Bild

Vor allem wahnsinnig sexy ist CLAUDINE geworden, gerade WEIL nicht immer alles gezeigt wird, und gerade WEIL der Sex nicht so olympiareif dargestellt wird. Natürlich sind die Darsteller*innen so gut gebaut wie das eigene Selbst davon nur träumen kann, aber wenn ich dicke schwitzende Menschen sehen will schaue ich in den Spiegel. Wenn ich einen Porno anschaue, dann möchte ich schöne Menschen sehen die schöne Dinge tun.
Tun sie das? Werden hier schöne Dinge getrieben? Nun ja, nicht immer. Gerade der erste Kunde, der das Video in Claudines Leben mitbringt, wirkt extrem unbeteiligt, und auch der Sex mit dem Schwarzen endet eher in einer alltagstauglichen Szene. Seltsam für einen Film, der sich forciert in träumerischen Andeutungen und Rätseln ergeht, und damit eine spannende und dramatische Stimmung erzeugt. Wenn Claudine sich selbst befriedigt, während sie gleichzeitig auf dem Video anschaut was sie mit dem letzten Pärchen gemacht hat, dann ist dies hocherotisch und melancholisch-düster zugleich. Melancholisch deswegen, weil Claudine in diesem Augenblick ausgesprochen verletzbar und natürlich wirkt, und ihre Einsamkeit, und die Unfähigkeit, mit ihrer eigenen Lust umzugehen, sehr deutlich werden. Dies ist, nach fast einer Stunde Laufzeit, auch das erste Mal, dass wir die Darstellerin Ovidie in ihrer ganzen und natürlichen Schönheit sehen. Nicht verkleidet und gestylt, sondern so wie sie ist. Claudine wird erregt wenn sie sich selbst zuschaut: Was für ein Kommentar zur Sexualität des 21. Jahrhunderts. Und dass in dem Moment, wenn sie sich das Handy selbst hineinsteckt, ein Anruf auf ebendiesem Handy kommt und das Multifunktionsspielzeug für den modernen Menschen vibriert, ist dann die Fußnote zu diesem Kommentar …

Es gibt da diese Sequenz, wenn Claudine durch das nächtliche Paris läuft, und inmitten der Sex-Reklame und den Pornoschuppen fast verloren wirkt. Gerade hat sie den Rat bekommen mal wieder ordentlich durchgebumst zu werden, doch es gibt einfach niemanden der ihr nahe steht. Sex ist für sie in erster Linie berührungslos und vor allem Geschäft. Genauso ein Geschäft, wie sie das auf diesem Spaziergang um sich herum wahrnimmt. Das Angebot des Schwarzen, mit ihr die Nacht zu verbringen, nimmt sie gerne an, aber sie ist dem Business und dem dahinterstehenden Gedanken zutiefst verhaftet: Leistung, Dauergeilheit, Erotik vom Fließband (Hochleistungsficken wird das bei FIGHT CLUB genannt), und da auch der Liebhaber in dieser Gedankenwelt lebt, geht der One-Night-Stand gnadenlos schief und sie wirft den Mann aus der Wohnung. Zurück bleibt eine verletzte Hülle die sich fragt, warum eigentlich alles so anders gekommen ist als ursprünglich gedacht. Und dabei befinden wir uns hier immer noch in einem Pornofilm, was erstaunlich ist, haben doch viele von uns diese Situation so oder ähnlich bereits erlebt: Die Videorealität der Hochglanzpornos hat unsere Selbstvorstellung schon längst so beeinflusst, dass wir denken wir könnten das, was diese gut bestückten und sportlich trainierten Athleten können, ebenfalls. Die Wirklichkeit holt uns dann oft ganz schnell ein, und ein ernüchternder Blick auf das Ich als Liebhaber zeigt uns den deutlichen und deprimierenden Unterschied zwischen einem Pornostar und uns selbst. Diese Situation in einem Pornofilm zu zeigen finde ich ganz außerordentlich, und vor allem irritierend mutig. In diesem Zusammenhang sei auf die Filmsammlung SEX STORIES verweisen, gedreht von Jack Tyler und Ovidie, die „darauf abzielt, realistischere Sexszenen als üblich zu zeigen und die Unterschiede in der Wahrnehmung von Sexualität bei Männern und Frauen zu beschreiben. [..] Auf Canal + in seinem für X [also Erwachsenenfilme] vorgesehenen Zeitfenster ausgestrahlt, hat er die beste Publikumsbewertung des Senders seit drei Jahren erhalten, mit dreimal mehr weiblichen Zuschauern als üblich." (1)

Bild Bild

Auffallend ist auf jeden Fall, dass die männlich dominierten Szenen, also sowohl die Demütigung des ersten Kunden, die Szene mit dem Polizisten und den Hunden sowie die Schlussszene, sehr kühl gehalten sind und eher in Begriffen wie professionell gehalten oder geschäftsmäßig beschrieben werden können. Die Paarszene hingegen ist eher vom weiblichen Gesichtspunkt aus gefilmt – Der Mann sitzt im Hintergrund und onaniert, während Claudine ihre Kundin mit einem Dildo befriedigt. Zwar wiederum ein männliches Symbol, aber von einer Frau eingesetzt, und ohne den rein phallischen Duktus den man sonst so oft sieht, sondern vielmehr mit dem Anspruch, Lust zu schenken. Ovidies Anspruch, weibliche Sexualität darzustellen, und der Anspruch des Produzenten, männliche Sexualität zu verkaufen, gehen hier einen interessanten Dialog ein. Der männliche Höhepunkt ist in CLAUDINE mitnichten die Climax des Aktes, wie es normalerweise immer der Fall ist. Der Phallus als Symbol der Macht wird zwar in den beiden Sexszenen des Polizisten sehr wohl thematisiert, was natürlich auch zu seiner Charakterisierung als Machtmensch passt. Aber sein Höhepunkt ist eben nicht der Höhepunkt der Frau – Bei der abschließenden Szene spritzt er auf seinen eigenen Körper, nicht auf den der Frau, und für die vorhergehende Demütigung Claudines wird er auch entsprechend bestraft. Es fällt auch auf, dass Claudine sich lange weigert, den Penis des Polizisten in den Mund zu nehmen, und wenn man weiß, dass Ovidie demütigende Praktiken auch in ihren Filmen rigoros ablehnt, dann stellt sich durchaus die Frage, in wieweit der dargestellte Ekel Claudines nicht auch der Ekel Ovidies ist. Und ob die Szene so wohl im Drehbuch stand ...

In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Hauptdarstellerin Ovidie und ihren Werdegang interessant. Seit dem Beginn ihrer Karriere ist Ovidie sowohl als Darstellerin wie auch als Regisseurin unterwegs, sowohl im HC-Bereich wie auch in Nicht-HC-Filmen. Die Mitwirkung in Jean Rollins NACHT DER UHREN spricht für einen gewissen Anspruch der eigenen künstlerischen Ziele (ganz zu schweigen von der Mitarbeit an dem 2001 entstandenen DER PORNOGRAPH, der sich, zumindest der Beschreibung nach, Rollins Leben als Fiktion annimmt). In der Vita der bekennenden Feministin finden sich aber auch Filme wie INFIDÉLITÉ, an dem sie als Produzentin, Regisseurin, Cutterin, Kamerafrau und Schauspielerin gearbeitet hat, genauso wie Dokumentarfilme über die Pornobranche (PORNOCRACY – DIE DIGITALE REVOLUTION DER PRONOBRANCHE) und über die Ausgebeuteten in der weiten Welt der Prostitution (WO SEXARBEITERINNEN KEINE RECHTE HABEN). Die Ausgangssituation war dabei, dass Ovidie einen radikalen Feminismus in den Porno-Betrieb einbringen wollte. „Sie zeichnete sich nicht nur durch ihre Karriere als Philosophiestudentin aus, sondern auch durch einen Protestdiskurs - sie präsentierte sich als "Sexarbeiterin" - und Feministin, der ihr damals den Spitznamen "Intellektuelle" einbrachte.“ (1) Eine Frau, bei der es sich definitiv lohnt, sich mit ihrem Material und ihrer Karriere näher zu beschäftigen.

Bild Bild

CLAUDINE ist spannend-mysteriöses Hardcore-Kino für denkende Menschen, in dem man sowohl sehr starke, sexy Szenen wie auch einiges für den eigenen Intellekt finden kann. Die attraktiven Darsteller und die mysteriöse Handlung tun ihr übriges, CLAUDINE weit aus dem Einheitsbrei herauszuheben. Unbedingte Empfehlung für alle, die beim Benutzen der rechten Hand ihr Gehirn nicht ausschalten wollen …

(1) Alle Zitate übersetzt aus https://fr.wikipedia.org/wiki/Ovidie

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Is‘ was, Doc? (Peter Bogdanovich, 1972) 8/10

Ich bin kein großer Freund von Komödien, und irgendwie tu ich mich wahnsinnig schwer, über Komödien zu schreiben. Das klingt dann immer alles so ernst, so völlig unpassend schwer in Anbetracht des gesehenen Irrsinns und der gefühlten Leichtigkeit ...

Und gerade bei Komödien fällt auf, wie sehr sich die Zeiten verändert haben. Während ich mich bei Louis de Funès vor Lachen auf dem Boden wälze und kaum noch Luft holen kann, sitzt meine Frau auf dem Sofa und wundert sich, was ich da gerade so lustig finde. Denn Filme altern. Sehgewohnheiten ändern sich, Darstellungen ändern sich, der Zeitgeist ändert sich. Vor allem aber ändert sich der Humor der Menschen, weswegen so viele Komödien von früher heute einfach nicht mehr richtig funktionieren. Man muss sich schon einen Sinn dafür bewahren, um über Harry Langdon oder die Three Stooges auch heute noch richtig lachen zu können.

Bild Bild

Es ist also immer wieder ein Wagnis, mit der Familie eine Komödie anzuschauen, die früher einmal ein Maßstab war für Witz, Tempo und Schlagfertigkeit. IS‘ WAS, DOC? ging in die Filmgeschichte ein als der Film, der eine der bis dato aberwitzigsten Verfolgungsjagden des Kinos bot. Im Kino des Jahres 1972 muss diese Sequenz, bei der vier Autos ein Fahrrad quer durch San Francisco jagen, wahrlich zwerchfellerschütternd gewesen sein. Aber heute, fast 50 Jahre später, auf dem kleinen Bildschirm?

Ich darf das Rätsel auflösen, IS‘ WAS, DOC? funktioniert auch heute noch. Madeline Kahn hat immer noch den gleichen Nervfaktor wie früher, Barbra Streisand ist tatsächlich einigermaßen sexy und hemmungslos chaotisch, und Ryan O’Neal befremdet mich immer noch wie früher ob seiner zurückhaltenden Art.

Bild Bild

An der Stelle kann man dann auch gleich weitermachen: Die Verwechslungskomödie um vier identische Reisetaschen, die jeweils gefüllt sind mit Wäsche, Diamanten, geheimen Dokumenten beziehungsweise einer Eruptivgesteinsammlung ist so modern wie eh und je. Die Schlagzahl der Gags ist vielleicht nicht so hoch wie bei ZAZ, aber dafür liegt absolut kein einziger Witz jemals unter der Gürtellinie, genauso wenig wie hier Fäkalhumor vorkommt (dafür aber, wie billig, ein Sahnetortenwurf). Doch genau deswegen funktioniert der Film auch heute noch. IS‘ WAS, DOC? biedert sich nicht dem mutmaßlich gesunkenen Niveau des Kinopublikums an, sondern er spricht gerade im Gegenteil den Verstand und den Lachmuskulatur gleichzeitig an. Er fordert Aufmerksamkeit, und liefert dafür wunderbar chaotische Situationskomik, die auch direkt von Laurel & Hardy oder den Marx Brothers sein könnte (deren Filme heute interessanterweise auch immer noch funktionieren). Oder von den Looney Tunes. Ein gewisser Hase fällt mir da ein …

Bild

Bild

Auch die Charaktere und ihre Beziehungen sind heutzutage immer noch witzig: Ryan O’Neal ist der schusselige und weltfremde Wissenschaftler Howard Bannister, der unter der Fuchtel seiner Verlobten Eunice (Madeline Kahn) steht. Im Drugstore wird er von Judy (Barbra Streisand) entdeckt, die sich unsterblich in ihn verliebt, und mit ihrer ganz besonderen Art nun alles daran setzt, ihm zu zeigen dass sie die Richtige für ihn ist. Sie gibt sich als Howards Verlobte aus, manövriert ihn in unmöglichste Situationen, und bringt ihn dort ganz pragmatisch auch wieder heraus. Na gut, sie versucht es zumindest, dieser Teil klappt zur Freude des Zuschauers nicht ganz so gut. Und außenrum die erwähnte Sache mit den Reisetaschen, die von einem Geheimagenten, einem Spion und einem Dieb gejagt und vertauscht werden, und die schneller die Besitzer wechseln als man Paläontologische Musiktheorie sagen kann.

Zeitloser Humor mit grandiosen Schauspielern!

Bild

Bild

Bild

Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Nazi Love Camp 27 (Mario Caiano, 1977) 6/10

Wenn man mal den ganzen Quatsch mit den nackten Frauen, den Demütigungen und den Folterungen weglässt, dann kann man überrascht feststellen, dass NAZI LOVE CAMP 27 im Kern ein reinrassiges Drama über eine unglückliche Liebe und deren Konsequenzen ist. 1939 ist die Jüdin Hannah Meyer mit dem deutschen Offizier Klaus Berger liiert, und die Liebe ist auf beiden Seiten groß. Aber der Krieg kommt und Berger muss ins Feld, wohingegen Hannah den Tod ihrer Eltern mitansehen muss und in ein Lager gebracht wird. Ein Liebeslager, wo Jüdinnen als Huren deutscher Frontsoldaten die Beine breitzumachen haben, damit die Landser sich entspannen können. Wer dreimal negativ auffällt wird brutal getötet, und ansonsten gilt es zu lächeln, denn „das Lächeln ist das Wichtigste was eine Prostituierte zu tun hat“, so wird es Hannah erklärt. Hannah steht mit einem Bein bereits im Grab, da sieht der Lagerkommandant Kurt von Stein sie und rettet sie vor dem sicheren Tod. Von Stein nimmt sie mit in sein Haus, und macht sie bekannt mit seinem Schäferhund Axel, der auch gleich den Einstellungstest durchführt: Sie reagiert richtig und drischt mit einer Peitsche auf den Hund ein – Gut gemacht Hannah, von Stein möchte das bei sich selbst nämlich genauso haben. Folgerichtig wird Hannah nun zu von Steins Mätresse „befördert“. Ab sofort heißt sie Lola, hat neue, arische Papiere, wird das Bett mit von Stein teilen und sein Luxusbordell für SS-Offiziere leiten. Dort kommt eines Abends auch Klaus Berger hin, und Hannah erkennt, was ihr Leben darstellt und wo es hinführen wird. Zeit zum Aufräumen …

Bild Bild

Wie gesagt, prinzipiell ein reinrassiges Drama, dass durch zeitgenössische Einspielungen von kämpfenden oder marschierenden Wehrmachtssoldaten auch eine oft bittere Färbung erhält. Mit fortlaufendem Film, und damit auch voranschreitendem Krieg, werden zunehmend tote Soldaten und brennende Städte gezeigt, und als Kontrast ist die dargestellte Dekadenz der Offiziere geradezu gänsehauterzeugend. Die gängige Naziploitation, die mit nackten und geschändeten Frauen prahlt und Gewalttaten und Demütigungen am laufenden Band zeigt ist NAZI LOVE CAMP 27 jedenfalls nicht, oder zumindest nur in der ersten Hälfte, auch wenn die allermeisten Frauen im Film sich nur deswegen anziehen, damit sie sich sofort wieder ausziehen können. Es gibt zu Beispiel noch einen Erzählstrang rund um den Lebensborn, das arische Geburtskontrollprojekt der Nazis, und da wird allen Ernstes rhythmische Leibesertüchtigung mit nackten Frauen gezeigt, genauso wie forcierter Sex zum Zwecke der Zeugung arischen Nachwuchses. Ficken für das Vaterland! Und obwohl jede Menge selbstzweckhafter Nacktheit und viel Vögelei dargestellt wird, so sind die Bilder doch weder sexy noch haben sie irgendeinen Nährwert für die Handlung. Stattdessen ist das alles in erster Linie furchtbar traurig anzusehen, zu was Menschen getrieben werden können, wenn man nur die richtige Tonlage findet. Und sei es in Form von Terror und Druck.

Gleichzeitig werden (in der besagten ersten Hälfte) sehr wohl hässliche Demütigungen gezeigt, und zwar mehr als der Gesamteindruck am Ende im Gedächtnis lässt. Die Vergewaltigungen der frisch initiierten Huren im Lager sind bitter anzusehen, und der Zuschauer leidet mit den Mädchen mit, vor allem wenn die erste Schicht Soldaten durch ist, und ihr die zweite Schicht fast auf den Fuß folgt. Am Abend holt sich die lesbische Aufseherin dann noch Hannah aufs Zimmer, um sie bei dröhnender Marschmusik zu befummeln, was dann in Folge zu einer sehr unschönen Szene führt, bei der eine ungehorsame Jüdin zu Tode geprügelt wird. Eine Massenvergewaltigung mit abschließendem Gemeinschaftsurinieren auf eines der unglücklichen Mädchen gibt es auch noch, und das Mädchen sucht dann postwendend den Freitod im stromführenden Stacheldraht und in Großaufnahme.

Dieser detailierten Vorstellung zum Trotz sind diese Demütigungen wie erwähnt nicht der Löwenanteil, und insgesamt ist dieser Film vor allem eines: Nicht schön. Nicht schön, nicht sexy, und auch nicht visuell überzeugend. Was stattdessen überzeugt ist dieser deprimierende und tragische Grundton. Angefangen vom Tod der Eltern bis zum grotesken Absingen des Deutschlandliedes am Ende pendeln die Empfindungen des Zuschauer zwischen Kopfschütteln und Abscheu, zwischen Spannertum und Scham, und die ganz kurz eingestreuten HC-Inserts verstärken diese Empfindungen noch zusätzlich. Der Höhepunkt ist dann diese zum Dahinschmelzen schöne Musik von Francesco Di Masi, die genau die richtigen Emotionen trifft und diese dann ins Zigfache überhöht, die oft kitschig ist bis zum Erbrechen, aber das Sentiment damit genau auf den Punkt bringt. NAZI LOVE CAMP 27 ist grotesk und bitter, er macht keinen Spaß und er schmerzt, aber interessant anzuschauen ist er allemal. Wobei interessant auf eine sehr deprimierende Art gemeint ist …

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Rise: Blood Hunter (Sebastian Guttierez, 2007) 6/10

In Los Angeles geschehen äußerst blutige Morde an Teenagern, und als die Journalistin Sadie Blake hinter die Sache kommen will stellt sie äußerst schmerzhaft fest, dass in der Stadt der Engel eine Gruppe Dämonen auf Nahrungssuche unterwegs ist: Vampire. Und ihr neues Opfer heißt: Sadie Blake …
Nachdem Sadie im Leichenschauhaus erwacht ist sinnt sie verständlicherweise auf Rache. Ausgestattet mit einer Art Einhand-Armbrust zieht sie los um die Vampire zu metzeln. Dabei hinterlässt sie eine unübersehbare Blutspur, die die Polizei anzieht. Genauer gesagt Detective Rawlins, dessen Tochter zu den Opfern gehört, und der darum ein eigenes Interesse daran hat, den oder die Täter in seine Finger zu bekommen. Wobei er als hartgesottener und fantasieloser Polizist natürlich davon ausgeht, dass Sadie die Mörderin ist …

Bild Bild

Also wenn es nicht die Lucy Liu wäre, dann wäre der Film von mir schon ein ganze Ecke weniger wohlwollend aufgenommen worden. Er ist düster, er ist relativ flott inszeniert, er hat den Schwulst und die Plattitüden genau da wo man sie erwartet, die Musik ist stereotype Librarymusik und die Schauspieler sind Durchschnitt. Aber da ist ja noch Lucy Liu, und ich muss gestehen, dass ich Frau Liu schon immer als hocherotische Frau wahrgenommen habe. Was auch der einzige Grund war für die Sichtung dieses Films: Lucy Liu im blutgetränkten Trägertop, da konnte ich nicht widerstehen.

Aber trotz aller Schwärmerei ist RISE: BLOOD HUNTER nichts anderes als Durchschnittsware der unteren B-Klasse. Nett anzuschauen, aber nichts, was auch nur in irgendeiner Weise satt macht. Der Blut- und Schmoddergehalt ist relativ hoch, wenngleich auch ausgesprochen dezent in Szene gesetzt, die Bösen sind böse, die Guten sind gut, und die Hauptdarstellerin ist dazwischen und hat ein moralisches Problem.“Sie wurden wiedergeboren mit dem Herz einer Killerin. Hören Sie auf Ihr Herz.“ Nun gut, da würde ich wahrscheinlich auch Probleme bekommen, aber Sadie Blake erhebt sich dankenswerterweise über ihre Skrupel und lässt die Vampire ordentlich zur Ader. Dazu darf sie noch ein paarmal ein ganz klitzeklein wenig blank ziehen (aber nicht zu sehr, nackte Frauen gehen ja gar nicht, im Gegensatz zu roher Gewalt), und insgesamt ist der Film einfach nett anzuschauen, ohne irgendwelchen weiteren Nährwert zu haben. Hatten wir das schon mal? Was es nur umso wahrer macht, und dank Lucy Liu-Bonus zu 6 von 10 verschossenen Armbrustpfeilen führt. Da wäre aber auch noch Luft nach unten, und wer nicht so auf Frau Liu steht wie ich, der sollte hier lieber Abstand wahren …

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Justine (a.k.a. Julietta 69) (Jess Franco, 1975) 6/10

Justine ist verzweifelt, entfernt sich ihr geliebter Chris doch immer mehr von ihr, und mutiert allmählich zum religiösen Eiferer. Sie sucht Trost bei einer alten Schulfreundin, Ingrid, aber mehr als ein Anker der Wärme ist das auch nicht. Sie versucht Chris mit anderen Männern zu provozieren, damit dieser seine Gefühle für sei wiederentdeckt, aber vergeblich. Chris gerät nur in Rage, fällt über Justine her und peitscht sie aus. Aus diesem Kreislauf aus fehlgeleitetem Verlangen und Alkohol scheint es keinen Ausweg zu geben …

Bild Bild

Eigentlich eine hochinteressante Sache: Jess Franco drehte in den Jahren 1974 und 1975 unter anderem die Filme JULIETTA 69, HEISSE BERÜHRUNGEN und SHINING SEX, die alle drei mehr oder weniger hintereinander entstanden und auch fast den gleichen Cast hatten. JULIETTA 69 kam wohl zumindest in Frankreich in die Kinos und war anscheinend auch recht erfolgreich. Ende der 70er-Jahre verkaufte Franco die Rechte an den Filmen im Paket an einen italienischen Produzenten, der dann ob des expliziten Inhaltes recht schnell kalte Füße bekam, und von einer Veröffentlichung im Kino absah. Daraufhin setzte sich Joe D’Amato hin, und montierte aus Szenen dieser drei Filme einen neuen: JUSTINE.

Dieses Vorgehen führt dazu, dass der Film, so wie wir ihn heute sehen können, ein wenig, nun ja, uneinheitlich wirkt. Nicht nur, dass Lina Romay des Öfteren völlig unmotiviert ihre Frisur wechselt, auch die „Geschichte“ stolpert eher vor sich hin, als dass etwas Stringentes erzählt wird. Ja, sogar mehr als in anderen Franco-Filmen üblich, passt hier relativ wenig zusammen. JUSTINE, also diese italienische Fassung, hat eine Laufzeit von ungefähr 81 Minuten, davon sind 48 Minuten aus JULIETTA 69, und es lässt sich ungefähr erahnen, welch morbide und destruktiv-erotische Stimmung in diesem Film vorherrscht, der wohl leider als verloren gegangen angesehen werden muss. JULIETTA 69 besteht aus leeren, sinn-freien und melancholischen Sexszenen, die sehr glaubhaft die Suche nach Wärme und Liebe andeuten, aber in Wahrheit doch nur das Gegenteil zeigen. Die Liebe, als das Schönste des menschlichen Miteinanders, wird reduziert auf gefühllosen und dunklen Sex, und der Höhepunkt, der gottseidank in JUSTINE enthalten ist, ist der Selbstmord Chris‘ mit anschließender Fellatio von Lina an der aufgehängten Leiche. Harter Tobak, selbst für Jess Franco …

Bild Bild

Man kann sich ein wenig vorstellen, wie der zugrundeliegende Film in etwa ausgesehen haben mag. Die Fassung, die D’Amato daraus geschnitten hat, ist sicher nicht schlecht, und transportiert diese Grundstimmung auf jeden Fall immer noch: Nach der nekromantischen Fellatio geht Justine ins Schlafzimmer, schiebt sich einen Revolver in die Vagina und drückt ab – Ende des Films. Wer danach noch gute Laune hat sollte sich definitiv untersuchen lassen. Die schlechte Nachricht: Der originale Score von Daniel White wurde von D’Amato durch Musik seines Leib- und Magenkomponisten Nico Fidenco ersetzt, genauer gesagt durch Scores aus den Filmen BLACK EMANUELLE und NACKT UNTER KANNIBALEN, und was dort wirklich hervorragend passt, zerstört hier durch die positive Notation sämtliche Stimmung. Die anfängliche Sexszene zwischen Lina Romay und Evelyne Scott zum Beispiel, ist im Original SHINING SEX ein melancholisches und mit bitteren Untertönen versehenes Drama, eine verzweifelte Annäherung zweier nach Lust hungernder Seelen. In JUSTINE hingegen macht der symphonische Score Fidencos etwas gewollt Positives daraus – Bilder und Musik passen einfach nicht zusammen, und die Wirkung wird zerstört. Für Filmstudenten sicher hochinteressant, für Filmfans ein mittleres Desaster …

Denn in Folge wird mit zunehmender Laufzeit der Blick zur Uhr immer häufiger, und die Unruhe wächst. Wollte ich heute nicht noch etwas Sinnvolles tun? Staubsaugen zum Beispiel? Erst nach dem Ende wächst die Erkenntnis, dass man hier einem außergewöhnlichen Drama beiwohnen durfte – In jedem Sinne, denn die Verhackstückelung der Originalfilme ist bemerkenswert, und wenn man darüber nachdenkt ist dabei auch durchaus etwas Sinnvolles herausgekommen. JUSTINE ist bei weitem nicht so schlecht, wie der erste Eindruck scheinen mag, ja fast erinnert er in seiner Grundstimmung an AL OTRO LADO DEL ESPEJO – Dieses düstere und traurige, diese fortwährende Depression in mitten blühenden Lebens, diese Einsamkeit in den Charakteren ...
Allein dass JULIETTA 69 wahrscheinlich verschollen ist stimmt sehr traurig, scheint dies doch ein Film zu sein der sich wirklich lohnen dürfte. Die „Ausschnitte“, die man hier bewundern kann, weisen auf einen typischen Franco dieser Zeit hin: Ein von Sex und Tod durchdrungenes und hochexplizites Drama, der Zusammenbruch von Vertrauen und Liebe und die Ersetzung dieser Gefühle durch Gewalt und Tod. JUSTINE kann davon nur noch eine Ahnung erzeugen, die aber ist durchaus sehenswert. Nur die Musik, die zerstört wirklich so einiges …

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Johnny Allegro (Ted Tetzlaff, 1949) 5/10

Frauen bedeuten immer Ärger. Das könnte auch der fleißige und unbescholtene Florist Johnny Allegro behaupten, nachdem sich ihm eine unbekannte schöne Blondine an den Hals geworfen hat, und ihn anschließend das Schatzamt der Vereinigten Staaten von Amerika rekrutiert, besagte Blondine auf Schritt und Tritt zu überwachen. Denn so unbescholten ist Johnny Allegro gar nicht – Als Johnny Rock saß er 10 Jahre in Sing-Sing, und eigentlich ist er unter seinem richtigen Namen auf der Flucht vor der Polizei. Dieser Job, zu dem er erpresst wird, den er der Blondine zuliebe aber auch gerne übernimmt, könnte ihm sein Leben wiedergeben. Also reist er mit der Blondine, Glenda, auf eine Insel vor Florida, wo der Kriminelle Morgan Vallin lebt, auf den das Schatzamt letzten Endes scharf ist. Das Schatzamt jagt Morgan Vallin, und Morgan Vallin jagt gerne mit Pfeil und Bogen – Warum nicht auch einmal den Liebhaber seiner Frau?

Bild Bild

Und so schauen wir George Raft zu, wie er von A nach B reist, dann weiter nach C läuft, und schlussendlich dann nach D und E … Vieles geschieht zu Fuß, und bereits zu Beginn wird die sowieso schon kurze Laufzeit (was für ein Wortspiel) damit gefüllt, dass George Raft sich innerhalb eines Hotels bewegt, eine Flucht vorbereitet, und wir ihm dabei zuschauen müssen, wie er die Strecken innerhalb des Hotels vermisst.

Mal ernsthaft, JOHNNY ALLEGRO könnte auch als Road Movie klassifiziert werden, so wie sich die Personen hier fast permanent bewegen. Die Charaktere selber bleiben dabei blass und unausgegoren, wenngleich auch nicht uninteressant. Aber es sind letzten Endes Menschen auf der Durchreise, vorbeigleitende Gesichter ohne größere Tiefe, und sie werden von der Regie mit so verdammt wenig Leben gefüllt. Johnny Allegro ist der Ex-Knacki auf der Flucht, der unter seinem richtigen(!) Namen ein Blumengeschäft betreibt, bis ihn eine kühle Blondine in die Fänge des Abenteuers treibt. Ob er nun Nina Foch leidenschaftlich in die Arme nimmt, das möglicherweise tödliche Verhör ihres Ehemanns übersteht, oder mit dem Agenten des Schatzamtes diskutiert – Der Gesichtsausruck ist immer der gleiche. Der absolut gleiche, und George Raft gelingt es leider überhaupt nicht, seinen Charakter, der ja doch den ein oder anderen Reibepunkt besitzt, interessanter zu gestalten. Die Persönlichkeit und die Ausstrahlung eines, sagen wir, Humphrey Bogart, hätte JOHNNY ALLEGRO sehr weitergeholfen. Beim Anschauen wird dann auch klar, warum Bogart, der in den 30er-Jahren noch der Co-Star des größeren Stars Raft war, diesen irgendwann im Ruhm überholte, und bis heute unsterblich ist, während Rafts Karriere spätestens ab Mitte der 40er allmählich zu Ende ging, und der einstige Superstar heute nur noch für Cineasten interessant klingt.

Bild Bild

Nina Foch (wie spricht man den Nachnamen eigentlich aus?) ist die kühle Blonde, und das macht sie eigentlich auch ganz gut, wenngleich das Bemerkenswerteste ihre Garderobe ist. Startet sie noch als klare Femme Fatale in den Film, die auf der Flucht vor dem Gesetz die Männer mit einem einzigen Blick um den kleinen Finger wickelt und kaltlächelnd ins Verderben schickt, erliegt ihre kühle Ausstrahlung schnell dem hölzernen … ääh … Charme(?) George Rafts. Eine Liebe die nur existiert weil sie im Drehbuch steht, aber zwischen den beiden Darstellern passiert nicht wirklich viel.
Der Einzige, der hier wirklich glänzen darf, ist George Macready als Morgan Vallin. Süffisant, intelligent, eiskalt, tödlich – Eine Schwarze Witwe in Menschengestalt. Wenn er Pfeil und Bogen anlegt um sich seine Widersacher vom Halse zu schaffen weiß der Zuschauer genau, dass gleich das große Sterben beginnen wird. Wie ein Bösewicht in einem Western agiert er, und es ist gleich ob ihm die Frau oder die Stadt gehört, von seinen Widersachern wird garantiert keiner ein hohes Alter erreichen.

Macready hilft dem Film zumindest zu einem ansehbaren Krimi zu werden, denn sonst passiert einfach nicht viel. Starke Momente, etwa wenn Johnny Allegro sein Schlafzimmer präpariert um in der Nacht vor Überraschungen sicher zu sein, sind in der Minderzahl, stattdessen wird viel gereist und viel geredet. Viel zu viel Füllmaterial mit zu wenig Leben, und die Darsteller helfen dem dünnen Drehbuch nicht wirklich. Dass ich kein Wort zur Handlung verliere hat einen guten Grund – Es gibt nicht viel! Insgesamt ist JOHNNY ALLEGRO Durchschnittsware, die außer einem kontrastreichen und schönen Schwarzweiss geschickt die gängigen Topoi eines Noirs vermeidet und damit zu einem Paradebeispiel eines Films wird, der so ziemlich alles falsch macht was einem Film im Jahre 1949 zum Erfolg hätte verhelfen können.

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Address unknown (William Cameron Menzies, 1944) 9/10

Zu Beginn der dreißiger Jahre verabschiedet sich Martin Schulz in Amerika von seinem Freund Max Eisenstein. Die beiden haben in München und San Francisco einen Kunsthandel aufgezogen, und Schulz geht jetzt wieder zurück nach Deutschland. Max‘ Tochter Griselle, die eigentlich Schulz‘ Sohn Heinrich heiraten wollte, geht ebenfalls nach Europa: Sie will Schauspielerin werden, während Heinrich in Amerika bleibt und auf die Rückkehr seiner Angebeteten wartet.
Zurück im Deutschen Reich lernt Schulz den Baron von Fleischer kennen, über den er nach und nach Karriere in der aufstrebenden Partei macht. Er ist kein großes Licht im Apparat, aber einer der seine Pflicht tut. Einer von denen, die man sehr viele Jahre später dann “Mitläufer“ nennen wird. Noch steht er in regem Briefkontakt mit seinem Freund Eisenstein, bis der Baron ihm nahelegt, dies aus Gründen der Staatsräson zu unterlassen: Briefe von Juden können auch als Verrat ausgelegt werden.
Eines Abends hat Griselle, die ihren Nachnamen aus künstlerischen Gründen in Stone geändert hat, ihren großen Auftritt in einem Theater, doch der anwesende Zensor enttarnt sie als Jüdin, und der Mob will sich auf sie stürzen, das Monster zu verbrennen. Griselle kann entkommen und flüchtet zu Schulz, doch der verwehrt ihr den Schutz, weswegen sie von den uniformierten Häschern erschossen wird. Ab diesem Zeitpunkt wird Schulz‘ kleine Welt auf den Kopf gestellt: Seine Frau distanziert sich zunehmend von ihm, aber viel schlimmer sind die Briefe, die er aus San Francisco bekommt, und die ganz offensichtlich einen ihm unbekannten Code enthalten. Und von den Zensurbehörden geöffnet wurden!

Bild Bild

ADDRESS UNKOWN beginnt heiter-verspielt, als Mittelding aus einer Peinlichkeit in gebrochener amerikanischer Sprache und einem Lustspiel für die deutsche Gemeinde in den USA (allein die Aufzählung typisch deutscher Speisen wie Gänsefleisch und Königsberger Klopse erzeugt Hunger und Heimweh zugleich). Putzig, dass im prinzipiell englischsprachigen Dialog ein paar wenige deutsche Worte auftauchen – Von Immigranten schnell gesprochen, ist das etwas ganz Natürliches, was hier für viel Realismus sorgt, und im Kinosaal die Sympathie der aus dem deutschsprachigen Raum Kommenden sicher klar gemacht hat. Aber zurück in Deutschland ist das Ende der Heimeligkeit und der Gemütlichkeit schnell erreicht. Stattdessen wird eine unheimliche Spirale in das sichere Verderben in Gang gesetzt. Eine Erwähnung Adolf Hitlers in einem Münchener Lokal (laut dem damaligen Werbematerial eine exakte Nachbildung der von Hitler besuchten Kneipe), dadurch die Aufmerksamkeit eines Parteimitglieds, markige Worte die auf fruchtbaren Boden fallen: Wie vielen Menschen mag es damals ähnlich gegangen sein …? Und wie vielen Menschen im Publikum mag die Erinnerung an die eigene Verwandtschaft oder an den eigenen Freundeskreis gekommen sein, wo sich Menschen begonnen haben anders zu verhalten, fremd zu werden …?
Dank der außerordentlich gelungenen Kameraarbeit von Rudolph Maté (GILDA, DIE LADY VON SHANGHAI und unendlich vieles mehr) wird der Zuschauer in diesen Teufelskreis förmlich hineingesaugt, geht man den schrecklichen Weg von Schulz sehenden Auges mit, und kann doch nicht eingreifen. Die Charaktere stehen im Schatten, sie versuchen verzweifelt ins Licht zu kommen, aber die Silhouetten von Gitterstäben stehen dagegen. Bei der Flucht über das Land wirken sogar die Stämme der Birken wie Gitterstäbe, die Griselle festhalten wollen. Unendlich eindrucksvoll auch der Moment, wenn Griselle nach Hause kommt und Baron von Fleischer im Dunkel steht. Und dort auch für einige Dialogzeilen bleibt. Er geht nicht ins Licht und spricht seinen Text, wie es jeder vernünftige Schauspieler tun würde, sondern er bleibt für einige Zeit stehen – als Mahnmal des Schreckens, als gesichtslose Drohung aus dem Reich der Dunkelheit. Hochgradig beeindruckend!

Bild

Auch der Tod von Griselle geht unter die Haut. Immerhin ist K.T. Stevens die junge, hübsche, blonde Heldin, und man erwartet eigentlich, dass sie nach einigen Querelen davon kommt. Zwar verletzt, aber heil zurück zu ihrem Heinrich. Von wegen: Schulz zieht die Tür vor ihren Augen zu, das letzte was wir von ihr sehen ist, wie Schatten über ihr Gesicht fallen, und Schulz hört hinter der Tür mit an, wie sie erschossen wird. Da braucht es keine dramatischen Bilder und keinen Todeskampf, da reichen das Bild des zerbrechenden Schulz und die Schüsse auf der Tonspur vollkommen aus, um den Zuschauer in fassungsloses Entsetzen zu stürzen. Und Schulz ebenfalls. Die Szene wird dann aber tatsächlich nochmals gesteigert, als Schulz‘ Frau die Treppe herunterkommt, erkennt was er getan hat, und er ihr während des Wütens der SA-Leute auf der anderen Seite der Türe den Mund zuhält, damit sie sich nicht verrät. Ihr Grauen über die Tat ihres Mannes ist deutlich zu spüren und ist tatsächlich einer der stärksten Momente, die ich in einem Thriller jemals gesehen habe. DVD Beaver vergleicht ADDRESS UNKOWN mit Hitchcock, und dem kann ich nur rückhaltlos zustimmen: Raymond Burr, der in DAS FENSTER ZUM HOF erkennt wer ihm auf der Spur ist, und James Stewart und den Zuschauer direkt anfunkelt und nur mit einem Blick puren, kalten Tod verspricht. Diese Art Schrecken meine ich ..

Die Schlinge um Schulz zieht sich erbarmungslos zusammen, die geheimnisvollen Briefe aus San Francisco stoßen ihn mitleidlos in das Verderben. In einen Abgrund, aus dem es kein Entkommen gibt. Das Parteibüro, aus dem er in einer früheren Szene gemeinsam mit von Fleischer stolz und geadelt herausgekommen ist, verlässt er jetzt als gebrochener Mann mit hängenden Schultern und schlurfendem Schritt. Seine Frau kann für sich noch die Reißleine ziehen, aber Schulz merkt erst viel zu spät, dass der Baron nicht der Freund ist für den er ihn gehalten hat. Und die letzten Bilder des Films, die ohne Worte die tatsächliche Herkunft der Briefe erklären, sind dann auch noch mal ein Schlag in die Magengrube.

Wie mag sich ein Schauspieler fühlen, wenn er eine Rolle spielt, die seiner eigenen Vergangenheit diametral entgegensteht? Tomas Milian etwa, dessen Vater vom Batista-Regime ermordet wurde, spielt in HAVANNA einen Folterschergen ebendieses Batista-Regimes. Was haben die Schauspieler 1944 empfunden, die zum Teil ihre Erfahrungen mit den Nazis gemacht hatten? Willy Eichberg, dessen englisches Pseudonym Carl Esmond ist, war gebürtiger Wiener, der irgendwann nicht mehr zurück in das dann bereits angeschlossene Österreich wollte. Mady Christians, die 1933 in die USA emigrierte. Die große Ilka Grüning, bei der unter anderem Inge Meysel, Lili Palmer und Brigitte Horney gelernt haben, und die 1938 Deutschland verlassen hat, hat hier eine winzige Nebenrolle als Großmama. Der Regisseur und Schauspieler Erwin Kalser, der 1933 in die Schweiz gegangen ist. Lutz Altschul, der hier als Louis V. Arco eine kleine Rolle hat, und ebenfalls 1933 fortgegangen ist. Sie alle lassen ihre eigenen Lebensläufe in ihre Figuren einfließen, was für den Zuschauer zu einem sehr intensiven Seherlebnis wird. Vor allem eben auch mit dem Wissen, dass die meisten der hier vor und hinter der Kamera versammelten Künstler aus Europa stammen. Paul Lukas, als Pál Lukács in Budapest geboren, ist neben Peter van Eyck einer der wenigen, die schon vor der Machtergreifung der Nazis in den USA gelebt und gearbeitet haben. Aber bei beiden ist deutlich zu spüren, dass eine „Was-wäre-wenn …“-Haltung gespielt und gelebt wird: Was wäre, wenn wir im Deutschen Reich geblieben wären? Paul Lukas erinnert mich in seiner Leutseligkeit oft an Siegfried Schürenberg: Jovial, vertrauensselig, bieder – Wie man sich einen Mitläufer eben so vorstellt. Einen, der zu spät erkennt, in welchem Spinnennetz er sich verfangen hat, und jetzt nicht mehr rauskommt. Einen, der aber doch klug genug ist zu erkennen, dass er unendliche Schuld auf sich geladen hat. Die Darstellung von Lukas geht in allen Szenen unter die Haut, ich hatte nicht ein einziges Mal das Gefühl, einen Schauspieler bei seiner Arbeit zu betrachten …

Und neben den schauspielerischen Leistungen auch immer wieder die Kameraführung, die den Film vor dem möglichen Propagandavorwurf schützt und ihn aus der Masse heraushebt. Classic Film Freak schreibt, dass ADDRESS UNKOWN einige der feinsten Aufnahmen enthält, die jemals in Schwarzweiß gedreht wurden. Was ich uneingeschränkt unterschreibe. Allein die Inszenierung der Theateraufführung, bei der Griselle schlussendlich als Jüdin angeprangert wird, ist bei aller Plakativität ein großartiges Spiel aus Licht und Dunkelheit: Die Nonnen, die langsam und rhythmisch über die Bühne gleiten, während allmählich das Licht zuerst Griselle erfasst und dann über eine Marienstatue gleitet, bis es auf fast zärtliche Weise einen Dom aus Licht, eine Burg aus Glauben und Wärme erschafft – Eine Gänsehautszene, die dann von dem kleinen, geifernden Zensor auf eine geradezu widerliche und obszöne Weise zerstört wird.

Bild Bild

Dieser Zensor ist, auch wenn er nur zwei Auftritte hat, eine Symbolfigur für das gesamte Regime. Ein kleiner, ekelerregender Mann, mit einem Mund aus dem nur Obszönitäten kommen (können), und der in seiner ganzen Anlage mit dem Wort hässlich beschreiben werden kann. Sein erster Auftritt im Theater erinnert gar an die komische Figur des Charly Chaplin – Der Tramp, der den Gang entlang schlendert und mit seinem Stöckchen spielt.

Bild

Ein deutlicher Verweis auf DER GROSSE DIKTATOR, der sich Jahre vor dem Krieg lustig gemacht hat über das Grauen. Doch auch jetzt, so wie später beim Auftritt Griselles, wird der komische Eindruck durch eine Welle von Bosheit und Hass zerstört. Dabei fällt auf, dass der Zensor immer unten steht. Immer ist er der kleine Mann vor den hohen Herrschaften wie dem Regisseur oder der Schauspielerin. Und gleichzeitig ist er derjenige, der den Ton angibt, der Befehle absondert wie schleimiges Sekret, vor denen sich alle zu beugen haben. Selbst der Pöbel hört auf den kleinen widerlichen Mann – eine klare Beschreibung Hitlers, der den Mob fest in der Hand hat und schreckliche Befehle herausschleudert, die über Leben und Tod entscheiden. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang, dass das Äußere des Zensors stark an die nationalsozialistischen Darstellungen der Juden im Dritten Reich erinnert, während sein Verhalten einer bürokratischen Version einer SA-Schutzstaffel entspricht. Eine Figur zum Angstmachen …

Aber eigentlich war ich ja bei der Kameraführung. Gegen Ende konzentriert sich die Geschichte komplett auf Schulz. Seine Ausweglosigkeit wird ihm immer bewusster, und fast obsessiv wartet er auf den Briefträger der ihm die codierten Briefe bringt, nur um danach in noch größere Agonie zu verfallen. Die Kamera verkleinert dabei Schulz‘ Welt zunehmend. Sein Bewegungsradius wird immer kleiner, enger und dunkler – Vom Grundstück zum Haus zum Zimmer, aus dem er am Ende nur noch durch einen kleinen Ausschnitt nach draußen sehen kann, um sein Verhängnis heranziehen zu sehen. Einen kleinen viereckigen Ausschnitt, der nicht von ungefähr an das Fenster einer Zellentür erinnert, denn nichts anderes ist sein Haus für ihn geworden als ein Gefängnis.

Bild

Bild

Wie Schulz Stück für Stück demontiert und ihm der Boden förmlich unter den Füßen weggezogen wird ist meisterhaft, und fast scheint es, als ob Maté Rache nehmen wollte an all den Opportunisten in Deutschland, die das Leben dort so düster und traurig gemacht haben. Doch auch das Schlussbild bringt keine Freude, ist kein Happyend. Wir erfahren wer die codierten Briefe geschrieben hat, und auch diese Person steht hinter Gittern und ist in ihrem persönlichen Unglück gefangen. Sie (die Person) hat einen anderen Menschen ins Verderben gestürzt, und wird mit dieser Schuld immer leben müssen.

In manche Szenen stehlen sich Unglück und Angst wie durch die Hintertür hinein. Wie sich schleichend das Misstrauen zwischen die Menschen zwängt, das wird zum Beispiel bei der Taufe nur durch die Blicke zwischen Schulz und seiner Frau gezeigt. Nette freundliche Worte an der Oberfläche, und diese bodenlosen Blicke voller Zweifel, Abneigung, Enttäuschung …
In anderen Szenen ist das Elend schier mit den Händen zu greifen: Nach ihrer Flucht aus dem Theater rettet sich Griselle durch eine Tür. Beim Schließen der Tür sehen wir ein großes aufgemaltes J – Griselle sucht Schutz bei Juden. Ausgerechnet. Wie sich die Tür schließt, das Licht dahinter verbirgt und die Dunkelheit über den Bildschirm resp. die Leinwand flutet, das lässt den Zuschauer in der Finsternis fast ertrinken. Kaum ist Griselle aus der Tür wieder heraus, kommt bereits ein SA-Trupp, sieht das J und klopft an die Tür. In diesen Zeiten gibt es keine Sicherheit, und schon gar nicht für die Verfemten.

Bild Bild

Spannend, aber vielleicht wieder ein wenig plakativ, sind dann die Gegenüberstellungen der alten und düsteren Welt in Europa und der neuen, hellen und übersichtlichen Welt der USA: Schulz tigert in seinem schlossartigen und düster-labyrinthischen Haus wie in einem Karzer hin und her, ein Schnitt, und in einem hellen und freundlichen großen (!) Raum empfängt Eisenstein einen Brief seines früheren Freundes. Der Amerikaner, der mit Knautschgesicht und Bodenständigkeit die Nazi-Bürokraten in ihrem eigenen Büro in die Schranken weist, grenzt dagegen schon fast an Peinlichkeit, auch wenn er einige Zeit die Lacher des Publikums auf seiner Seite hat. Zumindest bis er das Büro Schulz‘ betritt, wo ihm das Lachen dann doch vergeht. “Kraut“ zischt er Schulz am Ende entgegen und geht ohne einen Blick zurück davon. Sehr bildhaft, aber aus heutiger Sicht eine, für das Kriegsjahr 1944, durchaus zu tolerierende Botschaft …

Denn von genau solchen plakativen Bildern lebt ADDRESS UNKNOWN. Die oben beschriebene Tür mit dem J ist pures, manipulatives Kintopp. Aber die Botschaft ist klar, und mit diesen eindrücklichen Bildern hämmert sie sich auch problemlos in die Köpfe der Zuschauer: Wer solche Dinge tut ist böse böse böse. Er lebt in der Finsternis, er tut schreckliche Dinge – Er ist der Satan. Die oben angeführte Marienstatue bei der Theateraufführung wird bewusst als lichter Gegenpol zur Dunkelheit gezeigt, und das Gesicht Griselles, wenn sie die vorher verbotenen Zeilen singt, ist wie von einem inneren Licht erfüllt. Plakativ? Billig? Mag sein, aber verdammt wirkungsvoll und effektiv! Und von einem kinematografischen Gesichtspunkt ein absoluter Höhepunkt!! So wie der ganze Film …

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

The killer that stalked New York (Earl McEvoy, 1950) 6/10

Sheila Bennett kommt mit geschmuggelten Juwelen zurück nach New York, hart verfolgt von einem Mann der Zollbehörde. Aber weder Sheila noch der Zollmensch wissen, dass sie noch etwas anderes von ihrem Kuba-Trip mitbringt: Die Pocken! Hochgradig ansteckend und in den meisten Fällen tödlich, verbrennen die Pocken den Kranken geradezu von innen, mit einem, wie es heißt, gierigen und heißen Fieber. Sheila kann den T-Man vom Zoll abhängen und zu ihrem Mann Matt Krane durchkommen, nachdem sie noch einen Kurzbesuch bei Doktor Wood gemacht und dort die kleine Walda in den Arm genommen hat. Krane hat allerdings ganz andere Pläne: Zum einen betrügt er seine Frau mit ihrer Schwester Francie, und zum anderen will die Juwelen für sich selbst haben. Also wirft er Sheila aus der gemeinsamen Wohnung, und nach einem Irrweg über viele Stationen erfährt sie dann beim Hehler Moss die grausame Wahrheit über Kranes Verhalten. Und während die Krankheit sich zunehmend ausbreitet, die Gesundheitsbehörden der Stadt New York eine gigantische Impfaktion starten, und immer mehr Menschen sterben, wird auch Sheila immer schwächer und schwächer. Aber ein Gedanke hält sie aufrecht: Sie will Rache! Rache an dem Mann, der sie betrogen und ihre kleine Schwester getötet hat.

Bild Bild

THE KILLER… hat so einige ernsthafte Schwächen. Da ist die pathetisch-patriotische Erzählstimme von Reed Hadley, der uns allen Ernstes erzählen will, dass New York die schönste und sicherste aller Städte ist. (Dem stand bereits 8 Jahre vorher CASABLANCA entgegen, wo Rick sinngemäß erklärt, dass es Viertel in New York gibt, wo er Hitler nicht empfehlen würde einzumarschieren …) Da ist die ideenlose Inszenierung, die eine ordentliche Krimihandlung neben einen semi-dokumentarischen Katastrophenfilm stellt, und es nicht wirklich schafft, die beiden Erzählstränge überzeugend miteinander zu verbinden. Da sind die routiniert-einfallslosen Darsteller, die bis auf Evelyn Keyes ihre Rollen abspulen und offensichtlich darauf warten, dass ihnen die Gage ausbezahlt wird. Aber vor allem ist da die vergebene Chance, eine von Grund auf spannende Geschichte auch spannend zu erzählen. Es fehlen einfach die Überraschungen, die Wendungen, die Höhepunkte, die den Zuschauer mit sich ziehen und mitfiebern (höhö) lassen.

Auf der anderen Seite ist da Evelyn Keyes, die vor allem in den letzten 20 Minuten zur rächenden Hochform aufläuft. Und es sind gerade diese 20 Minuten in denen klar wird, was der Film unter einer besseren Regie hätte werden können. Da wird nämlich ordentlich Druck aufgebaut, da wird es spannend und düster, und das Showdown auf dem Dachsims hätte in den Händen eines fähigeren (Sprich: einfallsreicheren) Regisseurs tatsächlich nervenzerfetzend werden können.
Trotzdem, die Krimihandlung ist gradlinig erzählt und macht durchaus ein wenig gespannt auf die Fortführung der Story. Gerade die charakterlich zweifelhafteren Figuren sind schön beschrieben, und es macht Spaß ihnen zuzuschauen wie sie in ihr Verderben rennen. Die Story um die Epidemie ist im Gegensatz dazu dann hanebüchen aufgebaut, und lässt den (heutigen) Zuschauer in ihrer hilflosen Romantik und dem verzweifelten und geschwätzigen Pathos müde abwinken. Was den Film letzten Endes rettet, und da kann ausgerechnet der Film in seiner Narration nicht allzu viel zu, sind die eindrucksvollen Bilder der Stadt New York.

Bild Bild

Die offensichtlich ungestellten Straßenszenen in den nicht so guten Vierteln erzeugen jede Menge Stimmung und Lokalkolorit, was dann insgesamt eben doch noch zu einer eher positiven Einschätzung führt. Sagen wir neutral mit einem leichten Übergewicht zum Wohlwollen. Bestimmt nichts was ich ein zweites Mal sehen muss, aber ich freue mich ihn gesehen zu haben …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Wind River (Taylor Sheridan, 2017) 7/10

Es ist Winter in Wyoming. Es liegt Schnee, es ist eiskalt, und es ist ruhig. 6 Meilen von der nächsten menschlichen Behausung entfernt liegt die Leiche eines jungen Mädchens im Schnee – Barfuß, und vergewaltigt. Der Jäger Cory Lambert, der im Winter die Herden der Schafzüchter vor wilden Tieren beschützt, kennt dieses Mädchen. Es ist seine Nichte, und für ihn tut sich eine ganz private Hölle auf, ist doch seine eigene Tochter vor drei Jahren unter nach wie vor unbekannten Umständen zu Tode gekommen. Die aus Las Vegas angereiste FBI-Agentin Jane Banner ist zwar bemüht, aber unerfahren, und in diesem wilden und rauen Land vollkommen hilflos. Sie engagiert Lambert ihr zu helfen, und Lambert macht mit, denn er hofft auf Antworten im Fall seiner eigenen Tochter. Doch hier liegt die Sache etwas anders. Das merkt er, als der Freund seiner Nichte unter Verdacht gerät – und ebenfalls nackt und tot im Schnee gefunden wird.

Bild

Regisseur Taylor Sheridan macht nicht den Fehler, den gängigen Filmen der ausgehenden 10er-Jahre hinterherzuhecheln, und mit Schießereien und Explosionen eine mangelnde Story zu übertünchen. Im Gegenteil lässt er sich sehr viel Zeit, seine sehr wohl vorhandene Geschichte zu erzählen, und tatsächlich hat jede Szene ihren Sinn, hat jeder Dialog einen Zweck. WIND RIVER fesselt vom ersten Moment an: Die starken Schauspieler, die in ihrer eigenen Persönlichkeit wurzeln und daraus Charaktere erschaffen, die so realistisch und überlebensgroß zugleich sind. Die Erzählung, von der man zunehmend ahnt, dass sie in Tod und Verderben münden wird, obwohl doch so viel Erhabenheit durch die Landschaft weht. Und natürlich genau diese Landschaft, die in großartigen Bildern eingefangen wird, und den Zuschauer förmlich in sich hineinsaugt. Und die mindestens genauso viel Tod wie Schönheit enthält.

Ein Film, der fast aus der Zeit gefallen scheint. Ein Erzählrhythmus, der aus den großen Epen der 50er-Jahre stammen könnte, zusammen mit einer Grausamkeit, die im hier und jetzt angesiedelt ist. Kein Schnickschnack, keine verkopfte Geschichte, keine Nebenschauplätze. Es gibt nur den Schnee, den Tod, die Ungerechtigkeit und eine Handvoll Menschen, die sich dem entgegen stellen. Es gibt Lambert, der Raubtiere jagt. Es gibt Banner, die Menschen jagt. Und es gibt Menschen, die nichts von Raubtieren unterscheidet. Es gibt Menschen die miteinander reden, und es gibt Menschen, denen die Sprache abhanden gekommen ist. Es gibt Vertrauen und Freundschaft, aber es gibt auch Gewalt, die fast wie bei Sam Peckinpah schnell und brutal eruptiert und keine Gnade kennt.

Bild Bild

WIND RIVER ist großes Kino für Menschen, deren Augen und Sinne noch nicht durch das Dauerfeuer der modernen Filme abgestumpft sind. WIND RIVER ist wie ein JEREMIAH JOHNSON der Gegenwart, voller Ruhe und Schönheit, und unter dieser Ruhe und Schönheit lauert ein erbarmungsloses und menschengemachtes Grauen. Ein Film der tatsächlich berührt, in jeder Hinsicht. Und den man sich eigentlich im Kino anschauen sollte …

Bild

Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Aus dem Nichts (Fatih Akin, 2017) 7/10

Zwischen 2000 und 2007 verbreitete der Nationalsozialistische Untergrund, kurz NSU, in Deutschland rechten Terror. Die Ermordung von neun Menschen nicht-deutscher Herkunft sowie einer Polizistin, 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle gaben der Polizei jede Menge Anlass darüber nachzudenken, dass die türkische Mafia offensichtlich recht aktiv ist. Oder die kurdische Mafia. Oder die albanische Mafia.
Neun tote Menschen. Zwei davon könnten Nuri Sekerci und sein Sohn Rocco sein. Könnten, denn dies sind die fiktiven Opfer in Fatih Akins Spielfilm AUS DEM NICHTS, der versucht, das Leid eines Opfers dieser Terrorserie aufzuarbeiten. Nuri und Rocco sind tot, von einer Nagelbombe grausam in Stücke zerrissen, aber die Ehefrau und Mutter Katja Sekerci lebt noch. Sie lebt mit einem entsetzlichen Loch in ihrem Leben, in dem vorher eine funktionierende und liebende Familie war. Die Schwiegermutter gibt ihr eine Teilschuld, die eigene Mutter sucht die Schuld beim toten Ehemann, und irgendwie scheint außer ihrer besten Freundin Birgit niemand da zu sein für sie. Da sie selber ihren Schmerz mit Drogen versucht zu bewältigen, und die Polizei diese Drogen findet, wachsen Katja die Probleme langsam ernsthaft über den Kopf …

Bild Bild

Doch anders als in der Realität ist die Polizei im Film auf Zack, und verhaftet die beiden Neo-Nazis Edda und André Möller. Es kommt zum Prozess, in dem Katja als Nebenklägerin auftritt. Nun ja, wie so ein Prozess aussieht, das kennt man aus US-amerikanischen Gerichtsfilmen, und es stellt sich die Frage, inwieweit so etwas realistisch ist oder auch nicht. Die Nebenklägerin wird aufgrund ihres Drogenbesitzes fast zur Schuldigen abgestempelt, die Zeugen werden nach aller Kunst zerfetzt, und der Anwalt der Täter ist ein rhetorisch geschliffenes Schwein. Genau so, wie sich der kleine Fritz das nach dem Genuss von John Grisham-Verfilmungen auch vorstellt, aber spannend ist es allemal. Und erschreckend, wenn man weiß, dass Fatih Akin diese Szenen mit dem Umgang von Zeugen und den Angehörigen der Opfer aufgrund von Beobachtungen beim NSU-Prozess entwickelt hat.

Bild

Das Urteil unterscheidet dann gründlich zwischen Recht und Gerechtigkeit, und sorgt für einigermaßen Konsternation beim Zuschauer. Unterstützt durch eine erstklassige Kameraarbeit fühlen wir als Zuschauer mit Katja mit, erleben ihren ganz persönlichen Weltuntergang, und stürzen gemeinsam mit ihr in ein unendlich tiefes und schwarzes Loch. Es mag vielleicht sein, dass Fatih Akin hier etwas zu plakativ vorgeht, aber hey, dies ist ein Film, und dieser Film soll Emotionen wecken und Denkanstöße liefern. Was er beides richtig gut macht. Schon nach dem Anschlag, wenn Katja auf dem regennassen Asphalt zusammensinkt, ist der Kloß im Hals des Zuschauers verdammt groß, und das Unbehagen bleibt über die (anfängliche) Richtung der Ermittlungen, über so manche Gestalt in der Gerichtsverhandlung und über das Urteil hinweg bestehen, bis er zum einem schmerzhaften Ballen im Magen wird.

Meine Frau, Mutter einer 17-jährigen Tochter, stellte die Frage in den Raum, wie sie wohl reagieren würde. So wie Katja es am Ende des Films tut? Oder anders? Eine Frage, die kein Mensch, der so etwas nicht erleben musste, zufriedenstellend beantworten kann, weil kein Mensch bis dahin in solche Abgründe hineingeschaut hat. Fatih Akin zeigt uns diese Abgründe, und mit Diane Kruger hat er eine Hauptdarstellerin gefunden, die uns dieses Loch im Boden, das alles Leben und alle Gefühle aufsaugt, darstellen kann wie man es nicht für möglich gehalten hätte. Allein die Performance von Frau Kruger ist es bereits wert, sich AUS DEM NICHTS anzuschauen, und Geschichte, Stimmung, Darsteller und Musik geben alles, um den Zuschauer zu fesseln.

Bild

Ein beklemmendes und dichtes Stück Zeitgeschichte in Form einer Narration. Fiktiv? Nicht für alle Menschen, manche mussten diesen Schmerz erleiden. Und mit ihm leben. AUS DEM NICHTS ist nicht immer schön, aber er ist gut. Und er ist wichtig. Denn er gibt Menschen eine Stimme, die nie gehört werden.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten